Urteil des StGH Niedersachsen vom 04.06.2010

StGH Niedersachsen: finanzausgleich, vergleich, niedersachsen, gesetzgebungsverfahren, einheit, verfügung, jugendhilfe, verfassungsgericht, finanzkraft, gestaltungsspielraum

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Zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Abs. 3 NFAG-
ÄndG vom 12.7.2007
1. Der Gesetzgeber muss bei der Ausgestaltung des vertikalen kommunalen
Finanzausgleichs die vorhandenen Finanzkraftunterschiede der Kommunen
mildern (Harmonisierungsgebot), darf sie jedoch nicht völlig einebnen oder
gar eine Umkehrung der Finanzkraftreihenfolge bewirken (Nivellierungs- bzw.
Übernivellierungsverbot). Von Verfassungs wegen ist es nicht zu
beanstanden, wenn die Einhaltung dieser Grundsätze durch einen Vergleich
der normativ bestimmten Finanzkraft je Einheit des Bedarfsansatzes (hier
Einwohnerzahl plus Einwohnererhöhungswert) vor und nach Gewährung der
Schlüsselzuweisungen
belegt wird.
2. Auch beim horizontalen Finanzausgleich wird der gesetzgeberische
Gestaltungsspielraum bei der Auswahl der Bedarfsindikatoren durch das in
Art. 58 NV verankerte Gebot der Aufgabengerechtigkeit begrenzt. Ob das
interkommunale Gleichbehandlungsgebot und der Grundsatz der
Systemgerechtigkeit weitere
verfassungsrechtliche Maßstäbe bilden oder integrierte Bestandteile des
Gebots der Aufgabengerechtigkeit darstellen, kann offen bleiben.
3. Der Bevölkerungsansatz als einziges Verteilungskriterium der
Schlüsselzuweisungen an die Landkreise entspricht im Grundsatz nicht
einem aufgabengerechten Finanzausgleich nach Art. 58 NV, da sich aus der
Eigenart mancher Aufgaben der Landkreise ein flächenbezogener
Kostenfaktor ergibt (Bestätigung von Nds. StGHE 3, 299).
4. Die Ausgestaltung eines flächenbezogenen Sonderbedarfsansatzes auf der
Ebene der Landkreise ist jedenfalls dann aufgabengerecht und willkürfrei,
wenn der historische Gesetzgeber sie unter Berücksichtigung aktueller
finanzwissenschaftlicher Erkenntnisse nachvollziehbar begründet.
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 04.06.2010, StGH 1/08, 1/08
Art 58 Verf ND, Art 57 Abs 4 Verf ND, Art 57 Abs 3 Verf ND, Art 57 Abs 1 Verf ND, Art
54 Nr 5 Verf ND, § 8 Nr 10 StGHG ND, Art 1 Nr 3 FinAusglG ND vom 12.07.2007, Art
28 Abs 2 GG, Art 28 Abs 1 S 3 GG, Art 28 Abs 1 S 2 GG
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren zur gemeinsamen Verhandlung
und Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden gegen die Änderung
des § 7 des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich in der
Fassung vom 26. Mai 1999 (Nds. GVBl. S. 110; 320), zuletzt geändert durch Art.
3 des Gesetzes über Änderungen im öffentlichen Gesundheitsdienst vom 24.
März 2006 (Nds. GVBl. S. 178) - NFAG a. F. - , durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes
zur Änderung des Niedersächsischen Finanzausgleichsgesetzes, des
Niedersächsischen Finanzverteilungsgesetzes und des Göttingen-Gesetzes
vom 12. Juli 2007 (Nds. GVBl. S. 312 = ÄndG NFAG). Sie machen geltend, dass
der damit eingeführte Sonderbedarfsansatz zur Berücksichtigung der
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Ausgabenbelastungen von Landkreisen und kreisfreien Städten für Kreisstraßen
und Schülerbeförderung sie wegen des flächenbezogenen
Verteilungsmaßstabs in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Art.
57 Abs. 1, 58 der Niedersächsischen Verfassung (NV) verletze.
I.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 NFAG a. F. ergab sich bei den Schlüsselzuweisungen
für Kreisaufgaben der Bedarfsansatz aus der Einwohnerzahl der Landkreise und
kreisfreien Städte (im folgenden nurmehr: Landkreise), erhöht um zusätzliche
Einwohnerzahlen für einen bereits mit dem Gesetz zur Änderung des
Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich vom 12. März 1999
(Nds. GVBl. S. 74) eingeführten Sonderbedarfsansatz zur Berücksichtigung der
Sozialhilfelasten. Um die zusätzliche Einwohnerzahl für den einzelnen Landkreis
zu ermitteln, wurde und wird ein nach § 7 Abs. 2 Satz 1 NFAG gebildeter
Einwohnererhöhungswert mit einer Verhältniszahl multipliziert, die sich aus dem
Verhältnis der konkreten Sozialhilfe-Ausgabenbelastungen des jeweiligen
Landkreises zu den Gesamtsozialhilfeausgaben aller Landkreise ergibt.
Mit der angegriffenen Regelung führte der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 NFAG
einen weiteren Sonderbedarfsansatz zur Berücksichtigung der
Ausgabenbelastungen für Kreisstraßen und Schülerbeförderung ein.
Gesetzestechnisch wird auch dieser Sonderbedarfsansatz durch eine fiktive
Erhöhung der Einwohnerzahlen realisiert. Die Verteilung der auf den neuen
Sonderbedarfsansatz entfallenden zusätzlichen Einwohner erfolgt nach dem
Verhältnis der Fläche eines Landkreises zur Gesamtfläche des Landes
Niedersachsen, indem die so ermittelte Verhältniszahl mit einem weiteren
Einwohnererhöhungswert, errechnet nach § 7 Abs. 2 Satz 2 NFAG, multipliziert
wird.
Der niedersächsische kommunale Finanzausgleich kannte schon früher
flächenbezogene Ansätze zur Berücksichtigung der Belastung der Kommunen
mit den Kosten der Straßenunterhaltung und Schülerbeförderung. Nach § 2 Satz
2 Nr. 3 und 4 des Gesetzes über den Finanzausgleich in der Fassung vom 11.
November 1981 (Nds. GVBl. S. 339 = FAG 1981) wurden von der
Ausgleichsmasse 6,2 v. H. bzw. 7,45 v. H. als Vorab abgezogen, um sie als
Schlüsselzuweisungen nach der Straßenlänge bzw. für die Schülerbeförderung
zu verteilen. Nach § 17 FAG 1981 erfolgte die Verteilung des Sonderansatzes
für die Aufgaben der Straßenbaulast finanzkraftunabhängig am Maßstab der
Straßenlänge; hinsichtlich der Kreisstraßen war eine "Veredelung" bei
steigender Kilometerzahl pro Kreiseinwohner vorgesehen. Auch die
Schlüsselzuweisungen für die Schülerbeförderung wurden gemäß § 18 Abs. 2
FAG 1981 finanzkraftunabhängig zur Hälfte nach dem Verhältnis der
Schülerzahlen und zur Hälfte nach dem Verhältnis der Flächen der
Gebietskörperschaften zueinander verteilt. Dieses System blieb bis 1992 im
Grundsatz unverändert.
Mit der Novellierung des FAG 1990 durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des
Gesetzes über den Finanzausgleich vom 16. Dezember 1992 (Nds. GVBl. S.
339 = FAG 1993) wurden die bisherigen Regelungen über die
Schlüsselzuweisungen nach der Straßenlänge und für die Schülerbeförderung
ersatzlos gestrichen. Die damit frei gewordene Ausgleichsmasse wurde dem
Hauptansatz zugeschlagen. In der Entwurfsbegründung zu diesem Gesetz
(Nds. LT-Drs. 12/3890, S. 10 f., 19) heißt es, die beiden Aufgaben hätten im
Laufe der Zeit ihre herausragende Bedeutung verloren; zudem wolle der
Gesetzgeber durch die Verlagerung der Mittel in den finanzkraftabhängig zu
verteilenden Hauptansatz die Ausgleichsgerechtigkeit des kommunalen
Finanzausgleichs stärken. Dem Einwand, die Stärkung des Hauptansatzes sei
wegen seiner ausschließlichen Anknüpfung an die Einwohnerzahl
verfassungsrechtlich bedenklich, folgte der Gesetzgeber nicht, weil andere,
finanzwissenschaftlich abgesicherte Bedarfsindikatoren nicht vorlägen (Nds. LT-
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Drs. 12/3890, S. 15 f.).
Nachdem der Niedersächsische Staatsgerichtshof mit Beschluss vom 15.
August 1995 (StGH 2, 3, 6 bis 10/93, Nds. StGHE 3, 136) das FAG 1993 für
unvereinbar mit Art. 57 Abs. 4 i. V. m. Art. 58 NV und für nichtig seit dem 1.
Januar 1995 erklärt hatte, erließ der Niedersächsische Landtag das Gesetz über
den Finanzausgleich vom 19. Dezember 1995 (Nds. GVBl. S. 463 = NFAG
1995) rückwirkend zum 1. Januar 1995. Bei der Bemessung des
Bedarfsansatzes für die Kreisaufgaben knüpfte die Neuregelung in § 7 NFAG
1995 ausschließlich an die Einwohnerzahl an, nahm jedoch eine "Veredelung"
bei den Landkreisen bis zu 100.000 Einwohnern vor, um die "überproportionalen
Belastungen mit den Grundkosten einer kommunalen Verwaltung"
(Entwurfsbegründung, Nds. LT-Drs. 13/1505, S. 24) zu berücksichtigen. Der
erneuten Kritik an der Verankerung eines ausschließlich einwohnerbezogenen
Bedarfsansatzes bei den Kreisaufgaben wurde im Gesetzgebungsverfahren
wiederum das Fehlen geeigneter anderer Bedarfsindikatoren entgegen gehalten
(Entwurfsbegründung, Nds. LT-Drs. 13/1505, S. 21).
Mit Urteil vom 25. November 1997 (StGH 14/95 u. a., Nds. StGHE 3, 299)
erklärte der Niedersächsische Staatsgerichtshof Teile des NFAG 1995 und auch
die Neuregelung in § 7 u. a. deshalb für unvereinbar mit Art. 57 Abs. 4 und 58
NV, weil der Bevölkerungsansatz als einziges Verteilungskriterium der
Schlüsselzuweisungen für Landkreise nicht einem aufgabengerechten
Finanzausgleich entspreche. Namentlich für die Straßenbaulast und die
Schülerbeförderung bilde die Fläche den entscheidenden Kostenfaktor. Es
böten sich verschiedene Verteilungskriterien an, mit denen der Gesetzgeber der
besonderen Eigenart solcher Aufgaben im Finanzausgleich Rechnung tragen
könne; bei der Auswahl sachgerechter Verteilungskriterien habe der
Gesetzgeber freie Hand (Nds. StGHE 3, 299, 319).
In Reaktion auf dieses Urteil beauftragte das Niedersächsische
Innenministerium zur Vorbereitung der anstehenden Novellierung des NFAG
das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung (NIW) mit der Erstellung
eines Gutachtens, das u.a. mögliche Zusammenhänge des Finanzbedarfs der
Landkreise mit anderen Bestimmungsgrößen (z. B. Straßenlänge, Fläche,
Kinderzahl und Schülerzahl) ermitteln sollte. Das NIW erstellte auf der Basis der
kommunalen Rechnungsergebnisse in den Haushaltsjahren 1994 bis 1996
multiple Regressionsanalysen bezogen auf den Zuschussbedarf je Einwohner
der jeweiligen Verwaltungshaushalte in den nach Aufgabenbereichen
unterteilten Einzelplänen 0 bis 8. Als Einflussfaktoren testete es Indikatoren für
die Siedlungsstruktur, die Altersstruktur, die Bevölkerungsentwicklung, die
Wirtschaftslage und die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung. In seinem
Gutachten zur Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs in
Niedersachsen (Nds. LT-Drs. 14/440, S. 35 ff.) stellte das NIW im Jahre 1998
fest, dass die absolute Kreisfläche - bei Ausklammerung der Sozialhilfe - "gar
keinen Einfluss auf die Zuschussbedarfe je Einwohner habe." Allerdings gingen
die Gutachter einschränkend davon aus, dass es bei einzelnen Aufgaben - wie
z. B. im Verkehrsbereich - durchaus einen gewissen "Flächeneinfluss" gebe.
Dieser werde jedoch durch die in den Ballungszentren erhöhten - ebenfalls
dichteabhängigen - Aufwendungen für die Jugendhilfe kompensiert. Insgesamt
empfahl das NIW deshalb, trotz der Erwägungen des Niedersächsischen
Staatsgerichtshofs neben einem Sonderansatz für die Sozialhilfelasten keine
weiteren Sonderbedarfsansätze zur Verteilung der Schlüsselzuweisungen für
Kreisaufgaben vorzusehen (Nds. LT-Drs. 14/440, S. 35, 149 ff.).
Der Niedersächsische Landtag beschloss am 12. März 1999 das Gesetz zur
Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich (Nds.
GVBl. S. 74 = NFAG a. F.), das am 22. März 1999 verkündet und rückwirkend
zum 1. Januar 1999 in Kraft trat. In § 7 NFAG a. F. wurde neben dem
allgemeinen Bedarfsansatz für die übrigen Kreisaufgaben ein
Sonderbedarfsansatz zur Verteilung der Sozialhilfelasten verankert. Auf die
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Einführung eines flächenbezogenen Bedarfsindikators verzichtete der
Gesetzgeber unter Hinweis auf die Ergebnisse des NIW - Gutachtens.
Um die Auswirkungen der Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs
beobachten und ggf. Modifikationen zur Verbesserung der
Aufgabengerechtigkeit vornehmen zu können, forderte der Niedersächsische
Landtag die Landesregierung mit Beschluss vom 10. März 1999 (Nds. LT-Drs.
14/631) auf, unter Einbeziehung des Parlaments und der kommunalen
Spitzenverbände bestimmte Fragestellungen zum kommunalen
Finanzausgleich aufzugreifen. U. a. sollte erörtert werden, ob die
Ausgleichswirkung durch Faktoren verbessert werden könne, die die
Bevölkerungsdichte (Flächen- oder Dichteansatz) berücksichtigen. Das
Niedersächsische Innenministerium setzte am 29. März 1999 eine Kommission
aus Vertretern der im Landtag vertretenen Fraktionen, der kommunalen
Spitzenverbände sowie der Ministerien der Finanzen und des Innern ein (FAG-
Kommission). Im Schlussbericht vom 7. Juni 2000 bestätigte auch diese
Kommission, dass es zwar ausgewählte Aufgabenbereiche gebe
(Schülerbeförderung und Kreisstraßenunterhaltung), die zu relevanten
Mehrkosten bei den Landkreisen führen würden. Auf der anderen Seite seien
aber die Ballungsräume überproportional mit Aufwendungen bei der
Wahrnehmung der Jugendhilfe und der Sozialverwaltung belastet, sodass sich
die Mehrbelastungen im Ergebnis ausglichen (Schlussbericht, Nds. LT-Drs.
14/1790, S. 7 f.).
Die gegen das NFAG 1999 erhobenen Verfassungsbeschwerden hat der
Niedersächsische Staatsgerichtshof mit Urteil vom 16. Mai 2001 (StGH 6/99 u.
a., Nds. StGHE 4, 31) zum großen Teil zurückgewiesen. Auch die Rüge, die
Ermittlung des Finanzbedarfs der Landkreise ohne flächenbezogene Indikatoren
missachte die verfassungsrechtlichen Vorgaben eines aufgabengerechten
Finanzausgleichs, blieb erfolglos. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hob
dazu erneut hervor, dass die besondere territoriale Bezogenheit bestimmter
Aufgaben die Heranziehung des Bedarfsindikators der Fläche erforderlich
machen könne. Der Gesetzgeber könne aber auf einen solchen Ansatz
verzichten, wenn er - was für das NFAG 1999 durch den Verweis auf das
Gutachten des NIW geschehen sei - seine Entscheidung durch aktuelle
finanzwissenschaftliche Erkenntnisse nachvollziehbar begründe und die
Aufgabengerechtigkeit nach dem gewählten Verteilungsschlüssel sichergestellt
sei (Nds. StGHE 4, 31, 61, 66).
II.
Mit Art. 1 Nr. 3 ÄndG NFAG wird in das NFAG a. F. im Bereich der
Schlüsselzuweisungen für Kreisaufgaben neben dem bereits nach alter
Rechtlage verankerten Sonderbedarfsansatz für Sozialhilfelasten in § 7 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 NFAG n. F. ein weiterer Sonderbedarfsansatz für die
Schülerbeförderung und die Kreisstraßen eingeführt. Er betrifft 9,7 v. H. des bei
der Verteilung der Schlüsselmasse zu berücksichtigenden notwendigen
kommunalen Finanzbedarfs (§ 7 Abs. 2 Satz 2 NFAG n. F.). Die prozentuale
Gewichtung der übrigen Kreisaufgaben sinkt von 65,5 v. H. um 9,7 v. H. auf 55,8
v. H. (§ 7 Abs. 2 Satz 1 NFAG n. F.), während der prozentuale Anteil für die
Sozialhilfe von 34,5 v. H. unverändert fortbesteht. Gesetzestechnisch wird auch
der neue Bedarfsansatz für die beiden gesondert zu berücksichtigenden
Kreisaufgaben durch eine weitere Erhöhung der tatsächlichen Einwohnerzahl
des Regelbedarfsansatzes um einen Einwohnererhöhungswert von 9,7/55,8
erreicht. Die Verteilung der zusätzlichen Einwohner auf die Landkreise erfolgt
nach dem Verhältnis ihrer Fläche zur Gesamtfläche aller Landkreise und
kreisfreien Städte unter Berücksichtigung der Verhältnisse zum 31. Dezember
des Vorvorjahres (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Satz 3 NFAG n. F.).
Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
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"Artikel 1
Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich
Das Niedersächsische Gesetz über den Finanzausgleich in der Fassung
vom 26. Mai 1999 (Nds. GVBl. S. 116, 320), zuletzt geändert durch Artikel
3 des Gesetzes vom 24. März 2006 (Nds. GVBl. S. 178), wird wie folgt
geändert:
(…)
3. § 7 erhält folgende Fassung:
§ 7
Bedarfsansatz
(1) Der Bedarfsansatz ergibt sich aus der Einwohnerzahl des Landkreises
oder der kreisfreien Stadt, erhöht um zusätzliche Einwohnerzahlen zur
Berücksichtigung der Ausgabenbelastungen
1. für die Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs
und die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch
des Sozialgesetzbuchs sowie
2. für die Schülerbeförderung und die Kreisstraßen.
Die zusätzliche Einwohnerzahl für die Ausgabenbelastungen nach Satz 1
Nr. 1 ergibt sich aus der Vervielfältigung des Einwohnererhöhungswertes
(Abs. 2 Satz 1) mit der Verhältniszahl, die sich aus dem Verhältnis der
nach Absatz 3 ermittelten Ausgabenbelastung des Landkreises oder der
kreisfreien Stadt zur nach Absatz 3 ermittelten Ausgabenbelastung aller
Landkreise und kreisfreien Städte errechnet. Die zusätzliche
Einwohnerzahl für die Ausgabenbelastungen nach Satz 1 Nr. 2 ergibt sich
aus der Vervielfältigung des Einwohnererhöhungswertes (Absatz 2 Satz 2)
mit der Verhältniszahl, die sich aus dem Verhältnis der Fläche des
Landkreises oder der kreisfreien Stadt am 31. Dezember des Vorvorjahres
zu der Fläche aller Landkreise und kreisfreien Städte zum selben Stichtag
errechnet.
(2) Der Einwohnererhöhungswert zur Ermittlung der zusätzlichen
Einwohnerzahl für die Ausgabenbelastungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1
ergibt sich durch Teilung der Gesamtzahl der Einwohnerinnen und
Einwohner der Landkreise und kreisfreien Städte durch 55,8, dieses
Ergebnis vervielfältigt mit 34,5. Der Einwohnererhöhungswert zur
Ermittlung der zusätzlichen Einwohnerzahl für die Ausgabenbelastungen
nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 ergibt sich durch Teilung der Gesamtzahl der
Einwohnerinnen und Einwohner der Landkreise und kreisfreien Städte
durch 55,8, dieses Ergebnis vervielfältigt mit 9,7.
(3) Die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 genannte Ausgabenbelastung wird nach
dem Durchschnitt der Ausgaben der letzten beiden vorvergangenen
Haushaltsjahre für die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 genannten Leistungsarten
jeweils nach Abzug der Einnahmen bei diesen Leistungsarten sowie der
Leistungen des Landes nach § 5 des Niedersächsischen Gesetzes zur
Ausführung des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs ermittelt."
Das Gesetz ist nach Art. 5 rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten.
III.
In der Entwurfsbegründung zum ÄndG NFAG stützte der Gesetzgeber den
flächenbezogenen Bedarfsansatz bei der Verteilung der Schlüsselmasse für die
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Kreisaufgaben der Schülerbeförderung und der Kreisstraßenbaulast auf multiple
Regressionsanalysen, die das Niedersächsische Landesamt für Statistik (NLS)
im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens erstellt hatte, und machte sich deren
Ergebnisse zu eigen. Das NLS führte in seinem Bericht zum kommunalen
Finanzausgleich 2007 (L II/S -j/07, Statistische Berichte Niedersachsen, Oktober
2007) aus, dass es bereits seit 1999 fortlaufend spezielle Belastungsanalysen
und Korrelationsrechnungen unter Heranziehung der jeweils aktuellen
Ergebnisse der kommunalen Rechnungsabschlüsse in der Gliederung nach
Aufgabenbereichen erstellt habe. Dabei habe sich in der Vergangenheit immer
wieder bestätigt, dass die Ausgabenbelastungen im Unterabschnitt 290
"Schülerbeförderung" und im Abschnitt 65 "Kreisstraßen" eine hohe Korrelation
zur Fläche der Landkreise aufwiesen, die allerdings durch eine Abhängigkeit in
umgekehrter Richtung bei der Ausgabenbelastung im Abschnitt 45 "Jugendhilfe
nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz" kompensiert worden sei. Erstmals bei
der Analyse der Jahresrechnungsergebnisse für die Haushaltsjahre 2003 bis
2005 sei festgestellt worden, dass der Zusammenhang des durchschnittlichen
Zuschussbedarfs pro Einwohner zur Quadratmeterzahl je Einwohner für die
Aufgaben Schülerbeförderung und Kreisstraßen weiterhin hohe Koeffizienten
zeige, während der Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen
Zuschussbedarf der Jugendhilfe und der Bevölkerungsdichte nurmehr einen
Korrelationskoeffizienten nahe der Null-Linie aufweise. Damit sei die
Begründung für den Verzicht auf einen gesonderten
flächenabhängigen Bedarfsansatz entfallen.
Die vom NLS in diesem Zusammenhang ermittelte und vom Gesetzgeber in
Bezug genommene Funktion zur Umschreibung des Zusammenhangs
zwischen dem Zuschussbedarf je Einwohner für Schülerbeförderung und
Kreisstraßen (= y) und der Fläche der Landkreise je Einwohner (= x) lautete y =
0,0034 x + 26,611 €/Einwohner. Ihr Korrelationskoeffizient lag bei 0,80.
B.
I.
Die Beschwerdeführerin zu 1. ist ein niedersächsischer Gemeindeverband, der
Beschwerdeführer zu 2. ein niedersächsischer Landkreis.
Die Beschwerdeführer richten ihre Verfassungsbeschwerden gegen Art. 1 Nr. 3
ÄndG NFAG und beantragen, diese Vorschrift für nichtig zu erklären.
Der Niedersächsische Landtag hat beschlossen, von einer Äußerung
gegenüber dem Staatsgerichtshof abzusehen. Die Niedersächsische
Landesregierung hat sich zu den Verfassungsbeschwerden geäußert.
II.
Die Beschwerdeführer sehen sich in ihrem Recht auf kommunale
Selbstverwaltung oder jedenfalls in ihrem Anspruch auf angemessene
Finanzausstattung durch das Land verletzt. Sie halten Art. 1 Nr. 3 ÄndG NFAG
aus folgenden Gründen für verfassungswidrig:
1. Mit der Einführung des Flächenfaktors habe der Gesetzgeber seine
Verpflichtung zur Schaffung eines aufgabengerechten Finanzausgleichs
verletzt, weil der für die Bemessung der Aufgaben Schülerbeförderung und
Kreisstraßen gebildete Bedarfsansatz nicht sach- bzw. aufgabengerecht
sei. Bei zahlreichen Gebietskörperschaften führe der gewählte Maßstab zu
einem „Delta“ nach oben oder nach unten zwischen der anteiligen
Finanzzuweisung einerseits und dem Zuschussbedarf zur
Aufgabenerledigung andererseits, das sich nicht auf die unterschiedliche
Finanzkraft zurückführen lasse und für das sachliche Gründe nicht
erkennbar seien.
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Die Landkreise Lüchow-Dannenberg und Soltau-Fallingbostel
beispielsweise würden nach neuer Rechtslage anteilige
Schlüsselzuweisungen erhalten, die ihre Zuschussbedarfe um jeweils rund
2,7 Mio. € übersteigen würden. Die Beschwerdeführerin zu 1. müsse
demgegenüber im Vergleich zur alten Rechtslage einen Verlust in Höhe
von etwa 30 Mio. € verkraften. Dies habe zur Folge, dass sie im Ergebnis
nicht nur keine Zuwendungen für die Zwecke der Schülerbeförderung und
der Kreisstraßen erhalte, sondern diese Kosten sogar aus den sonstigen
Zuwendungen aufbringen müsse.
Der Zusammenhang zwischen der Fläche der Kommunen und ihren
Aufwendungen für die beiden berücksichtigten Aufgaben sei mit den
angegebenen Korrelationsfaktoren von 0,69 und 0,79 keineswegs so eng,
wie vom Gesetzgeber behauptet. Die Differenzen zu einem vollständig
linearen Zusammenhang, der bei einem Wert von 1,0 bestehe, seien
beachtlich. Die Schlussfolgerung des Gesetzgebers sei auch methodisch
fragwürdig, weil das NLS nur eine Beziehung zwischen den
Zuschussbeträgen der Kommunen pro Einwohner und ihrer Fläche pro
Einwohner geprüft habe, anstatt die Ausgaben mit den Flächen in Relation
zu setzen. Die Aussagekraft der vom NLS durchgeführten
Regressionsanalyse sei zweifelhaft, weil der ermittelte Steigungsparameter
mit 0,0034 nahe 0 liege. Es sei daher nicht auszuschließen, dass der
berechnete Korrelationskoeffizient statistisch nicht interpretierbar sei.
2. Eine nach dem Zuschussbedarf für die beiden Aufgaben geordnete
Auflistung der Landkreise belege, dass die Höhe ihrer Aufwendungen
keineswegs von ihrer Fläche abhänge. Die auftretenden Abweichungen
seien noch gravierender, wenn man deren Größe ins Verhältnis zur Länge
ihrer Kreisstraßen setze. Die sich ergebenden Abweichungen beruhten auf
der jeweiligen Struktur der Gebiete. So betrage die Straßenbreite im
ländlichen Raum durchschnittlich 4,5 Meter, in Ballungsgebieten dagegen
6,5 Meter. Die Verkehrsdichte in den Ballungsräumen sei höher,
insbesondere hinsichtlich des Schwerlastverkehrs. Die besonders
unterhaltungsaufwendigen Ortsdurchfahrten fielen in Ballungsräumen
wesentlich häufiger an, deshalb gebe es dort auch wesentlich mehr
Kreuzungs- und Lichtsignalanlagen. Auch die Zahl der zu befördernden
Schüler sei bezogen auf die Fläche in den Ballungsräumen um ein
Vielfaches höher als im ländlichen Raum.
3. Der Beschwerdeführer zu 2. sieht durch die Neuregelung auch das in
Art. 58 NV verankerte Harmonisierungsgebot verletzt. Von der Einführung
des flächenbezogenen Bedarfsansatzes profitierten in erster Linie
finanzkraftstarke Landkreise, sodass sich die Schere zwischen "Arm und
Reich" weiter öffne. Nutznießer der neuen Regelung seien z.B. die
finanzstarken Landkreise Diepholz, Oldenburg und Cloppenburg, während
der Beschwerdeführer zu 2. als drittschwächster Landkreis einen Verlust
von rund 2 Mio. € verkraften müsse. Dieses Auseinanderdriften der
Leistungskraft der einzelnen Landkreise wiege umso schwerer, als
einzelne besonders finanzkraftstarke Kommunen infolge der eintretenden
Überkompensation zusätzliche Mittel zur Wahrnehmung anderer Aufgaben
erhielten, während die Beschwerdeführerin zu 1. durch die Neuregelung
ihre Kosten für die beiden Aufgaben nunmehr vollständig selbst tragen
müsse. Nicht auszuschließen sei daher, dass die Neuregelung zu
Übernivellierungen auf der Ebene der Landkreise führe.
4. Der Gesetzgeber habe es während des Gesetzgebungsverfahrens
mangels geeigneten Datenmaterials unterlassen, die Folgen seines
Vorhabens einzuschätzen und sich bietende Alternativen zu prüfen.
Bereits der Anlass für die Initiierung des Gesetzgebungsverfahrens führe
zu verfassungsrechtlichen Zweifeln. Im Unterschied zur Einführung des
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gesonderten Bedarfsansatzes zur Berücksichtigung der Sozialhilfelasten
habe der Gesetzgeber nicht gehandelt, um die tatsächlich sprunghaft
gestiegenen Kosten in einem Bereich zugunsten der durch sie
überproportional belasteten Kommunen angemessen zu berücksichtigen,
sondern um die politischen Vorgaben aus der Koalitionsvereinbarung
zwischen den Regierungsfraktionen zu erfüllen. Vor der Entscheidung
über die Einführung eines Flächenbedarfsansatzes hätte es
demgegenüber einer sorgfältigen Analyse bedurft, ob und ggf. welche
Aufgaben nachweislich in großen Flächenlandkreisen erhöhte Kosten
verursachen, um dann Kriterien und Verteilungsmodalitäten zu entwickeln,
die die flächenbedingten Mehrkosten hätten abfangen können.
Der Gesetzgeber habe nach Ansicht des Beschwerdeführers zu 2.
unzulässigerweise nicht geprüft, welche Folgen bei den einzelnen
Kommunen mit der Einführung des Flächenfaktors eintreten würden.
Hierzu sei er aber bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung
verpflichtet gewesen. Die Beschwerdeführerin zu 1. geht demgegenüber
davon aus, dass dem Gesetzgeber im Laufe des Verfahrens die
gravierenden negativen Auswirkungen auf einzelne der betroffenen
Kommunen bekannt gewesen seien. Er habe es aber versäumt, die
Auswirkungen darauf hin zu überprüfen, ob sie noch dem
verfassungsrechtlichen Gebot der Verteilungsgerechtigkeit im Hinblick auf
die Kostensituation der einzelnen Kommunen genügten. So habe er es
unterlassen, für Kommunen, bei denen der tatsächliche Zuschussbedarf
außerhalb jeglicher Relation zu den erzielbaren Schlüsselzuweisungen
stehe, entsprechende gesetzliche Vorkehrungen zu treffen. Verabsäumt
habe er es insbesondere, hinsichtlich der „Gewinner“ des
Sonderbedarfsansatzes eine Kappungsgrenze auf der Höhe des
tatsächlichen Zuschussbedarfes einzuziehen, und umgekehrt hinsichtlich
der Beschwerdeführerin zu 1. als „Verliererin“ des Sonderbedarfsansatzes
eine Sonderregelung zur Kompensation ihrer Ausreißerstellung
vorzusehen. Die Beschwerdeführerin zu 1. beantragt insoweit, zu der
Frage, ob ihr im Vergleich zu den übrigen Landkreisen und kreisfreien
Städten unter Berücksichtigung der verschiedenen statistischen
Berechnungen eine Ausreißerstellung zukommt, Beweis durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens zu erheben.
Schließlich hätten entgegen den Beteuerungen im
Gesetzgebungsverfahren auch die für eine Regressionsanalyse anhand
anderer Indikatoren - nämlich der Straßenlänge und der Schülerzahl -
notwendigen Daten zur Verfügung gestanden, weil diese Daten
jahrzehntelang zur Bemessung entsprechender Sonderzuweisungen
genutzt worden seien. Informationen zur Länge der Kreisstraßen habe sich
der Gesetzgeber zudem bei den Landkreisen leicht beschaffen können.
Auch die Niedersächsische Landesregierung habe im
Beschwerdeverfahren auf eine Probeberechnung des Landesbetriebs für
Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen (LSKN) mit dem
Indikator "Straßenlänge" verwiesen.
5. Der Gesetzgeber könne sich zur Rechtfertigung der Neuregelung nicht
auf die zustimmenden Stellungnahmen des Niedersächsischen
Landkreistages und des Niedersächsischen Städte- und
Gemeindebundes berufen, weil diese nur aus grundlegenden politischen
Gründen der Einführung des Flächenfaktors zugestimmt hätten. Die
Verbände hätten mangels geeigneter Daten nicht überblicken können,
dass die Neuregelung auch auf Landkreisebene zu erheblichen
Verwerfungen führen werde.
III.
Die Niedersächsische Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für
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unbegründet. Sie führt dazu im Wesentlichen aus:
1. Im Gesetzgebungsverfahren seien die finanziellen Auswirkungen der
Neuregelung bei den betroffenen Kommunen bekannt gewesen. Den
Fraktionen habe ein Schreiben des Niedersächsischen Innenministeriums
vom 23. März 2007 vorgelegen, das zahlreiche Vergleichsberechnungen
für die Jahre 2006 und 2007 enthalten habe. Weitere Berechnungen seien
dem federführenden Ausschuss für Inneres und Sport und dem
Niedersächsischen Landtag übermittelt worden.
2. Soweit die Beschwerdeführer rügten, die Neuregelung habe bei
einzelnen Landkreisen zu einer Überkompensation der tatsächlichen
Nettoaufwendungen für die beiden Aufgaben geführt, gehe dieser Einwand
schon deshalb fehl, weil dem Finanzausgleichssystem der Gesichtspunkt
einer Kostenerstattung fremd sei. Aus diesem Grunde sei auch das
Argument, mit der Neuregelung gehe eine Besserstellung der
finanzstarken Kommunen zulasten der schwachen einher, schon im
Ansatz unzutreffend, weil in § 7 NFAG n. F. nur die Bedarfsseite geregelt
werde, während die Höhe der Zuweisungen auch von der
Umlagekraftmesszahl als Einnahmeindikator abhängig sei. Im Übrigen
habe gerade die Beschwerdeführerin zu 1. wegen der Erhöhung der
Zuweisungsmasse im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr
Mehreinnahmen in Höhe von 39 Mio. € erzielt. Auch profitiere sie im
Vergleich zu anderen Landkreisen überproportional von der Gewichtung
der beiden anderen Teilbedarfsansätze nach den durchschnittlichen
Zuschussbeträgen und ihrer Verteilung nach der Einwohnerzahl bzw. den
Nettobelastungen bei der Sozialhilfe.
3. Durch die Einführung des flächenbezogenen Bedarfsansatzes habe
sich die leistungskraftbezogene Reihenfolge der Landkreise vor und nach
Gewährung der Schlüsselzuweisungen aufgrund des NFAG n. F.
nachweislich nicht verändert; eine verfassungswidrige Nivellierung oder
gar Übernivellierung sei somit ausgeschlossen.
4. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot, das willkürliche, sachlich
nicht vertretbare Differenzierungen verbiete, sei erst dann verletzt, wenn für
die Novellierung kein sachlicher Grund zu finden sei. Die Notwendigkeit
einer Regelung müsse nicht bejaht werden. Genügend sei eine
nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung des Gesetzgebers; die
bestmögliche und gerechteste Lösung werde verfassungsrechtlich nicht
verlangt. Durchbrechungen des vom Gesetzgeber gewählten Systems
seien zulässig, wenn es für die Abweichung plausible Gründe gebe.
Der Gesetzgeber habe bei der Auswahl des abstrakten Bedarfsindikators
der Fläche auf der Grundlage der Erhebungen und Berechnungen des
NLS die beiden Aufgaben und die mit ihnen verbundenen Kosten
nachvollziehbar eingeschätzt. Die vom NLS erstellte Regressionsanalyse
zwischen dem Zuschussbedarf pro Einwohner und der Einwohnerdichte
habe eine lineare Beziehung mit einem sehr hohen Korrelationsfaktor von
0,80 ergeben. Dessen Aussagekraft sei umso höher einzuschätzen, als
die Zuschussbeträge pro Einwohner für andere Aufgaben nur mit erheblich
geringeren Koeffizienten mit der Einwohnerdichte korrelierten. Durch die
Koppelung des neuen Faktors Fläche mit dem vorhandenen Faktor
Einwohnerzahl werde die untersuchte Bevölkerungsdichte zum
entscheidenden Kriterium. Nur wenn der Anteil der Fläche eines
Landkreises zur Fläche des Landes höher sei als der Anteil der Einwohner
dieses Kreises zu den Einwohnern des Landes, profitiere dieser von der
Neuregelung.
In der Finanzwissenschaft sei es allgemein anerkannt, dass bei der
Bedarfsbemessung an die Bedarfsbenutzer oder Leistungsnutzer
50
51
52
53
54
55
56
anzuknüpfen sei. Die Einwohner bildeten deshalb die entscheidende
Bezugsgröße für die Finanzausstattung, die Aufgabenerfüllung und die
Ausgabentätigkeit der Kommunen. Die Betrachtung der absoluten
Ausgabebeträge im Verhältnis zur Fläche führe demgegenüber bei einer
Regressionsanalyse zu einem unzulässigen Systembruch.
Soweit die Beschwerdeführerin zu 1. methodische Schwächen der vom
NLS erstellten Regressionsanalyse geltend mache, gingen ihre Einwände
fehl. Der ermittelte Steigungsparameter von 0,0034071 weiche signifikant
von 0 ab, was durch ergänzende Berechnungen des LSKN belegt werde.
Der gesetzlichen Neuregelung habe zwar auch ein politischer Wille zur
Einführung eines flächenbezogenen Bedarfsansatzes zugrunde gelegen.
Dieser sei jedoch erst 2007 umgesetzt worden, als das NLS bei seinen
regelmäßigen Kontrollberechnungen erstmals festgestellt habe, dass eine
überproportionale Belastung der Ballungsräume mit den Kosten der
Jugendhilfe nicht mehr bestehe.
5. Die von den Beschwerdeführern erwähnten Besonderheiten bei der
Straßenbaulast in den Ballungszentren seien nach einer Statistik des
LSKN, bezogen auf den Zuschussbedarf der einzelnen Kommunen pro
Einwohner, nicht signifikant. Gleiches gelte auch für die Kosten pro
Einwohner für die Schülerbeförderung. Im Gesetzgebungsverfahren habe
man auf eine gesonderte Prüfung des Bedarfsindikators "Straßenlänge"
verzichtet, weil keine hinreichend exakten und belastbaren Daten
vorgelegen hätten. Ohnehin unterfalle die Auswahl der jeweiligen Kriterien
dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
6. Der Beschwerdeführerin zu 1. komme mit Blick auf das Kriterium der
Bevölkerungsdichte weder eine statistische noch insgesamt eine
rechtliche Ausreißerstellung zu, die der Gesetzgeber hätte gesondert
berücksichtigen müssen. Zerlege man gedanklich ihr Gebiet in vier gleiche
Teile, so würden sich auch die dann entstehenden vier
Gebietskörperschaften homogen in die ermittelte Kostenstruktur der
übrigen Landkreise einfügen. Der auf den Beweis einer Ausreißerstellung
abzielende Beweisantrag der Beschwerdeführerin zu 1. sei unzulässig,
weil die verfassungsrechtliche Frage, ob der Beschwerdeführerin
gegenüber den übrigen Landkreisen eine berücksichtigungsbedürftige
Ausreißerstellung zukomme, nicht dem statistisch-
finanzwissenschaftlichen Sachverständigenbeweis zugänglich sei.
7. Der Darstellung der Beschwerdeführer, die kommunalen
Spitzenverbände hätten dem Entwurf zugestimmt, ohne die konkreten
Auswirkungen zu kennen, werde angesichts des Umstands, dass diese
die Einführung eines Flächenfaktors bereits seit 1999 eingefordert hätten,
widersprochen.
IV.
Der LSKN hat während des Verfahrens weitere Regressionsanalysen zur
Ermittlung der Abhängigkeit des durchschnittlichen Zuschussbedarfs der
Kommunen pro Einwohner für die Jahre 2003 bis 2005 und deren
Einwohnerzahl bzw. Flächen erstellt, die die Niedersächsische Landesregierung
auf Anfrage des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vorgelegt hat. Sie
weisen folgende Korrelationskoeffizienten auf:
Einwohnerzahl Fläche
durchschnittlicher Zuschuss-bedarf pro Einwohner für -0,09
-0,34
57
58
59
60
61
sämtliche Aufgaben
durchschnittlicher Zuschuss-bedarf pro Einwohner
ohne Sozialhilfelasten
-0,18
-0,02
Durchschnittlicher Zuschuss-bedarf pro Einwohner für
Schülerbeförderung
-0,16
0,36
durchschnittlicher Zuschuss-bedarf pro Einwohner für
Kreisstraßen
-0,18
0,49
durchschnittlicher Zuschuss-bedarf pro Einwohner für
Schülerbeförderung und Kreisstraßen
-0,19
0,47
V.
In der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 haben Frau Dr. V. I. vom
NIW, der Beigeordnete a. D. beim Niedersächsischen Landkreistag, Herr I. B.,
und auf Anregung der Beschwerdeführerin zu 1. der Leiter des Instituts für
Statistik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Leibniz Universität
Hannover, Herr Professor Dr. Q. T., als sachkundige Dritte Fragen des
Staatsgerichtshofs und der Beteiligten zu den statistisch-methodischen
Grundlagen der Regressionsanalysen des NLS und des LSKN beantwortet.
C.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Art. 1 Nr. 3 des
Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Finanzausgleichsgesetzes, des
Niedersächsischen Finanzverteilungsgesetzes und des Göttingen-Gesetzes
vom 12. Juli 2007 (Nds. GVBl. S. 312) ist verfassungsgemäß.
I.
Das Gesetzgebungsverfahren weist keine formellen Mängel auf; insbesondere
ist kein Verstoß gegen Art. 57 Abs. 6 NV festzustellen.
Gemäß Art. 57 Abs. 6 NV sind die kommunalen Spitzenverbände anzuhören,
bevor ein Gesetz erlassen wird, das unmittelbar die Kommunen berührende,
allgemeine Fragen regelt. Diese Verpflichtung des Gesetzgebers sichert
verfahrensrechtlich die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsposition der
Kommunen im Gesetzgebungsverfahren ab (Nds. StGH, Urteile vom 16. Mai
2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 49 und vom 27. Februar 2008, StGH
2/05, Nds. StGHE 4, 202, 223). Dem Anhörungserfordernis wird hinreichend
Genüge getan, wenn die kommunalen Spitzenverbände - wie im vorliegenden
Fall am 22. Mai 2007 in der 155. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport
- während der Beratungen im federführenden Ausschuss des
Niedersächsischen Landtags Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten (vgl. Nds.
StGH, Urteil vom 6. Dezember 2007, StGH 1/06, Nds. StGHE 4, 170, 186).
Ob und in welchem Umfang der Zweck des Art. 57 Abs. 6 NV den Gesetzgeber
dazu verpflichtet, den kommunalen Spitzenverbänden vor ihrer Anhörung das
für das Gesetzesvorhaben entscheidende Datenmaterial zur Verfügung zu
stellen (vgl. dazu bei der Anhörung der durch eine Neugliederung oder
Gebietsänderung betroffenen Kommunen Nds. StGH, Urteil vom 14. Februar
1979, StGH 2/77, Nds. StGHE 2, 1, 3 LS 6, 146 ff.; ferner BVerfG, Beschlüsse
vom 12. Mai 1992, 2 BvR 470, 650, 707/90, BVerfGE 86, 90, 107 f. und vom 20.
November 2002, 2 BvR 329/97, BVerfGE 107, 1, 24 f.), bedarf hier keiner
62
63
64
Klärung. Den kommunalen Spitzenverbänden standen nämlich spätestens seit
Übersendung des Einladungsschreibens vom 19. März 2007 umfangreiche
Modellrechnungen des NLS zur Verfügung, aus denen die „Gewinner und
Verlierer“ der gesetzlichen Neuregelung am Maßstab der Zuweisungen für 2006
unter Berücksichtigung der alten und der fiktiven neuen Rechtslage ersichtlich
waren. Dementsprechend belegen auch die Stellungnahmen der Kommunalen
Spitzenverbände bei der Anhörung vom 22. Mai 2007, dass diesen die
finanziellen Auswirkungen bei den einzelnen Kommunen bewusst waren.
II.
Materiellrechtlicher Prüfungsmaßstab für die angegriffene Vorschrift ist die in Art.
57 und 58 NV verankerte Selbstverwaltungsgarantie. Nach Art. 57 Abs. 1 NV
verwalten die Gemeinden und Landkreise (= Kommunen) ihre Angelegenheiten
im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung. Art. 57 Abs. 3 NV
konkretisiert diese Regelung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der eigenen
Angelegenheiten und weist den Gemeinden die ausschließliche Trägerschaft für
die gesamten öffentlichen Aufgaben zu, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich
etwas anderes bestimmen. Art. 57, 58 NV verwirklichen für das Land
Niedersachsen die bundesverfassungsrechtliche Garantie der kommunalen
Selbstverwaltung (Art. 28 GG) und haben nach Entstehungsgeschichte und
Zweck jedenfalls denselben Mindestgehalt wie Art. 28 Abs. 1 Sätze 2 und 3 und
Abs. 2 GG (Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995, StGH 2, 3, 6 bis 10/93,
Nds. StGHE 3, 136, 155 f.; Urteile vom 15. November 1997, StGH 14/95 u. a.,
Nds. StGHE 3, 299, 311, vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., LVerfGE 12, 255,
273, vom 6. Dezember 2007, StGH 1/06, Nds. StGHE 4, 170, 181 f. und vom 27.
Februar 2008, StGH 2/05, Nds. StGHE 4, 202, 214 f.).
Art. 58 NV verpflichtet das Land, den Kommunen die zur Erfüllung ihrer
Aufgaben erforderlichen Mittel entweder durch Erschließung eigener
Steuerquellen oder im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit durch
übergemeindlichen Finanzausgleich zur Verfügung zu stellen. Anders als der
auf den übertragenen Wirkungskreis bezogene Art. 57 Abs. 4 NV bezieht sich
Art. 58 NV also auf die Ausstattung der Kommunen mit den Finanzmitteln, die für
die Erfüllung der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises einschließlich der
pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben notwendig sind. Kernelement des an die
bundesverfassungsrechtlichen Regelungen des Finanzausgleichs in Art. 106
Abs. 5, 5a, 6 und 7 GG anknüpfenden gesetzlichen Ausgleichsmechanismus
des Landes ist die Errichtung eines Systems finanzkraftabhängiger
Schlüsselzuweisungen, das nicht nur die Finanzierung der Aufgaben des
eigenen Wirkungskreises der Kommunen sichern soll, sondern auch dem Ziel
dient, bestehende Finanzkraftunterschiede zu mildern. Durch eine Annäherung
der Finanzausstattung der Kommunen sollen auch die ursprünglich
finanzkraftschwachen Kommunen so gestärkt werden, dass sie zu einer
eigenverantwortlichen Entwicklung und Aufgabengestaltung befähigt werden
(Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995, StGH 2, 3, 5 bis 10/93, Nds.
StGHE 3, 136, 164; Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31,
56).
Die Aufgabenbezogenheit der Finanzgarantie des Art. 58 NV und das Ziel der
Aufgabengerechtigkeit des Finanzausgleichs verlangen, dass der Gesetzgeber
bei der Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs zwischen Land und
Kommunen die Höhe der erforderlichen Finanzmittel und damit auch Art und
Umfang der zu erledigenden Aufgaben der Kommunen kennt und
nachvollziehbar einschätzt (Nds. StGH, Urteile vom 25. November 1997, StGH
14/95 u. a., Nds. StGHE 3, 299, 315 und vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a.,
Nds. StGHE 4, 31, 57). Auch bei der horizontalen Verteilung der
Schlüsselmasse auf die einzelnen Kommunen bildet das Leitbild eines
aufgabengerechten Finanzausgleichs den verfassungsrechtlichen
Ausgangspunkt (Nds. StGH, Urteile vom 25. November 1997, a. a. O., S. 319
und vom 16. Mai 2001, a. a. O., S. 60). Innerhalb dieser Grenzen steht dem
65
66
67
Gesetzgeber ein weiter, verfassungsgerichtlich nicht überprüfbarer
Gestaltungsspielraum bei der Auswahl der Kriterien für die Bestimmung des
aufgabenbezogenen Finanzbedarfs zu (Nds. StGH, Urteil vom 25. November
1997, a.a.O., S. 320).
Geht es um die Ermittlung der Finanzkraft der Gemeinden und Landkreise, so
kann das Land nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs alle erzielten
oder erzielbaren Einkünfte der Kommunen berücksichtigen. Demgegenüber ist
für die Bestimmung des notwendigen Finanzbedarfs der einzelnen Kommunen
die Festlegung fiktiver Maßstäbe und damit das Abstrahieren vom
Ausgabeverhalten konkreter Kommunen unumgänglich, weil anderenfalls
Ausgabefreudigkeit belohnt und sparsames Finanzgebaren bestraft würde. Dem
Gesetzgeber obliegt daher die gesetzliche Fixierung abstrakter
Bedarfsindikatoren. Diese Indikatoren müssen zur Gewährleistung der
Aufgabengerechtigkeit des Finanzausgleichs die mit der Erfüllung bestimmter
Aufgaben verbundenen Kosten realitätsgerecht abbilden (Nds. StGH, Urteil vom
16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 60).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Einführung eines
Sonderbedarfsansatzes für die Aufgaben der Kreisstraßenbaulast und der
Schülerbeförderung und die Verteilung der darauf bezogenen zusätzlichen
Einwohner nach dem Verhältnis der Flächen der Landkreise als
verfassungsgemäß. Ein Verstoß gegen das in Art. 58 NV verankerte Verbot der
Übernivellierung bestehender Finanzkraftunterschiede auf der Ebene der
Landkreise und kreisfreien Städte durch die Gewährung der
Schlüsselzuweisungen nach neuer Rechtslage ist nicht feststellbar (1.). Bei der
Einführung des Sonderbedarfsansatzes für die beiden Kreisaufgaben hat der
Gesetzgeber auch das Harmonisierungsgebot des Art. 58 NV gewahrt (2.).
Schließlich verstößt die Neuregelung weder gegen das interkommunale
Gleichbehandlungsgebot noch gegen den Grundsatz der System- und
Aufgabengerechtigkeit des Finanzausgleichs (3.).
1. Nach der Rechtsprechung des Nds. StGH und auch der anderen
Landesverfassungsgerichte wird der Gestaltungsspielraum des
Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des horizontalen kommunalen
Finanzausgleichs durch das (Über-)Nivellierungsverbot begrenzt. Der
Finanzausgleich soll vorhandene Finanzkraftunterschiede der Kommunen
durch die Gewährung von Landesmitteln mildern, sie aber nicht völlig
abbauen oder gar im Ergebnis bewirken, dass die tatsächliche
Finanzkraftreihenfolge der Kommunen umgekehrt wird. Diese
verfassungsrechtliche Grenze folgt aus dem in Art. 58 NV verwendeten
Ausgleichsbegriff selbst. Auch findet sie ihre Rechtfertigung im
Willkürverbot, wonach wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt
werden darf (BayVerfGH, Entscheidung vom 12.01.1998 Vf. 24-VII-94,
BayVBl 1998, 207 = Juris Rdnr. 86), und in dem der kommunalen
Selbstverwaltung innewohnenden Prinzip der Eigenverantwortung. Ein
Ausgleichssystem, das finanzschwachen Kommunen jeden Anreiz nimmt,
ihre Finanzkraft zu verbessern, oder es für finanzstärkere Kommunen
finanziell attraktiv macht, sich statt selbstverantwortlicher Anspannung der
eigenen Finanzkraft über den allgemeinen Finanzausgleich zu finanzieren,
ist mit dem Prinzip der Eigenverantwortung und mit der Verfassung
unvereinbar (Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995, StGH 2, 3, 6 bis
10/93, Nds. StGHE 3, 136, 164; Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99, Nds.
StGHE 4, 31, 60; so auch LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Juni
2006, LVG 7/05, LVerfGE 17, 410, 430 f.; ThürVerfGH, Urteil vom 21. Juni
2005, VerfGH 28/03, LVerfGE 16, 593, 652; LVerfG Bbg, Urteil vom 16.
September 1999, VfGBbg 28/98, LVerfGE 10,237, 250; VerfGH NW,
Urteile vom 9. Juli 1998, VerfGH 16/96, 7/97, NWVBl. 1998, 390 = Juris
Rdnr. 62; vom 1. Dezember 1998, VerfGH 5/97, NWVBl. 1999, S. 136, 138
= Juris Rdnr. 37 und vom 11. Dezember 2007, VerfGH 10/06, NWVBl.
68
69
70
71
72
73
2008, S. 223 = Juris Rdnr. 71; BayVerfGH, Entscheidungen vom 12.
Januar 1998, Vf. 24-VII-94, BayVBl. 1998, S. 207 = Juris Rdnr. 86; vom 28.
November 2007, Vf. 15-VII-05, Juris Rdnr. 239).
Ein in solcher Weise über das Ziel der Annäherung der Finanzausstattung
der Kommunen hinausgehender völliger oder weitgehender Abbau der
bestehenden Finanzkraftunterschiede ist für die Haushaltsjahre 2007 bis
2009 nicht zu verzeichnen.
Die vor dem Eingreifen des finanzausgleichsrechtlichen Instrumentariums
vorhandene Finanzkraftreihenfolge der Landkreise ist durch die
Finanzausgleichsmechanismen, insbesondere auch durch die Einführung
des flächenbezogenen Sonderbedarfsansatzes für die beiden Aufgaben
der Kreisstraßen und der Schülerbeförderung, nicht verändert worden (vgl.
NLS, Kommunaler Finanzausgleich 2007, L II/S -j/07, Statistische Berichte
Niedersachsen, September 2007, S. 31; LSKN, Kommunaler
Finanzausgleich 2008, L II/S -j/08, Statistische Berichte Niedersachsen,
September 2008, S. 27; LSKN, Kommunaler Finanzausgleich 2009, L II/S -
j/09, Statistische Berichte Niedersachsen, September 2009, S. 27).
Soweit die Beschwerdeführer die Aussagekraft dieser Erhebungen wegen
ihrer Bezugsgrößen und mit Blick auf die tatsächliche Einnahmen- und
Ausgabensituation einzelner Kommunen in Zweifel ziehen, können sie
hiermit nicht durchdringen.
Bei der Aufstellung einer Finanzkraftreihenfolge auf der Ebene der
Landkreise bilden in Niedersachsen, seit Jahren praktiziert und anerkannt,
deren Umlagekraftmesszahlen nur eine Ausgangsgröße, weil sie für die
jeweiligen Kommunen mit ihren unterschiedlichen Größen und
dementsprechend unterschiedlichen Haushaltsvolumina durch den Bezug
auf die Einwohnerzahl vergleichbar gemacht werden müssen (vgl. BVerfG,
Urteil vom 11. November 1999, 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99, BVerfGE 101, 158,
223 = Juris Rdnr. 285). Dazu wird der Finanzkraftindikator durch den
normativ bestimmten notwendigen Finanzbedarf, also im vorliegenden Fall
durch den Bedarfsansatz der Einwohnerzahl zuzüglich der
Einwohnererhöhungswerte dividiert, um zu ermitteln, welcher Betrag der
einzelnen Kommune pro Einheit des Bedarfsansatzes als
Bedarfsdeckungsquote zur Verfügung steht (so auch als sachgerecht
bestätigt in Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds.
StGHE 4, 31, 64; ähnlich VerfGH NW, Urteil vom 11. Dezember 2007,
VerfGH 10/06, NWVBl. 2008, S. 223 = Juris Rdnr. 72). NLS bzw. LSKN
haben bei ihren Berechnungen der Schlüsselzuweisungen für
Kreisaufgaben jeweils in Spalte 5 die Umlagekraftmesszahlen der
Landkreise und kreisfreien Städte durch ihren Bedarfsansatz dividiert und
dann in Spalte 6 deren Rangplatz vor der Gewährung der
Schlüsselzuweisungen bestimmt. In den Spalten 10 und 11 sind die
gleichen Berechnungen unter Berücksichtigung der
Umlagekraftmesszahlen je Einheit Bedarfsansatz zuzüglich der
Schlüsselzuweisungen dokumentiert. Es ergab sich die gleiche Rangfolge.
Die Vertreter des LSKN und die sachkundigen Dritten haben in der
mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof nachvollziehbar
erläutert, dass diese Darstellung nicht - wie es auf den ersten Blick
erscheinen könnte - tautologisch ist. Der Nachweis gleichbleibender
Reihenfolge ist vielmehr Ergebnis der strukturellen Absicherung des
Übernivellierungsverbots im niedersächsischen System der
Schlüsselzuweisungen. Das methodische Vorgehen ist damit
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Auch das in Art. 58 NV verankerte Harmonisierungsgebot ist durch die
Neuregelung in Art. 1 Nr. 3 ÄndG NFAG nicht verletzt worden.
74
75
76
77
Der übergemeindliche Finanzausgleich dient dem angemessenen
Ausgleich der Finanzkraftunterschiede der Kommunen durch Gewährung
von allgemeinen Schlüsselzuweisungen des Landes. Bestehende
Ungleichheiten sollen dabei abgemildert werden. Das Sozialstaatsprinzip
(vgl. Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und das Leitbild der "Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse" (vgl. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) bzw. der
"Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" (vgl. Art. 72 Abs. 2 GG)
fordern ein annähernd gleiches Versorgungsniveau in den Kommunen.
Wenn die Finanzlage des Landes die Bereitstellung eines
Ausgleichsvolumens erlaubt, muss dieses folglich unter den Kommunen
so verteilt werden, dass es zu einer Annäherung ihrer Finanzausstattung
kommt und auch die ursprünglich finanzschwachen Kommunen so
gestärkt werden, dass sie zu einer eigenverantwortlichen Entwicklung und
Aufgabengestaltung befähigt werden (Nds. StGH, Beschluss vom 15.
August 1995, 2, 3, 6 bis 10/93, Nds. StGHE 3, 136, 164; Urteil vom 16. Mai
2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 57; VerfGH NW, Urteil vom 11.
Dezember 2007, VerfGH 10/06, NWVBl. 2008, S. 223 = Juris Rdnr. 66 m.
w. N.).
Ob dieses Ziel der Annäherung erreicht ist, durfte der Gesetzgeber am
Maßstab der normativ bestimmten Umlagekraft pro Einheit des
Bedarfsansatzes als Deckungsquote ermitteln.
Unter Berücksichtigung der vom NLS bzw. ab 2008 vom LSKN erstellten
Zusammenstellungen der Berechnungsgrundlagen und Zuweisungen bei
den Schlüsselzuweisungen für Kreisaufgaben (NLS, Kommunaler
Finanzausgleich 2007, L II/S-j/07, a.a.O. S. 31; LSKN, Kommunaler
Finanzausgleich 2008, L II/S-j/08, a.a.O. S. 27; ders., Kommunaler
Finanzausgleich 2009, L II/S-j/09, a.a.O. S. 27) zeigen sich folgende
Werte:
vor
Gewährung
der
Zuweisungen
nach
Gewährung
der
Zuweisungen
Landesweite durchschnittliche
Umlagekraftmesszahlen je Einheit
Bedarfsansatz
189,33
2007
201,59
2008
216,39
2009
279,86
2007
287,50
2008
305,96
2009
Umlagekraftmesszahlen je Einheit
Bedarfsansatz der finanzstärksten Kommune
(Stadt Wolfsburg)
344,44
2007
298,95
2008
403,58
2009
344,44
2007
311,83
2008
403,58
2009
Abweichung vom landesweiten Durchschnitt
absolut
+ 155,11
2007
+ 97,36
2008
+ 187,19
2009
+ 64,58
2007
+ 24,33
2008
+ 97,62
2009
78
79
Abweichung vom landesweiten Durchschnitt
prozentual
81,93 v.
H.
2007
48,30 v.
H.
2008
86,51 v.
H.
2009
23,08 v.
H.
2007
8,46 v.
H.
2008
31,91 v.
H.
2009
Umlagekraftmesszahlen je Einheit
Bedarfsansatz der finanzschwächsten
Kommune (Landkreis Lüchow-Dannenberg)
128,68
2007
127,40
2008
133,25
2009
264,36
2007
268,95
2008
284,24
2009
Abweichung vom landesweiten Durchschnitt
absolut
./. 60,65
2007
./. 74,19
2008
./. 83,14
2009
./. 15,50
2007
./. 18,55
2008
./. 21,72
2009
Abweichung vom landesweiten Durchschnitt
prozentual
32,03 v.
H.
2007
36,80 v.
H.
2008
38,42 v.
H.
2009
5,54 v.
H.
2007
6,45 v.
H.
2008
7,10 v.
H.
2009
In allen drei Haushaltsjahren hat sich der Abstand sowohl der
finanzkraftschwächsten als auch der finanzkraftstärksten Kommunen
durch die Gewährung der Schlüsselzuweisungen an den landesweiten
Durchschnitt angenähert. Dass die finanzkraftschwächsten Kommunen
auch unter Berücksichtigung der Schlüsselzuweisungen zu einer
eigenverantwortlichen Entwicklung und Aufgabengestaltung nicht in der
Lage gewesen wären, lässt sich dagegen nicht feststellen.
Soweit der Beschwerdeführer zu 2. eine Verletzung des
Harmonisierungsgebots in Art. 58 NV schon dann annehmen will, wenn
von der Änderung eines einzelnen Parameters zur Berechnung des
notwendigen Finanzbedarfs oder der Leistungskraft der Kommunen in
erster Linie finanzkraftstärkere Kommunen profitieren, überdehnt er die
normative Reichweite dieses Grundsatzes. Art. 58 NV normiert für den
Gesetzgeber das Gebot, den Kommunen die zur Aufgabenerfüllung
erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Um diesen
Finanzbedarf zu ermitteln, muss der Gesetzgeber eine typisierende
Bedarfsanalyse erstellen, die im Gegensatz zu der nach Art. 57 Abs. 4 NV
erforderlichen Kostenanalyse die Autonomie der Kommunen bei der
Entscheidung über das Ob und den Umfang der Wahrnehmung freiwilliger
Selbstverwaltungsaufgaben sowie über die Strukturen der
Aufgabenwahrnehmung bei den pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben
wahren muss (Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995, StGH 2, 3, 6
bis 10/93, Nds. StGHE 3, 136, 163; Urteile vom 25. November 1997, StGH
14/95 u. a., Nds. StGHE 3, 299, 315 und vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u.
a., Nds. StGHE 4, 299, 31, 57). Wäre der Gesetzgeber gezwungen, die
Ausgleichswirkung eines jeden Finanzbedarfsansatzes im Hinblick auf die
unterschiedliche Finanzkraft der betroffenen Kommunen zu überprüfen,
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würde sich der Charakter des kommunalen Finanzausgleichs in ein
verfassungsrechtlich unzulässiges Erstattungssystem einzelner
Aufgabenbereiche verwandeln. Überdies ist die Argumentation des
Beschwerdeführers zu 2. insoweit methodisch unzulässig, als er seine
Behauptung, ein nicht unbeachtlicher Anteil finanzkraftstarker Kommunen
würde durch die Einführung des flächenbezogenen Bedarfsansatzes
zulasten der Schwächeren profitieren, auf die finanziellen Auswirkungen im
Vergleich zur alten Rechtslage stützt. Aus Art. 58 NV in Verbindung mit
dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes lässt sich
jedoch ein Vertrauenstatbestand der Kommunen in den unveränderten
Fortbestand einer einmal erreichten Struktur oder eines einmal erreichten
Standards des Finanzausgleichs nicht ableiten. Vielmehr steht es dem
Gesetzgeber frei, veränderte Rahmenbedingungen, neue Erkenntnisse
oder gewandelte Präferenzen bei der Umgestaltung des kommunalen
Finanzausgleichs zu berücksichtigen (VerfGH NW, Urteil vom 8. April
2003, VerfGH 2/02, NWVBl. 2003, 261 = Juris Rdnr. 41; vgl. ferner
BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Januar 1998, Vf. 24-VII-94, BayVBl.
1998, S. 207, 237 = Juris Rdnr. 80 m. w. N.). Bei der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des Art. 1 Nr. 3 ÄndG NFAG ist die bisherige
Regelung des Bedarfsansatzes in § 7 NFAG a. F. somit nicht als Maßstab
geeignet.
3. Nach der Rechtsprechung des Nds. StGH steht dem Gesetzgeber bei
der Auswahl von Kriterien für die Verteilung des Hauptansatzes ein weiter,
verfassungsgerichtlich nicht überprüfbarer Gestaltungsspielraum zu (Nds.
StGH, Urteil vom 25. November 1997, StGH 14/95 u. a., Nds. StGHE 3,
299, 319 f.). Dieser Gestaltungsspielraum wird verfassungsrechtlich durch
das in Art. 58 NV normierte Gebot eines aufgabengerechten
Finanzausgleichs begrenzt. Die gesetzlich festzulegenden abstrakten
Bedarfsindikatoren zur Bestimmung des notwendigen Finanzbedarfs der
Kommunen müssen die mit der Erfüllung bestimmter Aufgaben
verbundenen Kosten realitätsnah abbilden (Nds. StGH, Urteile vom 25.
November 1997, StGH 14/95 u. a., Nds. StGHE 3, 299, 319 und vom 16.
Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 60). Der Gesetzgeber ist
verpflichtet, seinen Entscheidungen über die Ausgestaltung des
horizontalen kommunalen Finanzausgleichs aktuelle
finanzwissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde zu legen und seine
Erwägungen nachvollziehbar zu begründen (Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai
2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 61, 64 ff.). Er muss sich ferner
kontinuierlich der Richtigkeit der von ihm bei der Gestaltung des
Verteilungsmodus vorausgesetzten Prämissen vergewissern und ggf.
neuen finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen (Nds.
StGH, Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., a. a. O., S. 65 f.). Ein
Verstoß gegen das Gebot der Aufgabengerechtigkeit liegt jedenfalls dann
nicht vor, wenn sich in den Gesetzesmaterialien für die gesetzliche
Ausgestaltung eine plausible und nachvollziehbare Begründung finden
lässt (Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4,
31, 66 f.).
Speziell zu den abstrakten Indikatoren bei der Bemessung des
notwendigen Finanzbedarfs der Landkreise hat der Niedersächsische
Staatsgerichthof Folgendes ausgeführt:
"Aus dem Umstand, dass die zur Bedarfsermittlung herangezogenen
Faktoren die mit der Aufgabenerfüllung verbundenen Kosten
realitätsgerecht abbilden müssen, ergibt sich wegen der besonderen
territorialen Bezogenheit bestimmter Aufgaben außerdem, dass als
Kriterium für die Verteilung der Schlüsselzuweisungen auf die
Kommunen auch die Heranziehung ihrer Fläche erforderlich sein kann.
So hat der Staatsgerichtshof bereits zum Ausdruck gebracht, dass
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jedenfalls bei den Landkreisen die Zahl der Einwohner nicht notwendig
im Verhältnis zur Fläche des Landkreises steht, und dass die Eigenart
mancher Aufgaben der Landkreise bewirken kann, dass die Fläche ein
wesentlicher Kostenfaktor ist. Dies gilt z. B. für die Straßenbaulast und
für die Schülerbeförderung (Nds. StGHE 3, 299, 319). Verzichtet der
Gesetzgeber gleichwohl auf ein Flächenkriterium, bewegt er sich nur
dann innerhalb des ihm von Verfassungs wegen zustehenden
Gestaltungsspielraums, wenn er seine Entscheidung unter
Berücksichtigung der im Entscheidungszeitpunkt aktuellen
finanzwissenschaftlichen Erkenntnisse nachvollziehbar begründet und
die Aufgabengerechtigkeit der Finanzzuweisungen - speziell im Hinblick
auf die flächenbedingt entstehenden Kosten - trotz des Verzichts auf
flächenabhängige Verteilungskriterien sichergestellt ist."
(Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4,
31, 61).
Andere Landesverfassungsgerichte leiten die Schranken des
gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nicht nur aus den
Parallelbestimmungen zu Art. 58 NV ab, sondern beziehen sich im Sinne
einer eigenen Begründung auf das im Rechtsstaatsprinzip verankerte
objektive Willkürverbot in den Ausprägungen des interkommunalen
Gleichbehandlungsgebots (vgl. nur VerfGBbg, Beschlüsse vom 18. Mai
2006, VfGBbg 39/04, www.verfassungsgericht.brandenburg.de, S. 9 und
vom 18. Mai 2006, VfGBbg 278/03, LVerfGE 17, 91, 117 f.; Urteile vom 22.
November 2007, VfGBbg 75/05, www.verfassungsgericht.brandenburg.de,
S. 14; vom 29. August 2002, VfGBbg 34/01, LVerfGE 13, 159, 174 und
vom 16. September 1999, VfGBbg 28/98, LVerfGE 10, 238, 246; LVerfG
MV, Urteile vom 11. Mai 2006, LVerfG 1, 5, 9/05, LVerfGE 17, 297, 318
und vom 18. Dezember 2003, LVerfG 13/02, LVerfGE 14, 293, 302 f.;
LVerfG NW, Urteile vom 6. Juli 1993, VerfGH 9, 22/92, NVwZ 1994, 68,
vom 9. Juli 1998, VerfGH 16/96, 7/97, NWVBl. 1998, S. 1280 = Juris Rdnr.
63, 86, vom 8. April 2003, VerfGH 2/02, NWVBl. 2003, S. 261 = Juris Rdnr.
38 und vom 11. Dezember 2007, VerfGH 10/06, NWVBl. 2008, 223 = Juris
Rdnr. 61; BayVerfGH, Entscheidung vom 27. Februar 1997, Vf. 17-VII-94,
BayVBl. 1998, S. 207, 237 = Juris Rdnr. 81 f.; vom 6 Februar 2007, Vf. 14-
VII-04, BayVBl. 2007, S. 364 = Juris Rdnr. 47; StGH BW, Urteil vom 4. Mai
1998, GR 1/96, LVerfGE 8, 3, 24; VerfGH Rheinland-Pfalz, Entscheidung
vom 30. Januar 1998, N 2/97, DVBl. 1998, NVwZ-RR 1998, S. 607 = Juris
Rdnr. 40) und des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit (VerfGH NW,
Urteile vom 9. Juli 1998, VerfGH 2/02, NWVBl. 1998, S. 390 = Juris Rdnr.
63 und vom 8. April 2003, VerfGH 2/02, NWVBl. 2003, S. 261 = Juris Rdnr.
39; vom 11. Dezember 2007, VerfGH 10/06, NWVBl. 2008, S. 223 = Juris
Rdnr. 62, jeweils m. w. N.).
Ob das rechtsstaatliche Willkürverbot und seine Ausprägungen in Art. 58
NV aufgehen (so Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995, StGH 2, 3,
6 bis 10/93, Nds. StGHE 3, 136, 156; Urteil vom 11. Juni 2007, StGH 1/05,
Nds. StGHE 4, 152, 161, 164) oder einen selbständigen
verfassungsrechtlichen Maßstab bilden, kann unterdessen offen bleiben,
weil die zu diesen Prinzipien entwickelten Grundsätze zumindest als
integrierte Bestandteile des Art. 58 NV bei der Überprüfung der
angegriffenen Regelungen heranzuziehen sind (vgl. Nds. StGH, Urteil vom
16. Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 61 zum grundsätzlichen
Gebot der Gleichbehandlung aller Kommunen und vom 11. Juni 2007,
StGH 1/05, Nds. StGHE 4, 152, 164 f., 166 zum interkommunalen
Gleichbehandlungsgebot).
Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet es nach einer vom
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ständig verwandten und von
den übrigen Landesverfassungsgerichten in ähnlicher Form gebrauchten
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Umschreibung,
"bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs bestimmte
Gemeinden oder Gemeindeverbände sachwidrig zu benachteiligen
oder zu bevorzugen. Es verbietet willkürliche, sachlich nicht vertretbare
Differenzierungen und ist verletzt, wenn für die Regelung ein sachlicher
Grund fehlt. Das Verfassungsgericht hat dabei nicht zu prüfen, ob der
Gesetzgeber die bestmögliche und gerechteste Lösung gewählt hat
(Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
1. Dezember 1998, DVBl. 1999, 391). In Respektierung der politischen
Handlungs- und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist auch nicht zu
prüfen, ob die Regelung notwendig oder gar unabweisbar ist. Der
Gesetzgeber darf innerhalb gewisser Grenzen im Rahmen der
Gemeindefinanzierung auch ihm zweckmäßig Erscheinendes verfolgen.
Ihm kommt insoweit ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu,
der gewahrt ist, wenn sich der Gesetzgeber auf eine nachvollziehbare
und vertretbare Einschätzung stützt (vgl. Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, Urteile vom 18. Juni 1998, - VfGBbg 17/97 -,
LVerfGE 8, 97, 139 und vom 29. August 2002, a. a. O.[LVerfGE 13, 159,
174])." (Beschluss vom 18. Mai 2006, VfGBbg 39/04,
www.verfassungsgericht.brandenburg.de, S. 9)
Den Bedeutungsgehalt des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit
umschreibt der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
wie folgt:
"Nach welchem System der Gesetzgeber eine bestimmte Materie
ordnen will, obliegt seiner Entscheidung. Weicht er vom
selbstbestimmten System ab, kann das einen Gleichheitsverstoß
indizieren (BVerfGE 61, 138, 148 f.; 68, 237, 253; 81, 156, 207). Ein
solcher liegt nicht vor, wenn es für die Abweichung plausible Gründe
gibt (VerfG NRW, OVGE 46, 262, 270 f. = NWVBl. 1997, 129, 132;
OVGE 49, 271, 275 = NWVBl. 2003, 261, 263)." (Urteil vom 11.
Dezember 2007, VerfGH 10/06, NWVBl. 2008, S. 223 = Juris Rdnr. 62)
Bei der Frage, ob eine Ungleichbehandlung der Kommunen oder ein
Systembruch durch einen sachlichen Grund zu rechtfertigen ist, ziehen die
Landesverfassungsgerichte unterschiedliche Beurteilungsgrundlagen
heran. Die Sachgerechtigkeit einer solchen Regelung wird vom
Verfassungsgericht des Landes Brandenburg schon dann bejaht, wenn
sich ein objektiver sachlicher Grund zu ihrer Rechtfertigung finden lässt,
selbst wenn dieser im Gesetzgebungsverfahren keinen Niederschlag
gefunden hat (vgl. VerfG Bbg, Beschluss vom 18. Mai 2006, VfGBbg
39/04, LVerfGE 17, 103, 119 f.; VerfGH NW, Urteile vom 9. Juli 1998,
VerfGH 16/96, 7/97, NWVBl. 1998, S. 390 = Juris Rdnr. 64 und vom 8. April
2003, VerfGH 2/02, NWVBl. 2003, S. 261 = Juris Rdnr. 45 - 47; VerfGH
Rheinland-Pfalz, Entscheidung vom 30. Januar 1998, N 2/97, NVwZ-RR
1998, S. 607 = Juris Rdnr. 27). Andere Verfassungsgerichte stellen an das
Gesetzgebungsverfahren für den kommunalen Finanzausgleich
gesteigerte Anforderungen. Sie verlangen im Grundsatz die
Nachvollziehbarkeit der Regelungen auf der Grundlage einer Bedarfs- und
Einnahmeermittlung der Kommunen; dabei muss in den
Gesetzesmaterialien objektiv erkennbar sein, dass die entsprechenden
Berechnungen Eingang in den Entscheidungsprozess des Gesetzgebers
gefunden haben (BayVerfGH, Entscheidung vom 28. November 2007, Vf.
15 VII-05, Juris Rdnr. 214, 222; StGH BW, Urteil vom 10. Mai 1999, GR
2/97, LVerfGE 10,3, 30; ThürVerfGH, Urteil vom 21. Juni 2005, VerfGH
28/03, LVerfGE 16, 593, 648, 650 f.; VerfG Bbg, Urteil vom 16. September
1999, VfGBbg 28/98, LVerfGE 10, 237, 245). Auch der Niedersächsische
Staatsgerichtshof verlangt bei der Überprüfung einer gesetzgeberischen
Entscheidung über die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs
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eine nachvollziehbare Begründung unter Berücksichtigung der aktuellen
finanzwissenschaftlichen Erkenntnisse (Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai
2001, StGH 6/99, Nds. StGHE 4, 31, 61).
Ob wegen der Verankerung des interkommunalen
Gleichbehandlungsgebots und des Gebots der Systemgerechtigkeit im
Rechtsstaatsprinzip ein rein objektiver Maßstab anzuwenden (vgl. dazu
BVerfG, Beschlüsse vom 5. Oktober 1993, 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132,
141 und vom 18. Juli 2005, 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, 262; Nds.
StGH, Urteil vom 14. Februar 1979, StGH 2/77, Nds. StGHE 2, 1, 155) oder
wegen des aus Art. 58 NV abgeleiteten Grundsatzes der
Aufgabengerechtigkeit des Finanzausgleichs ausschließlich auf die
dokumentierten Erwägungen des historischen Gesetzgebers abzustellen
ist, kann im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Selbst unter
Beachtung der engeren Beurteilungsgrundlage ist die gesetzgeberische
Entscheidung zur Einführung eines Sonderbedarfsansatzes für die
Aufgaben der Kreisstraßen und der Schülerbeförderung dem Grunde nach
nicht zu beanstanden (a). Das in § 7 Abs. 1 Satz 3 NFAG n. F. geregelte
Verteilungskriterium der Fläche ist im Gesetzgebungsverfahren
nachvollziehbar begründet worden und damit sachgerecht (b). Der
Gesetzgeber hat den durch das interkommunale Gleichbehandlungsgebot
gezogenen verfassungsrechtlichen Rahmen auch nicht dadurch
verlassen, dass er keine Sonderregelung für die Beschwerdeführerin zu 1.
vorgesehen hat (c).
a) Mit Blick auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist der in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 NFAG n. F. neu geschaffene Sonderbedarfsansatz für die
Schülerbeförderung und die Kreisstraßen und seine Gewichtung im
Vergleich zu den übrigen Bedarfsansätzen in § 7 Abs. 2 Satz 2 NFAG.
Die Entscheidung des Gesetzgebers beruht auf den
finanzwissenschaftlichen Untersuchungen des NLS zu den
Jahresergebnissen 2003 bis 2005, wonach die Nettoausgaben für
Jugendhilfeleistungen in der Fläche weitaus stärker angestiegen waren als
in den Ballungsräumen, die Niveauunterschiede sich somit nachhaltig
verringert hatten. Die Korrelation der durchschnittlichen Zuschussbedarfe
der Jahre 2003 bis 2005 pro Einwohner für die Schülerbeförderung und die
Kreisstraßen ergaben nach wie vor hohe Korrelationskoeffizienten in
Bezug auf die Fläche pro Einwohner, während bei der Jugendhilfe
nunmehr ein Korrelationskoeffizient bei nahe 0 festgestellt wurde (NLS,
Kommunaler Finanzausgleich 2007, L II/S -j/07, S. 5 und Grafik 5 [Seite
20]). Gerade unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Niedersächsischen Staatsgerichtshofs zur Aufgabengerechtigkeit des
Verteilungskriteriums der Einwohnerzahl bei den Kreisaufgaben der
Kreisstraßen und der Schülerbeförderung (Nds. StGH, Urteile vom 25.
November 1997, StGH 14/95, Nds. StGHE 3, 299, 319 und vom 16. Mai
2001, StGH 6/99, Nds. StGHE 4, 31, 61, 66) ist die Begründung für die
Einführung des Sonderbedarfsansatzes in den Gesetzesmaterialien (Nds.
LT-Drs. 15/3748, S. 11) eingehend und nachvollziehbar. Die Schaffung
eines Sonderbedarfsansatzes unter Abkehr vom Verteilungskriterium der
Einwohnerzahl wird deshalb der verfassungsrechtlich geforderten
Aufgabengerechtigkeit der finanzausgleichsrechtlichen Regelung gerecht.
Dies gilt auch für die Gewichtung des Sonderbedarfsansatzes im Vergleich
zu den bisherigen Bedarfsansätzen mit 9,7 v. H., die auf den vom NLS
festgestellten Relationen der durchschnittlichen Zuschussbedarfe der
Jahre 2003 bis 2005 beruht (NLS, Kommunaler Finanzausgleich 2007, L
II/S -j/07, S. 20 Tabelle 5).
Aus dem Umstand, dass die Parteien der Mehrheitsfraktionen im
Niedersächsischen Landtag in ihrer Koalitionsvereinbarung für die 15.
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98
Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages 2003 bis 2008 unter
Abschnitt 7 in Absatz 5 vereinbart hatten, "die gegenwärtigen Strukturen
des kommunalen Finanzausgleichs mit dem Ziel verändern (zu wollen), die
freien Mittel im kommunalen Finanzausgleich zu erhöhen und einen
angemessenen Ausgleich für die kommunalen Gebietskörperschaften in
der Fläche zu erreichen", folgt kein anderes Ergebnis. Die gesetzliche
Verankerung des Sonderbedarfsansatzes erfolgte nicht etwa ungeprüft zu
Beginn der Legislaturperiode, sondern erst, als das Datenmaterial des NLS
über die Verschiebung der Belastungsrelationen für die Jugendhilfe von
den Ballungsräumen zu den Flächenlandkreisen vorlag.
b) Das in § 7 Abs. 1 Satz 3 NFAG n. F. geregelte Verteilungskriterium der
Fläche ist verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Der
Gesetzgeber hat sich zur Begründung der Einführung dieses Faktors auf
die vom NLS erstellte Regressionsanalyse zwischen dem Zuschussbedarf
pro Einwohner und der Einwohnerdichte, definiert als Fläche pro
Einwohner, gestützt. Diese Begründung ist nachvollziehbar und damit
geeignet, die Einführung des Flächenfaktors zu rechtfertigen. Soweit die
Beschwerdeführer demgegenüber die Aussagekraft dieser
Regressionsanalyse bezweifeln, folgt der Staatsgerichtshof ihnen unter
Würdigung der Äußerungen der sachkundigen Dritten in der mündlichen
Verhandlung nicht.
Der vom NLS ermittelte Korrelationskoeffizient von 0,80 kennzeichnet nach
den überzeugenden Ausführungen der angehörten sachkundigen Dritten
eine hoch signifikante Abhängigkeit zwischen den untersuchten
Bezugsgrößen. Mit der statistisch belegten Abhängigkeit der
aufgabenbezogenen Kosten und der Bevölkerungsdichte lässt sich auch
die Einführung des Verteilungskriteriums der Fläche rechtfertigen. Nach
den Ausführungen der sachkundigen Dritten wirkt das im Gesetz
verankerte Verteilungskriterium des Verhältnisses der Flächen der
einzelnen Landkreise zueinander faktisch dichteabhängig, d.h. wie die
Implementierung des durch die vorbezeichnete Korrelationsrechnung
nachgewiesenen Faktors der Bevölkerungsdichte. So führt bei einem dicht
besiedelten Landkreis der ihm für die Aufgaben der Kreisstraßen und
Schülerbeförderung zugeordnete Einwohnererhöhungswert im Vergleich
zu seiner Einwohnerzahl nur zu einer prozentual geringen Erhöhung
seiner maßgeblichen Einwohnerzahlen, d.h. seines
Gesamtbedarfsansatzes, während ein dünn besiedelter Landkreis im
Vergleich zu seinem Einwohnerausgangswert prozentual überproportional
profitiert. Durch die Neuregelung werden somit im Vergleich zur alten
Rechtslage die Landkreise aufsteigend von der am dünnsten zu der am
dichtesten besiedelten Gebietskörperschaft begünstigt. Mit der
Neuregelung wird also im Ergebnis der statistisch belegte Zusammenhang
zwischen dem Zuschussbedarf pro Einwohner und der Einwohnerdichte
folgerichtig umgesetzt.
Der weitergehende Einwand der Beschwerdeführer, der Flächenfaktor
könne schon deshalb nicht sachgerecht sein, weil seine Anwendung die
spezifischen Zuschussbedarfe einzelner Kommunen überkompensiere,
während bei anderen Kommunen die Verluste so erheblich seien, dass
diesen Kommunen für die Aufgabenerledigung letztlich keine Mittel mehr
zugewiesen würden, ist verfassungsrechtlich schon deshalb nicht
durchschlagend, weil dem System des kommunalen Finanzausgleichs
nicht die tatsächlich angefallenen Nettokosten einzelner Kommunen,
sondern vielmehr eine abstrakte Bedarfsanalyse zugrunde zu legen ist.
Der Gesetzgeber hat während des Gesetzgebungsverfahrens die
finanziellen Auswirkungen der Neuregelung auf die einzelnen Kommunen
gekannt, weil ihm entsprechende Probeberechnungen des NLS zur
Verfügung standen. Die Abgeordneten diskutierten die Sachgerechtigkeit
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der Regelung im Hinblick auf einzelne Landkreise in den Sitzungen des
Ausschusses für Inneres und Sport, auch die Vertreter der kommunalen
Spitzenverbände wurden hierzu befragt. Somit hat der Gesetzgeber die
finanziellen Folgewirkungen der Neuregelung bei seiner Entscheidung
berücksichtigt.
Der weitere Einwand der Beschwerdeführer, der Gesetzgeber habe
andere sich anbietende Verteilungskriterien - insbesondere die
Straßenlänge bei dem Sonderbedarfsansatz für Kreisstraßen - nicht in den
Blick genommen, obwohl verlässliches Datenmaterial zur Verfügung
gestanden habe und dieser Faktor die Kosten realitätsgerechter abbilden
würde, kann die Sachgerechtigkeit des gewählten Flächenfaktors nicht
erschüttern. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der
Aufgabengerechtigkeit läge erst dann vor, wenn der vom Gesetzgeber
gewählte Bedarfsindikator zum Finanzbedarf für die Erledigung der
Aufgabe ersichtlich keine Beziehung mehr aufweist, nicht schon dann,
wenn es einen anderen Indikator gibt, mit dem die Abbildung
realitätsgerechter gelingen könnte.
c) Indem der Gesetzgeber für die Beschwerdeführerin zu 1. keine
Sonderregelung im NFAG n. F. wegen ihrer im Vergleich zu den übrigen
Landkreisen herausragenden Stellung vorgesehen hat, bewegt er sich
noch in den Grenzen seines verfassungsgerichtlich nicht überprüfbaren
Gestaltungsspielraums. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen
Staatsgerichtshofs muss sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der
Kriterien zur Bestimmung des notwendigen Finanzbedarfs vom
Ausgabeverhalten der einzelnen bzw. überhaupt konkreter Kommunen
lösen und fiktive Bedarfsindikatoren festlegen(Nds. StGH, Urteil vom 16.
Mai 2001, StGH 6/99 u. a., Nds. StGHE 4, 31, 60). Dabei liegt es in der
Natur der Sache, dass nicht jedem in Betracht kommenden Einzelfall durch
bis ins Einzelne differenzierende Regelungen Rechnung getragen werden
kann. Es ist dem Gesetzgeber folglich gestattet, bei der Gestaltung der
Ausgleichsregelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu
pauschalieren, dass an Regelfälle des Sachbereichs angeknüpft wird und
dabei etwaige Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben
(BayVerfGH, Entscheidungen vom 12. Januar 1998, Vf. 24-VII-94, BayVBl.
1998, S. 207, 237 = Juris Rdnr. 82 und vom 28. November 2007, Vf. 15-
VII-05, Juris Rdnr. 257; VerfGH NW, Urteil vom 8. April 2003, VerfGH 2/02,
NWVBl. 2003, S. 261 = Juris Rdnr. 45).
Nach der Rechtsprechung des Nordrhein-Westfälischen
Verfassungsgerichtshofs sind gesetzliche Sonderregelungen für einen
„Ausreißerfall“ nur dann erforderlich, wenn im Einzelfall die Abweichungen
im Stand der Verwaltungsleistungen sowie mögliche Niveauunterschiede
in der wirtschaftlichen und sozialen Betreuung der Bürger in einzelnen
Kommunen trotz der gewährten Schlüsselzuweisungen derart krass sind,
dass ein weiterer finanzieller Ausgleich zur Angleichung der
Lebensverhältnisse verfassungsrechtlich geboten ist (VerfGH NW, Urteil
vom 1. Dezember 1998, VerfGH 5/97, NWVBl. 1999, S. 136 = Juris Rdnr.
57).
Eine derartige Ausnahmesituation hat die Beschwerdeführerin zu 1. nicht
dargetan. Ausweislich der Berechnungen des NLS und des LSKN verfügte
sie - gemessen an den absoluten Umlagekraftmesszahlen für die Jahre
2007 bis 2009 - über die mit Abstand höchste Finanzkraft der Landkreise
in Niedersachsen. In der Rangfolge ihrer Umlagekraft pro Einheit
Bedarfsansatz rangierte sie bei insgesamt 43 Landkreisen in diesen
Jahren auf den Plätzen 5 und 6 (NLS, Kommunaler Finanzausgleich 2007,
L II/S-j/07, S. 31; LSKN; Kommunaler Finanzausgleich 2008, L II/S-j/08, S.
27; ders., Kommunaler Finanzausgleich 2009, L II/S-j/09, S. 27, jeweils
Spalten 4 und 6). Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass die
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Beschwerdeführerin zu 1. auch nach der Einführung des
Verteilungskriteriums der Fläche zu einer eigenverantwortlichen
Entwicklung und Aufgabengestaltung in der Lage ist.
Ob tatsächlich eine rechtlich relevante Ausreißerstellung einer Kommune
erst dann zu bejahen ist, wenn die beschriebenen Grenzen überschritten
sind, bedarf keiner weiteren Problematisierung, weil die vom Gesetzgeber
in Bezug genommene Regressionsanalyse von einwohnerbezogenem
Zuschussbedarf einerseits und qm pro Einwohner andererseits schon
keine statistische Ausreißerstellung der Beschwerdeführerin zu 1. zeigt.
Soweit Prof. Dr. T. als von der Beschwerdeführerin zu 1. benannter
sachkundiger Dritter in der mündlichen Verhandlung mit Bezug auf andere,
vom Staatsgerichtshof zur Erläuterung erbetene Korrelationsrechnungen
eine statistische Ausreißerstellung festgestellt hat, sind diese Rechnungen
nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingegangen. Nachvollziehbar hat
die Landesregierung eine Bezugnahme auf diese Rechnungen sogar
abgelehnt, weil sie den absoluten Zuschussbedarf und nicht den
Zuschussbedarf pro Einwohner betrachten. Das Abstellen auf die
Korrelationen von Zuschussbedarf und Dichte stellt sich nach dem
Verständnis des Staatsgerichtshofs auch nicht als das verschleiernde
Herauskürzen einer Auffälligkeit, sondern als die Untersuchung eines
eigenen Bedarfsindikators dar. Hinsichtlich eben dieses Indikators besteht
eine statistische Auffälligkeit der Beschwerdeführerin zu 1. nicht.
Dem Beweisantrag der Beschwerdeführerin zu 1. war folglich nicht
stattzugeben, weil der beantragte Beweis aus rechtlichen und
tatsächlichen Gründen unerheblich ist.
Nach alledem ist die Einrichtung eines Sonderbedarfsansatzes für die
Aufgaben der Kreisstraßen und der Schülerbeförderung zulässig und der
typisierende Bedarfsindikator der Fläche, der sich wie ein
Bevölkerungsdichtefaktor auswirkt, sachgerecht, weil der Gesetzgeber die
Realitätsgerechtigkeit des im Ergebnis wirksamen, abstrakten Maßstabes
nachvollziehbar finanzwissenschaftlich begründet hat.
D.
Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 StGHG gerichtskostenfrei. Auslagen sind
nach § 21 Abs. 2 Satz 2 StGHG nicht zu erstatten.