Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: hessen, abstrakte normenkontrolle, verkündung, rechtsverordnung, exekutive, treu und glauben, verkehr, ermächtigung, anhörung, öffentliches recht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 569
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
Art 82 GG
(Formerfordernisse für den Erlaß von Rechtsverordnungen
der Landesregierung)
Leitsatz
Rechtsverordnungen der Landesregierung bedürfen nicht der Verkündung im
Gesetzblatt und Verordnungsblatt.
Tenor
1. Die Anordnung der Hessischen Landesregierung vom 26. Mai 1959 über
Zuständigkeiten nach dem Luftverkehrsgesetz vom 10. Januar 1959,
Staatsanzeiger des Landes Hessen 1959 Nr. 28 S. 720, ist mit der Verfassung
des Landes Hessen vereinbar.
2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Das Luftverkehrsgesetz vom 1. August 1922 (RGBl. I S. 68) schrieb in seiner
Fassung vom 10. Januar 1959 (BGBl. I S. 9) – LuftVG 1959 – in § 10 Abs. 1 und 2
vor:
§ 10 Abs. 1:
Planfeststellungsbehörde ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde. Sie
stellt den Plan fest und trifft die Entscheidung nach § 8 Abs. 2.
§ 10 Abs. 2 Satz 1:
Die Pläne sind der von der Landesregierung bestimmten Behörde zur
Stellungnahme vorzulegen.
Diese Vorschriften wurden unverändert in die derzeit geltende Fassung des
Luftverkehrsgesetzes vom 4. November 1968 (BGBl. I S. 1113) – LuftVG 1968 –
übernommen.
Am 26. Mai 1959 erließ die Hessische Landesregierung die "Anordnung über
Zuständigkeiten nach dem Luftverkehrsgesetz vom 10. Januar 1959", in der sie auf
Grund des § 10 Abs. 1 und 2 LuftVG 1959 bestimmte:
"1. Planfeststellungsbehörde im Sinne des § 10 Absatz 1 LuftVG ist der Minister
für Wirtschaft und Verkehr;
2. Anhörungsbehörde nach § 10 Absatz 2 LuftVG ist der Regierungspräsident.
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3. Liegt das Flugplatzgelände in mehreren Regierungsbezirken, so bestimmt der
Minister für Wirtschaft und Verkehr, welcher Regierungspräsident nach Ziffer 2
das Anhörungsverfahren durchzuführen hat."
Die Landesregierung veröffentlichte diese Anordnung im Staatsanzeiger für das
Land Hessen 1959 Nr. 28 S. 720. Sie ersetzte sie am 25. Oktober 1968 durch eine
im GVBl. I S. 274 veröffentlichte, am 1. November 1968 in Kraft getretene
Anordnung.
Der Minister für Wirtschaft und Verkehr erließ am 26. März 1968, veröffentlicht im
Staatsanzeiger vom 22. April 1968 Nr. 17 S. 700 bis 706, einen
Planfeststellungsbeschluß, dessen Abschnitt I den Ausbau des Flughafens
Frankfurt/Main zum Gegenstand hat.
42 betroffene Anlieger fochten diesen Planfeststellungsbeschluß im Klagewege an.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hob in 13 Urteilen den
Planfeststellungsbeschluß, soweit er die Anlage der Startbahn 18-West betrifft, auf;
in 29 weiteren Verfahren hat das Verwaltungsgericht noch keine Entscheidung
getroffen. In den Urteilen führte es im wesentlichen aus: Dem Minister habe die
Zuständigkeit gefehlt. Der Kabinettsbeschluß vom 26. Mai 1959 über die
Zuständigkeit der Behörden nach dem Luftverkehrsgesetz sei seinem
Rechtscharakter nach eine Rechtsverordnung. Eine solche Rechtsverordnung
müsse aber nach Art. 120 HV, hilfsweise nach rechtsstaatlichen Grundsätzen im
Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden. Die Verkündung im
Staatsanzeiger sei rechtlich unwirksam. Der Planfeststellungsbeschluß müsse
daher wegen der fehlenden Zuständigkeit des Ministers für Wirtschaft und Verkehr
aufgehoben werden.
Der Minister für Wirtschaft und Verkehr, ferner auch die Flughafen Frankfurt/Main
AG, die in den Verwaltungsstreitverfahren beigeladen worden war, legten gegen
die Urteile des Verwaltungsgerichts Darmstadt Berufung beim Hessischen
Verwaltungsgerichtshof ein, über die noch nicht entschieden ist.
II.
1. Der Ministerpräsident hat den Staatsgerichtshof angerufen und beantragt, der
Staatsgerichtshof möge erkennen:
Die Anordnung der Hessischen Landesregierung vom 26. Mai 1959 über
Zuständigkeiten nach dem Luftverkehrsgesetz vom 10. Januar 1959
(Staatsanzeiger 1959 S. 720) war mit der Verfassung des Landes Hessen
vereinbar.
Er hat zur Begründung ausgeführt: Das Verwaltungsgericht habe mit seinen
Entscheidungen eine von der Landesregierung gesetzte Norm, die den Rang einer
Rechtsverordnung habe, an Art. 120 der Hessischen Verfassung – HV – und
hilfsweise an dem der Hessischen Verfassung immanenten Grundsatz der
Rechtsstaatlichkeit gemessen und ihre Unvereinbarkeit mit diesen
Verfassungssätzen festgestellt. Diese Auffassung habe weit über den
entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung für die Staatspraxis. Wegen des
Verwerfungsmonopols des Staatsgerichtshofs aus Art. 132 HV, das durch die
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verletzt worden sei, und der auf den
Einzelfall beschränkten Rechtskraftwirkung verwaltungsgerichtlicher Urteile
erscheine es geboten, die Streitfrage durch einen Antrag auf abstrakte
Normenkontrolle dem Staatsgerichtshof vorzulegen. Hierfür sei kein besonderes
Rechtsschutzinteresse erforderlich.
Die Anordnung über die Zuständigkeiten nach dem Luftverkehrsgesetz sei einer
Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof zugänglich, weil sie ein Gesetz im
Sinne von Art. 131 HV sei. Sie stehe zwischen der Gruppe der
Verwaltungsverordnungen und der Gruppe der Rechtsverordnungen im engeren
Sinne und sei noch zu den in den Kontrollbereich des Staatsgerichtshofs fallenden
Rechtsvorschriften zu rechnen. § 10 Abs. 1 und 2 LuftVG 1959 gebe keine
Ermächtigung an die Landesregierung, die Zuständigkeit von Behörden zu regeln;
sie lege nur fest, welches Organ nach Verzicht auf eine bundesrechtliche
Organisationsregelung die Organisationsgewalt des Landes in diesem Bereich
ausüben solle. Sie gehe der Organisationsregelung des Art. 104 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 102 Satz 2 HV vor.
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Die Zuständigkeitsanordnung beruhe somit nicht auf einer ausdrücklichen
Ermächtigung in Gesetz oder Verfassung, sondern sei Ausfluß der
Organisationsgewalt der Landesregierung. Der Bundesgesetzgeber habe lediglich
das Landesorgan bestimmt, das in diesem Falle die Organisationsgewalt ausübe.
Die Anordnung sei somit in die Gruppe der Organisationsregelungen einzuordnen,
die zwischen Rechtsverordnungen im engeren Sinne und
Verwaltungsverordnungen mit ausschließlicher Innenwirkung ständen; sie
ermangele aber nicht der Rechtssatzqualität und unterliege daher der
Kontrollbefugnis des Staatsgerichtshofs.
Die abstrakte Normenkontrolle sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die
Anordnung vom 26. Mai 1959 durch die Anordnung vom 25. Oktober 1968 (GVBl. I
S. 274) ersetzt worden sei. Da die neue Anordnung erst mit dem 1. November
1968 in Kraft getreten sei, behalte die alte Regelung für die in der Vergangenheit
erlassenen Verwaltungsakte Bedeutung.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Anordnung vom 26. Mai
1959 im Staatsanzeiger für das Land Hessen ordnungsgemäß verkündet worden.
Die Regelung über die Verkündung in Art. 120 HV beziehe sich nicht auf
Rechtsverordnungen, sondern nur auf verfassungsmäßig zustande gekommene
Gesetze; anderenfalls hätte das im Verfassungstext ausdrücklich gesagt werden
müssen. Diese Auslegung werde auch durch die Festlegung einer Verkündungsfrist
in Art. 120 HV bestätigt; für Rechtsverordnungen gebe es aber keine
Verkündungsfristen. Auch der systematische Zusammenhang der Vorschrift mit
den Nachbarartikeln schließe eine Anwendung der Verkündungsregelung in Art.
120 HV auf Rechtsverordnungen aus. Schließlich zeige die Entstehungsgeschichte,
daß die Verfassungsberatende Landesversammlung nicht daran gedacht habe,
auch eine Bestimmung über die Verkündung von Rechtsverordnungen in die
Verfassung aufzunehmen. Auf die Bezeichnung des Verkündungsorgans als
"Gesetz- und Verordnungsblatt" komme es nicht an. Die Aufnahme dieser
Bezeichnung in die Verfassung könne vielmehr nur so verstanden werden, daß die
Verkündung anderer Normen als formeller Gesetze im Gesetzblatt nicht verboten,
aber keineswegs geboten sein sollte.
Eine allgemeine gesetzliche Regelung über die Verkündung von
Rechtsverordnungen bestehe in Hessen nicht. Mithin seien für die Verkündung die
der Hessischen Verfassung immanenten rechtsstaatlichen Grundsätze
maßgebend. Diese beschränkten aber die Möglichkeit zu wirksamer Verkündung
nicht auf das Gesetz- und Verordnungsblatt. Rechtsstaatliche Grundsätze
verlangten lediglich eine Verkündungsform, die es dem Staatsbürger in
angemessener Weise ermögliche, von dem Wortlaut der Rechtsnorm sicher und
ohne unzumutbare Erschwernis Kenntnis zu nehmen. Dem genüge eine
Bekanntmachung im Staatsanzeiger des Landes Hessen. Der Staatsanzeiger sei
auf Grund eines Beschlusses der Landesregierung vom 7. März 1946 als amtliches
Veröffentlichungsorgan der obersten Landesbehörden und der
Regierungspräsidenten geschaffen worden. Er sei mindestens genauso weit
verbreitet und wahrscheinlich dem Bürger sogar leichter zugänglich als das
Gesetz- und Verordnungsblatt. Auch habe das Fehlen einer gesetzlichen Regelung
zur Folge, daß die Landesregierung alternativ zumindest in zwei
Verkündungsblättern wirksam verkünden könne, so daß die Auswahl eines dieser
Blätter nicht verfassungswidrig sei. Auch werde in der Staatspraxis bei der Wahl
des jeweiligen Verkündungsblattes nicht willkürlich verfahren. Es sei vielmehr üblich
gewesen, Normen von höherem Rang und größerem Gewicht im Gesetz- und
Verordnungsblatt, solche von geringerer Bedeutung, insbesondere einen Teil der
Organisationsregelungen, im Staatsanzeiger zu veröffentlichen. Erst seit der
Einführung des Teils II des Gesetz- und Verordnungsblattes sehe die seit dem 1.
Oktober 1964 geltende gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien die
Veröffentlichung von Organisationsanordnungen der Landesregierung und der
Minister im Gesetz- und Verordnungsblatt vor. Sie folge damit der Übung, auf die
sich die Ministerien schon 1962 nach Einführung des Gesetz- und
Verordnungsblattes Teil II geeinigt hätten.
Selbst wenn aber eine Verkündung von Rechtsverordnungen der Landesregierung
im Gesetz- und Verordnungsblatt als unerläßlich angesehen werden sollte, wären
die Organisationsanordnungen der Landesregierung ihnen keineswegs gleich zu
behandeln. Bei der Verkündung von Organisationsregeln sei die normsetzende
Stelle freier gestellt. Für diese Normen sei noch mehr als bei Rechtsverordnungen
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Stelle freier gestellt. Für diese Normen sei noch mehr als bei Rechtsverordnungen
allein darauf abzustellen, daß eine Bekanntmachungsform gewählt werde, die es
dem interessierten Bürger ohne unangemessene Erschwernisse ermögliche,
schnell, sicher und zuverlässig vom Inhalt der Regelung Kenntnis zu nehmen.
Diese Voraussetzungen erfülle der Staatsanzeiger.
2. Der Landesanwalt hat sich dem Verfahren angeschlossen und beantragt:
Der Staatsgerichtshof möge feststellen, die Anordnung der Hessischen
Landesregierung vom 26. Mai 1959 über Zuständigkeiten nach dem
Luftverkehrsgesetz vom 10. Januar 1959 (Staatsanzeiger 1959 S. 720) ist mit der
Verfassung des Landes Hessen vereinbar gewesen;
hilfsweise,
Artikel 120 der Verfassung des Landes Hessen bezieht sich nicht auf die
Verkündung von Rechtsverordnungen.
Er hat sich der Antragsbegründung des Ministerpräsidenten angeschlossen und
ergänzend ausgeführt: Das in Art. 120 HV genannte Gesetz- und Verordnungsblatt
sei nicht erst auf Grund dieser Vorschrift geschaffen worden, sondern sei als
"Gesetz- und Verordnungsblatt für Groß-Hessen" von dem Groß-Hessischen
Staatsministerium durch die Verordnung vom 24. Oktober 1945 eingerichtet
worden, die in der ersten Ausgabe vom 21. Dezember 1945 veröffentlicht worden
sei. Das Staatsgrundgesetz des Staates Groß-Hessen vom 22. November 1945
(GVBl. 1945 S. 23) habe in Art. 7 bestimmt, daß nur die im Gesetz- und
Verordnungsblatt des Staates Groß-Hessen verkündeten Gesetze und
Verordnungen verbindlich seien, während Art. 120 HV eine Verkündungspflicht im
Gesetz- und Verordnungsblatt nur für Gesetze vorschreibe. Diese
Entstehungsgeschichte erkläre zwanglos, weshalb das Verkündungsblatt in seinem
Titel Verordnungen nenne, obwohl es nach Art. 120 HV nur zur Verkündung von
Gesetzen vorgesehen sei. Art. 120 HV enthalte mithin keine Verkündungsregelung
für Rechtsverordnungen und sei auch nicht insoweit ausdehnend auslegbar.
3. Der Minister für Wirtschaft und Verkehr hat sich dem Antrag des
Ministerpräsidenten und seiner Begründung angeschlossen.
Die Beteiligten der 42 verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben Gelegenheit zur
Stellungnahme erhalten.
4. Von den Klägern der erwähnten 42 verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben
23 die Anhörung vor dem Staatsgerichtshof begehrt.
a) Die Stadt Offenbach hat dazu ausgeführt: Ihr Äußerungsrecht ergebe sich aus
§ 42 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (StGHG). Sie sei
Klägerin in einem der Verwaltungsstreitverfahren. Daher sei sie als Beteiligte
des Ausgangsverfahrens zu behandeln und habe nach § 42 Abs. 2 Satz 2
StGHG ein Anhörungsrecht. Selbst wenn aber die Anhörung in das Ermessen
des Staatsgerichtshofs gestellt sei, liege kein billigenswerter Grund dafür vor,
von ihrer Anhörung abzusehen. Sie befinde sich mit dem Land Hessen in
einem kontradiktorisch gestalteten Zweiparteienprozeß. In einer für ihn
ungünstigen Verfahrenssituation trage ihr Prozeßgegner einen Teil des
rechtlichen Streitsteffes einem anderen Gerichtshof vor mit dem Ziele einer
gesetzeskräftigen Entscheidung. Wenn es ihr verwehrt würde, ihrem
Prozeßgegner auf diesem Wege zu folgen, könne von einem prozessualen
Gleichgewicht der Partner des Ausgangsverfahrens nicht mehr gesprochen
werden.
b) Der Ministerpräsident hat erwidert: Eine Anhörung der Beteiligten der
Verwaltungsstreitverfahren begegne Bedenken. Das Gesetz über den
Staatsgerichtshof sehe im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle keine
Anhörung der Beteiligten solcher Gerichtsverfahren vor, in denen nach
Einleitung des abstrakten Normenkontrollverfahrens die zur Prüfung gestellte
Norm anzuwenden sei. Das Anhörungsrecht könne auch nicht aus § 42 Abs. 2
StGHG abgeleitet werden. Zwar seien in den §§ 41 bis 43 StGHG die
Verfahrensvorschriften für das abstrakte und das konkrete
Normenkontrollverfahren zusammengefaßt; Wortlaut und Sinn des § 42 Abs. 2
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Normenkontrollverfahren zusammengefaßt; Wortlaut und Sinn des § 42 Abs. 2
StGHG ließen jedoch erkennen, daß diese Vorschrift nur für das konkrete
Normenkontrollverfahren gelte, weil bei einer abstrakten Normenkontrolle kein
gerichtliches Verfahren Anlaß zu dem Antrage gegeben haben könne. Das
objektive Verfahren der Normenkontrolle diene der Klärung der
Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsvorschrift. Die Antragsberechtigten
können, losgelöst von der Frage, welcher Grund den Anstoß zu dem Antrag
gegeben habe, den Staatsgerichtshof als Garanten des objektiven
Verfassungsrechts anrufen. Es entspreche daher dem Sinn der abstrakten
Normenkontrolle als objektives Prüfungsverfahren, daß nur die an der
Normsetzung beteiligten Staatsorgane gehört worden. Auch das
Bundesverfassungsgerichtsgesetz habe nur bei der konkreten (§ 82 Abs. 3),
nicht aber bei der abstrakten Normenkontrolle (§ 77) über den Kreis der
Verfassungsorgane hinaus eine Anhörung der Beteiligten am sogenannten
Ausgangsverfahren vor.
c) Nachdem der Staatsgerichtshof beschlossen hatte, die Kläger der
verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die dort beigeladene Flughafen
Frankfurt/Main AG anzuhören, hat die Stadt Offenbach/Main vorgetragen: Der
Antrag des Ministerpräsidenten sei nicht zulässig. Die beantragte Feststellung
sei schon deshalb unmöglich, weil die Zuständigkeitsanordnung mit Wirkung
vom 1. November 1968 ausdrücklich durch die gleichnamige Anordnung vom
25. Oktober 1968 aufgehoben worden sei. Gagenstand eines abstrakten
Normenkontrollverfahrens könne aber nur eine bestehende Norm sein. Der
Umstand, daß die Zuständigkeitsanordnung auf einer bundesgesetzlichen
Ermächtigung beruhe, stehe der Prüfung durch ein Landesverfassungsgericht
entgegen. Die Zuständigkeitsanordnung besitze keine eigentlich selbständige
Bedeutung. Zum Erlaß der Regelung sei die Landesregierung kraft
bundesgesetzlicher Bestimmung verpflichtet. Prüfungsmaßstab des
vorliegenden Verfahrens sei aber nicht Bundesrecht. Die
verfassungsgerichtliche Überprüfung durch den Staatsgerichtshof müsse
deshalb partiell bleiben. Auch in einem verfassungsgerichtlichen abstrakten
Normenkontrollverfahren bedürfe es eines schutzwürdigen Interesses. Hieran
fehle es. Der einzige Zweck des Normenkontrollantrages sei, einer
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in einem Anfechtungsprozeß
zuvorzukommen. – Die streitige Zuständigkeitsanordnung sei nicht Gesetz im
Sinne von Art. 131 HV.
Der Antrag sei auch unbegründet. Die Bestimmung der für die Ausführung der
Bundesgesetze zuständigen Behörde durch eine Länderregierung erfolge im Wege
der Rechtsverordnung, weil sie eine im Außenverhältnis verbindliche
Zuständigkeitsregelung sei. Für ihre Rechtsnatur sei ohne Bedeutung, daß sie
nicht die Bezeichnung "Verordnung" oder "Rechtsverordnung" führe. Zur Erlangung
der Rechtswirksamkeit hätte die Zuständigkeitsanordnung im Gesetz- und
Verordnungsblatt verkündet werden müssen. Nach der Verordnung vom 24.
Oktober 1945 sei das Gesetz- und Verordnungsblatt für Verordnungen der
Staatsregierung vom Erscheinen im Jahre 1945 an das Verkündungsorgan
gewesen. Die Hessische Verfassung habe diese Rechtslage nicht geändert. Die
Festlegung des Gesetz- und Verordnungsblattes als Publikationsorgan auch für
Verordnungen des Landes sei zwar nicht ausdrücklich bestimmt, aber deutlich
beiläufig in Art. 110 Satz 3, 120 bis 122 HV erwähnt. Selbst wenn aber die
Hessische Verfassung das Gesetz- und Verordnungsblatt nicht als
Verkündungsorgan für Verordnungen der Landesregierung festgelegt hätte, sei die
Zuständigkeitsanordnung nicht ordnungsgemäß verkündet worden. Wenn die
Verfassung die Verkündung nicht normiere, müsse der Landesgesetzgeber dies
durch einfaches Gesetz bestimmen. Es gebe bei geschriebenen Rechtsnormen
nicht nur eine denkbare Verkündungsweise. Daraus folge die Notwendigkeit einer
Festlegung. Außer der Bekanntmachung des Ministers des Innern vom 19.
September 1946 (StAnz. S. 25), daß alle amtlichen Anordnungen der obersten
Landesbehörden im Staatsanzeiger zu veröffentlichen seien, gebe es in Hessen im
Gegensatz zu anderen Bundesländern keine gesetzliche Regelung des
Verkündungswesens für Verordnungen. Der Staatsanzeiger könne auch nicht
gewohnheitsrechtlich zum Verkündungsorgan für Verordnungen geworden sein,
weil es der Landesgesetzgeber wiederholt für erforderlich gehalten habe, den
Staatsanzeiger als Verkündungsorgan ausdrücklich zu bestimmen. Die
Verkündung der Anordnung vom 26. Mai 1959 im Staatsanzeiger sei auch schon
deshalb nicht rechtswirksam, weil sie an der falschen Stelle erfolgt sei. Die
Ausgabe Nr. 28 des Staatsanzeigers 1959 habe aus zwei Teilen bestanden, deren
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Ausgabe Nr. 28 des Staatsanzeigers 1959 habe aus zwei Teilen bestanden, deren
erster die Funktion eines Gemeinsamen Ministerialblattes erfülle, wogegen der
zweite Teil als "Öffentlicher Anzeiger" bestimmt sei. Bei dieser Aufteilung brauche
ein interessierter Normadressat nur den "Öffentlichen Anzeiger" zu lesen. Dort sei
aber die Zuständigkeitsanordnung nicht abgedruckt. Verordnungen zum selben
Gegenstand dürften nicht einmal im Gesetz- und Verordnungsblatt, ein andermal
im Staatsanzeiger wirksam verkündet werden. Einer alternativen
Nebeneinanderstellung mehrerer Bekanntmachungsmöglichkeiten fehle es an der
erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit. Mindestens bedürfte es in solchen Fällen
eines Hinweises im Gesetz- und Verordnungsblatt. Das Erfordernis einer
Bekanntmachungsregelung entfalle auch nicht deshalb, weil es sich um eine
Organisationsverordnung handele. Zuständigkeitsnormen seien Rechtssätze, die
der Verkündung bedürften. Auch müsse der ordnungsmäßige Erlaß nachprüfbar
sein. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen lasse sich eine Ausnahme nicht
vereinbaren.
d) Diesen Ausführungen haben sich weitere 22 Kläger der
verwaltungsgerichtlichen Verfahren angeschlossen, während die Flughafen
Frankfurt/Main AG dem Standpunkt des Ministerpräsidenten beigetreten ist.
III.
1. Der Antrag des Ministerpräsidenten ist zulässig.
Nach Art. 131, 132 HV trifft nur der Staatsgerichtshof eine Entscheidung darüber,
ob ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch
steht. Diese Zuständigkeitsvoraussetzung ist erfüllt; die am 26. Mai 1959
erlassene Anordnung über die Zuständigkeiten nach dem Luftverkehrsgesetz vom
10. Januar 1959 (StAnz. 1959 S. 720) gehört zu den Rechtsverordnungen, deren
Verfassungsmäßigkeit der Prüfung durch den Staatsgerichtshof unterliegt.
a) Rechtsverordnungen sind generelle abstrakte Rechtssätze, die nicht im
förmlichen Gesetzgebungsverfahren entstehen, aber dennoch allgemein-
verbindlich sind und als Gesetze im materiellen Sinne bezeichnet werden
(Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl., I. Band, S. 125 ff; Maunz-
Dürig, Komm. zum GG, RdNr. 1 zu Art. 80). Sie gliedern sich ihrem Inhalt
entsprechend in verschiedene Gruppen. Eine dieser Gruppen bilden die
Ausführungsverordnungen, deren Hauptanwendungsbereich die Regelung von
Verfahrensbestimmungen und Zuständigkeiten ist (Jacobi in Anschütz-Thoma,
Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1932, Bd. II, S. 243; Wolff,
Verwaltungsrecht I, 6. Aufl., 1965, § 25 VII) Zu dieser Gruppe gehört die
Zuständigkeitsanordnung der Landesregierung. Dem widerspricht nicht, daß
diese Vorschrift von der Landesregierung die Bezeichnung "Anordnung"
erhalten hat, denn die Bezeichnung besagt nichts darüber, in welche Gruppe
der im Rang unter dem Gesetz stehenden Regelungen der Landesregierung,
die traditionell entweder Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften
sind, sie einzugliedern ist (vgl. Hauck, NJW 1957 S. 809 (810)). Hierfür sind
vielmehr Inhalt und Wirkungskreis, aber auch Funktionszugehörigkeit
maßgebend. Die Hessische Vorfassung ist auf dem Grundsatz der
Gewaltenteilung aufgebaut (Zinn-Stein, Komm. zur Verfassung des Landes
Hessen, Teil B Einf. IV S. 23, 24; StGH, Urteil vom 24. November 1966 – P. St.
414 –, StAnz. 1966 S. 1612 = DÖV 1967 S. 51 = ESVGH Bd. 17 S. 1 ff und
vom 4. Dezember 1968 – P. St. 514 und 520 –, StAnz. 1969 S. 33 = ESVGH
Bd. 19 S. 140 = DÖV 1969 S. 34), der bei der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit der im Rang unter dem Gesetz stehenden Vorschriften
zu beachten ist.
Zurückgehend auf Laband (Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5.
Aufl., 1911, S. 87) unterschied man die Rechtsverordnung von der
Verwaltungsvorschrift in erster Linie nach ihrem Rechtssatzcharakter. Indessen hat
sich der Begriff des Rechtssatzes gewandelt (vgl. Jasch, Gesetz und Verwaltung,
1961, S. 12; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958, S. 233, 245,
157, 272). Nach Laband (aaO, S. 4, 11, 22) und Georg Jellinek (Gesetz und
Verordnung, 1887, S. 240, 366 ff) war eine Regelung dann ein Rechtssatz, wenn er
die Befugnisse und Pflichten der Einzelnen gegeneinander in dem durch das
gesellige Zusammenleben gebotenen Umfang abgrenzte und beschränkte. Im
Anschluß an Anschütz (Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der
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Anschluß an Anschütz (Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der
gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des königlichen Verordnungsrechts nach
preußischem Staatsrecht, 2. Aufl., 1901, S. 169 ff) wurde die sogenannte Freiheit-
Eigentum-Formel entwickelt, die die Aufgabe des Rechtssatzes darin sah,
Schranken der persönlichen Freiheit im allgemeinen, dem Eigentum im
besonderen zu ziehen; anderenfalls war die Norm keine Rechtsnorm. Diese
Rechtssatzdefinitionen bezogen sich jedoch nur auf das allgemeine
Gewaltverhältnis des Bürgers zum Staat und betrafen ausschließlich den privaten
Rechtskreis des Einzelnen. Beide Begriffsbestimmungen erlaubten es, nur solche
Anordnungen als Rechtssätze anzusehen, die nach der damaligen
Verfassungslage unmittelbar oder mittelbar, vermöge einer Ermächtigung, von der
Legislative ausgingen (Böckenförde. Die Organisationsgewalt im Bereich der
Regierung, S. 63). Auf Grund der mannigfaltigen sozialen Aufgaben, die der Staat
gegenüber dem Bürger zu erfüllen hat und die sich nicht nur in einem allgemeinen
Gewaltverhältnis erschöpfen, sondern überwiegend im Rahmen eines besonderen
Gewaltenverhältnisses zu leisten sind, hat auch der Rechtssatzbegriff eine
Erweiterung erfahren. Die Unterscheidung zwischen Rechtsverordnung und
Verwaltungsvorschrift wird daher heute nach folgenden formellen und inhaltlichen
Merkmalen getroffen.
Während zum Erlaß von Rechtsverordnungen der Ordnunggeber durch Gesetz
ermächtigt werden muß (Gesetzesvorbehalt), er die Rechtsgrundlage in der
Verordnung anzugeben hat und die Rechtsverordnung hinsichtlich ihrer
Rechtswirksamkeit einem Verkündungszwang unterliegt, ist dies für
Verwaltungsvorschriften nicht erforderlich. Sie sind Regelungen der Exekutive im
Rahmen ihres Geschäftsbereichs, deren Bekanntgabe an die nachgeordneten
Behörden durch innerdienstliche Rundschreiben im allgemeinen genügt, es sei
denn, daß insoweit eine besondere Vorschrift besteht (Maunz-Dürig, aaO, RdNr. 32
zu Art. 84; Forsthoff, aaO, S. 132; Obermayer, JZ 1962 S. 64; Selmer,
Verwaltungsarchiv, 1968, S. 114 (115)). Inhaltlich unterscheiden sich die Gruppen
dadurch, daß die Rechtsverordnung sich mit Außenwirkung berechtigend und
verpflichtend an den Bürger wendet (BVerfGE 8, 71 (75)), während
Verwaltungsvorschriften nicht für den einzelnen Staatsbürger verbindlich sind,
sondern sich verwaltungsintern, also mit Innenwirkung, an die nachgeordneten
Behörden wenden (BVerfGE 1, 82 (83)). Nach diesen für den Wirkungsbereich
herausgestellten Merkmalen kommt der Anordnung vom 26. Mai 1959 sowohl
Innen- als auch Außenwirkung zu. Die Bestimmung des Ministers für Wirtschaft und
Verkehr als Planfeststellungsbehörde im Sinne des § 10 Abs. 1 Luft-VG 1959 ist
eine organisatorische Regelung, die eine Zuständigkeit innerhalb des
Geschäftsbereichs der Behörde festlegt. Insoweit hat die Anordnung eine
verwaltungsinterne Wirkung. Sie bindet aber auch den Staatsbürger insofern, als er
sich in einem Planfeststellungsverfahren nach dem Luftverkehrsgesetz nur an den
Minister für Wirtschaft und Verkehr als die zuständige Planfeststellungsbehörde
wenden kann. Hierin besteht die Außenwirkung der Anordnung. Sie gibt dagegen
dem Staatsbürger keine Rechte, sondern erschöpft sich in einem Gebot. Dieser
einseitigen Wirkung wegen kann der Norm jedoch der Rechtssatzcharakter nicht
abgesprochen werden; denn die organisatorische Anordnung ist rechtsverbindlich
mit Zuständigkeiten ausgestattet, die nicht nur im Verhältnis der Behörden
zueinander, sondern auch nach außen wirksam werden. Sie hat
allgemeinverbindliches Recht geschaffen, weshalb sie als Kreationsakt von Recht
und somit als Rechtsverordnung angesehen werden muß (Forsthoff, aaO, S. 410;
vgl. hierzu Rasch, Die staatliche Verwaltungsorganisation, 1967, S. 131, 132;
Ossenbühl, DVBl. 1969 S. 526 (528), die übereinstimmend ein subjektiv-
öffentliches Recht des Bürgers bejahen, daß die Behörden zuständigkeitsgemäß
handeln; siehe auch BVerfGE 8, 71 (75)). Diese Zuordnung erfährt auch dann
keine Änderung, wenn entsprechend dem Gewaltenteilungsprinzip bei der
Abgrenzung zwischen Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift von den
Funktionsbereichen der Legislative und Exekutive ausgegangen wird.
b) Während nämlich im 19. Jahrhundert die Kompetenzbereiche von Legislative
und Exekutive den Macht- und Einflußbereich zweier verschiedener politischer
Größen, des Königs und des Volkes bzw. deren Repräsentanten,
kennzeichneten, sind nach der heutigen Verfassungssituation diese beiden
Gewalten demokratisch-legitimierte Funktionen, die von dem Inhaber der
Staatsgewalt, dem Volke (Art. 70 HV), ausgehen und die durch die Verfassung
konstituiert sind. Im Bereich der Exekutive wird die Staatsgewalt unmittelbar
durch ihre Organe ausgeübt; die vollziehende Gewalt ist nicht erst kraft
gesetzlicher Delegation zur Wahrnehmung öffentlicher Gewalt berechtigt.
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gesetzlicher Delegation zur Wahrnehmung öffentlicher Gewalt berechtigt.
Legislative und Exekutive sind bei der Ausübung ihrer Funktionen weder scharf
voneinander getrennt, noch kommt einer der beiden Teilgewalten gegenüber
der anderen ein Übergewicht zu. Ihr Verfassungsauftrag besteht vielmehr
darin, daß sie sich wechselseitig kontrollieren und begrenzen (BVerfGE 9, 268
(279)). Die Bindung an das Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende
Bestimmung (Art. 2 Abs. 2 HV) bedeutet daher nicht, daß die Exekutive einem
allgemeinen Gesetzesvorbehalt unterliegt, sondern sie verbietet ein
Tätigwerden gegen das Gesetz und besagt zugleich, daß die Ausübung dieser
Funktion durch Gesetz und Gesetzesvorbehalt beschränkbar ist (Böckenförde,
Organisationsgewalt, 1964, S. 79 ff; Bullinger, Vertrag und Verwaltungsakt, S.
94; Hans Peters, Verwaltung ohne gesetzliche Ermächtigung?, Festschrift für
Hans Huber, S. 206 bis 221; BVerfGE 9, 268 (279); HessVGH, Urteil vom 29.
November 1962, ESVGH 14, 50 (58, 59) = DVBl. 1963, 443; a. A. Friesenhahn,
VVDStRL Heft 16 S. 37, 69; Spanner, DÖV 1957, 460; Jesch, aaO, S. 95).
Die Zuständigkeitsanordnung ist eine Organisationsregelung.
Organisationsmaßnahmen der Exekutive können sowohl auf einer
verfassungsunmittelbaren Regelungsgewalt als auch auf einer gesetzlichen
Delegation durch das Parlament beruhen (Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und
Grundgesetz, 1968, S. 276). Die Hessische Verfassung enthält im Gegensatz zu
den Verfassungen der Länder Baden-Württemberg (Art. 70), Bayern (Art. 77),
Berlin (Art. 51), Hamburg (Art. 57), Niedersachsen (Art. 43), Nordrhein-Westfalen
(Art. 77) und Schleswig-Holstein (Art. 38) keine Vorschrift, die eine Regelung der
Behördenzuständigkeit durch Gesetz erfordert. Die Zuständigkeitsregelungen sind
vielmehr in Hessen von der Exekutive zu treffen, sie sind jedoch dem Parlament
vorzulegen, das sie ändern oder außer Kraft setzen kann (Art. 104 Abs. 2 HV).
Inwieweit hierin ein Gesetzesvorbehalt liegt, kann dahingestellt bleiben, weil die
Zuständigkeitsanordnung auf einer bundesgesetzlichen Ermächtigung beruht.
Daraus, daß die Landesregierung die Planfeststellungsbehörde in Hessen auf
Grund eines Gesetzes bestimmt hat, ist allerdings noch nicht abzuleiten, daß dies
auch verfassungsrechtlich geboten war (vgl. Ossenbühl, aaO, S. 255; BVerfGE 8,
155 (167)). Hierfür ist der Allgemeinvorbehalt des Gesetzes heranzuziehen. Er ist
für Hessen in Art. 2 Abs. 2 HV dahin normiert, daß niemand zu einer Handlung,
Unterlassung oder Duldung gezwungen werden kann, wenn nicht ein Gesetz oder
eine auf Gesetz beruhende Bestimmung es verlangt oder zuläßt. Eingriffe in das
Eigentum verlangen demnach eine auf Gesetz beruhende Regelung. Die
Planfeststellung im Sinne des Luftverkehrsgesetzes aber gehört zur
Eingriffsverwaltung, von der das Eigentum des Einzelnen, z. B. zur Anlage von
Flughäfen, betroffen werden kann, denn die Planfestsetzung ersetzt alle nach
anderen Rechtsvorschriften notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen,
Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen. Sie regelt alle öffentlich-rechtlichen
Beziehungen zwischen dem Unternehmer und den vom Plan Betroffenen
rechtsgestaltend (§ 8 Abs. 1 LuftVG). Folglich kann in Hessen eine
Planfeststellungsbehörde, die diese Aufgabe wahrzunehmen hat, nur durch eine
auf ein Gesetz zurückzuführende Vorschrift bestimmt werden, wenn sie
verfassungsgemäß sein soll (vgl. hierzu auch Rasch, aaO, S. 189, 190). Sie gehört
daher nicht zu den Zuständigkeitsregelungen, die die Exekutive auf Grund ihrer
originären Organisationsgewalt treffen kann. Mit ihr wird vielmehr eine bestehende
Behörde mit neuen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Die
Zuständigkeitsanordnung unterliegt deshalb in Hessen dem allgemeinen
Gesetzesvorbehalt. Sie steht nicht zwischen Verwaltungsvorschriften und
Rechtsverordnungen, denen sie nur infolge ihres Wirkungskreises zuzurechnen
wäre. Sie gehört vielmehr uneingeschränkt in die Gruppe der Rechtsverordnungen.
c) Diese Rechtsverordnung beruht – wie ausgeführt – auf einer
bundesgesetzlichen Ermächtigung. Mit ihr hat die Landesregierung
Landesrecht geschaffen, das an die Bestimmungen der Hessischen
Verfassung gebunden ist (Maunz-Dürig, aaO, RdNr. 21 zu Art. 80; Giese-
Schunck, Komm. zum GG, 6. Aufl., 1962, Anm. II 2 zu Art. 80; BVerfGE 18, 404
(414)). Dieser herrschenden Auffassung schließt sich der Staatsgerichtshof
unter Aufgabe seiner früheren Rechtsansicht (Beschluß vom 26. Oktober 1956
– P. St. 208, DÖV 1957 S. 189; a. A. weiterhin Menger/Erichsen, VerwArch. Bd.
57, 1966, S. 64 (70)) an. Insbesondere muß die landesverfassungsrechtliche
Nachprüfung einer Rechtsverordnung, die auf einer bundesgesetzlichen
Ermächtigung beruht, nicht partiell bleiben. Es sind keine Hinderungsgründe
erkennbar, Form und Inhalt einer solchen Verordnung im vollen Umfang an der
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erkennbar, Form und Inhalt einer solchen Verordnung im vollen Umfang an der
Hessischen Verfassung zu messen. Zwar wird die Zuständigkeitsanordnung
rechtlich bedeutungslos, wenn das Luftverkehrsgesetz außer Kraft tritt; doch
würde dies nicht ihre Auswirkungen für die Zeit ihrer Geltung beseitigen.
d) Für die Befugnis des Staatsgerichtshofs, über die Verfassungsmäßigkeit von
Rechtsverordnungen zu entscheiden, ist aus der Hessischen Verfassung keine
ausdrückliche Abgrenzung zu entnehmen. Der auf Zinn-Stein (aaO, Anm. B I 2
a zu Art. 131 bis 133) gestützten Auffassung, neben den auf gesetzlicher
Ermächtigung beruhenden Rechtsverordnungen gehörten hierzu auch die auf
eine unmittelbare verfassungsrechtliche Kompetenz zurückgehenden
Rechtsnormen sowie die von sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften
und Anstalten gesetzten Rechtsvorschriften, wie Satzungen, Bebauungspläne
usw., kann der Staatsgerichtshof nicht folgen. Während Art. 131 HV die
Kontrollbefugnis des Staatsgerichtshofs nur auf Gesetze bezieht, erweitert Art.
132 sie auch auf Rechtsverordnungen unter Wiederholung der
Überprüfungszuständigkeit für Gesetze. Mit dieser Nebeneinanderstellung hat
der Verfassunggeber zugleich den Rahmen für das Kontrollmonopol des
Staatsgerichtshofs gezogen; es unterliegen seiner Prüfungsbefugnis demnach
jedenfalls diejenigen Rechtsverordnungen, die sowohl nach der Rangstellung
des Verordnunggebers innerhalb der Exekutive als auch nach ihrem
Wirkungskreis einem Gesetz ebenbürtig sind. Hierzu zählen die
gesetzesvertretenden Verordnungen nach Art. 118 HV und auch die in Art.
107 HV aufgeführten Ausführungsverordnungen, die als Rechtsverordnungen
ergehen und deren enge Beziehung zum Gesetz darin besteht, daß sie den im
auszuführenden Rechtssatz enthaltenen Rechtsgedanken ausbauen. Die
Verordnunggeber der in den Art. 118, 107 HV genannten Rechtsverordnungen
sind die Landesregierung und die Minister als die ranghöchsten Organe der
vollziehenden Gewalt. Im Vergleich mit dem Gesetz liegt daher auch
hinsichtlich des erlassenden Organs Ebenbürtigkeit vor. Für die zu prüfende
Norm ist deshalb die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs gegeben (vgl. auch
HessVGH, Beschluß vom 6. Dezember 1968, DVBl. 1969 S. 554 = Gemtag
1969 S. 205, der verneint, daß Rechtsverordnungen unterhalb der
Landesebene dem Prüfungsmonopol des Staatsgerichtshofs unterlägen, weil
anderenfalls § 42 Abs. 1 StGHG auch den mit den Vorarbeiten für diese
Verordnungen befaßten Behörden ein Anhörungsrecht eingeräumt hätte).
Der Staatsgerichtshof ist daher für die Entscheidung über die
Verfassungsmäßigkeit der Anordnung vom 26. Mai 1959 zuständig.
2. Gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen auch im übrigen keine
Bedenken.
Insbesondere steht der Zulässigkeit nicht entgegen, daß die Anordnung mit
Wirkung vom 1. November 1968 aufgehoben worden ist (§ 2 der Anordnung über
Zuständigkeiten nach dem LuftVG vom 25. Oktober 1968, GVBl. I S. 274), denn die
Anordnung vom 26. Mai 1959 vermag, wie die schwebenden
Verwaltungsstreitverfahren zeigen, noch Rechtswirkungen zu äußern. Mithin ist sie
dem noch bestehenden Recht zuzurechnen (Maunz, Sigloch, Schmidt-Bleibtreu,
Klein, BVerfGG, 1967, RdNr. 11 zu § 13; Lechner, BVerfGG, 2. Aufl., 1967, Anm. 2 f
zu § 13 Ziff. 6 und Anm. 4 d zu § 13 Ziff. 11; BVerfGE 5, 25 (28); 20, 56 (94)).
Für einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle ist auch kein besonderes
Rechtsschutzbedürfnis nachzuweisen. Es muß jedoch ein objektives Interesse an
der Klarstellung der Gültigkeit der Norm bestehen (Zinn-Stein, aaO, Anm. B 1 zu
Art. 131 bis 133; Babel, Probleme der abstrakten Normenkontrolle, 1965, S. 60;
Lechner, BVerfGG, 2. Aufl., 1967, Anm. 6 b zu § 13 Ziff. 6; Anm. 4 b zu § 76;
Leibholz-Rupprecht, BVerfGG, 1968, Anm. 5 zu § 76; Holtkotten, Bonner
Kommentar, Anm. II B c zu Art. 93; in diesem Sinne sind wohl auch die
Ausführungen von Maunz, Sigloch, Schmidt-Bleibtreu, Klein, aaO, RdNr. 41 zu § 13
zu verstehen; BVerfGE 1, 396 (407)). Ein solches Kontrollbedürfnis ist hier
gegeben.
3. Das Äußerungsrecht des Ministers für Wirtschaft und Verkehr als Mitglied der
Landesregierung folgt aus § 42 Abs. 1 StGHG.
4. Den übrigen Beteiligten der Verwaltungsstreitverfahren steht im abstrakten
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4. Den übrigen Beteiligten der Verwaltungsstreitverfahren steht im abstrakten
Normenkontrollverfahren kein Äußerungsrecht zu. Das folgt aus der
Besonderheit dieses Verfahrens, dessen Ziel allein die objektive Klarstellung
der Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsanordnung vom 26. Mai 1959 ist.
Es ist mithin allein die von subjektiven Rechten und Rechtsauffassungen
unabhängige Frage zu entscheiden, ob objektives Recht besteht oder nicht;
am Maßstab von Normen höheren Ranges werden in einem objektiven
Verfahren Rechtsnormen niedrigeren Ranges auf ihre Gültigkeit geprüft und
das Ergebnis der Prüfung durch Richterspruch festgestellt (BVerfGE 1, 208,
219, 220; 1, 396 (406, 414); 20, 56 (86)). Es gibt daher in diesem Verfahren
keine "Beteiligten". Ob Verwaltungsstreitverfahren, in denen incidenter über
die Gültigkeit der genannten Anordnung entschieden wurde, dem
Ministerpräsidenten unmittelbar Anlaß zu seinem Antrag gegeben haben, ist
ohne Bedeutung. Dem Staatsgerichtshof erschien es jedoch angebracht, in
Ausübung des ihm in § 14 Abs. 1 Satz 2 StGHG eingeräumten freien
Ermessens die Kläger der verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die dort
Beigeladene anzuhören. Er ging dabei von folgenden Erwägungen aus.
Das Bundesverfassungsgericht gibt im abstrakten Normenkontrollverfahren den in
§ 77 BVerfGG genannten Verfahrensorganen Gelegenheit zur Äußerung zum
Normenkontrollantrag, kennt aber im übrigen keine Verfahrensbeteiligten
(Leibholz-Rupprecht, aaO, Anm. zu § 77; Lechner, aaO, Anm. 2 zu § 77). Es hat
bisher die Vorschrift des § 82 Abs. 3 BVerfGG, die für das konkrete
Normenkontrollverfahren eine Anhörung der Parteien des Ausgangsprozesses
vorsieht, auch im abstrakten Normenkontrollverfahren angewendet. Außerdem hat
es die in § 82 Abs. 2 in Verbindung mit § 77 BVerfGG genannten
Verfassungsorgane über den gesamten Prozeßstoff unterrichtet und ihnen
Gelegenheit zur wiederholten Äußerung und Gegenäußerung auch in der
mündlichen Verhandlung gewährt. Dies ist eine den praktischen Bedürfnissen
folgende Fortentwicklung des Verfahrensrechts durch Gerichtsgebrauch (Lechner,
aaO, Anm. 2 zu § 77; BVerfGE 20, 56 (75)). Auch im Verfahren über eine
Verfassungsbeschwerde, die sich unmittelbar oder mittelbar gegen das Gesetz
richtet und damit incidenter zur Normenkontrolle führt, hat das
Bundesverfassungsgericht aus dem Sinn und Zweck von § 94 Abs. 5 BVerfGG, der
die Möglichkeit des Verzichts eines beteiligten Verfassungsorgans auf mündliche
Verhandlung vorsieht, sowie im Zusammenhang mit § 94 Abs. 4 BVerfGG
gefolgert, daß die in § 77 BVerfGG genannten Verfassungsorgane ein Äußerungs-
und Beitrittsrecht haben (Urteil vom 25. Juni 1968, NJW 1968, 1467 (1468)). Dieser
vom Bundesverfassungsgericht geübten Verfahrensgestaltung im abstrakten
Normenkontrollverfahren schließt sich der Staatsgerichtshof an. Er befindet sich
dabei im Einklang mit einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs des Landes
Baden-Württemberg – 1/1967 – (DÖV 1969 S. 249 (251)), wo ausgeführt ist:
"Dadurch, daß den Parteien des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung
gegeben werden kann, läßt sich auch ein gewisses "Ungleichgewicht" vermeiden,
das entsteht, wenn das Ausgangsverfahren wie hier ein Verwaltungsprozeß ist. In
den meisten derartigen Verfahren ist das Land BW Beteiligter des
Verwaltungsprozesses; im Gegensatz zum Bürger ist es aber durch die
Landesregierung (§ 51 Abs. III, § 48 Abs. I StGHG) auch am
Normenkontrollverfahren beteiligt. Dies könnte je nach Lage des Falles zu einem
solchen Übergewicht des Landes gegenüber der anderen Partei führen, die nur im
Ausgangsverfahren gehört wurde, daß deren Anhörung vor dem StGH geradezu
geboten erschiene, um das Gleichgewicht der Partner des Ausgangsverfahrens
wiederherzustellen."
IV.
Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsanordnung bestehen keine
durchgreifenden Bedenken.
1. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern für das rechtswirksame
Zustandekommen einer Rechtsverordnung eine Weise der Veröffentlichung,
die dem Staatsbürger zugänglich ist (Laband, aaO, S. 13 ff, 54 ff; Jacobi in
Anschütz-Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. II, § 77 VIII 3;
Fleiner, Institutionen, 6/7. Aufl., S. 72 f; Weber, Die Verkündung von
Rechtsvorschriften, 1942, S. 7, 8, 10, 50; BVerfGE 7, 330 (337); BVerwG, Urteil
vom 29. August 1961, DVBl. 1962 S. 137; BVerwGE 17, 192 (196)). Die
Hessische Verfassung sieht in Art. 120 vor, daß die verfassungsmäßig
zustande gekommenen Gesetze vom Ministerpräsidenten mit den
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zustande gekommenen Gesetze vom Ministerpräsidenten mit den
zuständigen Ministern auszufertigen und binnen zwei Wochen im Gesetz- und
Verordnungsblatt zu verkünden sind. Für Rechtsverordnungen der
Landesregierung fehlt eine gleichlautende Regelung in der Hessischen
Verfassung, wie sie für das Land Groß-Hessen gegolten hatte (vgl. Verordnung
betreffend die Verkündung von Gesetzen und Verordnungen der Groß-
Hessischen Staatsregierung vom 24. Oktober 1945, GVBl. S. 1; Art. 7 des
Staatsgrundgesetzes des Staates Groß-Hessen vom 22. November 1945,
GVBl. S. 23). Das Staatsgrundgesetz ist nach Art. 160 Abs. 1 HV mit Wirkung
vom 1. Dezember 1946 außer Kraft getreten. Spätestens mit diesem
Zeitpunkt ist auch die Verordnung vom 24. Oktober 1945 (aaO) als
aufgehoben anzusehen, denn sie enthielt nur eine Verkündungsregelung bis
zur Herausgabe eines besonderen Gesetz- und Verordnungsblattes im Lande
Groß-Hessen.
Die in Art. 120 HV enthaltene Verkündungsvorschrift ist nicht deshalb
entsprechend auf Rechtsverordnungen anzuwenden, weil auch diese Gesetze im
materiellen Sinne sind. Wie der Zusammenhang dieses Artikels mit den übrigen
Artikeln des Abschnitts VI der Hessischen Verfassung, insbesondere mit den
Artikeln 116, 119 zeigt, sind in Art. 120 HV nur die formellen Gesetze gemeint, die
von der Legislative beschlossen worden sind, nicht aber auch Rechtsvorschriften,
die auf einer Delegation der Gesetzgebungsgewalt beruhen.
Auch aus der Erwähnung des "Gesetz- und Verordnungsblattes" in den Artikeln
110 Satz 3, 121, 122 HV kann nicht ein in Hessen geltender Verfassungsgrundsatz
abgeleitet werden, daß die rechtswirksame Verkündung von Rechtsverordnungen
in diesem Publikationsorgan zu erfolgen hätte (a. A. Hess. VGH Beschluß vom 12.
August 1965 – R IV 4/64 –, StAnz. 1966 S. 185, berichtigt S. 891 = Gemeindetag
1966 S. 360; Urteil vom 6. September 1967 – OS II 49/65 –, DVBl. 1968 S. 259, der
aber möglicherweise insoweit nur einen Gesetzmäßigkeits-, keinen
Verfassungsgrundsatz im Auge hatte). Ferner kann nicht aus der Anführung des
"Gesetz und Verordnungsblattes" in der Hessischen Verfassung eine
verfassungsgrundsätzliche Regelung dahingehend entnommen werden, daß dem
Bürger garantiert wird, in welchem Verkündungsblatt er die für ihn geltenden
Normen zu finden hat.
2. Eine solche Garantie kann auch nicht aus der historischen Entwicklung
hergeleitet werden.
Das Allgemeine Landrecht von 1794 regelte in seinem Teil I, §§ 10 und 11
Verkündungszwang und Verkündungsort bzw. -organ.
( § 10: Das Gesetz erhält seine rechtliche Verbindlichkeit erst von der Zeit an, da
es gehörig bekannt gemacht worden.
§ 11: Es müssen daher alle gesetzlichen Verordnungen, ihrem völligen Inhalte
nach, an den gewöhnlichen Orten öffentlich angeschlagen, und im Auszug in den
Intelligenzblättern der Provinz, für welche sie gegeben sind, bekannt gemacht
werden.)
In der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 24. Juni 1867 (Pr. GS 1867 S.
817) war in Art. 2 Satz 2 bestimmt: "Die Bundesgesetze erhalten ihre verbindliche
Kraft durch ihre Verkündigung von Bundes wegen, welche vermittelst eines
Bundesgesetzblattes geschieht." Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.
April 1871 (RGBl. 1871 S. 63) enthielt in Art. 2 Satz 2 eine fast gleichlautende
Bestimmung: "Die Reichsgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre
Verkündigung von Reichs wegen, welche vermittelst eines Reichsgesetzblattes
geschieht." Diese verfassungsmäßig festgelegten Verkündungsvorschriften über
den Ort der Veröffentlichung lassen übereinstimmend erkennen, daß die amtliche
Bekanntgabe des Gesetzes im Gesetzblatt ein wesentlicher Bestandteil, nicht nur
eine zusätzliche Maßnahme beim Gesetzgebungsverfahren war (Laband, aaO, Bd.
2 S. 1, 13 und 23; Giese, Verkündung und Gesetzeskraft, ArchÖR, Bd. 76 S. 464
(469)). Der Grund für die verfassungsrechtliche Verkündungsregelung in der
Verfassung des Norddeutschen Bundes und der Reichsverfassung dürfte vor allem
darin gelegen haben, daß die Bundesgewalt gegenüber den gliedstaatlichen
Gewalten absolut gefestigt werden mußte (Draht, Der Verfassungsrang der
Bestimmungen über die Gesetzblätter, in Forschungen und Berichte aus dem
öffentlichen Recht, Bd. 6, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, S. 237 (244)), diese
Sicherung aber nur durch einen Verfassungssatz erreicht werden konnte.
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Die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt im Lande Hessen bedarf, auch soweit
sie der Exekutive übertragen worden ist, einer solchen Stütze nicht mehr. Zwar ist
die Verkündungspflicht weiterhin ein Verfassungssatz, der sichern soll, daß ein
jeder, den die in Geltung zu setzende Norm angeht, in der Lage ist, so zuverlässig
und rechtzeitig Kenntnis zu nehmen, daß die Nichtkenntnis ihm nach Treu und
Glauben als Selbstverschulden zur Last gelegt werden kann (Giese, aaO, S. 467).
Das Staatsorgan, das diese Verkündungspflicht zu erfüllen hat, ist aber bei der
Auswahl des Publikationsorgans verfassungsmäßig nicht gebunden. Es muß aber
eine Veröffentlichungsform wählen, die dem Betroffenen ohne Erschwernis
zugänglich ist (ähnlich auch Draht, aaO, S. 238, 239).
Auch das Inkrafttreten des Grundgesetzes hat nicht auf die Hessische Verfassung
dahingehend eingewirkt, daß Rechtsverordnungen im Gesetzblatt zu verkünden
sind. Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt zwar vor, daß Rechtsverordnungen von der
Stelle, die sie erläßt, ausgefertigt und vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher
Regelung im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Das Bundesverfassungsgericht
hat wiederholt erkannt, daß die Verfassung der Gliedstaaten nicht allein in der
Landesverfassungsurkunde enthalten ist, sondern in sie auch Bestimmungen der
Bundesverfassung hineinwirken und beide Elemente erst zusammen die
Verfassung des Gliedstaates ausmachen (BVerfGE 1, 208 (232); BVerfG, Urteil
vom 22. Juli 1969, DÖV 1969 S. 633 (634)). Das Grundgesetz erhebt in Art. 82 Abs.
1 Satz 2 zum Verfassungsprinzip aber nur die Verkündungspflicht des
Gesetzgebers und weist diesen an, das Publikationsorgan zu benennen,
anderenfalls nur im Bundesgesetzblatt rechtswirksam verkündet werden kann.
Damit ist dem Gesetzgeber auferlegt, im Wege der einfachen Gesetzgebung den
Ort der Veröffentlichung zu bestimmen. Die Versäumung dieser Pflicht verletzt
aber keinen Verfassungssatz des demokratischen Rechtsstaates, sondern hat zur
Folge, daß unter Nichtbeachtung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
von der Exekutive erlassene Rechtsverordnungen wirkungslos bleiben, weil der
Bürger keine Kenntnis von dem zuständigen Veröffentlichungsblatt zu erlangen
vermag, in dem die Rechtsverordnung zu finden ist.
Der Staatsanzeiger des Landes Hessen, in welchem die Zuständigkeitsanordnung
veröffentlicht wurde, wird vom Minister des Innern herausgegeben. Dieser hat in
seinem Erlaß vom 19. September 1946 (StAnz. 1946 S. 25) angekündigt, daß alle
amtlichen Anordnungen der obersten Landesbehörden in diesem
Verordnungsblatt veröffentlicht werden. Wenn auch möglicherweise im Zeitpunkt
der Veröffentlichung dieses Erlasses mit "Anordnungen" nur verwaltungsinterne
Dienstanweisungen gemeint waren, so begegnet es keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken, daß in der Folgezeit auch Rechtsverordnungen hier veröffentlicht
wurden. Ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, die gesetzte Rechtsnorm in einer den
betroffenen Personenkreis zugänglichen Weise zu verkünden, ist die
Landesregierung mit der Veröffentlichung im Staatsanzeiger nachgekommen.
Dem steht nicht entgegen, daß auch im Gesetz- und Verordnungsblatt
Rechtsverordnungen veröffentlicht wurden, die Zuständigkeiten regelten. Inwieweit
diese beiden alternativ nebeneinander gestellten Veröffentlichungsmöglichkeiten
gesetzmäßig sind, für die erst mit der Bestimmung des § 102 der Gemeinsamen
Geschäftsordnung der Ministerien des Landes Hessen vom 1. Oktober 1964
(Sonderdruck) eine Abgrenzung getroffen wurde, ist keine verfassungsrechtliche
Frage, unterliegt also nicht der Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.