Urteil des VerfG Brandenburg vom 29.03.2017

VerfG Brandenburg: kreis, stadt, anhörung, bevölkerung, auflösung, gesetzgebungsverfahren, verfassungsgericht, offenkundig, leistungsfähigkeit, mehrheit

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3/93
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 LKreisNGlG BB, § 13
LKreisNGlG BB, § 14 LKreisNGlG
BB, § 16 S 2 LKreisNGlG BB, Art
97 Verf BB 1992
Verfassungsgericht Potsdam: Eingliederung der Kreise
Eisenhüttenstadt, Guben und Spremberg in die Landkreise
Oder-Spree bzw Spree-Neiße sowie die Zuweisung der
Gemeinde Rüdersdorf zum Kreis Märkisch-Oderland mit
Selbstverwaltungsgarantie vereinbar - Fortbestehensfiktion für
Kommunalverfassungsbeschwerde gegen neue gebietliche
Zuordnung - Vertretungsregelung für solche
Kommunalverfassungsbeschwerden
Gründe
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen ihre durch
§§ 12 und 13 des Gesetzes zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte im Land
Brandenburg (Kreisneugliederungsgesetz - KNGBbg) vom 24. Dezember 1992 (GVBl. I S.
546) bewirkte Eingliederung in die Landkreise Oder-Spree und Spree-Neiße sowie die von
§ 14 KNGBbg angeordnete Zuweisung der Gemeinde Rüdersdorf zum Kreis Märkisch-
Oderland. Sie beantragen, §§ 12, 13 und 14 KNGBbg für verfassungswidrig - nichtig zu
erklären, soweit die Beschwerdeführer betroffen sind.
I.
1. Die Beschwerdeführer gehörten zu den ursprünglich 38 Kreisen des Landes
Brandenburg. Im Rahmen der Kreisgebietsreform beschloß der Landtag das am 24.
Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte.
Dieses ordnete das Land in 14 Kreise und 4 kreisfreie Städte. Durch § 12 KNGBbg wurde
aus den Kreisen Cottbus-Land und Forst und den beschwerdeführenden Kreisen Guben
und Spremberg der Landkreis "Spree-Neiße" gebildet. Aus dem beschwerdeführenden
Kreis Eisenhüttenstadt-Land, dem Kreis Beeskow (ohne die Stadt Lieberose und die
Gemeinden des Amtes Lieberose und die Gemeinde Plattkow), dem Kreis Fürstenwalde
(ohne die Gemeinden Wernsdorf und Rüdersdorf) sowie der bisher kreisfreien Stadt
Eisenhüttenstadt wurde durch § 13 KNGBbg der Landkreis "Oder-Spree" geschaffen.
Aufgrund von § 14 KNGBbg wurde die vormals zum Kreis Fürstenwalde gehörende
Gemeinde Rüdersdorf dem aus den Kreisen Bad Freienwalde, Strausberg und Seelow
gebildeten Kreis "Märkisch-Oderland" zugeordnet. Im Landkreis Spree-Neiße leben ca.
151.000 Einwohner auf einer Gesamtfläche von 1.666 qkm, im Landkreis Oder-Spree ca.
187.000 Einwohner auf 2.244 qkm und im Landkreis Märkisch-Oderland ca. 171.000
Einwohner auf 2.128 qkm.
Im Vorfeld der Kreisgebietsneugliederung beschloß die Landesregierung am 29. Januar
1991 die Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzentwurfes. Am 1. April 1991
erstellte das Ministerium des Innern einen (ersten) Vorschlag zur Neugliederung. Dieser
sah die Zusammenfassung der Kreise Cottbus-Land, Forst, Guben und Spremberg zu
einem Kreis und - abweichend von der späteren Gesetzesfassung - die Verbindung von
Stadt und Kreis Eisenhüttenstadt sowie dem Kreis Beeskow zu einem zweiten und der
Kreise Fürstenwalde, Seelow und Strausberg zu einem weiteren Kreis vor.
Durch Runderlaß des Ministeriums des Innern vom 25. April 1991 erhielten die Landräte
Gelegenheit, zu diesem Entwurf Stellung zu nehmen. Die Kreise Eisenhüttenstadt und
Guben und die Stadt Eisenhüttenstadt sprachen sich nach entsprechenden Beschlüssen
ihrer Vertretungsorgane für ihren Zusammenschluß zu einem Oder-Neiße-Kreis aus.
Tragende Gründe für dieses Neugliederungsmodell waren die Stärkung einer
gemeinsamen Wirtschaftsregion im Grenzbereich zu Polen, die Wiederherstellung
historischer Verbindungen sowie die Belebung und Aufrechterhaltung kultureller
Beziehungen, der Aufbau neuer Strukturen im Naturschutzpark Oder-Neiße und
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Beziehungen, der Aufbau neuer Strukturen im Naturschutzpark Oder-Neiße und
schließlich die Vorgaben des Braunkohletagebaus.
Im Mai 1991 setzte der Minister des Innern die Arbeitsgruppe "Kreisgebietsreform" ein,
die im Oktober 1991 die verschiedenen Regionen Brandenburgs bereiste, öffentliche
Anhörungen - unter anderem in Cottbus - durchführte und die Neugliederungsvorschläge
mit den Vertretern der Landkreise und kreisfreien Städte erörterte. In ihrem
Abschlußbericht vom 13. Dezember 1991 empfahl die Arbeitsgruppe die schließlich
Gesetz gewordene Verbindung der Kreise Cottbus-Land, Spremberg, Forst und Guben
einerseits sowie der Kreise Beeskow, Fürstenwalde und Eisenhüttenstadt und der Stadt
Eisenhüttenstadt andererseits. Dabei ließ sich die Arbeitsgruppe leiten von einer
angestrebten Mindesteinwohnerzahl von 120.000 und dem Prinzip der
Sektoralkreisbildung sowie der Vermeidung einer Grenzkreislosung wegen fehlender
Wachstumsimpulse und einer industriellen Monostruktur.
Am 28. Januar 1992 vereinbarten die Stadt und der Kreis Eisenhüttenstadt und der Kreis
Guben die wechselseitige Information und Kooperation ihrer Verwaltungen. In einer von
der Mittelstandsvereinigung Guben initiierten Unterschriftenaktion "Pro Guben" sprachen
sich von Januar bis März 1992 10.408 Bürger für eine Verbindung von Guben mit
Eisenhüttenstadt aus.
Mit Kabinettsbeschluß vom 10. März 1992 stellte die Landesregierung Leitlinien zur
Kreisneugliederung auf. Die von der Arbeitsgruppe "Kreisgebietsreform" dargestellten
Reformkriterien und Grundsätze zur Gesamtkonzeption der Gebietsaufteilungen wurden
insgesamt weitgehend, die vorgeschlagenen Gebietszuschnitte in der fraglichen Region
unverändert übernommen.
Mit Erlaß vom 24. März 1992 gab der Minister des Innern den Landkreisen und kreisfreien
Städten Gelegenheit, zu dem Regierungskonzept bis zum 31. Mai 1992 Stellung zu
nehmen. Die Kreise Eisenhüttenstadt und Guben und die Stadt Eisenhüttenstadt
sprachen sich auf einer gemeinsamen Kreistagssitzung für ihre Zusammenfassung zu
einem Kreis aus. Der Kreistag von Fürstenwalde befürwortete die Verbindung der Kreise
Fürstenwalde und Beeskow. Während der Kreis Forst den Leitlinien der Landesregierung
zustimmte, lehnte der Kreis Spremberg aus Achtung vor der Entscheidung Gubens den
Zusammenschluß mit Guben ab. Der Kreis Cottbus-Land befürwortete zunächst
ausdrücklich die Verbindung mit Guben, ließ diese aber in einem späteren Beschluß
offen. Auf einer gemeinsamen Sitzung am 19. August 1992 stimmten die Kreistage von
Cottbus-Land, Forst und Spremberg mehrheitlich für ihre Fusion.
Mit Wirkung vom 21. Juli 1992 wurde das Amt Rüdersdorf aus den Gemeinden Rüdersdorf
(Kreis Fürstenwalde), Heinickendorf, Herzfelde und Lichtenow (Kreis Strausberg) gebildet.
Die Kreisgrenzen überschreitende Amtsbildung beruhte auf der Lage des
Industriestandortes Zementwerk Rüdersdorf. Die Gemeinde Rüdersdorf faßte den
Beschluß, dem Kreis Strausberg zugeordnet werden zu wollen, während der Kreis
Fürstenwalde dem widersprach.
Am 28. August 1992 wandten sich die Kreise Eisenhüttenstadt und Guben sowie die
Stadt Eisenhüttenstadt erneut an den Innenminister und teilten ihm mit, sich für einen
gemeinsamen Kreis entschieden zu haben. Sie begründeten diesen Entschluß
insbesondere damit, daß die Verbindung mit Fürstenwalde und Beeskow zu einem
Sektoralkreis nicht die angestrebten Impulse für die Grenzregion entfalten werde.
Am 22. September 1992 brachte die Landesregierung den Gesetzentwurf zur
Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte (LT-Drs. 1/1259) in den Landtag ein.
Danach sollte gemäß § 12 KNGBbg-E aus den Kreisen Cottbus-Land, Forst, Guben und
Spremberg, gemäß § 13 KNGBbg-E aus dem Kreis Beeskow (ohne die Stadt Lieberose
und die Gemeinden Blasdorf, Doberburg, Goschen, Jamlitz, Leeskow, Speichrow, Trebitz
und Ullersdorf des Amtes Lieberose sowie die Gemeinde Plattkow), dem Kreis
Eisenhüttenstadt-Land, dem Kreis Fürstenwalde (ohne die Gemeinden Wernsdorf und
Rüdersdorf) sowie der bisher kreisfreien Stadt Eisenhüttenstadt und gemäß § 14
KNGBbg-E aus den Kreisen Bad Freienwalde (ohne die Gemeinden Tiefensee und
Hohensaaten), Strausberg und Seelow sowie der Gemeinde Rüdersdorf (Kreis
Fürstenwalde) jeweils ein neuer Landkreis gebildet werden.
2. Den Gesetzentwurf begründete die Landesregierung mit folgenden allgemeinen
Reformkriterien:
Die im Land Brandenburg generell fehlende Mittelinstanz staatlicher Verwaltung und die
damit verbundene weitestgehende Verlagerung der Verwaltungsaufgaben auf die
kommunale Ebene verursache auf seiten der Landkreise einen Zuwachs an
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kommunale Ebene verursache auf seiten der Landkreise einen Zuwachs an
Verwaltungsaufgaben. Diesen Anforderungen könnten die Landkreise nur durch
Schaffung einer leistungsstarken Verwaltung gerecht werden, die eine Vergrößerung der
verwaltungstechnischen Einheiten erfordere Die neuen Landkreise sollten möglichst im
Wege der Zusammenfassung mehrerer bestehender Kreise gebildet werden. Die Größe
der Landkreise orientiere sich vornehmlich an einer anzustrebenden
Mindesteinwohnerzahl von 150.000, in dünn besiedelten Gebieten von 120.000, ohne
daß es sich dabei allerdings um einen ausnahmslos geltenden Maßstab handeln könne.
Ergänzt werde das Kriterium der Mindesteinwohnerzahl um den Maßstab der
Gebietsfläche in dem Sinne, daß die Landkreise nicht in eine regionale Dimension
hineinwachsen dürften. Überdies gebiete die Lage Brandenburgs um die Enklave Berlin
die möglichst konsequente Bildung von Sektoralkreisen, um die von dem Raum Berlin
ausgehenden Entwicklungsimpulse unter Berücksichtigung der Verkehrsachsen in die
Tiefe des Landes hineinwirken zu lassen und eine Verbindung zwischen starken und
schwachen Wirtschaftsräumen herzustellen. Historische und traditionelle Gesichtspunkte
sowie die Stellungnahmen und Anregungen der betroffenen Kreise seien berücksichtigt
worden, soweit dies mit dem Gemeinwohl vereinbar gewesen sei.
Der Gesetzentwurf, der die Stellungnahmen der Landkreise einbezog, hielt die
Neugliederungsvorschläge für die südöstliche Region Brandenburgs aus den folgenden
wesentlichen Gründen für geeignet, diese allgemeinen Reformkriterien zu verwirklichen:
Die Verschmelzung der Kreise Beeskow, Fürstenwalde, Eisenhüttenstadt-Land und der
Stadt Eisenhüttenstadt einerseits und der Kreise Cottbus-Land, Forst, Guben und
Spremberg andererseits schaffe bevölkerungs- und damit leistungsstarke Landkreise,
derer die östliche Grenzregion des Landes Brandenburg in besonderem Maße bedürfe.
Die Schaffung des Oder- Spree-Kreises verwirkliche des Sektoralkreisprinzip und
verknüpfe dieses in einer deutschen und europäischen Entwicklungsachse gelegene
Gebiet. Zugleich werde der wirtschaftlich starke Kreis Fürstenwalde mit den
strukturschwächeren östlichen Regionen verbunden. Schließlich bestünden historische
Bezüge sowohl zwischen Fürstenwalde und Beeskow als auch zwischen Beeskow und
dem Raum Eisenhüttenstadt, so daß Beeskow in dem neuen Kreis eine Gelenkfunktion
wahrnehme. Die Ausgliederung der Gemeinde Rüdersdorf aus dem Kreis Fürstenwalde
diene vornehmlich dem Ausgleich der Wirtschaftskraft unter den neuen Landkreisen und
entspreche zudem dem von der Gemeindevertretung Rüdersdorf geäußerten Wunsch.
Diese für die Schaffung des Oder-Spree- Kreises sprechenden Aspekte würden auch
durch die mit 2.244 qkm eher große Flächenausdehnung dieses Kreises nicht
beeinträchtigt.
Die von den Kreisen Eisenhüttenstadt-Land und Guben sowie der Stadt Eisenhüttenstadt
von Beginn des Neugliederungsvorhabens an vertretene Alternative ihres
Zusammenschlusses zu einem gemeinsamen Landkreis sei abzulehnen. Gegenüber
dem Gesetzentwurf bedinge diese Lösung größere Nachteile. Bei Verwirklichung dieses
Vorschlags entstünden in der fraglichen Region drei sich an der unteren Grenze der
angestrebten Einwohnerzahl bewegende Landkreise, die den ihnen obliegenden und
weiterhin zuwachsenden Aufgaben nicht gerecht werden könnten. Ein aus den Kreisen
Beeskow und Fürstenwalde gebildeter, etwa 135.000 Einwohner zählender Landkreis
könnte nicht die Funktion eines starken Sektoralkreises wahrnehmen. Ein aus den
Kreisen Cottbus-Land, Forst und Spremberg bestehender, die kreisfreie Stadt Cottbus
umgebender Kreis wäre mit lediglich etwa 117.000 Einwohnern gegenüber diesem
Oberzentrum zu schwach. Ein aus der Stadt und dem Kreis Eisenhüttenstadt und dem
Kreis Guben geschaffener Landkreis weise zudem eine abträgliche Binnenstruktur in
Gestalt einer 75 v.H. Dominanz der Stadt- gegenüber der Landbevölkerung auf.
Zusätzlich bestehe für diesen mit ca. 110.000 Einwohnern ebenfalls
bevölkerungsschwachen Raum die Gefahr einer Auseinanderentwicklung zwischen den
beiden nahegelegenen Oberzentren Frankfurt/Oder und Cottbus.
Im Anschluß an die erste Lesung des Gesetzentwurfes am 30. September 1992 war das
Kreisneugliederungsgesetz Gegenstand der Beratung im Innenausschuß, der vom 15.
bis zum 17. Oktober und am 30. November 1992 Anhörungen durchführte.
In der Anhörung vom 16. Oktober 1992 (Ausschußprotokoll 1/538) erneuerten Vertreter
der Kreise Beeskow, Cottbus-Land, Eisenhüttenstadt-Land, Forst, Fürstenwalde, Guben
und Spremberg sowie der Stadt Eisenhüttenstadt unter Bezugnahme auf die
Beschlußlage in ihren Vertretungsorganen im wesentlichen ihre bereits im
Vorbereitungsstadium des Gesetzgebungsverfahrens vertretenen Standpunkte.
Uneingeschränkte Zustimmung fand der gesetzgeberische Neugliederungsvorschlag
unter Heranziehung der Neugliederungskriterien beim Kreis Beeskow. Demgegenüber
lehnten die Vertreter des Kreises Fürstenwalde die Verbindung mit Stadt und Kreis
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lehnten die Vertreter des Kreises Fürstenwalde die Verbindung mit Stadt und Kreis
Eisenhüttenstadt ab. Während zwischen Fürstenwalde und Beeskow historische,
landschaftliche, infrastrukturelle und wirtschaftliche Verbindungen bestünden, fehlten
Beziehungen dieser Art zu Eisenhüttenstadt gänzlich, so daß dieser östliche Teil des
Kreises isoliert bleiben werde. Die in die Bildung eines Großkreises einschließlich von
Stadt und Kreis Eisenhüttenstadt gesetzten wirtschaftlichen Hoffnungen seien
unrealistisch, die Wirtschaft Fürstenwaldes werde überschätzt. Angesichts des anteiligen
Bruttosozialproduktes des Amtes Rüdersdorf von derzeit 36 v.H. an dem des gesamten
Kreises Fürstenwalde sei dieser Industriestandort auch für den neuen Kreis
unverzichtbar.
Die Schaffung eines Spree-Neiße-Kreises entsprechend dem Gesetzentwurf
befürworteten die Vertreter der Kreise Cottbus- Land und Forst. Unter Hinweis auf
zurückliegende Kreistagsbeschlüsse hielten die Vertreter des Kreises Forst die
Verbindung mit Guben angesichts der historischen und kulturellen Einheit der
Niederlausitz, der wirtschaftsstrukturellen Verflechtungen und eines neben dem
Oberzentrum Cottbus anzustrebenden gleichstarken Kreises für vorzugswürdig. Seitens
des Kreises Cottbus-Land wurde die Einbeziehung Gubens in den Spree-Neiße-Kreis aus
wirtschaftlichen und landesplanerischen Erwägungen für günstig, aber auch der Wille der
Bevölkerung des Kreises Guben für beachtlich gehalten.
Unter Hinweis auf den gemeinsamen Beschluß der Kreistage von Cottbus-Land, Forst
und Spremberg vom 19. August 1992 hielten die Vertreter des Kreises Spremberg daran
fest, nicht mit Guben zu einem Landkreis zusammengeschlossen werden zu wollen. Der
Zusammenschluß der Kreise Cottbus-Land, Forst und Spremberg sei aus infra- und
wirtschaftsstrukturellen Gründen geboten. Namentlich seien diese Kreise durch den
Braunkohletagebau miteinander verbunden, der zugleich die Wirtschaftskraft des neuen
Landkreises sichere.
In Fortführung der Beschlüsse der Kreistage und der Stadtverordnetenversammlung
traten die Vertreter der Kreise Eisenhüttenstadt-Land und Guben und der Stadt
Eisenhüttenstadt für ihren Zusammenschluß zu einem gemeinsamen Landkreis ein.
Dies im wesentlichen aus folgenden Gründen: Maßgeblichkeit des in der
Unterschriftenaktion ermittelten und auch im übrigen geäußerten Bürgerwillens; der im
Süden von Guben stattfindende Braunkohleabbau, der einen natürlichen Randriegel
schaffe und Guben in einem nach Maßgabe des Gesetzentwurfes gebildeten Spree-
Neiße-Kreis isolieren würde; die bis 1952 bestandene Verwaltungseinheit von Guben und
Eisenhüttenstadt, an der sich auch die Verwaltungsebenen der Kirchen orientierten; die
mit 116 Einwohnern/qkm im Vergleich zum Gesetzentwurf (87 Einwohnern/qkm)
günstigere Relation von Finanz- und Verwaltungskraft zur Einwohnerdichte, so daß die
Unterschreitung der angestrebten Mindesteinwohnerzahl unbedenklich sei; schließlich
die begonnene Zusammenarbeit der Verwaltungen auf verschiedensten Gebieten.
4. In der Sitzung vom 5. November 1992 faßte der Ausschuß für Inneres den von dem
Gesetzentwurf abweichenden Beschluß, den Kreis Guben nicht dem Landkreis nach § 12
KNGBbg-E (Spree-Neiße-Kreis), sondern dem Landkreis nach § 13 KNGBbg-E (Oder-
Spree-Kreis) zuzuordnen und stimmte dem Gesetzentwurf darin zu, die Gemeinde
Rüdersdorf nicht dem Oder-Spree-Kreis einzuverleiben (Ausschußprotokoll 1/545 S. 8 ff.).
In seiner darauffolgenden Sitzung vom 12. November 1992 bestimmte der Ausschuß
Termin zur Anhörung der von seinem Beschluß betroffenen Gemeindeverbände auf den
30. November 1992 (Ausschußprotokoll 1/553 S. 2). Der Ausschuß diskutierte kontrovers
über das Erfordernis einer (schriftlichen) Begründung für seinen Beschluß vom 5.
November 1992, die der Ausschußvorsitzende Häßler ausdrücklich verweigerte. Der
Änderungsvorschlag fand sodann in der Beschlußempfehlung des Ausschusses (LT-Drs.
1/1455) keine Mehrheit und im weiteren Gesetzgebungsverfahren keine
Berücksichtigung.
Während der Anhörung äußerten sich die Vertreter der betroffenen Kreise und der Stadt
Eisenhüttenstadt ergänzend und klarstellend. So unterstrichen die Vertreter des Kreises
Fürstenwalde unter Hinweis auf den durch über 3.700 Unterschriften dokumentierten
Willen der Bevölkerung sowohl die Bedeutung des Industriestandortes Rüdersdorf für
ihren Kreis als auch ihre Ablehnung eines Sektoralkreises. Die Vertreter des Kreises
Beeskow zeigten sich auch mit der Einbeziehung Gubens in den Oder-Spree-Kreis
einverstanden. Der Kreis Spremberg äußerte unter Hinweis auf einen jüngsten
Kreistagsbeschluß Zustimmung zu dem den Gesetzentwurf abändernden Beschluß des
Innenausschusses. Der Kreis Cottbus- Land hielt für die Zuordnung des Kreises Guben
den Willen der dortigen Bevölkerung für ausschlaggebend und zeigte sich mit einem
Spree-Neiße-Kreis mit und ohne Guben einverstanden. Die Vertreter des Kreises Forst
teilten mit, daß ein Beschluß vom 16. November 1992 die Befürwortung eines Kreises
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teilten mit, daß ein Beschluß vom 16. November 1992 die Befürwortung eines Kreises
aus Cottbus- Land, Forst, Guben und Spremberg klargestellt habe. Das vom
Innenausschuß entwickelte Modell eines um den Kreis Guben erweiterten Oder-Spree-
Kreises wurde wegen einer damit einhergehenden unausgewogenen Kreisstruktur
abgelehnt. Schließlich versagten die Vertreter der Kreise Eisenhüttenstadt und Guben
und der Stadt Eisenhüttenstadt unter Bezugnahme auf ihre Beschlußlage dem Modell
des Innenausschusses ihre Zustimmung.
Der Ausschuß für Inneres stimmte schließlich mehrheitlich den §§ 12, 13 und 14 (in
bezug auf die Gemeinde Rüdersdorf) des Gesetzentwurfes zu und faßte eine
entsprechende Beschlußempfehlung (LT-Drs. 1/1455). Änderungsanträge zur
Verwirklichung eines Landkreises aus den Kreisen Eisenhüttenstadt-Land und Guben und
der Stadt Eisenhüttenstadt fanden keine Mehrheit. Der Landtag beriet den
Gesetzentwurf am 16. Dezember 1992 in zweiter und letzter Lesung.
5. Ein Gesetzentwurf vom 16. Juni 1993 (LT-Drs. 1/2079) zur Änderung der §§ 12 und 13
KNGBbg und zur Einfügung eines § 14a KNGBbg des Inhalts, die Kreise Eisenhüttenstadt-
Land und Guben und die Stadt Eisenhüttenstadt zu einem gemeinsamen Landkreis zu
verbinden, wurde vom Landtag nicht an den Innenausschuß überwiesen (Plenarprotokoll
1/72 vom 23.6.1993). Ein Volksbegehren "Kreisneugliederung" kam nicht zustande. Mit
Beschluß vom 16.12.1993 stellte das Präsidium des Landtages 9.259 gültige
Eintragungen fest (Bekanntmachung des Gesamtergebnisses des Volksbegehrens
"Kreisneugliederung" vom 16.12.1993, GVBl. I S. 534).
II.
Die Beschwerdeführer haben am 22. September 1993 gegen §§ 12, 13 und 14 KNGBbg
Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie machen geltend, die gesetzliche
Neugliederungsregelung verletze sie in ihrem durch die Landesverfassung verbürgten
Recht auf Selbstverwaltung.
Die Beschwerdeführer tragen vor, sie seien nicht ausreichend im Sinne des Art. 98 Abs.
3 S. 3 LV angehört worden. Sie sehen Anhörungsfehler darin, daß ihnen nicht alle
wesentlichen, die Neugliederungsentscheidung tragenden Gründe rechtzeitig und in dem
erforderlichen Umfang mitgeteilt worden seien, so daß eine angemessene
Sachentscheidung weder zeitlich noch inhaltlich habe stattfinden können. Zum einen
vernachlässige die pauschale Begründung des Gesetzentwurfes wie die
Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen der Beschwerdeführer die besonderen
regionalen Gegebenheiten, zum anderen habe die Kürze des Gesetzgebungsverfahrens
einer eingehenden Erörterung entgegengestanden, wie sie geboten gewesen wäre.
Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, die gesetzlichen Regelungen seien - auch
im Hinblick auf die Neugliederungsziele des Gesetzgebers - offensichtlich ungeeignet,
wegen einer besseren Alternativlösung im fraglichen Raum nicht erforderlich und vor
allem wegen der fehlenden Akzeptanz in der Bevölkerung und den kommunalen
Vertretungsorganen nicht verhältnismäßig. Der Oder-Spree-Kreis könne keine
sachgerechte Aufgabenerfüllung gewährleisten. Mit Fürstenwalde und Eisenhüttenstadt
wurden wirtschaftlich verschieden strukturierte und oberzentral unterschiedlich
orientierte Räume verbunden, die, statt zusammenzuwachsen, auseinanderstrebten. In
der Folge ließen sich weder die Impulse aus Berlin und dem Berliner Umland nach
Eisenhüttenstadt tragen, womit die Sektoralkreisbildung ihren Zweck verfehle, noch die
eigenen Entwicklungschancen des Grenzraumes nutzbar machen. Gleichzeitig
widerspreche die Ausgrenzung des traditionellen Industriestandortes Rüdersdorf aus
dem Oder-Spree-Kreis den bestehenden Verflechtungen zu Fürstenwalde sowie wegen
der Schwächung der Wirtschaftskraft des neuen Kreises der Zielsetzung der
Sektoralkreisbildung.
Gleichermaßen erweise sich die Verbindung der Kreise Cottbus-Land, Forst und
Spremberg mit dem Kreis Guben als ungeeignet. Guben werde infolge des sich nach
Norden ausdehnenden und verschiebenden Braunkohletagebaus von dem übrigen
Kreisgebiet abgetrennt und somit zu einer Exklave dieses Kreises werden. Ohnedies
hemme die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur und die Ausrichtung Gubens nach
Eisenhüttenstadt die Entwicklungsmöglichkeiten des neuen Kreises. Überdies bringe die
Zusammenfassung von vier nahezu gleichgroßen Kreisen und drei leistungsfähigen
Mittelzentren besondere organisatorische, personelle und funktionale Probleme mit sich.
Stattdessen halten die Beschwerdeführer die Bildung eines dritten Kreises durch den
Zusammenschluß der Kreise Eisenhüttenstadt und Guben mit der Stadt
Eisenhüttenstadt im Interesse dieser wie der benachbarten Gebiete für die bessere
Alternative. Die auf diese Weise entstehenden Kreise seien nach Einwohnerzahl und
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Alternative. Die auf diese Weise entstehenden Kreise seien nach Einwohnerzahl und
Fläche jeweils (nahezu) leitbildgerecht, wiesen eine homogene wirtschaftliche Struktur
und Aufgabenstellung in der Grenzregion und damit einhergehend spezifische
Entwicklungsmöglichkeiten auf, seien von überschaubarer Größe und auch von daher für
eine effektive Wahrnehmung ihrer Aufgaben gut geeignet.
III.
Das Gericht hat dem Landtag, der Landesregierung, den Landkreisen Oder-Spree,
Spree-Neiße und Märkisch-Oderland sowie den vormaligen Landkreisen Beeskow,
Cottbus-Land und Forst Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Der Landtag hat beschlossen, von einer Stellungnahme abzusehen.
Für die Landesregierung hat sich das Ministerium des Innern geäußert. Es hält die
Verfassungsbeschwerden für unzulässig und unbegründet Die Verfassungsbeschwerden
seien bereits unzulässig, da die Beschwerdeführer nicht die Verletzung eigener Rechte
geltend machten. Denn sie wendeten sich nicht gegen ihre zum Rechtsverlust führende
Auflösung, sondern lediglich gegen die Art der Durchführung der Neugliederung. In der
Sache sei die Argumentation der Beschwerdeführer unzutreffend. §§ 12, 13 und 14
KNGBbg seien formell wie materiell verfassungsgemäß. Ausweislich der Begründung des
Gesetzentwurfes sowie nach dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens und den das
Gesetzgebungsvorhaben vorbereitenden Maßnahmen habe eine umfangreiche
Auseinandersetzung mit den Argumenten der Beschwerdeführer - und der anderen
betroffenen Kreise und der Stadt Eisenhüttenstadt - stattgefunden. Gemessen an den
grundlegenden Reformkriterien sei die gesetzgeberische Entscheidung gegenüber dem
Alternativvorschlag der Beschwerdeführer besser geeignet. Die Überschreitung der
angestrebten Einwohnerzahlen im Oder-Spree-Kreis sei einer sachgerechten und
wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung geradezu förderlich. Demgegenüber gerate die von
den Beschwerdeführern vorgeschlagene Alternativlösung in Widerspruch zu der zu
erreichenden Mindesteinwohnerzahl und dem Prinzip der Sektoralkreisbildung. Das von
den Beschwerdeführern in Aussicht gestellte eigene Profil eines aus den Kreisen
Eisenhüttenstadt und Guben und der Stadt Eisenhüttenstadt zu bildenden Kreises sei
nicht erkennbar. Der Kreis Guben werde ungeachtet des Braunkohletagebaus angesichts
ausreichender Verkehrsverbindungen nicht von den südlichen Gebieten des Spree-
Neiße-Kreises isoliert.
Die Kreise Beeskow, Cottbus-Land und Märkisch-Oderland haben ihr Äußerungsrecht
ausgeübt und halten übereinstimmend §§ 12, 13 und 14 KNGBbg für verfassungsgemäß.
IV.
Die Stadt Eisenhüttenstadt und der Kreis Fürstenwalde haben ihre zusammen mit den
Beschwerdeführern erhobenen Verfassungsbeschwerden mit am 11. April 1994
eingegangenem Schriftsatz zurückgenommen.
B.
Die Kommunalverfassungsbeschwerden nach Art. 100 Verfassung des Landes
Brandenburg (LV), §§ 12 Nr 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg
(VerfGGBbg), die das Gericht zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat, sind
zulässig. Die Beschwerdeführer sind beschwerdefähig, prozeßfähig und
beschwerdebefugt.
I.
Die Beschwerdeführer sind als ehemalige Gemeindeverbände gemäß § 51 Abs. 1
VerfGGBbg beschwerdefähig. Ihre Auflösung durch § 16 S. 2 KNGBbg i.V.m. § 1
Wahldurchführungsgesetz (Art. 2 des Gesetzes über die Neuordnung des
Kommunalwahlrechts im Land Brandenburg, die Änderung der Kommunalverfassung
sowie die Änderung der Amtsordnung vom 22. April 1993, GVBl. I S. 110) zum 5.
Dezember 1993 steht der Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerden nicht entgegen.
Für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den ihre Auflösung bewirkenden
Rechtsakt gelten Gemeindeverbände als fortbestehend. Den Fortbestand der
Rechtspersönlichkeit und damit der Beschwerdefähigkeit zu fingieren, ist ein Gebot der
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, da anderenfalls auch der Existenzverlust
nicht rügefähig bliebe (s. bereits VerfGBbg, Urteil vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 4/93 - zur
Veröffentlichung bestimmt; aus der st. Rspr. vgl. nur BVerfGE 3, 267, 279 f.; 42, 345, 355
f.; VerfGH NW OVGE 31, 309, 310; Saarl. VerfGH NVwZ 1994, 481 jeweils m.w.N.).
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II.
Vertreten werden die Beschwerdeführer zu 2 und 3. durch ihre zuletzt amtierenden
Landräte als ihre gesetzlichen Vertreter (§ 91 Abs. 1 S 2 des Gesetzes über die
Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung)
vom 17. Mai 1990, GBl. der DDR I S. 255), der Beschwerdeführer zu 1. durch den zuletzt
amtierenden stellvertretenden Landrat (§ 92 Abs. 2 S. 1 Kommunalverfassung). Ebenso
wie die Beschwerdeführer kraft Fiktion als beschwerdefähig zu behandeln sind, gilt die
Vertretungsfunktion ihrer Landräte und stellvertretenden Landräte, deren Amtszeit mit
dem Tag des Dienstantritts des neuen Landrats, spätestens aber mit dem 5. Mai 1994
endete (§ 18 Abs. 2 S. 2 und 3 KNGBbg i.d.F. des Art. 8 der Kommunalverfassung des
Landes Brandenburg vom 15. Oktober 1993, GVBl. I S. 398), als fortbestehend (s.
bereits VerfGBbg, Urteil vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 4/93 - aaO.). Soweit die Landräte
oder ihre Stellvertreter nicht in den Diensten der neuen Landkreise stehen, ist es
mangels der Gefahr eines Interessenwiderstreits nicht veranlaßt, die Prozeßfähigkeit der
Beschwerdeführer über ihre Repräsentativorgane herzustellen (so aber VerfGH NW
OVGE 26, 306, 310; 26, 316, 318; 31, 309, 310). Da die zuletzt amtierende Landrätin des
Kreises Eisenhüttenstadt nunmehr als Beigeordnete und Dezernentin für Kultur-,
Bildungs- und Sozialverwaltung des Kreises Oder-Spree tätig ist, wird der
Beschwerdeführer zu 1. durch seinen früheren Beigeordneten und stellvertretenden
Landrat vertreten.
III.
Die Beschwerdeführer sind beschwerdebefugt. Es besteht die Möglichkeit, daß sie durch
§§ 12, 13 und 14 KNGBbg in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 97, 98 LV verletzt
worden sind. Dem steht weder ihre grundsätzliche Zustimmung zu ihrer Auflösung noch
ihre geschlossene Überführung in die neugebildeten Kreise Oder-Spree und Spree-Neiße
entgegen. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeindeverbände erstreckt sich auch
darauf, im Rahmen einer Neugliederungsmaßnahme geltend machen zu können, die sie
betreffenden Bestands- und Gebietsänderungen entsprächen nicht dem öffentlichen
Wohl im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV (s. bereits VerfGBbg, Urteil vom 14. Juli 1994
VfGBbg 4/93 - aaO.).
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind indessen unbegründet.
§§ 12, 13 und 14 KNGBbg verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem
Selbstverwaltungsrecht aus Art. 97, 98 LV.
I.
Das Gebiet von Gemeindeverbänden kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohls
geändert werden (Art. 98 Abs. 1 Lv). Vor der Entscheidung über seine Auflösung ist die
gewählte Vertretung des Gemeindeverbandes zu hören (Art. 98 Abs. 3 S. 3 LV). Mit
diesen verfassungsrechtlichen Geboten kodifiziert die Landesverfassung - entsprechend
der in den Beratungen des Verfassungsentwurfes erklärten Absicht (so der Mitarbeiter
der SPD-Fraktion, Herr Lieber, in der 8. Sitzung des Verfassungsausschusses II vom 9.
April 1992, Protokoll S. 17, Dokumentation zur Verfassung des Landes Brandenburg,
Band 3, S. 917) die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der
Landesverfassungsgerichte aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und den
entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen entwickelten Anforderungen
an Neugliederungsmaßnahmen. Danach steht die gesetzgeberische Verfügungsbefugnis
über den Bestand und Gebietszuschnitt von Gemeinden und Gemeindeverbänden unter
dem Vorbehalt, von Gründen des öffentlichen Wohls getragen und nur nach vorheriger
Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig zu sein (vgl. nur BVerfGE 86,
90, 107 m.w.N.; VerfGH NW OVGE 26, 270, 272 f.). Bestands- und Gebietsänderungen
von Landkreisen als Gemeindeverbänden (vgl. Art. 98 Abs. 3 S. 1 und 2 LV; BVerfGE 52,
95, 111 f.) berühren, sofern nur die kreisliche Ebene überhaupt erhalten bleibt, lediglich
die individuelle, nicht aber die institutionelle Selbstverwaltungsgarantie. Ein
eingriffsfester Kernbereich besteht nur zugunsten der institutionellen
Selbstverwaltungsgarantie, hingegen für den einzelnen Gemeindeverband ebensowenig
wie für die einzelnen Gemeinden (so für die Gemeinden bereits VerfGBbg, Urt. v. 19
5.1994 - VfGBbg a/93 -, DVBl 1994, 857 (858) m.w.N.). Der einzelne Gemeindeverband
unterliegt nur einem nach Maßgabe des öffentlichen Wohls relativierten Bestandsschutz
(StGH BaWü ESVGH 25, 1, 10).
II.
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Die Auflösung der Beschwerdeführer und ihre Vereinigung mit den benachbarten Kreisen
zu den neuen Landkreisen Oder-Spree und Spree-Neiße genügt den die
Selbstverwaltungsgarantie konkretisierenden Anforderungen des Art. 98 Abs. 1 und 3
LV. §§ 12, 13 und 14 KNGBbg sind formell (1.) und materiell (2.) verfassungsgemäß.
1. Das Gesetzgebungsverfahren ist verfassungsgemäß erfolgt. Insbesondere wurden die
Beschwerdeführer vor der gesetzlichen Neugliederungsentscheidung in
verfassungsrechtlich gebotenem Umfang (Art. 98 Abs. 3 S. 3 LV) angehört.
Die Anhörung der von der Gebietsänderung betroffenen Gemeindeverbände verfolgt als
ein verfahrensrechtliches Sicherungsinstrument ihrer Selbstverwaltungsgarantie die
Zwecke, dem Gesetzgeber eine umfassende Entscheidungsgrundlage zu vermitteln und
die Gemeindeverbände als Rechtsträger nicht zum bloßen Regelungsobjekt werden
zulassen (vgl. BVerfGE 50, 195, 202 f. m.w.N.; BayVerfGHE 31, 99, 129). Für die
Anhörung schreibt Art. 98 Abs. 3 S. 3 LV kein bestimmtes förmliches Verfahren vor.
Daher sind alle Formen einer Anhörung zulässig, die sicherstellen, daß die in der
gewählten Vertretung des Gemeindeverbandes stattgefundene Meinungsbildung dem
Gesetzgeber zur Kenntnis gelangt. Voraussetzung einer sachgerechten Stellungnahme
ist, daß der Anhörung die rechtzeitige Information über die beabsichtigte Regelung
einschließlich ihres wesentlichen Inhalts und ihrer maßgeblichen Begründung
vorausgeht.
Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist die Anhörung der
Beschwerdeführer zeitlich und inhaltlich ausreichend gewesen.
a) Der Wille der Bevölkerung in den beschwerdeführenden Kreisen ist im
Gesetzgebungsverfahren durch die Stellungnahmen der Landräte und der Vorsitzenden
der Kreistage in der Anhörung vor dem Innenausschuß des Landtages vom 16. Oktober
1992 zur Kenntnis gebracht worden. Die Vertreter der Beschwerdeführer hatten
nochmals die Gründe vortragen können, aus denen sie die Bildung der Landkreise Oder-
Spree und Spree-Neiße ablehnen. Die Beschwerdeführer konnten ihre Interessen
wirksam vertreten und ihre Argumente gegen die geplante Neugliederung
uneingeschränkt vortragen. Die betroffenen Kreise waren durch die Übermittlung des
vollständigen Gesetzentwurfes über den räumlichen Umfang des
Neugliederungsvorhabens und dessen wesentliche Begründung ausreichend informiert.
Die Begründung ließ insbesondere in dem für eine sachgerechte Stellungnahme
erforderlichen Umfang die Erwägungen erkennen, aus denen den Anregungen der
Beschwerdeführer nicht gefolgt worden war.
Auch wenn dies von der Verfassung her nicht geboten war (vgl Art. 98 Abs. 3 S. 3 LV),
sind im Gesetzgebungsverfahren die Ergebnisse verschiedener Unterschriftenaktionen
zur Kenntnis genommen worden, die im übrigen keinen Rückschluß auf die Zahl
derjenigen Bürger zulassen, die einer Neugliederung, wie sie Gesetz geworden ist,
offener oder gar zustimmend gegenüberstanden.
b) Die Kreistage der Beschwerdeführer hatten weiterhin genügend Zeit für eine
begründete Willens- und Meinungsbildung und die Herbeiführung entsprechender
Beschlüsse. Zwar ist nicht zu verkennen, daß zwischen der Einbringung des
Gesetzentwurfes am 22. September 1992 und der ersten mündlichen Anhörung der
Beschwerdeführer am 16. Oktober 1992 ein relativ kurzer Zeitraum lag. Die
Anhörungsrechte der Beschwerdeführer wurden hierdurch jedoch nicht in
verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise verkürzt, da die Beschwerdeführer von
dem Inhalt des Neugliederungsvorhabens ersichtlich nicht überrascht worden sind. Die
Beschwerdeführer erhielten seit Anfang 1991 wiederholt Gelegenheit, sich zum jeweiligen
Stand der Pläne zur Kreisneugliederung zu äußern. Der Gesetzentwurf der
Landesregierung übernahm im wesentlichen die Neuordnungskriterien und
Neugliederungsvorschläge der Arbeitsgruppe "Kreisgebietsreform", die den
Beschwerdeführern schon seit Ende 91 bekannt gewesen sind. Für ihre Stellungnahme
zum Gesetzentwurf konnten die Beschwerdeführer auf frühere Beschlüsse ihrer
Vertretungsorgane und vorangegangene Stellungnahmen zurückgreifen, so daß nur zu
prüfen war, ob diese weiterhin Bestand haben sollten. Angesichts des Umstandes, daß
der Gesetzentwurf den betroffenen Kreisen bereits Ende August übersandt worden war,
ist die Äußerungszeit nicht zu knapp bemessen gewesen.
c) Soweit der Änderungsvorschlag des Innenausschusses vom 5. November 1992 in
Frage steht, bedurfte es keiner formell verfassungsgemäßen erneuten Anhörung, weil er
für die schließlich Gesetz gewordene Fassung der §§ 12 und 13 KNGBbg ohne Bedeutung
geblieben ist.
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2. Die §§ 12, 13 und 14 KNGBbg sind auch in sachlicher Hinsicht verfassungsgemäß. Die
Auflösung der Beschwerdeführer zugunsten der Schaffung der Landkreise Oder-Spree
und Spree-Neiße verstößt nicht gegen das öffentliche Wohl im Sinne des Art. 98 Abs. 1
LV. Gemessen an den Maßstäben für die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte (a)) hat
der Gesetzgeber die Gründe des öffentlichen Wohls für die Kreisneugliederung
verfassungsgemäß bestimmt (b)) und in §§ 12, 13 und 14 KNGBbg verfassungsgemäß
umgesetzt (c)).
a) Der Inhalt des Begriffes des öffentlichen Wohls ist nicht festgelegt. Er muß vom
Gesetzgeber ausgefüllt werden. Der Gesetzgeber bestimmt mit den Zielen seines
Gesetzes die für die Neugliederung maßgebenden Gründe des öffentlichen Wohls (Nds.
StGH. Nds. MinBl. 1979, S. 547, 585). Bei Neugliederungsentscheidungen kommt dem
Gesetzgeber innerhalb des von der Verfassung gesteckten Rahmens grundsätzlich eine
politische Entscheidungsbefugnis und Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zu, daß er Ziele,
Leitbilder und Maßstäbe der Gebietsänderung selbst festlegen kann. Die Ausübung
dieses gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums unterliegt einer nur eingeschränkten
verfassungsrichterlichen Überprüfung. Es gelten für die Kontrolle von
Neugliederungsgesetzen durch das Landesverfassungsgericht am Maßstab der
Landesverfassung die gleichen Grundsätze, wie sie in ständiger Rechtsprechung vom
Bundesverfassungsgericht und von den Verfassungsgerichten der Länder entwickelt
worden sind (vgl. schon VerfGBbg, Urteil vom 14. Juli 1994, aaO. sowie BVerfGE 50, 50,
51 f.; 86, 90, 107 ff.; Nds. StGH Nds. MinBl. 1979, 547, 586 ff.; StGH BaWü ESVGH 23, 1,
4 ff.).
Da das Verfassungsgericht sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen darf, hat es
seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen,
Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft oder
eindeutig widerlegbar sind oder im übrigen der verfassungsmäßigen Wertordnung
widersprechen. Das Verfassungsgericht überprüft den Abwägungsvorgang daraufhin, ob
der Gesetzgeber den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend ermittelt, seiner
Regelung zugrunde gelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile gewichtet
und in die Abwägung eingestellt hat. Bei Beachtung dieser prozeduralen Maßgaben ist
die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange dem
Gesetzgeber soweit überlassen, als das mit einem Eingriff in den Bestand einzelner
Gemeindeverbände verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten
Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig oder zu den angestrebten Zielen
deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und
Differenzierungen ist. Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der
Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsentscheidung getroffen hat
(BVerfGE 86, 90, 109).
b) Die vom Gesetzgeber nach der Begründung des Gesetzentwurfes wie auch nach dem
Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens mit der Kreisneugliederung verfolgten Ziele der
Neugliederungsprinzipien halten sich innerhalb der verfassungsrechtlichen Maßgaben
zur gesetzgeberischen Bestimmung des öffentlichen Wohls. Daß überhaupt eine wie
auch immer im einzelnen ausgestaltete - Kreisgebietsreform im Land Brandenburg und
in ihrem Rahmen die Neuordnung der südöstlichen Region des Landes aus Gründen des
öffentlichen Wohls notwendig war, ist allgemein - auch von den Beschwerdeführern -
anerkannt.
Mit der Neuordnung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, hinreichend leistungsfähige
Landkreise zu schaffen. Die Stärkung ihrer Finanz- und die Sicherung ihrer
Verwaltungskraft soll die Landkreise in den Stand setzen, den ihnen im Rahmen eines
zweigliedrigen Verwaltungsaufbaus zukommenden Aufgaben gerecht zu werden. Zu
diesem Zweck soll eine Einwohnerzahl in den Landkreisen von 150.000 angestrebt, eine
Zahl von 120.000 Einwohnern möglichst nicht unterschritten werden. Um eine einseitige
Entwicklung des Berlin-nahen Raumes zu verhindern, sollen Sektoralkreise gebildet
werden. Zur Schaffung möglichst gleicher Lebensverhältnisse sollen wirtschaftlich
stärkere und wirtschaftlich schwächere Räume miteinander verbunden werden.
Die Gemeinwohlkonformität dieser Ziele und der auf ihre Verwirklichung gerichteten
Neugliederungsprinzipien ist gemessen an den von den Kreisen wahrzunehmenden
Aufgaben unbestreitbar und wird auch von den Beschwerdeführern nicht ernsthaft in
Zweifel gezogen.
c) Auch die gesetzgeberische Konkretisierung dieser Neugliederungskonzeption in dem
südöstlichen Landesteil zwischen Fürstenwalde und Spremberg entspricht dem
öffentlichen Wohl. Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Neugliederungsmaßnahme von
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öffentlichen Wohl. Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Neugliederungsmaßnahme von
seinen generellen Maßgaben leiten lassen und diese unter Beachtung
verfahrensmäßiger Anforderungen (aa)), des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (bb)) und
des Willkürverbotes (cc)) angewendet.
aa) Der Gesetzgeber hat den sich aus dem Gemeinwohlerfordernis ergebenden
prozeduralen Bindungen hinreichend Rechnung getragen. Der den §§ 12, 13 und 14
KNGBbg zugrundeliegende Abwägungsvorgang gibt zu durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken keinen Anlaß. Ausweislich der Begründung zum
Gesetzentwurf (LT-Drs. 1/1259) und des weiteren Gesetzgebungsverfahrens hat der
Gesetzgeber den für diese Neugliederungsentscheidungen relevanten Sachverhalt
umfassend ermittelt und zur Kenntnis genommen und die Vor- und Nachteile der
gesetzlichen Regelungen in die Abwägung eingestellt.
Dabei war Gegenstand der Erörterung und Bewertung in ausreichendem Umfang auch
die von den Beschwerdeführern einmütig vorgeschlagene Neugliederungsalternative. Die
Einzelbegründungen zu den §§ 12, 13 und 14 des Gesetzentwurfes geben die
Beschlüsse der betroffenen Kreistage sowie der Stadtverordnetenversammlung der
Stadt Eisenhüttenstadt einschließlich der wesentlichen Inhalte ihrer Stellungnahmen
wieder. Der Gesetzentwurf beließ es auch nicht etwa bei der bloßen Wiedergabe, sondern
bewertete seinen Neugliederungsvorschlag einerseits und die von den
Beschwerdeführern und der Stadt Eisenhüttenstadt und dem Kreis Fürstenwalde
favorisierte Alternativlösung andererseits nach seinen allgemeinen
Neugliederungskriterien. In diesem Sinne wurden die Einwohner- und Flächenzahlen, die
Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und Land, die Wirtschaftsstruktur und die für die
Aufgabenerfüllung der Landkreise maßgeblichen Voraussetzungen gegenübergestellt.
Eine weitergehende Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit dem zugrundeliegenden
Tatsachenmaterial ist von Verfassungs wegen nicht zu verlangen. Die abweichenden
Auffassungen über die Kreisneugliederung in der fraglichen Region beruhen auf
unterschiedlichen Wertungen und Prognosen, die sich einer gesicherten Feststellung und
Überprüfung weitgehend entziehen.
bb) Auch im sachlichen Ergebnis genügen die angegriffenen
Neugliederungsentscheidungen der Bindung des Gesetzgebers an das Gemeinwohl.
Wenn sich auch aus dem Vortrag der Beschwerdeführer Gesichtspunkte gegen die
gesetzgeberische und für eine andersartige Neugliederungslösung ergeben mögen, so
sind §§ l2, 13 und 14 KNGBbg doch nicht verfassungswidrig. Diese Regelungen sind nicht
offensichtlich unverhältnismäßig; sie sind weder offensichtlich ungeeignet ((l.)) noch
offensichtlich nicht erforderlich ((2.)) noch offensichtlich unzumutbar ((3.)).
(1.) 2um Zweck der Verwirklichung der Neugliederungsziele sind die gesetzgeberischen
Maßnahmen nicht offensichtlich ungeeignet. Vielmehr verhelfen sie den oben
dargelegten gemeinwohlkonformen Wertungen und Erwägungen, die das
Neugliederungskonzept kennzeichnen, zu möglichst weitgehender und vollständiger
Geltung. Die Landkreise Oder-Spree und Spree- Neiße erreichen und überschreiten die
angestrebte Mindesteinwohnerzahl. In Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen
Zielsetzung werden mit dem wirtschaftlich stärkeren Kreis Fürstenwalde auf der einen
und den ebenfalls leistungsstärkeren Kreisen Forst und Spremberg auf der anderen
Seite jeweils leistungsschwächere Gebiete verbunden, so daß im Ergebnis eine
ausgewogene Wirtschaftskraft und -struktur gefördert wird. Angesichts der
geographischen Lage des neuzustrukturierenden Gebietes im Südosten Brandenburgs
bedeutet die gesetzgeberische Entscheidung in §§ 12 und 13 KNGBbg ferner eine
weitgehende Umsetzung des Sektoralkreiskonzepts. Die Einbeziehung der südlichen
Niederlausitz in diese Konzeption war allerdings aufgrund ihrer Randlage von vornherein
ausgeschlossen.
Weder nach seiner flächenmäßigen Ausdehnung von 2.440 qkm noch auch wegen seiner
inhomogenen Wirtschaftsstruktur muß der Oder-Spree-Kreist seinen Zweck als
Sektoralkreis, nämlich: die wirtschaftlichen Impulse aus dem Berliner Umland in die
Grenzregion zu transportieren, verfehlen. Die gesetzgeberische Prognose erscheint im
Vergleich zu derjenigen der Beschwerdeführer nicht von vornherein ungerechtfertigt. Die
Bündelung wirtschaftlich unterschiedlich - gewerblich/industriell und landwirtschaftlich -
strukturierter und leistungsfähiger Gebiete in einem Landkreis kann seiner
Leistungsfähigkeit, einer gesicherten Aufgabenerfüllung und der Schaffung gleichwertiger
Lebensverhältnisse zugute kommen. Die Überführung der wirtschaftsstarken Gemeinde
Rüdersdorf in den Landkreis Märkisch-Oderland zulasten des Kreises Oder-Spree macht
den Gebietszuschnitt gleichfalls nicht offenbar untauglich. Wenngleich hierdurch eine
nicht unerhebliche Minderung der augenblicklichen Leistungsfähigkeit des Oder-Spree-
Kreises eingetreten sein kann, so geht doch die Annahme des Gesetzgebers nicht
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Kreises eingetreten sein kann, so geht doch die Annahme des Gesetzgebers nicht
ersichtlich fehl, daß die Verlagerung dieses Industriestandortes durch eine beschleunigte
wirtschaftliche Entwicklung aus dem Berliner Umland heraus ausgeglichen werden kann.
Ebensowenig erweist sich der Zuschnitt des Spree-Neiße-Kreises als offensichtlich
ungeeignet. Der nordwärts wandernde Braunkohletagebau läßt zwar eine nicht zu
übersehende räumliche Trennung zwischen dem Kreis Guben einerseits und den Kreisen
Cottbus-Land, Forst und Spremberg andererseits entstehen. Dieser Nachteil wird aber
durch gute Verkehrsanbindungen auf dem Schienen- und Straßenweg ausgeglichen.
Zudem wird die Entwicklung des Braunkohletagebaus - auch nach einer von dem
Beschwerdeführenden Kreis Guben in Auftrag gegebenen Studie - als mittel- und
langfristig rückläufig prognostiziert. In der Folge werden die Auswirkungen des
Braunkohletagebaus zumindest nicht an Bedeutung gewinnen. Gleichermaßen braucht
die Fusion von vier bevölkerungsmäßig annähernd gleichgewichtigen Landkreisen
zwischen etwa 36.000 und 42.000 Einwohnern - die Entstehung eines in sich
geschlossenen neuen Gemeindeverbandes nicht zu hindern. Der Zusammenschluß eher
äquivalenter Partner mag zwar erhöhte Anfangsschwierigkeiten begründen, steht aber
flächendeckend wertgleichen Lebensbedingungen objektiv nicht entgegen. Auch andere
Gründe, aus denen diese Lösung offensichtlich sachwidrig wäre, sind nicht erkennbar.
Die Zurückstellung des Ergebnisses von Bürgerbefragungen und einer
Unterschriftenaktion der Mittelstandsvereinigung Guben macht die
Neugliederungsentscheidungen ebenfalls nicht offensichtlich ungeeignet. Zwar kann
mangelnde Akzeptanz eines Gebietszuschnitts das Zusammenwachsen zu einer
kommunalen Verwaltungseinheit und damit letztlich die Leistungsfähigkeit der
Selbstverwaltung vermindern. Vorliegend gewinnt dieser Gesichtspunkt aber kein
derartiges Gewicht. Daß der Gesetzgeber der abgeschwächten Akzeptanz der Regelung
in Teilen der Bevölkerung keine die neue kreisliche Einheit sprengende Wirkung
beigemessen hat, ist jedenfalls nicht offenkundig unrichtig. Das Meinungsbild in den von
§§ 12 und 13 KNGBbg betroffenen Landkreisen ist nicht einheitlich und hat seit Beginn
des Neugliederungsvorhabens bereits partiell Wandlungen erfahren. Der erfolglos
gebliebene Versuch des Volksbegehrens "Kreisneugliederung" und daß unterdessen
entfallene Interesse sowohl der Stadt Eisenhüttenstadt als auch des Kreises
Fürstenwalde an der Fortführung dieses Verfahrens sind Ausdruck der nicht offenbar
unzutreffenden Einschätzung des Gesetzgebers, daß die ursprüngliche Ablehnung nicht
von.Dauer und die Entwicklung der Landkreise Oder-Spree und Spree-Neiße zu
funktionierenden Selbstverwaltungseinheiten nicht nachhaltig gehemmt sein werde.
(2.) Die Auflösung der Beschwerdeführer und ihre Überführung in die Kreise Oder-Spree
und Spree-Neiße verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des geringstmöglichen
Eingriffs. Der Gesetzgeber darf im Interesse der Verbesserung der Funktionsfähigkeit der
kommunalen Selbstverwaltung in den Bestand und Gebietszuschnitt der
Gemeindeverbände eingreifen. Nicht erforderlich ist eine von diesem Zweck getragene
Neugliederungsmaßnahme nur dann, wenn Alternativlösungen zur Verwirklichung des
Neugliederungskonzeption offensichtlich gleichermaßen geeignet und zugleich von
geringerer Eingriffsintensität sind als die gesetzliche Maßnahme.
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die von den Beschwerdeführern angestrebte
Alternative (Bildung eines Landkreises aus den Kreisen Eisenhüttenstadt-Land und
Guben und der Stadt Eisenhüttenstadt) läßt sich mit der zugrundeliegenden
gesetzlichen Neugliederungskonzeption nicht offensichtlich besser vereinbaren als das
gesetzliche Neugliederungsmodell. Mit ca. 110.000 Einwohnern würde die angestrebte
Mindesteinwohnerzahl von 120.000 Einwohnern unterschritten. Die höhere
Bevölkerungsdichte wäre hierfür kein hinlänglicher Ausgleich. Es bestehen Zweifel, ob ein
solcher Landkreis an der Ostgrenze Brandenburgs die notwendige Leistungskraft
besäße, um die ihm nach der Funktionalreform zuwachsenden Verwaltungsaufgaben zu
bewältigen. Die Besorgnis des Gesetzgebers, daß ein Kreis dieses Zuschnitts eher auf
vorerst weniger tragfähige - wirtschaftliche Verflechtungen mit der Republik Polen
angelegt wäre und nicht hinreichend an den wirtschaftlichen Impulsen aus dem Berliner
Umland partizipieren würde, ist nicht eindeutig widerlegbar. Gleichfalls ist es nicht
offenkundig fehlerhaft, wenn der Gesetzgeber den etwa 75 v.H. Anteil städtischer
Bevölkerung, den dieser Landkreis hätte, unter dem Gesichtspunkt einer gesunden
Binnenstruktur für untunlich hält. Zudem steht diese von den Beschwerdeführern
angestrebte Alternative einer leitbildgerechten Neugliederung in dem westlich und
südlich anschließenden Gebiet entgegen. Die Schaffung eines weiteren Landkreises in
der fraglichen Region hätte eine geringere Bevölkerungszahl in jedem der drei
Landkreise - unterhalb bzw. in die Nähe der angestrebten Mindesteinwohnerzahl - zur
Folge. Das Prinzip der Sektoralkreisbildung wäre in dieser Region gänzlich aufgegeben.
Nicht zuletzt ist durch den Rückzug der Stadt Eisenhüttenstadt aus dem vorliegenden
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Nicht zuletzt ist durch den Rückzug der Stadt Eisenhüttenstadt aus dem vorliegenden
Verfahren fraglich geworden, ob für einen Kreiszuschnitt, wie ihn die Beschwerdeführer
für vorzugswürdig halten und in dem die Stadt Eisenhüttenstadt einen Schwerpunkt
gebildet hätte, noch eine tragfähige kommunalpolitische Grundlage besteht.
(3.) Die gesetzgeberische Neugliederungsentscheidung ist für die Beschwerdeführer
auch nicht offensichtlich unzumutbar. Sie steht, gemessen an den von ihnen geltend
gemachten Interessen, nicht außer Verhältnis Der Gesetzgeber verfugte über
hinreichend gewichtige Gründe des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV, die
eine Neugliederung gemäß der §§ 12, 13 und 14 KNGBbg rechtfertigen. Dies gilt
unbeschadet dessen, daß er sich dem Wunsch verschlossen hat, die historischen vor
1952 bestehenden - Grenzen des Kreises Guben wiederherzustellen und die Regelung in
Teilen der Bevölkerung sowie auf seiten der Beschwerdeführer auf Ablehnung gestoßen
ist. Angesichts der von Verfassungs wegen geforderten Gemeinwohlverträglichkeit von
Gebietsänderungen kann es jedenfalls nicht allein auf die Sicht einzelner
Gemeindeverbände ankommen. Vielmehr ist unter Einbeziehung der jeweiligen örtlichen
Interessen - auf den gesamten hier betroffenen Raum abzustellen. Die örtlichen
Interessen dürfen lediglich nicht unverhältnismäßig hinter überörtlichen Gesichtspunkten
zurückgestellt werden.
Die Schaffung einer leistungsfähigen Verwaltungsstruktur, die darauf abzielt, die
wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg zu fördern und die Lebens- und
Wirtschaftsbedingungen landesweit möglichst gleichwertig zu verbessern, ist ersichtlich
ein überragendes Gemeinwohlinteresse. In Anbetracht dieser für das Land Brandenburg
entscheidenden Bedeutung der Kreisneugliederung ist der Eingriff in die Interessen der
Beschwerdeführer nicht unangemessen. Dabei kommt bei der Güterabwägung dem
Umstand, daß sich eine offensichtlich besser geeignete Alternative zur gesetzlichen
Entscheidung nicht aufdrängt, erhebliches Gewicht zu. Hierdurch wird die von den
Beschwerdeführern hinzunehmende Eingriffsintensität erhöht. Auch die Orientierung der
Kreisneuordnung an den seit 1952 bestehenden anstelle der zuvor bestandenen
Kreisgrenzen ist nicht unverhältnismäßig, sofern nicht - gemessen an der kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie - offensichtliche Fehlentscheidungen verfestigt werden, was
nicht erkennbar ist. Hervorzuheben ist im übrigen, daß der Gesetzgeber mit der
Einbeziehung des Kreises Guben in den Spree-Neiße Kreis das im Land Brandenburg
gelegene östliche Gebiet der Niederlausitz und damit eine kulturell verwandte Region im
wesentlichen zu einem Landkreis zusammengeführt hat.
cc) Schließlich läßt sich auch eine Mißachtung des Willkürverbotes durch den
Gesetzgeber nicht feststellen. Das Willkürverbot erfährt bei kommunalen
Neugliederungsmaßnahmen eine besondere Ausprägung in dem Grundsatz der Leitbild-
oder Systemgerechtigkeit, der den Gesetzgeber soweit als möglich auf die Einhaltung
seiner von .ihm selbst gewählten und zugrundegelegten Maßstäbe verpflichtet (vgl. dazu
StGH BaWü ESVGH 25, 1, 23; Nds. StGH Nds. MinBl. 1979, 547, 586 f.). Diesem Gebot
hat der Gesetzgeber mit der Schaffung der Landkreise Oder-Spree und Spree-Neiße in
ausreichendem Umfang Rechnung getragen.
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