Urteil des VerfG Brandenburg vom 29.03.2017

VerfG Brandenburg: jugend und sport, verfassungskonforme auslegung, öffentliches recht, hauptsache, erlass, verfassungsbeschwerde, verhinderung, schule, gewalt, zustand

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
01/03 EA
Dokumenttyp:
Einstweilige
Anordnung
Quelle:
Norm:
§ 30 Abs 1 VerfGG BB
VerfG Potsdam: Ablehnung des Erlasses einer eA zur Einführung
von Weltanschauungsunterricht in einer Grundschule
Gründe
A
I.
Die Antragstellerin beantragte im Oktober 2001, dass ihre Tochter, die gegenwärtig die
5. Klasse einer Grundschule in E. besucht, weltanschaulichen Unterricht durch den
Humanistischen Verband Berlin/Brandenburg e.V. erhält. Dies lehnte das Ministerium für
Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg im Januar 2002 ab. Ende Februar
2002 erhob die Antragstellerin am Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder)
Verpflichtungsklage gegen das vorgenannte Ministerium mit dem Ziel, die Erteilung des
von ihr angestrebten Unterrichtes für ihre Tochter zu erreichen. Über die Klage ist noch
nicht entschieden. Zugleich suchte sie bei dem Gericht um einstweiligen Rechtsschutz
nach, um das Ministerium im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
umgehend bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache das
Fach unterrichten zu lassen. Dies wurde mit Beschluss vom 15. August 2002 durch das
Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) abgelehnt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde
wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg mit Beschluss vom 18.
Dezember 2002 zurück. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liege kein Anordnungsanspruch
vor. Es gebe keinen oder jedenfalls keinen ausdrücklichen Anspruch der
Erziehungsberechtigten und der Kinder auf eine Bekenntniserziehung an öffentlichen
Schulen. § 9 Abs. 2 Satz 1 Brandenburgisches Schulgesetz nenne allein
Religionsgemeinschaften. Selbst wenn wegen des Gleichbehandlungsgebotes und wegen
Art. 36 Abs. 5 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) - "Vereinigungen zur
gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung werden den Religionsgemeinschaften
gleichgestellt" - eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift vorzunehmen sein
sollte, könne daraus allenfalls der Humanistische Verband, nicht aber die Antragstellerin
als Erziehungsberechtigte Rechte ableiten. Auch aus Art. 6 Abs. 2, Art. 4 und Art. 3
Grundgesetz könne die Antragstellerin den geltend gemachten Anspruch nicht ableiten.
Die Vorschriften vermittelten kein subjektiv- öffentliches Recht auf die von der
Antragstellerin angestrebte Erweiterung des Unterrichtsangebotes. Abzustellen sei
vielmehr allein auf die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Ob dem
humanistischen Verband ein Anspruch auf Zulassung des Faches "Humanistische
Lebenskunde" zukomme, müsse dieser in einem eigenen Verfahren klären, wie es auch
schon beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig sei. Letztlich ließen sich die
grundlegenden verfassungsrechtlichen Rechtsfragen nur in dem Hauptsacheverfahren
der Antragstellerin klären; von einer überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit dieser
Klage sei jedenfalls nicht auszugehen. Selbst bei einer reinen Interessenabwägung
könne der Antrag keinen Erfolg haben, da die Antragstellerin selbst als Lehrerin für das
erstrebte Unterrichtsfach tätig sei und von daher bis zu Entscheidung des
Klageverfahrens das Ausbleiben eines humanistischen Weltanschauungsunterrichtes
kompensieren könne.
II.
Am 21. Januar 2003 hat die Beschwerdeführerin den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt. Die Voraussetzungen des Eilrechtsschutzes gemäß § 30
Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) seien erfüllt. "Den davon
abweichenden Überlegungen der Instanzgerichte" könne nicht gefolgt werden. Mit der
am selben Tag erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die Antragstellerin eine
Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6, Art. 12 und Art. 13 LV.
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Die Antragstellerin beantragt, durch einstweilige Anordnung nach § 30 VerfGGBbg dem
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg aufzugeben,
vorläufig an der Grundschule E.-M. Weltanschauungsunterricht durch den
Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg zu ermöglichen.
III.
Der Präsident des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Brandenburg und das
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.
Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hält die Antragstellerin bereits für nicht
beschwerdebefugt. Die Bestimmung des Unterrichtsstoffes in der Schule obliege allein
dem Staat. Der Gesetzgeber habe bewusst Weltanschauungsgemeinschaften kein Recht
auf Erteilung eines entsprechenden Unterrichtes eingeräumt. Ob dies zulässig sei,
müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Unbeschadet dessen seien die
gesetzlichen Voraussetzungen für verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nicht
gegeben.
B.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Dabei kann offen
bleiben, ob der Antrag hinreichend substantiiert begründet worden ist (vgl. Graßhof, in:
Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG Kommentar, Stand 21.
Ergänzungslieferung Juli 2002, § 32 Rn. 45). Jedenfalls sind die Voraussetzungen für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.
Nach § 30 Abs. 1 VerfGGBbg kann das Landesverfassungsgericht einen Zustand durch
eine einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile,
zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grunde zum
gemeinen Wohl dringend geboten ist. Nach der Rechtsprechung des
Verfassungsgerichts ist hier - im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (vgl. etwa BVerfG,
Beschlüsse vom 15. Januar 2003 - 1 BvQ 53/02 -, vom 17. Juli 2002 - 2 BvR 1027/02 -,
NJW 2002, 2458 und vom 8. Januar 2002 - 1 BvR 2069/01 -, NVwZ 2002, 847) - ein
strenger Maßstab anzulegen. Es sind die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn eine
einstweilige Anordnung nicht ergeht, das Verfahren in der Hauptsache aber Erfolg hat,
gegen diejenigen Folgen, die eintreten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird,
der Antrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg bleibt. Dabei sind regelmäßig nur
irreversible Nachteile in die Abwägung einzustellen und müssen die nachteiligen Folgen,
die ohne die einstweilige Anordnung für den Fall des Obsiegens in der Hauptsache zu
vergegenwärtigen sind, im Vergleich zu den nachteiligen Folgen, die sich bei Erlass der
einstweiligen Anordnung für den Fall der Erfolglosigkeit in der Hauptsache ergeben,
deutlich überwiegen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer
genug im Sinne des Gesetzes sind ("schwerer Nachteil") bzw. keinen gleichwertigen - der
Abwendung schwerer Nachteile oder der Verhinderung drohender Gewalt vergleichbaren
- "anderen" Grund im Sinne des Gesetzes darstellen (grundlegend Beschluss vom 7.
März 1996 - VfGBbg 3/96 EA - LVerfGE 4, 109, 111; seither st. Rspr., vgl. zuletzt
Beschluss vom 8. November 2002 - VfGBbg 106/02 EA ).
Vorliegend sind keine Gründe von derartiger Tragweite und Dringlichkeit zu erkennen,
dass ein sofortiges Eingreifen des Landesverfassungsgerichtes veranlasst wäre. Der
Antragstellerin ist zuzumuten, den Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens in
der Hauptsache abzuwarten. Dass für den Fall des Durchdringens der
Verfassungsbeschwerde ein erst dann einsetzender humanistischer
Weltanschauungsunterricht in der Schule unwiederbringlich zu spät käme, ist nicht
dargelegt und nicht auszumachen.
Unbeschadet dessen muss, und zwar im Sinne zusätzlicher Voraussetzungen, die
einstweilige Anordnung "zum gemeinen Wohl" und "dringend geboten" sein (vgl.
Beschlüsse vom 20. Januar 2000 - VfGBbg 43/99 EA und vom 7. März 1996 - VfGBbg
3/96 EA -, LVerfGE 4, 109, 111 f. m.w.N.). Auch das ist nicht zu erkennen. Es geht der
Antragstellerin bei dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung des
Landesverfassungsgerichtes allein um die Zeit bis zur Entscheidung der
Verfassungsbeschwerde. Dieser Zeitraum ist überschaubar. Auswirkungen auf das
"gemeine Wohl" aufgrund der Entscheidung in diesem Einzelfall stehen nicht zu erwarten.
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