Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: hessen, freiwillige gerichtsbarkeit, eigentumsgarantie, verfassungsbeschwerde, finanzen, rechtseinheit, vermögensrechte, amtshandlung, gewerbe, beruf

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 167
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 45 Verf HE, Art 131 Verf
HE, § 45 StGHG, OGerGebO
HE, OGerG HE 1952
Leitsatz
1. Art. 45 HV gewährleistet nur das Privateigentum. Vermögenswerte Rechte des
öffentlichen Rechts werden von der Eigentumsgarantie des Art. 45 HV nicht umfaßt.
2. Die Rechtsstellung des Notars beruht ausschließlich auf öffentlichem Recht und ist
durch Art. 45 HV nicht geschützt.
3. Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen kann in einem Verfahren wegen
Grundrechtsverletzung von Amts wegen prüfen, ob eine Norm gegen einen Artikel der
Hessischen Verfassung verstößt, der keinen Grundrechtscharakter hat, aber im
Zusammenhang mit dem Grundrecht steht, dessen Verletzung gerügt wird.
4. Das Hessische Ortsgerichtsgesetz vom 06.07.1952 (GVBl. S.124) und die
Gebührenordnung für die Ortsgerichte in Hessen vom 24.10.1952 (GVBl. S. 161) sind
mit der Hessischen Verfassung vereinbar.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Das Ortsgerichtswesen innerhalb des jetzigen Landes Hessen war bisher
verschieden geregelt. Während es im ehemaligen Kurhessen keine Ortsgerichte
gab - bestanden sie im Gebiete des früheren Volksstaates Hessen grundsätzlich in
jeder Gemeinde, im ehemaligen Nassau dagegen nur in den Gemeinden die nicht
Sitz eines Amtsgerichts waren. Auch hinsichtlich der Zuständigkeit ergaben sich in
beiden Rechtsgebieten erhebliche Abweichungen. Das Ortsgerichtsgesetz vom
6.7.52 (HOGG) hat einheitliches Recht für das gesamte Ortsgerichtswesen in
Hessen geschaffen und Ortsgerichte im ganzen Land und für alle Gemeinden
eingeführt (vergl. Begründung der Regierungsvorlage, Drucksachen des Hess.
Landtags Abt. I Nr.322 ). Gemäß § 26 Abs. 1 des Gesetzes erheben die
Ortsgerichte Gebühren nach einer Gebührenordnung, die der Minister der Justiz im
Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen erlassen Sollte. Auf Grund dieser
Ermächtigung hat der Minister der Justiz im Einvernehmen mit dem Minister der
Finanzen die Gebührenordnung für die Ortsgerichte im Lande Hessen vom
24.10.1952 (GebO) erlassen.
Der Antragsteller ist der Auffassung, daß das HOGG und die GehO sowohl dem
Grundgesetz wie der Hess. Verfassung widersprächen und daher nichtig seien. In
dem an den Staatsgerichtshof des Landes Hessen, gerichteten Antrag vom
30.12.53 behauptet er die Verletzung der Grundrechte der Art. 1 und 45 HV. Zur
Begründung verweist er auf die abschriftlich beigefügte Verfassungsbeschwerde,
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Begründung verweist er auf die abschriftlich beigefügte Verfassungsbeschwerde,
die er unter dem 14.12.53 mit dem gleichen Anträgen beim
Bundesverfassungsgericht erhoben hat. Was dort zu Art. 3: und 14 GG ausgeführt
ist, soll auch für Art. 1 und 45 HV gelten.
In der genannten Verfassungsbeschwerde ist ausgeführt, daß unter Eigentum i.S.
des Art. 14 GG jedes private Vermögensrecht zu verstehen sei, das enteignet
werden könne. Der Antragsteller besitze derartige private Vermögensrechte in
seiner Eigenschaft als Notar. Dies ergebe sich aus den rechtlichen Grundlagen
seines Amtes, insbesondere der Reichsnotarordnung (RNO) und der
Reichskostenordnung (RKO). Der Gesetzgeber habe, entsprechend dem
programmatischen Forderungen der §§ 1 und 2 RNO den Nur-Notar als den
gegebenen Urkundsbeamten schlechthin angesehen. Dieses Ziel habe er bei der
Buntscheckigkeit der bei Erlaß der RNO bestehenden Rechtslage, in den einzelnen
Ländern für verfrüht angesehen. Er habe deshalb die bisher auf anderweitigen
Vorschriften beruhende Zuständigkeit anderer Behörden und Dienststellen nicht
berührt, soweit diese Zuständigkeit auf bisherigen Vorschriften beruht. Aus der
Fassung des § 77 Abs. 1 RNO i.Verb. mit der Tendenz des Gesetzgebers folge, daß
nur die bisherigen Landesgesetze aufrecht erhalten worden seien, die bis zum
Inkrafttreten der RNO erlassen worden seien. Ferner folge aus §§ 1, 158 Abs. 3,
160 RKO daß neue Kostenvorschriften auf dem Gebiete der freiwillige
Gerichtsbarkeit seit, dem 1.4.1936 nicht mehr erlassen werden durften. Wenn der
Hessische Landesgesetzgeber durch HOGG und GebO in die Reichsnotarordnung
und Reichsordnung eingreife, so verletze er außerdem in unzulässiger Weise die in
dieser Rechtsposition wohl erworbenen Rechte der Notare. Der Beruf des Notars
sei zwar kein Gewerbe. Damit werde aber nicht verneint, daß er keinen
vermögensrechtlichen Inhalt besitze. Der Notar über ein Amt aus, es beständen
daher keine rechtlichen Bedenken, die vermögensrechtlichen Beziehungen des
Notars so zu behandeln wie die eines Beamten. Wie katastrophal sich der Eingriff
wirtschaftlich auswirke, zeige eine Gegenüberstellung der Gebührensätze der RKO
und der GebO. Sie beweise, daß die Ortsgerichte berechtigt seien, für die gleiche
Amtshandlung Gebühren zu berechnen, die weit unter denjenigen liegen, die nach
der RKO der Notar für seine gleich gelagerte Tätigkeit ansetzen müsse. Hinzu
komme, daß in ..., dem Amtssitz des Antragstellers, bis zum Erlaß: des HOGG
überhaupt keine Ortsgerichte bestanden haben. HOGG und GebO seien nichtig
weil sie eine entschädigungslose Enteignung darstellen. Der Regierungsvertreter
habe in der Sitzung des Hessischen Landtags vom 23.1.1953 mit Nachdruck von
den besondern Bedürfnissen gesprochen, die das HOGG erfüllen solle, von den
Ersparungen des rechtsuchenden Publikums an Zweit und Kosten, also von den
besonderen Verteilen der Allgemeinheit durch dieses Gesetz. Diese besonderen
Vorteile verlangten aber von den Hessischen Notaren besondere Opfer, für die
eine Entschädigung nicht gewährt werde.
Der beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag ist weiter damit
begründet, daß HOGG und GebO gegen Art. 3 GG verstießen. Es sei kein
sachlicher Grund dafür einzusehen, warum für ein und dieselbe Amtshandlung die
Ortsgerichte in der Lage seien niedrigere Gebühren als die an die RKO gebundenen
Notare zu berechnen und ihn auf diese Weise zu unterbieten. Das Unterschreiten
der in der RKO enthaltenen Gebührensätze sei dem Lande Hessen durch Art. 151
HV untersagt gewesen. Diese Bestimmung mache dem Hess. Landesgesetzgeber
bei allen seinen zukünftigen gesetzgeberischen Maßnahmen die Beachtung der
deutschen Rechtseinheit zur Pflicht. Hierzu wird ergänzend in dem an den Hess.
Staatsgerichtshof gerichteten Antrag ausgeführt, die Rechtseinheit werde
zweifellos verletzt, wenn ein bei der Schaffung der RNO bereits als "absterbend"
bezeichnetes Rechtsinstitut wie das Ortsgericht (vergl. Jonas in DNZ. 1937 S. 180 )
nicht nur gegen den Willen des Reichsgesetzgebers am Leben erhalten, sondern
darüber: hinaus sogar mit neuen, erweiterten Befugnissen ausgestattet worden
sei.
Schließlich wird in dem vorliegenden Antrag noch ausgeführt, die GebO sei nichtig,
weil sie von dem Hess. Justizminister erlassen ist, obwohl Art. 118 HV nur der
Landesregierung die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen über bestimmte
einzelne Gegenstände gebe. Die GebO sei keine. Verwaltunganordnung sondern
eine Rechtsvorschrift, die materiellrechtlich ohne weiteres mit der RKO
gleichzustellen sei.
Die Hess. Landesregierung hat beantragt,
die Grundrechtsklage als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als
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die Grundrechtsklage als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als
unbegründet zurückzuweisen.
Der Landesanwalt hat beantragt,
den Antrags vom 30.12.1953 als unzulässig zu verwerfen.
II.
Der an den Staatsgerichthof gerichtete Antrag ist auf Art. 131 HV in Verb. mit § 45
Abs. 2 StGHG gestützt (sog. Grundrechtsklage). Da Verletzung durch Organe und
Behörden des Landes Hessen behauptet ist, ist er zu Recht gegen das Land
gerichtet (§ 46 Abs. 2 StGHG). Als verletzt sind die Grundrechte der Art. 1 und 45
HV bezeichnet. Bereits diese mit den entsprechenden Grundrechten der Art. 3 und
14 GG inhaltlich übereinstimmen, sind sie in Kraft geblieben (Art. 142 GG), so daß
für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen insoweit der Hess.
Staatsgerichtshof neben dem Bundesverfassungsgericht zuständig ist. Bedenken
gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen allerdings insofern, als der
Antragsteller nicht die konkreten Bestimmungen der angegriffenen
Rechtsvorschriften angibt, die angeblich seine Grundrechte verletzen. Er
bezeichnet HOGG und GebO in ihrer Gesamtheit als verfassungswidrig.
Inwiefern aber z.B. die Vorschriften über die Tätigkeit der Ortsgerichte bei
Sterbefällen (§ 19 HOGG) oder in Schätzungssachen (§ 22 a.a.O.) seine Rechte
beeinträchtig könnten, ist. nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde haben sowohl die
Landesregierung wie der Landesanwalt beantragt, die Grundrechtsklage als
unzulässig zu verwerfen. Indessen ergibt die Begründung des Antrags, daß
diejenigen Bestimmungen des HOGG als verfassungswidrig angegriffen werden
solle die für Geschäfte, für die die Notare zuständig sind, auch die Zuständigkeit
der Ortsgerichte begründen, und diejenigen Bestimmungen der GebO, die für die
Tätigkeit der Ortsgerichte niedrigere Gebühren bestimmen, als für die Notare
bestimmt sind. Damit sind die Tatsachen ausreichend dargelegt, aus denen sich
die Verletzung der Grundrechte ergeben soll (vergl. § 46 Abs. 1 StGHG). Da die
Bedeutung der Sache über den Einzelfall hinausgeht, ist es bedeutungslos, daß
bisher ein gerichtliches Verfahren noch nicht anhängig ist.( § 48 Abs. 1 a.a.O). Es
kann daher auch dahingestellt bleiben, oh ein gerichtliches Verfahren überhaupt
möglich ist.
Der Antrag ist jedoch offenbar unbegründet. Art. 45 HV gewährleistet ausdrücklich
nur das Privateigentum. Ob das Gleiche für die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG
gilt (vergl. BVerGE 1, 278; 2, 399; 3, 11), bedarf daher keiner Erörterung.
Vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts werden von der
Eigentumsgarantie des Art. 45 HV nicht umfaßt (vergl. Urteil des Hess.
Staatsgerichtshofs vom 5.3.54 P.St. 156 StA S. 394 Ziff. V 1 ). Das verkennt auch
der Antragsteller nicht. Seiner Auffassung, er besitze als Notar private
Vermögensrechte, kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Rechtstellung des Notars
beruht ausschließlich auf dem öffentlichen Recht. Der Notar wird als Rechtswahrer
auf dem Gebiet vorsorgender Rechtspflege bestellt (§ 1 RNO). Er ist Träger eines
öffentlichen Amts und führt ein Amtssiegel; sein Beruf ist kein Gewerbe (§ 2 a.a.O).
Er erhält für seine Tätigkeit Gebühren und muß Unbemittelten, die das Armenrecht
beanspruchen könnten, seine Urkundstätigkeit vorläufig gebührenfrei gewähren (§
18 a.a.O.). Seine Gebühren und Auslagen werden grundsätzlich nach den
Vorschriften für Gerichtskosten berechnet; er ist berechtigt, sie, ohne den
Klageweg zu beschreiten, beizutreiben (§§ 144 Abs. 1, 155 RKO).
Nirgends tritt eine privatrechtliche Regelung in Erscheinung. Wenn der
Antragsteller das Notariat als beamtenähnliches Rechtsverhältnis bezeichnet und
die Ansicht vertritt man könne ebenso wie bei einem Beamten auch bei einem
Notar von seinen wohl erworbenem Rechten reden, so verkennt er den
wesentlichen Unterschied, der darin besteht, daß der Notar im Gegensatz zum
Beamten keine vermögensrechtlichen Ansprüche gegen den Staat hat. Ein
Eingehen auf die Frage, inwieweit die wohlerworbenen Rechte der Beamten gegen
Kürzung verfassungsgerichtlich gesichert sind (vergl. BVerfGE 3, 137, 153),
erübrigt sich daher. Der Notar hat lediglich die Möglichkeit, durch die Ausübung
seines Amtes Einnahmen zu erzielen. Eine bloße Erwerbschance ist aber kein
Vermögensrecht, ihre Beeinträchtigung keine Enteignung (vergl. Forsthoff,
Lehrbuch des Verwaltungsrechts I. Band 3. Aufl. § 17,3 S. 270/71).
Auch eine Verletzung des Art. 1 HV liegt nicht vor. Der Satz, daß alle Menschen
vor dem Gesetz gleich sind, läßt sich nicht auf die Befugnisse amtlicher Organe
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vor dem Gesetz gleich sind, läßt sich nicht auf die Befugnisse amtlicher Organe
anwenden. Außerdem verbietet der Gleichheitssatz nur, daß wesentlich Gleiches
ungleich, nicht dagegen daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden
Ungleichheit ungleich behandelt wird (vergl. BVerfGE, 1,52).
Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein sachlich einleuchtender Grund für die
gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, also wenn die Bestimmung als
willkürlich bezeichnet werden muß. (BVerfG a.a.O). Von Willkür kann aber keine
Rede sein, wenn in Hessen im Interesse der recht suchenden Bevölkerung
bestimmte Aufgaben, für die neben den Notaren auch die Amtsgerichte zuständig
sind (vergl. § 157 FGG), den Ortsgerichten als Hilfsbehörden der Justiz (§ 2 HOGG)
übertragen worden sind und für diese Ortsgerichte eine eigene Gebührenordnung
erlassen worden ist.
Soweit der Antragsteller Verletzung der Art. 151 und 118 HV rügt, ist er hierzu
nicht befugt, da es sich nicht um Grundrechte handelt, ein Antrag auf Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen aber nur von den in Art.
131 Abs. 2 HV und § 41 Abs. 1 StGHG bezeichneten Personengruppen, Organen
und Behörden gestellt werden kann. Da jedoch diese Rügen im Zusammenhang
mit der behaupteten Verletzung von Grundrechten erhoben werden, ist der
Staatsgerichtshof, wie er in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht
annimmt, (vergl. BVerfGE 1, 271; 3, 74, 136), befugt, von Amts wegen zu prüfen,
ob eine Norm wegen eines dieser anderen Verstöße nichtig ist. Die Prüfung ergibt,
daß derartige Verstöße nicht vorliegen. Art. 151 HV enthält ein politisches,
vornehmlich rechtspolitisches Programm und wendet sich an den Gesetzgeber; er
enthält kein unmittelbar geltendes Recht i.S. aktualisierbarer Gebots- oder
Verbotsnormen (vergl. Urteil des Staatsgerichtshofs vom 4.8.50 P.St. 62 StA.
Beilage 7 zu Nr. 37 Ziff. VII 2 b). Art. 118 aber bezieht sich nur auf
gesetzesvertretende Rechtsverordnungen, also auf Verordnungen, die anstelle
eines Gesetzes ergehen (vergl. Urteil des Staatsgerichtshofs vom 12.6.1953 P.St.
130 Ziff. 4). Hierzu kann aber eine aufgrund gesetzlicher Ermächtigung erlassene
Gebührenordnung nicht gerechnet werden.
Für die Beurteilung, der Frage, ob das Land Hessen die angefochtenen
Rechtsnormen nicht erlassen durfte, weil sie zu der RNO oder RKO, also zu
nunmehr bundeseinheitlich Vorschriften (Art. 125 GG), oder zu Bestimmungen des
Grundgesetzes im Widerspruch stehen, ist der Hess. Staatsgerichtshof nicht
zuständig (Art. 131 Abs. 1 HV).
Der Antrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 21 Abs. 1
StGHG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 a.a.O.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.