Urteil des StGH Niedersachsen vom 30.09.2011

StGH Niedersachsen: rücklage, niedersachsen, steuerschätzung, haushalt, finanzen, gesetzgebungsverfahren, stammkapital, finanzausgleich, ausschuss, kredit

Zur Verfassungsmäßigkeit von Bestimmungen der
Haushaltsgesetze 2009 und 2010
1. Die Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Art. 71 Satz 3 NV, die der
Niedersächsische Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Juli 1997
(StGHE 3, 279) entwickelt hat, gelten grundsätzlich auch für einen
Nachtragshaushalt.
2. Aus Art. 65 Abs. 1 NV ergeben sich die verfassungsrechtlichen Grundsätze
der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Die Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den
Landeshaushalt verstoßen nicht gegen diese Haushaltsgrundsätze.
3. Kredite i.S. des Art. 71 NV sind vertraglich begründete Finanzschulden, die
dem Land für eine bestimmte Zeit Geldmittel zur Finanzierung von
Haushaltsausgaben zuführen oder ihm unmittelbar die Leistung von
Haushaltsausgaben ersparen. Die niedersächsische Staatspraxis,
Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art.
71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, steht mit der Niedersächsischen
Verfassung nicht in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage
gehört von Verfassungs wegen zu den Krediten im Sinne von Art. 71 Satz 2
i.V.m. Satz 3 NV.
4. Angesichts der langjährigen - und unwidersprochenen - Staatspraxis und
im Interesse einer verlässlichen Haushaltsplanung ist es geboten, dem
Haushaltsgesetzgeber eine Übergangsfrist bei der Berücksichtigung der
Rechtslage einzuräumen. Haushaltsbeschlüsse, die ab dem 1. Januar 2012
ergehen und die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage betreffen oder zur
Aufnahme neuer Kredite ermächtigen, sind an den Voraussetzungen des Art.
71 NV zu messen.
5. Aus dem Verfassungsgrundsatz der Haushaltswahrheit (Art. 65 Abs. 1 NV)
folgt die Pflicht zur Schätzgenauigkeit. Die Veranschlagung der
Steuereinnahmen auf der Grundlage der für Niedersachsen regionalisierten
Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" lässt im Regelfall ein
angemessenes Bemühen um eine realitätsnahe Prognose der zu erwartenden
Einnahmen erkennen. Ein Abweichen von dem regionalisierten Ergebnis der
Steuerschätzung ist aber dann geboten, wenn bis zur Verabschiedung des
Haushaltsgesetzes durch den Niedersächsischen Landtag deutliche
Anzeichen erkennbar werden, die auf wesentlich verminderte
Haushaltsansätze hindeuten.
1. das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (Drittes
Nachtragshaushaltsgesetz 2009) vom 9. November 2009 (Nds. GVBl. S. 413)
2. das Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr
2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 17. Dezember 2009 (Nds. GVBl. S. 493)
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 30.09.2011, StGH 1/10, 1/10
HG ND 2009, HG ND 2010, Art 71 S 2 Verf ND, Art 71 S 3 Verf ND, Art 54 Nr 3 Verf
ND, Art 65 Abs 1 Verf ND, § 62 S 1 HO ND, § 62 S 5 HO ND, § 7 Abs 1 HO ND, § 6
Abs 1 HGrG
Tenor
§ 1 Satz 1 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 17. Dezember 2009 (Nds.
GVBl. S. 493), geändert durch das Gesetz zur Änderung des
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Haushaltsgesetzes 2010 (Nachtragshaushaltsgesetz 2010) vom 11. Oktober
2010 (Nds. GVBl. S. 471), in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301
Titel 015 11-3 ist mit Art. 65 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung
insoweit unvereinbar, als die Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) ohne
Berücksichtigung einer im März 2010 vom Land Niedersachsen zu leistenden
Ausgleichszahlung aus der Umsatzsteuerverteilung zwischen Land und Bund
und unter den Ländern veranschlagt worden sind.
Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
Gründe
A.
Gegenstand des Normenkontrollverfahrens sind § 3 Abs. 1 des Gesetzes über
die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009
(Haushaltsgesetz 2009) vom 18. Dezember 2008 (Nds. GVBl. S. 421) in der
Fassung des Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (Drittes
Nachtragshaushaltsgesetz 2009) vom 9. November 2009 (Nds. GVBl. S. 413)
und § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 17. Dezember 2009 (Nds.
GVBl. S. 493). Verfahrensgegenstand sind außerdem § 1 Satz 1 des
Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Gesetz zur Änderung des
Haushaltsgesetzes 2010 (Nachtragshaushaltsgesetz 2010) vom 11. Oktober
2010 (Nds. GVBl. S. 471), in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1302
Titel 351 11-7 und dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 sowie § 1 Satz
1 des Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Nachtragshaushaltsgesetz
2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3.
Das Verfahren betrifft zum einen die Frage, ob es mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3
der Niedersächsischen Verfassung (NV) vereinbar ist, dass § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des Dritten Nachtragshaushaltsgesetz
2009 (im Folgenden nur: 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009) und § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 das Niedersächsische Finanzministerium ermächtigen,
in den Haushaltsjahren 2009 und 2010 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom
Kreditmarkt bis zur Höhe von jeweils 2,3 Mrd. € aufzunehmen, deren Höhe die
Summe der Ausgaben für die eigenfinanzierten Investitionen im Haushaltsjahr
2009 um 998 Mio. € und im Haushaltsjahr 2010 um 1,061 Mrd. € übersteigen.
Zum anderen wirft das Verfahren die Frage auf, ob § 1 Satz 1 des
Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2010
(im Folgenden nur: Haushaltsgesetz 2010) in Verbindung mit dem Einzelplan 13
Kapitel 1302 Titel 351 11-7 und dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8
gegen die verfassungsgeschützten Grundsätze der Haushaltswahrheit und der
Haushaltsklarheit dadurch verstößt, dass zur Deckung von Ausgaben auf die
allgemeine Rücklage in Höhe von 730 Mio. € zurückgegriffen wird. Ferner betrifft
das Verfahren die Frage, ob § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in
Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 den
verfassungsgeschützten Grundsatz der Jährlichkeit der Haushaltsplanung
deshalb verletzt, weil der im März 2010 fällige Erstattungsanspruch des Bundes
aus der Umsatzsteuerverteilung 2009 nicht im Haushaltsplan 2010
berücksichtigt worden ist.
I.
1. Durch § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2009 wurde der Haushaltsplan für
das Haushaltsjahr 2009 in Einnahme und Ausgabe auf 24 745 212 000 €
festgestellt. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 ermächtigte das
Niedersächsische Finanzministerium, im Haushaltsjahr 2009 zur Deckung von
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Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von 250 000 000 €
aufzunehmen. Der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 sah in seiner
ursprünglichen Fassung in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 in
Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 zum Ausgleich
des Haushalts eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 425
948 000 € vor. In Einzelplan 13 Kapitel 1320 Titel 133 11-8 war ein Ertrag von
rund 280 000 000 € aus der Veräußerung von Stammkapital an der Nord/LB
veranschlagt.
Das Haushaltsgesetz 2009 erfuhr in der Folgezeit mehrfache Änderungen.
Das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009
(Nachtragshaushaltsgesetz 2009) und zur Umsetzung des Konjunkturpakets II
vom 6. März 2009 (Nds. GVBl. S. 52) änderte § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes
2009 dahin, dass der Haushaltsplan 2009 in Einnahme und Ausgabe auf 25 553
346 000 € festgestellt wurde. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 blieb
ebenso wie Einzelplan 13 Kapitel 1320 Titel 133 11-8 unverändert. Die
Entnahme aus der allgemeinen Rücklage war mit 670 909 000 € veranschlagt.
Eine weitere Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 erfolgte durch Art. 4 des
Niedersächsischen Gesetzes über die Anpassung der Besoldung und der
Versorgungsbezüge in den Jahren 2009 und 2010 vom 14. Mai 2009 (im
Folgenden nur: 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2009, Nds. GVBl. S. 203). § 1 Satz
1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 2.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 stellte den Haushaltsplan für das
Haushaltsjahr 2009 in Einnahme und Ausgabe nunmehr auf 25 624 721 000 €
fest. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 und Einzelplan 13 Kapitel 1320
Titel 133 11-8 erfuhren wiederum keine Änderung. Die Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage erhöhte sich auf 742 284 000 €.
Nach dem Ergebnis der Steuerschätzung vom 12. bis 14. Mai 2009 ergaben
sich für das Land Niedersachsen gegenüber dem Haushaltsplan 2009
Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,261 Mrd. €. Daraufhin brachte die
Landesregierung den Entwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 beim
Niedersächsischen Landtag ein. Darin war eine Erhöhung der
Kreditaufnahmeermächtigung auf 2,3 Mrd. € vorgesehen. Diese
Nettokreditaufnahme überstieg die eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71
Satz 2 NV um 998 Mio. €.
Hierzu führte die Begründung des Gesetzentwurfs unter anderem aus, dass
aufgrund der weltweiten Entwicklungen im Zuge der Finanz- und
Wirtschaftskrise eine massive Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts eingetreten sei. Die Begründung des Gesetzentwurfs stützte
diese Beurteilung insbesondere auf die Gemeinschaftsdiagnose der führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute vom 21. April 2009 und das Ergebnis der
Frühjahrsprojektion der Bundesregierung. Infolge eines massiven
wirtschaftlichen Einbruchs und abweichend von einer konjunkturellen
Normalsituation sei ein außergewöhnlicher Rückgang des Bruttoinlandsprodukts
von 6 % zu erwarten. Die Binnenkonjunktur werde sich durch eine geringe
Investitionstätigkeit erheblich abschwächen. Als Folge seien die
Produktionskapazitäten in Deutschland bei weitem nicht ausgelastet. Aus dieser
Entwicklung leite sich für den Arbeitsmarkt die Annahme einer starken Zunahme
der Arbeitslosigkeit auf jahresdurchschnittlich 3,7 Mio. Personen ab. Die
Bundesregierung habe ebenfalls eine ernsthafte und nachhaltige Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts angenommen und zur Grundlage ihrer
Haushaltsentscheidungen gemacht. Die Feststellungen für die Bundesebene
träfen auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu. Die die
Grenze des Art. 71 Satz 2 NV überschreitende Nettokreditaufnahme sei
erforderlich, um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im
Rahmen des Art. 71 Satz 3 NV abzuwehren. Substantielle
Einnahmeverbesserungen seien für Niedersachsen derzeit nicht erreichbar. Ein
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Ausgleich der erwarteten Steuermindereinnahmen wäre daher nur durch
weitreichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich umzusetzen. Eine
sinkende staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten
und die nach § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums
der Wirtschaft (StWG) bestehende Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und
finanzpolitischen Maßnahmen des Landes die Erfordernisse des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Darüber hinaus hielten es
Bund und Länder in großer Übereinstimmung für geboten, zur Abwehr der
Störung in den Jahren 2009 und 2010 über die bisherige Planung hinaus
zusätzliche Mittel für Investitionen der Kommunen und der Länder zu
mobilisieren. In Niedersachsen ermögliche die Umsetzung des
Zukunftsinvestitionsgesetzes im Rahmen des Konjunkturpakets II mit einem
Programmvolumen von gut 1,2 Mrd. € eine Vielzahl zusätzlicher Maßnahmen in
2009 und 2010, zu denen noch rund 163 Mio. € für das sogenannte
Aufstockungsprogramm des Landes hinzukämen. Die vorgesehene
Kreditermächtigung sei erforderlich, um die Handlungsfähigkeit des Staates und
damit auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern.
Zur Einbringung des Gesetzentwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009
führte der Niedersächsische Finanzminister in der 45. Plenarsitzung des 16.
Niedersächsischen Landtags am 23. September 2009 unter anderem aus,
Einnahmeausfälle könnten nicht durch Ausgabenkürzungen aufgefangen
werden. Dies würde die "Initiative Niedersachsen" und die
Konjunkturprogramme von Bund und Ländern torpedieren, mit denen die
Wirtschaftskrise bekämpft werden solle. Aus diesem Grunde müssten tiefe
Einschnitte in die Ressorthaushalte vermieden werden. Im Hinblick auf die zu
finanzierenden Programme verwies der Finanzminister unter anderem auf die
Sanierung kommunaler Sportstätten, Zuschüsse an die regional finanzierten
Forschungsinstitute, Unterhaltung von Landesstraßen sowie zusätzliche Stellen
für pädagogische Mitarbeiter an Förder- und Ganztagsschulen. Das Land
Niedersachsen liege mit seinen Steuereinnahmen bisher zwar nur um 50 Mio. €
unter dem Soll. Durch ein sehr hohes Umsatzsteueraufkommen würden
Mindereinnahmen bei fast allen anderen Steuerarten momentan weitgehend
ausgeglichen. Die Steuermindereinnahmen würden Niedersachsen aber auch
über den Länderfinanzausgleich erreichen.
Die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium unterrichtete den
Ausschuss für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 darüber, dass
die erkennbar günstigere Einnahmeentwicklung in Niedersachsen von plus 12
% bei Steuern, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen bis
August 2009 in einem starken Kontrast zur bundesweiten Entwicklung von
minus 6 % bei den Steuereinnahmen der Länder stehe. Der niedersächsische
Sondereffekt habe seine Ursache darin, dass aufgrund der Krise bei der
Umsatzsteuer verringerte Vorsteuerabzüge anfielen. Originäre
Steuereinnahmen und Einnahmen im bundesstaatlichen Finanzausgleich
stünden aber in einer Wechselbeziehung, so-dass sich die
Einnahmeentwicklung auch in Niedersachsen noch abschwächen werde.Die
Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € sei zur Abwehr einer nachhaltigen Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts unumgänglich. Mit dem Ziel, eine
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren, unterstütze
der Bund im Rahmen des Konjunkturpakets II zusätzliche Investitionen der
Kommunen und der Länder. Für die „Initiative Niedersachsen“ stünden rund 1,4
Mrd. € bereit. Investiert werde in Bildung und Hochschulen, energetische
Sanierung und Infrastrukturmaßnahmen. Im 3. Nachtragshaushalt 2009 seien
infolge der Verschärfung des Einstellungsstopps die Personalausgaben
gegenüber dem 2. Nachtragshaushalt 2009 um 10,5 Mio. € reduziert worden.
Weitere Einsparungen würden dadurch erzielt, dass der Aufbau des
Sondervermögens „Niedersächsischer Versorgungsfonds“ zurückgestellt werde
und aus der Versorgungsrücklage 69 Mio. € entnommen würden. Die
Veräußerung von Stammkapital an der Nord/LB solle angesichts der
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Auswirkungen der Finanzmarktkrise um ein Jahr verschoben werden.
Der Präsident des Niedersächsischen Landesrechnungshofs führte vor dem
Ausschuss für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 aus, er stimme
der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009
zwar insoweit zu, als dort ausgeführt sei, die Haushalts- und Finanzplanung der
öffentlichen Haushalte müsse den weltweiten Entwicklungen im Zuge der
Finanz- und Wirtschaftskrise Rechnung tragen. Die veränderten
Rahmenbedingungen würden aber nicht dazu führen, dass im Haushaltsjahr
2009 eine Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € notwendig sei. Die
Mehrausgaben infolge des Niedersächsischen Zukunftsinvestitionsgesetzes
seien mit dem 1. Nachtragshaushalt 2009 gegenfinanziert worden. Mit dem 2.
Nachtragshaushalt 2009 seien weitere, nicht konjunkturbedingte Mehrausgaben
des Landes finanziert worden. Ausgabeseitig gebe es daher keinen
Handlungsbedarf. Mit dem 3. Nachtragshaushalt 2009 seien nur die
konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen auszugleichen, die ausweislich
der regionalisierten Steuerschätzung für das Haushaltsjahr 2009 brutto 1,261
Mrd. € betrügen. Zum Ausgleich des Haushalts 2009 würden somit höchstens
1,261 Mrd. € benötigt. Dieser Betrag begrenze haushalts- und
verfassungsrechtlich die Höhe der Neuverschuldung. Auch diese Obergrenze
müsse aber nicht ausgeschöpft werden, da das niedersächsische Steuer-Ist-
Aufkommen deutlich höher sei, als es die Steuerschätzung im Mai prognostiziert
habe. Entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs sei es nicht zulässig,
durch eine überhöhte Kreditaufnahme die Handlungsfähigkeit des Landes und
damit auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern. Die
planmäßige Bildung haushaltsrechtlicher Reserven durch Schonung der
allgemeinen Rücklage und durch den Verzicht auf den Verkauf von
Stammkapital der Nord/LB zur mittelfristigen Sicherung der Handlungsfähigkeit
sei mit Art. 71 NV unvereinbar.
In der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober
2009 unterrichtete ein Vertreter des Niedersächsischen Finanzministeriums den
Ausschuss darüber, dass Niedersachsen bis einschließlich September 2009
Steuermindereinnahmen von lediglich 260 Mio. € zu verzeichnen gehabt habe.
Diese Entwicklung sei eine Anomalie, die sich spätestens über die
Ausgleichsmechanismen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs wieder
nivellieren werde. Im Dezember 2009 müsse Niedersachsen rund 800 Mio. € in
den bundesstaatlichen Finanzausgleich einzahlen. Das Finanzministerium
wisse nicht, wie sich die Steuereinnahmen in den letzten drei Monaten des
Jahres 2009 entwickeln würden. Aber selbst wenn Niedersachsen die
prognostizierten Steuermindereinnahmen von 1,3 Mrd. € nicht ganz erreichen
würde, bliebe immer noch eine im März 2010 fällig werdende
Ausgleichszahlung, die periodengerecht in das Jahr 2009 gehöre. Das
Niedersächsische Finanzministerium halte daher an seiner bisherigen
Einschätzung zur Entwicklung der Steuereinnahmen fest. In der 53. Sitzung des
Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 19. November 2009 teilte eine
Vertreterin des Niedersächsischen Finanzministeriums dem Ausschuss mit, das
Finanzministerium rechne für März 2010 mit einer Ausgleichszahlung an den
Bund in dreistelliger Millionenhöhe.
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 legten Mitglieder der die Landesregierung
tragenden Landtagsfraktionen dar, dass auch ihrer Auffassung nach eine
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben sei. Das Land
könne gegen die Krise nicht ansparen. Einnahmeausfälle könnten nicht durch
Ausgabenkürzungen aufgefangen werden, da das Land sonst als Investor und
Motor bei konjunkturbelebenden Maßnahmen ausfallen würde. Die Krise
verlange antizyklisches Handeln, das nur mittels der höheren Neuverschuldung
darstellbar sei. Die Regierungsfraktionen teilten auch nicht die vom
Landesrechnungshof geäußerte Kritik an der Kreditaufnahme. Sie schlössen
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sich der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich an. Soweit der
Landesrechnungshof bemängelt habe, die Kreditermächtigung dürfe wegen des
Jährlichkeitsprinzips nicht der Sicherung der mittelfristigen Handlungsfähigkeit
dienen, sei die Begründung des Gesetzentwurfs lediglich missverständlich. Es
habe deutlich gemacht werden sollen, dass der zur Abwehr der Störungslage
erforderliche Verzicht auf Einnahmeerhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen
geeignet sei, die Handlungsfähigkeit des Landes zu sichern. Die vorgesehene
Kreditaufnahme sei auch verfassungsgemäß, soweit sie die eigenfinanzierten
Investitionen des Landes um 998 Mio. € übersteige. Nach dem Ergebnis der
Mai-Steuerschätzung beliefen sich die für 2009 zu erwartenden
Steuermindereinnahmen auf 1,261 Mrd. €. Sie seien damit sogar um 260 Mio. €
höher als die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende
Kreditermächtigung von 998 Mio. €. Ferner sei es zulässig, von der Entnahme
aus der allgemeinen Rücklage und dem Verkauf von Stammkapital der Nord/LB
abzusehen. Zudem entspreche es allgemeiner niedersächsischer
Haushaltspraxis, auch bei kreditfinanzierten Haushalten Rücklagen zu erhalten
und zeitbestimmt einzusetzen. Eine rechtliche Verpflichtung, vorrangig Mittel der
allgemeinen Rücklage zu entnehmen oder Vermögen des Landes zu einem
bestimmten Zeitpunkt einzusetzen, bestehe nach der Niedersächsischen
Verfassung nicht.
Der Niedersächsische Finanzminister führte in der 48. Plenarsitzung des 16.
Niedersächsischen Landtags am 28. Oktober 2009 unter anderem aus, nach
der Niedersächsischen Verfassung gebe es keine Abhängigkeit zwischen den
Steuermindereinnahmen und der Höhe der Nettokreditaufnahme. Das Land
könne gegen die Einnahmeausfälle, die aufgrund der Mai-Steuerschätzung
erkennbar geworden seien, nicht mit Haushaltssperren, Einstellungsstopps oder
Ähnlichem angehen. Einsparungen in dieser Größenordnung wären nur
möglich, indem Baumaßnahmen und Investitionen nicht getätigt, Bauaufträge für
den Straßenbau nicht erteilt oder Fahrzeuge und Geräte nicht gekauft würden.
Solche Maßnahmen würden die Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts aber noch verschärfen. Die vorgeschlagene Kreditaufnahme sei
deshalb wegen der krisenbedingten Steuerausfälle und zur Finanzierung der
weiteren Ausgaben notwendig.
Mitglieder der Oppositionsfraktionen äußerten sich im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen unter anderem dahin, dass es zwar richtig sei,
die Ausgabenseite nicht zu verändern. Dies wäre ein prozyklisches Verhalten
und nicht angemessen. Die Veränderungen auf der Einnahmeseite seien
allerdings nicht zu akzeptieren. Basis des 3. Nachtragshaushalts 2009 müsse
die Mai-Steuerschätzung sein, aufgrund der Steuermindereinnahmen in Höhe
von etwa 1,3 Mrd. € zu erwarten seien. Eine Nettokreditaufnahme, die die
eigenfinanzierten Investitionen übersteige, sei nur als ultima ratio zulässig. In
einer solchen Situation dürfe das Land die Einnahmeseite des Haushalts nicht
noch einmal durch eigene Maßnahmen verschlechtern. Die
Rücklagenentnahme und der ursprünglich vorgesehenen Verkauf der Anteile
am Stammkapital der Nord/LB dürften daher nicht unterbleiben.
Der Ausschuss für Haushalt und Finanzen empfahl dem Niedersächsischen
Landtag in seiner Beschlussempfehlung vom 21. Oktober 2009, den
Gesetzentwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 mit den von den
Fraktionen der CDU und FDP vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen. Der
16. Niedersächsische Landtag beschloss das 3. Nachtragshaushaltsgesetz
2009 in seiner 48. Sitzung am 28. Oktober 2009 mit den vom Ausschuss für
Haushalt und Finanzen empfohlenen Änderungen. Das Gesetz wurde am 9.
November 2009 verkündet und trat am Tag nach der Verkündung in Kraft. Ein
Änderungsantrag der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, der die
Verringerung der Kreditaufnahmeermächtigung auf 1,55 Mrd. € und Entnahmen
aus Rücklagen in Höhe von 917,4 Mio. € zum Gegenstand hatte, blieb ohne
Mehrheit.
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Das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sieht eine Verminderung des
Haushaltsvolumens auf 25 464 019 000 € vor. Die Kreditaufnahmeermächtigung
erhöht sich von 250 Mio. € auf 2,3 Mrd. €. Die im 2. Nachtragshaushalt 2009
vorgesehene Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 742 284
000 € ist im 3. Nachtragshaushalt 2009 nicht mehr enthalten. Außerdem sieht
der 3. Nachtragshaushalt 2009 keinen Erlös aus der ursprünglich geplanten
Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB mehr vor.
2. Für das Haushaltsjahr 2010 ergab die Steuerschätzung vom 12. bis 14. Mai
2009 nach der Regionalisierung für Niedersachsen Steuereinnahmen
einschließlich der Kompensation für die Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 16,91
Mrd. €. Die Mittelfristige Planung (Mipla) der Niedersächsischen
Landesregierung für 2008 - 2012 war noch von Steuereinnahmen in Höhe von
19,3 Mrd. € ausgegangen. Nach dem Ergebnis der Steuerschätzung betrugen
die Steuermindereinnahmen gegenüber der Mipla somit 2,39 Mrd. €.
Die Niedersächsische Landesregierung brachte unter dem 25. August 2009
beim Niedersächsischen Landtag den Entwurf eines Gesetzes über die
Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 einschließlich des
Entwurfs des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Gesamtplan) ein. Der
Gesetzentwurf sah vor, den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2010 in
Einnahme und Ausgabe auf 25 165 462 000 € festzustellen. Ferner sollte das
Finanzministerium ermächtigt werden, im Haushaltsjahr 2010 zur Deckung von
Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von 2,3 Mrd. € aufzunehmen.
Zur Begründung führte die Landesregierung unter anderem aus, eine Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts werde auch im Haushaltsjahr 2010
vorliegen. Die deutsche Wirtschaft befinde sich nach den Feststellungen der
führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose vom
21. April 2009 in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik.
Die Produktionskapazitäten in Deutschland würden bei weitem nicht ausgelastet
sein. Aus dieser Entwicklung leite sich eine starke Zunahme der Arbeitslosigkeit
ab. Auch nach den übrigen aktuellen Wirtschaftsdaten und den in die Zukunft
reichenden Indikatoren sei sicher davon auszugehen, dass eine konjunkturelle
Normallage im Haushaltsjahr 2010 nicht erreicht werden könne. Nach der
aktuellen gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzung der Bundesbank
(Monatsbericht Juni 2009) zeichne sich für das Jahr 2010 vielmehr eine
unverändert niedrige Wirtschaftsaktivität ab. Die Feststellungen und Prognosen
für die Bundesebene träfen auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in
Niedersachsen zu. Es sei deshalb notwendig, im Haushaltsplanentwurf 2010
eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 2,3 Mrd. € zu veranschlagen, die um
1,061 Mrd. € über der Grenze der eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71
Satz 2 NV liege. Substanzielle Einnahmeverbesserungen seien für das Land
Niedersachsen derzeit nicht erreichbar. Ein Ausgleich der erwarteten
Mindereinnahmen wäre daher - soweit möglich - nur durch weitreichende
Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich umzusetzen. Eine sinkende
staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten und die
nach § 1 StWG bestehende Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und
finanzpolitischen Maßnahmen des Landes die Erfordernisse des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Bund und Länder hielten
es deshalb für geboten, zur Abwehr der Störung über die bisherige Planung
hinaus zusätzliche Mittel für Investitionen der Kommunen und der Länder zu
mobilisieren. In Niedersachsen ermögliche die Umsetzung des
Zukunftsinvestitionsgesetzes mit einem Programmvolumen von gut 1,2 Mrd. €
eine Vielzahl zusätzlicher Maßnahmen, zu denen noch rund 163 Mio. € für das
sogenannte Aufstockungsprogramm des Landes hinzukommen würden.
Der Finanzminister wies in seiner Rede in der 45. Plenarsitzung des 16.
Niedersächsischen Landtags zur Einbringung des Haushaltsgesetzes 2010 am
23. September 2009 darauf hin, dass Einnahmeausfälle nicht durch
Ausgabenkürzungen aufgefangen werden könnten. Zu den Steuereinnahmen
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führte der Niedersächsische Finanzminister in der 54. Plenarsitzung des 16.
Niedersächsischen Landtags am 14. Dezember 2009 unter anderem aus, dass
trotz der überproportional starken Umsatzsteuereinnahmen für das Jahr 2010
Steuermindereinnahmen von 1,3 Mrd. € einzuplanen seien, wie die November-
Steuerschätzung zeige.Die zeitliche Zuordnung der Steuermindereinnahmen sei
ausgesprochen schwierig. Deshalb seien die Jahre 2009 und 2010 gemeinsam
zu betrachten. Die im März 2010 fällige Rückzahlung im bundesstaatlichen
Finanzausgleich sei wirtschaftlich dem Jahr 2009 zuzurechnen, weil sie sich vor
allem aus den Steuerströmen dieses Jahres berechne. Der Vorsitzende der
Landtagsfraktion der CDU unterstrich in seiner Rede in der 45. Plenarsitzung
des 16. Niedersächsischen Landtags ebenfalls, das Land könne gegen die
Krise nicht ansparen, da es sonst als Investor und Motor bei
konjunkturbelebenden Maßnahmen ausfallen würde. Dies würde die Krise nur
verschärfen. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion der FDP führte am 13.
Dezember 2009 in der 57. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags
aus, die Nettokreditaufnahme sei unausweichlich, weil ohne sie die Investitionen
in Infrastrukturprojekte und Innovationen, mit denen gegen die Wirtschaftskrise
angegangen werden solle, nicht darstellbar seien.
Mitglieder der Landesregierung und der die Landesregierung tragenden
Landtagsfraktionen legten im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des
Haushaltsgesetzes 2010 im Einzelnen dar, für welche Bereiche nach dem
Haushaltsplanentwurf 2010 Mittel verausgabt werden sollten. Die Redebeiträge
hoben insoweit insbesondere die Bereiche Bildung, Wirtschafts- und
Innovationsförderung, Forschung und Sicherheit hervor. So werde der Ausbau
der Krippen und der Ganztagsschulen gefördert. Im Hochschulbereich stünden
zusätzlich zu den Mitteln des Konjunkturpaketes II insgesamt rund 235 Mio. € für
Bau- und Geräteinvestitionen zur Verfügung. Das Land gebe insgesamt 265
Mio. € mehr für Bildung aus. Bei den Mitteln für Infrastruktur und
Wirtschaftsförderung stünden nach Abzug der Personalausgaben und der
Nutzungsentgelte für Liegenschaften 499 Mio. € für ausschließlich aus
Landesmitteln finanzierte Ausgaben zur Verfügung. Diese sollten
schwerpunktmäßig in die Bereiche Häfen (201 Mio. €), Straßen (182 Mio. €)
sowie Luft- und Raumfahrt (20 Mio. €) fließen. Durch die gerade in der Krise
gebotenen Investitionen in die Häfen würden Arbeitsplätze an der Küste
geschaffen. Deshalb seien in diesem Bereich keine Einsparungen
vorzunehmen. Auch für die Förderung von Krankenhäusern und den
Hochwasserschutz im Binnenland würden Mittel bereitgestellt. Dem
Wirtschaftsförderfonds würden 50 Mio. € zugeführt. Förderschwerpunkt sei die
finanzielle Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Entwicklung
innovativer Produkte, Produktionsverfahren und Dienstleistungen. Fördermittel
für die Sanierung kommunaler Sportstätten stünden in Höhe von 50 Mio. € zur
Verfügung. Die Ausgaben für Filmförderungen und zur Förderung der
Medienwirtschaft seien als ein Beitrag zur Weiterentwicklung des
Medienstandortes Niedersachsen angesichts der Auswirkungen der Finanzkrise
wichtiger denn je. Alle diese Programme und Maßnahmen würden der
Konjunktur helfen, vor allem der Bauwirtschaft und dem örtlichen
mittelständischen Handel und Handwerk. Zusammenfassend sei die
Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € als ultima ratio geboten.Ohne sie könne
auch das Konjunkturprogramm II nicht erfolgreich umgesetzt werden, sodass
keine die Konjunktur stützenden Effekte entstünden, sondern stattdessen
Stillstand eintrete. Diese Konsequenzen seien nicht hinnehmbar.
Die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium legte am 30.
September 2009 in der 42. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen
unter anderem dar, welche Einsparungsmaßnahmen mit dem Haushalt 2010
noch realisiert werden sollten. Sie nannte in diesem Zusammenhang
insbesondere Einsparungen bei den Personalausgaben. Mit dem
Haushaltsplanentwurf werde das Ziel nahezu vollständig erreicht, bis zum Jahr
2010 insgesamt 6743 Stellen und Stellenäquivalente mit den entsprechenden
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Vollzeiteinheiten und Budgetanteilen im Landesbereich entbehrlich zu stellen.
Hieraus ergebe sich zum Stand des Haushaltsplanentwurfs 2010 auf der Basis
des aktuellen Bezügeniveaus eine dauerhafte Haushaltsentlastung von rund
291 Mio. € jährlich. Außerdem sollten ab dem Haushaltsjahr 2010 keine weiteren
Zuführungen mehr an das Sondervermögen "Niedersächsischer
Versorgungsrücklage" geleistet werden. Die dafür sonst nötigen Haushaltsmittel
würden die Nettokreditaufnahme weiter erhöhen.
Der Präsident des Landesrechnungshofs bezweifelte vor dem Ausschuss für
Haushalt und Finanzen hingegen, dass die veranschlagte Neuverschuldung in
dieser Höhe unabweisbar sei. Zum einen könnten Zweifel bestehen, ob die Mai-
Steuerschätzung mit dem dort zugrunde gelegten Rückgang des
Bruttoinlandsproduktes von nominal 6,0 % (real 5,3 %) die Realität treffe.
Mögliche Korrekturen aus der November-Steuerschätzung müssten zu einer
Reduktion der Kreditspielräume genutzt werden.Zum anderen dürfe nicht außer
Acht gelassen werden, dass der hohe Kreditbedarf 2010 nur zum Teil aus
Steuermindereinnahmen resultiere. Insoweit erinnerte der Präsident des
Landesrechnungshofs an die hohen Handlungsbedarfe von 985 Mio. € aus der
Mipla, die in das strukturelle Defizit des Haushaltsentwurfs 2010 eingeflossen
seien. Der haushaltspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der FDP vertrat in
der Ausschussberatung demgegenüber die Auffassung, das Land habe in der
Zeit von 2003 bis 2008 die Nettoneuverschuldung um 90 % reduziert. Diese
Konsolidierungspolitik habe dazu beigetragen, dass das Land auf die
dramatische Finanzsituation besser vorbereitet gewesen sei und besser habe
reagieren können. Der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CDU-
Fraktion im Niedersächsischen Landtag verwies darauf, dass die Mipla für die
Haushaltsjahre nach 2010 eine schrittweise Reduzierung der Neuverschuldung
vorsehe.
Der Ausschuss für Haushalt und Finanzen empfahl dem Niedersächsischen
Landtag mit Beschlussempfehlung vom 9. Dezember 2009, den Gesetzentwurf
des Haushaltsgesetzes 2010 mit Änderungen anzunehmen. Zu diesen
Änderungen gehörte auch die Berücksichtigung der Ergebnisse der
Steuerschätzung November 2009. Eine Änderung von § 3 Abs. 1 des
Gesetzentwurfs sah die Beschlussempfehlung demgegenüber nicht vor.
Der 16. Niedersächsische Landtag beschloss das Haushaltsgesetz 2010 in
seiner 57. Sitzung am 17. Dezember 2009. Er folgte dabei den
Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Haushalt und Finanzen mit den
von den Regierungsfraktionen vorgeschlagenen Änderungen. Ein
Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der unter anderem eine Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage von 745 Mio. € vorsah, und ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine Verminderung der
Kreditaufnahmeermächtigungen auf 1 919 696 000 € beinhaltete, fanden keine
Mehrheiten. Das Haushaltsgesetz 2010 wurde am 17. Dezember 2009
verkündet und trat am 1. Januar 2010 in Kraft.
Das Haushaltsgesetz 2010 stellt im § 1 den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr
2010 in Einnahme und Ausgabe auf 25 142 571 000 € fest. Das
Finanzministerium wird gemäß § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010
ermächtigt, im Haushaltsjahr 2010 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom
Kreditmarkt bis zur Höhe von 2,3 Mrd. € aufzunehmen. In Einzelplan 13 Kapitel
1302 - 351 11-7 in Verbindung mit Kapitel 5131 Titel 919 11-8 ist eine Entnahme
aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 730 Mio. € veranschlagt. Die
Ansätze aus Steuern und steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich
und Bundesergänzungszuweisungen) leitete der Haushaltsgesetzgeber von der
zentralen Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 3. bis 5.
November 2009 ab, wie die Erläuterungen zu Einzelplan 13 Kapitel 1301 und
Einzelplan 13 Kapitel 1310 Titel 211 11 und 212 11 darlegen. Einen Abschlag
("Rotabsetzung") von diesen Haushaltsansätzen wegen einer im März 2010
fällig werdenden Rückzahlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich nahm der
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Haushaltsgesetzgeber nicht vor.
Das Nachtragshaushaltsgesetz 2010 änderte § 1 des Haushaltsgesetzes 2010
dahin, dass das Haushaltsvolumen auf 24 843 571 000 € herabgesetzt und der
Gesamtplan entsprechend angepasst wurde. Hieraus ergaben sich auch
Änderungen der Einzelpläne, insbesondere des Einzelplans 13. Die in dem
vorliegenden Verfahren angegriffenen Haushaltsansätze sind hiervon allerdings
nicht betroffen.
II.
59 Mitglieder des Niedersächsischen Landtags, Angehörige der SPD-Fraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, begehren eine verfassungsrechtliche
Überprüfung der in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des
3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 und der in § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 erteilten Ermächtigungen zur Kreditaufnahme, soweit
die Kreditaufnahmeermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen
übersteigen. Ferner begehren sie eine verfassungsrechtliche Überprüfung, ob
das Haushaltsgesetz 2010 gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit
und Haushaltsklarheit verstößt, soweit es zur Deckung von Ausgaben auf die
allgemeine Rücklage zurückgreift. Darüber hinaus machen sie geltend, das
Haushaltsgesetz 2010 verstoße gegen das Verfassungsgebot der Jährlichkeit
der Haushaltsplanung, weil ein im März 2010 fälliger Erstattungsanspruch des
Bundes aus der Umsatzsteuer 2009 nicht dem Haushaltsplan 2010 zugeordnet
worden sei.
Die Antragsteller haben in der mündlichen Verhandlung am 30. September 2011
beantragt, der Staatsgerichtshof möge im Wege der Normenkontrolle gemäß Art.
54 Nr. 3 NV feststellen, dass
1. Art. 1 § 3a des Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (3.
Nachtragshaushaltsplan 2009) vom 9. November 2009 nicht mit Art. 71
Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vereinbar und damit nichtig ist, soweit die
Kreditermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen (um
998 Mio. €) übersteigen,
2. das Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes für das
Haushaltsjahr2010 vom 17. Dezember 2009
a) nicht mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vereinbar ist, soweit in § 3 Abs.
1 dieses Gesetzes die Kreditermächtigungen die Höhe der
eigenfinanzierten Investitionen (um 1,061 Mrd. €) übersteigen,
b) gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit verstößt, soweit es zur Deckung von Ausgaben auf die
allgemeine Rücklage in Höhe von 730 Mio. € (Einzelplan 13 Kapitel 1302
Titel 351 11-7 i.V.m. Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8)
zurückgreift,
c) gegen das Verfassungsgebot der Jährlichkeit der Haushaltsplanung
verstößt, soweit der Erstattungsanspruch des Bundes i.H.v. 611 Mio. € aus
der Umsatzsteuer 2009 trotz Fälligkeit im März 2010 nicht dem
Haushaltsplan 2010 haushaltsrechtlich zugeordnet wurde,
und wegen der Verstöße zu a), b) und c) insoweit verfassungswidrig und
damit nichtig ist.
III.
Zur Begründung tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor:
1. Die Überschreitung der Regel-Obergrenze des Art. 71 Satz 2 NV durch das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sei nicht zur Abwehr einer Störung des
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Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sei nicht zur Abwehr einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bestimmt und geeignet.
a) Art. 71 Satz 2 NV verlange als Regel-Obergrenze, dass die
Kreditermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen nicht
überstiegen. Neben der Absicht, den Staat daran zu hindern, konsumtive
Ausgaben über Kredite zu finanzieren, gebiete es auch die
generationenübergreifende Betrachtungsweise und Verantwortung, eine
Neuverschuldung nur in dem Umfang zuzulassen, wie mit kreditfinanzierten
Investitionen bleibende Werte auch für die nachfolgende Generation geschaffen
würden und von dieser genutzt werden könnten. Art. 71 Satz 3 NV sei nach der
Rechtsprechung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs eine
Ausnahmebestimmung gegenüber Art. 71 Satz 2 NV, weil es Art. 71 Satz 3 NV
in einer Krisensituation zulasse, auch staatlichen Konsum mit Krediten zu
finanzieren. Da sich schon die in der Niedersächsischen Verfassung
vorgesehene Regel-Kreditlinie des Art. 71 Satz 2 NV als wenig geeignet
erwiesen habe, der Neuverschuldung des Staates Grenzen zu setzen, müsse
die erweiterte Möglichkeit einer krisenbedingten zusätzlichen Kreditaufnahme
gemäß Art. 71 Satz 3 NV als absoluter Ausnahmetatbestand angesehen
werden. Hiernach sei eine Überschreitung der Regel-Obergrenze für
Kreditermächtigungen als ultima ratio nur zulässig, wenn eine nachhaltige
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege, die erhöhte
Kreditaufnahme dazu bestimmt und geeignet sei, die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren und im
Gesetzgebungsverfahren entsprechende Darlegungen erfolgt seien.
b) Die Darlegungen der Landesregierung zur Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts seien sowohl in der Begründung des
Gesetzentwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 als auch in den
Beratungsgremien dürftig ausgefallen. Der Bund habe zwar eine entsprechende
Feststellung für die gesamte Bundesrepublik getroffen, welcher sich die
Landesregierung angeschlossen habe. Der neueren Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen (VerfGH NW,
NWVBl 2011, 218) sei aber zu entnehmen, dass das Vorliegen einer Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts landesbezogen festgestellt werden
müsse. Die Begründung des Gesetzentwurfs führe hierzu nur aus, dass die
Feststellungen zur Störungslage auf Bundesebene auch für die
gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zuträfen. Damit habe die
Landesregierung ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht nicht dargelegt.
Die gegenüber dem Ergebnis der Steuerschätzung aus Mai 2009 höheren
Steuereinnahmen hätten für die Landesregierung Anlass sein müssen, der
Frage nachzugehen, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts in Niedersachsen vorgelegen habe.
c) Die erhöhte Kreditaufnahmeermächtigung müsse zur Bekämpfung der
Wirtschaftskrise bestimmt und geeignet sein, soweit sie das investive
Ausgabenvolumen übersteige. Die erhöhte Kreditaufnahme müsse nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) final auf die
Störungsabwehr bezogen sein. Nicht „bestimmt“ und „geeignet“ seien
Kreditermächtigungen, die zum Ausgleich des Haushaltes deshalb nicht
benötigt würden, weil die Landesregierung für das Haushaltsjahr 2009 zu hohe
Steuerausfälle prognostiziert habe. Dadurch habe sie auch den Bedarf an
Kreditermächtigungen zur Schließung der Deckungslücke überzogen hoch
veranschlagt. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit enthalte das Gebot, die in
einem Haushaltsjahr voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die
voraussichtlich zu leistenden Ausgaben mit größtmöglicher Genauigkeit zu
errechnen oder zu schätzen sowie das Verbot, Beträge und Sachverhalte zu
verschleiern oder vorzutäuschen. Unvermeidliche Ungewissheiten und Risiken
seien auf ein Minimum zu reduzieren.
Die Landesregierung habe sich bei der Beurteilung der für 2009 zu erwartenden
Steuermindereinnahmen an der Mai-Steuerschätzung orientiert und die
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Ergebnisse für Niedersachsen regionalisiert. Im Hinblick auf den absoluten
Ausnahmecharakter des Art. 71 Satz 3 NV hätte die Landesregierung aber
einen Abgleich mit der tatsächlichen Entwicklung der Steuereinnahmen in
Niedersachsen vornehmen müssen. Sie hätte bei der Veranschlagung der
Einnahmen- und Ausgabenansätze besondere Sorgfalt walten lassen müssen,
was jedoch unterblieben sei. Da sich eklatante Abweichungen von der Mai-
Steuerschätzung geradezu aufgedrängt hätten, hätte Anlass bestanden, den
Kreditbedarf deutlich nach unten zu korrigieren. Das Haushaltsjahr 2009 habe
sich bei der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushalts 2009 dem Ende
zugeneigt. Deshalb wäre es erforderlich gewesen, eine stabile und von der Mai-
Steuerschätzung abweichende Prognose mit entsprechender
Schätzgenauigkeit vorzunehmen. Die Sonderentwicklung in Niedersachsen sei
frühzeitig erkennbar gewesen. Während von Januar bis Juli 2009 in ganz
Deutschland Gemeinschafts- und Ländersteuern um 6 % zurückgegangen
seien, habe Niedersachsen im gleichen Zeitraum Steuermehreinnahmen
gegenüber dem Vorjahr von 10 % zu verzeichnen gehabt. Anfänglich habe die
Landesregierung möglicherweise noch davon ausgehen können, dass sich
entsprechend der Prognose der Mai-Steuerschätzung tiefe Einschnitte bei den
Gesamtsteuereinnahmen im weiteren Verlauf des Haushaltsjahres 2009
ergeben würden. Am 29. Oktober 2009 habe sich für die ersten drei Quartale
aber immer noch eine positive Entwicklung abgezeichnet. Nach dem
Vierteljahresbericht für das 1. bis 3. Haushaltsvierteljahr 2009 seien die
Einnahmen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 9,6 % (1,53
Mrd. €) und die Ausgaben um 5,5 % (942,9 Mio. €) gestiegen. Ohne
Nettokreditaufnahme seien die Einnahmen um 602,7 Mio. € (3,5 %)
angestiegen. Obwohl das Finanzministerium in seinem Vierteljahresbericht vom
29. Oktober 2009 mitgeteilt habe, dass die Nettokreditaufnahme für die ersten
drei Quartale des Jahres 2009 noch immer einen Negativbetrag in Höhe von
72,6 Mio. € ausgewiesen habe und sich das Land somit noch in der
Tilgungsphase befunden habe, sei im 3. Nachtragshaushaltsplan 2009 eine
Erhöhung der Kreditaufnahmeermächtigungen auf 2,3 Mrd. € veranschlagt
worden.
Auch der Landesrechnungshof habe wegen der prognostizierten
Steuermindereinnahmen nur einen maximalen Handlungsbedarf für eine
Nettoneuverschuldung in Höhe von 1,261 Mrd. € gesehen. Er habe ferner
dargelegt, dass selbst diese Obergrenze nicht ausgeschöpft werden müsse, da
das niedersächsische Steuer-Ist-Aufkommen höher sei als im Mai prognostiziert.
Der Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit habe sich durch die
Zahlen bestätigt, die die Landesregierung dem Ausschuss für Haushalt und
Finanzen Anfang 2010 mitgeteilt habe. Sie würden belegen, dass die für 2009
von der Landesregierung prognostizierten Steuerausfälle um beachtliche 700
Mio. € verfehlt worden seien. Die von der Landesregierung für 2009 ermittelten
Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,3 Mrd. € ergäben sich nur dadurch, dass
die Landesregierung angekündigt habe, die erst im März 2010 fällige Erstattung
an den Bund aus der Umsatzsteuer in Höhe von 611 Mio. € in das Haushaltsjahr
2009 zurückzubuchen. Die Differenz von 700 Mio. € zwischen den
prognostizierten und den tatsächlichen Steuermindereinnahmen sei keine
Schätzungenauigkeit, die mit Prognoseunsicherheiten erklärt werden könne. Die
Landesregierung habe sich vielmehr bewusst erhebliche finanzielle Spielräume
geschaffen, um sich Transfermöglichkeiten zwischen den Haushaltsjahren zu
eröffnen.
d) Voraussetzung für eine erhöhte, den Rahmen des Art. 71 Satz 2 NV
überschreitende Kreditermächtigung sei außerdem die Darstellung im
Gesetzgebungsverfahren, dass die zusätzliche Staatsverschuldung dazu
bestimmt und geeignet sei, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Die
verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zeige eine deutliche Tendenz, den
Gesetzgeber zwar nicht materiell-rechtlich, wohl aber verfahrensmäßig engeren
Bindungen zu unterwerfen. Den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten
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Entscheidern (Mehrheitsfraktionen, Regierung) werde eine
Rechtfertigungspflicht und eine Verantwortungsübernahme in Form einer
Darlegungslast auferlegt. Es müsse insbesondere dargelegt werden, aus
welchem Grunde der Wirtschaftskrise (ausnahmsweise) mit einer die Summe
der eigenfinanzierten Investitionen überschreitenden Neuverschuldung und
nicht durch alternative Maßnahmen, wie z.B. Ausgabenkürzungen, Einsatz von
Staatsvermögen oder Rücklagenauflösungen, beigekommen werden solle.
Die Begründung des Gesetzentwurfs zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009
sowie die Einlassungen der Landesregierung und der Abgeordneten der
Mehrheitsfraktionen im Plenum und im Fachausschuss ließen keine
Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 3 NV erkennen.
Der in der Begründung des Gesetzentwurfs enthaltene Hinweis, ohne
Überschreitung der Kreditlinie des Art. 71 Satz 2 NV wäre ein
Haushaltsausgleich nur durch Eingriffe in konsumtive Ausgaben möglich,
wodurch die Binnennachfrage weiter geschwächt würde, gehe über eine
allgemein gehaltene formelhafte Aussage nicht hinaus. Substantielle
Darlegungen im Sinne der Rechtsprechung des Niedersächsischen
Staatsgerichtshofs seien nicht erfolgt. Da das 3. Nachtragshaushaltsgesetz
2009 erst knapp zwei Monate vor Ende des Haushaltsjahres 2009
verabschiedet worden sei, fehle auch eine Darlegung dazu, wie die erhöhten
Kreditmittel noch kurz vor Ende des Haushaltsjahres final zur Förderung und
Belebung der Wirtschaft hätten eingesetzt werden können. Die Landesregierung
habe nicht erwogen, in der Phase der Wirtschaftskrise anstelle der Erhöhung der
Neuverschuldung Ausgabenkürzungen vorzunehmen. Insoweit fehle es an der
erforderlichen Abwägung.
Die Entscheidung der Landesregierung und der Landtagsmehrheit, entgegen
der bisherigen Planung Deckungsmittel aus der Veräußerung von Stammkapital
der Nord/LB und aus der Inanspruchnahme der allgemeinen Rücklage nicht zu
verwenden, indiziere zusätzlichen finanziellen Handlungsbedarf. Im Hinblick auf
Art. 71 Satz 3 NV wäre es Aufgabe der Landesregierung gewesen, zunächst in
Überlegungen einzutreten, wie der den Kreditrahmen des Art. 71 Satz 2 NV
überschreitende Finanzbedarf ohne zusätzliche Neuverschuldung gedeckt
werden könne. Zur Erfüllung der Darlegungspflicht hätte es expliziter
Ausführungen zu der Frage bedurft, weshalb auf die Veräußerung der
Geschäftsanteile der Nord/LB und den Einsatz der allgemeinen Rücklage als
Deckungsmittel im 3. Nachtragshaushalt 2009 verzichtet werde. Beide
Maßnahmen seien im Ausgangshaushalt 2009 und somit zu „Friedenszeiten“
noch zur Haushaltskonsolidierung bestimmt gewesen. In der Krisenphase seien
sie aber geschont worden, um für die Zukunft finanzielle Handlungsspielräume
zu eröffnen. Handele der Haushaltsgesetzgeber entgegen der bisherigen
Finanzplanung, habe er dies nach der Rechtsprechung des VerfGH NW zu
begründen. Darlegungsbedarf habe ferner deshalb bestanden, weil mit den im
Grundhaushalt veranschlagten Deckungsmitteln aus der allgemeinen Rücklage
und dem Verkauf von Stammkapital der Nord/LB kein Eingriff in den
konsumtiven Bereich verbunden gewesen wäre, mithin keine negativen
Auswirkungen auf die Binnennachfrage zu erwarten gewesen wären. Im
Ergebnis seien Reserven geschont worden, um konsumtive Ausgaben mit
Krediten zu finanzieren. Auch nach Auffassung des Landesrechnungshofs sei
mit der ursprünglich veranschlagten Veräußerung von Geschäftsanteilen der
Nord/LB und dem Einsatz der allgemeinen Rücklage als Deckungsmittel ein
Haushaltsausgleich in den Grenzen des Art. 71 Satz 2 NV möglich gewesen.
e) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 habe die vorgesehene Nettoneuverschuldung
zudem dazu gedient, die Neuverschuldung Haushaltsjahre übergreifend -
mittelfristig - zu steuern. Diese Zielsetzung lasse sich mit Art. 71 Satz 3 NV nicht
vereinbaren. Im Fokus der Überlegungen bei der Aufstellung des 3.
Nachtragshaushalts 2009 habe nicht - wie von der Verfassung vorgegeben -
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eine Kreditlinie gestanden, die trotz der Krise die Höhe der eigenfinanzierten
Investitionen nicht übersteige, sondern eine 5-jährige Finanzplanung, die -
losgelöst von Art. 71 Satz 3 NV - anfänglich hohe Finanzierungsbedarfe
ausweise, um diese im Laufe der Folgejahre kontinuierlich herunterzufahren.
Dies gehe aus der Mipla 2009 - 2013 hervor, die für die Jahre 2009 und 2010
einen gleich hohen Kreditbedarf von 2,3 Mrd. € ausweise. Dieser Kreditbedarf
solle dann in den nachfolgenden Haushaltsjahren von 2011 - 2013 in „350 Mio.
€ - Schritten“ abgesenkt werden. Bereits das Abstellen des Finanzbedarfs auf
eine 5-Jahres-Planung mit einer vorgegebenen Nettoneuverschuldung sei
verfassungswidrig. Der Kreditbedarf sei individuell für jedes Haushaltsjahr zu
ermitteln und mit den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV in
Einklang zu bringen. Die Mipla könne keine verbindliche Vorgabe für Art. 71
Satz 3 NV sein. Sie könne schon gar nicht eine erhöhte bzw. überhöhte
Kreditlinie i.S. von Art. 71 Satz 3 NV rechtfertigen.
2. Auch in Bezug auf das Haushaltsgesetz 2010 rügen die Antragsteller
Verfassungsverstöße.
a) Die Landesregierung und die Mehrheitsfraktionen hätten nicht hinreichend
dargelegt, dass die zusätzliche Verschuldung final dazu bestimmt und geeignet
gewesen sei, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
abzuwehren. Die Landesregierung habe gemeinsam mit den
Mehrheitsfraktionen den Kreditbedarf nicht anhand der für 2010 zu erwartenden
Einnahmen und Ausgaben ermittelt, sondern die Mipla als feste Größe mit einem
mittelfristig festgelegten fiktiven Handlungsbedarf zur Grundlage gemacht. Diese
Vorgehensweise verstoße gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV. Die
Kreditermächtigung habe ausschließlich dazu gedient, mittelfristig zunächst
einen hohen Schuldensockel in Höhe von 2,3 Mrd. € zu schaffen, um dann die
Nettoneuverschuldung in „350 Mio. € - Schritten“ planmäßig herunter zu fahren.
b) Der im Haushaltsgesetz 2010 vorgesehene Einsatz der allgemeinen
Rücklage als Deckungsmittel stelle einen Verstoß gegen die Grundsätze der
Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit dar, weil die Rücklage nicht dotiert
sei. Sie weise monetär einen „Null“-Bestand auf. In der allgemeinen Rücklage
befänden sich ausschließlich Ermächtigungen für das Finanzministerium,
zusätzliche Kredite aufzunehmen. Mit der Entnahme aus der allgemeinen
Rücklage und deren Einsatz als Deckungsmittel täusche das Haushaltsgesetz
2010 vor, dass in der Rücklage finanzielle Reserven vorhanden seien, die - als
Alternative zu einer höheren Nettoneuverschuldung - kreditmindernd eingesetzt
werden könnten. Dies sei aber nicht der Fall.
Die allgemeine Rücklage entstehe dadurch, dass die Landesregierung die Ist-
Einnahmen zuzüglich der Kreditermächtigungen als fiktive Einnahmen von den
Ist-Ausgaben abziehe. Daraus ergebe sich in der Regel ein
Einnahmenüberhang in Form nicht benötigter Kreditermächtigungen. Diese
würden - vermindert um die Haushaltsausgabenreste - buchungstechnisch als
„Überschuss“ behandelt und der allgemeinen Rücklage zugeführt. Auf diese
Weise seien zum Beispiel Kreditermächtigungen in Höhe von 246,9 Mio. € aus
dem Haushaltsjahr 2009 der allgemeinen Rücklage zugeführt worden. Dieser
Übertragungsakt und die Art der Rücklagenbildung verstießen gegen
haushaltsrechtliche Bestimmungen und gegen die Verfassung.
Zunächst sei ein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 LHO i.V.m. § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 gegeben. Dort sei ausdrücklich festgelegt, dass die
Kreditermächtigung ausschließlich „zur Deckung von Ausgaben“ erteilt werde.
Dies beinhalte nicht die Übertragung von Kreditermächtigungen, denen keine
Ausgaben gegenüberstünden. Nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO dürften
Kreditermächtigungen regelmäßig nur bis zum Ende des nachfolgenden
Haushaltsjahres genutzt werden. Mit der Einstellung der Kreditermächtigungen
in die allgemeine Rücklage sei es der Landesregierung hingegen möglich, diese
zeitliche Beschränkung zu unterlaufen, die übertragenen Kreditermächtigungen
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also zeitlich unbeschränkt zu nutzen. Darüber hinaus sei die Rücklagenbildung
aus Kreditermächtigungen auch nicht mit § 25 Abs. 2 LHO vereinbar.
Eine Kreditermächtigung könne zudem nicht „rücklagefähig“ sein. Sie stelle
keinen Vermögenswert dar. Eine mit Kreditermächtigungen bestückte Rücklage
beinhalte entgegen ihrer Zweckbestimmung keine finanzielle Reserve zur
Stabilisierung des Haushalts. Sie sei vielmehr ein zusätzliches
Verschuldungspotenzial mit destabilisierender Wirkung. Der VerfGH NW habe
sich bereits im Jahr 2003 damit zu befassen gehabt, dass das Land Nordrhein-
Westfalen ohne konkreten Handlungsbedarf nicht benötigte
Kreditermächtigungen ausgeschöpft habe, um die Rücklagen für schlechtere
Zeiten aufzubessern. Der VerfGH NW habe diese Praxis für verfassungswidrig
erklärt. Er habe in kreditfinanzierten Rücklagen primär einen Verstoß gegen das
Wirtschaftlichkeitsgebot gesehen, das verfassungsrechtliche Bedeutung
besitze. Der VerfGH NW habe aber auch einen Verstoß gegen die in der
Verfassung von Nordrhein-Westfalen enthaltene Kredit-Obergrenzen-Regelung
bejaht. Diese Regelung sei mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vergleichbar. Die
vom VerfGH NW als verfassungswidrig beurteilten Rücklagenzuführungen
hätten erklärtermaßen der Deckung des staatlichen Finanzbedarfs in
zukünftigen Haushaltsjahren gedient. Eine Verrechnung des Finanzbedarfs
zwischen einzelnen Haushaltsjahren durch Einsatz von Rücklagen verstoße
jedoch gegen das Jährlichkeitsprinzip.
Anders als in Nordrhein-Westfalen seien in Niedersachsen
Kreditermächtigungen aus Vorjahren zwar nicht dazu benutzt worden, um
Kredite aufzunehmen und die Rücklage real aufzustocken, sodass kein Verstoß
gegen den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit vorliege. Während in
Nordrhein-Westfalen mit der Kreditaufnahme der Rücklage ein realer Gegenwert
zugeführt worden sei, stünden in Niedersachsen keinerlei Mittel in der
allgemeinen Rücklage zur Verfügung. Die Entnahme aus der allgemeinen
Rücklage und ihr Einsatz als Deckungsmittel ermögliche es dem
Haushaltsgesetzgeber, die wahre Höhe der Kreditaufnahme zu verschleiern.
Das ganze Ausmaß der Neuverschuldung werde nicht öffentlich. Der die
eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Betrag werde mit 1,061 Mrd. €
ausgewiesen, während die zusätzliche Kreditaufnahme durch die Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage von 730 Mio. € nicht sichtbar werde. Die Verletzung
des Verfassungsgrundsatzes der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sei
evident.
Der Haushaltsgesetzgeber sei mit der von ihm praktizierten Rücklagenbildung in
der Lage, die Grundsätze der Jährlichkeit, Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit sowie die Regelobergrenze des Art. 71 Satz 2 NV für die
Kreditaufnahme zu unterlaufen. Durch Schätzungenauigkeiten könnten
finanzielle Spielräume gezielt genutzt werden, um (buchungstechnisch) größere
Rücklagen anzusammeln, welche die Landesregierung und die
Landtagsmehrheit in späteren Haushaltsjahren nach eigenem Ermessen als
haushaltsübergreifende Reserve einsetzen könnten. In den Krisenjahren 2009
und 2010 sei der Bestand an Kreditermächtigungen in der allgemeinen
Rücklage erheblich angestiegen. Dies zeige auch, dass die vom Landtag für
2009 und 2010 bewilligten Kreditermächtigungen weit überzogen gewesen
seien. So habe die Landesregierung mit dem 3. Nachtragshaushalt 2009 wegen
der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zusätzliche
Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV in Höhe von 998 Mio. € in
Anspruch genommen. Gleichzeitig sei aber die Rücklage in Höhe von 742 Mio.
€ geschont worden, um sie erklärtermaßen als Reserve im Haushaltsjahr 2010
nutzen zu können. Die allgemeine Rücklage sei jedoch im krisengeschüttelten
Haushaltsjahr 2009 nicht nur geschont worden, die Landesregierung habe sie
vielmehr noch um weitere 246,9 Mio. € aufgestockt.
Eine solche Handhabung sei insbesondere dann als kritisch anzusehen, wenn
eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege, mithin die
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Regel-Obergrenze für die Nettoneuverschuldung nicht eingehalten werde. Zur
Vermeidung von erforderlich werdenden nachhaltigen Eingriffen auf der
Ausgabenseite könnten Landesregierung und Mehrheitsfraktionen die
Kreditaufnahme formal auf das verfassungsrechtlich vorgegebene Maß des Art.
71 Satz 2 NV beschränken und die dann noch vorhandene zusätzliche
Unterdeckung im Haushalt über den Einsatz der allgemeinen Rücklage
abfangen. Obwohl der Rahmen für die Gesamtkreditaufnahme des Art. 71 Satz
2 NV längst überschritten sei, könne der Gesetzgeber nach außen den Eindruck
vermitteln, der Haushalt sei verfassungskonform nach Art. 71 Satz 2 NV
aufgestellt worden, obwohl er sich tatsächlich im erweiterten Finanzrahmen des
Art. 71 Satz 3 NV bewege. Ferner sei zu berücksichtigen, dass erhöhte
Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV zweckorientiert zur Beseitigung
der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einzusetzen seien.
Würden solche Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV in dem
Haushaltsjahr, für das sie bestimmt seien, nicht zur Gänze ausgenutzt, dürfe der
nicht ausgenutzte Teil der Kreditermächtigungen daher nicht als Rücklage in
künftige Haushaltsjahre übertragen werden.
c) Das Haushaltsgesetz 2010 habe ferner deswegen gegen das
Jährlichkeitsprinzip und die Grundsätze der Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit verstoßen, weil der im Jahr 2010 fällige Erstattungsanspruch
des Bundes aus der Umsatzsteuer 2009 keine haushaltsrechtliche Absicherung
im Haushaltsplan 2010 gefunden habe.
Der Ausgleich zwischen den Geber- und Nehmerländern im
Länderfinanzausgleich erfolge im Positiven wie im Negativen im darauf
folgenden Jahr. Dementsprechend seien in Niedersachsen die Ergebnisse des
Länderfinanzausgleichs bisher ausnahmslos und haushaltsrechtlich korrekt im
Jahr der Fälligkeit dem jeweiligen Haushalt zugeordnet worden. Art. 65 Abs. 1
NV schreibe vor, dass für jedes Haushaltsjahr alle Ausgaben des Landes, nach
Zwecken getrennt, im Haushaltsplan zu veranschlagen seien. Die Ausgaben
seien entsprechend ihrer Fälligkeit dem jeweils aktuellen Haushaltsplan
zuzuordnen. Da der Erstattungsanspruch des Bundes aufgrund der
Umsatzsteuerzerlegung erst im März 2010 fällig geworden sei, hätte der Betrag
von 611 Mio. € nach dem Jährlichkeitsprinzip dem Haushaltsjahr 2010 als
Ausgabeposition zugeordnet werden müssen. Art. 65 Abs. 5 NV schreibe vor,
dass in das Haushaltsgesetz nur solche Vorschriften aufgenommen werden
dürften, die sich auf die Einnahmen und Ausgaben des Landes sowie auf den
Zeitraum bezögen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen werde. Zwar lasse
das Haushaltsrecht eine Übertragung von Ausgaben unter den
Einschränkungen des § 19 LHO zu, aber stets nur aus dem abgelaufenen in
das nachfolgende Haushaltsjahr.
Mit der Rückbuchung des im März 2010 fälligen Erstattungsanspruchs in das
Haushaltsjahr 2009 habe nicht nur die Fehlprognose bei den
Steuermindereinnahmen 2009 kaschiert werden sollen. Darüber hinaus hätten
zugleich auch zusätzliche finanzielle Dispositionsmöglichkeiten für das
Haushaltsjahr 2010 geschaffen werden sollen. Als Vehikel habe der
Landesregierung die haushaltsrechtlich nicht haltbare Auffassung gedient, die
Haushaltsjahre 2009 und 2010 seien als wirtschaftliche Einheit zu sehen. Das
Finanzministerium habe in der 59. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und
Finanzen am 10. Februar 2010 im Rahmen der Unterrichtung des Ausschusses
über die Schlussabrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich ausgeführt,
dass es richtig gewesen sei, trotz des Jährlichkeitsprinzips die Jahre 2009 und
2010 wirtschaftlich als Einheit zu betrachten. Deutlicher habe die
Landesregierung nicht offen legen können, dass sie sich gezielt über das
Jährlichkeitsprinzip hinweggesetzt habe.
IV.
Dem Niedersächsischen Landtag und der Niedersächsischen Landesregierung
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ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Der Niedersächsische Landtag
hat beschlossen, von einer Stellungnahme gegenüber dem Staatsgerichtshof
abzusehen. Die Landesregierung hält den Antrag nicht für begründet. Sie führt
im Wesentlichen aus:
1. Im Haushaltsjahr 2009 habe eine Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts i.S.v. Art. 71 Satz 3 NV vorgelegen. Es sei nach den
wirtschaftlichen Prognosen für das Jahr 2009 zu erwarten gewesen, dass vor
allem die Teilziele „hoher Beschäftigungsstand“ sowie „stetiges und
angemessenes Wirtschaftswachstum“ nachhaltig verfehlt würden. Die im 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 enthaltene erhöhte
Kreditaufnahmeermächtigung habe dem Zweck gedient, die nachhaltige
Störungslage abzuwehren, sie zumindest aber abzumildern. Dieses Ziel habe
der Haushaltsgesetzgeber durch eine antizyklische Konjunkturpolitik erreichen
wollen. Die Landesregierung habe in der Begründung des Gesetzentwurfs zum
3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 darauf hingewiesen, dass mit substantiellen
Einnahmeverbesserungen nicht zu rechnen sei. Ein Ausgleich der aufgrund der
Steuerschätzung aus Mai 2009 zu erwartenden Steuermindereinnahmen wäre
daher nur durch weit reichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich
umzusetzen gewesen. Eine sinkende staatliche Nachfrage hätte die Konjunktur
allerdings zusätzlich belastet. In den parlamentarischen Beratungen zum 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 hätten Vertreter der Landesregierung und
Mitglieder der Regierungsfraktionen im Einzelnen dargelegt, wie die Mittel zur
Belebung der Konjunktur eingesetzt werden sollten.
Sowohl die Kreditbegrenzung auf die Summe der Investitionsausgaben als auch
die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch die
erhöhte Kreditaufnahme seien jeweils gewichtige öffentliche Interessen. Zu
welchem von mehreren geeigneten Mitteln zur Störungsabwehr der
Gesetzgeber greife, sei eine Abwägungsfrage, für die ihm eine
Einschätzungsprärogative zustehe. Stehe eine nachhaltige Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest, sei die Kreditobergrenze nicht mehr
maßgeblich. Auf die Einnahmenentwicklung komme es dann nicht an. Selbst
wenn der Haushaltsgesetzgeber dem 3. Nachtragshaushaltsplan 2009 also eine
falsche Einnahmenschätzung zu Grunde gelegt hätte, könnte dies den geltend
gemachten Verstoß gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht begründen. Der
Haushaltsgesetzgeber habe bei der Schätzung der Steuereinnahmen aber auch
nicht gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit verstoßen. Aus dem
Grundsatz der Haushaltswahrheit folge vor allem die Pflicht zur
Schätzgenauigkeit. Welche Verhaltensanforderungen im Einzelnen an die
beteiligten Verfassungsorgane aus dieser Pflicht folgten, lasse sich kaum
generell und abstrakt bestimmen. Jedenfalls sei der Grundsatz der
Haushaltswahrheit durch bewusst falsche Etatansätze verletzt, aber auch durch
„gegriffene“ Ansätze, die trotz nahe liegender Möglichkeiten besserer
Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe
Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen ließen.
Einnahmen- und Ausgabenschätzungen verstießen aber nicht bereits dann
gegen das Wahrheitsgebot, wenn sie sich im Nachhinein als falsch erwiesen.
Ein Verstoß liege nur dann vor, wenn die Schätzungen aus der Sicht ex ante
nicht sachgerecht und nicht vertretbar ausfielen.
Für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sei die Schätzung der Einnahmen
nach anerkannten und üblichen Methoden erfolgt. Die Schätzung sei jedoch
wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Jahr 2009
durch eine außergewöhnlich hohe Prognoseunsicherheit bestimmt gewesen.
Diese habe vor allem darauf beruht, dass die Folgen der globalen Finanz- und
Wirtschaftskrise für die Steuer- und sonstigen Einnahmen kaum kalkulierbar
gewesen seien. Im Oktober und November 2009 sei die haushaltswirtschaftliche
Prognose auch durch die Maßnahmen erschwert worden, die Bund und Länder
im Zuge der Umsetzung der Konjunkturprogramme zur Beschleunigung von
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Investitionsmaßnahmen ergriffen hätten. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich
das Ziel formuliert, einen zügigen Mittelabfluss zu erreichen. Darüber hinaus sei
nicht einzuschätzen gewesen, ob und in welcher Weise die eingetretene
atypische Entwicklung der Steuereinnahmen in Niedersachsen im weiteren
Jahresverlauf anhalten werde. Auch die quartalsweisen Abrechnungen für den
Länderfinanzausgleich hätten im Haushaltsjahr 2009 dazu geführt, dass die
Einnahmen nur höchst unsicher hätten kalkuliert werden können. In diesem
Verfahren führten nicht absehbare, sprunghafte Verbesserungen des
Umsatzsteueraufkommens zu Rückzahlungsverpflichtungen des Landes bei
den quartalsweisen Zwischenabrechnungen, es sei denn, sie würden von
anderen Effekten in Niedersachsen oder in anderen Ländern überlagert. Zur
Beurteilung der Einnahmenentwicklung müssten also nicht nur die relativ hohen
Umsatzsteuereinnahmen des Landes Niedersachsen, sondern auch die
dadurch ausgelösten Quartalszahlungen berücksichtigt werden. Im Hinblick auf
die Quartalsabrechnungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich sei eine
unterjährige Prognose deswegen schwierig, weil nicht nur die Entwicklung im
eigenen Land, sondern auch die in den 15 anderen Ländern mitentscheidend
sei.
Aus den Quartalsabrechnungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich hätten
sich für Niedersachsen im Juni 2009 Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von
95 Mio. € und im September 2009 in Höhe von 441 Mio. € ergeben. Die Höhe
der Quartalsabrechnung Dezember 2009 sei unmittelbar vor der
Schlussberatung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 in der 46. Sitzung
des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 der
Größenordnung nach in Höhe von 812 Mio. € bekannt gewesen. Damit habe der
Haushaltsgesetzgeber zwar das Volumen der im Jahr 2009 fälligen
Quartalsabrechnungen gekannt. Der Fortbestand der niedrigen
Vorsteuerabzüge bei der Umsatzsteuer und die Entwicklung anderer
Steuerarten im Krisenjahr 2009 seien gleichwohl noch nicht genauer
abzuschätzen gewesen. Insgesamt hätten die zum Zeitpunkt der
Verabschiedung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 verfügbaren Zahlen
auf tiefgreifende und kaum berechenbare Brüche und zeitliche Verwerfungen in
der Einnahmenentwicklung hingedeutet.
Letztlich habe die vorläufige Abrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich
im März 2010 eine zusätzliche Rückzahlungsverpflichtung für das Land in Höhe
von 611 Mio. € ergeben. Zusammen mit den bis zum 31. Dezember 2009
aufgelaufenen Mindereinnahmen des Steuer-Aggregats in Höhe von 693 Mio.
habe sich ein Minus von 1,304 Mrd. € ergeben, das die Ergebnisse der
Steuerschätzung aus Mai 2009 bestätigt habe. Rechne man die Rückzahlung
im bundesstaatlichen Finanzausgleich in Höhe von 611 Mio. € demgegenüber
nicht dem Jahr 2009 zu, hätten die Ist-Einnahmen des Steuer-Aggregats die
Soll-Veranschlagung des 3. Nachtragshaushaltsplans 2009 um etwa 3,5 %
überstiegen. Ein langjähriger Vergleich der Soll- und Ist-Ergebnisse
einschließlich der Nachtragshaushalte seit 1971 zeige, dass sich die
Schätzungen des Steuereinnahmen-Aggregats in der Regel in einem Korridor
zwischen etwa +3 % und -3 % gegenüber den tatsächlichen Steuereinnahmen
bewegten. Auch vor diesem Hintergrund liege die vom Haushaltsgesetzgeber
für 2009 abgegebene Prognose des Steuereinnahmen-Aggregats im Rahmen
des „Normalen“.
Niedersachsen leite seit Jahrzehnten die Ansätze des Landeshaushalts für die
Steuereinnahmen sowie für die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und
den Bundesergänzungszuweisungen aus den Ergebnissen und Beratungen
des Arbeitskreises Steuerschätzungen ab. Die Ergebnisse des Arbeitskreises
Steuerschätzungen würden zentral im Unterarbeitskreis „Regionalisierung“ mit
Hilfe eines rechnergestützten Verfahrens auf die 16 Bundesländer regionalisiert.
Das regionalisierte Ergebnis für Niedersachsen sei Basis der Veranschlagung in
Haushalt und Mipla. Das Aggregat aus Steuern und Einnahmen aus dem
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bundesstaatlichen Finanzausgleich werde dabei insgesamt betrachtet und
geschätzt. Nach der Steuerschätzung korrigiere das Finanzministerium das
regionalisierte Ergebnis ggf. im Hinblick auf Sondereffekte in Niedersachsen, im
Gesetzgebungsverfahren befindliche Rechtsänderungen sowie abweichende
wirtschaftliche Entwicklungen. Es sei langjährige Praxis, bei Vorliegen
entsprechender Informationen Korrekturen als Abschläge vom regionalisierten
Ergebnis vorzunehmen, um im Sinne einer vorsichtigen Haushaltsführung für
erkennbare Risiken vorzusorgen. Aufschläge würden hingegen grundsätzlich
nicht vorgenommen. Das Finanzministerium informiere den Landtag im
Ausschuss für Haushalt und Finanzen sowohl über das regionalisierte Ergebnis
der Steuerschätzung als auch über daran vorgenommene Korrekturen. Diese für
die Ableitung der Steueransätze seit Jahren übliche Methode habe auch bei der
Aufstellung des 3. Nachtragshaushalts 2009 Anwendung gefunden. Korrekturen
am regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung habe die Landesregierung
nicht vorgenommen. Bei der endgültigen Festlegung der Einnahmeansätze im
Entwurf des 3. Nachtragshaushaltsplans 2009 seien jedoch Anpassungen
erforderlich geworden. Diese hätten z.B. auf den Auswirkungen des Gesetzes
zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen
(Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 16. Juli 2009 beruht. Die
im Laufe der parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzes beim Bund
vorgenommenen Änderungen des Entwurfs hätten zu höheren
Einnahmeausfällen geführt, als sie bei der Mai-Steuerschätzung berücksichtigt
worden seien. Insofern sei ein geschätztes Steuereinnahmeaggregat von
17,324 Mrd. € berücksichtigt worden, was einem Minus von 1,3 Mrd. €
gegenüber dem Grundhaushalt entsprochen habe. Eine Abweichung von den
anerkannten Regeln der Steuerschätzung sei demnach nicht zu erkennen.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit liege auch nicht
deshalb vor, weil der Haushaltsgesetzgeber die Einnahmeansätze nicht im
Hinblick auf das Ergebnis des Vierteljahresberichts über die Haushalts- und
Kassenlage vom 29. Oktober 2009 angepasst habe. Das tatsächliche
Kreditaufnahmebedürfnis werde wesentlich von der jeweiligen
Liquiditätsentwicklung beeinflusst. Eine unterjährige Stichtagsbetrachtung sei
wegen der stets am Bedarf orientierten Kreditaufnahme wenig geeignet, auf die
am Ende des Haushaltsjahres erforderliche Nettokreditaufnahme zu schließen.
Besonders in den „steuerstarken“ dritten Monaten eines Quartals - wie hier im
September - ergebe sich typischerweise ein positiv überzeichnetes Bild. Fällige
Kredite könnten dann häufig aus vorhandener Liquidität zurückgezahlt werden.
Unterjährig finanziere sich das Land auch über innere Kassenkredite, indem die
Geldbestände sämtlicher außerhalb des Landeshaushalts bestehenden Fonds,
Stöcke, Sondervermögen usw. im Zuge eines „Kontenclearings“ täglich
eingezogen würden. Da es sich hierbei rechtlich betrachtet nicht um allgemeine
Deckungsmittel handele, sondern Rechtsansprüche Dritter an diese
Sondervermögen zu erfüllen seien, müssten im Zuge des
Haushaltsabschlusses diese Mittel „zurückgezahlt“ werden, wozu wiederum die
jeweilige Kreditermächtigung herangezogen werde. Im September 2009 habe
sich dieser „innere Kassenkredit“ auf 1,059 Mrd. € belaufen, sodass die
Kreditermächtigung in dieser Höhe bereits gebunden gewesen sei. Darüber
hinaus sei zu bedenken, dass Haushaltsmittel nicht gleichmäßig abflössen,
sondern regelmäßig zu einem größeren Teil erst im letzten Quartal kassenmäßig
verausgabt würden. Dies gelte vor allem für die Investitionsausgaben der
Hauptgruppen 7 und 8. So seien zum Stichtag des Statusberichts erst 50,7 %
der Bauausgaben und nur 36,8 % der sonstigen Investitionsausgaben
abgeflossen. Bezogen auf die Gesamtausgaben habe sich ein Abfluss von 69,2
% des Gesamtsolls ergeben, d.h. circa 31 % der Ausgabeermächtigungen seien
noch in den letzten drei Monaten des Jahres 2009 zu leisten gewesen. Dieser
Anteil habe einem Betrag von 8,1 Mrd. € entsprochen. Die mit dem
Vierteljahresbericht vom 29. Oktober 2009 abgebildete Momentaufnahme sei
daher insgesamt nicht geeignet gewesen, die vom Haushaltsgesetzgeber
vorgenommene Einnahmeschätzung zu erschüttern.
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Zudem hätten die Antragsteller im parlamentarischen Verfahren nicht gerügt,
dass der Haushaltsansatz des Steuereinnahmen-Aggregats auf der Grundlage
der Mai-Steuerschätzung nicht vertretbar sei. Vielmehr hätten die Antragsteller
selbst geäußert, Basis des 3. Nachtragshaushaltsplanentwurfes 2009 müsse
die Mai-Steuerschätzung sein. Auch nach Bekanntwerden der Ist-Entwicklung
im Oktober 2009 habe der Haushaltsgesetzgeber in breitem Konsens eine
Korrektur der Steuerschätzung nicht für angezeigt gehalten. Dem habe die
sachlich zutreffende Einschätzung zu Grunde gelegen, dass die
krisenbedingten Einnahmeausfälle nach wie vor kaum vorhersehbar seien und
ein „Aufschlag“ auf die Ergebnisse der regionalisierten Steuerschätzung nicht
gerechtfertigt sei.
Der Haushaltsgesetzgeber sei des Weiteren nicht verpflichtet gewesen - wie
ursprünglich geplant -, die allgemeine Rücklage als Deckungsmittel in Anspruch
zu nehmen und an der Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB
festzuhalten. Die im 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 getroffene
Entscheidung, auf Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage und auf den
Verkauf von Beteiligungen zu verzichten, begegne auch nach dem Zweck des
Art. 71 NV, die Staatsverschuldung im Rahmen der Erfordernisse des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu begrenzen, keinen Bedenken. Bei
einer Gesamtbetrachtung der Haushaltsjahre 2009 und 2010 habe die
vorgenannte Entscheidung keine Auswirkung auf die Höhe der
Neuverschuldung gehabt. Auch bei einer Einzelbetrachtung der Haushaltsjahre
zeige sich, dass der Verschuldungsstand des Landes derselbe gewesen wäre.
Das in Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV verankerte Prinzip der Jährlichkeit besage, dass
Haushaltsjahr grundsätzlich das Kalenderjahr sei und für jedes Haushaltsjahr
ein Haushaltsplan aufzustellen sei, der alle im Haushaltsjahr zu erwartenden
Einnahmen, voraussichtlich zu leistenden Ausgaben und voraussichtlich
benötigten Verpflichtungsermächtigungen enthalte. Diesen Grundsätzen habe
das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 entsprochen. Die voraussichtlich zu
leistenden Ausgaben seien ermittelt und die zur Abwendung der Störungslage
erforderlichen konsumtiven Ausgaben und die Ausgaben zur Unterstützung der
Konjunkturprogramme in Ansatz gebracht worden. Der Haushaltsgesetzgeber
habe auf das jeweilige Haushaltsjahr bezogene Kreditermächtigungen erteilt.
Die periodische Entscheidungskompetenz des Haushaltsgesetzgebers als Kern
des parlamentarischen Budgetrechts sei gewahrt.
2. Im Haushaltsjahr 2010 habe ebenfalls eine nachhaltige Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorgelegen. Die Landesregierung und
die sie tragenden Fraktionen hätten im Gesetzgebungsverfahren eingehend
dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 71 Satz 3 NV
vorlägen. Zur Abwehr der Störungslage habe der Haushaltsgesetzgeber auch
im Haushaltsjahr 2010 Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich vermeiden
und Konjunkturprogramme fördern wollen. Dies sei ein wirtschafts- und
finanzwissenschaftlich anerkanntes Mittel zur Bekämpfung einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Bei der Verwendung nicht ausgeschöpfter Kreditermächtigungen zur Bildung der
allgemeinen Rücklage handele es sich in Niedersachsen um eine gängige, seit
Jahrzehnten von verschiedenen Landesregierungen geübte Staatspraxis, die in
den letzten 35 Jahren 17 mal zur Anwendung gekommen sei. Die Zulässigkeit
einer Rücklagenbildung sei dabei nie in Frage gestellt worden. Die Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hätten sich im Rahmen der
Haushaltsberatungen ebenfalls weiter an dieser anerkannten Praxis orientiert.
Die Rücklagenbildung entspreche auch dem einfachgesetzlichen
Haushaltsrecht. § 62 Satz 1 LHO sehe die Bildung einer allgemeinen Rücklage
ausdrücklich vor. Nach § 62 Satz 5 LHO diene sie dem Haushaltsausgleich und
zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft ohne
Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen.
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Die in Niedersachsen hinsichtlich der Rücklagenbildung und der Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage seit Jahrzehnten geübte Staatspraxis sei
verfassungsgemäß. Der Niedersächsische Landtag habe in seiner Rolle als
Verfassungsgeber diese Staatspraxis bei den Beratungen zur neuen
Niedersächsischen Verfassung Anfang der 1990er Jahre auch nicht in Frage
gestellt. Die Möglichkeit, eine klarstellende oder abweichende Regelung zu
treffen, habe der Verfassungsgeber nicht ergriffen. Der Begriff der
Kreditaufnahme in Art. 71 NV umfasse deshalb nicht die Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage.
Aus der niedersächsischen Praxis ergäben sich keine
Wirtschaftlichkeitsnachteile. Eine kreditfinanzierte, monetär unterlegte
Rücklagenbildung finde nicht statt. Der Landesregierung sei es auch nicht
möglich, sich über den Weg der Rücklagenbildung nach eigenem Ermessen
eine neue Kreditermächtigung oder eine haushaltsübergreifende Reserve für
spätere Haushaltsjahre zu verschaffen. Nicht ausgeschöpfte
Kreditermächtigungen aus Vorjahren stünden nicht automatisch als zusätzliche
Kreditermächtigung zur Verfügung. Sie würden vielmehr in Jahrzehnte langer
Tradition im Rahmen des Jahresabschlusses in Rücklagen umgewandelt. In
den Folgejahren stünden sie dann nur insoweit zur Verfügung, wie dies der
Haushaltsgesetzgeber mit dem Haushaltsgesetz festlege. Die Praxis der
Rücklagenbildung und der Entnahmen aus Rücklagen verstoße auch nicht
gegen den Zweck des Art. 71 NV, die Kreditaufnahme des Landes zu
begrenzen und das Land vor überbordender Verschuldung zu schützen. Mit
Blick auf diesen Schutzzweck sei es im Ergebnis unerheblich, ob die Ausgaben
des Landes nur aus Krediten, nur aus der allgemeinen Rücklage (also aus nicht
ausgeschöpften alten Kreditermächtigungen) oder aus einem Mix aus beiden
finanziert würden. Es sei auch irrelevant, in welchem Jahr welche Form der
Kreditfinanzierung zum Zuge komme. Die Verschuldung steige in allen Fällen
immer um denselben Betrag.
Die in Niedersachsen praktizierten Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage
verletzten nicht die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.
Ob und in welchem Umfang Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage getätigt
würden, gehe aus dem Haushaltsgesetz und dem Haushaltsplan hervor.
Unklarheit entstehe allenfalls dadurch, dass die Öffentlichkeit den Begriff der
Nettokreditaufnahme vielfach falsch interpretiere.
Falls die in Niedersachsen geübte Staatspraxis hinsichtlich der allgemeinen
Rücklage als verfassungswidrig beurteilt würde, habe dies für den
Haushaltsgesetzgeber weitreichende und kaum beherrschbare Folgen. Es wäre
nicht mehr möglich, eine ausgleichende Planung zwischen zwei
Haushaltsjahren vorzunehmen. Damit wäre weder die Einhaltung des
Verschuldungsverbots im Jahr 2020 noch die ebenfalls von Verfassungs wegen
gebotene stetige Aufgabenerfüllung sinnvoll zu gewährleisten. Ohne die
Möglichkeit einer rechtzeitigen Bildung von Rücklagen seien selbst absehbare
Schwankungen der Einnahmen- und Ausgabenseite nicht mehr auszugleichen
bzw. in ihrer Wirkung zu beherrschen. Dies würde dazu führen, dass unterjährig
auftretende Haushaltsrisiken mit den Mitteln des Notbewilligungsrechts bewältigt
werden müssten. Zudem würde sich die Gefahr erhöhen, dass sich Belastungen
in Haushaltsjahre verschöben, in denen sie verfassungsgerecht nicht bewältigt
werden könnten.
Der Ansatz der Steuereinnahmen im Haushaltsplan 2010 sei auch unter
Berücksichtigung der im März 2010 fällig gewordenen Zahlung des Landes
Niedersachsen in Höhe von 611 Mio. € an den Bund im Rahmen des
Länderfinanzausgleichs verfassungsgemäß.
Die Abrechnungen im System des Länderfinanzausgleichs erfolgten in vier
aufeinander aufbauenden Quartalsabrechnungen. Die Abrechnung zum März
des Folgejahres erfolge unter erstmaliger Einbeziehung der Ist-Ergebnisse des
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vierten Quartals und unter Berücksichtigung der im Ausgleichsjahr bereits
erfolgten vorläufigen Abrechnungen für die ersten drei Quartale.
Zahlungsansprüche und -verpflichtungen würden jeweils als positive oder
negative Einnahmen aus Umsatzsteuer, Länderfinanzausgleich und
Bundesergänzungszuweisungen gebucht. Einer Ausgabeermächtigung im
Haushaltsgesetz bedürfe es nicht. Der Haushaltsgesetzgeber könne zwar eine
absehbare zukünftige Belastung durch einen Abschlag von den
Einnahmeerwartungen bei der Veranschlagung im Steuerkapitel des Haushalts
berücksichtigen. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Modifikation der
aus der Steuerschätzung für 2010 abgeleiteten Ansätze habe jedoch nicht
bestanden. Der Haushaltsgesetzgeber habe seiner Erfahrung folgend bei der
Veranschlagung der Steuereinnahmen das aus der Steuerschätzung
abgeleitete Ergebnis zugrunde gelegt. Der Ansatz eines langjährigen
Erfahrungswertes stelle nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich keine Pflichtverletzung dar.
V.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten ihre Rechtsauffassungen
nochmals dargelegt und vertieft. Der Niedersächsische Finanzminister hat unter
anderem ausgeführt, bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen im
Haushaltsplan 2010 sei der im März 2010 fällig gewordene Erstattungsanspruch
des Bundes gegen das Land Niedersachsen aus dem Länderfinanzausgleich
nicht berücksichtigt worden. Eine sogenannte "Rotabsetzung" von den nach
dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung November 2009 für 2010 zu
erwartenden Umsatzsteuereinnahmen sei wegen dieses Erstattungsanspruchs
nicht vorgenommen worden. Dies habe darauf beruht, dass beabsichtigt
gewesen sei, die Erstattung im Rahmen der Haushaltsrechnung für das
Haushaltsjahr 2009 dem Haushaltsjahr 2009 zuzurechnen. Zudem sei die
genaue Höhe des Erstattungsanspruchs schwer abschätzbar gewesen. Das
Finanzministerium habe aber mit einem dreistelligen Millionenbetrag gerechnet.
Als sachkundiger Dritter hat der Präsident des Landesrechnungshofs Stellung
genommen. Er hat unter anderem ausgeführt, das regionalisierte Ergebnis der
Steuerschätzung sei für die Veranschlagung der Steuereinnahmen im
Landeshaushalt eine geeignete Grundlage. Bei der Veranschlagung der zu
erwartenden Steuereinnahmen seien in Niedersachsen im Hinblick auf
besondere niedersächsische Entwicklungen bisher stets nur Abschläge, jedoch
nie Aufschläge gegenüber dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung
angesetzt worden. Die Regionalisierung der November-Steuerschätzung 2009,
die der Haushaltsgesetzgeber der Veranschlagung der Umsatzsteuer
(Landesanteil) im Haushaltsplan 2010 zugrunde gelegt habe, berücksichtige die
Verpflichtung des Landes Niedersachsen aus dem im März 2010 fällig
gewordenen Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung
für 2009 nicht. In Niedersachsen seien bislang wegen zu erwartender
Abschlusszahlungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich keine Abschläge
vom regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung durch "Rotabsetzung"
erfolgt. Mit der Frage, ob es sich bei Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage
um einen Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 NV handele, habe sich der
Landesrechnungshof noch nicht auseinandergesetzt.
B.
Der Normenkontrollantrag gegen das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 ist
zulässig, aber unbegründet.
I.
Der Antrag ist nach Art. 54 Nr. 3 NV, § 33 NStGHG zulässig. Zwar ist das
Haushaltsgesetz 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes mit
Ablauf des Haushaltsjahres 2009 außer Kraft getreten. Die in § 3 Abs. 1 des
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Haushaltsgesetzes enthaltene Kreditermächtigung galt jedoch gemäß § 18 Abs.
2 Satz 3 LHO bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fort, sodass das
angegriffene Gesetz weiterhin Rechtswirkungen zeitigte. Diese Vorschrift war
somit bei Antragstellung noch in Kraft.
Der Antrag ist auch nicht nachträglich unzulässig geworden, weil den
Regelungen, auf die er sich bezieht, inzwischen keine Rechtswirkung mehr
zukommt. Für zulässig erhobene Normenkontrollanträge, die Bestimmungen
eines Haushaltsgesetzes betreffen, ist im Hinblick auf den objektiven Charakter
des Normenkontrollverfahrens ein Entscheidungsinteresse über den Zeitraum
der rechtlichen Geltung und Wirkung jener Bestimmungen hinaus gegeben.
Anderenfalls wäre ein Haushaltsgesetz der verfassungsrechtlichen Kontrolle
praktisch entzogen (vgl. BVerfGE 79, 311 [328]; VerfGH NRW OVGE 45, 308
[310]; VerfGH NRW, NWVBl. 2003, 419 [422]).
II.
Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet.
§ 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 ist mit der Niedersächsischen Verfassung,
insbesondere mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV, vereinbar. Art. 71 Satz 2 NV
bestimmt, dass die Summe der Kredite die für eigenfinanzierte Investitionen,
Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben
nicht überschreiten darf, wenn nicht der in Art. 71 Satz 3 NV geregelte
Ausnahmetatbestand vorliegt. Art. 71 Satz 3 NV lässt eine über die Summe der
eigenfinanzierten Investitionen (Regelobergrenze) hinausgehende
Kreditaufnahme nur zur Abwehr einer nachhaltigen Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zur Abwehr einer - im vorliegenden
Verfahren von vornherein nicht in Betracht zu ziehenden - akuten Bedrohung
der natürlichen Lebensgrundlagen zu.
1. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 ist an Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu
messen. Die Änderungen, die die Finanzverfassung des Grundgesetzes (GG)
im Rahmen der Föderalismusreform II gefunden hat, stehen dem nicht
entgegen.
Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl I, S. 2248) sind die Haushalte von
Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.
Bund und Länder können gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG Regelungen zur im
Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer
von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine
Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche
Notsituationen vorsehen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die
staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Diese Ausnahmeregelung ist
mit einer entsprechenden Tilgungsregelung zu verbinden (Art. 109 Abs. 3 Satz 3
GG). Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese
gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen
Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG nur dann
entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden. Art.
109 GG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Juli
2009 trat am 1. August 2009 in Kraft. Allerdings ist Art. 109 GG in der bis zum
31. Juli 2009 geltenden Fassung (GG a.F.) nach Art. 143d Abs. 1 Satz 1 GG
letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Für die Haushaltsjahre 2009
und 2010 findet somit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV weiterhin Anwendung.
2. Der Staatsgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 1997 (Nds.
StGHE 3, 279) zum Regelungsgehalt der Verfassungsnormen in Art. 71 Satz 2
i.V.m. Satz 3 NV grundlegend Stellung genommen und folgende Grundsätze
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entwickelt:
Art. 71 Satz 3 NV bestimmt nicht näher, was unter dem Begriff einer
nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verstehen
ist und welche Beziehung zwischen der Störungslage und der Kreditaufnahme
hergestellt werden muss, damit eine erhöhte Kreditaufnahme zulässig ist.
Erlaubt wird eine erhöhte Kreditaufnahme nicht nur zur Abwehr einer
bundesweiten Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, sondern
auch zur Überwindung einer auf das Land bezogenen Störung der Wirtschafts-
und Beschäftigungsentwicklung.
Art. 71 Satz 3 NV nimmt einen Begriff auf, der u.a. in Art. 109 Abs. 2 GG a.F.
verwendet worden ist. Nach dieser Vorschrift waren Bund und Länder
verpflichtet, bei ihrer Haushaltsführung den Erfordernissen des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Diese im Jahr 1967
in das Grundgesetz aufgenommene Bestimmung wurde durch § 1 StWG dahin
konkretisiert, dass Bund und Länder ihre wirtschafts- und finanzpolitischen
Maßnahmen so zu treffen haben, „dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen
Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen
Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und
angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen“.
Die Inanspruchnahme der Ermächtigung zu erhöhter Kreditaufnahme nach Art.
71 Satz 3 NV ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
18. April 1989 zu Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F. (BVerfGE 79, 311), an der sich
der Niedersächsische Verfassungsgeber bei der Fassung von Art. 71 NV
ausdrücklich orientiert hat, allerdings von weiteren Voraussetzungen abhängig.
Die Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 3 NV hat Ausnahmecharakter. Sie setzt
voraus, dass nach der Einschätzung des Haushaltsgesetzgebers entweder eine
ernsthafte und nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
auf Bundesebene besteht bzw. unmittelbar droht oder dass eine derartige
Störung in Bezug auf die Wirtschafts- oder Beschäftigungsentwicklung des
Landes vorliegt. Das verlangt nicht, dass alle vier in § 1 Satz 2 StWG genannten
Teilziele zugleich gestört sind. Bei der Prüfung, ob eine Störungslage i.S.v. Art.
71 Satz 3 NV besteht oder unmittelbar droht, hat der Haushaltsgesetzgeber
aufgrund der Unbestimmtheit der in dieser Vorschrift verwendeten
Verfassungsbegriffe einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Die
Entscheidung des Landtags ist vom Staatsgerichtshof nicht auf ihre „Richtigkeit“
zu überprüfen. Andererseits genügt es nicht, dass sie frei von Willkür ist.
Vielmehr muss die unverzichtbare eigene Beurteilung des
Haushaltsgesetzgebers unter Berücksichtigung der vorliegenden
wirtschaftlichen Daten und vor dem Hintergrund der Aussagen der gesetzlich
verankerten Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und
Willensbildung und der Auffassungen in Volkswirtschaftslehre und
Finanzwissenschaft nachvollziehbar und vertretbar erscheinen. Um den
Ausnahmecharakter einer Kreditaufnahme ohne Investitionszweck zu sichern,
sind die Tatsachen, aufgrund derer die Voraussetzungen von Art. 71 Satz 3 NV
bejaht werden, im Gesetzgebungsverfahren darzulegen. Die Darlegungspflicht
soll dazu beitragen, die Kreditaufnahme nach dieser Vorschrift auf
Ausnahmefälle zu beschränken und ihre materiell-rechtliche Unbestimmtheit
durch formell-verfahrensmäßige Anforderungen auszugleichen.
Für die Darlegung schreibt die Niedersächsische Verfassung keine bestimmte
Form vor. Die für die Beurteilung maßgebenden Tatsachen können von allen an
der Haushaltsgesetzgebung beteiligten Organen schriftlich oder mündlich z.B. in
Plenarsitzungen des Parlaments vorgetragen werden. Allerdings muss
erkennbar sein, dass sie von der parlamentarischen Mehrheit in ihren Willen
aufgenommen werden und diese mit der Verabschiedung des
Haushaltsgesetzes die Verantwortung für die Begründung der erhöhten
Kreditaufnahme übernimmt.
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Art. 71 Satz 3 NV setzt weiter voraus, dass die Inanspruchnahme der
Ausnahmeregelung "zur Abwehr" der Störung erfolgt. Die erhöhte
Kreditaufnahme muss nach Umfang und Verwendung bestimmt und geeignet
sein, die Störung abzuwehren oder abzumildern. Dieses Erfordernis bezieht sich
auf die erhöhte Kreditaufnahme insgesamt, nicht auf die Haushaltstitel, die ihre
Grundlage bilden. Art. 71 Satz 3 NV schließt auch die Aufnahme von Krediten
zur Deckung konsumtiver Ausgaben nicht aus. Die verfassungsrechtlichen
Grenzen, die Art. 71 Satz 3 NV dem Gestaltungsspielraum für politisches
Handeln setzt, lassen sich deswegen nicht eng ziehen. Vielmehr hat der
Staatsgerichtshof bei seiner Prüfung zu beachten, dass die
Verfassungsbestimmung die politisch zu verantwortende Abwägung und
Entscheidung fordert, ob und wie einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts begegnet werden soll. Die Prüfung der getroffenen
Entscheidung beschränkt sich - neben der Beurteilung, ob die Störung selbst
nachvollziehbar und vertretbar dargelegt worden ist - darauf zu untersuchen, ob
der im Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme erweiterte finanzielle
Handlungsspielraum des Landes in vertretbarer Weise "zur Abwehr der Störung
genutzt" werden soll. Dies setzt voraus, dass diese Einschätzung hinsichtlich
des gesamten durch Art. 71 Satz 3 NV eröffneten Kreditvolumens im
Gesetzgebungsverfahren nachvollziehbar dargestellt worden ist. Denn auch
insoweit gilt, dass die zu fordernde politische Verantwortung des
Haushaltsgesetzgebers nur Entscheidungen einschließen kann, deren
Gegenstand und beabsichtigte Folgen ihm bei seiner Entschließung bekannt
waren.
Im Gesetzgebungsverfahren darzulegen ist nicht nur die Absicht, durch die
erhöhte Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
abzuwehren oder abzumildern, sondern auch die begründete Prognose, dass
und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden soll, die
erhöhte Kreditaufnahme also zur Abwehr der Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet erscheint. Die Darlegungspflicht
des Gesetzgebers besteht auch bei einer erhöhten Kreditaufnahme, um
Ausgabenkürzungen zu vermeiden. Andernfalls wäre bei Vorliegen einer
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts jegliche konsumtive
Mehrausgabe gerechtfertigt, was dem Ausnahmecharakter des Art. 71 Satz 3
NV widerspräche.
Mit der begründeten Prognose in Bezug auf die störungsabwehrende Wirkung
bestimmter Konjunkturmaßnahmen ist im Einzelnen darzulegen, welchen Inhalt
und Umfang die jeweiligen Programme haben sollen, wie sie zeitlich geplant
sind, wer sie durchführt und welcher Ausgleichseffekt erwartet wird. Übertragen
auf die Vermeidung von Ausgabenkürzungen als Mittel der Störungsabwehr
ergibt sich daraus die Pflicht des Gesetzgebers, mindestens darzulegen, welche
Bereiche von den sonst notwendigen Einsparungen betroffen wären, wie
negativ sich diese Einsparungen auswirken würden, welche wirtschafts- und
beschäftigungsfördernden Maßnahmen (ohne investiven Charakter)
unterbleiben müssten, wo im Einzelnen die Grenzen rechtlich möglicher
Einsparungen lägen und welche positiven konjunkturellen Wirkungen in
quantitativer wie in qualitativer Hinsicht durch den Verzicht auf
Haushaltskürzungen erwartet werden. Dabei hat der Gesetzgeber auch
darzulegen, dass es sich um "echte" Einsparungen - etwa im Vergleich zum
Vorjahr - handeln würde und nicht nur um eine Streichung überhöhter
Ausgaben. Ferner wird in der Regel auch die Koordinierung der
Haushaltsplanung mit flankierenden gesetzgeberischen Maßnahmen und der
längerfristigen Politik darzulegen sein.
3. Der Staatsgerichtshof hält bei der Auslegung und Anwendung von Art. 71
Satz 3 NV an diesen Maßstäben fest. Sie gelten grundsätzlich auch für einen
Nachtragshaushalt.
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Die vom Staatsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zugrunde
gelegte Aufgabenverteilung zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und
verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist in Bezug auf die Wahrnehmung der
verfassungsrechtlichen Ermächtigung und Verpflichtung zu einer
situationsgebundenen, an dynamisch gesamtwirtschaftlichen Variabeln
orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik gemäß Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV
der Sache nach geboten (vgl. BVerfGE 119, 96 [146]). Zwar hat der
Verfassungsgeber auf Bundesebene zwischenzeitlich wirksamere
Kreditaufnahmebeschränkungen eingeführt, die für zukünftige Haushaltsjahre
auch für den niedersächsischen Landeshaushalt Bedeutung erlangen werden.
Der niedersächsische Verfassungsgeber hat die Änderung des Grundgesetzes
bisher aber nicht zum Anlass einer Änderung der Niedersächsischen
Verfassung genommen. Angesichts dessen ist für die verfassungsrechtliche
Überprüfung eines Haushaltsgesetzes für das Haushaltsjahr 2009 (und 2010)
von dem vorgefundenen Regelungsgehalt des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV
auszugehen.
Der Staatsgerichtshof ist allerdings der Auffassung, dass der Gesetzgeber der
ihm bereits in dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 10. Juli 1997 (StGHE 3,
279) auferlegten Darlegungslast regelmäßig nur dann hinreichend nachkommt,
wenn er sich im Gesetzgebungsverfahren auch im Einzelnen substantiiert mit
den Stellungnahmen des Landesrechnungshofs zu der in Aussicht
genommenen Kreditaufnahme auseinandersetzt. Schon das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. April 1989
(BVerfGE 79, 311), an der sich der Niedersächsische Verfassungsgeber bei der
Fassung von Art. 71 NV orientiert hat, hervorgehoben, dass der Gesetzgeber zu
erkennen geben muss, ob er mit der Beurteilung der gesetzlich verankerten
Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und Willensbildung
übereinstimmt oder aus welchen Gründen er abweicht (BVerfGE 79, 311 [345]).
Die dem Niedersächsischen Landesrechnungshof durch Art. 70 NV
zugewiesene verfassungsrechtliche Stellung als oberstes Kontrollorgan für die
Finanzwirtschaft des Landes gebietet es, dass sich der Haushaltsgesetzgeber
mit dessen Stellungnahmen zu der geplanten Kreditaufnahme im
Gesetzgebungsverfahren eingehend auseinandersetzt, falls er die
Ausnahmebefugnis zu erhöhter Kreditaufnahme aus Art. 71 Satz 3 NV in
Anspruch nehmen will.
III.
Nach diesen Maßstäben ist § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der
Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 mit Art. 71 Satz 3 NV
vereinbar.
Die veranschlagte Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € übersteigt die
eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV um 998 Mio. €. Die
Überschreitung der Grenze der eigenfinanzierten Investitionen durch die
veranschlagte Nettokreditaufnahme ist durch Art. 71 Satz 3 NV gedeckt. Nach
der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009
und den im Gesetzgebungsverfahren dargelegten Gründen sind (1.) die
Diagnose, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und
nachhaltig gestört sei, (2.) die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese
Störung abzuwehren, und (3.) die Prognose, dass und wie durch die erhöhte
Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden könne, nachvollziehbar und
vertretbar. Auch die Berücksichtigung der Steuerschätzung vom Mai 2009
begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (4.).
1. Die Einschätzung in der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sei
nachhaltig gestört, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das
Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 belegt, dass die parlamentarische Mehrheit
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im Niedersächsischen Landtag der Einschätzung der Störungslage durch die
Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs beigetreten ist und die
Verantwortung für die ausnahmsweise Inanspruchnahme von Krediten nach Art.
71 Satz 3 NV übernommen hat. Diese Entscheidung der Mehrheit des
Niedersächsischen Landtags ist nachvollziehbar und vertretbar. Sie begegnet
deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gradmesser für das Teilziel "angemessenes Wirtschaftswachstum" ist das
Bruttoinlandsprodukt (Nds. StGHE 3, 279, 295). Die Darlegungen zur Verfehlung
des Ziels eines angemessenen Wirtschaftswachstums sind ausgehend von
einem prognostizierten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 6 % im Jahr
2009 nachvollziehbar. Außer Frage steht ebenfalls, dass der
Haushaltsgesetzgeber das Teilziel hoher Beschäftigungsstand unter
Berücksichtigung einer für das Jahr 2009 prognostizierten durchschnittlichen
Zahl der Arbeitslosen von 3,7 Mio., was einer prognostizierten Arbeitslosenquote
von 8,6 % entsprach, nachvollziehbar und vertretbar als nachhaltig verfehlt
beurteilen durfte.
Die Auseinandersetzung mit Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsstand -
zwei Zielen einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik - ist ausreichend, sofern -
wie hier - eine Störung dieser Ziele vom Haushaltsgesetzgeber nachvollziehbar
und vertretbar festgestellt wird.
Die Bezugnahme auf die Bundesdaten und die Annahme einer bundesweiten
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist nicht zu beanstanden.
Wie der Staatsgerichtshof bereits entschieden hat, fällt unter den Begriff der
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 71 Satz 3 NV
insbesondere die bundesweite Störung dieses Gleichgewichts (Nds. StGHE 3,
279 [292]). Deshalb kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht
maßgeblich darauf an, dass die in der Begründung des Gesetzentwurfs
vertretene Auffassung, die Feststellungen zur Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf Bundesebene träfen auch auf die
gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu, nicht mit konkret auf das
Land Niedersachsen bezogenen Daten näher begründet wurde. Aus dem Urteil
des Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2011 (NWVBl
2011, 218) ergibt sich insoweit entgegen der Auffassung der Antragsteller nichts
anderes.
2. Im Gesetzgebungsverfahren wurde auch die Absicht, mit Hilfe der erhöhten
Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
abzuwehren bzw. abzumildern, hinreichend dargelegt.
In der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz
2009 führte die Landesregierung aus, dass die die eigenfinanzierten
Investitionen übersteigende Nettokreditaufnahme erforderlich sei, um die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. In diesem
Sinne äußerten sich auch Mitglieder der Landtagsfraktionen von CDU und FDP
im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 (vgl. oben A.I.1). Zwar legt die
Gesetzbegründung ebenfalls dar, die vorgesehene Kreditermächtigung sei
erforderlich, um die Handlungsfähigkeit des Staates und damit auch das Ziel der
Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern. Dies stellt im Ergebnis die vom
Gesetzgeber verfolgte Absicht, mit Hilfe der erhöhten Kreditaufnahme die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Haushaltsjahr 2009
abzuwehren bzw. abzumildern, jedoch nicht in Frage. Zum einen ist zu
berücksichtigen, dass nach Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG die Haushalte der
Länder so aufzustellen sind, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Art.
109 Absatz 3 Satz 5 GG erfüllt wird. Der Haushaltsgesetzgeber durfte bei
Erteilung der Kreditaufnahmeermächtigungen folglich die Notwendigkeit ihrer
Reduzierung in den Folgejahren bis hin zu einem grundsätzlich vollständigen
Verzicht auf Krediteinnahmen nicht aus dem Auge verlieren. Zum anderen hob
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der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der 46. Sitzung des
Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 hervor, dass die
CDU-Fraktion den vorgenannten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs als
"missverständlich" ansehe. Dem schloss sich der haushaltspolitische Sprecher
der FDP-Fraktion an. Damit kam in den parlamentarischen Beratungen
hinreichend zum Ausdruck, dass der Hinweis in der Begründung des
Gesetzentwurfs, die erhöhte Kreditaufnahme diene dem Ziel, die
Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern, für die Landtagsmehrheit die
Absicht der Störungsabwehr bezogen auf das Haushaltsjahr 2009 nicht in Frage
stellte.
3. Ferner wurde im Gesetzgebungsverfahren noch hinreichend darlegt, dass die
erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts geeignet erschien.
a) Die Landesregierung hob in der Begründung zum Gesetzentwurf des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 diesbezüglich insbesondere zwei
Gesichtspunkte hervor. Zum einen legte sie dar, dass substantielle
Einnahmeverbesserungen für Niedersachsen derzeit nicht erreichbar seien.
Ohne eine die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei
ein Haushaltsausgleich deshalb nur durch weitreichende Ausgabenkürzungen
im konsumtiven Bereich möglich, die die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten
würden. Im Kern sollte die erhöhte Kreditaufnahme mithin dazu dienen,
konjunkturschädliche Einsparungen zu vermeiden. Zum anderen stellte die
Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf ab, dass die
Kreditaufnahme erforderlich sei, um Mittel für Investitionen des Landes und der
Kommunen zur Störungsabwehr zu mobilisieren. Die öffentlichen Investitionen
leisteten in der aktuellen Störungslage einen erheblichen Stabilisierungsbeitrag.
Vertreter der Landesregierung und der Fraktionen von CDU und FDP griffen die
beiden vorgenannten Aspekte in den parlamentarischen Beratungen auf.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter A.I.1 des Urteils Bezug
genommen.
b) Aus den Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren ergibt sich, dass der im
Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 3 NV erweiterte
finanzielle Handlungsspielraum des Landes in vertretbarer Weise zur Abwehr
der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts genutzt werden sollte.
Nach den Ausführungen der Deutschen Bundesbank in ihrem Monatsbericht
Juni 2009, auf den die Begründung des Gesetzentwurfs für das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 ausdrücklich Bezug nimmt, leiste die
Finanzpolitik einen Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft. Sie lasse
hiernach nicht nur die automatischen Stabilisatoren voll wirksam werden,
sondern stärke im Rahmen der Konjunkturprogramme I und II über
Abgabenerleichterungen und höhere Sozialtransfers auch die Kaufkraft der
Konsumenten. Mit der intensivierten Förderung von Kurzarbeit reduziere sie
nach Auffassung der Deutschen Bundesbank das unmittelbare
Arbeitsmarktrisiko; außerdem stütze sie durch sektorspezifische Maßnahmen
vor allem die Bau- und Automobilbranche. Die Projektgruppe
Gemeinschaftsdiagnose führte in ihrer Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2009,
auf die in der Begründung des Entwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes
2009 ebenfalls hingewiesen wird, aus, die Konjunkturpakete I und II seien trotz
grundsätzlicher Bedenken, die gegen solche Stimulierungsprogramme
vorzubringen seien, in der gegenwärtigen Situation vertretbar. Neben den
Konjunkturprogrammen träten weitere Regelungen in Kraft, die die Konjunktur
zusätzlich anregen dürften. Insgesamt ergebe sich im Jahr 2009 ein fiskalischer
Impuls von 32 Mrd. Euro (1,3 % des Bruttoinlandsprodukts). Angesichts der
Stärke der dämpfenden Wirkungen, die von dem außerordentlich kräftigen
Rückgang der weltwirtschaftlichen Produktion und dem Zusammenbruch des
Welthandels ausgehen würden, könnten Programme zur Stimulierung der
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binnenwirtschaftlichen Nachfrage die Rezession zwar nur mildern, nicht aber
verhindern. Schätzungen mit ökonometrischen Modellen zeigten aber, dass
aufgrund des Konjunkturpakets II (ohne die Aufstockung der „Abwrackprämie“)
für das Jahr 2009 eine um gut 0,5 Prozentpunkte höhere Veränderungsrate des
BIP zu erwarten sei. Im Großen und Ganzen seien viele der beschlossenen
Maßnahmen positiv zu beurteilen. Die zentralen Komponenten des zweiten
Konjunkturpakets, die Steigerung der Investitionen sowie die Entlastungen bei
Steuern und Sozialbeiträgen, führten nicht nur zu den aus konjunktureller
Perspektive wünschenswerten Nachfrageimpulsen. Aufgrund der langfristig
positiven Produktivitätseffekte und der Leistungsanreize förderten sie zugleich
auch das Wachstum. Daher sei es vertretbar, sie vorübergehend über
Verschuldung zu finanzieren.
Angesichts der vorgenannten sachverständigen Stellungnahmen konnte der
Landesgesetzgeber vertretbar davon ausgehen, dass die Maßnahmen im
Rahmen des Konjunkturpakets II und des Niedersächsischen
Zukunftsinvestitionsgesetzes (NZuInvG), das die Weiterleitung des Hauptteils
der Mittel aus dem Gesetz zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der
Kommunen und Länder (Zukunftsinvestitionsgesetz - ZuInvG -) regelt, geeignet
seien, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zumindest
abzumildern. Inhalt und Umfang der Investitionsmaßnahmen, ihre zeitliche
Planung sowie die durchführenden Stellen wurden im Gesetzgebungsverfahren
dadurch hinreichend dargelegt, dass die Landesregierung in der Begründung
des Gesetzentwurfs, die sich der Haushaltsgesetzgeber mit der Verabschiedung
des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 zu eigen gemacht hat, ausdrücklich
auf das Konjunkturpaket II, das ZuInvG und seine Umsetzung in Niedersachsen
insbesondere durch die Verwaltungsvereinbarung zur Umsetzung von
Zukunftsinvestitionen der Kommunen und der Länder Bezug genommen hat. In
den parlamentarischen Beratungen des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009
verwiesen Vertreter der Landesregierung und der Regierungsfraktionen in
diesem Zusammenhang mehrfach ausdrücklich auf die sog. "Initiative
Niedersachsen" und damit auf das NZuInvG. Aus den genannten gesetzlichen
Vorschriften und der Verwaltungsvereinbarung ergibt sich hinreichend deutlich,
welchen Inhalt und Umfang die Investitionsmaßnahmen hatten, in welchem
zeitlichen Rahmen und von welcher Stelle sie ausgeführt werden sollten. Bei
dieser Sachlage ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, vom
Haushaltsgesetzgeber eine ins Einzelne gehende Wiederholung der
vorgenannten Maßnahmen zu verlangen. Dem Haushaltsgesetzgeber waren
das ZuInvG, die Verwaltungsvereinbarung zum ZuInvG und das NZuInvG, das
der 16. Niedersächsische Landtag am 20. Februar 2009 selbst beschlossen
hatte, bekannt. Ihm waren deshalb Gegenstand und beabsichtigte Folgen seiner
Entschließung bewusst. Damit ist dem vom Staatsgerichtshof herausgestellten
Zweck der Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren Genüge getan, dass der
Haushaltsgesetzgeber die politische Verantwortung für die erhöhte
Kreditaufnahme in Kenntnis ihres Gegenstand und der beabsichtigten Folgen
übernimmt.
Ebenso ist es vertretbar, dass der Haushaltsgesetzgeber es nicht für
zweckmäßig hielt, Einnahmeausfälle durch Ausgabenkürzungen aufzufangen.
Auch hierdurch sollte eine Verstärkung des konjunkturellen Abschwungs durch
die Haushaltspolitik vermieden werden. Insoweit hielt der Haushaltsgesetzgeber
an dem Konzept einer antizyklischen Haushaltspolitik fest. Er wollte nicht durch
zusätzliche Sparmaßnahmen dazu beitragen, die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts noch zu verstärken. Die Erhöhung der
Kreditaufnahmeermächtigung war somit Folge der Aufrechterhaltung eines
nachfrageorientierten Konzepts und deshalb eine nachvollziehbare und
vertretbare Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers. Zwar sind nach der
Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs bei einem Verzicht auf Einsparungen
grundsätzlich weitere Darlegungen erforderlich. Bei dem hier zu beurteilenden 3.
Nachtragshaushalt 2009, den der Niedersächsische Landtag erst am 28.
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Oktober 2009 und damit kurz vor Ende des Haushaltsjahres beschlossen hat, ist
jedoch zu berücksichtigen, dass substantielle Ausgabenkürzungen zu diesem
späten Zeitpunkt im Haushaltsjahr 2009 von vornherein nicht mehr in Betracht
kamen. Dementsprechend hat es auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug
auf den am 23. November 2004 vom Deutschen Bundestag beschlossenen
Nachtragshaushalt 2004 als ausreichend angesehen, dass der Gesetzgeber
dargelegt hatte, die Situation nicht durch zusätzliche Sparmaßnahmen
verschärfen zu wollen (BVerfGE 119, 96 [153]). Eine solche Zielrichtung brachte
die Niedersächsische Landesregierung in ihrer Begründung des Gesetzentwurfs
hinreichend zum Ausdruck. Die positiven konjunkturellen Auswirkungen des
Verzichts auf Haushaltskürzungen ergaben sich aus den dort in Bezug
genommenen Ausführungen der Deutschen Bundesbank in ihrem
Monatsbericht Juni 2009. Der Finanzminister wies vor dem Niedersächsischen
Landtags zudem darauf hin, dass die Landesregierung zur Abwehr der Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegen die Steuerausfälle nicht mit
Haushaltssperren, Einstellungsstopps oder Ähnlichem angehen könne. Die
Staatssekretärin im Finanzministerium benannte - wie oben bereits dargelegt -
darüber hinaus Einsparungsmaßnahmen im 3. Nachtragshaushalt 2009 und
brachte damit zugleich zum Ausdruck, wo die Grenzen möglicher
Einsparungsmaßnahmen nach Einschätzung der Landesregierung lagen. Die
Koordinierung der Haushaltsplanung mit der längerfristigen Politik legte der
Vorsitzende der Landtagsfraktion der CDU in der 45. Plenarsitzung des 16.
Niedersächsischen Landtags vom 23. September 2009 dar, indem er auf die
Mipla Bezug nahm und das Ziel der Landtagsmehrheit hervorhob, die
Neuverschuldung ab 2011 sukzessive wieder abzubauen und im Jahr 2017
einen Landeshaushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen.
Auch die Stellungnahme des Präsidenten des Landesrechnungshofs in der
Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen vom 30. September 2009
war mehrfach Gegenstand parlamentarischer Beratungen. So setzte sich der
haushaltspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der CDU in der Sitzung des
Ausschusses für Haushalt- und Finanzen vom 21. Oktober 2009 und in der 48.
Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtags am 28. Oktober 2009 mit den
Einwänden auseinander, die der Landesrechnungshof gegen das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 vorgebracht hatte. Der Haushaltsgesetzgeber
folgte den Einwendungen des Landesrechnungshofs im Ergebnis aber nicht,
wie die Abstimmung über den 3. Nachtragshaushalt 2009 zeigt.
c) Der Prognose des Haushaltsgesetzgebers, die die eigenfinanzierten
Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei dazu geeignet, die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren, steht nicht entgegen, dass
die Finanzierung der Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunkturpakets II in
Niedersachsen bereits Gegenstand des (ersten) Nachtragshaushaltsgesetzes
2009 war. Nach dem Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung gemäß § 8 Satz
1 LHO und § 7 Satz 1 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts
des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG -), der nach §
1 HGrG auch für den Niedersächsischen Landeshaushalt gilt, dienen alle
Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. Einnahmen sind alle im
Haushaltsjahr zu erwartenden Deckungsmittel ohne Rücksicht auf ihre Art und
Herkunft. Hierzu gehören insbesondere die Einnahmen aus Krediten (vgl. § 10
Abs. 3 Nr. 1 HGrG). Durch den Grundsatz der Gesamtdeckung soll eine
Zweckbindung von Einnahmen zugunsten bestimmter Ausgaben verhindert
werden. Verfassungsrechtlich besteht eine Verbindung von Einnahmen- und
Ausgabenseite des Landeshaushalts nur insofern, als die Nettokreditaufnahme
im laufenden Haushaltsjahr die Summe der investiven Ausgaben desselben
Haushaltsjahrs gemäß Art. 71 Satz 2 NV nicht überschreiten darf, wobei
Ausnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 3 NV zulässig sind.
Art. 71 Satz 2 und Satz 3 NV betreffen aber nicht die Frage nach der konkreten
Verwendung der einzelnen aufgenommenen Kreditmittel. Eine Einzelzuordnung
der Kreditmittel zu einer bestimmten (investiven) Verwendung ist
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verfassungsrechtlich nicht vorgesehen. Sie wäre auch haushaltsrechtlich nach
dem Prinzip der Gesamtdeckung irrelevant.
d) Die Prognose des Haushaltsgesetzgebers, die die eigenfinanzierten
Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei zur Störungsabwehr geeignet,
stellt sich ferner nicht deshalb als unvertretbar dar, weil der
Haushaltsgesetzgeber mit dem 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 davon
Abstand genommen hat, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage
vorzunehmen bzw. Stammkapital der Nord/LB zu aktivieren. Der
Haushaltsgesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet,
Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage in den 3. Nachtragshaushalt 2009
einzustellen bzw. Stammkapital der Nord/LB zu veräußern, um auf diese Weise
die Nettokreditaufnahme im 3. Nachtragshaushalt 2009 niedriger ansetzen zu
können.
Gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV sind im Haushaltsplan für jedes Haushaltsjahr
alle Einnahmen des Landes nach dem Entstehungsgrund zu veranschlagen.
Gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 2 NV ist der Haushaltsplan in Einnahme und
Ausgabe auszugleichen. Das Gebot des Ausgleichs von Einnahmen und
Ausgaben beschränkt sich auf eine formale, rechnerische Regel (vgl. BVerfGE
119, 96 [119]). Unter Einnahmen sind auch Einnahmen aus Krediten zu
verstehen, sodass auch ein Haushalt mit erheblichem Anteil an Einnahmen aus
Krediten ausgeglichen sein kann und muss. Die Niedersächsische Verfassung
sagt nichts darüber, aus welcher Quelle die Einnahmen für den Ausgleich des
Haushalts stammen müssen. Bei der Auswahl der Deckungsmittel, also z.B.
Steuern, Verwaltungseinnahmen, Einnahmen aus Vermögensveräußerungen,
Kredite und Entnahmen aus Rücklagen, macht die Verfassung dem
Gesetzgeber grundsätzlich keine Vorgaben. Ein gewisser Vorrang kommt den
Einnahmen aus Steuern in diesem Zusammenhang zwar dadurch zu, dass den
Einnahmen aus Krediten durch Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV Grenzen gesetzt
werden. Sofern der Haushaltsgesetzgeber diese Grenzen beachtet und den
Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung trägt, ist er
aber grundsätzlich frei, darüber zu entscheiden, durch welche Einnahmen er
den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich mit den Ausgaben herstellt. Dies
sichert die Dispositionsbefugnis des Parlaments auf finanzwirtschaftlichem
Gebiet.
Nach § 62 Satz 1 LHO soll eine allgemeine Rücklage gebildet werden. Die
allgemeine Rücklage dient gemäß § 62 Satz 5 LHO dem Haushaltsausgleich
und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft ohne
Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen (Kassenverstärkungskredite, § 34
a LHO). Bei den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden
Kreditaufnahmeermächtigungen handelte es sich nicht um
Kassenverstärkungskredite. Die allgemeine Rücklage ist nicht monetär
unterlegt. Sie wird aus Kreditaufnahmeermächtigungen gebildet, die in Vorjahren
im Rahmen des Haushaltsvollzugs nicht in Anspruch genommen wurden. Eine
Entnahme aus der allgemeinen Rücklage führt dem Haushalt deshalb keine
Geldmittel zu. Sie ermächtigt das Niedersächsische Finanzministerium lediglich,
von den der allgemeinen Rücklage zugeführten Kreditaufnahmeermächtigungen
aus Vorjahren (wieder) Gebrauch zu machen.
Nach einfachem Recht sind bei der Aufstellung des Haushaltsplans die
Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (§ 7 Abs. 1
LHO, § 6 Abs. 1 HGrG). Der Staatsgerichtshof kann offen lassen, ob dem
niedersächsischen Verfassungsrecht ebenfalls ein Wirtschaftlichkeitsgebot
immanent ist, das als Verfassungsgrundsatz auch den Haushaltsgesetzgeber
bindet. Jedenfalls ergibt sich aus dem Gebot wirtschaftlichen Staatshandelns
weder die allgemeine Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers,
Landesvermögen zu veräußern, noch Entnahmen aus der allgemeinen
Rücklage vorzunehmen, um die Kreditaufnahmeermächtigungen niedriger
ausweisen zu können. Die Summe der vorgesehenen Ausgaben ist durch
122
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Einnahmen auszugleichen. Wäre dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu entnehmen,
dass der Veräußerung von Landesvermögen Vorrang vor der Erteilung von
Kreditaufnahmeermächtigungen einzuräumen sei, wäre dem
Haushaltsgesetzgeber die Veranschlagung von Einnahmen aus Krediten zum
Haushaltsausgleich praktisch verwehrt. Ein solches Ergebnis stünde mit Art. 71
Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht in Einklang, denn diese Vorschriften gehen von der
grundsätzlichen Zulässigkeit der Kreditfinanzierung des Landeshaushalts aus.
Sie machen die Erteilung von Kreditaufnahmeermächtigungen insbesondere
nicht vom (vorrangigen) Einsatz von Landesvermögen abhängig.
Vermögensaktivierungen, die der Finanzierung laufender, konsumtiver
Ausgaben und nicht der Finanzierung neuer, vergleichbar langlebiger
Vermögenswerte dienen, sind zudem nur begrenzt verfügbar. Sie leisten keinen
dauerhaft wirksamen Beitrag zur Konsolidierung (vgl. Jahresbericht des
Landesrechnungshofs 2008, S. 9). Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot lässt sich
auch kein Maßstab für das Verhältnis zwischen dem Ansatz von Entnahmen
aus der allgemeinen Rücklage und der Erteilung neuer
Kreditaufnahmeermächtigungen ableiten. Denn sowohl Entnahmen aus der
allgemeinen Rücklage als auch die Erteilung neuer
Kreditaufnahmeermächtigungen gestatten dem Finanzministerium die
Aufnahme von Krediten. Beide Ansätze sind damit in Bezug auf die
Wirtschaftlichkeit gleichwertig.
e) Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Entscheidung über die Auswahl der
Deckungsmittel näher zu begründen, wenn er unter Berufung auf Art. 71 Satz 3
NV Kreditaufnahmeermächtigungen erteilt, die die eigenfinanzierten investiven
Ausgaben übersteigen. Die Anforderungen, die an die Darlegungen des
Gesetzgebers von Verfassungs wegen zu stellen sind, falls er die Befugnis nach
Art. 71 Satz 3 NV in Anspruch nimmt, hat der Staatsgerichtshof bereits
klargestellt (Nds. StGHE 3, 279). Zu den Darlegungsanforderungen, die der
Gesetzgeber hiernach zu erfüllen hat, gehört es nicht, einzelne
Einnahmeansätze näher zu begründen. Nichts anderes gilt für den Verzicht auf
Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage und die Aktivierung von
Landesvermögen, selbst wenn diese Einnahmeansätze in vorhergehenden
Haushaltsplänen noch veranschlagt waren. Die Veränderung einzelner
Einnahmepositionen bedeutet auch noch keine Abkehr von der bisherigen
Finanzplanung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 79, 311 [345]) eine Begründungspflicht des Gesetzgebers auslöst.
Jeder Haushaltsplan enthält ein differenziertes Gefüge von Einnahme- und
Ausgabeposten, das sich aufgrund bestimmter Prioritätssetzungen und
Abwägungsentscheidungen als Ergebnis einer politischen Gesamtentscheidung
darstellt. Es ist nicht Aufgabe einer vom Staatsgerichtshof anzustellenden
Eignungsprüfung, einzelne Einnahme- und Ausgabeansätze aus diesem
Gefüge herauszubrechen und isoliert auf ihre Eignung, auf höhere
Einnahmemöglichkeiten und auf gegebene Einsparungsmöglichkeiten o.ä. zu
untersuchen. Dem Haushaltsgesetzgeber steht als Ausfluss seines politischen
Handlungsermessens ein Beurteilungsspielraum zu, der es ausschließt, dass
der Staatsgerichtshof jeden einzelnen Haushaltsansatz unter dem
Gesichtspunkt seiner verfassungsrechtlichen Unabdingbarkeit bewertet.
Im Übrigen wurde im Gesetzgebungsverfahren auch dargelegt, aus welchen
Gründen die Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB im 3.
Nachtragshaushalt 2009 nicht mehr vorgesehen war. Hierzu führte die
Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium in der 42. Sitzung des
Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 aus, das Land
halte am Verkauf des Stammkapitals im Jahr 2009 wegen der Entwicklungen auf
den Zinsmärkten und der damit zu erwartenden geringeren Erlöse aus dem
Beteiligungsverkauf nicht mehr fest. Der Leiter der Haushaltsabteilung im
Niedersächsischen Finanzministerium legte gegenüber dem Ausschuss für
Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 dar, die Verschiebung des
Verkaufs des Stammkapitals sei angesichts der Auswirkungen der
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Finanzmarktkrise aus Sicht der Landesregierung sinnvoll. Dieser
nachvollziehbaren Einschätzung schloss sich der Haushaltsgesetzgeber an, wie
die Abstimmung über das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 belegt.
f) Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV ist darüber hinaus nicht zu entnehmen, dass
eine Kreditfinanzierung nur unter Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip
erfolgen dürfe (ebenso BVerfGE 79, 311 [341], zu Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG
a.F.). Der Verfassungsgeber hat für den Fall einer Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu deren Abwehr mit Art. 71 Satz 3 NV
eine Ausnahme von der Kreditbegrenzungsvorschrift in Art. 71 Satz 2 NV
eröffnet. Damit steht diese Handlungsmöglichkeit neben derjenigen der
Einhaltung der Kreditobergrenze. Zu welcher Möglichkeit der Gesetzgeber greift,
ist eine Abwägungsfrage. Es ist eine politische Aufgabe, diese Abwägung
vorzunehmen. Zwar muss die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch Kreditfinanzierung
des Haushalts und nicht durch andere Maßnahmen - wie z.B.
Ausgabenkürzungen oder Abgabenerhöhungen - zu bekämpfen, zur
Störungsabwehr geeignet und damit "final auf die Störungsabwehr bezogen
sein" (BVerfGE 119, 96 [140]). Unter mehreren Mitteln der Finanzierung, z.B.
durch Kreditaufnahme oder Veräußerung von Landesvermögen, besteht jedoch
keine Abstufung im Sinne einer Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit im
engeren Sinne (vgl. dazu BVerfGE 79, 311 [342 f.]).
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 vertrat der Landesrechnungshof die
Auffassung, die den Betrag der Steuerausfälle übersteigende Kreditaufnahme
sei dann nicht notwendig, wenn der Gesetzgeber an der Veräußerung von
Stammkapital der Nord/LB und der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage
festhalte. Dies ist zwar rechnerisch richtig. Verfassungsrechtlich kommt es
hierauf aber nach den vorgenannten Maßstäben im Hinblick auf die dem
Haushaltsgesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit nicht an. Die
parlamentarische Mehrheit des Niedersächsischen Landtags entschied mit dem
3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009, Stammkapital der Nord/LB in Höhe von 280
Mio. € nicht zu aktivieren und Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage in
Höhe von 730 Mio. € nicht zu tätigen. Hierbei handelte es sich um
haushaltspolitische Entscheidungen, die nicht der Nachprüfung durch den
Staatsgerichtshof unterliegen.
4. Auch begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der
Haushaltsgesetzgeber dem Haushaltsgesetz 2009 die Mai-Steuerschätzung
zugrunde gelegt hat.
a) Art. 65 Abs. 1 NV bildet die Grundlage für die verfassungsrechtlichen
Haushaltsgrundsätze der Vollständigkeit, Wahrheit und Ausgeglichenheit des
Haushaltsgesetzes in Verbindung mit dem Haushaltsplan (vgl. BVerfGE 119, 96
[118]). Aus dem Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit folgt vor allem die
Pflicht zur Schätzgenauigkeit (Hess.StGH, LVerfGE 16 , 262 [293]). Diese Pflicht
ist jedenfalls durch bewusst falsche Etatansätze verletzt, aber auch durch
"gegriffene" Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeiten besserer
Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe
Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen
(BVerfGE 119, 96 [130]). Haushaltswahrheit bedeutet in verfahrensmäßiger
Hinsicht, dass die prognostischen Angaben über Einnahmen und Ausgaben
nach sachgerechten Maßstäben und Methoden gemacht werden (vgl.
Hess.StGH, LVerfGE 16, 262 [293]). Der Gesetzgeber verfügt insoweit über
einen Prognosespielraum. Wie andere Prognosen sind auch die vielfach
erforderlichen Einnahmen- und Ausgabenschätzungen nicht schon dann als
Verstoß gegen das Wahrheitsgebot zu bewerten, wenn sie sich im Nachhinein
als falsch erweisen. Sie müssen stets nur aus der Sicht ex ante sachgerecht
und vertretbar ausfallen (BVerfGE 30, 250 [263]; 113, 167 [234]; 119, 96 [130]).
Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer
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Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter
Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der
Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der
verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden (BVerfGE
119, 96 [130]). Bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen, deren Höhe von
der nicht präzise voraussehbaren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängt,
kann vom Haushaltsgesetzgeber insoweit nicht mehr verlangt werden als eine
auf vernünftigen Erwägungen beruhende Schätzung (VerfGH NRW, NWVBl
2003, 419 [425]).
b) Der Haushaltsgesetzgeber leitete die Ansätze der Steuern und
steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich und
Bundesergänzungszuweisungen) im 3. Nachtragshaushalt 2009 im
Wesentlichen aus der zentralen Schätzung des Arbeitskreises
"Steuerschätzungen" vom 12. bis 14. Mai 2009 ab. Der Ansatz folgte dabei
grundsätzlich dem für Niedersachsen regionalisierten Ergebnis der
Steuerschätzung. Anpassungen nahm der Gesetzgeber bei den
Einnahmeansätzen insofern vor, als er vor allem die Auswirkungen des
Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von
Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom
16. Juli 2009 (BGBl. I S. 1959) berücksichtigte, die teilweise schon im
Haushaltsjahr 2009 in Kraft traten. Die im Laufe der parlamentarischen
Beratungen dieses Gesetzes erfolgten Änderungen des Gesetzentwurfs waren
bei der Steuerschätzung im Mai 2009 noch nicht berücksichtigt worden.
Der Haushaltsgesetzgeber folgte bei der Ableitung der Ansätze der Steuern und
steuerinduzierten Einnahmen aus dem Ergebnis der Schätzung des
Arbeitskreises "Steuerschätzungen" im 3. Nachtragshaushalt 2009 einer seit
vielen Jahren üblichen Methode. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu
beanstanden. Die Veranschlagung der Einnahmen aus Steuern auf der
Grundlage der Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" lässt im
Regelfall ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen zu
erwartender Einnahmen erkennen. Dem Grundsatz der Haushaltswahrheit trägt
der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er in einem institutionalisierten
Verfahren wie dem der regelmäßigen Steuerschätzungen des hierfür
eingerichteten Arbeitskreises Vorkehrungen trifft, politisch motivierte subjektive
Bewertungen auf Seiten des Parlaments und der Regierung nach Möglichkeit zu
reduzieren.
Der Haushaltsgesetzgeber konnte auch in der konkreten
Entscheidungssituation bei der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushalts
2009 aus der Sicht ex ante vertretbar die regionalisierten Ergebnisse des
Arbeitskreises "Steuerschätzungen" aus der Mai-Steuerschätzung für die
Veranschlagung der Steuereinnahmen zugrunde legen. Es finden jährlich zwei
Sitzungen des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" statt. Mitte Mai erfolgt eine
Steuerschätzung für den mittelfristigen Zeitraum (laufendes Jahr plus vier
Folgejahre). Die zweite Sitzung findet zeitnah zur Verabschiedung des
Bundeshaushalts im Herbst statt. Die Schätzung umfasst das laufende Jahr und
fünf Folgejahre. Im Jahr 2009 fanden die Mai-Sitzung vom 12. bis zum 14. Mai
2009 und die Herbst-Sitzung vom 3. bis zum 5. November 2009 statt. Zum
Zeitpunkt der Herbst-Sitzung hatte der Landtag das 3.
Nachtragshaushaltsgesetz 2009 bereits beschlossen, sodass die
Berücksichtigung des Ergebnisses der Herbst-Schätzung für den
Haushaltsgesetzgeber von vornherein ausschied.
c) Der Haushaltsgesetzgeber musste bei der Veranschlagung der Einnahmen
aus Steuern unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Verabschiedung des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 bestehenden besonderen
Prognoseunsicherheiten von den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung nicht
im Hinblick auf die Ist-Entwicklung abweichen und die Steuereinnahmen höher
ansetzen. Zwar kann ein Abweichen von den regionalisierten Ergebnissen der
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Steuerschätzung zulässig und sogar geboten sein, wenn "handfeste" Indizien
für wesentlich geänderte Ansätze der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen
erkennbar werden (vgl. BVerfGE 119, 96 [131]). Solche handfesten Indizien
lagen jedoch weder bei Einbringung des Gesetzentwurfs noch zu einem
späteren Zeitpunkt bis zur Annahme des Gesetzentwurfs im Landtag am 28.
Oktober 2009 vor. Für die Vertretbarkeit der Ansätze aus Steuern und
steuerinduzierten Einnahmen auf der Grundlage der Steuerschätzung vom Mai
2009 spricht bereits, dass ihr Ansatz im Gesetzentwurf zu keiner Zeit
erkennbarer Gegenstand parlamentarischer Kontroversen war (vgl. BVerfGE
119, 96 [131]). In der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen
am 21. Oktober 2009 vertrat die haushalts- und finanzpolitische Sprecherin der
SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag selbst die Auffassung, Basis für
den 3. Nachtragshaushaltsplanentwurf 2009 müsse die Mai-Steuerschätzung
sein. Dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 26.
Oktober 2009 (LT-Drucks. 16/1781) zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 lag
bei den Ansätzen der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen ebenfalls das
Ergebnis der regionalisierten Mai-Steuerschätzung zugrunde.
Die Tatsache, dass die Steuereinnahmen in Niedersachsen in den Monaten
Januar bis Juli 2009 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um rund 10 %
gestiegen waren und sich selbst zum Ende des dritten Quartals 2009 nach dem
Vierteljahresbericht vom 29. Oktober 2009 noch Steuermehreinnahmen von 2,9
% gegenüber dem Vorjahrszeitraum zeigten, war nicht ausreichend, um den
Haushaltsgesetzgeber von Verfassungs wegen als verpflichtet anzusehen, von
den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung abzuweichen. Der
Haushaltsgesetzgeber musste auch nicht deshalb von den Ergebnissen der
Mai-Steuerschätzung abweichen, weil nach dem Vierteljahresbericht des
Niedersächsischen Finanzministeriums über die Haushalts- und Kassenlage
vom 29. Oktober 2009 in den ersten drei Haushaltsvierteljahren 2009 die
Tilgungen die Neuverschuldung um 72,6 Mio. € überstiegen, das Land also bis
zum Ablauf des 3. Quartals 2009 noch gar keine Nettokreditaufnahme getätigt
hatte. Das Festhalten an den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung war
vertretbar, weil für den Haushaltsgesetzgeber nicht absehbar war, ob die
positive Entwicklung der Steuereinnahmen in Niedersachsen im weiteren
Jahresverlauf weiter anhalten würde. Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse
hierüber lagen dem Haushaltsgesetzgeber nicht vor. Angesichts der Dynamik
wirtschaftlicher Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die
Steuereinnahmen können Ist-Ergebnisse lediglich Anhaltspunkte für eine
Vorausschätzung sein. Sie können als Momentaufnahme eine anhand der
gesamtwirtschaftlichen Eckdaten und volkswirtschaftlicher Kennzahlen fundierte
Steuerschätzung für den Ansatz der Steuereinnahmen im Haushaltsplan
indessen nicht entkräften. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem
Haushaltsgesetzgeber - wie hier - keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber
vorliegen, dass sich aus dem für einen Teil des Haushaltsjahres gegebenen Ist-
Ergebnis der Steuereinnahmen ein bestimmtes Ergebnis für das gesamte
Haushaltsjahr, das Grundlage des Haushaltsansatzes sein muss, ableiten lässt.
C.
Die Normenkontrollanträge gegen das Haushaltsgesetz 2010 sind ebenfalls
zulässig.
Die Normenkontrollanträge zu 2.a) und 2.b) sind jedoch unbegründet. Allerdings
steht die niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der allgemeinen
Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu
behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang.
Der Normenkontrollantrag zu 2.c) ist teilweise begründet. § 1 Satz 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des Nachtragshaushaltsgesetzes
2010 in Verbindung mit Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 ist mit Art. 65
Abs. 1 Satz 1 NV insoweit unvereinbar, als der Haushaltsgesetzgeber die
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Umsatzsteuer (Landesanteil) zu hoch veranschlagt hat, indem er den im März
2010 fälligen Erstattungsanspruch des Bundes im Haushaltsplan 2010 nicht
einnahmemindernd berücksichtigt hat.
I.
§ 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 ist mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV
vereinbar.
Die Maßstäbe, an denen die Verfassungsmäßigkeit der
Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 zu
messen ist, entsprechen den oben bereits für § 3 Abs. 1 des 3.
Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 dargelegten Voraussetzungen. Diese
Prüfungsmaßstäbe sind auch für das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden.
Die in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 veranschlagte
Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € übersteigt die eigenfinanzierten
Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV um 1,061 Mrd. €. Die Überschreitung der
Grenze der eigenfinanzierten Investitionen durch die veranschlagte
Nettokreditaufnahme ist durch Art. 71 Satz 3 NV gedeckt. Nach der Begründung
des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 und den Darlegungen im
Gesetzgebungsverfahren sind (1.) die Diagnose, dass das
gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht auch im Haushaltsjahr 2010 ernsthaft und
nachhaltig gestört sei, (2.) die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese
Störung abzuwehren, und (3.) die begründete Prognose, dass und wie durch die
erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden könne, nachvollziehbar und
vertretbar.
1. Die in der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010
zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht sei auch im Haushaltsjahr 2010 nachhaltig gestört, ist von
Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Landesregierung orientierte sich
mit der Begründung des Gesetzentwurfs an den Erfordernissen des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne von Art. 109 Abs. 2 GG a.F..
Das Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf des Haushaltsgesetzes
2010 zeigt, dass die parlamentarische Mehrheit im Niedersächsischen Landtag
der Einschätzung der Störungslage durch die Landesregierung in der
Begründung des Gesetzentwurfs beigetreten ist.
Die Landesregierung hat die Verfehlung des Ziels eines angemessenen
Wirtschaftswachstums nachvollziehbar dargelegt. Nach dem Monatsbericht der
Deutschen Bundesbank Juni 2009, auf den die Begründung des
Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 ausdrücklich Bezug nimmt,
zeichnete sich ausgehend von einem Rückgang des BIP im Jahr 2009 um etwa
6 % für das Jahr 2010 eine unverändert niedrige Wirtschaftsaktivität ab. Die
Deutsche Bundesbank rechnete für das Jahr 2010 insgesamt mit einer
kalenderjährlichen jahresdurchschnittlichen BIP-Rate von 0,0 %. Die
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ging in ihrer Frühjahrsprojektion
ebenfalls davon aus, dass sich die extrem schlechte konjunkturelle
Grundtendenz des Jahres 2009 nicht wesentlich ändern werde. Mit einer
durchgreifenden Erholung sei auch für das Jahr 2010 nicht zu rechnen.
Erfahrungen mit früheren Rezessionen hätten gezeigt, dass diese besonders
hartnäckig seien, wenn sie mit einer Banken- und Immobilienkrise einhergingen.
Aufgrund der sich weiter verschlechternden Arbeitsmarktlage sei außerdem zu
erwarten, dass der private Konsum spürbar zurückgehen werde. Im
Jahresdurchschnitt sei ein Rückgang des realen BIP um 0,5 % zu erwarten.
Angesichts der prognostizierten Stagnation des BIP auf dem schon sehr
niedrigen Niveau des Jahres 2009 bzw. eines weiteren leichten Rückgangs des
realen BIP um 0,5 % konnte der Haushaltsgesetzgeber vertretbar von einer
Verfehlung des Ziels eines angemessenen Wirtschaftswachstums ausgehen.
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Der Haushaltsgesetzgeber durfte auch eine Verfehlung des Ziels eines hohen
Beschäftigungsstands im Haushaltsjahr 2010 bejahen. Die Deutsche
Bundesbank prognostizierte in ihrem Monatsbericht Juni 2009 für das Jahr 2010
eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsmarktlage. Während die
Einschränkung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität bisher weitgehend von einer
rückläufigen Arbeitszeit und einer abnehmenden Stundenproduktivität
aufgefangen worden sei, würden die Unternehmen mehr und mehr versuchen,
den Arbeitseinsatz in größerem Maße als bisher den gesunkenen
Absatzmöglichkeiten anzupassen. Es sei mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit
im Jahresmittel 2010 auf 4,4 Mio. zu rechnen. Die Arbeitslosenquote werde im
Jahr 2010 in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit damit auf 10,5 %
steigen. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ging hinsichtlich der
Arbeitsmarktlage davon aus, dass auch im Jahr 2010 die Unterauslastung der
gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten anhalten werde. Da die Entlastung durch die
Kurzarbeit abnehmen dürfte, werde die Arbeitslosenzahl im Jahr 2010 um 970
000 auf jahresdurchschnittlich 4,7 Mio. steigen. Dies entspreche einer
Arbeitslosenquote von 10,8 %.
Die Auseinandersetzung mit den Zielen Wirtschaftswachstum und
Beschäftigungsstand war zur Darlegung einer nachhaltigen Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausreichend, da der
Haushaltsgesetzgeber eine Störung dieser Ziele nachvollziehbar und vertretbar
festgestellt hat.
2. Die Absicht, mit Hilfe der erhöhten Kreditaufnahme die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren bzw. abzumildern, wurde im
Gesetzgebungsverfahren ebenfalls hinreichend dargelegt. Die Landesregierung
führte in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Haushaltsgesetz 2010 aus,
dass die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Nettokreditaufnahme
erforderlich sei, um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
abzuwehren. Vertreter der Landtagsfraktionen der CDU und der FDP vertraten in
den parlamentarischen Beratungen ebenfalls diese Auffassung. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter A.I.2 des Urteils verwiesen.
3. Die Begründung des Gesetzentwurfs und die Darlegungen im
Gesetzgebungsverfahren verdeutlichen ferner, dass die auf Art. 71 Satz 3 NV
gestützte, erhöhte Kreditaufnahme zur Störungsabwehr geeignet erschien und
der im Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme erweiterte finanzielle
Handlungsspielraum in vertretbarer Weise zur Störungsabwehr genutzt werden
sollte.
Die Deutsche Bundesbank vertrat in ihrem Monatsbericht Juni 2009, auf den die
Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 Bezug nimmt,
die Auffassung, dass die Finanzpolitik einen Beitrag zur Stabilisierung der
deutschen Wirtschaft leiste. Das Risiko einer Abwärtsspirale dürfte durch diesen
Stabilisierungsbeitrag, der von den staatlich aufgelegten Konjunkturprogrammen
ausgehe, gebannt sein. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose kam in ihrer
Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2009, auf die sich die Begründung des
Gesetzentwurfs ebenfalls stützt, zu dem Ergebnis, die Konjunkturpakete I und II
seien trotz grundsätzlicher Bedenken, die gegen solche
Stimulierungsprogramme vorzubringen seien, in der gegenwärtigen Situation
vertretbar. Schätzungen mit ökonometrischen Modellen würden zeigen, dass
aufgrund des Konjunkturpakets II (ohne die Aufstockung der „Abwrackprämie“)
für das Jahr 2010 eine um gut 0,3 Prozentpunkte höhere Veränderungsrate des
BIP zu erwarten sei. Die zentralen Komponenten des zweiten Konjunkturpakets,
die Steigerung der Investitionen sowie die Entlastungen bei Steuern und
Sozialbeiträgen, würden nicht nur zu den aus konjunktureller Perspektive
wünschenswerten Nachfrageimpulsen führen. Aufgrund der langfristig positiven
Produktivitätseffekte und der Leistungsanreize würden sie zugleich auch das
Wachstum fördern. Daher sei es vertretbar, sie vorübergehend über
Verschuldung zu finanzieren.
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Der Landesgesetzgeber konnte angesichts der vorgenannten sachverständigen
Stellungnahmen Ende 2009 vertretbar davon ausgehen, dass die
Investitionsmaßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets II und des NZuInvG
geeignet waren, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
zumindest abzumildern. Der Haushaltsgesetzgeber konnte auch die weiteren,
durch den Haushalt 2010 finanzierten Maßnahmen und Programme zur
Investitionsförderung unter Berücksichtigung der Einschätzung der
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vertretbar als zur Abmilderung der
Störungslage geeignet ansehen. Zu nennen sind hier insbesondere die Bau-
und Geräteinvestitionen sowie weitere Ausgaben für verschiedene
Forschungsprojekte aus dem Bereich des Ministeriums für Wissenschaft und
Kultur, die Finanzhilfen für Filmförderungen und zur Förderung der
Medienwirtschaft, die Finanzierung von Projekten in Bezug auf die
niedersächsischen Seehäfen, im Straßenbau, in der Luft- und Raumfahrt sowie
des Wirtschaftsförderfonds.
Inhalt und Umfang der Investitionsmaßnahmen, ihre zeitliche Planung sowie die
durchführenden Stellen wurden im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls
hinreichend dargelegt. Dies geschah im Hinblick auf die Maßnahmen im
Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II dadurch, dass die Landesregierung
in der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010, die sich
der Haushaltsgesetzgeber mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes
2010 zu eigen gemacht hatte, ausdrücklich auf das Konjunkturpaket II, das
ZuInvG und seine Umsetzung in Niedersachsen insbesondere durch die
Verwaltungsvereinbarung zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der
Kommunen und der Länder Bezug genommen hat. In den parlamentarischen
Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 verwiesen Vertreter der
Landesregierung und der Regierungsfraktionen in diesem Zusammenhang
mehrfach ausdrücklich auf die sog. "Initiative Niedersachsen" und damit auf das
NZuInvG. Aus den genannten gesetzlichen Vorschriften, der
Verwaltungsvereinbarung und weiteren Erläuterungen im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 in den
Ausschüssen und Unterausschüssen des Niedersächsischen Landtags ergibt
sich hinreichend deutlich, welchen Inhalt und Umfang die Maßnahmen hatten, in
welchem zeitlichen Rahmen und von welcher Stelle sie ausgeführt werden
sollten. Hinsichtlich der weiteren Maßnahmen, mit denen die Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt werden sollte, erfolgte eine
hinreichende Darlegung ihres Inhalts und Umfangs, ihrer zeitlichen Planung und
der durchführenden Stellen nach den vom Staatsgerichtshof beigezogenen
Sitzungsniederschriften ebenfalls im Rahmen der Haushaltsberatungen in den
Ausschüssen und Unterausschüssen des Niedersächsischen Landtags. Nach
Abschluss der Ausschussberatungen bestand bei den Landtagsabgeordneten
ausweislich der Sitzungsniederschriften bezüglich des Inhalts der Maßnahmen,
die durch den Landeshaushalt 2010 finanziert werden sollten, kein weiterer
wesentlicher Klärungsbedarf mehr. Fragen der Landtagsabgeordneten zu
einzelnen Maßnahmen hatte die Landesregierung im Rahmen der
Ausschussberatungen beantwortet. Damit war der Zweck der Darlegungen im
Gesetzgebungsverfahren erreicht. Aufgrund der entsprechenden Informationen
durch die Landesregierung konnte der Haushaltsgesetzgeber die politische
Verantwortung für die erhöhte Kreditaufnahme in Kenntnis ihres Gegenstands
und der beabsichtigten Folgen übernehmen. Dies geschah mit der
Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010.
Soweit der Haushaltsgesetzgeber es für zweckmäßig hielt, Einnahmeausfälle
nicht durch Ausgabenkürzungen aufzufangen, ist dies ebenfalls vertretbar. Der
Haushaltsgesetzgeber verfolgte mit dieser Entscheidung das Konzept einer
antizyklischen Haushaltspolitik. Er wollte nicht durch zusätzliche
Sparmaßnahmen dazu beitragen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts noch zu verstärken. Der Haushaltsgesetzgeber erfüllte auch
insoweit die Darlegungsanforderungen, die die Rechtsprechung des
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insoweit die Darlegungsanforderungen, die die Rechtsprechung des
Staatsgerichtshofs bei einem Verzicht auf weitere Einsparungen entwickelt hat.
In der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 hob die
Landesregierung hervor, ein Ausgleich der konjunkturell bedingten
Mindereinnahmen käme - wenn überhaupt - nur durch weitreichende
Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich in Betracht. Eine sinkende
staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten und die
Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des
Landes die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu
beachten. Auch die Deutsche Bundesbank wies in ihrem von der Begründung
des Gesetzentwurfs in Bezug genommenen Monatsbericht Juni 2009 auf die
positiven konjunkturellen Auswirkungen des Verzichts auf Haushaltskürzungen
hin. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vertrat in
den parlamentarischen Beratungen ebenfalls die Auffassung, es sei falsch,
gegen die Krise anzusparen. Das Ergebnis der Abstimmung über das
Haushaltsgesetz 2010 zeigt, dass die Landtagsmehrheit diese Einschätzung
teilte.
Darüber hinaus nahmen Vertreter der Landesregierung und verschiedene
Landtagsabgeordnete in den Haushaltsberatungen der Ausschüsse und
Unterausschüsse des Landtags zu einzelnen Einsparungsmöglichkeiten, ihren
Grenzen und den positiven konjunkturellen Auswirkungen des Verzichts auf
Haushaltskürzungen Stellung. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Ausführungen unter A.I.2 Bezug genommen.
Im Hinblick auf die Koordinierung der Haushaltsplanung mit der längerfristigen
Politik verwiesen der Vorsitzende der Landtagsfraktion der CDU sowie der
haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion auf die Mipla. Sie
betonten das Ziel der Landtagsmehrheit, die Neuverschuldung ab 2011
sukzessive wieder abzubauen, um im Jahr 2017 einen Landeshaushalt ohne
Neuverschuldung vorlegen zu können.
Gegenstand der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010
war auch das vom Präsidenten des Landesrechnungshofs im Ausschuss für
Haushalt und Finanzen angesprochene, nicht durch Einsparungen gedeckte
strukturelle Haushaltsdefizit. Diesbezüglich vertraten die haushaltspolitischen
Sprecher beider die Landesregierung tragenden Fraktionen allerdings die
Auffassung, dass eine Reduzierung der Nettoneuverschuldung angesichts der
Wirtschaftskrise im Haushaltsjahr 2010 noch nicht möglich sei. Eine
Rückführung des strukturellen Defizits komme erst ab dem Haushaltsjahr 2011
in Betracht. Die Mehrheit des Niedersächsischen Landtags teilte diese
Einschätzung, wie das Ergebnis der Abstimmung über das Haushaltsgesetz
2010 belegt. Diese Entscheidung des Landtags ist vertretbar. Der
Niedersächsische Haushaltsgesetzgeber hat sich mit den Ursachen der Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auseinandergesetzt. Er sah die
Ursachen allerdings nicht in dem strukturellen Haushaltsdefizit, das durch
Nachfrageausweitungen mittels Investitionsmaßnahmen schwerlich bekämpft
werden könnte, sondern in den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und
Wirtschaftskrise. Diese Einschätzung ist für den Zeitpunkt Dezember 2009
nachvollziehbar. Sie steht in Einklang mit den vom Haushaltsgesetzgeber
herangezogenen sachverständigen Stellungnahmen der Deutschen
Bundesbank und der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose.
4. Der Einwand der Antragsteller, der Haushaltsgesetzgeber habe den
Kreditbedarf unter Verstoß gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht anhand
der Einnahmen und Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr 2010 ermittelt,
sondern die Mipla zur Grundlage für die Veranschlagung der
Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010
gemacht, greift nicht durch.
Der Haushaltsgesetzgeber muss die Ausgeglichenheit des Landeshaushalts
(Art. 65 Abs. 1 Satz 2 NV) herstellen. Der Landeshaushalt 2010 ist unter
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Berücksichtigung der nach § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010
zugelassenen Kreditaufnahmeermächtigung in Höhe von 2,3 Mrd. €
ausgeglichen. Die Kreditaufnahmeermächtigung ist in § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 auch nicht mit einem höheren Betrag veranschlagt, als
er zur Herstellung der Ausgeglichenheit des Haushalts erforderlich ist. Damit
orientiert sich die Kreditaufnahmeermächtigung an den Einnahmen und
Ausgaben im Haushaltsjahr 2010. Die Auffassung der Antragsteller, der
Haushaltsgesetzgeber habe die Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des
Haushaltsgesetzes 2010 deshalb erteilt, um unter Verstoß gegen Art. 71 Satz 2
i.V.m. Satz 3 NV einen (zu) hohen Schuldensockel zu schaffen, trifft mithin nicht
zu.
Nach alledem hält § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010
verfassungsrechtlicher Nachprüfung stand.
II.
Demgegenüber steht die niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der
allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3
NV zu behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang. Für
Haushaltsbeschlüsse bis zum 31. Dezember 2011 ist es verfassungsrechtlich
jedoch hinzunehmen, dass der Haushaltsgesetzgeber die Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage entsprechend der bisherigen Staatspraxis nicht als Kredit
im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV berücksichtigt.
1. Die in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem Einzelplan 13
Kapitel 5131 Titel 919 11-8 des Haushaltsplans veranschlagte Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an
den Landeshaushalt verstößt nicht gegen die Grundsätze der
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit (Art. 65 NV).
a) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Haushaltswahrheit folgt aus Art. 65
Abs. 1 Satz 1 NV. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit zielt darauf ab, das
gesamte staatliche Finanzvolumen der Budgetplanung und -entscheidung von
Parlament und Regierung zu unterstellen und so das
Haushaltsbewilligungsrecht als eines der wesentlichen Instrumente der
parlamentarischen Regierungskontrolle wirksam auszugestalten. Regierung und
Parlament sind gleichermaßen Adressaten der haushaltsrechtlichen
Verpflichtung zur Vollständigkeit des Haushaltsplans. In ihrem Zusammenwirken
haben sie für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems
im freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat durch sorgfältige und
transparente haushaltswirtschaftliche Planung, Entscheidung und Kontrolle der
staatlichen Tätigkeit Sorge zu tragen (BVerfGE 119, 96 [119] m.w.N.). Der
Grundsatz der Haushaltswahrheit enthält das Gebot, die in der
Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die
voraussichtlich zu leistenden Ausgaben möglichst genau zu errechnen oder zu
schätzen (BVerfGE 119, 96 [129]). Der Grundsatz der Haushaltswahrheit
bezweckt, die Wirksamkeit der Budgetfunktionen im parlamentarischen
Regierungssystem - Leitung, Kontrolle und Transparenz durch Öffentlichkeit der
staatlichen Tätigkeiten - zu gewährleisten.
Damit ist auch der ebenfalls aus Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV abzuleitende
verfassungsrechtliche Haushaltsgrundsatz der Haushaltsklarheit angesprochen.
Der Grundsatz der Haushaltsklarheit besagt, dass der Etat durchsichtig und
übersichtlich, das heißt nach einheitlichen rationalen Gesichtspunkten gegliedert
sein muss. Die einzelnen Positionen sind so zu bezeichnen, dass bei den
Einnahmen die Herkunft und bei den Ausgaben die Zweckbestimmung
eindeutig zu erkennen sind. Die Ermächtigungen des Haushaltsgesetzes und
des Haushaltsplans müssen so präzise gefasst sein, dass sie das
Finanzgebaren der Exekutive wirksam zu steuern vermögen. Der Haushaltsplan
muss den Willensbildungsprozess des Parlaments verdeutlichen, welche Mittel
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für welchen Zweck bewilligt wurden. In Bezug auf die Einnahmen verlangt der
Grundsatz der Haushaltsklarheit, dass Haushaltsgesetz und Haushaltsplan
erkennen lassen müssen, welche Mittel der Gesetzgeber zur Finanzierung der
Staatsaufgaben herangezogen hat.
Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit steht damit in engem
Zusammenhang mit dem Grundsatz der Budgetöffentlichkeit, der aus dem
Demokratieprinzip folgt. Öffentlichkeit des Haushalts bedeutet, dass sich
Entstehung, Beschlussfassung und Vollzug des Haushaltsplans nicht im
Geheimen abspielen. Jedermann soll sich darüber Kenntnis verschaffen und
das Finanzgebaren des Staates zum Gegenstand öffentlicher Diskussion
machen können.
b) Nach diesen Maßstäben verstoßen die Entnahme aus der allgemeinen
Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den
Landeshaushalt nicht gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -
klarheit.
Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des
entnommenen Betrags an den Landeshaushalt sind in dem durch § 1 Satz 1
des Haushaltsgesetzes 2010 festgestellten Haushaltsplan 2010 in Einzelplan 13
Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8
enthalten. Damit entspricht der Haushaltsplan in Bezug auf die Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage und der Abführung des entnommenen Betrags an
den Landeshaushalt dem Gebot des Grundsatzes der Haushaltswahrheit, die in
der Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen möglichst genau
im Haushaltsplan auszuweisen. Der Haushaltsgesetzgeber stellte den
Haushaltsplan in § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 fest. Das Parlament
traf folglich hinsichtlich der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und ihrer
Abführung an den Landeshaushalt die Entscheidung über das Finanzvolumen
des Budgets. Das Ziel des Grundsatzes der Haushaltswahrheit, das
Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags zu sichern, war hierdurch erreicht.
Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des
entnommenen Betrags an den Landeshaushalt stehen auch mit dem Grundsatz
der Haushaltsklarheit in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage
ist im Haushaltsplan unter den Einnahmen in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel
351 11-7 veranschlagt. Die Herkunft der Einnahme ist durch die Bezeichnung
"Entnahme aus der Allgemeinen Rücklage" eindeutig zu erkennen. Die
Veranschlagung der Entnahme in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7
entspricht der Gliederung des Haushaltsplans und stellt die Übersichtlichkeit des
Etats nicht in Frage. Dasselbe gilt für die in Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919
11-8 veranschlagte Abführung des aus der allgemeinen Rücklage
entnommenen Betrags an den Landeshaushalt. Die Bezeichnung "Abführung
an den Landeshaushalt" verdeutlicht, dass der Betrag von 730 Mio. € aus der
allgemeinen Rücklage dem Landeshaushalt zufließen soll.
Die Haushaltsansätze in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem
Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 sind damit eindeutig gefasst und
konnten das Finanzgebaren der Exekutive im Haushaltsvollzug wirksam
steuern. Sie verdeutlichen in Verbindung mit der Feststellung des
Haushaltsplans durch § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 den Willen des
Haushaltsgesetzgebers, einen Betrag von 730 Mio. € aus der allgemeinen
Rücklage zu entnehmen und dem Haushalt zuzuführen.
c) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit liegt
auch nicht deshalb vor, weil die allgemeine Rücklage nicht monetär unterlegt ist.
Die Niedersächsische Verfassung enthält über die allgemeine Rücklage keine
Regelung. Nach § 62 Satz 1 LHO ist eine allgemeine Rücklage zu bilden. Diese
dient nach § 62 Satz 5 LHO dem Haushaltsausgleich und zur Aufrechterhaltung
einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von
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Kreditermächtigungen (§ 34 a LHO). § 62 LHO sagt aber nichts darüber, woraus
und wie die allgemeine Rücklage zu bilden ist. Nach der langjährigen
niedersächsischen Staatspraxis wird die allgemeine Rücklage aus nicht
ausgeschöpften Kreditermächtigungen vorangegangener Haushaltsjahre
gebildet. Haushaltsrechtlich handelt es sich bei Kreditermächtigungen um
Einnahmen aus Krediten (§ 18 Abs. 1 Satz 1 LHO). Nach § 13 Abs. 2 HGrG, §
18 Abs. 2 Satz 3 LHO gelten (nicht ausgeschöpfte) Kreditermächtigungen
mindestens bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fort. Im Rahmen des
Haushaltsabschlusses werden nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen unter
Bezugnahme auf § 25 Abs. 2 Satz 1 LHO der allgemeinen Rücklage zugeführt.
Die Zuführung zur allgemeinen Rücklage ist in der Haushaltsrechnung des
Landes offen ausgewiesen. Über eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage
entscheidet der Haushaltsgesetzgeber mit dem jeweiligen Haushaltsgesetz. Der
Staatsgerichtshof hat in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren nicht zu
entscheiden, ob die niedersächsische Staatspraxis mit den Bestimmungen der
LHO in Einklang steht. Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage werden im
Haushaltsgesetz 2010 - welches im vorliegenden Verfahren vom
Staatsgerichtshof allein zu überprüfen ist - jedenfalls nicht verschleiert. Sie
werden vielmehr offen ausgewiesen.
Das Haushaltsgesetz 2010 täuscht auch nicht vor, dass die allgemeine
Rücklage dotiert ist. Die Entnahmen aus Rücklagen, zu denen auch die
Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage gehören, sind in der
Finanzierungsübersicht zum Gesamtplan für das Haushaltsjahr 2010 bei der
"Zusammensetzung des Finanzierungssaldos" zusätzlich zu der
Nettoneuverschuldung unter Abschnitt II Nr. 3.1 aufgeführt. Die Zuordnung der
Rücklagenentnahme zum Finanzierungssaldo verdeutlicht, dass in der
allgemeinen Rücklage keine Geldmittel vorhanden sind. Die niedersächsische
Haushaltswirtschaft erfolgt in ihrem Rechnungswesen kameral (§ 1a Abs. 1 Satz
1 HGrG). Bei der kameralistischen Haushaltswirtschaft des Landes gehören
Schuldaufnahmen am Kreditmarkt - abweichend vom allgemeinen
Sprachgebrauch und vom Handels- und Steuerrecht - zu den Einnahmen. Vor
diesem Hintergrund ist auch die niedersächsische Staatspraxis zu sehen, nicht
ausgenutzte und somit "angesparte" Kreditermächtigungen der allgemeinen
Rücklage zuzuführen. Regierung und Parlament ist dabei gleichermaßen
bekannt, dass die allgemeine Rücklage aus nicht ausgeschöpften
Kreditermächtigungen der Vorjahre besteht. Die Transparenz einer
haushaltswirtschaftlichen Planung und Entscheidung ist gewährleistet. Eine
"Schattenkreditwirtschaft" der Exekutive ist ausgeschlossen.
Der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit ist ebenso wenig verletzt. Die
interessierte Öffentlichkeit kann sich anhand des Haushaltsplans über die
Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen
Betrags an den Landeshaushalt Kenntnis verschaffen. Das Finanzgebaren des
Landes Niedersachsen im Zusammenhang mit der Rücklagenentnahme kann
zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht werden. Dies gilt
insbesondere auch für die jeweilige Opposition im Niedersächsischen Landtag,
die die Rücklagenentnahme in der politischen Auseinandersetzung
thematisieren kann. Zwar mag es sein, dass der Öffentlichkeit und Presse trotz
der seit Jahrzehnten bestehenden niedersächsischen Staatspraxis in Bezug auf
Zuführungen zu der allgemeinen Rücklage und Entnahmen aus der allgemeinen
Rücklage nicht im Einzelnen bekannt ist, wie die allgemeine Rücklage gebildet
wird und woraus sie besteht. Ein insoweit möglicherweise vorhandenes
Informationsdefizit der Öffentlichkeit führt aber nicht zur Verfassungswidrigkeit
des Haushaltsgesetzes.
2. Demgegenüber steht die jahrzehntelange niedersächsische Staatspraxis,
Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71
Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung
nicht in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage gehört vielmehr
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von Verfassungs wegen zu den Krediten im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz
3 NV.
a) Die Niedersächsische Verfassung erläutert den Kreditbegriff des Art. 71 NV
nicht. Der Sonderausschuss "Niedersächsische Verfassung" erörterte die
Bedeutung der Formulierung "Aufnahme von Krediten" in Art. 71 Satz 1 NV. Der
Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags vertrat dabei die
Auffassung, mit "Aufnahme von Krediten" sei nicht die Nettoveranschlagung von
Haushaltseinnahmen aus Krediten, sondern das bürgerlich-rechtliche
Rechtsgeschäft gemeint (Niederschrift über die 41. - öffentliche - Sitzung des
Sonderausschusses "Niedersächsische Verfassung" am 26. Februar 1993, S.
31, in: Niedersächsische Verfassung vom 19. Mai 1993, Band I, S. 1005). In
seinem "Schriftlichen Bericht zum Entwurf einer Niedersächsischen Verfassung"
zu Art. 71 Satz 1 NV nahm der Sonderausschuss zum Begriff der "Aufnahme
von Krediten" und zum Kreditbegriff selbst keine Stellung. Zu Art. 71 Satz 2 NV
vertrat der Sonderausschuss die Auffassung, die dort bestimmte Grenze gelte
nicht für veranschlagte Einnahmen aus Krediten, sondern für die
Kreditaufnahme als solche (LT-Drucks 12/5840, S. 41 f.). Der Sonderausschuss
wandte sich damit einerseits gegen eine Empfehlung des
Landesrechnungshofs, die dahin ging, die Umschuldung in Art. 71 Satz 2 NV
nicht zu erwähnen, um zu vermeiden, dass "die Staatspraxis, Schulden nicht zu
tilgen, in den Rang der Verfassung gehoben" werde. Andererseits teilte der
Sonderausschuss den Einwand der Staatskanzlei nicht, dass nach dem
Nettoprinzip für Umschuldungen keine Ausgaben veranschlagt werden könnten.
Die Frage, was unter der "Kreditaufnahme als solche" zu verstehen sei,
beantwortete der Sonderausschuss in seinem Bericht indessen nicht.
In Art. 71 NV wird - anders als in Art. 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG a.F. - nicht
zwischen der "Aufnahme von Krediten" und den "Einnahmen aus Krediten"
unterschieden. Art. 71 Satz 1 NV betrifft, wie der fast wortgleiche Art. 115 Abs. 1
GG, die "Aufnahme von Krediten". Art. 71 Satz 2 NV verwendet demgegenüber
abweichend von Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F. und Art. 115 Abs. 2 GG nicht die
Formulierung der "Einnahmen aus Krediten", sondern spricht allgemein von
Krediten. Da die "zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben" aber die Grenze
für die Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 2 NV erhöhen, wirken sich die zur
Umschuldung bestehender Schulden aufgenommenen Kredite letztlich nicht
aus. Im Ergebnis ist deshalb bei Art. 71 Satz 2 und Satz 3 NV von dem
Schuldenzuwachs, der sog. Nettokreditaufnahme, auszugehen.
Dementsprechend erlaubt auch § 15 Abs. 1 Satz 2 LHO eine
Nettoveranschlagung der Einnahmen aus Krediten und der damit
zusammenhängenden Tilgungsausgaben. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGrG lässt die
Abweichung vom Bruttoprinzip für Kredite ausdrücklich zu. Unter einem Kredit
i.S. von Art. 71 NV ist dabei die Hereinnahme von Geldern zu verstehen, die mit
einer Rückzahlungspflicht verbunden ist. Art. 71 NV gilt für die Begründung von
Finanzschulden, die dem Land für eine bestimmte Zeit Geldmittel zur
Finanzierung von Haushaltsausgaben zuführt oder ihm unmittelbar die Leistung
von Haushaltsausgaben erspart (vgl. BT-Drucks. V/3040, S. 47 Tz. 129, zu Art.
115 Abs. 1 GG a.F.; VerfGH Rh-Pf, DÖV 1997, 246, 247, zu Art. 117 Satz 1 der
Verfassung für Rheinland-Pfalz in der bis zum 30. Dezember 2010 geltenden
Fassung).
b) Unter diesen Voraussetzungen ist die Entnahme aus der allgemeinen
Rücklage Kredit im Sinne des Art. 71 NV. Die allgemeine Rücklage ist nicht
monetär unterlegt. Sie besteht vielmehr aus nicht in Anspruch genommenen
Kreditermächtigungen zurückliegender Haushaltsjahre. Diese
Kreditermächtigungen ändern ihre Rechtsnatur auch nicht dadurch, dass sie in
die allgemeine Rücklage eingestellt werden. Mit einer im Haushaltsplan
veranschlagten Entnahme aus der allgemeinen Rücklage gestattet der
Haushaltsgesetzgeber der Exekutive ebenso wie durch die Veranschlagung
einer sonstigen Kreditermächtigung, Kredite vom Kreditmarkt zur Finanzierung
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von Haushaltsausgaben aufzunehmen. Daher müssen für die Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage staatsschuldenrechtlich dieselben Anforderungen wie
für die Kreditaufnahmeermächtigung selbst gelten.
Diesem Verfassungsverständnis steht nicht entgegen, dass der
Landesgesetzgeber im Haushaltsrecht zwischen Krediten und Entnahmen aus
Rücklagen unterscheidet. Letztere rechnet er zwar gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 LHO den Einnahmen zu, nicht aber den Einnahmen aus Krediten. Diese
sind in § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LHO gesondert vor den Entnahmen aus
Rücklagen aufgeführt. Das Haushaltsrecht kann für die Auslegung des
Kreditbegriffs in Art. 71 NV jedoch keine verbindlichen Vorgaben schaffen.
Vielmehr hat sich das Haushaltsrecht an den Bestimmungen der
Niedersächsischen Verfassung zu orientieren und nicht umgekehrt die
Niedersächsische Verfassung am Haushaltsrecht.
c) In zeitlicher Hinsicht ist die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage im
Rahmen der Berechnung der nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zulässigen
Höhe der Kreditaufnahme in dem Jahr zu berücksichtigen, in dem sie im
Haushaltsplan veranschlagt wird.
Die von Art. 71 Satz 2 NV geforderte Gegenüberstellung der Kredite und der für
eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur
Umschuldung veranschlagten Ausgaben gilt, wie die Bezogenheit der
Vergleichsgrößen auf die Ansätze im Haushaltsplan zeigt, für das einzelne
Haushaltsjahr (ebenso für Art. 83 Satz 2 LV NRW, VerfGH NRW, NWVBl 2003,
419 [423]). Im jeweiligen Haushaltsjahr sind die Kredite mit den Ausgaben für die
eigenfinanzierten Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur
Umschuldung zu vergleichen. Die Verrechnung zwischen den Haushaltsjahren
ist unzulässig (vgl. VerfGH NRW, NWVBl 2003, 419 [423]). Entnahmen aus der
allgemeinen Rücklage unterliegen deshalb im Jahr der Entnahme (erneut) den
staatsschuldenrechtlichen Begrenzungen aus Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV.
Der Haushaltsgesetzgeber kann sich nicht darauf berufen, dass die
Kreditaufnahmeermächtigungen, die in die allgemeine Rücklage eingestellt
worden sind, im Jahr der ursprünglichen Veranschlagung mit Art. 71 Satz 2
i.V.m. Satz 3 NV in Einklang standen. Diese Rechtfertigung der
Kreditaufnahmeermächtigung wirkt nicht über das Haushaltsjahr hinaus. Das
Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV muss
vielmehr bezogen auf das Jahr untersucht werden, in dem der Exekutive durch
die Veranschlagung einer Entnahme aus der allgemeinen Rücklage die
Möglichkeit eröffnet wird, über die anderweitig veranschlagten
Kreditaufnahmeermächtigungen hinaus Kredite vom Kreditmarkt zur
Finanzierung von Haushaltsausgaben aufzunehmen.
Diese Auslegung ist auch aus teleologischen Gründen geboten. Durch die
Einstellung nicht in Anspruch genommener Kreditermächtigungen in die
allgemeine Rücklage wird ein "Kreditermächtigungspolster" geschaffen, auf das
der Haushaltsgesetzgeber durch die Veranschlagung einer Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage zugreifen kann. Die bisherige niedersächsische
Staatspraxis, die die Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht in die
Berechnung nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV einbezog, führte dazu, dass
der Haushaltsgesetzgeber eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage
zusätzlich zu den Kreditermächtigungen veranschlagen konnte, ohne dass dem
entnommenen Betrag eigenfinanzierte Investitionen gegenüberstehen mussten.
Es bestand folglich die Möglichkeit, in einem Haushaltsjahr mehr Kredite
aufzunehmen, als Ausgaben für eigenfinanzierte Investitionen,
Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagt wurden.
Hierdurch konnte der Haushaltsgesetzgeber die Kreditaufnahme über das nach
Art. 71 Satz 2 NV zulässige Maß hinaus ausdehnen, ohne dass die hierfür in Art.
71 Satz 3 NV vorgesehenen besonderen Voraussetzungen vorlagen. Diese
Möglichkeit ist mit dem von Art. 71 Satz 2 i.V.m Satz 3 NV verfolgten Ziel, die
Kreditaufnahme ohne Investitionszweck auf Ausnahmesituationen zu
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beschränken (vgl. Nds. StGHE 3, 279 [293]), nicht vereinbar. Art. 71 Satz 2 NV
dient dem Schutz vor einer unbeschränkten Vorwälzung staatlicher Lasten. Der
haushaltswirtschaftliche Vorgriff auf zukünftige Einnahmen soll jedenfalls
dadurch begrenzt werden, dass Kredit nur im Umfang der Ausgaben mit
zukunftsbegünstigendem Charakter in Anspruch genommen werden darf (vgl.
BVerfGE 79, 311 [334]). Die Einhaltung dieser Begrenzung konnte die bisherige
niedersächsische Staatspraxis nicht gewährleisten.
Die bisherige niedersächsische Staatspraxis konnte darüber hinaus nicht
sicherstellen, dass auf Art. 71 Satz 3 NV beruhende
Kreditaufnahmeermächtigungen bestimmungsgemäß nur zur Abwehr einer
nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verwendet
wurden. Solche Kreditermächtigungen konnten ebenfalls der allgemeinen
Rücklage zugeführt werden, soweit sie im Jahr ihrer Veranschlagung nicht zur
Störungsabwehr in Anspruch genommen wurden. Hierdurch war es möglich,
auch auf Art. 71 Satz 3 NV beruhende Kreditermächtigungen entgegen ihrer
Zweckbestimmung haushaltsjahreübergreifend zu nutzen. Dies galt selbst dann,
wenn in dem Haushaltsjahr, in dem eine entsprechende Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage erfolgte, eine nachhaltige Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht mehr vorlag. Bei dieser Sachlage
kann insbesondere angesichts der immer weiter steigenden Verschuldung des
Landes und der heute allgemein anerkannten Notwendigkeit, der
überbordenden Staatsverschuldung Herr zu werden, an der bisherigen
niedersächsischen Staatspraxis nicht länger festgehalten werden.
d) Nach diesen Maßstäben hätte der Haushaltsgesetzgeber die Entnahme aus
der allgemeinen Rücklage in Höhe von 730 Mio. € und die Abführung des
entnommenen Betrags an den Landeshaushalt im Haushaltsjahr 2010 als Kredit
gemäß Art. 71 Satz 2 NV in Ansatz bringen müssen. Er hätte deshalb auch die
nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV erforderliche Darlegung auf den aus der
allgemeinen Rücklage entnommenen und an den Haushalt abgeführten Betrag
erstrecken müssen. Zwar ist dies nicht geschehen. Dieser Umstand führt jedoch
nicht zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes 2010.
Der Haushaltsgesetzgeber ging in Übereinstimmung mit der jahrzehntelangen
niedersächsischen Staatspraxis davon aus, dass die Entnahme aus der
allgemeinen Rücklage nicht in die Berechnung nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3
NV einzubeziehen sei. Er stellte deshalb keine Erwägungen an, ob die
Entnahme aus der allgemeinen Rücklage zur Störungsabwehr bestimmt und
geeignet sei. Auch die Antragsteller haben während der parlamentarischen
Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 nicht geltend gemacht, dass es sich
bei der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage um einen Kredit im Sinne von
Art. 71 NV handele. Erst im anhängigen Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist
deutlich geworden, dass die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage als Kredit
im Sinne von Art. 71 NV anzusehen ist und damit den staatsschuldenrechtlichen
Begrenzungen aus Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV unterliegt.
Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des
entnommenen Betrags an den Landeshaushalt waren jedoch zur Abwehr der
nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des
Art. 71 Satz 3 NV geeignet. Der Haushaltsgesetzgeber hat in den
parlamentarischen Beratungen zum Haushaltsgesetz 2010 hinreichend
dargelegt, dass er weitere Einsparungen im Landeshaushalt angesichts der
gesamtwirtschaftlichen Störungslage nicht für vertretbar hielt. Da das Land auch
keine substantiellen Einnahmeerhöhungen erreichen konnte, worauf in der
Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 hingewiesen
wird, war es vertretbar, zur Bekämpfung der nachhaltigen Störung des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine Entnahme aus der allgemeinen
Rücklage vorzunehmen. Denn hierdurch konnte der Haushaltsgesetzgeber
einen ausgeglichenen Haushalt ohne weitere - nach seiner Auffassung -
konjunkturschädliche Einsparungen erreichen.
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Nach Klarstellung der Rechtslage durch diese Entscheidung hat der
Haushaltsgesetzgeber zukünftig zu berücksichtigen, dass Entnahmen aus der
allgemeinen Rücklage zu den Krediten im Sinne des Art. 71 Satz 2 und Satz 3
NV gehören und an dessen Voraussetzungen zu messen sind. Angesichts der
langjährigen - und unwidersprochenen - Staatspraxis und im Interesse einer
verlässlichen Haushaltsplanung ist es jedoch geboten, dem
Haushaltsgesetzgeber eine Übergangsfrist bei der Berücksichtigung der
Rechtslage einzuräumen. Haushaltsbeschlüsse, die ab dem 1. Januar 2012
ergehen und die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage betreffen oder zur
Aufnahme neuer Kredite ermächtigen, sind an den Voraussetzungen des Art. 71
NV zu messen.
e) Nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO gelten Kreditermächtigungen bis zum Ende des
nächsten Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das zweitnächste
Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses
Haushaltsgesetzes fort. Der Staatsgerichtshof hat nicht darüber zu entscheiden,
ob nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO fortgeltende Kreditermächtigungen im
Haushaltsvollzug in Anspruch genommen werden dürfen, ohne sie im Jahr ihrer
tatsächlichen Inanspruchnahme erneut in die Berechnung der nach Art. 71 Satz
2 i.V.m. Satz 3 NV zulässigen Kreditaufnahme einzubeziehen. Gegen ein
solches Vorgehen könnten allerdings verfassungsrechtliche Bedenken
bestehen.
III.
§ 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des
Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel
1301 Titel 015 11-3 ist mit Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV insoweit unvereinbar, als die
Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) ohne Berücksichtigung der im
März 2010 zu leistenden Ausgleichszahlung im bundesstaatlichen
Finanzausgleich aus der Umsatzsteuerverteilung veranschlagt worden sind.
1. Nach Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV sind für jedes Haushaltsjahr alle Einnahmen
und Ausgaben des Landes im Haushaltsplan zu veranschlagen. Haushaltsjahr
ist nach einfachem Recht das Kalenderjahr (§ 4 Satz 1 HGrG, § 4 Satz 1 LHO).
Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV enthält den Grundsatz der Vollständigkeit des
Haushaltsplans. Hiernach müssen grundsätzlich alle Einnahmen und Ausgaben
des Landes im Haushaltsplan des Landes veranschlagt und so der
Beschlussfassung des Landtags unterworfen werden. Insbesondere ist das
Steueraufkommen gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV ausnahmslos als Einnahme
in den Haushaltsplan einzustellen (BVerfGE 55, 274 [302] zu Art. 110 Abs. 1
GG).
Das einfache Recht ergänzt die Grundsätze der Jährlichkeit und Vollständigkeit
bei der kameralen Haushaltswirtschaft des Landes durch das Fälligkeits- oder
Kassenwirksamkeitsprinzip (§ 8 Abs. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 LHO). Nach dem
Fälligkeitsprinzip dürfen nur diejenigen Einnahmen oder Ausgaben veranschlagt
werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich fällig und damit kassenwirksam
werden. In engem Zusammenhang damit steht der Grundsatz der
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit
enthält - wie oben bereits dargelegt wurde - das Gebot, die in der
Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die
voraussichtlich zu leistenden Ausgaben möglichst genau zu errechnen oder zu
schätzen. Bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen hat der
Haushaltsgesetzgeber eine auf vernünftigen Erwägungen beruhende
Schätzung vorzunehmen.
2. Die Veranschlagung der Umsatzsteuer (Landesanteil) in Einzelplan 13 Kapitel
1301 Titel 015 11-3 des Haushaltsplans 2010 entspricht diesen Grundsätzen
nicht.
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a) Ausgleichszahlungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich wegen der
Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Land und unter den Ländern, die
das Land Niedersachsen zu leisten hat, stellen haushaltsrechtlich negative
Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) dar. Die Einnahmen aus der
Umsatzsteuer (Landesanteil) waren im Haushaltsplan 2010 in der sich aus der
Regionalisierung der Steuerschätzung November 2009 ergebenden Höhe
angesetzt. Der Haushaltsgesetzgeber leitete die Ansätze aus Steuern und
steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich und
Bundesergänzungszuweisungen) für den Haushaltsplan 2010 von der zentralen
Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 3. bis 5. November
2009 ab, wie auch die Erläuterungen zu Einzelplan 13 Kapitel 1301 und
Einzelplan 13 Kapitel 1310 Titel 211 11 und 212 11 darlegen. Dies ist von
Verfassungs wegen zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden. Denn diese
Haushaltsansätze lassen in der Regel ein angemessenes Bemühen um
realitätsgerechte Prognosen erkennen. In der besonderen Situation des
Haushaltsjahres 2010 war der Haushaltsgesetzgeber aber verpflichtet, von dem
regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung abzuweichen und die Einnahmen
aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) niedriger zu veranschlagen.
Die Regionalisierung der November-Steuerschätzung, die der
Haushaltsgesetzgeber der Veranschlagung der Umsatzsteuer (Landesanteil) in
Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 des Haushaltsplans 2010 zugrunde
gelegt hat, berücksichtigte die Verpflichtung des Landes Niedersachsen aus
dem im März 2010 fällig werdenden Erstattungsanspruch des Bundes aus der
Umsatzsteuerverteilung für 2009 nicht. Dies haben der niedersächsische
Finanzminister und der Präsident des Landesrechnungshofs in der mündlichen
Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof übereinstimmend ausdrücklich
bestätigt. Zwar war dem Haushaltsgesetzgeber die genaue Höhe des
vorgenannten Erstattungsanspruchs bei Verabschiedung des
Haushaltsgesetzes 2010 nicht bekannt. Das Niedersächsische
Finanzministerium hatte den Ausschuss für Haushalt und Finanzen aber bereits
am 19. November 2009 darüber informiert, dass aufgrund des im März 2010
fällig werdenden Erstattungsanspruchs des Bundes mit einer Zahlung des
Landes im dreistelligen Millionenbereich zu rechnen sei. Bei dieser Sachlage
war der Haushaltsgesetzgeber angesichts der Höhe der voraussichtlichen
Mindereinnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) verpflichtet, einen
Abschlag (Rotabsetzung) vom regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung
bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) vorzunehmen.
Aufgrund der Mitteilung des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 19.
November 2009 lagen deutliche Anzeichen dafür vor, dass sich aufgrund des
Erstattungsanspruchs des Bundes gegenüber dem Ergebnis der
Steuerschätzung wesentlich verminderte Ansätze der Einnahmen aus
Umsatzsteuer (Landesanteil) ergeben würden. Solche Indizien können vom
Haushaltsgesetzgeber ein Abweichen von langjährigen Erfahrungswerten bei
der Wahl eines Haushaltsansatzes verlangen (vgl. BVerfGE 119, 96 [131]). Die
hier zu beurteilende Entscheidungssituation war dadurch gekennzeichnet, dass
mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von dem Ergebnis der November-
Steuerschätzung eine im März 2010 fällige Erstattung an den Bund in
dreistelliger Millionenhöhe abzusetzen sein würde. Der Haushaltsgesetzgeber
konnte sich in dieser Situation nicht darauf berufen, die Veranschlagung der
Steuereinnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) nach Maßgabe des
Ergebnisses der November-Steuerschätzung sei deshalb vertretbar, weil sie
nicht Gegenstand parlamentarischer Kontroversen gewesen sei (dazu BVerfGE
119, 96 [131]). Der Haushaltsgesetzgeber hat die Verpflichtung, die in der
Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Steuereinnahmen möglichst
genau zu schätzen, unabhängig davon zu erfüllen, ob der betreffende
Haushaltsansatz umstritten war oder nicht.
b) Der erforderlichen Rotabsetzung von den Einnahmen aus Umsatzsteuer
(Landesanteil) stand auch nicht entgegen, dass die Höhe des im März 2010
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fällig werdenden Erstattungsanspruchs des Bundes für den
Haushaltsgesetzgeber bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010
aus der insoweit maßgeblichen Sicht ex ante nur schwer vorhersehbar war.
Denn eine solche Prognoseunsicherheit rechtfertigt es nicht, eine Rotabsetzung
wegen des zu erwartenden Erstattungsanspruchs des Bundes in dreistelliger
Millionenhöhe gänzlich zu unterlassen. Die Prognoseunsicherheit eröffnet dem
Haushaltsgesetzgeber vielmehr lediglich einen Prognosespielraum bei der
Beurteilung der Frage, in welcher Höhe er wegen des zu erwartenden
Erstattungsanspruchs einen Abschlag vom Ergebnis der regionalisierten
Steuerschätzung vornimmt.
c) Auch die bereits vor Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010 erkennbar
gewordene Absicht der Landesregierung, eine Rückbuchung des im März 2010
fälligen Erstattungsanspruchs des Bundes aus der Abrechnung der
Umsatzsteuerverteilung 2009 in das Haushaltsjahr 2009 vorzunehmen,
berechtigte den Haushaltsgesetzgeber nicht, bei der Veranschlagung der
Umsatzsteuereinnahmen (Landesanteil) von einer Rotabsetzung wegen des
vorgenannten Erstattungsanspruchs abzusehen. Die Rückbuchung des
Erstattungsanspruchs des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung für 2009, die
das Finanzministerium letztlich im Laufe des Jahres 2010 aufgrund der im März
2010 erfolgten Schlussabrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich für
2009 vorgenommen hat, ist eine Maßnahme des Haushaltsvollzugs. Sie
unterliegt damit zum einen nicht der Überprüfung durch den Staatsgerichtshof im
Rahmen des vorliegenden Normenkontrollverfahrens. Eine solche in Aussicht
genommene Maßnahme des Haushaltsvollzugs enthält zum anderen aber auch
für den Haushaltsgesetzgeber keine verbindliche Vorgabe, die ihn berechtigen
würde, bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen von den durch Art. 65
Abs. 1 Satz 1 NV vorgegebenen Maßstäben abzuweichen.
3. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (NStGHG)
kann der Staatsgerichtshof Landesrecht, das der Niedersächsischen
Verfassung nicht entspricht, für nichtig oder mit der Verfassung unvereinbar
erklären. Der Staatsgerichtshof stellt hier lediglich die Unvereinbarkeit von § 1
Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des
Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel
1301 Titel 015 11-3 mit der Niedersächsischen Verfassung fest, um der auf ihm
beruhenden, bereits erfolgten Verwaltungstätigkeit nicht nachträglich die
Rechtsgrundlage zu entziehen. Insoweit stehen Gesichtspunkte einer
verlässlichen und in ihren Wirkungen kalkulierbaren Finanz-, Ausgaben- und
Haushaltswirtschaft einer Erklärung der Nichtigkeit entgegen (vgl. BVerfGE 72,
330 [423]; 86, 148 [279]).
D.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 21 Abs. 1 NStGHG). Auslagen werden
nicht erstattet (§ 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG).