Urteil des StGH Hessen vom 15.03.2017

StGH Hessen: hessen, berufliche tätigkeit, grundsatz der gegenseitigkeit, fachhochschule, numerus clausus, fhg, rechtsverordnung, ausführung, berechtigung, ermächtigung

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 719
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 45 Abs 3 S 1 FHSchulG HE,
Art 132 Verf HE, Art 59 Abs 2
Verf HE, § 1 Abs 2
FHSchulG§45Abs3AV HE vom
18.01.1971,
FHSchulG§45Abs3AVÄndV HE
vom 26.02.1973
(Staatsgerichtshof - Prüfungskompetenz -
Rechtsverordnung - Fachhochschulzulassung)
Leitsatz
1. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist die
Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht unhaltbar ist.
Nur bei offensichtlicher Unhaltbarkeit muss die Ansicht des vorlegenden Gerichts außer
Betracht bleiben.
2. Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit genügt es nicht, wenn das Gericht
glaubt, es komme für seine Entscheidung auf die Gültigkeit der anzuwendenden
Vorschrift an. Vielmehr muss deren Rechtswirksamkeit allein von der Frage ihrer
Verfassungsmäßigkeit zu bestimmen sein. Nur wenn das Gericht bei
Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm anders entscheiden würde als bei ihrer
Verfassungswidrigkeit, kommt es für seine Entscheidung auf die Verfassungsmäßigkeit
der Norm an.
3. Ein Verwaltungsgericht muss in eigener Zuständigkeit entscheiden, ob eine
Rechtsverordnung die Grenzen der Ermächtigungsnorm überschreitet, da das
Prüfungsmonopol des Staatsgerichtshofs sich nur auch die Verfassungsmäßigkeit der
Norm bezieht.
Tenor
Die Vorlage ist unzulässig.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. In einem beim Verwaltungsgericht Frankfurt/Main anhängigen
Verwaltungsstreitverfahren – VG II/2 – E – 55/73 – begehrt die ... geborene ... die
Zulassung zum Studium im Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule
Frankfurt/Main ab Sommersemester .... Nach achtjährigem Besuch der
Volksschule hatte sie von ... bis ... im elterlichen Gemischtwarengeschäft in ... den
Beruf eines Einzelhandelskaufmanns erlernt und hatte ihre Lehrzeit, während
deren sie die Berufsfachschule besuchte, mit der Gehilfenprüfung abgeschlossen.
Von September ... bis Juni ... hatte sie eine Frauenfachschule in ... besucht und war
anschließend wiederum im elterlichen Geschäft tätig gewesen. Im Oktober ... war
sie nach ... verzogen und hatte im Februar ... geheiratet. Ihren am 30. November
... gestellten Antrag auf Zulassung zum Studium im Fachbereich Sozialarbeit
lehnte die Fachhochschule Frankfurt/Main ab; auch der gegen diese Entscheidung
gerichtete Widerspruch blieb erfolglos.
Nach mündlicher Verhandlung beschloß die II. Kammer des Verwaltungsgerichts
Frankfurt/Main eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen
darüber herbeizuführen, ob § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des § 45
Abs. 3 Satz 1 des Fachhochschulgesetzes vom 18. November 1971 in der Fassung
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Abs. 3 Satz 1 des Fachhochschulgesetzes vom 18. November 1971 in der Fassung
der Verordnung vom 26. Februar 1973 (GVBl. I S. 90) und § 2 Abs. 3 Nr. 1 der
Verordnung über Aufnahmebeschränkungen an den Hochschulen des Landes
Hessen für das Sommersemester 1973 vom 23. Januar 1973 (GVBl. I S. 43)
verfassungswidrig seien.
Der Präsident des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs legte dem
Staatsgerichtshof die Akten mit dem Antrag vor, über die Gültigkeit der
angeführten Bestimmungen der Rechtsverordnungen zu entscheiden.
Zur Begründung seines Vorlagebeschlusses hat das Verwaltungsgericht
ausgeführt: Die aufgeführten Bestimmungen der Verordnungen seien wegen
Verstoßes gegen Art. 1 und 59 Abs. 2 der Hessischen Verfassung (HV)
verfassungswidrig. Die Klägerin sei Übergangsbewerberin im Sinne des § 45 Abs. 3
Satz 1 Fachhochschulgesetz – FHG –, weil sie bei Stellung ihres
Zulassungsantrages die Zulassungsvoraussetzungen der am 1. August 1971
geltenden Zulassungsbestimmungen für die staatlichen höheren
Wirtschaftsfachschulen in Hessen erfüllt habe. Sie falle auch unter den
Ausschließungstatbestand des § 1 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 der Verordnung zur
Ausführung des § 45 Abs. 3 Satz 1 des Fachhochschulgesetzes vom 18.
November 1971 (GVBl. I S. 305) in der Fassung der Verordnung vom 26. Februar
1973 (GVBl. I S. 90) – im folgenden NichthessenVO genannt –, weil sie am ... nicht
in Hessen gewohnt, noch sich dort aufgehalten habe, nicht das erforderliche
Abschlußzeugnis an einer hessischen Schule später erworben und auch nicht die
darüber hinaus notwendige Ausbildung oder berufliche Tätigkeit in Hessen
absolviert habe und weil schließlich für einen hessischen Bewerber Gegenseitigkeit
der Zulassung durch das hier maßgebliche Land ... nicht verbürgt sei. Der sonach
durch diese Verordnungsbestimmung erfolgte Ausschluß eines Bürgers eines
anderen Bundeslandes von der Zulassung an einer hessischen Fachhochschule
wegen des Fehlens eines örtlichen bzw. fachlichen Anknüpfungspunktes an das
Land Hessen und wegen fehlender Gegenseitigkeit verstoße nach der
Überzeugung des Verwaltungsgerichts gegen das in Art. 1 in Verbindung mit Art.
59 Abs. 2 HV verbürgte Recht jedes Bundesbürgers auf Zulassung zu einer
Hochschule eines Bundeslandes. Die Fachhochschule sei durch das Gesetz über
die Hochschulen des Landes Hessen vom 12. Mai 1970 (GVBl. I S. 315) –
Hochschulgesetz – in den Kreis der Hochschulen des Landes Hessen, zu denen,
historisch gesehen, zunächst nur die Universitäten zu rechnen gewesen seien,
gleichberechtigt aufgenommen worden, was das hierzu ergangene
Fachhochschulgesetz – FHG – vom 15. Juli 1970 (GVBl. I S. 415) eindeutig
unterstreiche. Der im Jahre 1970 in das Grundgesetz eingefügte Art. 91 a regele
die Gemeinschaftsaufgabe Hochschule; er erstrecke sich somit auch auf die
Fachhochschule eines Landes. Ausgehend von dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 – DÖV 1972, 606 –, das den
bundesweiten Zulassungsanspruch für Studienbewerber an Universitäten als
bestehend festgestellt habe, handele es sich daher bei der Frage der Zulassung
von Bewerbern zu Fachhochschulen um eine für alle Staatsbürger der
Bundesrepublik in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete
Rechtsposition. Die Übergangsbestimmung in § 45 Abs. 3 Satz 1 FHG stelle die
Gewährleistung eines Vertrauenstatbestandes dar, der dahin gehe, daß die
aufgrund der jahrelang bestehenden Zulassungsbestimmungen zu den staatlichen
höheren Wirtschaftsfachschulen von den Eltern und den bereits volljährigen
Studienbewerbern aufgestellten Berufspläne trotz des inzwischen in Kraft
getretenen Fachhochschulgesetzes noch bis zum Ende der Übergangszeit am 31.
Dezember 1975 verwirklicht werden könnten. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt,
diesen vom Gesetzgeber geschaffenen Vertrauenstatbestand, der eine
gleichmäßige Zulassungsbehandlung gebiete, durch die Verordnung
einzuschränken. Der hessische Verordnungsgeber könne sich zur Rechtsfertigung
seiner Maßnahme nicht auf das nach seiner Meinung unvollkommene Verhalten
anderer Bundesländer berufen. Dies würde einer Entwertung der
verfassungsrechtlich geschützten Zulassungsfreiheit gleichkommen. Die Tatsache,
daß die vom Gericht vertretene Verfassungswidrigkeit der NichthessenVO materiell
zugleich auch eine Gesetzwidrigkeit darstelle, schließe die Vorlage zur Prüfung der
Verfassungswidrigkeit nicht aus, weil die Verfassungswidrigkeit einer Verordnung
zugleich auch deren Gesetzwidrigkeit in sich schließe.
Für die von der Kammer zu treffende Entscheidung seien die angeführten
Bestimmungen der NichthessenVO maßgeblich. Die Frage der Gültigkeit der
genannten Vorschriften sei daher erheblich.
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Die Kammer halte auch § 2 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über
Aufnahmebeschränkungen an den Hochschulen des Landes Hessen für das
Sommersemester 1973 vom 23. Januar 1973 (GVBl. I S. 43) – im folgenden
AuswahlVO genannt – wegen Verstoßes gegen Art. 1 und 59 Abs. 2 HV für
verfassungswidrig. § 2 Abs. 3 Nr. 1 AuswahlVO bestimme, daß die
Übergangsbewerber nach § 45 Abs. 3 Satz 1 FHG ausschließlich nach der
Zeitdauer zum Studium ausgewählt würden, die seit dem Erwerb der Berechtigung
für das gewählte Studium vergangen sei. Dies widerspreche dem Sinn und
Wortlaut des Art. 59 Abs. 2 HV, wonach der Zugang zu den Hochschulen nur von
der Eignung abhängig zu machen sei. Der hessische Verordnungsgeber habe im
Hinblick auf den durch das Fachhochschulgesetz geschaffenen
Vertrauenstatbestand der Übergangsregelung keine sachliche Rechtfertigung für
die getroffene Maßnahme. Die ausnahmslose Anwendung der Auswahl nur nach
der Zeitdauer gewähre keine Chancengleichheit, die durch Art. 1 HV garantiert sei.
Die angeführte Verordnungsvorschrift werde auch nicht durch eine
Ermächtigungsnorm gedeckt. Der in der Auswahlverordnung zitierte § 39 a
Hochschulgesetz beziehe sich nur auf die Berechtigung, den numerus clausus zu
regeln, enthalte aber nicht zugleich die Ermächtigung, die Bewerbergruppe des §
45 Abs. 3 Satz 1 FHG chancenausschließend zu behandeln.
Die angegriffene Bestimmung der Auswahlverordnung sei auch
entscheidungserheblich. Die Entscheidung der Kammer über den
Verpflichtungsantrag werde durch die Frage beeinflußt, ob die Auswahlverordnung
gültig oder nicht gültig sei.
II. Der Hessische Ministerpräsident hat beantragt, der Staatsgerichtshof möge
feststellen:
Die Vorlage des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 1973 – II/2
– E – 55/73 – ist unzulässig,
hilfsweise:
§ 1 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des § 45 Abs. 3 Satz 1 des
Fachhochschulgesetzes vom 18. November 1971 (GVBl. I S. 305) in der Fassung
der Änderungsverordnung vom 26. Februar 1973 (GVBl. I S. 90) ist mit der
Verfassung des Landes Hessen vereinbar
und
§ 2 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über Aufnahmebeschränkungen an den
Hochschulen des Landes Hessen für das Sommersemester 1973 vom 23. Januar
1973 (GVBl. I S. 43) war mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
Er hat ausgeführt: Die Vorlage sei unzulässig, weil die Vorlagefrage nicht
entscheidungserheblich sei.
Für die Frage der Entscheidungserheblichkeit habe der Staatsgerichtshof
grundsätzlich von der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichtes auszugehen,
sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar sei. Der Vorlagebeschluß müsse jedoch
mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, daß das vorlegende Gericht im
Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis
kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie es dieses Ergebnis
begründen würde. An einer solchen Darlegung fehle es hier. Das
Verwaltungsgericht hätte ausführen müssen, daß und aus welchen Gründen es der
Klage im Ausgangsverfahren ohne die Bindung an die beanstandeten
Bestimmungen ganz oder teilweise stattgeben würde.
Es fehle weiter deshalb an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit, weil das
vorlegende Gericht aufgrund seiner Rechtsauffassung in eigener Zuständigkeit
über die Nichtanwendung der zur Prüfung gestellten Normen hätte entscheiden
müssen.
Das Verwaltungsgericht sei zu der Erkenntnis gekommen, daß die beiden
beanstandeten Vorschriften nicht durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckt
seien. Es verneine damit die Gesetzmäßigkeit dieser als Bestandteile von
Rechtsverordnungen erlassenen Bestimmungen. Über die Gesetzmäßigkeit von
Rechtsverordnungen hätten die Gerichte jedoch in eigener Zuständigkeit zu
entscheiden. Selbst wenn die Auffassung des Verwaltungsgerichts richtig sei, daß
die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsverordnung immer auch die Gesetzwidrigkeit
in sich schließe, ändere dies nichts daran, daß zunächst die nach der jeweils
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in sich schließe, ändere dies nichts daran, daß zunächst die nach der jeweils
anwendbaren Verfahrensordnung zuständigen Gerichte zu prüfen hätten, ob sich
eine Verordnung im Rahmen der Gesetze halte. Verneinten sie diese Frage,
könnten sie selbst die Gesetzwidrigkeit der Vorschrift feststellen und diese bei ihrer
Entscheidung außer Anwendung lassen. Auf die Verfassungswidrigkeit komme es
dann nicht mehr an.
Im übrigen ergebe, wie der Ministerpräsident weiter ausgeführt hat, eine
hypothetische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage im Ausgangsverfahren, daß
die näher begründete Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der
Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage unter jedem denkbaren
Gesichtspunkt offensichtlich unhaltbar sei.
Der Vorlagebeschluß sei aber auch unbegründet, weil beide zur Prüfung gestellten
Vorschriften mit der Hessischen Verfassung vereinbar seien.
Die übrigen Mitglieder der Landesregierung haben keine besondere
Stellungnahme abgegeben.
Der Hessische Landtag hat sich nicht geäußert.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat erklärt, daß sie die Ansicht des
vorlegenden Verwaltungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der genannten
Verordnungen teile. Von einer Nachwirkung des Schulwesens, bestehend in einer
regelmäßigen und bevorzugten Hinwendung zur Fachhochschule der Region,
könne tatsächlich keine Rede sein. Sowohl an den Fachhochschulen im
Fachbereich Sozialarbeit als auch an ihren Rechtsvorgängerinnen, den staatlichen
höheren Fachschulen für Sozialarbeit, beständen seit vielen Jahren
Studienplatzbeschränkungen. Dies habe dazu geführt, daß die Interessenten die
Zugangsbedingungen aller Bundesländer in Erfahrung gebracht und sich sodann
für die Schule entschieden hätten, von der sie hätten annehmen können, daß sie
dort am ehesten zugelassen würden.
Auch die Gültigkeit der AuswahlVO sei für die Entscheidung im Ausgangsverfahren
erheblich. Wenn die umstrittene Verordnung bestehen bleibe, müsse ihre Klage
abgewiesen werden, weil sodann nur Bewerber zugelassen würden, die ihre
Berechtigung bereits im Jahre 1969 erworben hätten; sie habe ihre Berechtigung
erst im Jahre ... vollständig erhalten.
Die Fachhochschule Frankfurt/Main hat sich wie folgt geäußert: Die angegriffenen
Verordnungsbestimmungen seien verfassungsgemäß. § 1 Abs. 2 der
NichthessenVO beruhe auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage. Maßstab für
die Zulänglichkeit dieser Ermächtigungsgrundlage seien Art. 107, 118 HV. Die
Verordnung verletze aber den Grundsatz der Gewaltenteilung des Art. 118 HV
nicht. Auch schränke die Verordnung nur Zulassungsmöglichkeiten ein, die über
die in anderen Bundesländern hinausgehen. Wenn die anderen Länder bei ihren
Übergangsregelungen für Studienbewerber mit den Eingangsvoraussetzungen für
die Vorgängerschulen der Fachhochschulen ebenso verfahren würden wie Hessen,
würde eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation eintreten. Darin liege der
entscheidende Unterschied zwischen der Bevorzugung von Landeskindern durch
die Verordnung vom 18. November 1971 und den Vergünstigungen für
Landeskinder in Bayern und Hamburg, die Gegenstand des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 gewesen seien.
Bewerber im Sinne von § 45 Abs. 3 Fachhochschulgesetz verfügten über
Schulabschlußzeugnisse, die im Grundsatz keine
Hochschulzugangsberechtigungen darstellten. Daher verbiete sich die Auswahl
von Studienbewerbern im Sinne von § 45 Abs. 3 FHG nach dem Notendurchschnitt
ihres Schulabschlußzeugnisses. Es hätten daher andere Auswahlkriterien gefunden
werden müssen.
Der Landesanwalt hält die Vorlage für unzulässig und hat sich den Ausführungen
des Hessischen Ministerpräsidenten angeschlossen.
III. Die Vorlage ist unzulässig.
Nach Art. 131, 132 HV trifft nur der Staatsgerichtshof eine Entscheidung darüber,
ob eine Rechtsverordnung mit der Verfassung im Widerspruch steht. Auf die Frage,
ob eine Rechtsverordnung wegen Verfassungswidrigkeit ungültig ist, muß es
jedoch bei der im Ausgangsverfahren zu treffenden Entscheidung ankommen.
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jedoch bei der im Ausgangsverfahren zu treffenden Entscheidung ankommen.
Diese Voraussetzung des Art. 133 Abs. 1 HV für einen Vorlagebeschluß ist hier
nicht gegeben.
1. Die für das Ausgangsverfahren maßgebenden Bestimmungen lauten:
§ 45 Abs. 3 Fachhochschulgesetz (FHG):
Bis zum Ablauf des 31. Dezember 1975 kann zum Studium an einer
Fachhochschule zugelassen werden, wer nach den im Zeitpunkt des Inkrafttretens
dieses Gesetzes geltenden Vorschriften die Voraussetzungen für die Aufnahme in
eine der in Abs. 1 genannten Schulen erfüllt. Der Kultusminister bestimmt, welche
zusätzlichen Lehrveranstaltungen Voraussetzung für die Zulassung dieser
Studenten zur Abschlußprüfung sind.
§ 1 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des § 45 Abs. 3 Satz 1 des
Fachhochschulgesetzes vom 18. November 1971 in der Fassung der Verordnung
zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des § 45 Abs. 3 Satz 1 des
Fachhochschulgesetzes vom 26. Februar 1973 (GVBl. I S. 90 – NichthessenVO –:
Bewerber im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 des Fachhochschulgesetzes, die
ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt am 1. August 1971 in einem anderen
Land der Bundesrepublik Deutschland hatten, können bis zum Ablauf des 31.
Dezember 1975 zum Studium zugelassen werden, wenn
1) sie das erforderliche Abschlußzeugnis an einer hessischen Schule erworben
oder die darüber hinaus notwendige Ausbildung oder berufliche Tätigkeit in Hessen
absolviert haben oder
2) in dem Land der Bundesrepublik Deutschland, in dem sie am 1. August
1971 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten, entsprechende
hessische Bewerber nach den dort geltenden Bestimmungen zum Studium an
einer Fachhochschule zugelassen werden (Grundsatz der Gegenseitigkeit).
§ 2 Abs. 3 Nr. 1 der Verordnung über Aufnahmebeschränkungen an den
Hochschulen des Landes Hessen für das Sommersemester 1973 vom 23. Januar
1973 (GVBl. I S. 43) – AuswahlVO –:
An Fachhochschulen und in entsprechenden Studienfächern der
Gesamthochschule Kassel werden die Studienplätze an deutsche Studienanfänger
wie folgt vergeben:
1. Bewerber, die zum Studium gemäß § 45 Abs. 3 des Fachhochschulgesetzes
berechtigt sind, werden ausschließlich nach der Zeitdauer ausgewählt, die seit
dem Erwerb der Berechtigung für das gewählte Studium vergangen ist (§ 4).
2. ...
Dem Verwaltungsgericht kann darin gefolgt werden, daß seine Entscheidung davon
abhängt, ob die bezeichneten Bestimmungen rechtsgültig sind. Die
Fachhochschule Frankfurt/Main, Fachbereich Sozialarbeit, ist Rechtsnachfolgerin
der Höheren Fachschule für Sozialarbeit, an der studieren konnte, wer das 19.
Lebensjahr vollendet hatte, entweder das Abschlußzeugnis einer Realschule oder
das Versetzungszeugnis in die 11. Klasse eines Gymnasiums oder einen
zweijährigen Besuch einer Berufsfachschule oder Fachschulreife oder den Abschluß
einer Fachschule und entweder eine mindestens zweijährige abgeschlossene
Berufsausbildung oder mindestens dreijährige Bewährung in beruflich geleisteter
Arbeit nachweisen konnte. Diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin, als sie im
November ... ihre Zulassung zum Studium beantragte. Da zu diesem Zeitpunkt in
..., wo sie am ... ihren Wohnsitz hatte, ein hessischer Bewerber mit der gleichen
Vorbildung nach einem Erlaß des ... Kultusministers vom 16. April/5. Mai 1971 – H
(In) 031/459 – nicht zum Studium zugelassen worden wäre, ist für den Ausgang
ihres Klageverfahrens maßgebend, ob § 1 Abs. 2 Nr. 1 der NichthessenVO und § 2
Abs. 3 Nr. 1 AuswahlVO anzuwenden sind.
3. Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit ist die Rechtsauffassung des
vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht unhaltbar ist. Nur bei
offensichtlicher Unhaltbarkeit muß die Ansicht des vorlegenden Gerichts außer
Betracht bleiben (Barwinski in Zinn-Stein, Komm. z. Verfassung des Landes
Hessen, Erl. II 7 zu Art. 131 bis 133). Von diesem Grundsatz geht auch das
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Hessen, Erl. II 7 zu Art. 131 bis 133). Von diesem Grundsatz geht auch das
Bundesverfassungsgericht aus, z. B. in BVerfGE 18, 274, 280, 281; 22, 330, 341;
ihm hat sich der Staatsgerichtshof angeschlossen (Urteil vom 4. Dezember 1968 –
P. St. 512 und 520 –, StAnz. 1969 S. 33; Urteil vom 7. Januar 1970 – P. St. 562 –,
StAnz. 1970, 398).
Für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit genügt es jedoch nicht, wenn
das Gericht glaubt, es komme für seine Entscheidung auf die Gültigkeit der
anzuwendenden Vorschrift an. Vielmehr muß deren Rechtswirksamkeit allein von
der Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit zu bestimmen sein. Nur wenn das Gericht
bei Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm anders entscheiden würde als bei
ihrer Verfassungswidrigkeit, kommt es für seine Entscheidung auf die
Verfassungsmäßigkeit der Norm an (BVerfG in ständiger Rechtsprechung). Das
Verwaltungsgericht hält die Verordnungen sowohl für verfassungs- als auch für
gesetzwidrig, meint aber, daß im Falle der Gesetzwidrigkeit zugleich auch die
Verfassungswidrigkeit begründet sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Exekutive dürfen
Rechtsverordnungen nur erlassen werden, wenn die Legislative durch Gesetz
hierzu ihre Ermächtigung gegeben hat. Bei der Entscheidung, ob sich die
Verordnung im Rahmen der gegebenen Ermächtigung hält, ist für die
Verordnungen, die auf Bundesrecht beruhen, Art. 80 GG maßgebend. Für
Verordnungen, für die Landesrecht bestimmend ist, sind Art. 107, 118 HV
heranzuziehen (StGH, Urteil vom 4. Dezember 1968, P. St. 514/520 – StAnz. 1969,
33; Urteil vom 15. Juli 1970, P. St. 548/563 – StAnz. 1970, 1669, 1679). Das
Verwaltungsgericht muß aber in eigener Zuständigkeit entscheiden, ob die
Rechtsverordnungen die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung überschreiten,
denn das Prüfungsmonopol des Staatsgerichtshofs, das ihm durch Art. 132 HV
übertragen worden ist, bezieht sich nur auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm
(Barwinski in Zinn-Stein, Komm. z. Verfassung des Landes Hessen, Erl. B I 4 zu
Art. 131 bis 133). Es muß daher außer Betracht bleiben, daß der Verstoß gegen
eine unterhalb des Verfassungsrechts stehende Norm, der bereits die Ungültigkeit
der Vorschrift zur Folge hat, unter Umständen zugleich eine mittelbare Verletzung
des Verfassungsgrundsatzes darstellen kann (StGH Baden-Württemberg, Urteil
vom 10. Oktober 1968 – ESVGH 19, 133, 138; BayVerfGH, Beschluß vom 20.
November 1969 – Bay. VGHn. F. 22, 136, 137).
Wenn aber das Verwaltungsgericht die bezeichneten Normen schon deshalb für
ungültig hält, weil sie sich nicht im Rahmen der Ermächtigungsnormen halten, hat
es darüber selbst zu entscheiden, so daß es auf die Frage der
Verfassungswidrigkeit nicht ankommt, für eine Vorlage an den Staatsgerichtshof
also kein Raum ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.