Urteil des VerfG Brandenburg vom 18.08.1997

VerfG Brandenburg: anhörung, verfassungsbeschwerde, verfassungsgericht, aussetzung, widerruf, anschrift, rüge, vollstreckung, ausnahmefall, bewährungsfrist

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Gericht:
Verfassungsgericht
des Landes
Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
43/98
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 Verf BB, Art 52 Abs 3
Verf BB, § 31 Abs 1 VerfGG BB, §
45 Abs 2 S 1 VerfGG BB, § 45
Abs 2 S 2 VerfGG BB
(VerfG Potsdam: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde
mangels Rechtswegerschöpfung - hier: keine Aussetzung des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens bis zur fachgerichtlichen
Entscheidung über Antrag auf nachträgliche Gewährung des
rechtlichen Gehörs gem StPO § 33a)
Gründe
A.
Der Beschwerdeführer wurde am 18. August 1997 von dem Amtsgericht .... wegen
unerlaubten Fernbleibens von der Truppe zu 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die
Strafe wurde auf 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Als Bewährungsauflage wurde dem
Beschwerdeführer aufgegeben, einen Betrag von 900 DM in monatlichen Raten zu
zahlen und jeden Wohnortwechsel dem Gericht sofort unaufgefordert mitzuteilen. Die
Bewährungsaufsicht wurde dem Amtsgericht .... als Wohnortgericht übertragen.
Wiederholten Aufforderungen des Amtsgerichts .... die monatlichen Ratenzahlungen
nachzuweisen, kam der Beschwerdeführer nicht nach. Der Ladung zu einer Anhörung auf
den 10. Juni 1998 über die Erfüllung der Bewährungsauflagen, die mit dem Hinweis auf
einen drohenden Widerruf der Strafaussetzung verbunden war, leistete er ebenfalls keine
Folge. Mit Beschluß vom 14. Juli 1998 widerrief das Amtsgericht .... die Strafaussetzung
zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Verstoßes gegen die
Bewährungsauflagen. Am 8. September 1998 erhob der Beschwerdeführer sofortige
Beschwerde gegen den Beschluß und bat um nochmalige Anhörung. Das Landgericht
verwarf die Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe der amtsgerichtlichen
Entscheidung mit Beschluß vom 29. September 1998 als unbegründet. Unter dem 16.
November 1998 beantragte der Beschwerdeführer bei dem Landgericht nachträgliche
Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 33a Strafprozeßordnung (StPO), Aufhebung des
landgerichtlichen Beschlusses und Stattgabe der sofortigen Beschwerde. Hierüber ist
nach seinen Angaben bislang nicht entschieden.
Mit der am 1. Dezember 1998 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der
Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 52 Abs. 3 der
Landesverfassung - LV -) und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 LV)
durch die Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts .... . Mit Blick auf das noch nicht
abgeschlossene Verfahren nach § 33a StPO beantragt er die Aussetzung des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens. Zugleich verweist er darauf, bereits eine Ladung der
Staatsanwaltschaft Hannover zum Haftantritt für den 30. November 1998 erhalten zu
haben und daß deshalb zur Meldung unabwendbarer Nachteile eine Entscheidung des
Verfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs geboten sei. In der Sache führt er
aus, bislang nicht über den Inhalt der Bewährungsauflagen unterrichtet worden zu sein.
Zwar habe der Vorsitzende in der Hauptverhandlung hierzu Ausführungen gemacht, im
übrigen aber auf das Protokoll und den Auflagenbeschluß verwiesen, welche ihn aber,
ebenso wie weitere Schreiben in dieser Sache, nicht erreicht hätten. Seine Anschrift
habe sich zwischenzeitlich geändert. Den Termin zur Anhörung vor dem Amtsgericht ....
am 10. Juni 1998 habe er aus beruflichen Gründen nicht wahrnehmen können. Seine
Arbeitgeberin habe in einem Telefonat mit der zuständigen Richterin beim Amtsgericht
die Auskunft erhalten, daß er als entschuldigt gelte und ein neuer Termin anberaumt
werde. Statt dessen habe das Amtsgericht, ohne ihn anzuhören und ohne daß man ihm
die Bewährungsauflagen bekannt gegeben habe, mit Beschluß vom 14. Juli 1998 die
Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Bei der Einlegung der sofortigen Beschwerde
sei er von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht auf die Notwendigkeit einer
Begründung hingewiesen worden; vielmehr habe man ihm mitgeteilt, daß das
Landgericht die mangelnde Anhörung nachholen und den Sachverhalt von Amts wegen
ermitteln werde. Gleichwohl habe das Landgericht ohne Anhörung die sofortige
Beschwerde verworfen.
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B.
I. Für eine Aussetzung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens bis zur Entscheidung des
Landgerichts über den Antrag des Beschwerdeführers nach § 33a StPO ist kein Raum;
die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg
(VerfGGBbg) für eine Aussetzung des Verfahrens liegen nicht vor. Im übrigen hat der
Beschwerdeführer zu erkennen gegeben, daß es ungeachtet des noch anhängigen
Verfahrens nach § 33a StPO einer Entscheidung des Verfassungsgerichts bedürfe.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 21 Satz 1 VerfGGBbg zu verwerfen. Sie ist
mangels Ausschöpfung des Rechtswegs unzulässig (vgl. § 45 Abs. 2 VerfGGBbg).
l.a. Die Anrufung des Verfassungsgerichts mit der Rüge einer Verletzung des rechtlichen
Gehörs setzt in einem strafrechtlichen Beschlußverfahren voraus, daß zuvor von der
durch § 33a StPO eröffneten und zum Rechtsweg im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 1
VerfGGBbg zu zählenden Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist, sich durch einen
dahingehenden Antrag nachträglich das rechtliche Gehör zu verschaffen
(Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluß vom 30. November 1997 -
VfGBbg 29/97 -; BVerfGE 33, 192; 42, 243; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl.
1997, Einl., Rn. 234 m.w.N.). Diese fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit hat der
bislang nicht ausgeschöpft. Das Landgericht hat über seinen entsprechenden Antrag
nach seinem eigenen Vortrag noch nicht entschieden.
b. Soweit der Beschwerdeführer neben einer Verletzung des rechtlichen Gehörs auch
einen Verstoß gegen das Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 6 Abs. 1
LV) geltend macht, ist der Rechtsweg ebenfalls nicht ausgeschöpft. Der
Beschwerdeführer stützt den insoweit geltend gemachten Grundrechtsverstoß auf
dieselben Umstände wie die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs, nämlich auf eine
unterbliebene Anhörung vor dem Amts- und Landgericht. Dies muß er, wie dargelegt,
vor Anrufung des Verfassungsgerichts in dem Verfahren nach § 33a StPO geltend
machen.
2. Eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vor Ausschöpfung des
Rechtswegs ist nach Lage des Falles nicht veranlaßt. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 kann das
Verfassungsgericht im Ausnahmefall über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs
eingelegte Verfassungsbeschwerde entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung
ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil
entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen wird. Diese Voraussetzungen
liegen hier bei Mitberücksichtigung der Begleitumstände des Falles nicht vor.
Allerdings droht dem Beschwerdeführer die Vollstreckung der gegen ihn verhängten
Freiheitsstrafe. Indes kann die drohende Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen
nicht gleichsam automatisch die Anrufung des Verfassungsgerichts vor Ausschöpfung
der fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnen. Eine Vorab-Entscheidung des
Verfassungsgerichts kommt vielmehr schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 2
VerfGGBbg nur "im Ausnahmefall" und unter den weiteren in der Vorschrift genannten
engen Voraussetzungen in Betracht. Ein solcher Fall mag auch dann angenommen
werden können, wenn sich das Fachgericht unangemessen viel Zeit läßt. Das ist hier
nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat unter dem 16. November 1998 den Antrag
nach § 33a StPO gestellt. Er hat dem Landgericht damit bis zur Erhebung der
Verfassungsbeschwerde gerade 2 Wochen Zeit gelassen. Allein der Wunsch, bei dem
Verfassungsgericht ggfls. noch eher als bei dem mit der Sache betrauten Fachgericht
eine Entscheidung zu erwirken, reicht nicht aus, um die Verweisung auf den Rechtsweg
unzumutbar erscheinen zu lassen.
Unbeschadet dessen muß sich der Beschwerdeführer entgegenhalten lassen, daß er für
die Zuspitzung der Situation mitverantwortlich ist. Er ist nach seinen eigenen Angaben in
der Hauptverhandlung vor, dem Strafrichter über die Bewährungsauflagen unterrichtet
worden. Sodann ist ihm der beigezogenen Bewährungsakte - am 5. Mai 1998 von dem
Amtsgericht .... - eine Aufforderung zum Nachweis der Erfüllung der Bewährungsauflagen
unter derjenigen Anschrift (durch Niederlegung bei der Post) zugestellt worden, unter der
ihn auch spätere Zustellungen erreicht haben. Ferner ist er mit der Ladung zur
Anhörung für den 10. Juni 1998 auf den möglichen Widerruf der Strafaussetzung bei
Nichterfüllung der Auflagen hingewiesen worden. Es verwundert, daß er gleichwohl den
Dingen ihren Lauf gelassen und nicht spätestens den Hinweis auf den möglichen
Widerruf der Bewährungsfrist zum Anlaß genommen hat, von sich aus mitzuteilen, daß
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Widerruf der Bewährungsfrist zum Anlaß genommen hat, von sich aus mitzuteilen, daß
ihn, wie er es behauptet, nur das Strafurteil, nicht aber der Auflagenbeschluß erreicht
habe und er um eine Kontonummer zur Überweisung der Geldbuße bitte. Läßt es ein
Straftäter in dieser Weise "darauf ankommen", kann er nicht erwarten, daß das
Verfassungsgericht dann die vorherige Erschöpfung des Rechtswegs für entbehrlich hält
und unmittelbar eingreift. Auch von daher ist der Beschwerdeführer darauf zu verweisen,
die fachgerichtliche Entscheidung - hier: über den Antrag nach § 33a StPO - abzuwarten.
Daß das Landgericht in dem Verfahren nach § 33a StPO eine Möglichkeit der Abhilfe
findet, erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.
III.
Der Beschluß ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.
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