Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: sicherungsverwahrung, hessen, präsident, behandlung, vollzug, aussetzung, bezirk, gewohnheitsverbrecher, notzucht, rückfall

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 895
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 45 Abs 2 StGHG HE
(Zulässigkeit einer Grundrechtsklage; Beschwer)
Leitsatz
1. Die Nichtabhilfe einer Dienstaufsichtsbeschwerde wegen vermeintlich falscher
Behandlung eines Rechtsstreites durch ein Gericht kann mangels Beschwer nicht mit
der Grundrechtsklage angegriffen werden.
Gründe
I.
Der wegen zahlreicher Straftaten vorbestrafte Antragsteller verbüßt seit dem 13.
April 1978 auf Grund des Urteils des Landgerichts M. vom 28. Februar 1977 - 7 Ks
1/76 - eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen Widerstands
gegen Vollstreckungsbeamte. In diese Strafe ist die Freiheitsstrafe von 6 Monaten
aus dem Urteil des Amtsgerichts S. vom 8. April 1975 - 4 Ls 11/75 - wegen
falscher Verdächtigung und Betruges einbezogen, die auf drei Jahre zur Bewährung
ausgesetzt war. Auf die Strafzeit ist eine vom 21. März bis 8. April 1975 erlittene
Untersuchungshaft angerechnet worden, so daß die Strafverbüßung am 24.
Dezember 1980 endet. Anschließend ist der weitere Vollzug der
Sicherungsverwahrung vorgesehen, die das Landgericht G. durch Urteil vom 25.
April 1967 - 3 KLs 7/67 - angeordnet hatte. Durch dieses Urteil war der
Antragsteller wegen Notzucht in zwei Fällen, Diebstahls im Rückfall und Fahrens
ohne Führerschein als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu einer
Zuchthausstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Die Sicherungsverwahrung, die
in verschiedenen Justizvollzugsanstalten, ua in K., K. und S. vollzogen worden ist,
war zuletzt in der Zeit vom 13. Januar bis 12. April 1978 zur Verbüßung einer
dreimonatigen Freiheitsstrafe wegen falscher Verdächtigung aus dem Urteil des
Amtsgerichts K. vom 21. September 1976 unterbrochen worden. Zur Zeit wird die
Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt B. vollzogen.
Der Antragsteller stellte wiederholt Anträge auf Aussetzung der
Sicherungsverwahrung, die von den Strafvollstreckungskammern der
Landgerichte, in deren Bezirk die Vollzugsanstalt jeweils lag, zurückgewiesen
worden sind. Die sofortigen Beschwerden des Antragstellers gegen diese
Beschlüsse sind von den Oberlandesgerichten jeweils verworfen worden.
Unter dem 15. April 1976 hatte der Antragsteller einen Antrag auf Aussetzung der
Sicherungsverwahrung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K.
gerichtet, die den Antrag durch Beschluß vom 23. August 1977 - 33 StVK 491/77 -
abgelehnt hat. Auf eine gegen diese Entscheidung eingelegte sofortige
Beschwerde hat das Oberlandesgericht K. - 2 Ws 799/77 - den Beschluß der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. mit der Begründung aufgehoben,
diese Kammer sei zur Entscheidung über den Antrag vom 15. April 1976 nicht
berufen gewesen, weil der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit
der Sache befaßt war, in einer Strafanstalt außerhalb des Bezirks des Landgerichts
K. einsaß. Das Oberlandesgericht hat davon abgesehen, die Sache an das
zuständige Gericht zu verweisen; es sei Aufgabe der Strafvollstreckungsbehörde,
für eine entsprechende Vorlage beim zuständigen Gericht zu sorgen. Das
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für eine entsprechende Vorlage beim zuständigen Gericht zu sorgen. Das
Landgericht A., das die Staatsanwaltschaft daraufhin für die Entscheidung für
zuständig hielt, hat sich durch Beschluß vom 1. Februar 1978 - StVK 56/78 - für
unzuständig erklärt und die Sache an die Strafvollstreckungskammer bei dem
Landgericht M. verwiesen, weil der Antragsteller sich zur Zeit, als sein Antrag vom
15. April 1976 beim Landgericht in K. einging, nämlich am 23. September 1976, in
der Justizvollzugsanstalt S. befand. Über diesen Antrag ist bisher ausweislich der
Akten nicht entschieden worden.
Im April 1978 hat der Antragsteller beim Oberlandesgericht F. ein
Armenrechtsgesuch eingereicht mit der Begründung, er wolle gegen die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. wegen deren Untätigkeit
gerichtlich vorgehen. Das Oberlandesgericht F. hat dem Antragsteller durch
Beschluß vom 30. Mai 1978 - 4 VAs 17/78 - das Armenrecht mit der Begründung
verweigert, wegen der behaupteten Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer
stehe das Verfahren nach §§ 23ff EGGVG nicht zur Verfügung. Könne der
Antragsteller die angebliche Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht
durch eine entsprechende Eingabe an diese beheben, so sei die
Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben. Daraufhin hat der Antragsteller mit
mehreren Eingaben an den Präsidenten des Landgerichts M. Untätigkeit der
Strafvollstreckungskammer behauptet. Der Präsident des Landgerichts hat diese
Behauptungen zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 8. September 1978 ist der
Antragsteller erneut beim Landgerichtspräsidenten mit einer
Untätigkeitsbeschwerde gegen die Strafvollstreckungskammer vorstellig
geworden. Dieser hat ihm am 13. September 1978 geantwortet, er habe das
Schreiben an die Strafvollstreckungskammer weitergeleitet. Zu Maßnahmen im
Dienstaufsichtswege sehe er nach wie vor keinen Raum.
Schließlich hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. am 5.
September 1978 - StVK 448/78 - einen Antrag des Verurteilten vom 4. Juli 1978,
die gegen ihn angeordnete Sicherungsverwahrung "nachzuprüfen", mit der
Begründung abgelehnt, der Antrag sei verfrüht und damit unzulässig. Die gegen
diesen Beschluß vom Antragsteller eingelegte sofortige Beschwerde hat das
Oberlandesgericht F. durch Beschluß vom 4. Dezember 1978 - 3 Ws 720/78 -
verworfen.
II.
Mit einer am 3. November 1978 eingegangenen Eingabe vom 31. Oktober 1978
hat der Antragsteller den Staatsgerichtshof angerufen "wegen Verstoßes gegen
die zwingenden Gesetze und Grundrechte durch willkürliche Inhaftierung und
Untätigkeit pp Verstoß gegen Art 17, 19, 21, 22ff der Hessischen Verfassung in
Verbindung mit dem Grundgesetz". Seine Ausführungen gipfeln in der Rüge, daß
über seinen Antrag vom 15. April 1976 an die Strafvollstreckungskammer des
Landgerichts K. noch nicht entschieden sei. Nachdem der Präsident des
Staatsgerichtshofs den Antragsteller mit Schreiben vom 13. November 1978
darauf hingewiesen hatte, daß dieses Vorbringen bereits Gegenstand des
Beschlusses des Staatsgerichtshofs vom 27. Juli 1977 - Az: PSt 847 - gewesen sei,
hat der Antragsteller in seinen weiteren Eingaben vom 27. November 1978 und
vom 19. März 1979 ausgeführt, seine Grundrechtsklage richte sich gegen die
Entscheidung des Präsidenten des Landgerichts M. vom 13. September 1978 in
Verbindung mit dem Beschluß des Oberlandesgerichts F. vom 30. Mai 1978, durch
den er darauf verwiesen worden sei, zunächst den Dienstaufsichtsweg zu
beschreiten. Das habe er getan. Daraufhin habe der Landgerichtspräsident mit
Schreiben vom 13. September 1978 geantwortet, zu Maßnahmen im
Dienstaufsichtswege sehe er keinen Raum. Diese Entscheidung des
Landgerichtspräsidenten sei ihm am 20. Oktober 1978 zugestellt worden. Mit
seiner Grundrechtsklage vom 31. Oktober 1978 habe er daher die Frist gewahrt.
Der Antragsteller führt weiter aus, seine Grundrechtsklage richte sich gerade
gegen die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer M., an die sein Antrag vom
15. April 1976 auf Grund der Entscheidung des Oberlandesgerichts K. vom 11.
November 1977 zuständigkeitshalber verwiesen worden sei. Seine Eingabe
behandle deshalb nicht sein früheres Vorbringen, das Gegenstand der
Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 27. Juli 1977 - PSt 847 - gewesen sei.
Über diesen Antrag vom 15. April 1976 sei seit Jahren eine Sachentscheidung nicht
gefällt worden.
Er fühle sich beschwert, weil er seit mehr als drei Jahren auf eine Entscheidung
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Er fühle sich beschwert, weil er seit mehr als drei Jahren auf eine Entscheidung
über diesen Antrag warte. Er habe auch ein berechtigtes Interesse an dieser
Entscheidung. Das Oberlandesgericht K., vor dem er anwaltlich vertreten gewesen
sei, habe die Kostenlast der Staatskasse auferlegt. Das Gericht, das über seinen
Antrag vom 15. April 1976 zu entscheiden habe, habe auch über die ihm
entstandenen Kosten zu entscheiden. Da er sich seit dem 13. Juni 1975
ununterbrochen in Haft befinde, mittellos und ohne Einkommen sei, bitte er um
Beiordnung eines Rechtsanwaltes.
III.
Der Landesanwalt hält die Anträge für unzulässig, weil der Antragsteller im
wesentlichen das Vorbringen aufgreife, das bereits Gegenstand der Entscheidung
des Staatsgerichtshofs vom 27. Juli 1977 - PSt 847 - gewesen sei. Im übrigen sei
der Antragsteller durch das Schreiben des Landgerichtspräsidenten in M. vom 13.
September 1978 nicht beschwert; es habe im Rahmen der Dienstaufsicht keine
selbständige rechtliche Bedeutung. Die Beiordnung eines Armenanwalts komme
bei dieser Sachlage nicht in Betracht.
IV.
Die Anträge können keinen Erfolg haben; sie sind unzulässig.
Wie der Antragsteller noch in seinem letzten Schriftsatz vom 16. März 1979
ausführt, wendet er sich in erster Linie gegen die Entscheidungen des Präsidenten
des Landgerichts M. zuletzt vom 13. September 1978 wegen Untätigkeit der
Strafvollstreckungskammer. Dieser Antrag ist schon deshalb unzulässig, weil er in
der Nichtabhilfe einer Dienstaufsichtsbeschwerde, mit der eine vermeintliche
falsche Behandlung einer Rechtssache durch ein Rechtsprechungsorgan gerügt
wird, keine zusätzliche Beschwererheblichkeit oder Rechtserheblichkeit liegt, die
eine Grundrechtsklage gegen den Beschwerdebescheid begründen könnte (so
StGH, Beschluß vom 27. Juli 1977 - PSt 844 -). Diese Beschwerde kann allein in der
gerichtlichen Entscheidung selbst oder in ihrem Unterlassen liegen (vgl Zinn-Stein,
Hessische Verfassung, Kommentar, 1963ff, Art 131 - 133, Erl B IV, 12 unter
Hinweis auf BVerfGE 10, 302ff). Zudem ist der Antragsteller durch den
ablehnenden Bescheid des Landgerichtspräsidenten vom 13. September 1978
auch deshalb nicht beschwert, da dieses Schreiben keine selbständige rechtliche
Bedeutung hat. Der Landgerichtspräsident hat lediglich mitgeteilt, daß die Eingabe
an die Strafvollstreckungskammer zur Prüfung und eventuellen Veranlassung
weitergegeben worden sei und daß zu Maßnahmen im Dienstaufsichtswege in
diesem Zusammenhang "nach wie vor" kein Raum sei.
Damit hat er nur zum Ausdruck gebracht, daß die Einwände des Antragstellers
gegen die vorausgegangenen Dienstaufsichtsbescheide eine Änderung dieser
Bescheide nicht rechtfertigen. In dieser Mitteilung liegt keine neue
Dienstaufsichtsentscheidung. Im übrigen könnte er eine solche auch nicht
selbständig mit einer Grundrechtsklage angreifen.
Soweit der Antragsteller geltend macht, seine Grundrechtsklage richte sich gegen
die Untätigkeit der Strafvollstreckungskammer, so rügt er damit erneut, daß über
seinen Antrag vom 15. April 1976, ihn von dem weiteren Vollzug der
Sicherungsverwahrung zu verschonen, nocht nicht entschieden worden sei. Dieses
Vorbringen war bereits Gegenstand der früheren Entscheidung des
Staatsgerichtshofs vom 27. Juli 1977 - PSt 847 - und kann daher nicht erneut zum
Gegenstand eines Grundrechtsklageverfahrens vor dem Staatsgerichtshof
gemacht werden. Der Antragsteller hat weder neue Tatsachen vorgebracht noch
sind solche aus beigezogenen Akten ersichtlich. Vielmehr hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts M. einen Antrag des Antragstellers
vom 7. Juli 1978, zu überprüfen, ob die Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung noch erforderlich ist, durch Beschluß vom 5. September
1978 - StVK 448/78 - als unzulässig abgelehnt mit der Begründung, eine solche
Entscheidung könne erst kurze Zeit vor dem Ende der Strafvollstreckung ergehen;
die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht F. mit
Beschluß vom 4. Dezember 1978 - 3 Ws 720/78 - verworfen. Mit diesen
Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und des Oberlandesgerichts ist
der Antrag des Antragstellers vom 15. April 1976, ihn von der
Sicherungsverwahrung zu verschonen, gegenstandslos geworden.
Sein Vorbringen, er sei durch das Fehlen einer Entscheidung über seinen Antrag
vom 15. April 1976 wegen der ihm vor dem Oberlandesgericht K. entstandenen
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vom 15. April 1976 wegen der ihm vor dem Oberlandesgericht K. entstandenen
Kosten noch beschwert, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das
Oberlandesgericht K. hat entgegen der Behauptung des Antragstellers in seinem
Beschluß vom 11. November 1977 - 2 Ws 799/77 - keine Kostenentscheidung
gefällt.
Nach alledem konnte auch der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts und
Beiordnung eines Rechtsanwalts keinen Erfolg haben. Erweist sich eine
Grundrechtsklage als unzulässig, so ist mangels Erfolgsaussicht auch kein Raum
für eine solche Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs,
zuletzt im Beschluß vom 2.April 1979 - PSt 872 -).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.