Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: einstweilige verfügung, hauptsache, falsche anschuldigung, strafrechtliche verantwortlichkeit, erlass, hessen, klagefrist, grundrecht, gebühr, schöffengericht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 321
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 22 StGHG HE vom
12.12.1947
(Keine einstweilige Verfügung bei Ablauf der Klagefrist)
Leitsatz
Eine einstweilige Verfügung kann der Hessische Staatsgerichtshof nur erlassen, wenn
eine Entscheidung in der Hauptsache durch den Staatsgerichtshof noch möglich ist. Die
Klage in der Hauptsache muß also im Zeitpunkt der Entscheidung bereits
ordnungsgemäß erhoben oder ihre Erhebung noch zulässig sein.
Obwohl in StGHG HE § 22 keine Frist vorgesehen ist, kann eine einstweilige Verfügung
nicht mehr ergehen, wenn die Frist für die Klage in der Hauptsache bereits abgelaufen
ist.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird auf Kosten des
Antragstellers zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 50,-- DM festgesetzt.
Gründe
Gegen den Antragsteller, der seit Jahren einen jetzt vor dem Bundessozialgericht
anhängigen Rechtsstreit (BU II 231/57) gegen die … in … wegen einer Unfallrente
führt, ist durch Beschluss vom 4.9.1958 das Hauptverfahren vor dem
Schöffengericht in … eröffnet worden; er ist danach hinreichend verdächtig, sich in
den Jahren 1956 und 1957 gegen die §§ 164 und 187 des StGB vergangen zu
haben. Die falsche Anschuldigung und die Verleumdung werden in mehreren
gegen zwei Landessozialgerichtsräte gerichteten Eingaben des Antragstellers an
den dritten Senat des Landessozialgerichts gesehen.
Nachdem die Hauptverhandlung gegen den Antragsteller nach dessen
Vernehmung auf Anregung des Verteidigers - zwecks Beiziehung der Akten BU II
231/57 - auf unbestimmte Zeit vertagt worden war, hat der Oberstaatsanwalt in …
auf Grund des vom Antragsteller gewonnenen Eindrucks dessen Untersuchung
seines Geisteszustands angeregt.
Am 5.2.1960 hat der Vorsitzende des Schöffengerichts in … den Beschluss
erlassen, dass der Antragsteller durch einen Sachverständigen zwecks
Vorbereitung eines Gutachtens über die Voraussetzungen des § 51 StGB
untersucht werden soll. Mit der Untersuchung wurde der Nervenarzt Dr. … in …
beauftragt. Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss am 10.2.1960
Beschwerde beim Oberlandesgericht in Frankfurt a.M. mit der Begründung
eingelegt, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen Art. 3 HV, da sie nur
dazu dienen solle, einen gläubigen Menschen um seiner zahllosen Gegner willen
mundtot zu machen. Die zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene erste
Strafkammer des Landgerichts in … hat durch Beschluss vom 1.3.1960 (der
Beglaubigungsvermerk des Urkundsbeamten trägt das Datum vom 3.3.1960) die
Beschwerde als unzulässig verworfen, weil der angefochtene Beschluss gemäß §
81a StPO durch das erkennende Gericht erlassen worden und daher unanfechtbar
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81a StPO durch das erkennende Gericht erlassen worden und daher unanfechtbar
sei (§ 305 StPO). Das Amtsgericht in .. erließ am 11.3.1960 Vorführungsbefehl,
wonach der Antragsteller dem Arzt am 22.3.1960 vorzuführen sei. Mit Eingabe
vom 23.3.1960 hat der Antragsteller unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung
mitgeteilt, dass er wegen Erkrankung der Zwangsvorführung nicht hätte
nachkommen können, sich aber demnächst, ohne Rücksicht auf seinen
Gesundheitszustand, einer Untersuchung durch Dr. … stellen werde. Er hat ferner
in einer Eingabe vom 15.3.1960 zu den Gerichtsakten bestätigt, dass er den
Beschluss vom 3.3.1960 (gemeint ist der Beschluss vom 1.3.1960) am 12.3.1960
erhalten habe.
Die Strafakten wurden erneut dem Sachverständigen mit der Bitte zugeleitet, dem
Antragsteller - im Hinblick auf seine im Schreiben vom 23.3.1960 erklärte
Bereitschaft - nochmals Gelegenheit zu geben, ohne Zwang zur Untersuchung zu
erscheinen. Dr. … hat die Untersuchung für den 17.5.1960 angesetzt.
Mit Schriftsatz vom 3.5.1960 - eingegangen am 4.5.1960 - hat der Antragsteller
beim Staatsgerichtshof den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt mit
dem Ziele zu verhindern, dass der Beschluss vom 5.2.1960 durchgeführt werde. Er
hält diese Entscheidung für verfassungswidrig, weil sie das Grundrecht des Art. 1
GG verletze und mit den Menschenrechten der Hessischen Verfassung nicht
vereinbar sei; insbesondere - so führt der Antragsteller aus - sei der Beschluss
entgegen Art. 20 Abs. 2 HV ergangen. Solange kein Urteil gefällt sei, müsse er als
unschuldig gelten. Infolgedessen könne seine strafrechtliche Verantwortlichkeit
nicht jetzt durch einen Nervenarzt geprüft werden.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unzulässig.
Zwar ist in § 22 StGHG eine Frist für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht
vorgesehen. Jedoch kann der Staatsgerichtshof eine einstweilige Verfügung nur
erlassen, um - wie es in § 22 Abs. 1 aaO heißt - „im Streitfall einen Zustand
vorläufig zu regeln“. Aus dieser Bestimmung folgt, dass die endgültige
Entscheidung in der Hauptsache durch den Staatsgerichtshof noch möglich sein
muss. Die Klage in der Hauptsache muss also im Zeitpunkt der Entscheidung
durch den Staatsgerichtshofs entweder bereits ordnungsgemäß erhoben oder ihre
Erhebung muss noch zulässig sein (s. nur BVerfGE 7, 367 [371]). Liegt keine dieser
Voraussetzungen vor, fehlt mithin die rechtliche Möglichkeit zur endgültigen
Entscheidung in der Hauptsache, ist kein Raum für eine vorläufige Regelung des
Streitfalles.
Im vorliegenden Fall ist dem Antragsteller die Entscheidung des Landgerichts vom
1.3.1960, durch die sein Grundrecht verletzt sein soll, am 12.3.1960 zugegangen,
d.h. im Sinne von § 48 Abs. 3 StGHG „zugestellt“ (vgl. StGH P.St. 176 zu B). Die
weitere Beschwerde gegen die genannte Entscheidung des Landgerichts war
gemäß § 310 StPO nicht gegeben. Die Frist zur Erhebung der Klage in der
Hauptsache lief daher gemäß § 48 Abs. 3 StGHG am 12.4.1960 ab. Da bis zu
diesem Termin die Klage in der Hauptsache nicht erhoben worden ist, ist daher
auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 3./4. Mai 1960
zwecks vorläufiger Regelung des Streitfalles unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.