Urteil des StGH Niedersachsen vom 23.10.2001

StGH Niedersachsen: volksbegehren, lex posterior derogat legi priori, neues recht, niedersachsen, finanzausgleich, verfassung, vertreter, direkte demokratie, finanzhilfe, ausstattung

StGH Bückeburg: Zulassung des Volksbegehrens
"Kindertagesstätten-Gesetz": Anforderungen an
Gesetzentwurf, der auf Wiederherstellung des früheren
Rechtszustandes gerichtet ist (hier: Wiedereinführung
des KTagStG ND F: 1995-09-25) - Wiedereinführung
direkter Personalkostenzuschüsse
1. Für die nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV erforderliche Information der Bürger
über die Tragweite des Volksbegehrens genügt es, wenn der Kern des
Volksbegehrens, d. h. seine tatsächliche Zielsetzung erkennbar ist.
2. Die nach Art. 68 Abs. 1 NV gebotene Kostenermittlung gilt auch für
Gesetzesinitiativen im Rahmen der Volksgesetzgebung. Jedoch ist eine
präzise Kostenermittlung nicht notwendiger Bestandteil der nach Art. 48 Abs.
1 Satz 2 NV erforderlichen Begründung des Volksbegehrens.
3. Zur Bedeutung des Haushaltsvorbehalts in 48 Abs. 1 Satz 3 NV bei
Kostenneutralität.
Zulässigkeit des Volksbegehrens "Kindertagesstätten-Gesetz
Niedersachsen"
Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 23.10.2001, 2/00, StGH 2/00
Art 48 Abs 1 S 2 Verf ND, Art 48 Abs 1 S 3 Verf ND, Art 68 Abs 1 Verf ND, Art 1 Nr 3
HBegleitG ND 1999 1999, Art 1 Nr 4 HBegleitG ND 1999 1999, Art 22 Abs 2
HBegleitG ND 1999 1999, § 16 Abs 1 S 1 KTagStG ND vom 25.09.1995
Tenor
1. Der Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung vom 7. März 2000
wird aufgehoben.
2. Das "Volksbegehren Kindertagesstätten-Gesetz" Niedersachsen wird unter
Anrechnung der Eintragungen in den eingereichten Unterschriftenbögen mit der
Maßgabe zugelassen, dass der "Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes
über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG)" wie folgt lautet:
§ 1 Zweck des Gesetzes
Dieses Gesetz gilt für Tageseinrichtungen für Kinder. Das Niedersächsische
Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) findet in der Fassung vom
25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert durch Art. 12 des
Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242) mit der Maßgabe Anwendung,
dass in § 16 Abs. 1 Satz KiTaG der Satzteil" ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von
25 von Hundert" entfällt.
§ 2 In-Kraft-Treten
Dieses Gesetz tritt mit Beginn des auf seine Verkündung folgenden
Haushaltsjahres in Kraft.
Gründe
A.
1
2
3
4
Das Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" richtet sich
gegen die durch Art. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 vom 21. Januar
1999 (Nds. GVBl. S. 10) mit Wirkung vom 1. August 1999 (Art. 22 Abs. 2)
vorgenommenen Änderungen am Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder in
der Fassung vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert
durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242), und erstrebt
insoweit die Fortgeltung bzw. Wiederherstellung der früheren Rechtslage.
I.
Das Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) vom 25. September
1995 enthielt - wie bereits das 1. KiTaG vom 16. Dezember 1992 (Nds. GVBl. S.
353) - im 2. und 4. Abschnitt Bestimmungen über die Ausstattung und
Organisation sowie die Finanzierung von Tageseinrichtungen.
1. Durch Art. 1 Nrn. 3, 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 sind im 2: Abschnitt
die §§ 4 - 9, 11 KiTaG gestrichen worden. Diese Bestimmungen enthielten
Vorgaben u.a. für folgende Bereiche: Anzahl und Qualifikation, Freistellungs-
und Verfügungszeiten sowie Fortbildung des Personals, Räume und deren
Ausstattung, Größe der Tagesstätte und ihrer Gruppen, Öffnungs- und
Betreuungszeiten. Auf Grund der vormaligen - nunmehr gem. Art. 1 Nr. 9 des
Haushaltsbegleitgesetzes 1999 entfallenen - Ermächtigung in § 21 Abs. 1 KiTaG
a. F. waren zudem in der Verordnung über Mindestanforderungen an
Kindertagesstätten (1. DVO-KiTaG) vom 24. März 1993 (Nds. GVBl. S. 82) die
im Gesetz mehr allgemein gehaltenen Regelungen zu den Räumen und ihrer
Ausstattung sowie zur Größe der Tagesstätte und ihrer Gruppen näher
konkretisiert worden. Durch Art. 22 Abs. 3 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes
1999 ist diese Verordnung mit Ablauf des 31. Juli 1999 außer Kraft getreten. Von
den bisherigen Standards ist in abgewandelter Form nur eine Bestimmung über
die Größe der Gruppen erhalten geblieben. Durch Art. 1 Nr. 2b des
Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ist insoweit in § 1 Abs. 3 KiTaG ein neuer Satz 3
angefügt worden, wonach "in der Regel" die Gruppen der sog. Krippen nicht
mehr als 15, die der Kindergärten nicht mehr als 25 und die der sog. Horte nicht
mehr als 20 Kinder haben. Vormals waren diese Zahlen gemäß § 2 der 1. DVO-
KiTaG Höchstgrenzen, wobei zusätzlich für bestimmte Fälle (z.B. bei Gruppen
mit Kindern unterschiedlicher Altersstufen oder besonders hohem Anteil ganz
kleiner Kinder) niedrigere Teilnehmerzahlen vorgeschrieben waren.
2. Außerdem sind durch Art. 1 Nr. 7 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 die
Bestimmungen über die Finanzierung von Tageseinrichtungen im 4. Abschnitt
des KiTaG gestrichen worden, und zwar mit Ausnahme der Regelung über die
Elternbeiträge, die allerdings dahingehend geändert worden ist, dass sich die
Beiträge nicht mehr nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern
richten "sollen", sondern "können". Damit entfiel § 16 Abs. 1 KiTaG, wonach das
Land eine Finanzhilfe in einer bestimmten prozentualen Höhe zu den
Personalausgaben der Träger der Tageseinrichtungen beisteuerte. Nach der
Regelung im KiTaG vom 16. Dezember 1992 bzw. 25. September 1995 sollte
die Finanzhilfe zunächst 20 %, ab dem 1. Januar 1995 25 % betragen. Sie
wurde jedoch abweichend davon durch Art. II des Haushaltsbegleitgesetzes
1995 vom 17. Dezember 1994 (Nds. GVBl. S. 533) bzw. Art. 5 Nr. 2 des
Haushaltsbegleitgesetzes 1996 vom 20. Dezember 1995 (Nds. GVBl. S. 478)
auch für die Haushaltsjahre 1995 bis 1996 bzw. 1997 bis 1999 auf 20 %
begrenzt. Die Einzelheiten der Berechnung der Finanzhilfe waren in der 2. DVO-
KiTaG vom 11. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 103) mit Änderungen vom 12.
Dezember 1996 (Nds. GVBl. S. 521) festgelegt, die gemäß Art. 22 Abs. 3 Nr. 2
des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ebenfalls mit Ablauf des 31. Juli 1999 außer
Kraft getreten ist. Nach Art. 1 Nr. 9 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 ist ferner
die entsprechende Verordnungsermächtigung (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 KiTaG a. F.)
entfallen. Die Mittel, die das Land Niedersachsen bislang für die Förderung von
Tageseinrichtungen auf Grund des KiTaG einsetzte, sind ab 1. August 1999 in
voller Höhe als zusätzliche Mittel in den kommunalen Finanzausgleich
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
eingestellt worden. Diese Finanzierung beruht auf dem Gesetz zur Änderung
des Niedersächsischen Gesetzes über den Finanzausgleich (NFAG) und
anderer Gesetze vom 12. März 1999 (Nds. GVBl. S. 74), dem
Niedersächsischen Gesetz zur Regelung der Finanzverteilung zwischen Land
und Kommunen (NFVG) vom 12. März 1999 (Nds. GVBl. S. 79) und dem Gesetz
über die Feststellung des Haushaltsplanes für die Haushaltsjahre 1999 und
2000 vom 18. März 1999 (Nds. GVBl. S. 82). Ihr liegt weiterhin eine
Landesfinanzierungsquote von 20 % (ca. 260 Mio. DM pro Jahr) zu Grunde.
Anders als früher (§ 16 KiTaG a. F.) werden die Finanzhilfen des Landes aber
nicht mehr direkt mit dem jeweiligen Träger der Einrichtung abgerechnet, sie
sind auch nicht mehr unmittelbar zweckgebunden.
3. Die Änderungen durch das Haushaltsbegleitgesetz 1999 sind inzwischen in
die Neubekanntmachung des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder
vom 4. August 1999 (Nds. GVBl. S. 308) eingeflossen.
II.
1. Gegen diese Änderungen hat sich das "Aktionsbündnis für das
Volksbegehren zum Erhalt des Kita-Gesetzes in Niedersachsen" gebildet, das
u.a. von verschiedenen Gewerkschaften, kirchlichen Organisationen, Eltern- und
Wohlfahrtsverbänden getragen wird. Vertreterinnen und Vertreter des
Volksbegehrens im Sinne des § 14 Niedersächsisches
Volksabstimmungsgesetz (NVAbStG) sind die Antragstellerinnen und
Antragsteller. Gegenstand des Volksbegehrens ist der von ihnen erarbeitete
"Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für
Kinder (KiTaG)", der folgenden Wortlaut hat:
§ 1 Zweck des Gesetzes
Dieses Gesetz gilt für Tageseinrichtungen für Kinder. Das Niedersächsische
Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) findet in der Fassung vom
25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303) zuletzt geändert durch Art. 12 des
Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242) Anwendung.
§ 2 In-Kraft-Treten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündigung in Kraft.
Begründung:
Mit diesem Volksbegehren soll die Fortgeltung des Kindertagesstättengesetzes
in seiner alten Fassung erreicht werden.
Das Volksbegehren bezieht sich ausdrücklich auf die von der damaligen
Landesregierung angegebene Begründung, die bei der Einbringung des
Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) vom
01. Januar 1993 in den Landtag vorgelegt wurde. Die damals gemachten
Aussagen zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen der Kindertagesstätten
sind, wie dieses Volksbegehren zeigt, weiterhin aktuell. Die Vertreterinnen des
Volksbegehrens finden es unerträglich, dass ohne ein qualifiziertes
Kindertagesstätten-Gesetz die Entwicklungs- und Bildungschancen der
niedersächsischen Kinder davon abhängig sind, in welchem Ort sie eine
Kindertagesstätte besuchen.
Kosten und Mindereinnahmen bei Annahme des Gesetzes für das Land und die
Gemeinden:
Gegenüber den bei Einleitung des Volksbegehrens bestehenden
Rechtsverhältnissen (bisheriges KITA-Gesetz) ergeben sich weder für das Land
Niedersachsen noch für die Gemeinden Mehrkosten, wenn das vorgelegte
KITA-Gesetz durch Volksbegehren (wieder) in Kraft gesetzt wird.
16
17
18
19
20
21
22
23
24
Die freien Träger, aber auch die kommunalen Träger, brauchen weiterhin eine
langfristige Regelung der Landesbeteiligung. Nur dann ist zu erwarten, dass
auch zukünftig in Kindertagesstätten investiert wird und eine "Mindest-
Qualitätsabsicherung" erfolgt.
Mindereinnahmen sind nicht zu erwarten.
In einer Erläuterung zum Volksbegehren - Bestandteil der Unterschriftenbögen
nach § 13 NVAbstG - heißt es nach dem Hinweis, am 20. Januar 1999 sei über
ein Haushaltsbegleitgesetz "das Kindertagesstättengesetz in seinen
wesentlichen Inhalten abgeschafft" worden, ergänzend:
Damit wird den Kommunen die Verantwortung für die Qualität der Arbeit in den
Kindertagesstätten übertragen. Gleichzeitig wurden die Mittel in den
kommunalen Finanzausgleich eingebracht und sind damit nicht mehr
zweckgebunden.
Es ist zu befürchten, dass eine Reihe von Kommunen wegen ihrer kritischen
Haushaltslage die bisherigen Standards nicht halten werden und dies zu einer
Verschlechterung der Qualität der Arbeit in den Kindertagesstätten führen wird.
Das kann z. B. geschehen durch Arbeitsplatzabbau und verstärkte Teilzeitarbeit,
Einsatz von Hilfskräften an Stelle von Fachkräften, verkürzte
Vorbereitungszeiten, verkürzte Öffnungszeiten, weniger Zeit für Eltern, erhöhte
Elternbeiträge, größere Gruppen.
.....
Kinder und Familien in Niedersachsen brauchen verlässliche gesetzliche
Rahmenbedingungen! Wir brauchen das bewährte Kindertagesstättengesetz!
2. Unter dem 24. März 1999 hat der Landeswahlleiter gern. § 15 Abs. 3
NVAbstG das Muster für den Unterschriftenbogen des Volksbegehrens
verbindlich festgelegt und im Niedersächsischen Ministerialblatt (S. 172) das
Volksbegehren öffentlich bekannt gemacht (§ 15 Abs. 4 NVAbstG). Nachdem
bis August 1999 die für das Zustandekommen von Volksbegehren erforderliche
Anzahl gültiger Eintragungen von 10 % der Wahlberechtigten der letzten
Landtagswahl erreicht war, beantragten die Vertreterinnen und Vertreter des
Volksbegehrens unter dem 16. September 1999, die Zulässigkeit des
Volksbegehrens festzustellen.
III.
Mit Beschluss vom 7. März 2000 hat die Niedersächsische Landesregierung
entschieden, dass das Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz
Niedersachsen" mit Art. 48 Abs. 1 NV nicht vereinbar und daher unzulässig sei.
Dem Volksbegehren liege zum einen kein ausgearbeiteter, mit Gründen
versehener Gesetzentwurf zu Grunde (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV); zum anderen
sei Gegenstand des Volksbegehrens ein Gesetz über den Landeshaushalt (Art.
48 Abs. 1 Satz 3 NV).
1. Der Inhalt der erstrebten Regelung gehe aus dem abgedruckten Text nicht
unmittelbar hervor. Auch die Begründung unterrichte nicht über die Bedeutung
der beabsichtigten Wiederherstellung des Rechtszustandes von 1995. Der
Hinweis auf die seinerzeitige Begründung der Landesregierung bei Einbringung
des Gesetzentwurfes von 1993 sei unergiebig, weil diese den Bürgern nicht
bekannt sein könne und ihnen auch keine Fundstelle dafür benannt sei. Zudem
informiere die Begründung nicht über die mit dem Gesetzentwurf verbundenen
finanziellen Folgen, wozu u.a. ab 2000 die Heraufsetzung der
Finanzierungsquote von 20 % auf 25 % gehöre. Auch fehlten rechtliche
Regelungen, die eine Herausnahme der Mittel aus dem kommunalen
Finanzausgleich herbeiführen und die im Volksbegehren dargestellte
Kostenneutralität bewirken könnten; insoweit wären flankierend verschiedenste
25
26
27
28
29
30
Gesetzesänderungen nötig. Um die angekündigte Rückkehr zum vormaligen
Rechtszustand herbeizuführen, hätte letztlich ein Änderungsgesetz entworfen
werden müssen, mit dem das erstrebte Ziel tatsächlich hätte erreicht werden
können.
2. Gegenstand des Volksbegehrens sei im Übrigen ein unzulässiges "Gesetz
über den Landeshaushalt". Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV schütze das Budgetrecht
des Parlaments. Diese Norm könne deshalb nicht auf die
Haushaltsgesetzgebung im engen technischen Sinn (Haushaltsgesetz
einschließlich Haushaltsplan) beschränkt werden. Vielmehr sei das Verbot der
Verfassung materiell zu verstehen und auf Volksbegehren anzuwenden, deren
finanzielle Auswirkungen den Landeshaushalt "wesentlich" beeinflussten oder
das Gleichgewicht des gesamten Haushaltes störten und letztlich zu einer
Neuordnung zwingen würden. Finanzwirksame Entscheidungen die
Ausgleichsmaßnahmen im Landeshaushalt verlangten, könnten deshalb nicht
Gegenstand eines Volksbegehrens sein, weil dies zugleich Regelungen des
Landeshaushaltes wären.
Bei Annahme des Gesetzes entstünden erhebliche Mehrkosten. Durch die
Erhöhung der Finanzierungsquote auf 25 % ergebe sich eine zusätzliche
Belastung von 67 Mio. DM jährlich. In den kommunalen Finanzausgleich seien
für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1999 bereits etwa 105 Mio. DM
eingestellt worden; für 2000 werde mit ca. 260 Mio. DM gerechnet. Die
Wiedereinführung direkter Personalkostenzuschüsse bedeute insoweit eine
entsprechende Doppelbelastung, die frühestens im Rahmen einer Neuordnung
der Finanzierung ab dem Jahre 2001 kompensiert werden könne. Auf Grund
dieser Mehrkosten sei von einer unzulässigen Finanzwirksamkeit des
Volksbegehrens auszugehen. Denn maßgebend sei - angesichts des
Ausmaßes der Haushaltsbindung durch bereits bestehende Rechtsansprüche -
die sog. "freie Spitze" im Landeshaushalt, die durch Anhebung des
Haushaltsvolumens im Wege der Kreditaufnahme wegen der
Kreditaufnahmegrenze des Art. 71 Satz 2 NV nicht erhöht werden dürfe.
Das Volksbegehren greife auch strukturell in den Landeshaushalt ein, weil es
eine Finanzierung der Kindertagesstätten außerhalb des kommunalen
Finanzausgleiches vorschreibe.
3.. Die Zulässigkeit des Volksbegehrens lasse sich nicht durch eine Zulassung
mit Änderungen (§ 21 NVAbstG) herbeiführen. Insoweit sei nur eine Korrektur im
Hinblick auf die von den Vertretern des Volksbegehrens nicht beabsichtigte
Anhebung der Finanzierungsquote auf 25 % möglich, weil hier offenbar ein
redaktionelles Versehen vorliege. Die übrigen verfassungsrechtlichen Mängel
ließen sich dagegen entweder aus tatsächlichen Gründen nicht mehr beheben
(Verstöße gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV) oder beträfen den Kern des
Volksbegehrens (Finanzierung der Kindertagesstätten außerhalb des
kommunalen Finanzausgleichs - Verstoß gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV), so
dass bei einer Abänderung die gesammelten Unterstützungsunterschriften nicht
angerechnet werden könnten.
IV.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Vertreterinnen und Vertreter des
Volksbegehrens. Sie beantragen, den Beschluss der Niedersächsischen
Landesregierung vom 7. März 2000 aufzuheben und festzustellen, dass das
Volksbegehren Kindertagesstättengesetz mit der Niedersächsischen
Verfassung vereinbar und zulässig ist. Zur Begründung führen sie aus:
1. Ein Verstoß gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV liege nicht vor. Die
Landesregierung übersehe, dass der Gesetzentwurf auf die "Fortgeltung" des
bis zum 31. Juli 1999 in Niedersachsen in Kraft befindlichen KiTaG ziele. Damit
handele es sich der Sache nach nicht um die Vorbereitung eines neues Recht
31
32
33
34
setzenden Volksentscheides, sondern vielmehr um ein Referendum gegen die
vom Parlament vorgenommenen Änderungen. Als die Bürger sich in die
Unterschriftenlisten eintrugen, hätten sie mithin für die Beibehaltung der
geltenden Rechtslage votiert, die ihnen in ihren praktischen Auswirkungen
geläufig gewesen sei. Deshalb habe ihnen das Anliegen des Volksbegehrens
nicht zusätzlich noch einmal in einem ausführlichen Gesetzentwurf deutlich
gemacht und erläutert werden müssen. Insofern genüge die dem Entwurf
beigefügte Begründung. Die Begründungslast trage stets derjenige, der eine
bestehende Rechtslage ändern wolle; wer sie hingegen bewahren möchte, sei
nicht genötigt, die zur Einführung des entsprechenden Gesetzes vorgetragenen
Gründe noch einmal zu wiederholen.
Soweit es angesichts mittlerweile eingetretener Rechtsänderungen zur
Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes noch weiterer Schritte und
Rechtsakte bedürfe, stelle dies die Zulässigkeit des Volksbegehrens nicht in
Frage. Auf die finanziellen Regelungen im NFVG, NFAG und im Doppelhaushalt
1999/2000 habe man schon zeitlich gar nicht reagieren können; gleiches gelte
für die Neubekanntmachung des KiTaG. Abgesehen davon gehöre es zum
Wesen der direkten Demokratie und damit zu dem von der Niedersächsischen
Verfassung vorgesehenen Nebeneinander zweier normativ gleichrangiger
Legislativorgane, dass das Volk als Gesetzgeber in Konkurrenz zum
parlamentarischen Gesetzgeber trete, also entweder neues Recht setze oder
Entscheidungen des Landtages korrigiere. Normative Überschneidungen und
Widersprüche in der Rechtsordnung würden zwischen gleichrangigen
Legislativorganen allein durch Anwendung der Vorrangregel korrigiert, wonach
das spätere Gesetz das frühere verdrängt.
2. Es liege auch kein "Gesetz über den Landeshaushalt" vor. Gemeint seien
hiermit Gesetze über den Haushalt bzw. Haushaltsplan im technischen Sinne
des Art. 65 Abs. 4 NV. Im Übrigen könne von einer wesentlichen
Beeinträchtigung des Haushalts keine Rede sein. Lege man die von der
Landesregierung genannten Zahlen zu Grunde, gehe es um 0,81 % des
Haushaltsvolumens. Halte man dies bereits für unzulässig, müsse man fragen,
welcher Raum der Volksgesetzgebung noch verbleibe, wenn sie darauf
verwiesen wäre, lediglich Gesetze zu erlassen, deren Haushaltsrelevanz gegen
Null tendieren müsse. Letztlich seien die angeblichen Mehrkosten in Höhe von
260 Millionen DM eine "Luftbuchung". Zu Mehrkosten komme es nur, wenn
gesetzgeberische Eingriffe in das Haushaltsgesetz, den Haushaltsplan, das
NFAG und das NFVG unterblieben. Das unveränderte Fortbestehen der
genannten Regelungen werde insoweit zu Lasten des Volksbegehrens als
Faktum unterstellt, der angebliche "Vertrauensschutz" der Gemeinden und damit
die einfach-gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 2 NFAG als Grenze der
Volksgesetzgebung im Sinne der Verfassung gesehen. Dies sei unzulässig. Der
Umstand, dass die Personalkostenzuschüsse wieder aus dem Gesamtvolumen
des kommunalen Finanzausgleichs auszugliedern seien, könne kein
Zulassungshindernis bilden; die direkte Demokratie stehe in Niedersachsen
nicht unter dem Vorbehalt, den kommunalen Finanzausgleich nicht zu tangieren.
Die bei richtiger Betrachtung verbleibenden Mehrkosten in Höhe von nur 67
Millionen DM beruhten - wie auch die Landesregierung einräume -auf einem
Redaktionsversehen, sie könnten im Wege einer klarstellenden Änderung nach
§ 21 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG ausgeschlossen werden.
V.
Die Landesregierung hält den Antrag für unbegründet. Sie führt dazu aus:
1. Ein Gesetzentwurf müsse so ausgestaltet sein, dass er in der für das
Volksbegehren zu Grunde gelegten Form Gesetz werden könne. Der
streitgegenständliche Entwurf verweise auf das Gesetz über
Tageseinrichtungen für Kinder "in der Fassung vom 25. September 1995, zuletzt
geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996". Bezogen auf den
35
36
37
38
39
Zeitpunkt der Festlegung des Musters für den Unterschriftenbogen bedeute
dies, dass das Gesetz in der Fassung gelten solle, die zu diesem Zeitpunkt
noch gegolten habe; nehme man den Wortlaut ernst, dann würde ein Gesetz mit
diesem Inhalt an der Rechtslage nichts ändern. Der Entwurf sei zudem so
formuliert. dass er das Haushaltsbegleitgesetz unberührt lasse. Er verhalte sich
jedenfalls ausdrücklich nicht zum geltenden Gesetz über Tageseinrichtungen für
Kinder, mittlerweile in der Fassung vom 4. August 1999, sondern stelle daneben
einen -zeitlich nicht begrenzten - Gesetzesbefehl über die Anwendung dieses
Gesetzes in einer früheren Fassung dar. Ein solches Vorgehen entspreche nicht
dem rechtsstaatlichen Gesetzgebungsstandard; es ergebe sich durch dieses
Nebeneinander ein Normwiderspruch. Auch ein Volksbegehren müsse jedoch
einen Mindeststandard dahingehend einhalten, dass bei ändernden Gesetzen
keine Zweifel über den künftigen Gesetzeswortlaut aufkommen dürften.
Es fehle - wie im angegriffenen Beschluss ausgeführt - an der erforderlichen
Begründung. Soweit der Entwurf Informationen enthalte, seien diese im Übrigen
teilweise falsch, teilweise unzureichend; zu wesentlichen Änderungen, die das
Volksbegehren gegenüber der Entscheidung des parlamentarischen
Gesetzgebers im Haushaltsbegleitgesetz herbeiführen wolle, werde nicht
Stellung genommen. Auch zu den finanziellen Folgen fehle eine hinreichende
Begründung bzw. sei die Aussage der Kostenneutralität falsch. Abgesehen von
der Frage der Höhe der Zuschüsse führe die Wiedereinführung der direkten
Personalkostenzuschüsse zu einer erheblichen Mehrbelastung. Eine
Kompensation sehe das Volksbegehren nicht vor. Bei der Kostenbetrachtung
komme es aber allein darauf an, was das angestrebte Gesetz bewirken könne.
Dass das Parlament die Kosten ggf. durch Rechtsänderungen und daraus
resultierende Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen könne, ändere nichts
an der Kostenwirksamkeit des Vorhabens.
2. Im Übrigen scheitere das Volksbegehren jedenfalls an Art. 48 Abs. 1 Satz 3
NV. Gesetze über den Landeshaushalt seien auch Gesetze, die sich in
bestimmter Weise materiell auf die Haushaltsgesetzgebung auswirkten, indem
sie auf den Gesamtbestand des Haushalts Einfluss nähmen, das Gleichgewicht
des Haushalts störten und damit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des
Budgetrechts des Parlaments führten.
Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV diene dem Schutz der Gesamtverantwortung des
Landtags für den Haushalt. Ein Gesetz, das Maßnahmen mit Auswirkungen auf
einen bereits verabschiedeten Haushaltsplan zum Inhalt habe und damit an sich
eine Deckungsregelung erfordere, sei unzulässig. Die in der Antragsbegründung
vertretene formelle Betrachtungsweise werde dem Zweck der Haushaltsklausel
nicht gerecht und lasse diese im Ergebnis leer laufen. Die in Rede stehenden,
mit dem Volksbegehren zumindest verbundenen Mehrausgaben von knapp 260
Millionen DM würden - unter Berücksichtigung rechtlich oder faktisch
feststehender Positionen im Haushalt - den finanziellen Spielraum des Landes in
den nächsten Jahren erheblich schrumpfen lassen. Die Art der Nutzung der
finanziellen Spielräume falle aber grundsätzlich in die Gesamtverantwortung der
Landesregierung bzw. des Landtags.
VI.
Der Niedersächsische Landtag hat in seiner Sitzung vom 20. Juni 2000
beschlossen, von einer Äußerung im anhängigen Verfahren abzusehen.
B.
Der Antrag der Vertreterinnen und Vertreter des "Volksbegehrens
Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" ist zulässig (Art. 48 Abs. 2 Halbsatz
2, Art. 54 Nr. 2 NV; § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 StGHG) und führt in der
Sache zur Aufhebung des Beschlusses der Niedersächsischen
Landesregierung vom 7. März 2000 und damit zur Zulassung des
40
41
42
43
44
Volksbegehrens.
I.
Ein "ausgearbeiteter, mit Gründen versehener Gesetzentwurf" im Sinne von Art.
48 Abs. 1 Satz 2 NV liegt vor. Das Volksbegehren ist mit der Maßgabe zulässig,
dass der im Hinblick auf § 16 Abs. 1 Satz 1 KiTaG vorliegende redaktionelle
Fehler bezüglich der Heraufsetzung der Höhe der Personalkostenzuschüsse
nach Maßgabe der Entscheidungsformel zu korrigieren ist (§ 21 NVAbstG).
1. Der "Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für
Kinder (KiTaG)" kann als Gesetz beschlossen werden und ist
abstimmungsfähig, weil sich der Inhalt der intendierten Regelung durch das in §
1 in Bezug genommene Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder objektiv
hinreichend bestimmen lässt. Dass der vollständige Inhalt der erstrebten
Regelung sich nicht unmittelbar aus dem in dem Unterschriftenbogen
abgedruckten Gesetzestext ergibt, ist im vorliegenden Fall unschädlich:
a) Das Erfordernis der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs dient - ebenso wie das
der Begründung - dem Zweck, den Bürgern die Tragweite des Volksbegehrens
deutlich zu machen. Dabei genügt es nicht, dass lediglich die am
Volksbegehren unmittelbar interessierten Bürger (z. B. der von dem intendierten
Volksgesetz direkt betroffene Bevölkerungsteil) kraft ihres Interesses an der
Materie den Inhalt des Begehrens kennen; vielmehr muss die Gesamtheit der
abstimmenden Bürger aus der Fassung des Gesetzentwurfes oder dessen
Begründung die Abstimmungsfrage und deren Bedeutung entnehmen können
(s.a. BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <145>; 1978, 334 <335>; StGH Bremen,
DÖV 1986, 792 <793>; SaarlVerfGH, NVwZ 1988, 245 <246>). Soweit das
Informationsbedürfnis der Bürger als Voraussetzung einer sachgerechten
Abstimmung dies erfordert, ist deshalb die mit einem Volksbegehren erstrebte
Regelung in den Unterschriftenbögen selbst abzudrucken.
Die Notwendigkeit der Information der Bürger schließt jedoch die Möglichkeit
einer Verweisung im Text eines Volksbegehrens nicht zwangsläufig aus. Zwar
kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem Verweis auf eine
Fundstelle im Gesetz- und Verordnungsblatt jeder Bürger, bevor er seine
Unterschrift leistet, Einsicht in den in Bezug genommenen Text nimmt und sich
anhand dessen die Gesetzeslage vergegenwärtigt, sodass er bei seiner
Stimmabgabe in voller Kenntnis jeder Einzelheit der Ziele des Volksbegehrens
handelt. Allein aus dem Umstand, dass ein Volksbegehren auf die Korrektur
einer vom Parlament beschlossenen Änderung eines Gesetzes abzielt, kann
andererseits aber nicht der Schluss gezogen werden, es bestehe kein
Informationsbedürfnis, weil dem Bürger die bisherige Rechtslage ausreichend
bekannt sei; dies liefe auf eine nicht zulässige Unterstellung hinaus. Ein
umfassender Wissensstand wäre - jedenfalls bei umfangreicheren Gesetzen mit
vielen Detailregelungen, wie auch hier bei dem KiTaG - ohnehin nie
sicherzustellen, auch wenn den Unterschriftenbögen ein kompletter Abdruck
des Gesetzes beigefügt würde. Die Annahme, dass der zur Abstimmung
aufgerufene Bürger sich vor Unterzeichnung alle Regelungen durchliest,
entspricht nicht der Wirklichkeit. Eine solche Verfahrensweise wäre auch
kontraproduktiv, weil sie beim Bürger angesichts der Kompliziertheit der
einzelnen Normen und der Gesetzessprache eher auf Unverständnis stoßen
und zu einer Verwirrung über die Tragweite des Volksbegehrens führen könnte.
Ausgehend von Sinn und Zweck des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV, dem Bürger die
Tragweite des Volksbegehrens zu verdeutlichen, liegt eine ausreichende
Information als Voraussetzung einer sachgerechten Abstimmung bereits dann
vor, wenn der Kern des Volksbegehrens, das heißt seine tatsächliche
Zielsetzung, für den Bürger erkennbar ist. Denn in einem solchen Fall besteht
nicht die Gefahr einer Verfälschung des Abstimmungsergebnisses und damit
des (volks-) gesetzgeberischen Willens, da hierfür eine Kenntnis von
45
46
47
48
49
50
Detailregelungen regelmäßig ohne Bedeutung ist. Darüber hinaus kann der
Kern des Volksbegehrens auch durch die Begründung vermittelt werden; dieser
kommt, zumal wenn auf ein anderes Gesetz verwiesen wird, eine besondere
Bedeutung zu (vgl. auch BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <145>; BayVBl. 1995,
173 <178>).
b) Diese Anforderungen erfüllt der Entwurf. Der mit "Begründung"
überschriebene und sich an die Formulierung der §§ 1-2 anschließende Text
des Entwurfs ist zwar - für sich genommen - nicht genügend aussagekräftig. Die
als Bestandteil der Unterschriftenbögen (§ 13 Abs. 2 NVAbstG) den Unterlagen
beiliegende Erläuterung Volksbegehren "Kindertagesstätten-Gesetz
Niedersachsen" enthält aber nähere und letztlich im Hinblick auf Art. 48 Abs. 1
Satz 2 NV ausreichende Informationen. Die beiden zentralen Punkte der vom
Landtag beschlossenen Änderung des KiTaG werden behandelt: die Aufhebung
der direkten, unmittelbar zweckgebundenen Finanzhilfe unter Einstellung der
Mittel in den allgemeinen kommunalen Finanzausgleich sowie der Verzicht auf
landesrechtliche Vorgaben für die personale und sächliche Ausstattung von
Kindertagesstätten. Es wird deutlich, dass hierdurch die Verantwortung für die
Qualität der Tagesstätten auf die Kommunen als örtliche Träger der Kinder- und
Jugendhilfe übertragen wird und von deren finanziellem Engagement (Höhe der
Kostenbeteiligung; ggf. - wie bei § 16 KiTaG - gekoppelt an Standards) künftig
auch die Güte der Kindertagesstätten freier Träger abhängt. Anschließend wird
im Entwurf nachvollziehbar die Sorge dargelegt, dass sich hierdurch die
Situation in den Tagesstätten in verschiedener Hinsicht verschlechtern könnte.
Die Absicherung der Finanzierung von Kindertagesstätten durch die
Regelungen im 4. Abschnitt des KiTaG a. F. sowie die Vorgabe von
Mindeststandards durch die Regelungen im 2. Abschnitt des KiTaG a. F. sind
auch vormals von der Landesregierung im Rahmen der Begründung des unter
dem 2. Juni 1992 eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Tageseinrichtungen für Kinder (Drs 12/3280; S. 15) als die zentralen Pfeiler des
neuen KiTaG bewertet worden.
Da das Volksbegehren insoweit die beiden entscheidenden Sachthemen
konkret und sachgerecht anspricht, genügt der Entwurf den
verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV. Hierbei ist
es im Hinblick auf den Empfängerhorizont der Adressaten gerade nicht zu
beanstanden, dass die gewählten Formulierungen nicht immer juristisch exakt,
manchmal "volkstümlicher" ausgefallen sind.
2. Die von der Landesregierung in ihrem Beschluss vom 7. März 2000 sowie im
anhängigen Verfahren weiter angeführten Gesichtspunkte sind nicht geeignet,
die Unzulässigkeit des Volksbegehrens zu begründen.
a) Es ist unerheblich, dass der Gesetzentwurf keine näheren Regelungen im
Hinblick auf das Haushaltsbegleitgesetz vom 21. Januar 1999 - das zwar in der
Begründung angesprochen, aber dessen Änderung im Text des Gesetzes nicht
ausdrücklich angeordnet wird - und die Neubekanntmachung des KiTaG vom 4.
August 1999 enthält. Im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids wird das alte
KiTaG wieder in Kraft gesetzt und verdrängt dann nach dem Grundsatz "Lex
posterior derogat legi priori" ältere entgegenstehende Gesetze. Von einem
rechtsstaatswidrigen Normenwiderspruch kann nicht gesprochen werden. Dem
Landesgesetzgeber steht es im Übrigen frei, im Zuge einer späteren
Neubekanntmachung des KiTaG etwaige von ihm als wünschenswert
angesehene klarstellende Änderungen nachzuholen.
b) Die nach Auffassung der Landesregierung fehlerhafte Darstellung der
Kostensituation im Entwurf ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Zwar
bestimmt Art. 68 Abs. 1 NV, dass derjenige, der einen Gesetzentwurf einbringt,
die Kosten und Mindereinnahmen darlegen muss, die für das Land, für die
Gemeinden, für die Landkreise und für betroffene andere Träger öffentlicher
51
52
53
Verwaltung in absehbarer Zeit zu erwarten sind. Diese Norm gilt für alle
Gesetzesinitiatoren im Sinne des Art. 42 Abs. 3 NV und damit auch für die
Volksgesetzgebung, was § 12 Abs. 2 NVAbstG verdeutlicht. Jedoch erfordert
ein Gesetzentwurf im Rahmen der Volksgesetzgebung keine gesicherte
Kostenermittlung. Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV verlangt unmittelbar nur einen
Gesetzentwurf mit abstimmungsfähigem Inhalt und eine Erläuterung von Sinn
und Zweck des Gesetzes. Dass ein Volksgesetz sich zu den Kosten äußern
muss, ergibt sich erst aus der allgemein im 8. Abschnitt der Verfassung
enthaltenen Bestimmung des Art. 68 Abs. 1 NV. Auch ein Parlamentsgesetz ist
aber nicht deshalb verfassungswidrig, weil sich die in seinem Entwurf
getroffenen Aussagen zu den Kosten als unzureichend erweisen. Nichts
anderes gilt für die Volksgesetzgebung.
Wollte man demgegenüber eine fehlerfreie Kostenermittlung verlangen und
hielte ein Volksbegehren immer dann für unzulässig, wenn dessen finanzielle
Folgen nicht präzise und zutreffend dargestellt werden, würde dies die
Möglichkeiten der Volksgesetzgebung - entgegen den Intentionen der
Verfassung - massiv beschränken. Denn den Initiatoren eines Volksbegehrens
fehlt häufig die Möglichkeit, die mit ihrem Gesetzentwurf verbundenen Kosten
exakt zu errechnen; ihnen steht anders als der Regierung bzw. dem Parlament
kein fachkundiger Verwaltungsapparat zur Verfügung. Im Übrigen kann nach §
25 Abs. 2 NVAbstG die Bekanntmachung über den Volksentscheid eine
Stellungnahme der Landesregierung enthalten; insoweit ist es möglich, etwaige
anders zu beurteilende Kostenfaktoren offen zu legen und dem im Rahmen des
Volksentscheids zur Abstimmung aufgerufenen Bürger zu präsentieren.
c) Es stellt kein relevantes Defizit dar, dass der Gesetzentwurf sich nicht
unmittelbar zu den vom Landesgesetzgeber im NFVG und NFAG getroffenen
Maßnahmen verhält. Zwar liegt es in der Konsequenz der intendierten
Wiedereinführung direkter Personalkostenzuschüsse, dass der kommunale
Finanzausgleich - im Hinblick auf die dort auf der Grundlage einer
Landesfinanzierungsquote von 20% eingestellten pauschalierten Zuschüsse -
im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids geändert werden muss. Dies zu
regeln ist aber - auch unabhängig von dem seitens der Antragsteller
angesprochenen Zeitmoment - nicht Sache des Volksgesetzes. Soweit
Änderungen des Haushalts bzw. der insoweit in den Finanzgesetzen
ergangenen Ausführungs- bzw. Umsetzungsbestimmungen notwendig sein
sollten, handelt es sich in der Sache um eine Vollzugsregelung zum Ausgleich
des Haushalts. Eine solche Maßnahme ist dem Landtag vorbehalten (vgl. auch
BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <150>). Im Übrigen wäre es für die Initiatoren
eines Volksbegehrens kaum möglich, den Katalog von Folgeregelungen
sachgerecht zu formulieren, den die Landesregierung in ihrem Beschluss vom 7.
März 2000 als notwendig bezeichnet hat. Eine entsprechende Forderung würde
ein Volksbegehren in diesem Bereich unmöglich machen.
d) Der Zulässigkeit des Volksbegehrens steht nicht entgegen, dass der
Gesetzentwurf sich nicht mit jeder durch Art. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes
1999 herbeigeführten Detailänderung des KiTaG näher befasst bzw. im Text
insoweit nicht im Einzelnen begründet wird, weshalb die alten Regelungen den
neuen ggfs. vorzuziehen sind; gleiches gilt - die Berechtigung dieses Vorwurfs
dahingestellt - soweit die Landesregierung rügt, der Entwurf enthalte teilweise
unzureichende, teilweise falsche Informationen. Zwar können im Rahmen des
Art. 48 Abs. 1 Satz 2 NV Ungenauigkeiten, Lücken und Fehler eines
Gesetzentwurfes oder seiner Begründung zur Unzulässigkeit des
Volksbegehrens führen, wenn sie "abstimmungsrelevant" sind, d.h. zentrale
Aspekte betreffen, mithin der Bürger im Kern irregeleitet wird (vgl. auch
BayVerfGH, BayVBl. 2000, 460 <464>; BayVBl. 1977, 143 <145 ff.>;
SaarlVerfGH, NVwZ 1988, 245 <248>). Hiervon kann aber im Hinblick auf die
von der Landesregierung in diesem Zusammenhang angesprochenen Punkte
keine Rede sein.
54
55
56
57
58
59
60
e) Der Gesetzentwurf bedarf jedoch einer Änderung im Hinblick auf die Höhe der
Personalkostenzuschüsse des Landes; dies steht einer Anrechnung der
geleisteten Unterschriften nicht entgegen.
Durch den pauschalen Verweis in § 1 auf das KiTaG "in der Fassung vom 25.
September 1995 (Nds. GVBl. S. 303), zuletzt geändert durch Art. 12 des
Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds. GVBl. S. 242)" wird auch § 16 Abs. 1 KiTaG
in Bezug genommen. Danach gewährt das Land eine Finanzhilfe für
Personalausgaben in Höhe von 20%, ab dem 1. Januar 1995 in Höhe von 25%.
Wie bereits oben (A 12) dargestellt, ist es zu der vorgesehenen Erhöhung nie
gekommen. Würde nun das Volksgesetz so wie im Text vorgesehen in Kraft
treten, hätte dies die Erhöhung der Quote auf 25% zur Folge.
Hier liegt jedoch unstreitig ein Redaktionsversehen vor. Es ging den
Vertreterinnen und Vertretern des Volksbegehrens um die Wiedereinführung der
zweckgebundenen Direktzuschüsse des Landes an die Träger der
Kindertagesstätten, nicht um die Erhöhung der Finanzierungsquote auf einen
seit Einführung des 1. KiTaG noch nie praktizierten Prozentsatz. Dies macht
auch die Begründung des Volksbegehrens hinreichend deutlich, weil es als
eines der Ziele bezeichnet, die bisherige Finanzierung aufrechtzuerhalten. Das
ergibt sich aus der Aussage: "Gegenüber den bei Einleitung des
Volksbegehrens bestehenden Rechtsverhältnissen (bisheriges KITA-Gesetz)
ergeben sich weder für das Land Niedersachsen noch für die Gemeinden
Mehrkosten, wenn das vorgelegte KITA-Gesetz durch Volksbegehren (wieder)
in Kraft gesetzt wird". Insoweit konnte bei den Bürgern, die für das
Volksbegehren gestimmt haben, kein Irrtum aufkommen, selbst dann nicht,
wenn ein Einzelner vor Unterschriftsleistung Einsicht in die im Gesetzentwurf
zitierten Fundstellen aus dem Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt
genommen hätte. Denn zum einen enthält § 16 Abs. 1 KiTaG in der Fassung
vom 25. September 1995 (Nds. GVBl. S. 303) den Hinweis auf die
20%-Regelung im Haushaltsbegleitgesetz 1995. Zum anderen nimmt § 1 des
Entwurfs auf Art. 12 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 Bezug; dort wird auf das
Haushaltsbegleitgesetz 1996 verwiesen, mit dem für 1997-1999 weiterhin die
20%-Quote festgeschrieben worden ist. Unter Berücksichtigung dessen und der
Begründung des Volksbegehrens konnte selbst ein Leser des
Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblattes nicht annehmen, Intention
des Volksbegehrens sei ab Inkrafttreten des Gesetzentwurfs eine 25%ige
Finanzierungsquote.
Dieses Redaktionsversehen ist dadurch zu korrigieren, dass der Text des
Volksbegehrens entsprechend geändert wird (Streichung des Satzteils "ab dem
1. Januar 1995 in Höhe von 25 vom Hundert" in § 16 Abs. 1 KiTaG). Hierzu
haben sich die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens in der
mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof bereit erklärt (§ 21 Abs. 1
Satz 1 NVAbstG), sodass das Volksbegehren mit der entsprechenden Maßgabe
zugelassen werden konnte. Da durch die Änderung der Kern des
Volksbegehrens nicht verfälscht, sondern vielmehr richtig gestellt wird, können
die geleisteten Unterschriften angerechnet werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2
NVAbstG).
II.
Das Volksbegehren verstößt nicht gegen Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV.
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV können Gesetze über den Landeshaushalt, über
öffentliche Abgaben sowie über Dienst- und Versorgungsbezüge nicht
Gegenstand eines Volksbegehrens sein. Ähnliche Beschränkungen enthalten
zahlreiche andere Landesverfassungen. Ob dabei Begriffe wie Haushalt,
Landeshaushalt oder Staatshaushalt nur im formell-technischen Sinn
(Haushaltsgesetz und Haushaltsplan, ggfs. einschließlich
61
62
63
nachtragshaushaltsrechtlicher Regelungen und Haushaltsbegleitgesetzen) zu
verstehen sind oder ob und in welchem Umfang von dem Verbot im Sinne einer
materiellen Auslegung auch sog. finanzwirksame Gesetze erfasst werden, ist
streitig. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, Volksbegehren seien auch
dann unzulässig, wenn sie auf den Gesamtbestand des Haushalts Einfluss
nähmen, das Gleichgewicht des gesamten Haushalts störten und damit zu einer
wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments führten; ob
dies der Fall sei, hänge nicht nur von der Höhe etwaiger Mehrkosten ab,
sondern müsse im Einzelfall auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung
ermittelt werden (vgl. beispielhaft nur BayVerfGH, BayVBl. 1977, 143 <149 ff.>;
DVBl. 1995, 419 <425 ff.>; BayVBl. 2000, 397 <398 ff.>; BVerfGE 102, 176 <185
ff.> zu Art. 41 Abs. 2 SchlHVerf; ähnlich VerfG Brandenburg, Urteil vom 20.
September 2001, Umdruck S. 38; anders im Sinne eines formellen
Verständnisses z.B. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes
Baden-Württemberg, 1984, Art. 59, Rn. 40;
Nawiasky/Schweiger/Knöpfe/Leusser/Gerner. Die Verfassung des Freistaates
Bayern, Loseblattsammlung, Stand 7/2000, Art. 73, Rn. 8;
Kunzmann/Haas/Baumann-Hasske, Die Verfassung des Freistaates Sachsen,
Kommentierte Textausgabe, 2. Aufl., 1997, Art. 73, Rn. 1; Reich, Verfassung des
Landes Sachsen-Anhalt, Kommentar, 1994, Art. 81, Rn. 3).
In welcher Form der Haushaltsvorbehalt in Art. 48 Abs. 1 Satz 3 NV die
Volksgesetzgebung begrenzt, bedarf aus Anlass dieses Verfahrens keiner
Entscheidung. Denn die Umsetzung des Volksbegehrens ist für den
Haushaltsgesetzgeber "kostenneutral" möglich. Die vormals direkt an die Träger
der Kindertagesstätten gezahlten Personalkostenzuschüsse von jährlich 260
Mio. DM sind - wie die Vertreter der Landesregierung in der mündlichen
Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof bestätigt haben - ungekürzt in den
kommunalen Finanzausgleich überführt worden, wobei sich am Finanzvolumen
zwischenzeitlich insoweit nichts geändert hat. Eine Rückkehr zur vormaligen
Rechtslage ohne entsprechende Mehraufwendungen ist, wie auch die
Landesregierung einräumt, jedenfalls zum Beginn des jeweils nächsten
Haushaltsjahres möglich. Allein der Umstand, dass bei einem erfolgreichen
Volksentscheid der Haushaltsgesetzgeber zur Vermeidung zusätzlicher Kosten
die bisherigen Berechnungsgrundlagen für den kommunalen Finanzausgleich
für die Zukunft abändern müsste, macht den Gesetzentwurf nicht zu einem
Gesetz "über den Landeshaushalt" und führt daher nicht zur Unzulässigkeit des
Volksbegehrens. Dem Volksbegehren liegt nicht die Forderung nach
zusätzlichen Mitteln zu Grunde; es betrifft vielmehr die Art der Mittelzuwendung
(zweckgebundene Zuschüsse an die Träger der Kindertagesstätten oder
Einbeziehung entsprechender Mittel in den kommunalen Finanzausgleich). Die
Entscheidung über diese Frage gehört aber nicht zu den Voraussetzungen der
Zulässigkeit einer Volksgesetzgebung, sondern ist als Gegenstand der
politischen Auseinandersetzung im Verfahren nach Art. 49 NV zu treffen.
Inwieweit eine Änderung der Finanzierung im Rahmen eines laufenden
Haushaltsjahres möglich wäre bzw. in welchem Umfang anderenfalls
Mehrkosten entstünden, kann dahinstehen. Die Vertreterinnen und Vertreter des
Volksbegehrens haben in der mündlichen Verhandlung vor dem
Staatsgerichtshof auf Nachfrage erklärt, Ziel des Volksbegehrens sei die
Wiedereinführung der direkten Zuschüsse an die Träger der Kindertagesstätten
und damit die Finanzierung außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs;
neben dieser Grundsatzfrage sei es aus ihrer Sicht unerheblich, ob die
Wiedereinführung zum Beginn des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden
Haushaltsjahres oder - abhängig von den Zufälligkeiten der Dauer des
Volksgesetzgebungsverfahrens - zu einem bei Einleitung des Volksbegehrens
noch nicht absehbaren Zeitpunkt innerhalb eines laufenden Haushaltsjahres
erfolge. Diese Erklärung steht im Einklang mit Inhalt und Zweck des
Gesetzentwurfs. Die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens haben
64
sich im Hinblick auf die von der Landesregierung angesprochenen Probleme
einer Änderung der Finanzierung im Rahmen eines laufenden Haushaltsjahres
damit einverstanden erklärt, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens nach § 2 des
Gesetzentwurfs mit der laufenden Finanzierung über den kommunalen
Finanzausgleich im aktuellen Haushaltsplan dergestalt "harmonisiert" wird, dass
als Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beginn des auf die Verkündung des
Gesetzes folgenden Haushaltsjahres bestimmt wird.
Da durch diese Änderung nicht der Kern des Volksbegehrens betroffen ist,
können die geleisteten Unterschriften angerechnet werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2
NVAbstG).