Urteil des StGH Niedersachsen vom 27.02.2008

StGH Niedersachsen: leistungsfähigkeit, finanzausgleich, verfügung, vergleich, subjektives recht, systematische auslegung, niedersachsen, abstrakte normenkontrolle, erfüllung, verfassungsbeschwerde

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Zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Nr. 1
Haushaltsbegleitgesetz 2005 vom 17.12.2004
1. Verfassungsbeschwerden von Kommunen gegen eine gesetzliche
Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs sind nur dann zulässig,
wenn die Kommunen ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis an einer
gerichtlichen Überprüfung geltend machen können. Dies setzt grundsätzlich
voraus, dass sich ihre finanzielle Situation nach der von ihnen angestrebten
Gerichtsentscheidung verbessern kann.
2. Art. 58 NV gewährt den Kommunen einen individuellen Anspruch auf einen
aufgabengerechten Finanzausgleich (Bestätigung von LVerfGE 12, 255, 285).
Allerdings gewährt Art. 58 NV den Kommunen keinen individuellen Anspruch
auf eine finanzielle Mindestausstattung durch das Land, die unabhängig von
dessen finanzieller Leistungsfähigkeit wäre.
3. Dem Anspruch der Kommunen auf aufgabengerechte finanzielle
Ausstattung ist Genüge getan, wenn diese einen Mindestbestand an
freiwilligen Selbstverwaltungsangelegten wahrnehmen können. Bei
Unterschreitung dieser Grenze hat das Land den Grundsatz der
Verteilungssymmetrie zu beachten (Bestätigung von LVerfGE 12, 255, 286).
4. Die vom Gesetzgeber geforderte typisierende Bedarfsanalyse zur
Bemessung des kommunalen Finanzbedarfs basiert auf dem Grundsatz der
Aufgabenparität zwischen Land und Kommunen. Die erforderliche
Gesamtbewertung der finanziellen Situation von Land und Kommunen richtet
sich nach dem Prinzip der Verteilungssymmetrie. Sie ist verfassungsrechtlich
nur zu beanstanden, wenn sie offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig
widerlegbar ist.
Art. 1 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 2005 vom 17. Dezember 2004 (Nds.
GVBl. S. 664)
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Beschluss vom 27.02.2008, 2/05, StGH 2/05
Art 1 Nr 1 HBegleitG ND 2005 vom 17.12.2004, § 1 Abs 1 FinVertG ND vom
12.03.1999, Art 28 Abs 2 S 3 GG, Art 28 Abs 2 S 1 GG, Art 58 Verf ND, Art 57 Abs 6
Verf ND, Art 57 Abs 4 Verf ND, Art 57 Abs 3 Verf ND, Art 57 Abs 1 Verf ND, Art 54 Nr
5 Verf ND, § 8 Nr 10 StGHG ND
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die Beschwerdeführerinnen machen mit ihren Verfassungsbeschwerden
geltend, die mit Art. 1 Nr. 1 Haushaltsbegleitgesetz 2005 vom 17. Dezember
2004 (Nds. GVBl. S. 664) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 angeordnete
prozentuale Herabsetzung der Verteilungsmasse in § 1 Abs. 1 des
Niedersächsischen Gesetzes zur Regelung der Finanzverteilung zwischen Land
und Kommunen (NFVG) vom 12. März 1999 (Nds. GVBl. S. 79, berichtigt S. 106,
360), zuletzt geändert durch Art. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom 12.
Dezember 2003 (Nds. GVBl. S. 446), von 16,09 v. H. auf 15,04 v. H. verletze sie
in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach Art. 57 Abs. 1 bis 3, 58 der
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Niedersächsischen Verfassung (NV).
I.
Grundlage und Anknüpfungspunkt für die mit den Verfassungsbeschwerden
angegriffene Regelung im Haushaltsbegleitgesetz 2005 ist das im Rahmen einer
gesetzgeberischen Neukonzeption des kommunalen Finanzausgleichs vom
Niedersächsischen Landtag am 12. März 1999 beschlossene Niedersächsische
Finanzverteilungsgesetz. Mit diesem Gesetz wurden die bis dahin im
Niedersächsischen Gesetz über den Finanzausgleich (NFAG 1995) vom 19.
Dezember 1995 (Nds. GVBl. S. 463) enthaltenen Vorschriften hinsichtlich der
Zuweisungsmasse, das heißt des prozentualen Anteils der Kommunen am
Steueraufkommen und an anderen Einnahmen des Landes, sowie der Höhe der
Zuweisungen für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises in einem
eigenständigen Gesetz zusammengefasst. Neben dieses Gesetz trat das
Niedersächsische Gesetz über den Finanzausgleich (NFAG 1999), das vom
Niedersächsischen Landtag am selben Tag beschlossen wurde (Nds. GVBl. S.
79) und vorrangig Normen zur interkommunalen Verteilung der
Finanzausgleichsmasse enthielt. Beide Gesetze traten rückwirkend zum 1.
Januar 1999 in Kraft. Die vollständige Neukonzeption des kommunalen
Finanzausgleichs war erforderlich geworden, weil der Niedersächsische
Staatsgerichtshof mit Urteil vom 25. November 1997 -StGH 14/95 u.a.- (Nds.
StGHE 3, 299) wesentliche Vorschriften des NFAG 1995 für mit der
Niedersächsischen Verfassung unvereinbar und mit Wirkung vom 1. Januar
1995 für nichtig erklärt hatte. Die gegen die beiden Gesetze erhobenen
Verfassungsbeschwerden und ein Antrag auf abstrakte Normenkontrolle vor
dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof blieben weitgehend erfolglos (Urteil
vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u.a.-, LVerfGE 12, 255).
In der Folgezeit bis einschließlich 2004 blieb das Regelungssystem in seinen
Grundzügen unverändert. Die in § 1 Abs. 1 NFVG geregelte Verbundquote
wurde jedoch in einem ersten Schritt mit Wirkung vom 1. Januar 2000 durch das
Gesetz zur Neuregelung der Kostenabgeltung nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz und zur Änderung des Niedersächsischen
Finanzverteilungsgesetzes und des Niedersächsischen Gesetzes über den
Finanzausgleich vom 22. Juni 2000 (Nds. GVBl. S. 138) von 17,59 v. H. auf
17,01 v. H. abgesenkt; mit dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften
betreffend den kommunalen Finanzausgleich vom 28. August 2002 (Nds. GVBl.
S. 366) erfolgte eine weitere Reduzierung mit Wirkung zum 1. Januar 2002 auf
16,09 v.H.. Die Höhe der Zuweisungen für Aufgaben im übertragenen
Wirkungskreis wurde in dieser Zeit stufenweise an die Entwicklung der Lohn-
und Gehaltssteigerungen im öffentlichen Dienst angepasst.
II.
1. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2005 hat der Gesetzgeber sowohl
Änderungen bei der Berechnung der Verbundmasse als auch bei den
Zuweisungen für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises vorgenommen.
Art. 1 des Gesetzes enthält hierzu folgende Regelungen:
„Das Niedersächsische Finanzverteilungsgesetz vom 12. März 1999 (Nds.
GVBl. S. 79, 106, 360), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom
12. Dezember 2003 (Nds. GVBl. S. 446), wird wie folgt geändert:
1. In § 1 Abs. 1 wird die Zahl „16,09“ durch die Zahl „15,04“ ersetzt.
2. § 2 erhält folgende Fassung:
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Übertragener Wirkungskreis
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Bei der Festsetzung der Zuweisungen für Aufgaben des übertragenen
Wirkungskreises gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 NFAG werden
1. für das Haushaltsjahr 2002 für kreisfreie Städte 43,37 Euro und für
Landkreise 47,65 Euro,
2. für das Haushaltsjahr 2003 für kreisfreie Städte 44,24 Euro und für
Landkreise 48,60 Euro,
3. für das Haushaltsjahr 2004 für kreisfreie Städte 44,66 Euro und für
Landkreise 49,07 Euro und
4. ab dem Haushaltsjahr 2005 für kreisfreie Städte 45,17 Euro und für
Landkreise 49,63 Euro
für jede Einwohnerin und jeden Einwohner zugrunde gelegt.’“
Das Gesetz ist nach Art. 16 Abs. 1 zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten, für die
Jahre 2002 bis 2004 ergeben sich durch Art. 1 Nr. 2 keine Veränderungen im
Vergleich zur bisherigen Rechtslage.
2. Der Niedersächsische Landtag verabschiedete am 12. Juli 2007 das Gesetz
zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich, des
Niedersächsischen Finanzverteilungsgesetzes und des Göttingen-Gesetzes
(Nds. GVBl. S. 312). Nach Art. 2 Nr. 1 dieses Gesetzes wurde die Verbundquote
von 15,04 auf 15,50 v.H. angehoben. Das Gesetz trat nach Art. 5 rückwirkend
zum 1. Januar 2007 in Kraft.
III.
1. Der Gesetzgeber zog im Gesetzgebungsverfahren zum
Haushaltsbegleitgesetz 2005 zur Beurteilung der finanziellen Situation von Land
und Kommunen das im Bericht des Niedersächsischen Finanzministeriums zur
Entwicklung der Finanz- und Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der
niedersächsischen Kommunen vom 22. Juni 2004 zusammengestellte
Datenmaterial heran (vgl. Entwurfsbegründung, Nds. LT-Drs. 15/1340, S. 12).
Die dort wiedergegebene Berechnung der prozentualen Anteile der freiwilligen
Selbstverwaltungsangelegenheiten an den Gesamtzuschussbeträgen für die
Jahre bis einschließlich 2002 beruht auf methodischen Grundlagen, die eine
vom Niedersächsischen Ministerium des Innern am 29. März 1999 eingesetzte
Kommission aus Vertretern der im Landtag vertretenen Fraktionen, der
kommunalen Spitzenverbände sowie der Ministerin der Finanzen und des
Innern (FAG-Kommission) unter Rückgriff auf Datenmaterial des
Niedersächsischen Landesamtes für Statistik (NLS) erarbeitet hatte (vgl.
Zwischenbericht zur Unterrichtung des Landtages über den
Beratungsgegenstand der Kommission vom 24. Januar 2000, Nds. LT-Drs.
14/1524 S. 3 ff. und Abschlussbericht über die Arbeit der FAG-Kommission zur
Unterrichtung des Landtages vom 7. Juni 2000, Nds. LT-Drs. 14/1790, S. 3 ff.).
Das NLS veränderte 2001 teilweise das methodische Verfahren zur Ermittlung
der prozentualen Anteile der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, der
pflichtigen und der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben (vgl. B. Maas,
Statistische Monatshefte Niedersachsen 2001, S. 664 ff.)
Das Finanzministerium führte seine Untersuchungen über die Entwicklung der
Finanz- und Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der
niedersächsischen Kommunen in den nächsten Jahren kontinuierlich fort und
fasste seine Ergebnisse in jährlichen Berichten zusammen. Der letzte Bericht
des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 4. Juli 2007 betrifft die Jahre
bis einschließlich 2005, teilweise trifft er auch Aussagen zum Haushaltsjahr
2006.
2. Das NLS erließ für die Haushaltsjahre 2005 und 2006 am 6. April 2005 bzw.
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20. November 2006 Bescheide über die Festsetzung der Finanzzuweisungen
nach dem Niedersächsischen Gesetz über den Finanzausgleich für alle
niedersächsischen Kommunen. Die Beschwerdeführerin zu 1. erhob gegen die
ihr bekanntgegebenen Verwaltungsakte Widerspruch; die
Rechtsbehelfsverfahren ruhen bis zur Entscheidung des Niedersächsischen
Staatsgerichtshofs über die Verfassungsbeschwerden. Die übrigen
Beschwerdeführerinnen legten gegen die an sie gerichteten Bescheide keine
Rechtsbehelfe ein.
B.
I.
Die Beschwerdeführerinnen sind niedersächsische kreisfreie Städte, Städte,
Gemeinden und Samtgemeinden. Sie richten ihre Verfassungsbeschwerden
gegen Art. 1 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 2005 und beantragen, diese
Vorschrift für nichtig zu erklären.
Die Niedersächsische Landesregierung hat sich zu den
Verfassungsbeschwerden geäußert.
II.
Die Beschwerdeführerinnen halten ihre Beschwerden gemäß Art. 54 Nr. 5 NV,
§§ 8 Nr. 10, 36 Nds. StGHG für zulässig, insbesondere seien sie durch das
angegriffene Gesetz selbst unmittelbar und gegenwärtig in ihrem
Selbstverwaltungsrecht verletzt. Die Kommunalverfassungsbeschwerde sei als
Gesetzesverfassungsbeschwerde konzipiert. Die angegriffene Verbundquote
stelle die entscheidende, vom Landesgesetzgeber zu beeinflussende normative
„Stellschraube“ dar, wobei die Effekte der Absenkung sich nicht auf das
Haushaltsjahr 2005 beschränken würden. Die Absenkung wirke vielmehr noch
derzeit (und zukünftig), da sie durch die zwischenzeitlich vorgenommene
Korrektur der Verbundquote nicht vollständig wieder rückgängig gemacht sei.
Die Landesregierung äußert Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerden. Soweit die Beschwerden auf eine Verletzung der in
Art. 57 Abs. 1 bis 3 NV enthaltenen Rechte gestützt werde, sei dies unzulässig,
weil die Ansprüche der Kommunen gegenüber dem Land auf finanzielle
Zuweisungen ausschließlich in Art. 57 Abs. 4 und Art. 58 NV niedergelegt seien.
Die Beschwerdeführerinnen beschrieben lediglich die Auswirkungen der
Kürzung der Verbundquote durch Art. 1 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes
2005 auf ihre finanzielle Situation, ohne darzulegen, inwieweit die Kommunen in
ihrer Gesamtheit belastet worden seien. Art. 58 NV gewährleiste den Kommunen
kein subjektives Recht auf eine individuell angemessene Finanzausstattung
durch die abstrakten Zuweisungsregeln des Finanzausgleichs, sondern nur ein
solches auf eine aufgabenorientierte Ausstattung aller Gemeinden im Land. Dies
ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass der Staatsgerichtshof die
Möglichkeit der Gewährung von Bedarfszuweisungen nach § 13 NFAG zum
Ausgleich individueller Härten als ausreichend erachtet habe.
Ferner seien die Beschwerdeführerinnen durch die Regelung im
Haushaltsbegleitgesetz 2005 auch nicht unmittelbar betroffen. Die finanziellen
Auswirkungen auf die kommunalen Finanzen würden durch die prozentuale
Absenkung der Verbundquote betragsmäßig noch nicht festgelegt. Sie ergäben
sich erst, sobald die Steuerverbundmasse nach § 1 Abs. 1 NFAG im
Haushaltsplan in den entsprechenden Einnahmetiteln festgestellt worden sei. §
1 Abs. 2 NFAG ordne daher konsequent an, dass der Gesamtbetrag der
Finanzzuweisungen für jedes Haushaltsjahr im Landeshaushaltsplan
festzusetzen sei. Die Kommunen könnten sich daher mit einer
Verfassungsbeschwerde nur gegen dieses Gesetz, dem wegen der Verweisung
im NFAG insoweit Außenwirkung zukomme, wenden. Im Übrigen hänge die
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Frage einer Verletzung des Rechts auf angemessene Finanzausstattung auch
von der Höhe der Finanzmasse ab, die den Kommunen für Aufgaben im
übertragenen Wirkungskreis als Vorab zugewiesen werde. Auch deshalb führe
die prozentuale Absenkung der Verbundquote noch nicht zu einer unmittelbaren
Beschwer.
Den Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2. bis 11. fehle
schließlich das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche
Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Norm. Nach
Eintritt der Bestandskraft der gegen sie erlassenen Festsetzungsbescheide des
NLS für die Haushaltsjahre 2005 und 2006 hätten sie keine verfahrensrechtliche
Möglichkeit, auch bei einer Nichtigkeitserklärung die Rücknahme der Bescheide
und eine Neufestsetzung unter Berücksichtigung der früheren Verbundquote
von 16,09 v.H. zu erreichen. Der begehrte Entscheidungsausspruch würde an
ihrer finanziellen Situation nichts ändern.
III.
Die Beschwerdeführerinnen sehen sich durch die beanstandete Regelung in
ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung verletzt. Insgesamt stützen sie die
von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit des Haushaltsbegleitgesetzes
2005 auf die folgenden Argumente:
1. Der Gesetzgeber habe mit der Reduzierung der Verbundquote und der damit
für das Haushaltsjahr 2005 prognostizierten Kürzung der Verbundmasse um
150 Mio Euro das Recht der Beschwerdeführerinnen auf eine finanzielle
Mindestausstattung verletzt. Grundlage für dieses Recht sei nicht allein die
Regelung in Art. 58 NV, sondern unmittelbar Art. 57 Abs. 1 NV; der Anspruch sei
dann verletzt, wenn einer Kommune eine finanzielle freie Spitze von weniger als
5 v.H. des Verwaltungshaushalts zur Wahrnehmung freiwilliger
Selbstverwaltungsangelegenheiten verbleibe. Die Beschwerdeführerinnen
hätten in ihren Verwaltungshaushalten für 2005 Ausgaben für freiwillige
Selbstverwaltungsaufgaben zwischen 0,31 v.H. und 9,79 v.H. vorgesehen. Bei
dieser Quote müsse beachtet werden, dass diese Ausgaben bei vielen
Kommunen ganz oder überwiegend im Wege der Kreditfinanzierung durch
Kassenkredite bestritten würden, womit eine strukturelle Unterfinanzierung
nachgewiesen sei. Sofern einzelne Kommunen keine zusätzlichen
Kassenkredite in Anspruch genommen hätten, sei der Anteil der freiwilligen
Selbstverwaltungsaufgaben am Gesamtausgabevolumen bei ihnen marginal.
Das Recht auf eine finanzielle Mindestausstattung der Kommunen gehöre zum
Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung und stehe daher nicht zur
Disposition des Gesetzgebers. Die Mindestausstattung sei nicht gewährleistet,
wenn die Kommunen wegen der Unausgeglichenheit ihrer
Verwaltungshaushalte gezwungen seien, stetig steigende Kassenkredite
aufzunehmen.
2. Der Gesetzgeber könne sich zur Rechtfertigung dieses Eingriffs nicht auf die
in § 13 NFAG vorgesehene Möglichkeit der Gewährung von
Bedarfszuweisungen stützen. Die niedersächsischen Kommunen seien in ihrer
Gesamtheit in den letzten Jahren in eine finanzielle Notlage geraten, so dass
eine Korrektur über diese Zuweisungsart wegen atypischer finanzieller Notlagen
in den Kommunen ein untaugliches Mittel darstelle. Im übrigen würde
Kommunen, denen derartige Zuweisungen gewährt würden, kaum ein
Spielraum für eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung verbleiben.
3. Für seine Entscheidung, die Verbundmasse um prognostizierte 150 Mio Euro
zu kürzen, habe der Gesetzgeber die erforderlichen Daten zusammenzustellen.
So habe er versäumt, eine aktuelle Aufgabenanalyse zu erstellen, um
abschätzen zu können, ob der erforderliche Finanzbedarf zur Wahrnehmung
eines Mindestbestands an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben nach der
Kürzung noch gedeckt sei. Die vom NLS erstellten Berechnungen des
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prozentualen Anteils der Kosten für freiwillige
Selbstverwaltungsangelegenheiten am Gesamtzuschuss seien unbrauchbar,
weil sie sich nicht auf die Streitjahre bezögen und überdies mittlerweile
eingetretene Aufgabenverlagerungen zwischen Land und Kommunen nicht
berücksichtigten. Zudem habe das NLS 2001 Änderungen im methodischen
Verfahren vorgenommen, deren Schlüssigkeit nicht beurteilt werden könne. Der
in der Entwurfsbegründung enthaltene Hinweis auf die finanzielle Notlage des
Landes könne eine Kürzung der Quote um gerade 1,05 Prozentpunkte nicht
erklären. Die Ermittlungsdefizite wirkten sich besonders auf die Folgejahre aus.
4. Die Begründung des Gesetzgebers, er habe durch verschiedene
Maßnahmen zur Stärkung der Finanzausstattung der kommunalen Ebene
beigetragen, könne nicht überzeugen. Die außerhalb des kommunalen
Finanzausgleichs erbrachten Zahlungen des Landes an die Kommunen in Höhe
von etwa 2,9 Mrd. Euro beruhten entweder auf Geldern Dritter oder seien kraft
Gesetzes zur Abdeckung der Aufwendungen für übertragene Aufgaben bzw.
pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben bestimmt. Mit der Absenkung der
Gewerbesteuerumlage sei lediglich ein rechtswidriger Zustand zulasten der
Kommunen beseitigt worden. Der Verzicht des Landes auf einen kommunalen
Beitrag zum Fonds „Aufbauhilfe“ habe sich ausschließlich auf das Haushaltsjahr
2003 ausgewirkt. Über die avisierten Einsparungen durch die Zusammenlegung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bestünden zwischen Land und Kommunen
nicht ausgeräumte Differenzen, zumal ein Großteil der Einsparungen
zwischenzeitlich durch die Verpflichtung zum Ausbau von Krippen- und
Tagesbetreuungsangeboten wieder aufgezehrt worden sei. Die Verringerung
der Aufwendungen für die Besoldung und die Beihilfe der Beamten der
Kommunen könnten - wie vom Gesetzgeber erkannt - mit einem Volumen von
66 Mio. Euro die Kürzung der Verbundquote nicht ausgleichen. Von der
künftigen Einführung eines strikten Konnexitätsprinzips in Art. 57 Abs. 4 NV
seien die bislang übertragenen Aufgaben nicht erfasst.
5. Hilfsweise rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung des
Grundsatzes der Verteilungssymmetrie. Der Gesetzgeber habe den
Bedeutungsgehalt dieses Prinzips verkannt, weil er ausweislich der
Entwurfsbegründung davon ausgegangen sei, es könnten nach der Änderung
der Verbundquote künftig „verteilungssymmetrische Unwuchten“ auftreten, die
dann ausgeglichen werden müssten. Zudem habe er, indem er bei der
Beurteilung der Finanzlage von Land und Kommunen auf deren
Finanzierungssalden abgestellt habe, ein untaugliches Kriterium verwandt. Dem
Land seien im Vergleich zu den Kommunen verfassungsrechtlich
weitergehende Möglichkeiten einer Kreditaufnahme im Vergleich eingeräumt.
IV.
Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Sie
führt hierzu im Wesentlichen aus:
1. Die Verfassungsbeschwerden seien teilweise unschlüssig, weil die
Beschwerdeführerinnen zu 3., 4., 6., 9., 10. und 11. nach ihren eigenen Daten
2005 über eine finanzielle Mindestausstattung für freiwillige
Selbstverwaltungsaufgaben von mehr als 5 v.H. der Verwaltungsausgaben
verfügten. Im Übrigen seien die vorgelegten Zahlenwerke hinsichtlich der
beschwerdeführenden Samtgemeinden widersprüchlich, weil teilweise auf die
Verhältnisse der Samtgemeinde, teilweise auf die im Samtgemeindebereich
zurückgegriffen worden sei. Schließlich argumentierten die
Beschwerdeführerinnen mit den Zahlen aus dem Haushaltsplan, anstatt die
angefallenen Finanzierungssalden aus den tatsächlichen Kassenergebnissen
zu berücksichtigen. Ihre Angaben zu den Fehlbetragsquoten und zur Höhe der
Kassenkredite seien deshalb zu berichtigen.
2. Die Beschwerdeführerinnen hätten die rechtlichen Grenzen ihres Rechts auf
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finanzielle Mindestausstattung verkannt. Die Feststellung einer angemessenen
Mindestausstattung müsse auf einer wertenden Gesamtschau aller finanziell
relevanten Daten und Zustände beruhen. Bei fehlender Leistungsfähigkeit des
Landes sei es auch zulässig, diese Grenze zu unterschreiten, sofern der
Grundsatz der Verteilungssymmetrie gewahrt sei. Wenn einzelnen Kommunen
nach den Zuweisungen eine Wahrnehmung freiwilliger
Selbstverwaltungsaufgaben unmöglich sei, werde ihrem Anspruch nach Art. 58
NV dann Genüge getan, wenn ihnen Bedarfszuweisungen gewährt würden. So
sei in der Vergangenheit und im Jahr 2005 bei einigen Beschwerdeführerinnen
verfahren worden.
3. Die von den Beschwerdeführerinnen vorgelegten Zahlen zur Beschreibung
ihrer finanziellen Situation seien teilweise unrichtig, teilweise zumindest
unvollständig. So hätten die Beschwerdeführerinnen zu 4. und 11. Ausgaben
getätigt, die keinesfalls einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung
genügten. Zahlungen des Landes an die Kommunen außerhalb des
kommunalen Finanzausgleichs in Höhe von rund 2,9 Mrd. Euro seien von den
Beschwerdeführerinnen in ihren Überlegungen nicht einbezogen worden. Auch
hätten die Beschwerdeführerinnen nicht in Rechnung gestellt, dass ihnen das
Land die Befugnis zur Erhebung kostendeckender Gebühren, Beiträge und
Entgelte eingeräumt habe. Soweit die Kommunen hiervon keinen Gebrauch
machten, könne dies dem Land nicht angelastet werden. Bei der Angabe der
Höhe der Zuweisungen hätten die Beschwerdeführerinnen teilweise
verschwiegen, dass die Reduzierung in erster Linie auf der Stärkung ihrer
Finanzkraft und nicht auf der Kürzung der Verbundquote beruhe. Die
Entwicklung der Kassenkredite sei nicht bis zum Ende des Haushaltsjahres
dargestellt worden und daher nicht aussagekräftig.
4. Weiterhin sei der von den Beschwerdeführerinnen gewählte Ansatz, das
Recht auf finanzielle Mindestausstattung sei nur dann gewahrt, wenn eine freie
Spitze von 5 v.H. gemessen an den Bruttoausgaben für freiwillige
Selbstverwaltungsaufgaben verbleibe, nicht haltbar. Es werde nicht deutlich, wie
die Beschwerdeführerinnen das Postulat von 5 v.H. aus Art. 58 NV dogmatisch
herleiteten. Überdies habe der Staatsgerichtshof bei einer früheren
Entscheidung beiläufig erwähnt, das Recht auf finanzielle Mindestausstattung
sei jedenfalls dann gewahrt, wenn 5,3 v.H. der Nettoaufwendungen den
Kommunen zur Verfügung stünden. Dies sei ausweislich der Jahresrechnung
für 2004 bei den allermeisten Beschwerdeführerinnen der Fall gewesen.
5. Bei der Berechnung der freien Spitze hätten die Kommunen nicht in
Rechnung gestellt, dass sie freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben teilweise
durch ausgegliederte Anstalten, durch Kapitalgesellschaften oder mittels der
Förderung Dritter - etwa gemeinnütziger Vereine - wahrnehmen würden. Diese
Aktivitäten dürften im Rahmen der Gesamtbetrachtung nicht unberücksichtigt
bleiben.
6. Die Einwände der Beschwerdeführerinnen gegen das Argument des
Gesetzgebers, die Kürzung der allgemeinen Zuweisungen seien durch andere
Maßnahmen des Landes überkompensiert worden, seien nicht nachvollziehbar.
Für die Betrachtung der Finanzkraft der Kommunen sei zunächst unerheblich,
woher die Mehreinnahmen der Kommunen und die Einsparmöglichkeiten
stammten. Jede der Beschwerdeführerinnen habe im Jahr 2005 erheblich von
den Maßnahmen profitiert und ihre Gesamtsituation wie auch die Gesamtheit der
Kommunen erheblich verbessert.
7. Der Gesetzgeber habe auf das im Rahmen des NFAG 1999 erstellte
Datenmaterial zurückgreifen können, weil den Kommunen in der Zwischenzeit
keine nennenswerten Aufgaben zugewachsen oder genommen worden seien.
Die Steuereinnahmen des Landes hätten sich in den Jahren 2003 und 2004 im
Vergleich zu denen der Kommunen nicht so positiv entwickelt, so dass die
Beibehaltung der Verbundquote von 16,09 v.H. die Kommunen begünstigt
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haben würde.
8. Die Landesregierung trägt hilfsweise vor, die Neuregelung wahre auch den
Grundsatz der Verteilungssymmetrie. Der Gesetzgeber habe bei der
notwendigen Gesamtschau auf den bereinigten Finanzierungssaldo, die
Investitionsquote, die Zinslastquote, die Zinsausgabenquote, die
Schuldenstände, die Kreditfinanzierungsquoten und einen Einnahmevergleich
abgestellt. Das Land habe sich 2004 in seiner schwersten Finanzkrise
befunden. Die Steuereinnahmen seien in historisch einmaliger Größenordnung
eingebrochen, während sich für die Kommunen für 2005 eine erkennbar
positivere Perspektive abgezeichnet habe. Die Nettokreditaufnahme für das
Land habe seit dem Haushaltsjahr 2002 ständig die durch Art. 71 NV
festgelegten Grenzen überschritten. Beginnend mit dem Landeshaushalt 2004
seien in mehreren Arbeitsdurchgängen systematisch alle dem Grunde und der
Höhe nach möglichen Konsolidierungspotenziale erhoben und in der Folgezeit
auch ausgeschöpft worden. Erst nachdem die Deckungslücke für das
Haushaltsjahr 2005 um etwa 1,3 Mrd. Euro verringert worden sei, habe sich das
Land als ultima ratio entschlossen, den Kommunen einen
Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 150 Mio. Euro abzuverlangen. Zu diesem
Schritt habe man sich nicht zuletzt deshalb entschlossen, weil etwa 25 % aller
Ausgaben für die Kommunen verwendet würden. Gleichwohl habe die
Nettokreditaufnahme in den Jahren 2005 und 2006 die verfassungsrechtlich
zulässige Grenze überstiegen.
V.
Der Landtag hat beschlossen, von einer Stellungnahme gegenüber dem
Staatsgerichtshof abzusehen.
C.
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 1. ist zulässig.
Hinsichtlich der übrigen Verfassungsbeschwerden bestehen Zweifel, ob ein
allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für eine verfassungsgerichtliche
Überprüfung des Art. 1 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 2005 besteht.
I.
1. Gegenstand der Beschwerdeverfahren ist Art. 1 Nr. 1 des
Haushaltsbegleitgesetzes 2005 vom 17. Dezember 2004. Zwar bezeichnen die
Beschwerdeführerinnen in ihrem Antrag Art. 1 dieses Gesetzes als angegriffene
Rechtsnorm. Der Antrag ist jedoch dahin auszulegen, dass lediglich die in Art. 1
Nr. 1 festgelegte Absenkung der prozentualen Verbundquote und nicht auch die
in Art. 1 Nr. 2 enthaltene Neuregelung der Kopfbeträge bei den Zuweisungen für
Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises angegriffen worden ist.
2. Die Beschwerdeführerinnen haben die von ihnen behauptete Verletzung ihres
Rechts auf kommunale Selbstverwaltung in einer den Vorgaben der Art. 54 Nr. 5
NV, §§ 36 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 StGHG i.V.m. § 23 BVerfGG genügenden
Weise dargelegt. Die Bezeichnung des Art. 57 Abs. 1 bis 3 NV neben Art. 58 NV
als Rechtsgrundlage ist unschädlich, weil der Niedersächsische
Staatsgerichtshof in früheren Verfahren zum kommunalen Finanzausgleich auch
Art. 57 NV als Maßstab herangezogen hat (Beschluss vom 15. August 1995 -
StGH 2, 3, 6 bis 10/93-, Nds. StGHE 3, 136, 155; Urteile vom 25. November
1997 -StGH 14/95 u.a.-, Nds. StGHE 3, 299, 311; vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99
u.a.-, LVerfGE 12, 255, 273).
Die Beschwerdeführerinnen haben auch substantiiert dargelegt, gerade durch
die angegriffene Vorschrift in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung
verletzt zu sein. Dabei kann offen bleiben, ob die von ihnen mitgeteilten
Kennzahlen aus ihren Haushalten des Jahres 2005 die Verletzung des von
ihnen angenommenen individuellen Anspruchs auf finanzielle
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Mindestausstattung belegen können (vgl. zu den Anforderungen LVerfG
Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Mai 2006 -LVerfG 1, 5, 9/05-,
Urteilsumdruck S. 23; ferner BVerfGE 116, 327, 376). Die
Beschwerdeführerinnen haben in ihrer Beschwerdeschrift - wenn auch nur
hilfsweise - Sachverhaltsermittlungs- und Abwägungsmängel im
Gesetzgebungsverfahren gerügt, die wegen Verstoßes gegen den Grundsatz
der Verteilungssymmetrie eine Verletzung ihres Anspruchs auf angemessene
Finanzausstattung nach Art. 58 NV als möglich erscheinen lassen.
3. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffene Regelung
gegenwärtig betroffen. Die gegenwärtige Betroffenheit wirkt trotz der Aufhebung
der Vorschrift durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des
Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich und des
Niedersächsischen Finanzverteilungsgesetzes und des Göttingen-Gesetzes
vom 12. Juli 2007 (Nds. GVBl. S. 312) auch über den 1. Januar 2007 fort.
4. Entgegen der Auffassung der Landesregierung sind die
Beschwerdeführerinnen durch die mit Art. 1 Nr. 1 Haushaltsbegleitgesetz 2005
angeordnete Absenkung der Verbundquote unmittelbar betroffen. Zwar erfolgt
die betragsmäßige Festlegung der Verbundmasse erst durch den
Haushaltsplan, der durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird (§ 1 Satz 1
LHO). Die Kommunen können das Haushaltsgesetz jedoch
verfassungsgerichtlich nicht überprüfen lassen, weil die im Haushaltsplan
festgestellten Ansätze Rechtswirkungen nur im Organbereich von Landtag und
Landesregierung entfalten (vgl. BVerfGE 38, 121, 126; BVerfGE 46, 268, 294 f.;
BVerwG, DVBl. 1998, S. 142) und weder Ansprüche noch Verbindlichkeiten
begründen (§ 3 Abs. 2 LHO; § 3 Abs. 2 HGrG). Dieser Umstand würde dazu
führen, dass Gemeinden das Haushaltsgesetz mangels Außenwirkung und ein
Haushaltsbegleitgesetz, das die Verbundquote verändert, mangels
Unmittelbarkeit nicht mit der Verfassungsbeschwerde angreifen könnten.
Hierdurch entstünde eine Rechtsschutzlücke für die kommunalen
Gebietskörperschaften, die diese außer Stande setzte, die in Art. 57 und 58 NV
ihnen eingeräumten Ansprüche im Wege der kommunalen
Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Der den Kommunen durch Art. 54
Nr. 5 NV eingeräumte Rechtsschutz zur Wahrung ihres Rechts auf kommunale
Selbstverwaltung würde damit partiell leerlaufen (so auch LVerfG Mecklenburg-
Vorpommern, Urteil vom 12. Mai 2006 -LVerfG 1, 5, 9/05-, Urteilsumdruck S. 21).
II.
Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerden zu 2. bis 11. bestehen Zweifel, ob ein
Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs besteht.
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis stellt eine ungeschriebene
Sachurteilsvoraussetzung für die kommunale Verfassungsbeschwerde dar (vgl.
ThürVerfGH, Urteile vom 1. März 2001 -VerfGH 20/00-, juris Rdnr. 69; vom 10.
September 2002 -VerfGH 8/01-, juris Rdnr. 22; VerfG Bbg, Urteile vom 15.
Oktober 1998 -VfGBbg 38/97, 39/97, 24/98-, LVerfGE 9, 121, 133; vom 22.
November 2007 -VfGBbg 75/05-, Urteilsumdruck unter B I 1 f.). Der
Beschwerdeführer muss bei Einlegung des Rechtsbehelfs und im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung ein konkretes praktisches Ziel erreichen können. Für
die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2. - 11. würde dies
die Möglichkeit bedeuten, ihren Anspruch auf angemessene Finanzausstattung
nach Art. 58 NV durchzusetzen und damit eine Verbesserung ihrer finanziellen
Situation für die Geltungsdauer der angegriffenen Vorschrift zu erreichen. Dazu
würde es genügen, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung eine
Entwicklung in Gang setzen würde, die im weiteren Verlauf den
Beschwerdeführerinnen eine realistische Chance bietet, die erstrebte
Verbesserung zu erreichen (BVerfGE 22, 349, 369; 32, 157, 163; ThürVerfGH,
Urteile vom 1. März 2001 - VerfGH 20/00-, a.a.O. Rdnr. 69; vom 10. September
2002 - VerfGH 8/01-, a.a.O. Rdnr. 22). Dieser Möglichkeit dürfte jedoch bei den
51
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Beschwerdeführerinnen zu 2. - 11. die Bestandskraft der
Festsetzungsbescheide des Niedersächsischen Landesamts für Statistik
entgegenstehen, weil sie - anders als die Beschwerdeführerin zu 1. - keine
Rechtsbehelfe eingelegt haben.
Allerdings hat der Staatsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. August 1995 -
StGH 2, 3, 6 bis 10/93- einzelne Verfassungsbeschwerden für zulässig
gehalten, obwohl die Beschwerdeführer gegen die Festsetzungsbescheide
nach dem Finanzausgleichsgesetz keine Rechtsbehelfe eingelegt hatten (Nds.
StGHE 3, 136, 143, 144, 153). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist,
kann indes dahinstehen, weil die Verfassungsbeschwerden jedenfalls
unbegründet sind.
D.
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Art. 1 Nr. 1 des
Haushaltsbegleitgesetzes 2005 vom 17. Dezember 2004 (Nds. GVBl. S. 664) ist
mit der Niedersächsischen Verfassung vereinbar und verletzt die
Beschwerdeführerinnen nicht in ihren Rechten aus Art. 57 und 58 NV.
I.
Prüfungsmaßstab für die angegriffene Vorschrift ist die in Art. 57 und 58 NV
verankerte Selbstverwaltungsgarantie. Nach Art. 57 Abs. 1 NV verwalten die
Gemeinden und Landkreise (= Kommunen) ihre Angelegenheiten im Rahmen
der Gesetze in eigener Verantwortung. Mit Art. 57 Abs. 3 NV wird diese
Regelung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der eigenen Angelegenheiten
konkretisiert, indem den Gemeinden die ausschließliche Trägerschaft für die
gesamten öffentlichen Aufgaben zugewiesen wird, soweit die Gesetze nicht
ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Art. 57, 58 NV verwirklichen für das
Land Niedersachsen die bundesverfassungsrechtliche Garantie der
kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 GG) und haben nach Zweck und
Entstehungsgeschichte jedenfalls denselben Mindestgehalt wie Art. 28 Abs. 1
Sätze 2 und 3 und Abs. 2 GG (Nds. StGH, Beschluss vom 15. August 1995 -
StGH 2, 3, 6 bis 10/93-, Nds. StGHE 3, 136, 155 f.; Urteile vom 15. November
1997 -StGH 14/95 u. a.-, Nds. StGHE 3, 299, 311; vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99
u. a.-, LVerfGE 12, 255, 273; vom 6. Dezember 2007 -StGH 1/06-, NdsVBl.
2008, S. 37, 39).
8
Eine Ausprägung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist nach
gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der
Verfassungsgerichte der Länder die Finanzhoheit der Kommunen, die die
Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft
im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens umfasst. Die von
dieser Befugnis terminologisch und systematisch zu unterscheidende Frage, ob
darüber hinaus auch eine angemessene aufgabengerechte Finanzausstattung
oder jedenfalls eine finanzielle Mindestausstattung zum Gewährleistungsinhalt
der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
gehören, hat das Bundesverfassungsgericht bislang auch nach der
klarstellenden Ergänzung des Grundgesetzes durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG
offen gelassen (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 1999, S. 417). Der Niedersächsische
Staatsgerichtshof hat diese Frage unter Hinweis auf die Regelungen in Art. 57
Abs. 4 und 58 NV bejaht, ohne bislang eine Festlegung darüber getroffen zu
haben, welche der beiden vom Bundesverfassungsgericht erwogenen
Alternativen in der Niedersächsischen Verfassung verankert ist.
Art. 58 NV als zweite neben Art. 57 Abs. 4 NV rechtlich selbständige Säule zur
finanziellen Absicherung der Kommunen beinhaltet einen individuellen Anspruch
jeder niedersächsischen Kommune auf eine angemessene finanzielle
Mindestausstattung im Rahmen des übergemeindlichen Finanzausgleichs (1).
Ein Anspruch auf Gewährung von Finanzmitteln zur Abdeckung eines
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Mindestmaßes an freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten unabhängig
von der Leistungsfähigkeit des Landes besteht nach Art. 58 NV nicht (2). Der
Anspruch der Kommunen auf eine im Vergleich zur Leistungsfähigkeit des
Landes angemessene finanzielle Mindestausstattung ist erfüllt, wenn ihnen bei
wertender Betrachtung ihrer finanziellen Situation die erforderlichen Mittel zur
Wahrnehmung ihrer Aufgaben unter Einschluss eines Mindestbestands an
freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten zur Verfügung gestellt werden.
Bei Unterschreitung dieser Grenze hat das Land im Rahmen des
übergemeindlichen Finanzausgleichs die finanziellen Belange von Land und
kommunaler Ebene im Sinne einer aufgabenparitätischen Verteilungssymmetrie
gleich zu gewichten (3). Das Erfordernis eines über Art. 57 Abs. 6 NV
hinausgehenden formalisierten Verfahrens, in dem die Parameter zu ermitteln
und an dem die Kommunen zu beteiligen wären, lässt sich demgegenüber aus
der Fassung der Niedersächsischen Verfassung nicht ableiten (4).
1. Bereits in seiner Entscheidung vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u.a.- hat der
Niedersächsische Staatsgerichtshof entschieden, dass Art. 58 NV einen
individuellen Anspruch jeder einzelnen Kommune auf einen aufgabengerechten
Finanzausgleich beinhaltet (LVerfGE 12, 255 LS 5, 285). An dieser
Rechtsauffassung hält der Staatsgerichtshof fest.
Nach Art. 58 NV ist das Land verpflichtet, den Kommunen „die zur Erfüllung ihrer
Aufgaben erforderlichen Mittel (...) im Rahmen seiner finanziellen
Leistungsfähigkeit durch übergemeindlichen Finanzausgleich zur Verfügung zu
stellen.“ Die Norm beinhaltet ihrem Wortlaut nach lediglich eine Verpflichtung des
Landes zu einem bestimmten Verhalten; der Annahme eines
dementsprechenden individuellen Anspruchs der Kommunen steht diese
Formulierung aber nicht entgegen. Entscheidend ist nur, dass die Vorschrift den
Kreis der durch die auferlegte Rechtspflicht Begünstigten abschließend
umschreibt und so von der Allgemeinheit abgrenzt.
Eine systematische Auslegung des Art. 58 NV im Zusammenhang mit Art. 57
Abs. 1 und 3 NV ergibt dagegen, dass jeder einzelnen Kommune ein
individueller Anspruch auf finanzielle Ausstattung durch das Land eingeräumt
ist. Art. 57 Abs. 1 NV gewährleistet für die Kommunen von Verfassungs wegen
das Recht zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Damit unterscheidet sich
die Norm deutlich von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der seinem Wortlaut nach eine
Normativbestimmung gegenüber den Landesverfassungsgebern beinhaltet, die
ein bestimmtes Mindestmaß an Rechtsgarantien für die Kommunen
sicherstellen soll (Nds. StGH, Zwischenurteil vom 15. Februar 1973 -StGH 2,
3/72-, Nds. StGHE 1, 163, 168). Im Gegensatz dazu räumt Art. 57 Abs. 1 NV
bereits von seinem Wortlaut her den Kommunen die individuelle Befugnis zur
eigenverantwortlichen Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten ein und geht
damit über den Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG hinaus (vgl. Nds.
StGH, Urteile vom 13. März 1996 -StGH 1, 2, 4, 6 bis 20/94-, Nds. StGHE 3, 199,
213 f.; vom 6. Dezember 2007 -StGH 1/06-, NdsVBl. 2008, S. 37, 40) Auch die
Art. 57 Abs. 1 NV ergänzende Bestimmung in Art. 57 Abs. 3 NV, wonach die
Kommunen in ihrem Gebiet grundsätzlich die ausschließlichen Träger der
gesamten öffentlichen Aufgaben sind, ist von ihrem Wortlaut her nicht als bloße
objektive Gewährleistung, sondern als subjektive Befugnisnorm gefasst. Wenn
die Niedersächsische Verfassung somit den Kommunen ein individuelles Recht
auf Wahrnehmung prinzipiell aller öffentlichen Aufgaben in ihrem Gebiet
einräumt, ist es zwingend, dass auch Art. 58 NV Anspruchsqualität zukommt,
weil erst hierdurch die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung ermöglicht
wird.
2. Art. 58 NV beinhaltet jedoch keinen individuellen Anspruch der Kommunen
auf Gewährleistung einer finanziellen Mindestausstattung durch das Land, der
ihnen unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Landes in einem wie auch
immer zu quantifizierenden Umfang die Wahrnehmung freiwilliger
Selbstverwaltungsangelegenheiten ermöglichte. Der Staatsgerichtshof hat in
60
61
62
seiner bisherigen Rechtsprechung das Bestehen eines derartigen Anspruchs
zwar grundsätzlich bejaht, diesen aber unter den Vorbehalt der finanziellen
Leistungsfähigkeit des Landes gestellt (Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u.
a.-, LVerfGE 12, 255, 286; ebenso StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai
1999 -GR 2/97-, LVerfGE 10, 3, 26; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil
vom 11. Mai 2006 - LVerfG 1, 5, 9/05-, Urteilsumdruck S. 29 f.; BayVerfGH,
Entscheidung vom 28. November 2007 -Vf. 15-VII-05-, juris Rdnr. 204). Die
Auffassung der Beschwerdeführerinnen, wonach die Gewährleistung der
finanziellen Mindestausstattung nicht unter dem Vorbehalt der Leistungskraft
des Landes stehe, sondern davon unabhängig sei, kann aus Art. 58 NV und Art.
57 Abs. 1 bis 3 NV nicht abgeleitet werden.
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift steht der einheitliche Anspruch
der Kommunen auf Gewährung der für die Aufgabenwahrnehmung
erforderlichen finanziellen Mittel durch das Land insgesamt unter dem Vorbehalt
seiner finanziellen Leistungsfähigkeit; weder ergibt sich aus ihr eine
Differenzierung nach dem Grad der Erforderlichkeit der Mittel bezogen auf den
Kreis der Aufgaben noch eine Beschränkung der Anspruchsschranke, wonach
es zulässig wäre, diese bei besonderen Aufgaben der Kommunen und deren
Finanzierung nicht zu beachten (so für Art. 88 Abs. 1 SachsAnhVerf. auch
SachsAnhVerfG - Urteil vom 13. Juli 1999 LVG 20/97 -, LVerfGE 10, 440, 462).
Dieses Ergebnis der wörtlichen Auslegung des Art. 58 NV entspricht auch der
Intention des historischen Verfassungsgesetzgebers. So enthielten die von den
Fraktionen der SPD und der Grünen und der Fraktion der CDU vorgelegten
Entwürfe weitergehende Formulierungen, wonach das Land entweder generell
verpflichtet war sicherzustellen, „daß die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen
können“ (Art. 45 Abs. 1 Satz 1 des Verfassungsentwurfs der Fraktionen der SPD
und der Grünen, Nds. LT-Drs. 12/3008) oder aber „den Gebietskörperschaften
die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel durch übergemeindlichen
Finanzausgleich zur Verfügung“ stellen musste (Art. 45 Abs. 1 des
Verfassungsentwurfs der Fraktion der CDU, Nds. LT-Drs. 12/3210). Diese
Vorschläge zur Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung wurden bei
den Beratungen der Landesverfassung aber verworfen, weil eine finanzielle
Überforderung des Landes befürchtet wurde (vgl. Bericht zum Entwurf einer
Niedersächsischen Verfassung, Nds. LT-Drs. 12/5840, S. 37). Stattdessen
wurde die bisherige Regelung in Art. 45 VNV wörtlich übernommen, die nach der
damaligen Literatur einen nicht voll ausgebildeten Anspruch beinhaltete, der
seiner Höhe nach durch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes begrenzt
war (vgl. H. Neumann, Die Vorläufige Niedersächsische Verfassung, 2. Aufl.
1987, Art. 45 Rdnr. 7; H. Faber, in: Faber/Schneider, Niedersächsisches Staats-
und Verwaltungsrecht, 1985, S. 245; H. Korte/B. Rebe, Verfassung und
Verwaltung des Landes Niedersachsen, 2. Aufl. 1986, S. 474).
Die Heranziehung des Art. 57 Abs. 1 und 3 NV im Wege einer systematischen
Auslegung stützt die Auslegung des Art. 58 NV als einheitliche lediglich relative
Finanzgarantie. Art. 58 NV nimmt mit seiner Formulierung „zur Erfüllung ihrer
Aufgaben“ erkennbar auf die in Art. 57 Abs. 3 NV enthaltene Definition des
Aufgabenbestands der Kommunen Bezug. Mit dem Begriff der gesamten
öffentlichen Aufgaben werden aber nicht nur die Angelegenheiten der örtlichen
Gemeinschaft, sondern auch diejenigen im übertragenen Wirkungskreis umfasst
(Nds. StGH, Urteile vom 13. März 1996 -StGH 1, 2, 4, 6 bis 20/94-, Nds. StGHE
3, 199, 214, vom 6. Dezember 2007 -StGH 10/06-, juris Rdnr. 51 ff.
9
). Wenn die
vom Land bei der Bemessung der Finanzmittel zu bewertenden Aufgaben der
Kommunen derart über den von Art. 28 Abs. 2 GG erfassten Bestand
hinausgehen, hätte es eines ausdrücklichen Hinweises in Art. 58 NV für den Fall
bedurft, dass ein Teilbereich von Aufgaben ohne den Vorbehalt der
Leistungsfähigkeit des Landes bei der Finanzausstattung der Kommunen hätte
berücksichtigt werden sollen.
Der organisationsrechtlichen Einordnung der Kommunen als Teile der Länder
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entspricht es überdies, beide gleichgewichtig entsprechend ihrer Aufgaben an
den insgesamt zur Verfügung stehenden Finanzmitteln zu beteiligen (so auch
BayVerfGH, Entscheidung vom 28. November 2007 -Vf. 15-VII-05-, juris Rdnr.
205). Es ist dem Land daher nicht gestattet, sich auf Kosten der kommunalen
Ebene finanzielle Freiräume zu verschaffen, um freiwillige Aufgaben
wahrzunehmen. Umgekehrt dürfen die Kommunen aber auch nicht gegenüber
dem Land einseitig bevorzugt werden. Ein Anspruch auf finanzielle
Mindestausstattung zur Wahrnehmung eines Mindestbestands an freiwilligen
Selbstverwaltungsangelegenheiten könnte aber zu einer derartigen
Bevorzugung gegenüber dem Land führen, wenn dieses sich in einer extremen
finanziellen Notlage befände, seine Leistungsschwäche bei der Bemessung der
Schlüsselmasse gleichwohl nicht zu berücksichtigen wäre und dem Land
deshalb im Gegensatz zu den Kommunen keinerlei Entscheidungsspielraum zur
Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben verbliebe.
3. Art. 58 NV beinhaltet einen Anspruch der Kommunen auf Bereitstellung der für
die Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Mittel. Diesem Anspruch ist Genüge
getan, wenn den Kommunen Mittel in dem erforderlichen Mindestumfang
zufließen, so dass diese neben den ihnen überantworteten Aufgaben im
übertragenen Wirkungskreis und den pflichtigen
Selbstverwaltungsangelegenheiten auch einen Mindestbestand an freiwilligen
Selbstverwaltungsangelegenheiten wahrnehmen können. Eine Unterschreitung
dieser Grenze ist auf Grund des in Art. 58 NV verankerten
Leistungsfähigkeitsvorbehalts als einer Anspruchsschranke jedoch dann
zulässig, wenn das Land bei der Bemessung der Finanzmittel den Grundsatz
der Verteilungssymmetrie beachtet hat (Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai 2001 -
StGH 6/99 u. a-., LVerfGE 12, 255, 286).
Es besteht in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte Einigkeit
darüber, dass sich der den Kommunen zu ermöglichende Mindestbestand an
wahrzunehmenden freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten und der mit
ihm verbundene Finanzbedarf nicht am Maßstab der verfassungsrechtlichen
Garantien quantifizieren lässt (vgl. nur LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil
vom 12. Mai 2006 -LVerfG 1,5,9/05-, Urteilsumdruck S. 28; VerfG Bbg, Urteil
vom 22. November 2007 -VfGBbg 75/00-, Urteilsumdruck unter B I 2 b). Die
finanzielle Mindestausstattung ist demgegenüber jedenfalls dann nicht erreicht,
wenn die Kommunen auf Grund ihrer finanziellen Situation außer Stande sind,
überhaupt freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen (Nds. StGH,
Urteile vom 25. November 1997 -StGH 14/95 u. a.-, Nds. StGHE 3, 299, 314 f.;
vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 255, 283; VerfG Bbg, Urteil
vom 16. September 1999 -VfGBbg 28/98-, LVerfGE 10, 237, 254; BayVerfGH,
Entscheidung vom 27. Februar 1997 -Vf. 17-VII-94-, BayVBl. 1997, S. 303, 304).
In einem solchen Fall ist das Land mit Blick auf Art. 58 NV wenn nicht
verpflichtet, das Ausgleichsvolumen entsprechend zu erhöhen, dann aber
verpflichtet, neue Steuerquellen zu erschließen, oder aber - sofern dies
angesichts der Finanzlage ausgeschlossen ist - gehalten, die landesgesetzlich
verursachten Kosten für die Erfüllung der Aufgaben des eigenen
Wirkungskreises durch eine Verminderung der Zahl der Pflichtaufgaben bzw.
eine Senkung der bei der Aufgabenerfüllung einzuhaltenden Standards zu
reduzieren oder bei bundesgesetzlichen Aufgabenzuweisungen und Standards
seinen Einfluss im Bundesrat geltend zu machen (Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai
2001, a. a. O., S. 283). Der Staatsgerichtshof hat in dieser Entscheidung
ausgeführt, dass der Anspruch der Kommunen auf angemessene finanzielle
Mindestausstattung gewahrt war, weil diesen nach Zuordnung auf die von ihnen
wahrgenommenen drei Aufgabenbereiche in den Jahren 1995 - 1997 ein Anteil
von 5,3 v.H. der seinerzeit angewandten Bemessungsgrundlage für die
Erfüllung freiwilliger Aufgaben als freie Spitze zur Verfügung stand (Urteil vom
16. Mai 2001, a. a. O., S. 286). Seine damaligen Ausführungen sind nicht in dem
Sinne umkehrbar, dass bei einem Unterschreiten bestimmter Schwellenwerte
die finanzielle Mindestausstattung nicht mehr gewahrt ist.
65
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Der Staatsgerichtshof hat aus der in Art. 58 NV angelegten Spannungslage
zwischen den finanziellen Interessen der Kommunen zur Wahrnehmung der
ihnen zugewiesenen Aufgaben und denen des Landes auf Wahrung seiner
finanziellen Leistungsfähigkeit in seinem Urteil vom 25. November 1997 -StGH
14/95 u. a.-(Nds. StGHE 3, 299, 315 f.) den Grundsatz der Verteilungssymmetrie
wie folgt abgeleitet:
„Der Anspruch der Kommunen aus Art. 58 NV wird aber nicht vorbehaltlos
gewährt, wie das einschränkende Merkmal der finanziellen Leistungsfähigkeit
des Landes zeigt. Dieser Vorbehalt soll dem Land eine gewisse Elastizität
sichern und einen Ausgleich zwischen den finanziellen Interessen der
Kommunen und denen des Landes herstellen. Die Verfassung bringt hier die
Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben zum Ausdruck, indem sie
als Korrelat der Erfüllung finanzieller Ansprüche der Kommunen den
finanzwirksamen Schutz anderer gleichwertiger Güter durch das Land
sicherstellen will. Art. 58 NV enthält eine Kollisionsregelung für das normative
Spannungsverhältnis zwischen den zur Aufgabenwahrnehmung ‚erforderlichen
Mitteln’ einerseits und der finanziellen Leistungsfähigkeit’ des Landes
andererseits. Daraus folgt das Gebot einer gerechten und gleichmäßigen
Verteilung bestehender Lasten. Vor dem Hintergrund einer prinzipiellen
Gleichwertigkeit der Landes- und Kommunalaufgaben bedarf es daher einer
Verteilungssymmetrie, um dem Land und den Kommunen die jeweils
verfügbaren Finanzmittel gleichermaßen aufgabengerecht zukommen zu
lassen.“
In seiner letzten Entscheidung zum kommunalen Finanzausgleich hat das
Gericht hierzu ergänzend ausgeführt:
„Das System des kommunalen Finanzausgleichs ist eingebunden in den
bundesverfassungsrechtlichen Finanzausgleich und in die gesamte
Haushaltswirtschaft und -planung des Landes (...) Dem letztgenannten Umstand
entspricht es, dass Art. 58 NV die Pflicht zur Befriedigung des kommunalen
Finanzbedarfs unter den Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des
Landes stellt, der nicht nur auf die vom Land zu erbringenden
Ausgleichsleistungen zu beziehen ist, sondern auch auf das vom Land im
Ergebnis zu gewährende Niveau der Finanzbedarfsbefriedigung (...) Dieser
Vorbehalt soll dem Land eine gewisse Elastizität sichern und einen Ausgleich
zwischen den finanziellen Interessen der Kommunen und denen des Landes
herstellen. Durch ihn wird die Gleichwertigkeit von Landes- und
Kommunalaufgaben zum Ausdruck gebracht und verhindert, dass in Zeiten
knapper Finanzen anstelle einer gleichmäßigen Verteilung des Defizits primär
das Land betroffen wird (...). Die niedersächsische Verfassung enthält damit in
Gestalt des Art. 58 NV eine Kollisionsregelung für das normative
Spannungsverhältnis zwischen den zur Aufgabenwahrnehmung der Kommunen
‚erforderlichen Mitteln’ einerseits und der finanziellen Leistungsfähigkeit’ des
Landes andererseits. Daraus folgt das Gebot einer gerechten und
gleichmäßigen Verteilung bestehender Lasten. Vor diesem Hintergrund bedarf
es einer Verteilungssymmetrie, um dem Land und den Kommunen die jeweils
verfügbaren Finanzmittel aufgabengerecht zukommen zu lassen.“ (Urteil vom
16. Mai 2001 - StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 255, 281 f.).
Aus diesem Grundsatz hat der Staatgerichtshof verschiedene Folgerungen zum
Inhalt des Art. 58 NV abgeleitet. So haben die Kommunen keinen von der
finanziellen Leistungsfähigkeit abgekoppelten Anspruch auf Vollabdeckung
ihres erforderlichen Finanzbedarfs (Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-,
LVerfGE 12, 255, 282). Der Gesetzgeber muss bei der Bemessung der
Schlüsselmasse jedoch beachten, dass die von Kommunen und Land
wahrzunehmenden und wahrgenommenen Aufgaben grundsätzlich gleichwertig
sind. Wegen dieser Aufgabenparität ist es ihm daher z. B. verwehrt, durch eine
Rückführung der Schlüsselmasse die Kommunen im Vergleich zum Land in
stärkerem Maße zu einer Aufgabenreduzierung oder anderen Einsparungen zu
70
stärkerem Maße zu einer Aufgabenreduzierung oder anderen Einsparungen zu
zwingen (so auch ThürVerfGH, Urteil vom 3. Mai 2005 -VerfGH 28/03-, LVerfGE
16, 593, 625 f.; VerfGH NW, Urteil vom 9. Juli 1998 -VerfGH 16/96-, 7/97, DVBl.
1998, S. 1280, 1281; StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 1999 -GR
2/97-, LVerfGE 10, 3, 25 f.; VerfG Bbg, Urteil vom 16. September 1999 -VfGBbg
28/98-, LVerfGE 10, 237, 243; SachsAnhVerfG, Urteil vom 13. Juni 1999 -LVG
20/97-, LVerfGE 10, 440, 464 f.; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom
11. Mai 2006 -LVerfG 1, 5, 9/05-, Urteilsumdruck S. 40; SächsVerfGH, Urteil vom
23. November 2000 -Vf. 53-II-97-, LKV 2001, S. 223, 227). Umgekehrt können
die Kommunen auch nicht auf den Fortbestand der einmal gewährten
Finanzzuweisungen vertrauen, denn auch das Land darf nicht finanziell
überfordert werden und muss in der Lage bleiben, andere gleichwertige Güter
sicher zu stellen (Nds. StGH, Urteil vom 25. November 1997 -StGH 14/95 u. a.-,
Nds. StGHE 3, 299, 315; BayVerfGH, Entscheidung vom 28. November 2007 -
Vf. 15-VII-05-, juris Rdnr. 204-208). In solchen finanziellen Notzeiten fordern die
Prinzipien der Verteilungssymmetrie und der Aufgabenparität eine gerechte und
gleichmäßige Verteilung, d. h. eine ausgewogene Aufteilung des Defizits auf
Land und Kommunen durch eine beiderseitige Reduzierung der zur Erfüllung
der jeweiligen Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel (Nds. StGH, Urteil vom
16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 253, 282 f.). Der Gesetzgeber ist
ferner verpflichtet, seine einmal getroffene Entscheidung über die Gewichtung
des Finanzbedarfs der Kommunen und der Finanzkraft/Leistungsfähigkeit von
Kommunen und Land fortlaufend zu beobachten, um auch bei einseitigen
Veränderungen der Aufgabenbelastung Anpassungen vorzunehmen (Nds.
StGH, Urteil vom 25. November 1997 -StGH 14/95 u. a.-, Nds. StGHE 3, 299,
315; ebenso ThürVerfG, Urteil vom 3. Mai 2005 -VerfGH 28/03-, LVerfGE 16,
593, 626; VerfG Bbg, Urteil vom 16. September 1999 -VfGBbg 28/98-, LVerfGE
10, 237, 244 f.). Die gleiche Verpflichtung trifft den Gesetzgeber bei einer
nachhaltigen Verbesserung der finanziellen Situation des Landes.
Dem Gesetzgeber steht bei der Bemessung des erforderlichen Finanzbedarfs
der Kommunen zur Wahrnehmung eines Mindestbestands an freiwilligen
Selbstverwaltungsangelegenheiten und der vergleichenden Betrachtung der
finanziellen Belange von Land und Kommunen im Rahmen des Grundsatzes
der Verteilungssymmetrie ein weiter, verfassungsgerichtlich nicht überprüfbarer
Gestaltungsspielraum zu. Für die Bestimmung des finanziellen Mindestbedarfs
folgt dies bereits aus dem Umstand, dass nach Art. 58 NV lediglich die
erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen sind. Aufwendungen der
Kommunen zur Aufgabenwahrnehmung sind deshalb von vorneherein
unbeachtlich, soweit sie dem Gebot sparsamer und wirtschaftlicher
Haushaltsführung nicht entsprechen. Die Grenze der Erforderlichkeit gilt darüber
hinaus auch für die Wahrnehmung der Aufgaben dem Grunde nach, soweit die
Kommunen autonom über ihre Wahrnehmung entscheiden. Wegen des Fehlens
allgemeingültiger Maßstäbe zur Bemessung eines objektiv notwendigen
Finanzbedarfs ist es ausgeschlossen, die Höhe der einer Vielzahl von
Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Verfügung zu stellenden Finanzmittel
nach objektiven Gesichtspunkten nachrechenbar quotenmäßig oder gar exakt
zu ermitteln (vgl. Nds. StGH, Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE
12, 255, 280 f.; BayVerfGH, Entscheidung vom 28. November 2007 -Vf. 15-VII-
05-, juris Rdnr. 210, jeweils m. w. N.). Das Gericht kann insoweit einen
Verfassungsverstoß nur dann feststellen, wenn die vom Gesetzgeber geforderte
typisierende Bedarfsanalyse evidente Fehler aufweist. Die im Rahmen des
Vergleichs der finanziellen Leistungsfähigkeit von Kommunen und Land
anzustellende wertende Gesamtbetrachtung hat anhand verschiedenster
Parameter zu erfolgen, deren Auswahl und sachliche Bewertung dem
Gesetzgeber überantwortet ist. Das Gericht kann sich über die dabei
anzustellenden Zielvorstellungen, Wertungen und Sachabwägungen nicht
hinwegsetzen. Nur wenn die gesetzgeberischen Annahmen offensichtlich
fehlerhaft und eindeutig widerlegbar sind oder die vorgenommene
Mittelverteilung zwischen Land und Kommunen dem Grundsatz der
Verteilungssymmetrie evident widerspricht, kann ein Verfassungsverstoß
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festgestellt werden (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 28. November 2007 -Vf.
15-VII-05-, juris Rdnr. 209 m. w. N.).
4. Ein weiteres formalisiertes Verfahren zur Ermittlung der relevanten Parameter
unter besonderer Beteiligung der Kommunen lässt sich aus der
Niedersächsischen Verfassung nicht ableiten. Zwar haben Verfassungsgerichte
anderer Länder die verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines derartigen
Verfahrens unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG zum
prozeduralen Schutz bei den Grundrechten bejaht (StGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 10. Mai 1999 -GR 2/97-, LVerfGE 10, 3, 26, 29 f.; BayVerfGH,
Entscheidung vom 28. November 2007 -Vf. 15-VII-05-, juris Rdnr. 215 f.;
ablehnend dagegen z. B. SachsAnh VerfG, Urteil vom 13. Juli 1999 -LVG 20/97-
, LVerfGE 10, 440, 453 f.). Für Niedersachsen hat der Staatsgerichtshof hierzu
entschieden, dass eine Statuierung derartiger Beteiligungsrechte der
Kommunen angesichts der in Art. 57 Abs. 6 NV festgeschriebenen
Anhörungspflicht der kommunalen Spitzenverbände nicht geboten ist (Nds.
StGH, Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 255, 272 f.). An
dieser Rechtsprechung wird festgehalten.
II.
Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze lässt sich die
Verfassungswidrigkeit des Art. 1 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 2005 vom
17. Dezember 2004 (Nds. GVBl. S. 664) nicht feststellen. Es kann dahingestellt
bleiben, ob den Beschwerdeführerinnen in den Jahren 2005 und 2006 für die
Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben die erforderlichen Mittel
zur Verfügung gestanden haben. Selbst wenn die Mindestausstattung zu
diesem Aufgabenbereich in den Jahren 2005 und 2006 unterschritten worden
wäre, wäre das von ihnen angegriffene Gesetz nicht verfassungswidrig.
Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Entscheidung über die Reduzierung der
Verbundquote den vom Staatsgerichtshof aus der Verfassung abgeleiteten
Grundsatz der Verteilungssymmetrie beachtet. Er hat ausweislich der
Entwurfsbegründung zum Haushaltsbegleitgesetz 2005 den Grundsatz der
Verteilungssymmetrie in Rechnung gestellt und die Vermutung geäußert, die
gesetzliche Neuregelung werde - isoliert gesehen - nicht zu einer Störung des
finanziellen Gleichgewichts führen. Genauere Analysen waren ihm allerdings
nicht möglich, weil ein für diesen Grundsatz wesentliches Kriterium, nämlich der
kommunale Finanzierungssaldo, zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlag. Hierzu
stellte er aber fest, dass eine rückwirkende Überprüfung seiner Einschätzung
vorzunehmen sei, sobald die erforderlichen Finanzdaten vorlägen (vgl.
Entwurfsbegründung, Nds. LT-Drs. 15/1340, S. 12 f.). Dieses gesetzgeberische
Vorgehen ist verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Der Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-
(LVerfGE 12, 255, 287) die Möglichkeit des Gesetzgebers, Fragen der
Verteilungssymmetrie mit Hilfe einer Gegenüberstellung der
Finanzierungssalden von Land und Kommunen zu beurteilen, als vertretbar
bezeichnet. Sofern der Gesetzgeber nachvollziehbar darlegt, dass die
finanziellen Entwicklungen von Kommunen und Land gemessen an diesem
Parameter in den letzten Jahren annähernd parallel verlaufen seien, und im
Prognosezeitraum parallel verlaufen würden, und die Richtigkeit seiner
Einschätzung nicht widerlegt ist, sind diese Entscheidungen
verfassungsrechtlich hinzunehmen. An dieser Ansicht hält der Staatsgerichtshof
trotz der grundsätzlichen Einwände der Beschwerdeführerinnen fest (1.). Der
Gesetzgeber war auf Grund der Haushaltsnotlage 2005 und 2006 berechtigt, die
Grenze einer finanziellen Mindestausstattung der Kommunen zu unterschreiten
(2.).
1. Die Gegenüberstellung der Finanzierungssalden von Land und Kommunen
stellen einen geeigneten Parameter zur Beurteilung der Frage dar, ob das Land
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dem Gebot einer aufgabengerechten Verteilung der finanziellen Mittel
nachgekommen ist. Das Argument der Beschwerdeführerinnen, der
Finanzierungssaldo sei grundsätzlich ungeeignet, weil er nicht berücksichtige,
dass dem Land verfassungsrechtlich weitergehende Möglichkeiten einer
Verschuldung im Vergleich zu den Kommunen eingeräumt seien, schlägt
zumindest für die Jahre 2005 und 2006 nicht durch. Zwar wird dem Land durch
Art. 71 Satz 2 NV die Fremdfinanzierung von Investitionsmaßnahmen in nahezu
unbegrenzter Höhe ermöglicht, während Investitionskredite nach § 92 Abs. 2
NGO der kommunalaufsichtlichen Genehmigung bedürfen und in der Regel die
dauernde Leistungsfähigkeit der Kommune voraussetzen. Die Landesregierung
hat allerdings dargelegt, dass sich die Investitionsquoten von Land und
Kommunen in den Jahren ab 2003 annähernd parallel entwickelt haben, so
dass nicht davon ausgegangen werden kann, die Kommunen seien im
Vergleich zum Land zu stärkeren Einsparungen gezwungen gewesen. Mit
diesem Argument der Beschwerdeführerinnen lässt sich daher eine evidente
Untauglichkeit des Finanzierungssaldos als Parameter nicht begründen.
Die weitergehenden Einwände der Beschwerdeführerinnen gegen die
Berücksichtigung der Mehreinnahmen aus der Reduzierung der
Gewerbesteuerumlage (218 Mio. €) und der weitergehenden Einsparungen des
Landes infolge der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
sowie der Wohngeldreform (90 Mio. €) können ebenfalls nicht durchschlagen.
Für die Ermittlung der Finanzkraft der Kommunen kann das Land sämtliche
tatsächlich erzielten und erzielbaren Einnahmen berücksichtigen (Nds. StGH,
Beschluss vom 15. August 1995 -StGH 2, 3, 6 bis 10/93-, Nds. StGHE 3, 136,
163; Urteil vom 16. Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 255, 284), mithin
auch die Mehreinnahmen aus der Reduzierung der Gewerbesteuerumlage,
selbst wenn diese in ihrer ursprünglich festgelegten Höhe rechtswidrig gewesen
sein sollte. Das Einsparpotential auf Grund der Hartz-IV-Reformen wird zwar
zwischen den Kommunen und dem Land unterschiedlich hoch eingeschätzt;
konkrete Anhaltspunkte, dass die damalige Prognose des Landesgesetzgebers
evident falsch war, sind nicht ersichtlich.
2. Die seinerzeit vom Gesetzgeber getroffene Einschätzung hinsichtlich der
Wahrung des Grundsatzes der Verteilungssymmetrie trotz der mit der
Reduzierung der Verbundquote einhergehenden Kürzung der
Zuweisungsmasse um geschätzt 150 Mio. € wird durch die Feststellungen des
Niedersächsischen Finanzministeriums im Bericht vom 4. Juli 2007
(Niedersächsisches Finanzministerium, Entwicklung der Finanz- und
Haushaltslage des Landes Niedersachsen und der niedersächsischen
Kommunen vom 4.7.2007) letztlich bestätigt. Dort wird dargestellt, dass bei
einem Vergleich der Finanzierungssalden des Landes - bereinigt um die mit der
Nord/LB zusammenhängenden Transaktionen, die durch ein EU-
Beihilfeverfahren ausgelöst wurden - und denen der kommunalen Ebene
zumindest seit 2002 bis 2005 eine annähernd parallele Entwicklung zu
verzeichnen ist. Der Einnahmeeinbruch und der daraus folgende Defizitanstieg
zu Beginn des Jahrzehnts erfolgten auf der Kommunalebene mit einem Jahr
Verzögerung. Die Gründe für die Negativentwicklung sind auf Kommunal- wie
Landesebene weitgehend identisch (Auswirkungen der mehrjährigen
Stagnation, steuerreformbedingte und weitere vorgesehene
Einnahmeminderungen). Die Verbesserungen der Jahre 2005 und
insbesondere 2006 sind spiegelbildlich auf eine bessere gesamtwirtschaftliche
Situation sowie Einnahmeverbesserungen im Zusammenhang von
Rechtsänderungen zurückzuführen. Die vergleichsweise verbesserte Situation
des Landes 2006 beruht demgegenüber auf der in § 1 Abs. 2 NFAG angelegten
verzögerten Teilhabe der kommunalen Ebene an den überraschend hohen -
und daher im Haushaltsplan nicht veranschlagten - Steuereinnahmen des
Landes. Diesen vertretbaren Erwägungen sind die Beschwerdeführerinnen nicht
substantiiert entgegengetreten. Sie sind nicht von vorneherein unvertretbar und
deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Land war unter Beachtung des Grundsatzes der Verteilungssymmetrie
auch berechtigt, die Grenze einer finanziellen Mindestausstattung der
Kommunen in ihrer Gesamtheit und auch von einzelnen Kommunen durch die
Reduzierung der Verbundquote und die dadurch bewirkte Absenkung der
Zuweisungsmasse zu unterschreiten. Das Land befand sich zumindest seit
2002 in einer dauernden Haushaltsnotlage, weil sich die Nettokreditaufnahme
des Landes oberhalb der in Art. 71 Satz 2 NV verankerten Verschuldensgrenze
bewegte. Nach den vom Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Juli 1997 -
StGH 10/95- (Nds. StGHE 3, 279 ff.) entwickelten Grundsätzen zur
Darlegungslast des Gesetzgebers im Rahmen der Ausnahmevorschrift des Art.
71 Satz 3 NV waren die in den Haushaltsplänen zugelassenen
Kreditaufnahmen teilweise verfassungswidrig. Trotz eines umfangreichen
ressortübergreifenden Konsolidierungsprogramms, dass für 2005 zu
Einsparungen im Haushalt von insgesamt 1,3 Mrd. € führte, wies der
Haushaltsplan für dieses Jahr eine Nettokreditaufnahme aus, die die Summe
der eigenfinanzierten Investitionen und Investitionsmaßnahmen um 1.266,6 Mio.
€ überstieg (vgl. Entwurfsbegründung zum Haushaltsgesetz 2005, Nds. LT-Drs.
15/1330, S. 18 f.). Auch für 2006 wurde zum Ausgleich des Haushaltsplans in
Einnahmen und Ausgaben eine Nettokreditaufnahme festgesetzt, die um 852,7
Mio. € die Grenze des Art. 71 Satz 2 NV überstieg. Der Landesgesetzgeber war
sich dabei bewusst, dass die Höhe der Nettokreditaufnahme in diesen beiden
Jahren am Maßstab des Art. 71 Satz 3 NV nicht zu rechtfertigen war. Ziel der
andauernden Konsolidierungsmaßnahmen war die Wiederherstellung
verfassungsmäßiger Haushalte (vgl. Entwurfsbegründung zum Haushaltsgesetz
2006, Nds. LT-Drs. 15/2111; S. 18; ferner Bericht des Niedersächsischen
Finanzministeriums vom 4. Juli 2007, S. 4). Gemessen an den in den
Haushaltsplänen festgestellten Gesamtausgaben betrug der prozentuale Anteil
der verfassungsrechtlich unzulässig gedeckten Ausgaben für 2005 5,8 v.H. und
für 2006 3,8 v.H..
Der Grundsatz der aufgabengerechten Verteilungssymmetrie erforderte bei
dieser Haushaltsnotlage des Landes in besonderer Weise eine gerechte und
gleichmäßige Verteilung der bestehenden Zustände und damit eine
ausgewogene Aufteilung des Defizits auf Land und Kommunen. Auch aus
diesem Grunde war das Land berechtigt, den Kommunen ein „Sonderopfer“ in
Höhe von 150 Mio. € als Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushalts
abzuverlangen.
Schließlich ist bei der Frage, ob den Beschwerdeführerinnen in
verfassungswidriger Weise die erforderliche finanzielle Mindestausstattung in
den Jahren 2005 und 2006 vorenthalten wurde, die in § 13 NFAG geregelte
Gewährung von Bedarfszuweisungen in Betracht zu ziehen (vgl. Urteil vom 16.
Mai 2001 -StGH 6/99 u. a.-, LVerfGE 12, 255, 286). Ob die Höhe des
prozentualen Anteils für Bedarfszuweisungen in § 2 Satz 1 Nr. 1 NFAG und die
in Verwaltungsvorschriften des Innenministeriums geregelten Modalitäten bei
der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Gewährung von
Bedarfszuweisungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen, kann
der Staatsgerichtshof indes nicht entscheiden, denn diese Vorschriften sind
nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Einwand der Beschwerdeführerinnen, bei der Beurteilung der finanziellen
Mindestausstattung der Kommunen bleibe der Umstand unberücksichtigt, dass
diese aufgrund ihrer strukturellen Unterfinanzierung gezwungen seien, ständig
steigende Kassenkredite als dauerhaftes Finanzierungsinstrument zu nutzen, ist
vom Grundsatz her berechtigt, führt im vorliegenden Verfahren jedoch zu
keinem abweichenden Ergebnis. Nach § 94 Abs. 1 S. 1 NGO dienen
Kassenkredite (ab 2006: Liquiditätskredite) nur zur Überbrückung von
vorübergehenden Liquiditätsengpässen. Im Gegensatz zu den Krediten nach §
92 NGO sind sie keine Deckungsmittel, sondern sollen nur den verzögerten
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92 NGO sind sie keine Deckungsmittel, sondern sollen nur den verzögerten
Eingang von Einnahmen überbrücken und damit die Zahlungsfähigkeit der
Kasse aufrechterhalten, bis die im Haushaltsplan vorgesehenen Deckungsmittel
zur Verfügung stehen. Sie sind daher zurückzuzahlen, sobald die
Zahlungsfähigkeit der Kasse wiederhergestellt ist. Eine längerfristige
Finanzierung eines strukturellen Einnahmedefizits ist nur dann ausnahmsweise
zulässig, wenn ein Haushaltssicherungskonzept nach § 82 Abs. 6 NGO
aufgestellt wird. Ein ständiger Einsatz neuer Kassenkredite ohne echte
Rückzahlungsperspektive stellt dagegen einen Formenmissbrauch dar. Die
Aufnahme neuer Kassenkredite in den Haushaltsjahren 2005 und 2006, die die
gesetzliche Bestimmung überschreiten, führt angesichts der Haushaltsnotlage
des Landes jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des angegriffenen
Haushaltsbegleitgesetzes. Der Gesetzgeber ist bei fortschreitender
Konsolidierung des Landeshaushaltes jedoch verpflichtet, dafür Sorge zu
tragen, dass die entgegen den gesetzlichen Vorschriften aufgenommenen
Kassenkredite auf ein zulässiges Maß zurückgeführt werden. Dies ist eine
gemeinsam von Land und kommunalen Gebietskörperschaften zu bewältigende
Aufgabe.
E.
Das Verfahren ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 StGHG). Die Auslagen der
Beschwerdeführerinnen sind nicht zu erstatten (§ 21 Abs. 2 Satz 2 StGHG).