Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: wiedereinsetzung in den vorigen stand, unverletzlichkeit der wohnung, anwendung des rechts, hessen, grundrecht, kriminalpolizei, strafanzeige, vorrang, anschuldigung, antragsrecht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 437
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 31 GG, § 48 Abs 3 StGHG
Leitsatz
Es ist nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs, Entscheidungen der Gerichte allgemein auf
die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen und der Anwendung des Rechts auf den
konkreten Fall zu überprüfen.
Gründe
Am 14. Januar 1964 nahmen zwei Beamte der Kriminalpolizei der Stadt ... eine
Haussuchung in dem Zimmer des eines Diebstahls verdächtigen Sohnes des
Antragstellers vor. Danach erstattete der Antragsteller gegen drei Polizeibeamte
Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Freiheitsberaubung. Das
Ermittlungsverfahren wurde vom Oberstaatsanwalt in .. eingestellt, die hiergegen
erhobene Beschwerde des Antragstellers vom Generalstaatsanwalt in Frankfurt
(Main) zurückgewiesen.
Durch Urteil des Amtsgerichts ... vom 14. Dezember 1964 wurde der Antragsteller
wegen leichtfertiger falscher Anschuldigung der drei Polizeibeamte (§ 164 V StGB)
zu einer Geldstrafe von 100,-- DM, ersatzweise für je 10,-- DM einen Tag
Gefängnis, verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Antragsteller Berufung ein,
erschien jedoch zur Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht nicht, so dass
seine Berufung durch Urteil des Landgerichts in ... vom 4. Mai 1964 gemäß § 329
StPO verworfen wurde.
Der Antragsteller beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Hauptverhandlung. Das Landgericht wies den Antrag durch
Beschluss vom 24. Mai 1965 zurück, das Oberlandesgericht in Frankfurt (Main)
verwarf durch Beschluss ... vom 24. Juni 1965 die sofortige Beschwerde des
Antragstellers. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller am 12. Juli 1965
zugestellt.
Mit einer Eingabe vom 1. August 1965, eingegangen am 3. August 1965, hat der
Antragsteller den Staatsgerichtshof angerufen. Er macht geltend, dass er durch
die Kriminalpolizei in ..., den Generalstaatsanwalt in Frankfurt (Main) und das
Amtsgericht in ... in den von der Hessischen Verfassung (HV) gewährten
Grundrechten der Art. 2 III, 9, 19 und 26 verletzt worden sei. Die Polizeibeamten
hätten zur Durchsuchung seiner Wohnung seiner Zustimmung oder eines
richterlichen Haussuchungsbefehls bedurft; mit seiner Strafanzeige habe er nur
das Grundrecht des Art. 2 III HV und das Widerstandsrecht gegen
verfassungswidrig ausgeübte Gewalt nach Art. 147 HV wahrgenommen. Er
beantragt, seine Anzeige zu überprüfen, den Beschluss des Generalstaatsanwalt
für ungültig zu erklären und das Urteil des Amtsgerichts ... aufzuheben. Mit einer
weiteren Eingabe vom 23. September 1965 hat er sodann noch zu prüfen
gebeten, ob § 164 V StGB mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar sei.
Der Landesanwalt hält die Anträge für unzulässig, da der Antragsteller in seiner
Strafsache nicht die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen
Gerichts herbeigeführt habe (§ 48 III StGHG). Der vom Antragsteller versäumte
Rechtsmittelzug könne nicht durch ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof
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Rechtsmittelzug könne nicht durch ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof
ersetzt werden, denn dieser sei kein Rechtsmittelgericht und ihm sei schon wegen
des in Art. 31 GG bedingten Vorranges des Bundesrechts verwehrt, nachzuprüfen,
ob die zuständigen Gerichte den Sachverhalt richtig festgestellt und
bundesrechtliche Gesetze richtig angewandt haben; schließlich könne die
Vereinbarkeit des § 164 V StGB mit der Verfassung des Landes Hessen nicht
nachgeprüft werden, da Bundesgesetze nur am Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland, nicht an der Hessischen Verfassung gemessen
werden können.
Die Anträge können keinen Erfolg haben. Eine Verfahren vor dem Hessischen
Staatsgerichtshof wegen Verletzung von Grundrechten setzt nämlich voraus, dass
der Antragsteller die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen
Gerichts herbeigeführt und innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser
Entscheidung den Staatsgerichtshof angerufen hat (§ 48 III StGHG).
Soweit der Antragsteller geltend macht, er sei durch Polizeibeamte in seinem
Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt worden, hat er eine
gerichtliche Entscheidung nicht herbeigeführt; um diese hätte er nach § 98 II Satz
2 StPO jederzeit nachsuchen können.
Das gleiche gilt für die Strafanzeige des Antragstellers gegen die drei
Polizeibeamten. Gegen die seine Beschwerde zurückweisende Verfügung des
Generalstaatsanwalts hätte der Antragsteller gerichtliche Entscheidung nach § 192
II StPO beantragen können. Dies hat er nicht getan.
Das Urteil des Amtsgerichts ... vom 14. Dezember 1964 entzieht sich einer
Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof auf Grundrechtsverletzungen deshalb,
weil der Antragsteller den Rechtsweg nicht erschöpft hat; er hat zwar Berufung
eingelegt, eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aber durch sein
Ausbleiben in der Hauptverhandlung verhindert. Gegen das Urteil des
Berufungsgerichts hätte ihm zudem noch das weitere Rechtsmittel der Revision
zugestanden.
Den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 24. Januar 1965 greift der
Antragsteller nicht an. Dieser Beschluss war auch keine Entscheidung in der
Sache. Er hatte nur zu entscheiden, ob die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung zu gewähren war. Darüber war
nach Bundesrecht, nämlich nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, zu
entscheiden, das Vorrang vor der Hessischen Verfassung hat (Art. 31 GG), so dass
diese kein Maßstab für die richtige Anwendung von Bundesrecht durch das Gericht
ist.
Endlich ist auch der Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 164 V
StGB unzulässig. Nicht nur fehlt es an einem Antragsrecht des Antragstellers (Art.
131 II HV); es steht auch das Strafgesetzbuch als Bundesrecht im Range über der
Hessischen Verfassung (Art. 31 GG), kann also nicht auf seine Vereinbarkeit mit
dieser geprüft werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.