Urteil des StGH Hessen vom 29.03.2017

StGH Hessen: einstweilige verfügung, schutz der menschenwürde, strafaufschub, firma, bewährung, hessen, willkürverbot, gleichheit, generalprävention, zukunft

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 799
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 GG, Art 1 Verf HE, § 23
GVGEG, § 1 GnO HE 1974
1968
Leitsatz
1. Zur Frage der Zulässigkeit der Grundrechtsklage gegen einen negativen Gnadenakt
(Auseinandersetzung mit der Kritik von Schätzler in NJW 1975, 1249 und dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Oktober 1975, MDR 1976, 170;NJW 1976, 305).
2. Das Fehlen einer Begründung bei der Ablehnung eines Gnadenerweises stellt keine
Grundrechtsverletzung dar.
3. Im übrigen unbegründete Grundrechtsklage gegen einen negativen Gnadenakt.
Tenor
Die Anträge werden auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 150,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich mit einem am 6. August 1975 beim
Staatsgerichtshof eingegangenen Antrag gegen den die gnadenweise
Strafaussetzung zur Bewährung für die Gesamtfreiheitsstrafen aus dem Urteil des
Landgerichts in... vom 25. Februar 1974 - ... - ablehnenden Bescheid des
Hessischen Ministers der Justiz vom 25. Juli 1975, der ihm am 1. August 1975
eröffnet worden ist.
Das Landgericht in... hat den Im Jahre... geborenen Antragsteller wegen Betruges
in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Landgerichts
in... T vom 30. November 1970 - ... - und vom 2. Oktober 1972 - ... - zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. ferner wegen Betruges
in acht weiteren Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des
Schöffengerichts... vom 26. Januar 1973 - ... - und des Bezirks Schöffengerichts...
vom 8. März 1973 - ... - StA... - zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr
und 9 Monaten. Das Urteil ist seit dem 5. Dezember 1974 rechtskräftig.
Der Antragsteller ist zum Strafantritt am 2. April 1975 geladen worden, erhielt
jedoch auf seinen Antrag hin wegen der am... stattfindenden Erstkommunion
seines Enkelkindes und Mündels einen Strafaufschub bis zum 14. April 1975. Unter
dem 18. März 1975 beantragte der Antragsteller einen weiteren Strafaufschub von
drei Monaten, weil seine Ehefrau leberkrank sei und er daher für seine in seinem
Haushalt lebende... jährige Enkelin sorgen müsse. Unter dem 20. März 1975
beantragte er die gnadenweise Strafaussetzung zur Bewährung für die
Gesamtfreiheitsstrafen. Auf die Beschwerde des Antragstellers gegen die
Entscheidung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht... gemäß § 456 StPO
vom 21. März 1975 über seinen ersten Antrag gewährte die Strafkammer des
Landgerichts in... dem Antragsteller Strafaufschub bis zum 15. Juli 1975; das
zweite Gesuch lehnte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in... am 20. Mai
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zweite Gesuch lehnte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in... am 20. Mai
1975 - ... - ab.
Gegen diesen ablehnenden Gnadenbescheid legte der Antragsteller am 5. Juni
1975 Beschwerde beim Hessischen Minister der Justiz ein. Zur Begründung führte
er aus, er arbeite seit zwei Jahren bei der... in... in seinem erlernten Beruf als... und
sei seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten; er würde durch die
Strafverbüßung seinen Arbeitsplatz verlieren. Seine Ehefrau; sei bettlägerig krank
und auf seine Hilfe angewiesen. Überdies sei er als Vormund für sein... jähriges
Enkelkind tätig. Auch habe der (inzwischen verstorbene) Kammervorsitzende in
der Hauptverhandlung am 25. Februar 1974 bei der Urteilsbegründung erklärt, das
Gesetz lasse leider eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht zu; diese könne der
Antragsteller nach Rechtskraft des Urteils im Gnadenwege beantragen; er werde
ein solches Gesuch befürworten.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht... stellte bei der Überprüfung der
Tatsachenangaben auf Grund der Leistungsakten des Arbeitsamtes... fest, daß der
Antragsteller folgende Arbeitsstellen innegehabt hat:
8.1. bis 13.2.1973 bei Firma..., vom Arbeitnehmer gekündigt;
9.4. bis 16.4.1973 bei Firma..., vom Arbeitgeber gekündigt, weil der Antragsteller
zuviel Vorschuß gefordert hatte;
21.5. bis 25.10.1973 bei Firma..., vom Arbeitgeber fristlos gekündigt;
22.10. bis 4.12.1973 bei Firma..., vom Arbeitgeber in der Probezeit gekündigt;
14.1. bis 5.4.1974 bei Firma..., vom Arbeitgeber wegen Nichteignung entlassen;
4.6. bis 6.6.1974 bei Firma... vom Arbeitnehmer gekündigt;
18.6. bis 31.8.1974 bei Firma..., ..., ... gesellschaft, vom Arbeitgeber gekündigt;
9.9. und 14.10.1974 zwei Arbeitsversuche bei verschiedenen Firmen.
Seither hat der Antragsteller Arbeitslosenhilfe in Höhe von zuletzt 141,60 DM
wöchentlich bezogen. Die Ehefrau des Antragstellers wurde viermal wöchentlich
ambulant behandelt. Weiter ergaben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, daß
sich weder der Berichterstatter noch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft
an die behauptete Äußerung des damaligen, inzwischen verstorbenen
Kammervorsitzenden erinnern konnten. Der diesbezügliche Passus im Strafurteil
lautet:
"Die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafen konnte nicht zur
Bewährung ausgesetzt werden. Denn es liegen nicht, wie § 23 Abs. 2 StGB es
erfordert, besondere Umstände in den Taten und in der Persönlichkeit des
Angeklagten vor. Mögen nunmehr auch namentlich in der Person des Angeklagten
Umstände vorliegen, die einer Strafaussetzung das Wort reden, besonderer Art
sind sie nicht. Vor allem aber weisen die Taten des Angeklagten Merkmale dieser
Art nicht auf. Einer Strafaussetzung zur Bewährung steht sogar insbesondere
entgegen, daß ihm bereits eine solche Wohltat gewährt worden ist, was ihn nicht
davon abgehalten hat, sein strafbares Tun in gleicher Weise fortzusetzen. Der
Angeklagte hat auch, nachdem er seit mehr als einem Jahr in abhängiger Stellung
tätig ist und dort ein ansehnliches Einkommen erzielt, bisher nichts unternommen,
um die hohe Schuldenlast abzutragen. Nach alledem kam eine Strafaussetzung
zur Bewährung nicht in Betracht."
Die Leiter der Staatsanwaltschaften bei dem Landgericht... und bei dem
Oberlandesgericht haben dem Justizminister vorgeschlagen, die Beschwerden zu
verwerfen. Sie verweisen auf den hohen Schaden von über 100.000,-- DM, den der
Antragsteller durch seine Straftaten zugefügt habe und auf die Notwendigkeit, mit
der Bekämpfung von Wirtschaftsstraftaten Ernst zu machen (vgl. BGH in JZ 1975,
183).
Diesen Argumenten hat sich der Hessische Minister der Justiz angeschlossen und
noch darauf verwiesen, daß der Antragsteller offensichtlich versucht habe, einen
Gnadenerweis durch Täuschung der Gnadenbehörde zu erlangen; denn während er
in seinem Gnadengesuch behauptet habe, er stehe seit zwei Jahren in einem
festen Arbeitsverhältnis bei der Firma...., habe er in Wirklichkeit von Januar 1973
bis August 1974 sieben verschiedene Arbeitsplätze innegehabt und sei seither
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bis August 1974 sieben verschiedene Arbeitsplätze innegehabt und sei seither
arbeitslos. Deshalb lehnte er den Gnadenerweis mit dem angegriffenen Bescheid
vom 25. Juli 1975 ab.
Inzwischen hatte der Antragsteller unter dem 5. Juni 1975 erneut um
Strafaufschub bis zum Abschluß des Gnadenverfahrens gebeten. Am 4. August
1975 beantragte er wiederum Strafaufschub mit der Begründung, es sei ihm nicht
möglich, bis zum vorgesehenen Strafantritt am 8. August 1975 alle
Angelegenheiten, auch die seiner kranken Ehefrau, abzuwickeln. Am gleichen Tag
jedoch teilte er der Staatsanwaltschaft fernmündlich mit, er habe mit seiner
Ehefrau zusammen deren behandelnden Arzt aufgesucht. Dieser habe ihm "reinen
Wein eingeschenkt" und ihm gesagt, seine Frau sei "belastbar" und gesund;
jedenfalls brauche sie seine Hilfe nicht mehr; aber er habe bei seinem Arbeitgeber
noch so viele Dinge zu regeln, die er bis zum 7. August nicht abwickeln könne.
Dieses Gesuch wies die Staatsanwaltschaft am 4. August 1975 zurück. Auf die
Beschwerde des Antragstellers vom 5. August 1975 lehnte das Landgericht in...
den Aufschub der Strafvollstreckung durch Beschluß vom 8. August 1975 ab.
II.
Mit seinem Antrag an den Staatsgerichtshof vom 5. August 1975 begehrt der
Antragsteller, durch Erlaß einer einstweiligen Verfügung die Gnadenentscheidung
des Hessischen Ministers der Justiz vom 25. Juli 1975 - ... - aufzuheben und das
Gnadenverfahren zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft... zu
verweisen, sowie ihm bis zur endgültigen Entscheidung über das Gnadengesuch
Strafaufschub hinsichtlich der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts... vom 25.
Februar 1974 - ... - zu gewähren.
Nach Belehrung durch die Verfügung des Präsidenten des Staatsgerichtshofs vom
12. August 1975 beantragt der Antragsteller nunmehr,
1. die Gnadenentscheidung des Hessischen Ministers der Justiz vom 25. Juli
1975 - ... - wird aufgehoben und das Gnadenverfahren zur erneuten Entscheidung
an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht... verwiesen,
2. dem Antragsteller wird im Wege der einstweiligen Verfügung bis zur
endgültigen Entscheidung über das Gnadengesuch Strafaufschub gewährt
hinsichtlich der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts in... vom 25. Februar 1974
- ... -.
Zur Begründung führt er aus, der Gnadenentscheidung sowohl der
Staatsanwaltschaft wie des Hessischen Ministers der Justiz fehle es an jeder
Begründung. Diese sei jedoch für eine ordnungsgemäße Entscheidung
unentbehrlich, weil andernfalls der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wie auch das verfassungsmäßige Willkürverbot
verletzt würden. Im übrigen stehe nach der Begründung des Gnadengesuches und
der Beschwerde fest, daß er - der Antragsteller seinen Lebenswandel grundlegend
geändert habe, in einem festen Arbeitsverhältnis stehe und in geordneten
familiären Verhältnissen lebe. In nachträglicher Rückschau seien damit die
Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewährung auch schon zum
Zeitpunkt seiner Verurteilung gegeben gewesen, nur sei damals eine solche
Prognose noch nicht möglich gewesen. Der angefochtene Bescheid des
Hessischen Ministers der Justiz vom 25. Juli 1975 beruhe auf der Verletzung des
Art. 1 der Hessischen Verfassung (HV) sowie des Art. 3 Abs. 1 und 3 des
Grundgesetzes (GG), er verstoße gegen das Willkürverbot. Gleichzeitig verstoße er
gegen das Gerechtigkeitsprinzip und gegen das Verfassungsgebot einer
sachgerechten Gnadenentscheidung, weil die Gnadenbehörde über seinen, des
Antragstellers, geänderten Lebenswandel keinerlei Nachforschungen angestellt
habe. Seit seiner Verurteilung seien fast 1 1/2 Jahre vergangen. Einen solchen
Zeitraum und die Verhaltensweise während dieser Zeit dürfe die Gnadenbehörde
nicht unberücksichtigt lassen.
III.
Der Hessische Minister der Justiz hält den Antrag, auf Erlaß einer einstweiligen
Verfügung für unzulässig und nimmt im übrigen wegen der für seine ablehnende
Gnadenentscheidung maßgebenden Erwägungen auf den Aktenvermerk vom 24.
Juli 1975 (Bl. 8 bis 10 der Blatthülle...) Bezug.
Der Landesanwalt hält den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
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Der Landesanwalt hält den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
ebenfalls für unzulässig, im übrigen die entsprechende Grundrechtsklage für
unbegründet, weil es an jeder schlüssigen Darlegung einer Grundrechtsverletzung
fehle. Wie der Staatsgerichtshof bereits im Urteil vom 28. November 1973 -P.St.
653- entschieden habe, stelle das Fehlen einer Begründung bei ablehnenden
Gnadenentscheidungen für sich betrachtet keine Grundrechtsverletzung dar.
Desgleichen sei dort bereits ausgesprochen worden, daß die Entscheidung über
die Sozialisationsfrage und über die Frage der potentiellen Gefährlichkeit dem
weitgespannten Ermessensspielraum der Gnadeninstanz zuzuordnen und insoweit
grundsätzlich der Entscheidungskompetenz des Staatsgerichtshofs nicht
unterworfen sei. Entsprechendes müsse gelten für die Abwägung und Gewichtung
der prognostischen Beurteilungskriterien im Verhältnis zum Gesichtspunkt der
Generalprävention. Diese Abwägung sei von der Gnadenbehörde angestellt
worden. Das Fehlen jeder Ermessenserwägungen habe der Antragsteller jedoch
nicht einmal behauptet.
IV.
Der Antrag zu 1., den ablehnenden Gnadenbescheid aufzuheben und das
Gnadenverfahren zur erneuten Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zu
verweisen, den der Antragsteller nunmehr als Grundrechtsklage aufrechterhält, ist
zwar zulässig, aber nicht begründet.
Eine Grundrechtsverletzung, wie sie unter Beachtung des Wesens der Gnade nach
der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (vgl. Urteil vom 28. November 1973 -
P.St. 653 -, StAnz. 1973, 2322 = ESVGH 24, 1 = DÖV 1974, 128 m. Anm. Evers =
NJW 1974, 791) seiner Entscheidungskompetenz unterworfen wäre, liegt nicht vor.
1. Die Grundrechtsklage gegen den Erlaß des Hessischen Ministers der Justiz vom
25. Juli 1975 ist nicht allein deshalb unzulässig, weil es sich bei jenem Erlaß um
einen Bescheid in einer Gnadensache handelt.
Im Urteil vom 28. November 1973 - P.St. 653 - (a.a.O.) hat der Staatsgerichtshof
es für zulässig angesehen, daß gegen einen ablehnenden Gnadenbescheid
unmittelbar der Staatsgerichtshof angerufen werde, solange die Frage, ob gegen
negative Gnadenakte der allgemeine Rechtsweg gegeben sei, im Schrifttum und in
der Rechtsprechung umstritten sei; denn es könne in dieser Lage einem Bürger
nicht zugemutet werden, vorher eine Entscheidung des höchsten in der Sache
zuständigen Gerichts herbeizuführen.
Die zusammenfassende Argumentation von Schätzler in NJW 1975, 1249 ff., die in
ihrer Kritik an der früheren Entscheidung des Staatsgerichtshofs darauf abhebt, für
Gnade, gebe es keine Normen und die Willkürfurcht erweise sich als Schwäche der
Rechtsprechung, der Glaube an die sittliche Verantwortung und die politische
Verantwortlichkeit der Verfassungsorgane fehle; denn es sei unwahrscheinlich, daß
ein Gnadenakt aus Gründen der Rasse, der Religion oder politischen Überzeugung
abgelehnt und diese Motivation auch noch aktenkundig gemacht werde, vermag
keine Lösung für den Fall aufzuzeigen, daß das Unwahrscheinliche doch geschieht.
Vielmehr hält der Staatsgerichtshof an seiner Auffassung fest, daß die Ausübung
des Gnadenrechts in den Grundrechten, vor allem auf Freiheit und Gleichheit seine
Grenzen findet und daß das Willkürverbot im äußersten Fall, nämlich dann, wenn
die sonstigen in der gewaltenteilenden Demokratie institutionell vorgesehenen und
angelegten Kontrollen nicht greifen, im Spruch der Verfassungsgerichte
durchsetzbar sein muß.
Allerdings ist inzwischen hinsichtlich der Rechtswegfrage eine Änderung der
Rechtslage insoweit eingetreten, als das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom
10. Oktober. 1975 (MOR 1976, 170=NJW 1976, 305) entschieden hat, daß nach §
23 EGGVG der Strafsenat des örtlich zuständigen Oberlandesgerichts sachlich
zuständig ist, über die Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit des Klagebegehrens
zu entscheiden, wenn ein Kläger die Aufhebung eines Bescheides begehrt, durch
den sein Antrag auf Begnadigung gegenüber einer Maßnahme der Strafjustiz
abgelehnt worden ist. Den überzeugenden Gründen dieses Urteils vermag sich der
Staatsgerichtshof nicht zu verschließen. In Zukunft dürfte es nach diesem
höchstrichterlichen Urteil nunmehr jedem betroffenen Bürger zuzumuten sein, vor
der Anrufung des Staatsgerichtshofs zunächst eine Entscheidung des Strafsenats
des zuständigen Oberlandesgerichts herbeizuführen.
Gleichwohl folgt hieraus noch nicht die Unzulässigkeit der vorliegenden Anträge
des Antragstellers; denn sie sind noch vor der Verkündung jenes Urteils des
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des Antragstellers; denn sie sind noch vor der Verkündung jenes Urteils des
Bundesverwaltungsgerichts beim Staatsgerichtshof eingereicht worden; für den
Antragsteller hatte sich an der Unzumutbarkeit der Ausschöpfung eines
ungewissen Rechtsweges noch nichts geändert.
2. Das Fehlen einer Begründung bei der Ablehnung eines Gnadenerweises stellt
keine Grundrechtsverletzung dar. Jedermann, auch der Straffällige, erkennt, daß
die Gnadenentscheidung stets von einer Vorausschau abhängt, und jedermann
weiß, daß solche Vorhersagen stets mit Unsicherheiten behaftet sind, wenn sie
sich auf menschliches Verhalten beziehen. Damit hängt es eng zusammen, daß
jede Gnadenentscheidung, mag sie positiv oder negativ sein, von vielschichtigen
Erwägungen abhängt, die in all ihren Verästelungen nie vollständig dargestellt
werden können. Das hat zur Folge, daß jede Benennung von Gründen zwangsläufig
unvollständig sein muß, ja, daß sogar die Gewichte der einzelnen Teilgründe
sogleich unzulässig verschoben würden, wenn nur ein Teil dieser Gründe dargelegt,
ein anderer Teil aber nicht genannt werden würde.
Der Staatsgerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung vom 28. November 1973
- P.St. 653 - (aaO) zum Ausdruck gebracht, daß es mißlich wäre, wenn infolge
Übertriebener Anforderungen an die gerichtliche Überprüfbarkeit negativer
Gnadenakte Wirkungen eintreten würden, die mit dem Zweck des Strafvollzugs
unvereinbar wären. Hätte im Einzelfall die Gnadenbehörde wegen konkreter
Tatsachen Grund zu der Annahme, der Sozialisationsvorgang habe beim
Straffälligen noch nicht eingesetzt, oder er sei noch nicht hinreichend
fortgeschritten, so wäre es unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten äußerst
unerwünscht, wenn die Gnadenbehörde genötigt wäre, ihre diesbezüglichen
Bedenken unverblümt zu äußern, weil dies die Wirkung haben könnte, die
Außenseiterstellung des Straffälligen zu befestigen oder - was nicht weniger
schädlich wäre - bei dem Straffälligen die Überzeugung entstehen zu lassen, er
müsse sich in der Verschleierung seiner wahren Einstellung zur menschlichen
Gesellschaft in Zukunft geschickter verhalten. Da sichergestellt ist, daß auch ein
nicht näher begründeter ablehnender Gnadenakt verfassungsgerichtlich und unter
Einsicht in die Gnadenakten nachgeprüft werden kann, ist zugleich vorsorglich zum
Schutz der Menschenwürde und der Gründrechte auf Freiheit und Gleichheit alles
unternommen worden, was unter Beachtung des Wesens der Gnade als eines
Phänomens am Rande des Rechts und zugleich unter Wahrung des
Vollzugszwecks geschehen konnte.
3. Die Annahme des Antragstellers, die in seinem Gnadengesuch vorgetragenen
Sachverhalte und Tatsachenabläufe seien nicht von der Gnadenbehörde zur
Kenntnis genommen oder nicht gewürdigt worden, geht fehl. Das Gnadenverfahren
ist in der Hessischen Gnadenordnung vom 3. Dezember 1974 (GVBl. I S. 587) -
GnO - in seinem äußeren Ablauf unter Festlegung der Zuständigkeiten sowie der
behördlichen Aufgaben und Pflichten geregelt. Aus dem Vollstreckungsheft der
Staatsanwaltschaft und aus den Gnadenakten des Hessischen Ministers der Justiz
ergibt sich, daß die notwendigen Ermittlungen unverzüglich vorgenommen, die
tatsächlichen Angaben im Gnadengesuch überprüft und Ermittlungen über die
persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers
durchgeführt worden sind, und zwar in einer Weise, wie dies durch § 9 Abs. 2 GnO
vorgeschrieben ist. Inhalt und Form der Berichterstattung entsprechen den
Vorschriften der §§ 12 und 13 GnO, auch sie läßt eine Grundrechtsverletzung nicht
erkennen.
Dies hätte der Verfahrensbevollmächtigte durch eine Rückfrage bei der
zuständigen Staatsanwaltschaft jederzeit erfahren können; denn die in § 4 Abs. 3
GnO vorgeschriebene Vertraulichkeit bezweckt lediglich zu erreichen, daß die sich
im Gnadenverfahren äußernden Personen und Behörden nicht mit der
Bekanntgabe ihrer Äußerungen zu rechnen brauchen und daher in die Lage
versetzt werden, sich unbefangen zu äußern. Dagegen steht § 4 Abs. 3 GnO nicht
der Beantwortung einer solchen Rückfrage über Stand und Ablauf der Ermittlungen
im Wege, mag auch das Ergebnis der Ermittlungen dem Vertraulichkeitsgebot
unterliegen.
4. Schließlich geht auch die Annahme des Antragstellers, das Für und Wider sei
von den Gnadenbehörden nicht abgewogen worden, fehl. Sowohl der Bericht der
Staatsanwaltschaft wie auch der der Entscheidung des Hessischen Ministers der
Justiz zugrunde liegende zusammenfassende Aktenvermerk lassen deutlich
erkennen, daß die zugunsten des Antragstellers sprechenden
Ermittlungsergebnisse abgewogen worden sind gegenüber Erwägungen, die einem
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Ermittlungsergebnisse abgewogen worden sind gegenüber Erwägungen, die einem
Gnadenerweis noch vor dem Antritt des Strafvollzuges entgegenstanden. Daß
hierbei auch Überlegungen der Sühne, der Spezial- und der Generalprävention
geboten sind, entspricht dem Standort des Strafrechts in unserer Gesellschaft und
widerspricht nicht der Hessischen Verfassung.
V.
Der Antrag zu 2., dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Verfügung bis zur
endgültigen Entscheidung über das Gnadengesuch Strafaufschub zu gewähren, ist
unzulässig.
Der Staatsgerichtshof kann zwar nach § 22 Abs. 1 StGHG eine einstweilige
Verfügung erlassen, um im Streitfall einen Zustand für eine drei Monate nicht
übersteigende Frist vorläufig zu regeln, wenn es zur Abwendung wesentlicher
Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen
wichtigen Grunde im öffentlichen Interesse geboten erscheint; doch ist für einen
Strafaufschub kein Raum mehr, nachdem der Antragsteller die Strafe bereits
angetreten hat.
Eine Strafunterbrechung kann der Staatsgerichtshof durch eine einstweilige
Verfügung ebenfalls nicht anordnen, da über die Gewährung von Strafausstand im
Gnadenwege nach § 28 Abs. 1 GnO die Gnadenbehörden zu entscheiden haben.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.