Urteil des VerfG Brandenburg vom 14.03.2017

VerfG Brandenburg: verfassungsbeschwerde, öffentliches recht, verfassungsgericht, stadt, rechtsschutz, hauptsache, rechtswegerschöpfung, subjektiv, quelle, subsidiaritätsprinzip

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 2 S 2 Verf BB, § 12
RettDG BB, Art 45 Abs 2 Verf BB
VerfG Potsdam: trotz Rechtswegerschöpfung unzulässige
Verfassungsbeschwerde wegen Subsidiarität – Verweisung auf
verwaltungsgerichtliches Hauptsacheverfahren bei der Frage,
ob RettDG BB einen Anspruch auf Zulassung zum qualifizierten
Krankentransport gibt
Gründe
Der Beschwerdeführer zu 1) ist Inhaber der 1991 gegründeten Firma Märkischer
Krankentransport mit Sitz in der Stadt Brandenburg/Havel.
Seinen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für den qualifizierten Krankentransport
nach dem brandenburgischen Rettungsdienstgesetz (RettGBbg vom 8. Mai 1992, GVBl. I
S. 170) hatte die Stadt Brandenburg abgelehnt. Daraufhin erhob er Klage zum
Verwaltungsgericht Potsdam (VG 4 K 415/92), die bis heute noch nicht entschieden ist.
Wegen der am 31. Dezember 1992 auslaufenden Übergangsfrist des § 12 RettGBbg
beantragte der Beschwerdeführer zu 1) am 4. Februar 1993 beim Verwaltungsgericht
Potsdam (VG 4 L 346/92), ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung die Teilnahme am
qualifizierten Krankentransport zu genehmigen. Das Verwaltungsgericht lehnte diesen
Antrag ab. Die daraufhin am 18. Februar 1993 erhobene Beschwerde wies das
Oberverwaltungsgericht am 16. Dezember 1993 zurück mit der Begründung, dem
Beschwerdeführer zu 1) sei es zuzumuten, die Hauptsachenentscheidung abzuwarten.
Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) haben am 29. Dezember 1993 gegen den Beschluss
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg Verfassungsbeschwerde
erhoben. Der Beschwerdeführer zu 2) hat seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 12.
März 1994 zurückgenommen.
Zur Begründung seiner Verfassungsbeschwerde trägt der Beschwerdeführer zu 1) vor:
Seine Verfassungsbeschwerde sei zulässig, insbesondere sei der Rechtsweg erschöpft.
Auch der Grundsatz der Subsidiarität führe nicht zur Unzulässigkeit. Das Abwarten einer
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache sei ihm nicht zuzumuten, da
dieses zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz führe.
Über 68 % seiner Dienstleistungen seien 1992 auf den qualifizierten Krankentransport
entfallen. Die daraus gewonnenen Erlöse stellten etwa 85 % der
Unternehmenseinnahmen dar. Knapp 13 % entfielen auf Dienstleistungen im
Zusammenhang mit dem kassenärztlichen Notfalldienst, hinzu seien Krankenfahrten
gekommen. 1993 sei der Anteil des qualifizierten Krankentransportes auf rund 78 %
zugunsten des kassenärztlichen Notfalldienstes und der Krankenfahrten
zurückgegangen. Nachdem mit Bescheid vom 11. November 1993 die Stadt
Brandenburg dem Beschwerdeführer zu 1) jede weitere Tätigkeit zum qualifizierten
Krankentransport untersagte, habe er den qualifizierten Krankentransport eingestellt
und die Zahl seiner Mitarbeiter von 20 auf 6 Personen reduziert.
Weiter trägt der Beschwerdeführer zu 1) vor, dass die Verfassungsbeschwerde darüber
hinaus auch allgemeine Bedeutung habe, da bis auf zwei Unternehmen allen privaten
Anbietern der Zugang zum Rettungsdienst verwehrt worden sei. Vor den
Verwaltungsgerichten des Landes Brandenburg seien in diesem Zusammenhang vier
weitere Verfahren anhängig.
Dem Landtag, der Landesregierung, dem Oberverwaltungsgericht Brandenburg und der
Stadt Brandenburg/Havel ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
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Das Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2) war
gemäß § 13 Abs. 1 VerfGGBbg in Verbindung mit § 92 Abs. 2 VwG0 einzustellen,
nachdem der Beschwerdeführer zu 2) seine Beschwerde zurückgenommen hat.
Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
Zwar ist der Rechtsweg gemäß § 45 Abs. 2 VerfGGBbg erschöpft; denn mit der
angegriffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg
sieht die Verwaltungsgerichtsordnung kein weiteres Rechtsmittel im einstweiligen
Rechtsschutz vor. Der einstweilige Rechtsschutz stellt ein im Verhältnis zur Hauptsache
eigenständiges Verfahren dar; denn die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes
enthält für den Antragsteller eine selbständige Beschwer.
Dennoch steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der
Subsidiarität entgegen.
Dieser Grundsatz ergibt sich aus der Funktion des Verfassungsgerichts und der
Verfassungsbeschwerde. Er fordert von dem Beschwerdeführer, dass dieser über die
Rechtswegerschöpfung hinaus alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende getan
hat, um eine Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder zu verhindern.
Daher ist der Beschwerdeführer auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, in dem er
im Falle einer möglichen Grundrechtsverletzung durch die Entscheidung im Verfahren
des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich den Schutz seiner Grundrechte
sicherstellen kann. Die Möglichkeit des Grundrechtsschutzes durch das Fachgericht der
Hauptsache korrespondiert mit der Verantwortung, die diesem Gericht auch gerade
insoweit zukommt.
Die Verweisung des Beschwerdeführers auf das Gericht des Hauptsacheverfahrens ist
notwendig, um zu verhindern, dass ein Verfassungsgericht als "Superrevisionsinstanz"
angerufen wird. Gleichzeitig stellt die vorherige Befassung des Fachgerichts sicher, dass
eine Entscheidung über eine spätere Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage eines
mehrfach geprüften Tatsachenmaterials und in Auseinandersetzung mit der jeweiligen
Rechtsprechung der Fachgerichte ergehen kann.
Das Subsidiaritätsprinzip findet allerdings dort seine Grenze, wo eine Verweisung auf das
Hauptsacheverfahren eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht mehr beseitigen oder
verhindern könnte. Diesem Gedanken des effektiven Grundrechtsschutzes entspricht §
45 Abs. 2 VerfGGBbg, indem er ausdrücklich eine Entscheidung schon vor Erschöpfung
des Rechtsweges zulässt, wenn dem Beschwerdeführer anderenfalls ein schwerer und
unabwendbarer Nachteil entstünde.
Das Gericht verkennt nicht, dass sich der Beschwerdeführer in einer unternehmerisch
schwierigen Situation befindet. Zwar ist er wirtschaftlich 1993 noch hinsichtlich seiner
Umsätze ähnlich erfolgreich gewesen wie im Jahre 1992. Nach der völligen Einstellung
des qualifizierten Krankentransportes Ende 1993 steht jedoch zu erwarten, dass sich das
Betriebsergebnis 1994 erheblich verschlechtert.
Dennoch kann das Verfassungsgericht nicht erkennen, dass durch die Verweisung des
Beschwerdeführers auf das Hauptsacheverfahren seine wirtschaftliche Existenz
vernichtet würde, was in der Tat ein schwerer und unabwendbarer Nachteil im Sinne des
§ 45 Abs. 2 VerfGGBbg wäre. Denn die Verweisung des Beschwerdeführers auf das seit
1992 anhängige Hauptsacheverfahren schließt seinen effektiven Grundrechtsschutz
nicht aus.
Im Gegenteil geht das Verfassungsgericht davon aus, dass das Fachgericht im Hinblick
auf den effektiven Rechtsschutz nunmehr bald in einer Entscheidung klärt, ob das
RettGBbg ein subjektiv- öffentliches Recht auf Zulassung zum qualifizierten
Krankentransport gibt und ob die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs hier
vorliegen, so dass ein Existenzverlust, wie ihn der Beschwerdeführer fürchtet,
ausgeschlossen wird. Dem Fachgericht kommt gerade in diesem konkreten Fall
besondere Verantwortung zu.
Das Verfassungsgericht hat auch keinen Anlass zu einer Vorabentscheidung gemäß § 45
Abs. 2 VerfGGBbg unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Bedeutung der
Verfassungsbeschwerde gesehen. Ausgehend von dem angesichts des
Subsidiaritätsgrundsatzes engen Ausnahmecharakter dieser Regelung ist das
Verfassungsgericht in seiner Abwägung zum Ergebnis gekommen, von der Möglichkeit
einer Vorabentscheidung keinen Gebrauch zu machen, zumal eine Klärung durch das
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einer Vorabentscheidung keinen Gebrauch zu machen, zumal eine Klärung durch das
Verfassungsgericht mangels divergierender Entscheidungen auch insoweit nicht
erforderlich ist.
Die Verfassungsbeschwerde ist daher als unzulässig abzuweisen.
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