Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: unterlassen, grundsatz der gleichbehandlung, konkurrierende zuständigkeit, versorgung, volksbegehren, grundrecht, hessen, kreis, gemeinde, aktiven

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 741
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Verf HE, § 45 Abs 2 StGHG HE
Leitsatz
1. Die Verf HE gewährt dem einzelnen Staatsbürger kein Grundrecht und auch keinen
grundrechtsähnlichen Anspruch darauf, daß ein zu Gesetzesinitiativen befugtes
Staatsorgan das Gesetzgebungsverfahren mit einer Vorlage bestimmten Inhalts
einleitet.
2. Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann nur dann Gegenstand einer
Grundrechtsklage sein, wenn der Antragsteller sich auf einen ausdrücklichen Auftrag
der Verf HE berufen kann, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im
wesentlichen umgrenzt hat.
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
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Gründe
I.
Der Antragsteller war bis zum 31. Dezember 1970 ehrenamtlicher Bürgermeister
der Gemeinden..., ... und. Vom 1. Januar 1971 bis zum 31. Juli 1972 war er nur
noch für die Gemeinde... als ehrenamtlicher Bürgermeister tätig. Bis zum Ablauf
seiner Amtszeit bezog er eine Aufwandsentschädigung und die jährliche
Sonderzuwendung. Seit seinem Ausscheiden bezieht er von den
Rechtsnachfolgern der drei Gemeinden einen monatlichen Ehrensold.
Unter dem 15. September 1973 wandte sich der Antragsteller mit der Petition an
den Hessischen Landtag, durch eine Änderung des Gesetzes über die Gewährung
einer jährlichen Sonderzuwendung vom 21. Dezember 1964 (GVBl. I Seite 247) - in
der z. Zt. gültigen Fassung - auch die Ehrensoldempfänger in den Kreis der
Anspruchsberechtigten einzubeziehen. Gemäß Beschluß vom 16. November 1973
hat der Landtag diese Petition dem Hessischen Minister des Innern zur
Beantwortung überwiesen. Mit Bescheid vom 9. Januar 1974, dem Antragsteller
nach seinen Angaben am 11. Januar 1974 zugegangen, wies der Hessische
Minister des Innern den Antragsteller darauf hin, daß nach § I Abs. 2 Nr. 1 des
Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung vom 21.
Dezember 1964 nur die ehrenamtlichen Bürgermeister und ehrenamtlichen
Kassenverwalter der Gemeinden eine Zuwendung dieser Art erhielten, denen eine
Aufwandsentschädigung zustehe, sich also noch in einem aktiven Dienstverhältnis
befänden. Nach dem Ausscheiden aus dem Ehrenamt, also bei Bezug eines
Ehrensoldes, könne keine Sonderzuwendung mehr gewährt werden. Der Ehrensold
sei keine Versorgung im Sinne der beamtenrechtlichen Vorschriften, sondern
Anerkennung für langjährig geleistete Dienste in derselben Gemeinde nach
Maßgabe der §§ 9 ff des Gesetzes über die Aufwandentschädigung und den
Ehrensold der ehrenamtlichen Bürgermeister sowie der ehrenamtlichen
Kassenverwalter der Gemeinden vom 7. Oktober 1970 (GVBl. I Seite 635). Darüber
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Kassenverwalter der Gemeinden vom 7. Oktober 1970 (GVBl. I Seite 635). Darüber
hinausgehende Regelungen, daß der Ehrensold als Versorgungsbezug gelten
könne, seien rechtlich unzulässig; der nach dem Sonderzuwendungsgesetz
berechtigte Personenkreis der Versorgungsempfänger sei im Hinblick auf die
bundes- und landesrechtlichen Regelungen nicht erweiterungsfähig.
II.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 5. Februar 1974, bei der Geschäftsstelle
eingegangen am 12. Februar 1974, "Verfassungsbeschwerde" beim
Staatsgerichtshof des Landes Hessen erhoben. Mit seiner
"Verfassungsbeschwerde" erstrebt der Antragsteller eine Verurteilung der
Landesregierung, die bei den gesetzgebenden Organen mit Wirkung vom 1.
Dezember 1973 in einer Novelle zum Gesetz über die Gewährung einer jährlichen
Sonderzuwendung die Einbeziehung der kommunalen Ehrensoldbezieher erwirken
solle. Er begründet seinen Antrag mit Verletzung seiner Grundrechte auf
Gleichbehandlung vor dem Gesetz und auf Wahrung der Ehre und Würde des
Menschen (Artikel 1 und 3 HV). Weiter beruft er sich auf die Artikel 27 bis 30 und
33 Satz 1 HV.
III.
1. Der Landesanwalt betrachtet die Eingabe als eine Grundrechtsklage im Sinne
von §§ 45 ff StGHG. Der Antragsteller gehöre nicht zu den gemäß Artikel 131 Abs.
1 und 2 HV, §§ 41 Abs. 2, 44 und 17 Abs. 2 StGHG genannten Personengruppen,
die allein befugt seien, eine abstrakte Normenkontrollklage oder eine
Verfassungsstreitigkeit anhängig zu machen. Er hält aber eine solche
Grundrechtsklage für unzulässig. Ein Grundrecht, daß ein zur Gesetzesinitiative
befugtes Staatsorgan das Gesetzgebungsverfahren mit einer Vorlage bestimmten
Inhalts einleite, gebe es nicht. Der Vortrag lasse sich allenfalls im Sinne von § 46
Abs. 1 StGHG dahin werten, daß eine Grundrechtsverletzung durch ein
"Unterlassen" des Gesetzgebers vorliege, weil das Gesetz über die Gewährung
einer jährlichen Sonderzuwendung vom 21. Dezember 1964 (GVBl. I Seite 247),
zuletzt geändert durch Gesetz über die Erhöhung der jährlichen Sonderzuwendung
vom 17. Dezember 1973 (GVBl. I Seite 480), eine Lücke aufweise.
Grundrechtsklagen gegen Gesetze müßten aber binnen Jahresfrist erhoben
werden. Die eingereichte Klage sei verspätet, selbst wenn man den Beginn der
Jahresfrist vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über die
Aufwandentschädigung und den Ehrensold der ehrenamtlichen Bürgermeister und
der ehrenamtlichen Kassenverwalter der Gemeinden vom 7. Oktober 1970
anrechne, durch das der Anspruch auf Ehrensold gemäß §§ 9 ff eingeführt worden
sei. Von einer Unterlassung des Gesetzgebers könne auch nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im allgemeinen Sinne immer nur
dann gesprochen werden, wenn bestimmte Ansprüche gegen den Staat überhaupt
nicht oder nicht im gewünschten Umfange gewährt worden seien. Eine so weite
Auslegung sei hier aber nicht angebracht, weil sie die Fristbestimmung
bedeutungslos mache. Entscheidend sei allein, ob ein Gesetz eine Regelung
solcher Ansprüche - auch eine ablehnende - enthalte. Die Anspruchsregelung sei
durch enumerative Bestimmung der Anspruchsvoraussetzungen und
Anspruchsberechtigten in den hier einschlägigen Gesetzen abschließend begrenzt.
Damit habe der Gesetzgeber anderweitige und weitergehende Ansprüche versagt.
Das Versäumen der Anfechtungsfrist könne daher nicht auf dem Umweg über eine
Grundrechtsklage wegen Unterlassung des Gesetzgebers ersetzt werden.
2. Der Ministerpräsident ist der Stellungnahme des Landesanwalts beigetreten und
hat ergänzend ausgeführt:
Der Antragsteller könne, was für ihn allein rechtlich möglich sei, die Feststellung
begehren, daß die Nichteinbeziehung der Ehrensoldempfänger in die Regelung
über die Sonderzuwendungen verfassungswidrig sei. Dieser Vorwurf eines
angeblich relativen Unterlassens des Gesetzgebers sei aber in jedem Fall
verspätet und somit unzulässig.
a) Die geschichtliche Entwicklung zeige, daß bereits bei der Einführung der
Sonderzuwendung durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Gewährung einer
jährlichen Sonderzuwendung vom 21. Dezember 1964 die ehrenamtlichen
Kommunalbeamten mit Aufwandsentschädigungen den aktiven Beamten
gleichgestellt worden seien. Schon damals hätten ausgeschiedene ehrenamtliche
Kommunalbeamte keinerlei versorgungsähnliche oder sonstige Bezüge auf Grund
ihres früheren Ehrenamtes (VO vom 12. Juli 1960 in der Fassung vom 4. Oktober
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ihres früheren Ehrenamtes (VO vom 12. Juli 1960 in der Fassung vom 4. Oktober
1962; ebenso später VO vom 20. Februar 1968 [GVBl. I Seite 487]) erhalten.
Erstmals habe das Gesetz über die Aufwandentschädigung und den Ehrensold der
ehrenamtlichen Bürgermeister und der ehrenamtlichen Kassenverwalter der
Gemeinden vom 7. Oktober 1970 rückwirkend ab 1. Januar 1970 ausgeschiedenen
ehemaligen ehrenamtlichen Kommunalbeamten neben einem Übergangsgeld (§
8) einen Ehrensold (§§ 9 bis 12) zugesprochen. In den Übergangs- und
Schlußvorschriften dieses Gesetzes seien die einzelnen Bestimmungen geändert
worden, deren Anpassung an die neue Regelung notwendig gewesen sei. Dagegen
sei das Sonderzuwendungsgesetz in diese Änderungen nicht einbezogen worden.
Aus diesem Vorgehen ergebe sich, daß der Gesetzgeber auch nach Einführung
des Ehrensoldes den Anspruch auf Sonderzuwendung nur den aktiven
ehrenamtlichen Kommunalbeamten habe zubilligen wollen. Diese konkludente
Entscheidung des Gesetzgebers schließe die Annahme einer Unterlassung aus.
Der Antrag des Antragstellers vom 5. Februar 1974 richte sich mithin gegen die
Entscheidung des Gesetzgebers, die Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes
vom 21. Dezember 1964 in dem Gesetz vom 7. Oktober 1970 nicht auf ehemalige
kommunale Ehrenbeamte mit Anspruch auf Ehrensold ausgedehnt zu haben. Er
sei aber erst nach Ablauf der Ausschlußfrist von einem Jahr eingegangen, die auf
unmittelbar gegen Rechtsnormen gerichtete Grundrechtsklagen anzuwenden sei.
Zwar enthalte das Gesetz über den Staatsgerichtshof keine § 93 Abs. 2 BVerfGG
entsprechende Bestimmung. Der Staatsgerichtshof habe aber wiederholt
entschieden, daß diese Jahresfrist aus überwiegenden Gründen der
Rechtssicherheit auch für eine Grundrechtsklage zu gelten habe, die nach §§ 45
Abs. 2, 46 und 48 StGHG unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben werde. Der
Antrag sei mithin nicht mehr zulässig. Daß besondere tatsächliche
Voraussetzungen für einen besonderen Vertrauensschutz gegenüber dem
eingetretenen Fristablauf vorhanden seien, sei nicht ersichtlich.
b) Die Grundrechtsklage wäre überdies unbegründet.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 1 HV) sei nicht dargetan. Der
Grundsatz der Gleichbehandlung zwinge den Gesetzgeber nicht, kommunale
Ehrenbeamte nach ihrem Ausscheiden aus dem Ehrenamt genau so zu behandeln
wie Versorgungsempfänger im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 des
Sonderzuwendungsgesetzes vom 21. Dezember 1964. Vielmehr lägen
unterschiedliche Sachverhalte vor, die eine unterschiedliche Regelung durch den
Gesetzgeber erlaubten. Selbst auf Bundesebene werde der Ehrensold nicht als
ähnliche Versorgung im Sinne des § 160 Abs. 1 Nr. 1 BBG angesehen. Dies
bedeute, daß der Ehrensold - im Unterschied zu Versorgungsbezügen - nicht auf
andere Versorgungsbezüge, die aus einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst
stammten, angerechnet werde. Für den Ehrensold gelte nicht das
Kumulierungsverbot mehrerer Versorgungsbezüge. Dieser besondere Charakter
des Ehrensoldes lasse aber auch im Verhältnis zu den noch tätigen kommunalen
Ehrenbeamten mit Anspruch auf Aufwandentschädigung eine unterschiedliche
Behandlung zu. Denn die Einzelheiten der Ausgestaltung des Ehrensoldes - lange
Frist bis zum Entstehen des Anspruchs, Bindung an die Tätigkeit in einer
Gemeinde, geringe Höhe des Prozentsatzes der Aufwandsentschädigung
Nichtanrechnung auf andere Versorgungsbezüge - kennzeichneten diesen nicht
als eine unmittelbar die Aufwandentschädigung fortsetzende Leistung, die allein
einen Anspruch auf Sonderzuwendung - entsprechend der Regelung für die
Empfänger von Aufwandentschädigung - rechtfertigen könne.
Die behauptete Verletzung von sonstigen Grundrechten sei weder dargetan noch
begründet.
3. Der Antragsteller hat dazu seine Darlegungen wiederholt und näher erläutert.
Zur Fristenfrage vertritt er die Ansicht, daß erst ab 17. Dezember 1973 eine Frist
in Lauf gesetzt sein könne, weil es am 21. Dezember 1964 noch keine
Ehrensoldempfänger gegeben habe und er andererseits bis zum Jahr 1972
Weihnachtssonderzuwendungen erhalten habe.
IV.
Der Antrag kann keinen Erfolg haben.
1. Das Vorbringen des Antragstellers läßt nicht eindeutig erkennen, in welcher der
nach der Hessischen Verfassung (HV) und nach dem Gesetz über den
Staatsgerichtshof (StGHG) vorgesehenen Verfahrensarten er sein Begehren zu
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Staatsgerichtshof (StGHG) vorgesehenen Verfahrensarten er sein Begehren zu
verfolgen beabsichtigt. Er will mit seinem Antrag jedenfalls erreichen, daß die
Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die
Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung vom 21. Dezember 1964 (GVBl. I S.
247) - zuletzt geändert durch das Gesetz über die Erhöhung der jährlichen
Sonderzuwendung vom 17. Dezember 1973 (GVBl. I S. 480) - in den Hessischen
Landtag einbringt, durch den die Empfänger eines Ehrensoldes mit Wirkung vom 1.
Dezember 1973 den Versorgungsempfängern nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes
vom 21. Dezember 1964 gleichgestellt werden.
a) Falls er dieses Begehren im Wege einer Verfassungsstreitigkeit verfolgen will, so
ist sein Antrag schon deshalb unzulässig, weil er nicht zu dem Kreis derjenigen
Antragsberechtigten gehört, die nach Art. 131 Abs. 1 und 2 HV, §§ 44, 41 Abs. 2
und 17 Abs. 2 StGHG eine Verfassungsstreitigkeit vor dem Staatsgerichtshof
austragen können. Nur die in Art. 131 Abs. 2 HV genannten Antragsberechtigten -
eine Gruppe von Stimmberechtigten, die mindestens ein Hundertstel aller
Stimmberechtigten des Volkes umfaßt, der Landtag, ein Zehntel der gesetzlichen
Zahl seiner Mitglieder, die Landesregierung sowie der Ministerpräsident, zu denen
gemäß §§ 44, 41 Abs. 2, 17 Abs. 2 Nr. 6 StGHG der Landesanwalt hinzutritt -
können den Staatsgerichtshof im Wege einer Verfassungsstreitigkeit anrufen.
b) Der Antragsteller gehört auch nicht zu den in Art. 131 Abs. 2 HV und §§ 41 Abs.
2, 17 Abs. 2 StGHG genannten Antragsberechtigten, die, ohne eine persönliche
Beeinträchtigung geltend machen zu müssen, ein abstraktes
Normenkontrollverfahren gegen die Gesetze vom 21. Dezember 1964 bzw. vom
17. Dezember 1973 sowie gegen das Gesetz vom 7. Oktober 1970 erheben
können.
c) Schließlich kann der Antragsteller mit seinem Antrag auch nicht im Wege der
Grundrechtsklage nach § 45 Abs. 2 StGHG Erfolg haben. Den Antrag zur
Verteidigung der Grundrechte kann nur stellen, wer geltend macht, er sei in einem
von der Hessischen Verfassung gewährten Grundrecht verletzt. Die Hessische
Verfassung gewährt aber dem einzelnen Staatsbürger kein Grundrecht und auch
keinen grundrechtsähnlichen Anspruch darauf, daß ein zur Gesetzesinitiative
befugtes Staatsorgan das Gesetzgebungsverfahren mit einer Vorlage bestimmten
Inhaltes einleitet. Nach Art. 117 HV werden die Gesetzentwürfe allein von der
Landesregierung, aus der Mitte des Landtages oder durch Volksbegehren
eingebracht. Allein das Volksbegehren ist also nach der Hessischen Verfassung als
"außerparlamentarisches" Initiativrecht für eine Gesetzesvorlage vorgesehen. Über
das Volksbegehren ist nach Art. 124 Abs. 1 HV ein Volksentscheid herbeizuführen,
wenn ein Fünftel der Stimmberechtigten es stellt. Dem Volksbegehren muß ein
ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Nur das dem Volksbegehren
zugrunde liegende Gesetz ist von der Landesregierung unter Darlegung ihres
Standpunktes dem Landtag zu unterbreiten (Art. 124 Abs. 2 Satz 1 HV). Der
einzelne Grundrechtsträger kann sich also mit der Grundrechtsklage erst gegen
ein von den Gesetzgebungsorganen beschlossenes Gesetz wenden.
2. Demnach ist der Antrag des Antragstellers dahin umzudeuten, daß er sich im
Wege der Grundrechtsklage entweder gegen das Unterlassen des Gesetzgebers
wendet, die Ehrensoldempfänger nicht mit den Anspruchsberechtigten im Sinne
des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen
Sonderzuwendung vom 21. Dezember 1964 gleichgestellt zu haben, oder
unmittelbar gegen das Gesetz vom 21. Dezember 1964 und das Änderungsgesetz
vom 17. Dezember 1973 sowie gegen das Gesetz vom 7. Oktober 1970.
a) Die Grundrechtsklage gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers ist
grundsätzlich unbefristet, solange die Unterlassung dauert (vgl. BVerfGE 11, 255,
261; 13, 284, 287; 16, 119, 121). Soweit der Antragsteller ein Unterlassen des
Gesetzgebers rügt, ist sein Antrag daher rechtzeitig, aber unzulässig, weil die
besonderen Voraussetzungen nicht vorliegen, unter denen eine Grundrechtsklage
gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers gerichtet werden kann.
Ein Unterlassen des Gesetzgebers kann nur dann Gegenstand einer
Grundrechtsklage sein, wenn der Antragsteller sich auf einen ausdrücklichen
Auftrag der Hessischen Verfassung berufen kann, der Inhalt und Umfang der
Gesetzgebungspflicht im wesentlichen umgrenzt hat (vgl. dazu BVerfGE 11, 255,
261). Ob ein solcher ausdrücklicher Auftrag der Hessischen Verfassung an den
Gesetzgeber vorliegt, kann hier jedoch dahinstehen, weil eine Unterlassung des
Gesetzgebers im Hinblick auf die Gleichstellung der Ehrensoldempfänger mit den
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Gesetzgebers im Hinblick auf die Gleichstellung der Ehrensoldempfänger mit den
sonstigen Sonderzuwendungsberechtigten, insbesondere den
Versorgungsberechtigten, nicht feststellbar ist. In einem allgemeinen Sinne kann
man von einer "Unterlassung" des Gesetzgebers nur dann sprechen, wenn
bestimmte Ansprüche gegen den Staat überhaupt nicht oder nicht in
gewünschtem Umfange gewährt werden. Entscheidend ist dabei allein, ob ein
Gesetz eine Regelung solcher Ansprüche - auch eine ablehnende - enthält; denn
dann hat es der Gesetzgeber nicht "unterlassen", über diese Ansprüche zu
entscheiden.
Das Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung vom 21.
Dezember 1964 enthält eine Regelung über die Ansprüche auf Sonderzuwendung.
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes bestimmt den Kreis der Anspruchsberechtigten "nach
diesem Gesetz". § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes stellt den nach Abs. 1 Berechtigten
die ehrenamtlichen Bürgermeister und Kassenverwalter der Gemeinden, die
Aufwandentschädigung erhalten, gleich. Schon hieraus ergibt sich, daß diese
Vorschriften des Gesetzes enumerativen Charakter haben. Leistungen sollten nur
den Berechtigten nach diesem Gesetz gewährt werden (vgl. dazu BVerfGE 13, 284,
287). Damit hat das Gesetz eine abschließende Regelung über den Kreis der
Sonderzuwendungsempfänger getroffen, sie also nicht "unterlassen". Eine
Unterlassung des Gesetzgebers kann schon deshalb nicht vorliegen, weil es im
Jahre 1964 noch keine Ehrensoldempfänger gab. Der Anspruch auf Ehrensold ist
erst durch §§ 9 ff des Gesetzes über die Aufwandentschädigung und den Ehrensold
der ehrenamtlichen Bürgermeister und der ehrenamtlichen Kassenverwalter der
Gemeinden vom 7. Oktober 1970 gewährt worden.
Der Gesetzgeber hat es auch nicht "unterlassen", den Ehrensold nach §§ 9 ff des
Gesetzes vom 7. Oktober 1970 als Versorgungsbezug auszugestalten mit der
Folge, daß die Ehrensoldempfänger als "Versorgungsempfänger, denen laufende
Versorgungsbezüge zustehen", nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 21.
Dezember 1964 einen Anspruch auf die Gewährung einer jährlichen
Sonderzuwendung erhalten hätten. Daran war der Hessische Gesetzgeber
gehindert durch § 115 Abs. 2 des Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des
Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG) vom 22. Oktober 1965
(BGBl. I S. 1753) - in der damals gültigen Fassung -, nach dem Ehrenbeamte keine
Dienstbezüge und keine Versorgung erhalten durften, sowie durch § 186 Abs. 1 Nr.
2 des Hessischen Beamtengesetzes (HBG) vom 16. Februar 1970 (GVBl. I S. 110)
- in der damals gültigen Fassung -, nach dem die Vorschriften des Fünften
Abschnittes (Versorgung) auf die Ehrenbeamten keine Anwendung fanden. Von
dieser Rechtslage ist auch die Begründung der Vorlage der Landesregierung
betreffend den Entwurf für ein Gesetz über die Aufwandentschädigung und den
Ehrensold der ehrenamtlichen Bürgermeister und der ehrenamtlichen
Kassenverwalter der Gemeinden (Hessischer Landtag, 6. Wahlperiode, Drucksache
Nr. 3098 S. 8, 9) ausgegangen, in der ausgeführt ist, daß der Ehrensold nicht
Versorgung im Sinne des § 115 Abs. 2 BRRG, sondern Anerkennung für langjährige
Amtserfüllung im Interesse des öffentlichen Wohls in derselben Gemeinde sei;
damit unterscheide sich der Ehrensoldanspruch grundlegend vom
beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch.
Schließlich kann eine Unterlassung des Gesetzgebers der von dem Antragsteller
begehrten Gleichstellung auch nicht bei dem Erlaß des Gesetzes über die
Erhöhung der jährlichen Sonderzuwendung vom 17. Dezember 1973 festgestellt
werden, in dem das Gesetz vom 21. Dezember 1964 geändert wurde. Ob die
Änderung eines Gesetzes mit der Grundrechtsklage angegriffen werden kann,
hängt davon ab, ob die Gesetzesänderung die angefochtene Vorschrift mit
umfaßt. Das ist der Fall, wenn eine Bestimmung inhaltlich geändert bzw. bei
behauptetem Unterlassen des Gesetzgebers nicht geändert wird und gerade diese
neue Rechtslage die Verfassungswidrigkeit begründet oder erhöht. Der
Anwendungsbereich des Gesetzes vom 21. Dezember 1964 ist durch das
Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1973 nicht auf die Ehrensoldempfänger
erweitert worden. Hieran war der Gesetzgeber nicht nur durch die Vorschriften des
§ 115 Abs. 2 BRRG und § 186 Abs. 1 Nr. 2 HBG gehindert, sondern auch durch das
28. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971 (BGBl. I, 206). Es
hat in das Grundgesetz wegen der Auseinanderentwicklung der
Besoldungsregelung im öffentlichen Dienst Art. 74 a eingefügt und dem Bund die
konkurrierende Zuständigkeit für die Gesetzgebung von Besoldung und
Versorgung der Beamten zugewiesen. Das auf dieser Grundlage am gleichen Tage
ergangene Erste Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des
Besoldungsrechts in Bund und Ländern (1. BesVNG) vom 18. März 1971 (BGBl. I S.
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Besoldungsrechts in Bund und Ländern (1. BesVNG) vom 18. März 1971 (BGBl. I S.
208) hat zwar nur Teilbereiche geregelt und im übrigen das bestehende Recht
fortgeschrieben. Indessen besteht nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 1972 (BVerfGE 34, 9, 28) die Sperre
gemäß Artikel 72 GG fort, wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht
weiterhin Gebrauch macht, was auch in mehreren, zeitlich und inhaltlich
aneinander anschließenden Gesetzen geschehen kann. Der Bundesgesetzgeber
hat eine weitergehende Regelung inzwischen in dem Zweiten Gesetz zur
Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2.
BesVNG) vom 23. Mai 1975 (BGBl. I S. 1173) getroffen. Damit fehlt dem
Landesgesetzgeber jede Kompetenz für Neuregelungen auf dem Gebiet des
Versorgungsrechts, da das 2. BesVNG am 1. Juli 1975 in Kraft getreten ist. Ein
Unterlassen des Gesetzgebers hinsichtlich der von dem Antragsteller begehrten
Gleichstellung mit den Versorgungsempfängern liegt daher nicht vor.
b) Soweit der Antrag des Antragstellers in eine Grundrechtsklage wegen
Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegen das Gesetz vom 21.
Dezember 1964 und das Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1973 sowie gegen
das Gesetz vom 7. Oktober 1970 umgedeutet werden kann, ist sie nur unter der
Voraussetzung zulässig, daß eine Norm ein Grundrecht des Antragstellers
gegenwärtig und unmittelbar verletzt, ohne daß noch eine Ausführungsvorschrift
oder ein Vollziehungsakt hinzutreten müßte (vgl. u. a. Beschluß des StGH vom 5.
Juli 1972 - P. St. 661 -) und daß sie innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten des
Gesetzes erhoben ist (vgl. u. a. Beschluß des StGH vom 11. Oktober 1974 - P. St.
728 -). Für die Gesetze vom 21. Dezember 1964 und vom 7. Oktober 1970 ist
diese Jahresfrist bereits verstrichen. Das Gesetz vom 17. Dezember 1973 jedoch,
dessen Art. 1 mit Wirkung vom 1. Dezember 1973 in Kraft getreten ist, wirkt sich
nicht zugunsten des Antragstellers auf den Fristbeginn aus, weil es den
Anwendungsbereich des Gesetzes vom 21. Dezember 1964 nicht erweitert hat.
Das Änderungsgesetz vom 17. Dezember 1973 hat die angegriffene Vorschrift,
nämlich § 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 1964, nicht umfaßt.
3. Nach alledem ist der Antrag unter jedem der aufgezeigten rechtlichen
Gesichtspunkte unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.