Urteil des StGH Niedersachsen vom 16.09.2009

StGH Niedersachsen: stadt, wahlunterlagen, wählerverzeichnis, stimmzettel, integration, rechtsverletzung, sport, zustellung, adresse, einspruch

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Zur Verletzung des Wahlrechts bei Unzustellbarkeit
von Briefwahlunterlagen
Keine Rechtsverletzung bei Angabe einer Zustelladresse durch den
Wahlberechtigten, unter der die Briefwahlunterlagen nicht zugestellt werden
können.
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Beschluss vom 16.09.2009, StGH 1/09, 1/09
§ 24 WahlO ND, § 50 Abs 3 WahlO ND, § 2 Abs 1 Nr 2 WahlPrG ND, Art 11 Abs 4
Verf ND, § 8 Nr 1 StGHG ND
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Niedersächsischen Landtags vom
19. Februar 2009 wird verworfen.
Gründe
A.
I.
Der Beschwerdeführer ist in Borkum wohnhaft. An seiner Wahlberechtigung
bestehen keine Zweifel; er war im Wählerverzeichnis zur Landtagswahl vom 27.
Januar 2008 eingetragen.
II.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2008 an den Niedersächsischen
Landeswahlleiter, beim Niedersächsischen Landtag eingegangen am 12.
Februar 2008, hat der Beschwerdeführer Einspruch gegen die Wahl zum
Niedersächsischen Landtag am 27. Januar 2008 erhoben. Er macht geltend, er
sei durch die Stadtverwaltung Borkum an der Ausübung seines Wahlrechts zur
Landtagswahl 2008 gehindert worden: Zum einen habe er die beantragten
Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig erhalten, zum anderen sei ihm am Wahltag
auch die Stimmabgabe im Wahllokal verwehrt worden. Damit sei er durch das
Verhalten der Vertreter der Stadt Borkum in seinen Rechten als
Wahlberechtigter verletzt worden.
Mit Schreiben der Landtagsverwaltung vom 18. Februar 2008 wurde dem
Einspruchsführer der Eingang des Einspruchs bestätigt. Mit weiteren Schreiben
gleichen Datums erhielten das Niedersächsische Ministerium für Inneres, Sport
und Integration, der Niedersächsische Landeswahlleiter und der Kreiswahlleiter
des Wahlkreises 84 – Leer/Borkum – Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Niedersächsische Ministerium für Inneres, Sport und Integration nahm im
Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Landeswahlleiter ebenso wie der
Kreiswahlleiter Leer/Borkum mit mehreren Schreiben zu dem Vorgang Stellung:
Der Wahleinspruch sei frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig. Er
sei jedoch nicht begründet. Vor allem sei darauf zu verweisen, dass die
Briefwahlunterlagen nicht hätten zugestellt werden können, weil der
Einspruchsführer mit dem Antrag auf Erteilung eines Wahlscheins für die
Landtagswahl eine falsche Zustelladresse (Berlin) angegeben habe. Dies habe
der Einspruchsführer selbst zu vertreten. Auf seine Motive hierfür komme es
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nicht an.
Dr. Dix hat mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 im Wesentlichen erwidert, die
Stadt Borkum habe die Vorgänge zu verantworten, nicht er selbst.
In der öffentlichen Verhandlung über den Wahleinspruch in der 3. Sitzung des
Wahlprüfungsausschusses am 2. Februar 2009 hat der Wahleinspruchsführer
seine Beschwerde aufrecht erhalten und seine Bewertung der Vorgänge
bekräftigt.
Der Landtag hat in seiner 31. Sitzung vom 19. Februar 2009 auf Empfehlung
des Wahlprüfungsausschusses den Wahleinspruch als unbegründet
zurückgewiesen. Herr Dr. Dix sei in seinen Rechten nicht durch Maßnahmen der
Wahlbehörden verletzt worden. Ursächlich für das verspätete Eintreffen der
Wahlunterlagen sei das Verhalten des Beschwerdeführers selbst gewesen, weil
er als Zustelladresse für die Briefwahlunterlagen eine Berliner Anschrift
eingetragen habe, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass dort eine Zustellung
an ihn nicht möglich gewesen ist. Außerdem hätte er die als „unzustellbar“
zurückgesandten Briefwahlunterlagen noch rechtzeitig vor der Wahl erhalten
können. Er habe sich jedoch sowohl geweigert, rechtzeitig eine neue Adresse
anzugeben, als auch die ihm angebotenen Briefwahlunterlagen anlässlich
seiner Vorsprache bei der Stadt Borkum am 23. Januar 2008 mitzunehmen. Erst
am 24. Januar 2008 habe er angegeben, dass er die Wahlunterlagen an die
Wohnanschrift in Borkum gesendet haben wollte. Dieser Bitte sei die Stadt am
25. Januar 2008 nachgekommen. Die Briefwahlunterlagen seien nun aber nicht
mehr rechtzeitig zur Landtagswahl beim Beschwerdeführer eingetroffen. Auch
die Zurückweisung bei der Urnenwahl sei nicht zu beanstanden. Gem. § 24
Niedersächsische Landeswahlordnung (NLWO) werde im Wählerverzeichnis ein
Sperrvermerk bei Personen eingetragen, für die ein Wahlschein und
Briefwahlunterlagen ausgegeben worden sind. Wahlberechtigte mit diesem
Sperrvermerk können an der Urnenwahl nach § 50 Abs. 3 NLWO nur mit dem
bereits erhaltenen Stimmzettel teilnehmen. Verlorene oder nicht rechtzeitig
zugesandte Wahlscheine und Stimmzettel werden nicht ersetzt (§ 22 Abs. 10
NLWO).
Eine tatsächliche Verletzung der Rechte des Einspruchführers durch
Maßnahmen einer Wahlbehörde gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 des
Wahlprüfungsgesetzes liege mithin nicht vor.
III.
Mit Schreiben vom 8. März 2009, beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof
eingegangen am 16. März 2009, hat Herr Dr. Dix gegen den Beschluss des
Landtags vom 19. Februar 2009 Beschwerde erhoben. Er macht geltend, dass
er durch das Verhalten der Wahlbehörden in seinen Rechten als Wähler verletzt
worden sei, insbesondere sei er gehindert worden, von seinem Grundrecht auf
freie Wahl Gebrauch zu machen. In weiteren Schriftsätzen vom 16. März 2009,
17. Juni 2009, 20. Juni 2009, 17. Juli 2009 und 10. August 2009 werden die
Vorwürfe wiederholt. Die Bewertung der Fakten durch den Landtag sei
fehlerhaft. Er, Herr Dix, habe die Zustelladresse in Berlin angegeben, weil die
Stadt Borkum davon ausgegangen sei, er habe in Borkum lediglich einen
Zweitwohnsitz. In dieser Frage, die steuerrechtliche Folgen und Bedeutung für
die Kurtaxe habe, seien auch Gerichtsverfahren anhängig. Die Stadt Borkum
habe sich geweigert, im Zusammenhang mit der Wahl herauszufinden und klar
zu entscheiden, wo denn nun sein Hauptwohnsitz sei. Im Wahlverfahren sei sie
entgegen der oben genannten Streitigkeit davon ausgegangen, dass Borkum
der Hauptwohnsitz sei. Dies sei widersprüchlich. Die Mitnahme der
Wahlunterlagen anlässlich des zufälligen Zusammentreffens im Rathaus sei ihm
unter diesen Bedingungen nicht zumutbar gewesen. Jedenfalls hätte man ihm
Gelegenheit geben müssen, an der Urnenwahl teilzunehmen.
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Mit Schreiben vom 19. Mai 2009, beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof
eingegangen am 22. Mai 2009, hat der Präsident des Niedersächsischen
Landtages beantragt, die Beschwerde vom 8. März 2009 zurückzuweisen. Der
Landtag habe eine tatsächliche Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers
nicht feststellen können. Außerdem seien nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ohnehin nur solche Wahlfehler für einen
Wahleinspruch relevant, die auf die Mandatsverteilung Einfluss haben könnten.
Dies sei hier unstreitig nicht der Fall.
In einer Stellungnahme vom 3. Juni 2009 hat die Niedersächsische
Landesregierung dargelegt, dass sich der Beschwerdeführer die verzögerte
Versendung der Wahlunterlagen selbst zuschreiben müsse. Dies gelte
insbesondere auch im Hinblick darauf, dass er die Annahme der Unterlagen bei
einem Besuch im Rathaus abgelehnt habe.
B.
I.
Die Beschwerde ist zulässig. Nach § 8 Nr. 1 des Gesetzes über den
Niedersächsischen Staatsgerichthof (NStGHG) entscheidet der
Staatsgerichtshof über die Anfechtung von Entscheidungen des Landtags, die
die Gültigkeit einer Wahl betreffen. Diese Vorschrift entspricht der Bestimmung
des Art. 11 Abs. 4 Niedersächsische Verfassung, wonach die
Wahlprüfungsentscheidung des Landtags beim Staatsgerichthof angefochten
werden können. Die Frist des § 22 Abs. 1 NStGHG ist gewahrt.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Der Niedersächsische Landtag hat den Einspruch des Beschwerdeführers
gegen die am 27. Januar 2008 durchgeführte Wahl zu Recht und mit
zutreffenden Erwägungen als unbegründet zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer rügt eine individuelle Rechtsverletzung i.S.v. § 2 Abs. 1
Nr. 2 des Gesetzes über die Prüfung der Wahl zum Niedersächsischen Landtag.
Die Wahlbehörde hat Herrn Dr. Dix tatsächlich aber nicht an der Ausübung
seines Wahlrechts gehindert. Zwar ist es zutreffend, dass der Beschwerdeführer
die Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig erhalten hat. Diese Tatsache beruht
jedoch darauf, dass er selbst zunächst eine Berliner Adresse angegeben hatte,
unter der die Unterlagen nicht zugestellt werden konnten. Eine Korrektur der
Zustellungsadresse ist erst kurz vor der Wahl erfolgt. Eine frühere Korrektur hat
der Beschwerdeführer weder telefonisch ermöglicht, noch hat er die ihm
persönlich angebotenen Briefwahlunterlagen im Rathaus mitgenommen.
Dass hinter diesem Vorgehen des Beschwerdeführers das Interesse gestanden
hat, klar zu stellen, dass er seine Hauptwohnung nicht in Berlin, sondern in
Borkum hat, ist für die wahlrechtliche Beurteilung irrelevant. Maßgeblich ist für
die Wahl und das Wahlprüfungsverfahren nur das Wählerverzeichnis, in dem
Herr Dr. Dix – auch nach seiner Sicht zu Recht – eingetragen war. Es ist auch
nicht Aufgabe der Wahlbehörden, Briefwahladressen zu überprüfen. Solche
Adressen haben im Übrigen nichts mit melderechtlichen Fragen zu tun, sie
geben nur an, wohin der Wahlberechtigte eine Zustellung der Unterlagen
wünscht.
Die Ablehnung des Beschwerdeführers anlässlich des persönlichen
Zusammentreffens im Rathaus am 23. Januar 2008 die Unterlagen entgegen zu
nehmen, ist im Hinblick auf das behauptete ernsthafte Interesse an der
Wahlteilnahme nicht nachvollziehbar.
Die Ablehnung der Teilnahme an der Urnenwahl war rechtlich zwingend. Um
eine doppelte Stimmabgabe zu verhindern, müssen diejenigen, die Briefwahl
beantragt haben, im Wählerverzeichnis gesperrt werden (§ 24 NLWO). Diese
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Personen können dann nur mit ihrem bereits erhaltenen Stimmzettel an der
Urnenwahl teilnehmen (§ 50 Abs. 3 NLWO).
II.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Beschwerde offensichtlich
unbegründet ist. Sie konnte deswegen nach § 12 NStGHG i.V.m. § 24 BVerfGG
ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss des
Staatsgerichtshofs verworfen werden.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.