Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: rechtsverordnung, vorbehaltsklausel, vorrang des gesetzes, hessen, juristische person, abstrakte normenkontrolle, vorbehalt des gesetzes, amtsblatt, verfassungsgerichtsbarkeit, exekutive

Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 548, P.St.
563
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 Verf HE, Art 20
Abs 1 Verf HE, Art 118 Verf
HE, Art 13 Verf HE, Art 133
Abs 1 Verf HE
Leitsatz
1. Ob der Staat eine Grundrechtsklage erheben kann, muss von Fall zu Fall nach der
Eigenart des geltend gemachten Rechts beantwortet werden.
a) Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 20 Abs. 1 HV) ist ein objektiver
Verfahrensgrundsatz, der für jedes gerichtliche Verfahren gilt und daher auch jedem
zugute kommen muss, der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist oder von einem
Verfahren unmittelbar betroffen wird.
b) Da auch der Staat, soweit er in einem gerichtlichen Verfahren Partei ist, sich mit den
in der Prozessordnung vorgesehenen Mitteln wehren kann, wenn er meint, seinem
gesetzlichen Richter entzogen zu sein, ist es folgerichtig, ihm zur Durchsetzung dieses
verfassungsrechtlich gesicherten prozessualen Rechts auch die Grundrechtsklage zur
Verfügung zu stellen.
c) Zwar kann jemand seinem gesetzlichen Richter dadurch entzogen werden, dass ein
Gericht die Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht außer acht lässt oder seine
Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint und dadurch eine Verschiebung der
Zuständigkeit im Einzelfall zum Nachteil einer Prozesspartei bewirkt. Art. 20 Abs. 1 Satz
1 HV bietet jedoch nur Schutz gegen Willkür, nicht schon gegen jeden aus Rechtsirrtum
begangenen Verfahrensverstoß.
2. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof darf im Normenkontrollverfahren nach § 47
VwGO die Rechtsverordnung, auf die sich der Normenkontrollantrag unmittelbar
bezieht, mit Rücksicht auf Art. 132 HV weder auf ihre Vereinbarkeit mit der Hessischen
Verfassung überprüfen noch zu diesem Zwecke des Staatsgerichtshof nach Art. 133
Abs. 1 HV anrufen.
3. Ein Verfassungsbruch, die stärkste Form der verfassungswidrigen Ausübung
öffentlicher Gewalt, liegt nur vor, wenn gegen die Gesamtgrundlage der Verfassung
verstoßen wird. Ein Verstoß gegen eine gesetzliche Regelung bedroht nicht schlechthin
den Bestand der Verfassung.
4. Die Hessische Verfassung definiert den Begriff der "Rechtsverordnung" im Sinne von
Art. 132 HV nicht selbst, sondern unterscheidet lediglich zwischen Rechtsverordnungen
und Verwaltungsverordnungen.
Rechtsverordnung sind generelle abstrakte Rechtssätze, die nicht im förmlichen
Gesetzgebungsverfahren entstehen, aber dennoch allgemeinverbindlich sind und als
Gesetze im materiellen Sinne bezeichnet werden. Inhaltlich unterscheiden sich
Rechtsverordnungen von Verwaltungsvorschriften dadurch, dass die Rechtsverordnung
sich mit Außenwirkung berechtigend und verpflichtend an den Bürger wendet, während
Verwaltungsvorschriften nicht für den einzelnen Staatsbürger verbindlicht sind, sondern
sich verwaltungsintern, also mit Innenwirkung an die nachgeordneten Behörden
wenden.
5. Der Geltung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts steht nicht entgegen, dass das
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5. Der Geltung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts steht nicht entgegen, dass das
Schulverhältnis herkömmlicherweise als Erscheinungsform des besonderen
Gewaltverhältnisses verstanden wird.
6. Der Grundsatz der Gewaltenteilung des Art. 118 HV gilt für das gesamte
Verordnungsrecht in Hessen. Der Staatsgerichtshof verneint in ständiger
Rechtsprechung, dass die Regelung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG dem
Landesverfassungsrecht Hessens immanent sei.
Tenor
1. Die "Ordnung für die Zulassung zu den höheren Semestern; Prüfungen,
Zuerkennung der Hochschulreife an Absolventen an Ingenieurschulen" vom 15.
März 1966, veröffentlicht im Amtsblatt des Hessischen Kultusministers (A. Bl. S.
332) ist mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
2. Der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 – R II
3/66 – wird für kraftlos erklärt; die Sache wird zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.
3. Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
4. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
A
I.
Der Hessische Kultusminister erließ am 15. März 1966 die "Ordnung für die
Zulassung zu den höheren Semestern; Prüfungen, Zuerkennung der
Hochschulreife an Absolventen an Ingenieurschulen" (nachfolgend abgekürzt:
"Ordnung"). Sie wurde im Amtsblatt des Hessischen Kultusministers (A. Bl. 1966 S.
332) veröffentlicht.
Auf Antrag des ... in ..., der Inhaber des "..., ..." ist, erklärte der Hessische
Verwaltungsgerichtshof in einem Normenkontrollverfahren nach § 47
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Beschluß vom 29. Mai 1968 – R II 3/66
– die "Ordnung" für ungültig. Er hielt den Antrag für zulässig, weil es sich bei der zu
überprüfenden "Ordnung" um eine Rechtsvorschrift handele. Maßgeblich sei der
materielle Inhalt der Vorschrift, nicht jedoch ihre Bezeichnung als "Erlaß" und ihre
Veröffentlichung im Amtsblatt des Hessischen Kultusministers. Eine Vielzahl der
Bestimmungen dieser "Ordnung", so die §§ 1, 10, 55, 57 Satz 1, 66, 72, 73, 85, 88,
89, 91, 92 hätten Außenwirkung. Selbst wenn Verwaltungsvorschriften in der
"Ordnung" enthalten seien, könnten sie wegen ihrer untergeordneten Bedeutung
am Rechtscharakter der "Ordnung" nichts ändern. Diese habe ihre ausreichende
gesetzliche Ermächtigung in § 37 Schulverwaltungsgesetz (SchVG) vom 28. Juni
1961 (GVBl. I S. 87), weshalb es der Prüfung einer gewohnheitsrechtlichen
Ermächtigung nicht bedürfe. Auch der Notwendigkeit einer ordnungsmäßigen
Verkündung als einer das besondere Gewaltverhältnis betreffenden
Sonderverordnung sei mit der Veröffentlichung im Amtsblatt des Kultusministers
Genüge getan. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte die Gültigkeit der "Ordnung"
jedoch mit Rücksicht auf die Nichtangabe der ermächtigenden Rechtsgrundlage.
Zwar scheide eine unmittelbare Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG, wonach
die Rechtsgrundlage in der Verordnung anzugeben sei, in der
Landesgesetzgebung aus. Indes sei diese Bestimmung ein Ausfluß des auch der
Hessischen Verfassung – HV – immanenten Gewaltenteilungsgrundsatzes. Da die
Rechtsgrundlage in der "Ordnung" nicht angegeben sei, sei diese ungültig.
Der Hessische Kultusminister hat am 26. Juni 1968 unter Angabe der
Rechtsgrundlage des § 37 Abs. 3 SchVG die Geltung der "Ordnung" für das
Sommersemester 1968 und Wintersemester 1968/69 erneut in seinem Amtsblatt
bekanntgegeben.
II.
Das Land Hessen, vertreten durch den Hessischen Ministerpräsidenten, hat am
28. Juni 1968 Grundrechtsklage erhoben und beantragt,
der Staatsgerichtshof möge den Beschluß des Hessischen
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der Staatsgerichtshof möge den Beschluß des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 – R II 3/66 – in dem
Normenkontrollverfahren des ..., ..., gegen das Land Hessen wegen Nachprüfung
der Rechtswirksamkeit des Erlasses des Hessischen Kultusministers vom 15. März
1966 (A. Bl. S. 332) für kraftlos erklären.
Die Hessische Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, hat
ferner einen Normenkontrollantrag gleichen Inhalts gestellt und weiter beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
29. Mai 1968 – R II 3/66 – festzustellen, daß der Erlaß des Hessischen
Kultusministers "Ordnung für die Zulassung zu den höheren Semestern;
Prüfungen, Zuerkennung der Hochschulreife an Absolventen an Ingenieurschulen"
vom 15. März 1966 (A. Bl. S. 332) mit der Verfassung des Landes Hessen
vereinbar ist.
Beide Verfahren hat der Staatsgerichtshof zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung verbunden.
1. Das Land Hessen hat zur Begründung der Grundrechtsklage ausgeführt, der
Hessische Verwaltungsgerichtshof habe die "Ordnung" als Rechtsverordnung
qualifiziert und sie auf ihre Vereinbarkeit mit der Hessischen Verfassung geprüft.
Die Entscheidung darüber, ob eine Rechtsverordnung des Landesrechts mit der
Hessischen Verfassung in Widerspruch stehe, sei aber nach Art. 132 HV dem
Staatsgerichtshof vorbehalten. Der Verwaltungsgerichtshof hätte über diese Frage
nicht selbst entscheiden dürfen, sondern hätte sie dem Staatsgerichtshof gemäß
Art. 133 HV, § 41 Gesetz über den Staatsgerichtshof – StGHG – zur Entscheidung
vorlegen müssen. Durch die Unterlassung der Vorlage sei das Land Hessen
seinem gesetzlichen Richter entzogen worden. Es handele sich dabei nicht nur um
einen unschädlichen Verfahrensverstoß, sondern um die Verletzung einer in der
Verfassung selbst getroffenen Zuständigkeitsregelung. Der Beschluß des
Verwaltungsgerichtshofs sei deshalb wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 1 Satz 1
HV aufzuheben. Die prozessualen Grundrechte der Landesverfassungen seien
durch Art. 142 GG aufrechterhalten worden. Auch im verwaltungsgerichtlichen
Normenkontrollverfahren gebe es einen Anspruch auf den gesetzlichen Richter,
den der Staat als Verfahrensbeteiligter in Anspruch nehmen könne.
2. Zum Normenkontrollantrag hat der Hessische Ministerpräsident im
wesentlichen ausgeführt, das Verhältnis der Anträge zueinander sei durch die
Zweifel am Rechtsnormcharakter der "Ordnung" bedingt. Falls diese entsprechend
der Rechtsauffassung der Landesregierung ein Erlaß sei, müsse sich der Antrag
auf Beseitigung des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs richten.
Das folge aus dem Ausschluß der Überprüfbarkeit von Verwaltungsvorschriften
sowohl im Normenkontrollverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wie auch vor
dem Staatsgerichtshof. Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs bestehe jedoch
formal weiter mit dem Schein der Allgemeinverbindlichkeit (§ 47 Satz 4 VwGO).
Das mache erforderlich, ihn in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 2 StGHG
für kraftlos zu erklären, da die Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofs nicht
weiter gehen könne als die des Staatsgerichtshofs. Falls sich die "Ordnung" jedoch
als Rechtsvorschrift erweise, ergebe sich die Befugnis zu ihrer Überprüfung aus
Art. 131 HV.
Die Bindungswirkung der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (§
47 Satz 4 VwGO) könne gegenüber der Prüfungsbefugnis des Staatsgerichtshofs
nicht durchgreifen. Der Beschluß sei ohne besondere Feststellung schon deshalb
unwirksam, weil der Verwaltungsgerichtshof für seine auf die Unvereinbarkeit der
"Ordnung" mit der Hessischen Verfassung gestützte Ungültigkeitserklärung keine
Gerichtsbarkeit habe. § 47 Satz 1 VwGO eröffne die Normenkontrolle, soweit nicht
gesetzlich vorgesehen sei, daß die Rechtsvorschrift durch ein Verfassungsgericht
nachprüfbar sei (Vorbehaltsklausel). Die Monopolisierung beim Staatsgerichtshof
gemäß Art. 132 HV untersage dem Verwaltungsgerichtshof die Heranziehung der
Hessischen Verfassung als Prüfungsmaßstab. Richtiger Ansicht nach könne der
Verwaltungsgerichtshof die Norm, die Prüfungsgegenstand im
Normenkontrollverfahren sei, dem Staatsgerichtshof nicht einmal zur Feststellung
ihrer Verfassungswidrigkeit vorlegen. Art. 133 Abs. 1 HV regele die Inzidentvorlage;
bei der Normenkontrolle nach § 47 VwGO sei die Gültigkeit der Norm jedoch
Hauptfrage.
Eine Auslegung des § 47 Satz 1 VwGO, die zur Beschränkung des
Verwerfungsmonopols des Staatsgerichtshofs führen könnte, hätte die
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Verwerfungsmonopols des Staatsgerichtshofs führen könnte, hätte die
Feststellung einer Kompetenzüberschreitung des Bundesgesetzgebers zum
Ergebnis, da diesem eine Zuständigkeit für die Regelung spezifischen
Landesverfassungsrechts fehle. Die Entscheidung eines Gerichts, die in der
dargestellten Weise auf einem Verfassungsverstoß beruhe, sei ebenso als nichtig
zu behandeln wie ein Urteil gegen eine einer Gerichtsbarkeit nicht unterworfene
Person.
Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen bestehe aber auch ein Vorrang
der verfassungsgerichtlichen gegenüber der verwaltungsgerichtlichen
Normenkontrolle, der eine Bindung des Staatsgerichtshofs ausschließe. In einer
bundesrechtlichen Verfahrensordnung ergangene Urteile seien bei einer
Verfassungsverletzung ohne Rücksicht auf ihre Rechtskraft für kraftlos zu erklären.
Die Erweiterung der Rechtskraft auf eine Wirkung "inter omnes" durch § 47 Satz 4
VwGO könne daran nichts ändern.
Die "Ordnung" müsse unabhängig davon Bestand haben, ob sie als
Verwaltungsvorschrift, Sonderverordnung oder Rechtsverordnung zu qualifizieren
sei.
a) Daß es sich bei der "Ordnung" um einen nicht nachprüfbaren Erlaß handele,
ergebe sich aus der Verwendung des Begriffs "Ordnung" im Unterschied zur
"Verordnung", aus der Bezeichnung "Erlaß" und aus der Veröffentlichung im
Amtsblatt des Hessischen Kultusministers. Der damit bekundete Wille des
Kultusministers als Ordnungsgeber entspreche der Rechtslage. § 37 SchVG habe
auch dann einen Sinn, wenn er nicht als Ermächtigung zur Rechtsetzung aufgefaßt
werde. Er stelle die Zuständigkeit des Kultusministers zum Erlaß von
Verwaltungsvorschriften klar und begrenze sie zugleich inhaltlich. Die Prüfung des
Rechtssatzcharakters einer Vorschrift allein auf ihre Außenwirkung hin, führe zu
einem Zirkelschluß. Ob eine Vorschrift Außenwirkung habe, hänge davon ab, ob sie
Rechtssatz sei. Deshalb müsse die Prüfung von der Regelungsbefugnis der
normsetzenden Stelle ausgehen. Wer eine Materie verbindlich ordnen könne,
könne auch Normen mit Außenwirkung setzen. Die Grenzziehung zwischen
Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung nach der Funktionenverteilung
zwischen Legislative und Exekutive sei historisch gewachsen. An diese die
Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit beherrschende Begriffsbildung knüpfe die
Hessische Verfassung ebenso wie das Grundgesetz an. Deshalb erscheine es
unzulässig, die Abgrenzung der Funktionsbereiche durch Neudefinitionen des
Rechtsstaatsbegriffs zu verschieben. Eine solche Begriffsverschiebung führe zu
einer Verfassungswandlung. Grundgesetz und Hessische Verfassung gingen davon
aus, daß die Verwaltung im Bereich außerhalb des Gesetzesvorbehalts allgemeine
Verwaltungsverordnungen erlassen könne. Zu den Bereichen, die zu einem
erheblichen Teil der Regelung durch die Verwaltung offen stünden, gehöre das
"besondere Gewaltverhältnis Schule". Der Teil des Schulwesens, den man als
Unterrichtswesen zusammenfassen könne, müsse auch deshalb der Regelung
durch die Verwaltung zugänglich bleiben, weil nur so die den
Erziehungsberechtigten verfassungsrechtlich garantierte Mitbestimmung (Art. 56
Abs. 6 HV) gesichert werden könne. Die Mitbestimmung bei der Gesetzgebung, zu
der auch der Erlaß von Rechtsverordnungen gehöre, könne den
Erziehungsberechtigten im Hinblick auf das parlamentarische Prinzip nicht
eingeräumt werden. Eine Auslegung, die von der Verfassung als widerspruchsfreier
Gesamtordnung ausgehe, führe zum Ergebnis, daß den allgemeinen
Schulordnungen, Prüfungsordnungen, Versetzungsrichtlinien und ähnlichen
Regelungen des Kultusministers nicht die Eigenschaft einer Rechtsvorschrift
zukomme.
b) Wenn man aber davon ausgehe, daß es sich bei der "Ordnung" um eine das
besondere Gewaltverhältnis regelnde Sonderverordnung handele, müsse
möglicherweise die Normenkontrollbefugnis im Sinne des § 47 VwGO und Art. 131
HV bejaht werden. Das Mitbestimmungsrecht der Eltern stehe dieser Einordnung
nicht im Wege, da auch eine Sonderverordnung voll in der Verfügungsbefugnis der
Exekutive bleibe, Vom Parlamentarischen Rat sei der Charakter der
Sonderverordnung als Rechtssatz nicht erkannt worden. Deshalb erfasse Art. 80
GG nur die dem Gesetzesvorbehalt unterfallenden Materien. Die Regeln über die
Verkündung von Rechtsverordnungen seien ebenfalls nicht anwendbar; es genüge,
wenn der betroffene Personenkreis von der Regelung Kenntnis nehmen könne. Die
"Ordnung" genüge damit allen Anforderungen an eine Sonderverordnung.
c) Stufe man dagegen die "Ordnung" als Rechtsverordnung ein, seien Bedenken
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c) Stufe man dagegen die "Ordnung" als Rechtsverordnung ein, seien Bedenken
gegen ihre Gültigkeit ebenfalls unbegründet. In diesem Falle müsse § 37 SchVG als
Ermächtigungsgrundlage angesehen werden, in deren Rahmen der Erlaß gelte.
Der Erlaß sei auch ordnungsgemäß verkündet. Ein Verfassungssatz, demzufolge
die Verkündung von Rechtsverordnungen durch Verfassung oder Gesetz geregelt
sein müsse, sei nicht nachweisbar. Weder Art. 120 HV noch allgemeine
Rechtsgrundsätze zwängen dazu, Rechtsverordnungen ausschließlich im Gesetz-
und Verordnungsblatt zu verkünden. Allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen
genüge der Abdruck des Erlasses im Amtsblatt des Kultusministers, in dem seit
dem Jahre 1947 in ständiger Übung alle den Geschäftsbereich des Kultusministers
betreffende Erlasse, Richtlinien und Rechtsvorschriften – letztere in der Regel
nachrichtlich – abgedruckt würden.
Die "Ordnung" könne nicht an Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG gemessen werden, da
diese Vorschrift nicht Bestandteil der Hessischen Verfassung sei. Das gelte selbst
für die bedeutsamere Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, die unmittelbar nur
auf bundesrechtliche Ermächtigungen angewendet werden könne. Eine mittelbare
Bindung des Landesgesetzgebers über die Homogonitätsvorschrift des Art. 28
Abs. 1 GG bestehe ebenfalls nicht, da Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nur eine Teilfrage
der Gewaltenteilung regele und diese eine von der Hessischen Verfassung
abweichende Ausgestaltung gefunden habe. Das gelte noch in verstärktem Maße
für Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG. Auch als Gebot der Rechtsstaatlichkeit könne die
Verpflichtung zur Angabe der Ermächtigungsnorm nicht in den Rang eines
Landesverfassungssatzes gehoben werden. Eine derartige Verpflichtung könne
zwar dem Bürger das Vorgehen gegen Rechtsnormen erleichtern, sei aber schon
deshalb nicht als Verfassungssatz anzusehen, weil in Hessen das Recht des
Staatsbürgers, eine unmittelbare gerichtliche Kontrolle von Rechtsverordnungen
zu erlangen, nicht verfassungsrechtlich gesichert sei. Die Übernahme des Art. 80
Abs. 1 Satz 3 GG in das Landesverfassungsrecht scheitere schließlich auch daran,
daß dieser Grundsatz mittels der Kompetenzklausel allenfalls Landesrecht
brechen, sich aber nicht als Landesrecht anstelle der verdrängten Rechtssätze
setzen könne. Alle formalen Anforderungen einer Rechtsverordnung seien damit
erfüllt.
3. Die Landesregierung hat dem Staatsgerichtshof zur Unterstützung ihres
Rechtsstandpunkts ein Rechtsgutachten vom 26. März 1969 vorgelegt, das von
Professor Dr. Dr. Böckenförde und dem wissenschaftlichen Assistenten Dr. Grawert
erstattet worden ist. Es ist in seinen wesentlichen Teilen im Archiv des öffentlichen
Rechts – AöR – Bd. 95, 1 ff veröffentlicht (im folgenden danach zitiert). Das
Gutachten kommt nach einer historischen Ableitung des Rechtssatzbegriffs zu
dem Ergebnis, daß die spätkonstitutionelle Staatslehre die theoretischbegriffliche
Abgrenzung von Rechtssatz und Verwaltungsverordnung konkret
verfassungsrechtlich gemäß den Funktionsbereichen der konstitutionellen
gesetzgebenden Gewalt vorgenommen habe. Diese Abgrenzung sei indes in der
Staatspraxis nicht konsequent befolgt worden. Bestimmte besondere
Gewaltverhältnisse – u. a. Beamtenrecht, Teile des Wehrrechts,
Prüfungsanforderungen für den höheren Justizdienst und Teile des Schulrechts –
seien durch förmliche Gesetze aufgrund des über den "Vorbehalt des Gesetzes"
hinausgehenden "Zugriffsrechts der Legislative" geregelt worden. Nachdem der
Rechtssatzcharakter der Sonderverordnung rechtstheoretisch erkannt sei, müsse
anhand der Grundentscheidungen der Verfassung entschieden werden, ob sie als
Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift zu behandeln sei.
Die Gleichstellung von Sonder- und Rechtsverordnungen sei durch die
Ausgestaltung des Rechtsstaates im Sinne eines umfassenden Rechtsschutzes
des einzelnen Bürgers gegenüber jeder Art der Ausübung öffentlicher Gewalt im
Grundgesetz bereits vorgezeichnet. Hinsichtlich der Erlaßkompetenz gehöre die
Sonderverordnung jedoch in den Funktionsbereich der Exekutive, da sie außerhalb
des allgemeinen Gesetzesvorbehalts liege. § 37 SchVG sei auch nicht so zu
verstehen, als ob damit der Gesetzgeber kraft seines Zugriffsrechts die Befugnis
für die Regelung des besonderen Gewaltverhältnisses "Schule" erkennbar an sich
gezogen hätte. § 37 SchVG eröffne nicht den Rechtssetzungsbereich der
Exekutive, sondern begrenze deren an sich gegebene Zuständigkeit. Dieser
gegenüber einer Ermächtigung im Sinne des Art. 80 GG anders geartete Zweck
des § 37 SchVG mache das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG
gegenstandslos.
III.
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Der Landesanwalt hat sich der Normenkontrollklage der Hessischen
Landesregierung mit den Anträgen angeschlossen, der Staatsgerichtshof möge
erkennen:
1 a) Mit Artikel 132 der Verfassung des Landes Hessen ist ein Verfahren nach § 11
des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 6.
Februar 1962 – GVBl. S. 13 –, in welchem zu entscheiden ist, ob eine
Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch steht, nicht vereinbar.
b) Dieses Urteil hat Gesetzeskraft; es gilt mit Wirkung vom 9. Februar 1962.
2) Der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 – R II
3/66 – in dem Normenkontrollverfahren des ..., ..., Antragstellers, gegen das Land
Hessen, ... Antragsgegner, wegen Nachprüfung der Rechtswirksamkeit des
Erlasses des Hessischen Kultusministers vom 15. März 1966 (A. Bl. S. 332) wird für
kraftlos erklärt.
Der Landesanwalt hat zur Begründung vorgetragen, der Verwaltungsgerichtshof
habe mit der Prüfung der "Ordnung" als Rechtsverordnung auf ihre Vereinbarkeit
mit der Hessischen Verfassung gegen das Prüfungs- und Verwerfungsmonopol des
Staatsgerichtshofs nach Art. 132 HV verstoßen. Der Verwaltungsgerichtshof hätte
die Prüfung nur vornehmen dürfen, wenn § 47 VwGO in Verbindung mit § 11
HessAGVwGO die Kompetenz des Staatsgerichtshofs beschränkt hätte. Eine
solche Auffassung sei aber unrichtig. Die Vorbehaltsklausel des § 47 VwGO stelle
klar, daß eine landesrechtliche Regelung hinsichtlich der
Verfassungsgerichtsbarkeit unberührt bleibe. Die zutage getretene Unsicherheit
über Auslegung und Anwendung des Art. 132 HV erfordere eine auf den Tag der
Verkündung des Hessischen Ausführungsgesetzes zur
Verwaltungsgerichtsordnung rückwirkende authentische Auslegung des
Staatsgerichtshofs. Darüber hinaus müßten die Folgen der Verfassungsverletzung
beseitigt werden. Wer dazu berufen sei, die Folgen eines Verfassungsbruchs zu
beseitigen, beantworte sich aus der konkreten Widerstandslage. Aus Art. 146 Abs.
1, 147 Abs. 1 HV in Verbindung mit dem Abschnitt VIII der Verfassung sei die
Befugnis des Staatsgerichtshofs herzuleiten, seine rechtsprechende Gewalt auch
außerhalb der enumerativ geregelten Verfahren des Staatsgerichtshofs gesetzlich
einzusetzen. Hieraus ergebe sich die Befugnis, den Beschluß des
Verwaltungsgerichtshofs aufzuheben.
IV.
Dem Antragsteller des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, ..., ist
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Er hat im wesentlichen
ausgeführt:
Der Ausgang des Verfahrens sei für ihn nur von untergeordneter Bedeutung, da
der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs lediglich auf einen formalen Mangel der
"Ordnung" gestützt sei. Die erneute Inkraftsetzung der "Ordnung" am 26. Juni 1968
durch den Kultusminister unter Hinzufügung eines Ermächtigungshinweises habe
die eigentlichen Probleme unverändert gelassen, so daß für ihn keine Änderung
seiner Rechtssituation eintrete. Aber auch an der Aufhebung des Beschlusses und
an einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs sei er nur noch in geringem Maße
interessiert, weil die zu erwartende Fachhochschulgesetzgebung die anstehenden
Fragen gesetzlich regeln werde. Die "Ordnung" sei nicht als Rechtsverordnung
gewollt gewesen, hätte aber nur als solche erlassen werden dürfen. Selbst wenn
man "Sonderverordnungen" als dritte Kategorie von Verordnungen anerkenne, für
welche die Exekutive keine gesetzlichen Ermächtigungen benötige, so könnte auch
die Sonderverordnung nur jene Angelegenheiten regeln, welche ein sog.
besonderes Gewaltverhältnis ordnen. Die Prüfungsordnung erfasse aber mit einem
Teil ihrer Bestimmungen Personen, die nicht dem besonderen Gewaltverhältnis
"Schule" unterworfen seien, und überschreite damit die Regelungsbefugnis im
Rahmen einer Sonderverordnung. Das gelte für die Ingenieurprüfung der Externen
(§§ 61 ff) und für das besondere Verfahren zur Erlangung der Hochschulreife
solcher, die bereits aus der Ingenieurschule ausgeschieden seien (§§ 73 ff).
B.
Der Staatsgerichtshof hat sowohl über den vom Lande Hessen gestellten Antrag
wegen Verletzung von Grundrechten durch den Beschluß des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 – R II 3/66 – als auch über den von der
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Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 – R II 3/66 – als auch über den von der
Hessischen Landesregierung gestellten Antrag auf Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des Erlasses des Hessischen Kultusministers "Ordnung für
die Zulassung zu den höheren Semestern; Prüfungen, Zuerkennung der
Hochschulreife an Absolventen an Ingenieurschulen" vom 15. März 1966 zu
befinden. Die Grundrechtsklage ist zwar zulässig, aber unbegründet; die
Normenkontrolle muß dagegen im wesentlichen zum Erfolg führen.
I.
1. Die Grundrechtsklage ist zulässig.
a) Gemäß Art. 131 Abs. 1 HV entscheidet der Staatsgerichtshof über die
Verletzung von Grundrechten. Diesen Antrag kann jedermann stellen, der die
Voraussetzungen des Art. 131 Abs. 2 HV in Verbindung mit §§ 45 ff StGHG erfüllt.
Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 findet ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen
Verletzung eines Grundrechts nur statt, wenn der Antragsteller eine Entscheidung
des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat und innerhalb
eines Monats seit Zustellung dieser Entscheidung den Staatsgerichtshof anruft.
Gegen die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs nach § 47 VwGO
ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die Frist des § 48 Abs. 3 Satz 1 StGHG ist
gewahrt.
b) Das Land Hessen rügt mit seiner Grundrechtsklage, durch den Beschluß des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1968 sei es dem gesetzlichen
Richter entzogen worden (Art. 20 Abs. 1 Satz 1 HV). Gegen die Fortgeltung dieses
prozessualen Grundrechts der Hessischen Verfassung bestehen keine
durchgreifenden Bedenken. Artikel 20 Abs. 1 Satz 1 HV gewährleistet wie der
gleichlautende Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein Grundrecht. Seiner Weitergeltung
nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes steht der Grundsatz "Bundesrecht
bricht Landesrecht" (Art. 31 GG) nicht entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben,
ob Art. 31 GG auch für inhaltsgleiches Landesrecht gilt (so im Ergebnis Hess.
StGH, Beschluß vom 27. Juli 1951 – P. St. 94 –, NJW 1951, 734, und Urteil vom 21.
August 1953 – P. St. 143 –; Nieders. StGH, Beschluß vom 18. Juli 1969 – 1/68 –,
DVBl. 1969, 740; a. M.: NRWVerfGH, OVGE 16, 315 (317); Milleker, DVBl. 1969, 129
(133) mit weiteren Nachweisen). Zwar bezeichnet Art. 142 GG nur die in
Übereinstimmung mit Art. 1 bis 18 GG stehenden Grundrechte der
Landesverfassungen ausdrücklich als fortbestehend; jedoch stehen einige an
anderer Stelle von der Verfassung gewährleisteten Rechte den in Art. 142 GG
genannten der Qualität nach gleich. Art. 142 GG muß deshalb auch für derartige in
der Landesverfassung enthaltenen Rechte gelten (BVerfGE 22, 267 (271)).
Auch das Land Hessen kann sich gegenüber seinen Gerichten auf Art. 20 Abs. 1
HV berufen. Ob der Staat eine Grundrechtsklage erheben kann, muß von Fall zu
Fall nach der Eigenart des geltend gemachten Rechts beantwortet werden. Der
Anspruch auf den gesetzlichen Richter ist ein objektiver Verfahrensgrundsatz, der
für jedes gerichtliche Verfahren gilt und daher auch jedem zugute kommen muß,
der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist oder von einem Verfahren
unmittelbar betroffen wird, gleichgültig ob es sich um eine natürliche oder eine
juristische Person handelt (BVerfGE 18, 441 (447)). Da auch der Staat, soweit er in
einem gerichtlichen Verfahren Partei ist, sich mit den in der Prozeßordnung
vorgesehenen Mitteln wehren kann, wenn er meint, seinem gesetzlichen Richter
entzogen zu sein, ist es folgerichtig, ihm zur Durchsetzung dieses
verfassungsrechtlich gesicherten prozessualen Rechts auch die Grundrechtsklage
zur Verfügung zu stellen (vgl. auch zur ähnlichen Problematik der Zulässigkeit
eines Insichprozesses OVG Koblenz, DÖV 1970, 351 (352)). So hat das
Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden des Freistaates Bayern, der
als Fiskus in Anspruch genommen wurde, und der Deutschen Bundesbahn wegen
Verletzung der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und 103 Abs. 1 GG für zulässig erklärt
(BVerfGE 6, 45 (49); 13, 132 (139)).
Auch im Rahmen eines Verfahrens gemäß § 47 VwGO ist, wie es das
Bundesverfassungsgericht formuliert hat (BVerfGE 6, 45 (49)), der Staat in
Verwirklichung des Grundsatzes der Gewaltenteilung wie jede andere juristische
Person richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen. Er ist somit "jedermann" im Sinne
des § 45 Abs. 2 StGHG. Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter kann auch im
Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO nicht verneint werden. Zwar hat das
Bundesverfassungsgericht entschieden, daß im Normenkontrollverfahren gemäß
Art. 100 GG kein Anspruch auf den gesetzlichen Richter bestehe, weil die
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Art. 100 GG kein Anspruch auf den gesetzlichen Richter bestehe, weil die
Antragsberechtigten keine eigenen Rechte verfolgten, sondern nur den Anstoß zu
einem objektiven Verfahren gäben (BVerfGE 2, 79 (91)). Indessen kann die
verfassungsgerichtliche Normenkontrolle nicht ohne weiteres dem
Normenkontrollverfahren vor den Oberverwaltungsgerichten
(Verwaltungsgerichtshöfen) gleichgestellt werden. Im Gegensatz zur
verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle muß der Antragsteller bei der
verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO einen Nachteil, den er
erlitten oder zu erwarten hat, geltend machen. Sowohl für den Antragsteller wie für
das Land, gegen das der Antrag zu richten ist (§ 11 Abs. 2 HessAGVwGO), ist das
Verfahren jedenfalls in Hessen als Parteistreitigkeit ausgestaltet und den
Beteiligten damit der Anspruch auf den gesetzlichen Richter eingeräumt (vgl. aber
Bettermann AöR Bd. 86, 129 (166), der das Verfahren gemäß § 47 VwGO nicht als
kontradiktorisch gestaltet ansieht). Das Bundesverfassungsgericht hat den
Anspruch auf den gesetzlichen Richter sogar für die Popularklage nach
bayerischem Verfassungsrecht anerkannt, in der die unzulässige Einschränkung
eines Grundrechts gerügt wird, von der der Antragsteller selbst nicht einmal
betroffen zu sein braucht (BVerfGE 13, 132 (140)).
c) Weiter steht der Grundrechtsklage nicht entgegen, daß die Entscheidung des
Verwaltungsgerichtshofs nach § 47 Satz 4 VwGO allgemein verbindlich ist. Es ist
allerdings entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht denkbar, daß der
Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs bereits ohne besondere Feststellung
unwirksam sein könnte. Die Nichtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung wird
ausnahmsweise beim Fehlen der Gerichtsbarkeit (nicht lediglich der
Zuständigkeit), etwa bei einem Urteil gegen Exterritoriale, für möglich gehalten
(vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., Übersicht vor § 300
Anm. 3; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205 (212 f) mit weiteren Nachweisen). Zu Fällen
dieser Art würde jedoch eine Kompetenzüberschreitung des
Verwaltungsgerichtshofs selbst unter Verletzung des in der Verfassung
verankerten Verwerfungsmonopols des Staatsgerichtshofs (Art. 132 HV) nicht
gehören. Auch das Bundesverfassungsgericht hat eine unter Verletzung der
Vorlagepflicht gemäß Art. 100 Abs. 2 GG ergangene Entscheidung lediglich auf
eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geprüft (BVerfGE 23, 288 (320)).
Bei dem durch den Verfassungsvorbehalt des § 47 Satz 1 VwGO begründeten
engen Zusammenhang zwischen Zuständigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit
einerseits und Kompetenzbegrenzung des Verwaltungsgerichtshofs andererseits
kann eine Kompetenzüberschreitung durch den letzteren allenfalls beim Vorliegen
weiterer Voraussetzungen zur Aufhebbarkeit der Entscheidung wegen Verletzung
des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter führen.
Die Überprüfbarkeit auch von Entscheidungen im Verfahren nach § 47 VwGO in
Verbindung mit § 11 HessAGVwGO folgt vielmehr aus dem Wesen der
Verfassungsgerichtsbarkeit. Urteile sind ohne Rücksicht auf die Rechtskraft bei
einer Verfassungsverletzung für kraftlos zu erklären (vgl. für die Grundrechtsklage
§ 49 Abs. 2 StGHG). Daran kann die Erweiterung der Rechtskraft zu einer
Bindungswirkung inter omnes (vgl. Barwinski in Zinn-Stein, Kommentar zur HV,
Anm. B I 10 zu Art. 131 bis 133; Wilken, DVBl. 1969, 532 (535); Wolfram, Die
verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO, jur. Diss, Köln 1967, S.
28 Fußn. 70; Holtkotten in Bonner Kommentar, Art. 93 Anm. II B 2 d) nichts
ändern. Nur diese Auslegung des § 47 Satz 4 VwGO ist verfassungskonform, da
seit der Verankerung der Verfassungsbeschwerde im Grundgesetz (Art. 93 Abs. 1
Nr. 4 a, 4 b GG) durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29.
Januar 1969 (BGBl. I 97) die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des
Grundrechts auf den gesetzlichen Richter durch einfache gesetzliche Regelung
nicht ausgeschlossen werden kann. Ein Gesetz, das die im Grundgesetz selbst
vorgesehenen Verfahren ausschlösse, wäre mit den entsprechenden
Bestimmungen des Grundgesetzes unvereinbar und deshalb nichtig (vgl. BVerfGE
24, 33 (48)). Daß § 47 Satz 4 VwGO auch der abstrakten Normenkontrolle der
Verfassungsgerichte nicht entgegensteht, wird nachstehend näher auszuführen
sein (II 1 c).
2. Die Grundrechtsklage ist jedoch nicht begründet.
Zwar kann jemand dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, daß ein
Gericht die Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht außer acht läßt (vgl. BVerfGE
18, 441 (447); 23, 288 (320); Leibholz-Rinck, Kommentar zum Grundgesetz, 3.
Aufl., Art. 101, Rdnr. 6) oder seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint
und dadurch eine Verschiebung der Zuständigkeit im Einzelfall zum Nachteil einer
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und dadurch eine Verschiebung der Zuständigkeit im Einzelfall zum Nachteil einer
Prozeßpartei bewirkt (vgl. BVerfGE 3, 359 (364); 13, 132 (144)). Hierzu bedarf es
jedoch vorweg der Klärung der Frage, wie weit die Vorbehaltsklausel des § 47 Satz
1 VwGO trägt und in welchem Umfange sie vom Verwaltungsgerichtshof in der
angegriffenen Entscheidung im Ergebnis nicht beachtet worden ist. Nach der
Vorbehaltsklausel steht dem Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung im
Normenkontrollverfahren nämlich nur zu, soweit nicht gesetzlich vorgeschrieben
ist, daß die Rechtsvorschrift durch ein Verfassungsgericht nachprüfbar ist.
a) § 11 HessAGVwGO enthält die Vorbehaltsklausel zugunsten der
Verfassungsgerichtsbarkeit nicht. Hieraus sind Bedenken gegen die Gültigkeit des
§ 11 HessAGVwGO vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zunächst nicht
hergeleitet worden (Beschluß vom 22. Mai 1963 – R I 1/63 –). Erst in dem Beschluß
vom 19. Februar 1965 – R IV 1/63 – (DÖV 1966, 573 (L)) sind eingehendere
Erwägungen dazu angestellt worden. In diesem Beschluß hat der IV. Senat des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ausgeführt, § 11 HessAGVwGO gehe seinem
Wortlaut nach zwar über die gesetzliche Ermächtigung des § 47 Satz 1 VwGO
hinaus, dies sei aber unschädlich. Entweder handele es sich um ein bloßes
Versehen des Gesetzgebers, das keine rechtlichen Folgen habe, oder um eine
Überschreitung der Ermächtigung des § 47 Satz 1 VwGO. Im letzteren Falle sei §
11 HessAGVwGO jedenfalls im Umfang der Ermächtigung als gültig anzusehen.
Diese Rechtsansicht hat der IV. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in
ständiger Rechtsprechung beibehalten (Beschluß vom 13. August 1965 – R IV 4/64
–, StAnz. 1966, 185, 891 – Gemeindetag 1966, 360; Beschluß vom 7. Oktober
1966 – R IV 6/64 –, ESVGH 17, 111; Beschluß vom 11. November 1966 – R IV 1/66
–, NJW 1967, 266, DVBl. 1967, 389). Er hat sie in dem Beschluß vom 15. März 1968
– R IV 2/66 – gegen die Einwendungen der Verfahrensbeteiligten verteidigt. Der I.
Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat sich dieser Auffassung in den
Beschlüssen vom 23. April 1968 – I N 1/67 und I N 2/67 – (Hess. VGRspr. 1968, 57
(65)) angeschlossen. Der V. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist
dieser Auffassung mit eingehender Begründung gefolgt (Beschluß vom 6.
Dezember 1968 – V N 1/67 –, ESVGH 19, 196 – DVBl. 1969, 554 – Gemeindetag
1969, 205). Der VI. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat die Frage in
seinem Beschluß vom 1. Juli 1968 – VI N 1/68 – offen gelassen.
Der Staatsgerichtshof hat im vorliegenden Verfahren die Verfassungsmäßigkeit
des § 11 HessAGVwGO nicht zu prüfen. Daß diese Bestimmung sich im Rahman
des § 47 VwGO hält, bezweifelt er nicht. Die Schranken, die der hessische
Gesetzgeber bei der Einführung der Normenkontrolle in Hessen zu beachten
hatte, sind in § 47 Satz 1 VwGO verbindlich festgelegt, so daß es ihrer
Wiederholung in § 11 HessAGVwGO nicht bedurfte. Aus dem Fehlen der
Vorbehaltsklausel in § 11 HessAGVwGO kann daher nicht der Schluß gezogen
werden, der hessische Gesetzgeber habe sich über die Vorbehaltsklausel des § 47
Satz 1 VwGO hinweggesetzt. Zwar hätte der hessische Gesetzgeber die
Vorbehaltsklausel in § 11 HessAGVwGO aufnehmen können; dem wäre aber nur
deklaratorische, keine konstitutive Bedeutung zugekommen (ebenso Bayer. VGH,
Beschluß vom 9. November 1961 (VRspr. Bd. 14, 321) zu Art. 10 Bayer. AGVwGO
vom 28. November 1960, GVBl. S. 266, der nur die Vorbehaltsklausel zugunsten
des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, nicht auch zugunsten des
Bundesverfassungsgerichts enthält). Abgesehen davon sind Anhaltspunkte dafür,
daß der hessische Gesetzgeber bei der Schaffung des § 11 HessAGVwGO die
Vorbehaltsklausel des § 47 Satz 1 VwGO mißachtet hätte und eine von der
Vorbehaltsklausel unabhängige Normenkontrolle in Hessen hätte einführen wollen,
nicht ersichtlich.
b) Die Vorbehaltsklausel des § 47 Satz 1 VwGO zugunsten der
Verfassungsgerichtsbarkeit hat den mit der Normenkontrolle befaßten
Oberverwaltungsgerichten (Verwaltungsgerichtshöfen) und dem Schrifttum
erhebliche Schwierigkeiten bei der Auslegung bereitet. Schon bald nach Erlaß der
Verwaltungsgerichtsordnung und im zunehmenden Maße nach Einführung der
Normenkontrolle in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen
und Schleswig-Holstein haben sich zwei Betrachtungsweisen herausgebildet, die zu
einer unterschiedlichen Auslegung der Vorbehaltsklausel geführt haben. Die
vornehmlich am Wortlaut und an der Entstehungsgeschichte des § 47 VwGO
orientierte sogenannte abstrakte Betrachtungsweise redet einer weiten Auslegung
der Vorbehaltsklausel das Wort. Danach ist für die Normenkontrolle nach § 47
VwGO durch die Oberverwaltungsgerichte kein Raum, soweit objektiv die
Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts – z. B. nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG –
und der Landesverfassungsgerichte reicht, ohne daß es darauf ankommt, ob der
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und der Landesverfassungsgerichte reicht, ohne daß es darauf ankommt, ob der
Antragsteller selbst die den Oberverwaltungsgerichten zur Prüfung vorgelegte
Norm vom Bundesverfassungsgericht oder von einem Landesverfassungsgericht
überprüfen lassen kann. Nach der Ansicht der Vertreter der abstrakten
Betrachtungsweise genügt es für den Ausschluß der Normenkontrolle nach § 47
VwGO, daß die betreffende Vorschrift überhaupt der Überprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht oder durch ein Landesverfassungsgericht unterliegt
(vgl. insoweit die Darlegungen in dem Beschluß des IV. Senats des Hess. VGH vom
19. Februar 1965 – R IV 1/63 –, DÖV 1966, 578 (L) und die dort aufgeführten
Fundstellen über Rechtsprechung und Schrifttum und im Beschluß des V. Senats
des Hess. VGH vom 6. Dezember 1968 – V N 1/67 –, aaO.; ferner OVG Bremen in
DÖV 1961, 264 m. Anm. von Bergmann, und in DVBl. 1960, 809, zuletzt sehr
grundsätzlich in NJW 1970, 877 – MDR 1970, 359).
Demgegenüber meinen die Vertreter der konkreten Betrachtungsweise, die sich
für eine enge Auslegung der Vorbehaltsklausel zugunsten der Effektivität des
Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO aussprechen, für die Normenkontrolle
nach § 47 VwGO sei nur insoweit kein Raum, wie es dem Antragsteller selbst
möglich sei (oder gewesen sei), die betreffende Norm durch das
Bundesverfassungsgericht oder das Landesverfassungsgericht überprüfen zu
lassen (vgl. hierzu den Beschluß des IV. Senats des Hess. VGH vom 11. November
1966 – R IV 1/66 –, DVBl. 1967, 389 – NJW 1967, 266, Besprechung von Menger in
VerwArch. Bd. 58, 380).
Soweit ersichtlich, ist gegenwärtig das Oberverwaltungsgericht Bremen das einzige
mit der Normenkontrolle nach § 47 VwGO befaßte Gericht, das sich noch zu der
abstrakten Betrachtungsweise bekennt. Alle Senate des Baden-
Württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (fortan: VGH Mannheim) haben die
abstrakte Betrachtungsweise aufgegeben und sich der konkreten
Betrachtungsweise zugewandt (vgl. für die frühere Auffassung: ESVGH 11, 27; 11,
32; 11, 115; für die gegenwärtige Auffassung: ESVGH 13, 71 = DVBl. 1963, 760;
ESVGH 15, 51; 15, 117 = DVBl. 1965, 610; ESVGH 16, 21 = DVBl. 1966, 827 mit
krit. Anm. von Zinzow, Bespr. von Menger in Verw. Arch. 58, 380; ESVGH 17, 101
= DVBl. 1967, 385 = DÖV 1967, 280; ESVGH 18, 19; 18, 38 = GewArch. 1967,
258; ESVGH 18, 155; 19, 123 = NJW 1969, 203). Der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof hat von Anfang an die konkrete Betrachtungsweise
vertreten (VRspr. 14, 321 und 15, 596 = DVBl. 1963, 107). Überzeugend sind
insbesondere die abgewogenen Darlegungen in der letztgenannten Entscheidung.
Auch das Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-
Holstein (fortan: OVG Lüneburg) war und ist Anhänger der konkreten
Betrachtungsweise (OVGE 18, 475; 22, 433 = VRspr. 18, 649 = DVBl. 1966, 760 =
DÖV 1967, 203; Bespr. von Menger in Verw.Arch. 58, 381; NJW 1969, 2219).
Somit ist festzuhalten, daß gegenwärtig fast alle mit der Normenkontrolle nach §
47 VwGO befaßten Oberverwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe) Anhänger
der konkreten Betrachtungsweise sind. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch
nicht viel gewonnen, weil auch unter ihnen keine vollständige Übereinstimmung in
der Auslegung und Anwendung der Vorbehaltsklausel besteht. Der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof und der I. und IV. Senat des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs glauben mit Rücksicht auf § 90 BVerfGG die
Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes einschließlich der Art. 35, 38, 101,
103, 104 GG nicht als Prüfungsmaßstab anwenden zu dürfen. Der VGH Mannheim
(seit ESVGH 18, 38) und das OVG Lüneburg (DÖV 1967, 203) sind dagegen der
Auffassung, daß im Normenkontrollverfahren trotz der Vorbehaltsklausel des § 47
VwGO auch Landes- und Bundesgrundrechte als Prüfungsmaßstab herangezogen
werden dürfen. Dabei bedienen sie sich unterschiedlicher Begründungen. Das OVG
Lüneburg mist der Vorbehaltsklausel lediglich die Bedeutung einer
Zulässigkeitsvoraussetzung für den Antrag auf Normenkontrolle nach § 47 VwGO
bei. Der VGH Mannheim verweist auf den – wie er meint – subsidiären Charakter
der Verfassungsbeschwerde nach § 90 BVerfGG und ist der Auffassung, von
Rechtswegerschöpfung im Sinne von § 90 BVerfGG könne erst nach Durchführung
des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO die Rede sein. Insoweit beruft er
sich – wohl zu Unrecht – auf BVerfGE 11, 232. Dort ist vom Rechtsweg im Sinne
von Art. 19 Abs. 4 GG die Rede. Dieser Begriff ist nicht mit dem Begriff Rechtsweg
in § 90 BVerfGG identisch. In Übereinstimmung mit dem I. und IV. Senat glaubt der
V. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die konkrete Betrachtungsweise
nicht über Gebühr ausweiten zu dürfen, weil sonst die Vorbehaltsklausel des § 47
VwGO nicht nur erlaubt eingeengt, sondern in unzulässiger Weise ausgehöhlt und
damit ihres Schutzcharakters zugunsten der Verfassungsgerichtsbarkeit
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damit ihres Schutzcharakters zugunsten der Verfassungsgerichtsbarkeit
weitgehend entkleidet würde. Bachof weist in seinem Beitrag zur Auslegung der
Vorbehaltsklausel des § 47 VwGO (NJW 1968, 1065 ff) darauf hin, daß das
Bundesverfassungsgericht das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren
bisher nicht als Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG angesehen und eine
die Norm bestätigende Normenprüfungsentscheidung des
Oberverwaltungsgerichts (Verwaltungsgerichtshofs) nicht als mögliche
Grundrechtsverletzung erachtet hat; gleichwohl stimmt er der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (DVBl. 1966, 760) und des
Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (ESVGH 18, 38), die beide im
verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren die Norm auch an
Bundesgrundrechten messen, vorbehaltlos zu.
c) Der Staatsgerichtshof kann sich hier einer Stellungnahme zu der
Vorbehaltsklausel in Bezug auf den Vorrang des Bundesverfassungsgerichts
enthalten. Besonderer Ausführungen bedarf es jedoch zur rechtlichen Tragweite
der Vorbehaltsklausel des § 47 VwGO zur hessischen
Landesverfassungsgerichtsbarkeit. Hier ist allein der Staatsgerichtshof zur
rechtlichen Klärung berufen. Die Grundrechtsbestimmungen der Hessischen
Verfassung scheiden als Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren wegen der
Vorbehaltsklausel des § 47 VwGO aus. Nach Art. 131 HV entscheidet der
Staatsgerichtshof u. a. über die Verletzung von Grundrechten. Jeder Antragsteller,
der sich im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO auf
Grundrechtsverletzungen durch die zur Überprüfung gestellte Norm beruft, kann
gemäß §§ 45 ff StGHG die Norm vom Staatsgerichtshof überprüfen lassen.
Sonstiges Verfassungsrecht der Hessischen Verfassung scheidet als
Prüfungsmaßstab bei Rechtsverordnungen im Sinne von Art. 132 HV aus, weil
nach dieser Vorschrift nur der Staatsgerichtshof die Entscheidung darüber trifft, ob
ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch steht.
Für die unter Art. 132 HV fallenden Rechtsverordnungen ist für den
Verwaltungsgerichtshof jegliches Landesverfassungsrecht als Prüfungsmaßstab
ausgeschlossen, so daß er Rechtsverordnungen nur an einfachem Landesrecht
messen kann. Dies folgt daraus, daß Art. 132 HV, der die Entscheidung über die
Verfassungswidrigkeit von Gesetzen und Rechtsverordnungen dem
Staatsgerichtshof zuweist, sich nur auf hessisches, nicht auch auf
Verfassungsrecht des Bundes bezieht (Zinn-Stein, Hessische Verfassung, 1963,
Anm. A I, B I 2 a, B I 5, B II 11 zu Art. 131 bis 133). Es kann hier dahingestellt
bleiben, ob alle anderen rangmäßig unter dem Landesgesetz stehenden
Rechtsvorschriften – ausgenommen also nur die Rechtsverordnungen im Sinne
von Art. 132 HV – im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO an der Hessischen
Verfassung – mit Ausnahme ihrer Grundrechtsbestimmungen –, am sonstigen
Landesrecht, das höherrangig als sie selbst ist, sowie am Bundesrecht mit
Ausnahme der Bundesgrundrechte und der in § 90 BVerfGG aufgeführten
grundrechtsähnlichen Rechte gemessen werden können.
An dem Ergebnis, daß hessisches Verfassungsrecht im Normenkontrollverfahren
nach § 47 VwGO als Prüfungsmaßstab für Rechtsverordnungen im Sinne von Art.
132 HV schlechthin ausscheidet, ändert auch Art. 133 HV nichts. Nach dieser
Vorschrift hat ein Gericht über den Präsidenten des höchsten ihm übergeordneten
Gerichts die Entscheidung des Staatsgerichtshofs herbeizuführen, wenn es ein
Gesetz oder eine Rechtsverordnung, auf deren Gültigkeit es bei einer
Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Art. 133 HV läßt erkennen, daß
unter den dort näher umschriebenen Voraussetzungen jedes hessische Gericht
die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsverordnung trotz Art. 132 HV prüfen und
bejahen darf. Lediglich dann, wenn das Gericht das Gesetz oder die
Rechtsverordnung für verfassungswidrig hält, hat es die Entscheidung des
Hessischen Staatsgerichtshofs herbeizuführen. Durch Art. 133 HV wird das
Entscheidungsmonopol des Staatsgerichtshofs nach Art. 132 HV auf ein
Verwerfungsmonopol reduziert. Im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO
kommt eine Vorlage an den Staatsgerichtshof nach Art. 133 HV allerdings nur
dann in Betracht, wenn die Entscheidung über den Normenkontrollantrag von der
Gültigkeit eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung abhängt, die selbst nicht
unmittelbar Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist (vgl. im Ergebnis Hess.
StGH, Urteil vom 6. September 1958 – P. St. 221 –, StAnz. 1958, 1154; BVerfGE 6,
222 (231); Hess. VGH, Beschluß vom 6. Dezember 1968 – V N 1/67 –; OVG
Bremen, DVBl. 1960, 809 (810); Bay. VGH, VRspr. 14, 321 (325); Leibholz-Rinck,
Art. 100 GG, Rdnr. 9; Wilken, DVBl. 1969, 532 Fußn. 4. Der Ansicht, die sich für eine
Vorlagepflicht ausspricht – Redekerv . Oertzen, VwGO, 3. Aufl., § 47, Rdnr. 10;
Klinger, VwGO, 2. Aufl., § 47, Anm. C 6; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts,
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Klinger, VwGO, 2. Aufl., § 47, Anm. C 6; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts,
8. Aufl., S. 514 – vermag der Staatsgerichtshof nicht zu folgen). Nur in einem
solchen Fall liegt die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 1 Satz 1 HV zur Anrufung
des Staatsgerichtshofs vor, daß es auf die Gültigkeit des Gesetzes oder der
Rechtsverordnung bei einer Entscheidung ankommt. Die Verfassungsmäßigkeit
oder die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsverordnung, die selbst unmittelbar
Gegenstand des Normenkontrollantrages ist, ist nicht Vorfrage, sondern
Hauptfrage des Normenkontrollverfahrens. Weil die Gültigkeit oder Ungültigkeit der
im Normenkontrollverfahren zur Überprüfung anstehenden Rechtsverordnung
unmittelbar Gegenstand der Normenkontrollentscheidung ist, fehlt es insoweit an
dem Erfordernis des Art. 133 Abs. 1 Satz 1 HV, daß es auf die Gültigkeit der
Rechtsverordnung bei der Entscheidung ankommt. Daraus folgt, daß der
Hessische Verwaltungsgerichtshof im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO
die Rechtsverordnung, auf die sich der Normenkontrollantrag unmittelbar bezieht,
mit Rücksicht auf Art. 132 HV weder auf ihre Vereinbarkeit mit der Hessischen
Verfassung überprüfen noch zu diesem Zwecke den Hessischen Staatsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 1 HV anrufen darf (vgl. auch BVerfGE Bd. 6, 222 (230 ff) zu Art.
100 Abs. 1 GG; danach muß die Vorlagefrage i. S. von Art. 100 Abs. 1 GG, § 80
Abs. 1 BVerfGG für das vorlegende Gericht gleichfalls Inzidentfrage sein).
Der Staatsgerichtshof sieht die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung, die bereits der
Hessische Verwaltungsgerichtshof in V N 1/67 vertreten hat, in der folgenden
Überlegung: Wenn der Verwaltungsgerichtshof eine Rechtsverordnung, die selbst
Gegenstand des Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO ist, dem
Staatsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 1 Satz 1 und 2 HV zur Entscheidung über
ihre Verfassungsmäßigkeit vorlegen könnte und der Staatsgerichtshof die
Verfassungswidrigkeit der Rechtsverordnung feststellen würde – seine
Entscheidung ist nach Art. 133 Abs. 1 Satz 3 HV endgültig und hat Gesetzeskraft
–, dann würde sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über den
Normenkontrollantrag des Antragstellers dadurch von selbst erledigen. Sinn einer
Vorlage an ein Verfassungsgericht ist es indessen nicht, die Entscheidung des
Gerichts zur Hauptsache durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu
ersetzen oder entbehrlich zu machen; vielmehr soll die Entscheidung einer
verfassungsrechtlichen Vorfrage dem Gericht der Hauptsache seine Entscheidung
erst ermöglichen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach alledem seine Verpflichtung zur Vorlage der
Sache an den Staatsgerichtshof nicht verletzt, zumal die Vorbehaltsklausel des §
47 Satz 1 VwGO auf die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags beim
Verwaltungsgerichtshof keinen Einfluß hat. Ihr ist nur die Bedeutung einer
Einschränkung der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des
Verwaltungsgerichtshofs im Normenkontrollverfahren beizumessen (so auch Bay.
VGH in VRspr. Bd. 14, 321 und Bd. 15, 596).
Aber auch wenn man mit der Gegenmeinung die Vorlage wegen einer Norm, die
selbst Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist, für zulässig hielte, käme ein
Verfahrensverstoß nur dann in Betracht, wenn die Vorlage aus unsachlichen
Gründen unterlassen würde (BVerfGE 22, 254 (266); Bd. 23, 288 (320); Leibholz-
Rinck, 3. Aufl., Rdnr. 6 zu Art. 101). Das gilt auch dann, wenn die Pflicht zur Vorlage
sich nicht aus "einfachem Recht", sondern aus einer Vorschrift der Verfassung
ergibt, die eine ausschließliche Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs begründet
(vgl. BVerfGE 23, S. 288 (320)).
Indessen hat der Verwaltungsgerichtshof in dem hier in Rede stehenden Beschluß
eine verfassungsrechtliche Überprüfung vorgenommen, indem er Art. 80 GG als
ein auch der Hessischen Verfassung immanentes Prinzip auf diese überträgt und
die angegriffene Norm daran mißt. Das durfte er mit Rücksicht auf die dargelegte
Begrenzung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch den
Verfassungsvorbehalt nicht. Ein Verstoß gegen das Grundrecht des gesetzlichen
Richters ist gleichwohl darin nicht zu erblicken.
Art. 20 Abs. 1 Satz 1 HV bietet nur Schutz gegen Willkür, nicht schon gegen jeden
aus Rechtsirrtum begangenen Verfahrensverstoß (BVerfGE 3, 223 (230); 15, 245
(248); 17, 99 (104); Bay. VerfGH, VRspr. Bd. 20, 1013 (1015)). Wenn sich auch der
Verwaltungsgerichtshof nicht mit dem Entscheidungsmonopol des
Staatsgerichtshofs gemäß Art. 132 HV auseinandergesetzt hat, so kann doch
angesichts der vielen – oben erörterten – Zweifelsfragen, die § 47 Satz 1 VwGO
ausgelöst hat, nicht angenommen werden, daß sich der Verwaltungsgerichtshof
bewußt über Art. 132 HV hinwegsetzen wollte. Anhaltspunkte für eine willkürliche
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bewußt über Art. 132 HV hinwegsetzen wollte. Anhaltspunkte für eine willkürliche
Entscheidung sind jedenfalls nicht erkennbar.
II.
1. Das von der Landesregierung in Gang gesetzte Normenkontrollverfahren
besteht aus mehreren Anträgen mit verschiedener Zielrichtung, einmal auf
Beseitigung (Kraftloserklärung bzw. Aufhebung) des Beschlusses des
Verwaltungsgerichtshofs, zum anderen auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der
"Ordnung" des Kultusministers. Das Verhältnis der beiden Anträge ist durch die
Zweifel am Rechtscharakter der "Ordnung" bedingt. Der Antrag des
Landesanwalts, der sich dem Normenkontrollverfahren gemäß § 18 Abs. 2 StGHG
angeschlossen hat, entspricht in der Zielsetzung der Beseitigung des Beschlusses
des Verwaltungsgerichtshofs dem Antrage der Landesregierung, verfolgt indes
noch weitere prozessuale Ziele. Der erste, lediglich auf die Beseitigung des
Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs gerichtete Teil des Antrags
der Landesregierung ist unzulässig, der zweite Teil dagegen zulässig.
a) Weder die Hessische Verfassung noch das Staatsgerichtshofsgesetz eröffnen,
von der Grundrechtsklage abgesehen, ein Verfahren, in dem – wie beantragt – der
Staatsgerichtshof eine Entscheidung eines Gerichts zum Gegenstand seiner
Entscheidung machen könnte. Ob sich aus Art. 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 HV eine
solche Möglichkeit ergeben könnte, wenn eine Verfassungsverletzung anders nicht
zu beseitigen wäre, kann dahingestellt bleiben. Dem Landesanwalt kann jedenfalls
nicht darin gefolgt werden, daß in der Verletzung des Kompetenzbereichs des
Staatsgerichtshofs durch den Verwaltungsgerichtshof ein Verfassungsbruch zu
sehen sei, dessen Beseitigung eine Hilfszuständigkeit des Staatsgerichtshofs
erforderlich mache.
Ein Verfassungsbruch, die stärkste Form der verfassungswidrigen Ausübung
öffentlicher Gewalt, liegt nur vor, wenn gegen die Gesamtgrundlage der
Verfassung verstoßen wird (Hess. StGH, u. a. Beschlüsse vom 8. März 1957 – P.
St. 212 – und vom 25. Februar 1959 – P. St. 272 –; Reh in Zinn-Stein, Kommentar
zur HV 1963, Art. 147, Erl. 1 b). Ein Verstoß gegen eine gesetzliche Regelung
bedroht nicht schlechthin den Bestand der Verfassung. Ebensowenig wie der
Zuständigkeitsbereich eines Verfassungsgerichts durch das Grundrecht auf den
gesetzlichen Richter stärker abgesichert ist, wenn er in der Verfassung geregelt ist,
als wenn er sich aus einfachem Recht ergibt (BVerfGE 23, 288 (320)), kann eine
Kompetenzverletzung, wie sie hier vorliegt, als Verfassungsbruch gewertet werden.
Allenfalls könnte eine Entscheidung, die offensichtlich unmittelbar ohne Bezug auf
einen gesetzlichen oder rechtlichen Maßstab erginge, also offenbare Willkür
darstellte mit dem Ziele, die verfassungsmäßige Ordnung zu stören, eine
Widerstandslage im Sinne des XI. Abschnitts der Hessischen Verfassung auslösen.
Ein solcher Ausnahmefall scheidet hier jedoch offensichtlich aus. Soweit die
Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die Kompetenz des
Staatsgerichtshofs gemäß Artikel 132 verletzt hat, beruht sie vielmehr – wie
ausgeführt – auf einer irrtümlichen Auslegung des § 47 Satz 1 VwGO und berührt
in ihren Folgen nicht den Bestand der Verfassung.
Für eine aus dem Widerstandsrecht abgeleitete Kompetenz des
Staatsgerichtshofs bleibt im übrigen auch insoweit kein Raum, als die allgemeine
Rechtsordnung gesetzliche Rechtsbehelfe gewährt (vgl. Reh in Zinn-Stein, aaO.
1963, Art. 147 Erl. 3 a). Im vorliegenden Fall hat aber die Landesregierung mit dem
zweiten Teil ihres Antrags zulässigerweise eine abstrakte Normenkontrolle
anhängig gemacht und damit den Staatsgerichtshof im Rahmen eines ihm gemäß
Artikel 131, 132 HV, §§ 41 ff StGHG (Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von
Gesetzen und Verordnungen) eröffneten Verfahrens eine Entscheidung zur Sache
ermöglicht.
Daß letztlich auch der auf die Beseitigung des angegriffenen Beschlusses des
Verwaltungsgerichtshofs zielende Antrag der Landesregierung und des
Landesanwalts durchdringt, liegt an anderen – weiter unten zu erörternden –
rechtlichen Gründen.
b) Nach Art. 132, 133 HV trifft – wie oben unter B. I. 2. dargelegt – nur der
Staatsgerichtshof eine Entscheidung darüber, ob ein Gesetz oder eine
Rechtsverordnung mit der Verfassung in Widerspruch steht. Diese
Zuständigkeitsvoraussetzung ist erfüllt; die "Ordnung" hört zu den
Rechtsverordnungen, deren Verfassungsmäßigkeit der Prüfung durch den
Staatsgerichtshof unterliegt.
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Rechtsverordnungen sind generelle abstrakte Rechtssätze, die nicht im förmlichen
Gesetzgebungsverfahren entstehen, aber dennoch allgemeinverbindlich sind und
als Gesetze im materiellen Sinne bezeichnet werden. Die Hessische Verfassung
selbst definiert nicht den Begriff der "Rechtsverordnung" im Sinne des Art. 132 HV.
Sie unterscheidet lediglich zwischen Rechtsverordnungen und
Verwaltungsverordnungen (Art. 107 HV) (vgl. Hess. StGH Urteile vom 3. Dezember
1969 – P. St. 569 –, DVBl. 1970, 217 = NJW 1970, 93, beide mit Anm. von Gross, =
DÖV 1970, 132 = StAnz. 1970, 53, und vom 4. Februar 1970 – P. St. 533 –, StAnz.
1970, 531; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl., 1. Bd. S. 125 ff;
Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 80 Rdnr. 1). Der Annahme, daß die
"Ordnung" zu den Rechtsverordnungen gehört, widerspricht nicht, daß sie die
Bezeichnung "Erlaß" trägt. Denn die Bezeichnung besagt nichts darüber, in welche
Gruppe der im Rang unter dem Gesetz stehenden Regelungen sie einzugliedern
ist. Entscheidend für die rechtliche Natur einer Vorschrift ist nicht ihre
Bezeichnung, sondern ihr Inhalt (Hess. StGH, Urteil vom 3. Dezember 1969, aaO;
Hess. VGH, ESVGH 1, 139 (142); Hess. VGRspr. 1966, 75; DÖV 1966, 871; DVBl.
1968, 259 (260); Bay. VerfGH in VGHE II 20, 1 (4); 21, 92 (98); 22, 93 (101); VGH
Bad.-Württ., ESVGH 18, 23 (29); Hauck, NJW 1957, 809 (810); Meier-Arndt, DÖV
1968, 118 (120)). Inhaltlich unterscheiden sich Rechtsverordnungen von
Verwaltungsvorschriften dadurch, daß die Rechtsverordnung sich mit
Außenwirkung berechtigend und verpflichtend an den Bürger wendet (BVerfGE 8,
71 (75)), während Verwaltungsvorschriften nicht für den einzelnen Staatsbürger
verbindlich sind, sondern sich verwaltungsintern, also mit Innenwirkung an die
nachgeordneten Behörden wenden (BVerfGE 1, 82 (83); Hess. StGH, Urteil vom 3.
Dezember 1969, aaO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem angegriffenen Beschluß überzeugend
dargelegt, daß ein großer Teil der Bestimmungen der "Ordnung" Außenwirkung
hat, d. h. in den Rechtskreis des Staatsbürgers eingreift. Das stellt auch die
Antragstellerin nicht in Zweifel (ebenso Böckenförde-Grawert, AOR 95 S. 4 f).
Insbesondere durch die folgenden Vorschriften der "Ordnung" wird die
Rechtsstellung der Studierenden bzw. der externen Kandidaten berührt, werden für
sie Rechtsverhältnisse begründet, geändert oder aufgehoben; § 1 enthält die
Voraussetzungen für die Zulassung zu einem höheren Semester des
Ingenieurstudiums; die §§ 10, 22, 55 enthalten Beschränkungen der
Wiederholungsmöglichkeiten von Semestern, Vorprüfung und Ingenieurprüfungen;
die §§ 57, 71 regeln die Erteilung von Prüfungszeugnissen und Graduierungen
"Ingenieur (grad)" für Ingenieurschüler und Externe; § 73 eröffnet die Möglichkeit
zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife durch eine Ergänzungsprüfung; § 89
erlaubt auf Antrag die Zuerkennung der fachgebundenen Hochschulreife
(Fakultätsreife), über die eine entsprechende Urkunde erteilt wird (§ 92). Der
Charakter der "Ordnung" insgesamt wird von Vorschriften bestimmt, die die
Rechtsstellung der Betroffenen berühren, obwohl die "Ordnung" daneben auch
solche mit lediglich verwaltungsinterner Bedeutung enthält (so auch Böckenförde –
Grawert, aaO., S. 5).
Der Ansicht der Antragstellerin, die "Ordnung" unterliege als Regelung des
besonderen Gewaltverhältnisses "Schule" der originären Regelungsbefugnis der
Verwaltung und sei deshalb als Verwaltungsvorschrift im Normenkontrollverfahren
nicht nachprüfbar, vermag der Staatsgerichtshof nicht zu folgen.
Einer eigenständigen Regelungsbefugnis der Verwaltung stehen hier der
allgemeine Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 HV), der Verfassungsauftrag an den
Gesetzgeber zur Regelung des Schulwesens (Art. 56 Abs. 1 Satz 1 HV) und der
Vorrang des Gesetzes (vgl. § 37 SchVG vom 28. Juni 1961 – GVBl. I 87 –)
entgegen.
Regelungen des Schul- und Hochschulrechts können sowohl in Grundrechte der
Eltern wie der Schüler und Studierenden eingreifen (vgl. OVG Koblenz, RdJB 1970,
151 (153) = NJW 1970, 824; Bay. VGH, Beschluß vom 24. November 1969 – Nr.
147 III 69 – (S. 14, 16); Walter Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtssetzung,
Untersuchungen zu den Verwaltungsvorschriften und zur "Selbstbindung der
Verwaltung", 1969, S. 248 f; Evers, VVdStR 23, 147 (160 f); Fuß, VVdStR 23, 199 ff;
Maunz in Maunz-Dürig, aaO., Art. 7, Rdnr. 26, 27; Heckel-Seipp, Schulrechtskunde,
4. Aufl. 1969, S. 365; Heckel, Schulrecht und Schulpolitik, 1967, S. 157 f; Ekkehardt
Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstverwaltung in der Schule, 1967 S. 7; daß
Schulregulative "tief und unentrinnbar in Freiheit und Eigentum eingreifen",
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Schulregulative "tief und unentrinnbar in Freiheit und Eigentum eingreifen",
betonte bereits Thoma, Otto-Mayer-Festgabe 1916, 167 (177), zitiert nach Evers,
aaO., S. 161 Anm. 49). Insbesondere greift das Schulverhältnis in das
Erziehungsrecht der Eltern ein. Art. 55 Satz 1 HV, demzufolge "Erziehung der
Jugend zu Gemeinsinn und zu leiblicher, seelischer und geistiger Tüchtigkeit Recht
und Pflicht der Eltern" ist, entspricht inhaltlich Art. 6 Abs. 2 GG und gilt deshalb
gemäß Art. 142 GG fort (so auch Zinn-Stein, aaO., 1954, Art. 55 Anm. 1). Zur
Erziehung gehört auch die Aufgabe, dem Kinde eine seinen Fähigkeiten und der
eigenen Leistungskraft entsprechende Ausbildung zu geben (Evers, aaO., S. 161;
Heckel-Seipp, aaO., S. 365; Zinn-Stein, aaO. 1954, Art. 55 Anm. 4).
Auch das Recht auf Zulassung zur Ausbildungsstätte wird durch das
Schulverhältnis berührt. Art. 59 Abs. 2 HV bestimmt, daß der Zugang zu den
Mittel-, höheren und Hochschulen nur von der Eignung der Schüler abhängig zu
machen sei. Er gewährleistet somit den Zugang zu den genannten
Ausbildungsstätten (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 1. April 1970 – II OS 99/69 –; sowie
zu dem inhaltsgleichen Art. 39 Abs. 5 Satz 1 Verf. Rh-Pf. OVG Koblenz, RdJB 1970,
151 (154), und Süsterhenn-Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-
Pfalz, 1950, Art. 39 Anm. 2 c; a. A. Zinn-Stein, aaO. 1954, Art. 59 Anm. 9; Peters in
Bettermann-Nipperdey-Scheuner. Die Grundrechte, Bd. 4, 1. Halbband S. 369
(401), Anm. 103).
Dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt steht nicht entgegen, daß das
Schulverhältnis herkömmlicherweise als Erscheinungsform des besonderen
Gewaltverhältnisses verstanden wird (vgl. bereits beiläufig Hess. StGH, Urteil vom
3. Dezember 1969, aaO; ebenso Bay. VerfGH bei VGHE II 20, 1 (4); VGH Bad.-
Württ., ESVGH 11, 5 (6); Schmidt, aaO. S. 248 f; Evers, aaO. S. 160 f; Maunz, aaO.
Art. 7 Rdnr. 26, 27; Heckel-Seipp, aaO. S. 365; Heckel, aaO. S. 157 f, Jesch, Gesetz
und Verwaltung, 1961, S. 212). Zwar entzog die überkommene Lehre das
besondere Gewaltverhältnis insgesamt dem Gesetzesvorbehalt und überließ es
der Verwaltungsverordnung (Jesch, aaO. S. 206 ff m. w. Nachweisen; Böckenförde-
Grawert, aaO. S. 6 m. w. Nachweisen). Der historische Nachweis, daß das
besondere Gewaltverhältnis vorkonstitutionell nicht dem Gesetzesvorbehalt im
Sinne der erweiterten Freiheits- und Eigentumsformel unterlag, bietet keine
Rechtfertigung für eine entsprechende Auslegung der Hessischen Verfassung (a.
A. Zinn-Stein, aaO. 1954, Art. 2 Anm. 4). Der Zweck der Beschränkung des
Gesetzesvorbehalts bestand darin, dem Monarchen auch im Konstitutionalismus
Reservate gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber zu bewahren
(Böckenförde-Grawert, aaO. S. 8; Rupp, Grundfragen der heutigen
Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 77, 78). Der Hinweis von Böckenförde-Grawert,
daß nach dem Übergang zur demokratischen Verfassungsstruktur nunmehr alle
staatliche Gewalt demokratisch legitimiert sei (aaO. S. 25), kann die Beibehaltung
der originären Regelungsbefugnis entgegen dem Gesetzesvorbehalt nicht
rechtfertigen. In Anlehnung an Rupp (aaO. S. 140) ist der Gesetzesvorbehalt
vielmehr als liberal-rechtsstaatliches Element der deutschen Staatskonzeption
aufzufassen, das sich neben dem Prinzip der Volkssouveränität gehalten hat und
nunmehr nach dem Wegfall der historisch bedingten Beschränkung des
Gesetzgebers voll zur Geltung kommt. Mit einem Gesetzesvorbehalt fordert die
Verfassung eine verstärkte Legitimationsgrundlage, die zu der unmittelbaren
parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung als Verwaltungsspitze
hinzutritt und dafür zugleich den Kontrollmaßstab liefert (Schmidt, aaO. S. 32). In
die gleiche Richtung geht die Erwägung des Bundesverfassungsgerichts zum
Rechtsstaatsprinzip, daß das nach eingehender Beratung in einem förmlichen
Verfahren beschlossene Gesetz einen höheren Rechtswert verkörpere und in
einem höheren Maße auf Dauer angelegt sei als die von der Exekutive erlassenen
Verordnungen (BVerfGE 7, 282 (302); Leibholz-Rinck, aaO. Art. 80 Rdnr. 7). Es
erscheine zweifelhaft, ob die historische Abgrenzungsform des Gesetzesvorbehalts
noch ausreichend sei; es sei zu erwägen, ob sich angesichts der Hinwendung zu
einer egalitär-sozialstaatlichen Denkweise nicht die Grenzen des
Gesetzesvorbehalts verschoben haben könnten und ob sich dieser Vorbehalt
sogar auf neue Bereiche ausgedehnt haben könnte (BVerfGE Bd. 8, 155 (167)).
Diese Bedeutung des Gesetzesvorbehalts verbietet es auch, die Vorschriften zur
Regelung besonderer Gewaltverhältnisse nach einem Vorschlag des Gutachtens
von Böckenförde-Grawert als Sonderverordnungen einzustufen, für die einerseits
die originäre Rechtsetzungsbefugnis bei der Exekutive liege (aaO. S. 28), die
andererseits hinsichtlich des Rechtsschutzes als Rechtsverordnungen zu
behandeln seien (aaO. S. 22). Die Neuschöpfung des Begriffs "Sonderverordnung"
erscheint entbehrlich (zum Begriff der Sonderverordnung s. Wolff,
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erscheint entbehrlich (zum Begriff der Sonderverordnung s. Wolff,
Verwaltungsrecht I, 6. Aufl., S. 111; ablehnend Hess. VGH, Urteil vom 18. Februar
1970 – II OE 4/69 –). Die Hessische Verfassung unterscheidet in Art. 107 HV
lediglich zwischen Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen und
unterwirft im Art. 132 HV nur die Rechtsverordnungen im Sinne der Art. 107, 118
HV der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle (vgl. Hess. StGH, Urteile vom 4.
Februar 1970 – P. St. 533 –. StAnz. 1970, 531 (534), und vom 3. Dezember 1969 –
P. St. 569 –, aaO). Somit muß die Frage nach dem Rechtsschutz gegen
Maßnahmen im Schulverhältnis und die Festlegung der
Tatbestandsvoraussetzungen durch Rechtssatz einheitlich beantwortet werden
(Schmidt, aaO. S. 79, 247; Evers, aaO. S. 163; Forsthoff, aaO. 9. Aufl. S. 398; a. A.
Böckenförde-Grawert, aaO. S. 22).
Einer eigenständigen Regelungsbefugnis der Verwaltung steht für das Gebiet des
Schulwesens der Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber entgegen. Art. 56 HV
enthält in Abs. 1 Satz 1 die Bestimmung, daß das Schulwesen Sache des Staates
ist; die Einzelregelungen in den Absätzen 2 bis 6 betreffen das Prinzip der
Gemeinschaftsschule, das Toleranzgebot, Erziehungsziele und das
Mitbestimmungsrecht der Eltern. Art. 56 Abs. 7 Satz 1 HV lautet: "Das Nähere
regelt das Gesetz". Nach seiner systematischen Stellung bezieht sich dieser Satz
auf sämtliche vorangegangenen Absätze, so daß auch von der Verfassung her für
eine eigenständige Ausgestaltung des Schulwesens durch die Verwaltung kein
Raum bleibt (ebenso zur inhaltsgleichen Bestimmung des Art. 39 Abs. 6 Verf. Rh-
Pf., OVG Koblenz, RdJB 1970, 151 (154); Böckenförde-Grawert erwähnen zwar die
verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalte für das Schulrecht, aaO. S. 29 Anm.
52, ohne jedoch zu begründen, warum diese Bestimmungen eine eigenständige
Regelungsbefugnis der Verwaltung nach ihrer Auffassung bestehen lassen). Mit
dieser positivrechtlichen Regelung durch die Verfassung entfallen auch die vom
Antragsteller aus dem Eltern-Mitbestimmungsrecht abgeleiteten Bedenken gegen
eine rechtssatzmäßige Regelung des Schulwesens. Im übrigen wäre die
Beteiligung der Eltern auch im Gesetzgebungsverfahren in verschiedenen Formen
denkbar und zulässig (Schmidt, aaO. S. 243).
Die Mitwirkung außerstaatlicher Stellen an der Gestaltung staatlichen Rechts reicht
im geltenden Recht von der Anhörung, der Einholung einer Stellungnahme, dem
Insbenehmensetzen , einem Vorschlagsrecht bis zum Recht der Beschlußfassung
über den Norminhalt, wobei die Verfassungsmäßigkeit der weitestgehenden dieser
Mitwirkungsformen hier offen bleiben muß (allgem. krit. zu solchen Entwicklungen
Hans Schneider, Autonome Satzung und Rechtsverordnung in Festschrift für
Möhring 1965, S. 521 (537 ff) m. w. Nachweisen). Als Beispiel sei das
Anhörungsrecht in § 8 Binnenschifffahrtsgesetz i. d. F. vom 8. Januar 1969 (BGBl. I,
65) und die Regelung in § 20 a des Güterkraftverkehrsgesetzes vom 22. Dezember
1969 (BGBl. I 70, 2) genannt, wonach die von der Tarifkommission festgesetzten
Frachtsätze und Entgelte vom Bundesminister für Verkehr als Rechtsverordnung
zu erlassen sind.
Der Rechtssatzcharakter der "Ordnung" ergibt sich schließlich, wie der Hessische
Verwaltungsgerichtshof überzeugend ausgeführt hat, aus § 37 SchVG 1961. Der
Vorrang des Gesetzes führt kraft des Zugriffsrechts der gesetzgebenden Gewalt
zur Gesetzesbindung der Exekutive ohne Rücksicht auf bestehende Vorbehalte
(Vogel, VVdStR 24, 125 (145 f); Schmidt, aaO. S. 25; Böckenförde-Grawert, aaO. S.
24, 25). § 37 SchVG 1961 hat nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte die
Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zum Gegenstand (Fuß, aaO. S.
217; a. A. Böckenförde-Grawert, aaO. S. 31 ff). § 37 SchVG 1961 lautet:
"(1) Schulordnungen regeln die Beziehungen der Schulen zu den Schülern und
Erziehungsberechtigten, bei Berufsschulen auch zu den Lehr- und Dienstherren,
und unterrichten sie über ihre Rechte und Pflichten. Inhalt und Umfang der
Schulordnungen ergeben sich aus den Aufgaben der Schulen und aus deren
Pflicht, das Wohl des einzelnen Schülers wie das Wohl aller Schüler zu fördern und
zu wahren.
(2) Die Schulordnungen enthalten insbesondere Bestimmungen über:
1. Aufnahme, Schulwechsel, Entlassung, Verweisung und Ausschluß von der
Schule;
2. Teilnahme am Schulunterricht und an Schulveranstaltungen;
3. Schulversäumnisse und Beurlaubungen;
4. Verfügung über Schülerarbeiten;
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4. Verfügung über Schülerarbeiten;
5. Versetzungen, Prüfungen und sonstige unterrichtliche Entscheidungen und
Maßnahmen;
6. Schülermitverwaltung, Schülervereinigungen und Schülerzeitschriften;
7. Schulgesundheitspflege, Unfallverhütung und Schulfürsorge;
8. Sorge für die Fahrschüler;
9. Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sowie Schulstrafen;
10. Haftung und Rechtsschutz
(3) Der Minister für Erziehung und Volksbildung erläßt allgemeine Schulordnungen.
Ergänzende Schulordnungen können von den einzelnen Schulen erlassen werden."
In der Begründung zum damaligen § 36 der Regierungsvorlage (vgl. Hess.
Landtag, 4. Wahlperiode, Drucksache Abt. I Nr. 976, S. 2808) heißt es:
"Die Vorschrift gibt die bisher fehlende Rechtsgrundlage für die Schulordnungen,
die als Anstaltsordnungen den Umfang der Schulgewalt bestimmen und
begrenzen. Den von den Schulaufsichtsbehörden oder von den Schulen selbst
erlassenen Schulordnungen kommt zwar eine gewisse Rechtsqualität zu, sie
entbehren jedoch jedes Grades rechtlicher Sicherheit, den Anstaltsordnungen
besitzen, die auf verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzen beruhen.
Manche der in den letzten Jahren geführten Schulprozesse hätten vermieden
werden können, wenn eindeutig rechtsverbindliche Schulordnungen bestanden
hätten.
Aufgaben der Schulordnungen ist vorzüglich die Regelung und Klarstellung des
"Besonderen Gewaltverhältnisses", in dem die Schüler, in gewissem Umfang auch
die Erziehungsberechtigten, der Schule gegenüber stehen. Ihr Inhalt und ihr
Umfang bestimmen sich aus Zweck und Aufgabe der Schule und aus deren Pflicht,
das Wohl jedes einzelnen Schülers, zugleich aber auch das Wohl aller Schüler, das
damit konkurrieren kann, zu fördern und zu wahren. Hinzu kommt der Ordnungs-
und Informationscharakter der Schulordnungen, damit die Schüler und die
Erziehungsberechtigten aus ihnen alles Nötige, was sie als Schulbenutzer wissen
müssen, entnehmen können. Nur solche Vorschriften sind in einer Schulordnung
zulässig, die durch die genannten Aufgaben und Zwecke gerechtfertigt sind. Die
Schulordnungen müssen die Grenzen der Schulgewalt beachten, die sich aus der
Natur der Sache, insbesondere aus ihren räumlichen und zeitlichen Begrenzungen
ergeben; das außerschulische Verhalten des Schülers ist ihnen entzogen; soweit
es nicht unmittelbar in die Schule selbst hineinwirkt.
Abs. 2 zählt die wichtigsten Inhalte einer Schulordnung auf. Die Vorschriften sind
teils rechtsbegründender bzw. rechtsbeschränkender Natur, teils sollten sie die
Schulbenutzer unterrichten und aufklären. Sie wiederholen daher, um in sich
verständlich und für den Laien benutzbar zu sein, vielfach Vorschriften, die in den
Gesetzen, Erlassen usw. bereits zu finden, den Schulbenutzern aber in der Regel
nicht zugänglich sind.
Dem praktischen Bedarf entsprechend unterscheidet Abs. 3 allgemein
Schulordnungen des Kultusministers von etwaigen ergänzenden
Einzelschulordnungen. Von den Schulordnungen zu unterscheiden sind die
Hausordnungen, die vom Schulträger oder vom Schulleiter in Ausübung des
Hausrechts erlassen werden (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 7). Wenn die Schulordnungen
einer einzelnen Schule den Sachbereich des Schulträgers berühren sollte – das
kann z. B. bei Abs. 2 Nr. 7 der Fall sein (vgl. § 21 Abs. 3 Nr. 3 und 4) –, wird der
Schulträger vor ihrem Erlaß angemessen zu beteiligen sein."
Der Wortlaut des Gesetzes und die in der Begründung zum Ausdruck gekommene
Absicht des Gesetzgeber für Schulordnungen, die teilweise rechtsbegründender
oder rechtsbeschränkender Natur seien, die bisher fehlende Rechtsgrundlage zu
schaffen, machen hinreichend deutlich, daß durch § 37 SchVG 1961 die Grenzen
ministeriellen Verordnungsrechts abgesteckt werden. Der Gesetzgeber hat sich
durch die Verknüpfung der Schulordnungen mit Aufgabe und Zweck der Schule
selbst für eine umfassende Normierung entschieden. Deshalb kann der
Auffassung von Böckenförde-Grawert (aaO. S. 31 f), § 37 SchVG begrenze lediglich
die Befugnis zur Regelung des besonderen Gewaltverhältnisses, konstituiere sie
jedoch nicht, nicht gefolgt werden. Wenn durch eine Ermächtigungsvorschrift in
einem Bereich, der der Exekutive zumindest teilweise durch Gesetzesvorbehalt
entzogen ist, keine Bindung der Verwaltung an die Norm der Rechtsverordnung
bezweckt werden soll, so muß das in der Vorschrift erkennbar zum Ausdruck
kommen (vgl. zu einem solchen Fall BVerfGE 8, 155 (163 ff)).
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c) Auch der abstrakten Normenkontrolle steht die Allgemeinverbindlichkeit (§ 47
Satz 4 VwGO) ebensowenig entgegen wie der Grundrechtsklage (dazu vorstehend
B I. 1). Die richtige Auslegung des § 47 Satz 4 VwGO muß in widerspruchsfreier
Weise unter Berücksichtigung der Vorbehaltsklausel zugunsten der
Verfassungsgerichtsbarkeit in § 47 Satz 1 VwGO gefunden werden. Die
Kompetenzabgrenzung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegenüber
der Verfassungsgerichtsbarkeit im Sinne der Subsidiarität der ersteren läßt
erkennen, daß der Gesetzgeber unter voller Wahrung der Zuständigkeit der
Verfassungsgerichtsbarkeit eine Mehrspurigkeit in der Entscheidung soweit wie
möglich ausschließen wollte. Deshalb hindert die Allgemeinverbindlichkeit der die
Gültigkeit der Vorschrift verneinenden Entscheidung eine abweichende
Entscheidung im abstrakten Normenkontrollverfahren vor dem Staatsgerichtshof
nicht. Dieser – wie darzulegen sein wird – allein verfassungskonformen Auslegung
des § 47 Satz 4 VwGO im Sinne einer relativen Unwirksamkeit der Entscheidung
gegenüber den Verfassungsgerichten steht nicht etwa entgegen, daß Gegenstand
der Entscheidung eine generelle und abstrakte Regelung (sog. prinzipale
Normenkontrolle) ist (a. A. Bettermann, AöR Bd. 68, 129 (160)). Das zeigt bereite
die Entscheidung des Gesetzgebers, es bei der Regel des § 121 VwGO, also der
Rechtskraftwirkung inter partes zu belassen, wenn der Verwaltungsgerichtshof zu
dem Ergebnis kommt, die Norm sei gültig (vgl. Bettermann, aaO). Die Auslegung
des § 47 Satz 4 VwGO in der Weise, daß er eine weitere Kontrolle eines
Normenkontrollbeschlusses durch ein Verfassungsgericht unzulässig mache,
müßte in doppelter Hinsicht zu der gerade nach § 47 Satz 1 VwGO
ausgeschlossenen Beschränkung der Verfassungsgerichtsbarkeit führen.
aa) Wenn der Verwaltungsgerichtshof unter Verwendung eines ihm nach § 47 Satz
1 VwGO verschlossenen Prüfungsmaßstabs zur Ungültigkeit der Norm gelangt,
wäre eine verfassungsgerichtliche Kontrolle ausgeschlossen, wenn – wie im
vorliegenden Falle – eine Grundrechtsverletzung nicht gegeben wäre.
bb) Da § 47 Satz 1 VwGO als Prüfungsmaßstab zumindest
Bundesverfassungsrecht mit Ausnahme der Grundrechte und einfaches
Bundesrecht zuläßt (konkrete Betrachtungsweise; vgl. dazu vorstehend B I 2 b),
wäre in einem derartigen Falle auch durch eine Entscheidung, die sich im Rahmen
des § 47 VwGO hielte, die Verfassungsgerichtsbarkeit, nämlich Art. 93 Abs. 1 Nr. 2
GG, eingeschränkt. Auch ein qualifizierter Antragsteller wäre gehindert, die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, 2 GG zu
beantragen (so Hess. VGH, aaO DVBl. 1967, 389 (391); OVG Lüneburg, NJW 1970,
877 (878); Bay. VGH, DVBl. 1963, 107 (111); VGH Bad.-Württ., DÖV 1963, 228
(230); NJW 1963, 1687 (1689); Wolfram, aaO S. 118; Obermeyer, DVBl. 1965, 625
(631); Wilken, DVBl. 1969, 532 (538)).
Der Ansicht, daß der Ausschluß der verfassungsgerichtlichen abstrakten
Normenkontrolle in diesen Fällen deshalb in Kauf genommen werden müsse, weil
die Zahl der Kollisionen in der Praxis gering sei, da qualifizierte Antragsteller in der
Regel keinen Antrag stellten (VGH Bad.-Württ., NJW 1963, 1687 (1689); Bachof,
DÖV 1964, 9 (12); Wolfram, aaO S. 117), kann nicht gefolgt werden. Bei der
verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle steht die Aufgabe des
Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung im Vordergrund (BVerfGE 1,
184 (195); Leibholz-Rinck, aaO Art. 93, Rdnr. 3). Die Beschränkung der
Antragsbefugnis in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG gewährleistet, daß den
Verfassungsgerichten die abschließende Klärung von Rechtsfragen von besonderer
Tragweite, insbesondere politischer Bedeutung, vorbehalten bleibt (OVG Bremen,
NJW 1970, 877 (878); Wolfram, aaO S. 116; Renck, DÖV 1964, 1 (4); 651 (658)).
Diese Bedeutung wäre der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle für den im
Verfahren nach § 47 Satz 4 VwGO für ungültig erklärten Normenbereich
genommen. Einer Auslegung des § 47 Satz 4 VwGO, die zu diesem Ergebnis
führte, verstieße deshalb gegen Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. § 47 Satz 4 VwGO muß
deshalb verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß das
Normenkontrollverfahren nicht ausgeschlossen werden kann (BVerfGE 24, 33
(48)).
Da nach der vorstehend dargelegten Auslegung des § 47 Satz 4 VwGO eine
allgemeinverbindliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die abstrakte
Normenkontrolle nicht ausschließt, kann dahingestellt bleiben, ob Art. 93 Abs. 1
Nr. 2 GG eine abschließende Regelung der prinzipalen Normenkontrolle enthält, d.
h. ein Verbot der Normenkontrolle durch andere Gerichte (vgl. BVerfGE 25, 33
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h. ein Verbot der Normenkontrolle durch andere Gerichte (vgl. BVerfGE 25, 33
(50), dazu Wilken, DVBl. 1969, 532; OVG Bremen, DÖV 1961, 264 (265) mit
zustimmender Anm. Bergmann; Renck, DÖV 1964, 1 (4); 651 (658); Ule, AÖR 82,
123 (129)).
Die relative Unwirksamkeit der Entscheidung nach § 47 Satz 4 VwGO im Verfahren
nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG muß auch das Verfahren nach Art. 131, 132 HV
gewährleisten, da der Vorbehalt nach § 47 Satz 1 VwGO auch zugunsten der
Landesverfassungsgerichte gilt. Bei dieser Auslegung des § 47 Satz 4 VwGO bleibt
die Gültigkeit der angegriffenen Norm trotz der Entscheidung des
Verwaltungsgerichtshofs im Streit. Sie ist somit für das verfassungsgerichtliche
Normenkontrollverfahren "geltendes Recht" im Sinne der Art. 131, 132 HV (im
Gegensatz zu einer noch nicht erlassenen Norm, vgl. dazu BVerfGE 1, 396 (400)).
d) Dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens steht im abstrakten
Normenkontrollverfahren kein Äußerungsrecht zu. Der Staatsgerichtshof hat
jedoch bereits in einem anderen Normenkontrollverfahren die Beteiligten des
Verwaltungsstreitverfahrens in Ausübung des ihm in § 14 Abs. 1 Satz 2 StGHG
eingeräumten freien Ermessens angehört und diese Verfahrensgestaltung
ausführlich begründet (Hess. StGH, Urteil vom 16. Dezember 1969 – P. St. 569 –,
in StAnz. 1970, 53 (58)). Er hat deshalb im vorliegenden Verfahren den
Antragsteller des verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens ebenfalls
angehört.
2. Der Normenkontrollantrag der Landesregierung ist auch begründet.
a) Mit Recht hat – wie dargelegt – der Hessische Verwaltungsgerichtshof § 37
SchVG 1961 als Ermächtigungsvorschrift für den Erlaß der "Ordnung" angesehen.
Er entspricht den Anforderungen, die nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz gemäß
Art. 107, 118 HV an eine Ermächtigungsvorschrift zu stellen sind. Der
Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 4. Dezember 1968 – P. St. 514/520 –
(ESVGH 19, 142 (144 ff) = StAnz. 1969, 33 = DÖV 1969, 634 = VRspr. 21, 1 m. w.
Nachweisen) entschieden, daß der Grundsatz der Gewaltenteilung des Art. 118 HV
für das gesamte Verordnungsrecht in Hessen gilt, und in ständiger
Rechtsprechung verneint, daß die Regelung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG als
allgemeiner Rechtsgrundsatz dem Landesverfassungsrecht Hessens immanent
sei (Urteile vom 22. Januar 1960 – P. St. 295 –, StAnz. 1960, 208, 21. September
1966 – P. St. 387 – StAnz. 1966, 1394, 4. Dezember 1968 – P. St. 514/520 –, aaO
m. w. Nachweisen). An dieser Rechtsprechung hält der Staatsgerichtshof fest. In
Literatur und Rechtsprechung herrscht dagegen überwiegend die Auffassung, Art.
80 Abs. 1 Satz 2 GG sei die Konkretisierung des im Grundgesetz strenger als
früher verstandenen Rechtsstaatsprinzips und finde daher auf die
Landesgesetzgebung Anwendung (außer den im Urteil vom 4. Dezember 1968,
aaO, aufgeführten Nachweisen vertreten diese Auffassung: Wilke in von Mangoldt-
Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 80;, Anm. XIII; Rupp, NJW 1970, 412
(413); BVerwG, Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht vom 19. März
1970 – II C 87.65 –, ZBR 1970, 184 (186)). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts scheidet eine Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2
GG auf die Landesgesetzgebung schon deshalb aus, weil sich diese Bestimmung
unmittelbar nur auf den Bereich der Bundesgesetzgebung beziehe (BVerfGE 12,
319 (325); 19, 253 (266); ebenso auch Bachof, DÖV 1953, 499).
Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluß vom 19. März
1970, aaO) hat das Bundesverfassungsgericht in keiner der im Vorlagebeschluß
angeführten Entscheidungen die Auffassung einer Geltung des Art. 80 Abs. 1 Satz
2 GG für den Landesgesetzgeber ausgesprochen. In seiner Entscheidung vom 4.
Februar 1958 (BVerfGE 7, 244 (253)) hat es die Frage, ob eine landesgesetzliche
Ermächtigungsgrundlage gegen rechtsstaatliche Grundsätze über die Abgrenzung
von Gesetzgebungs- und Verordnungsgewalt verstoßen habe, dahingestellt
gelassen, ohne in diesem Zusammenhang Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu nennen.
Gegen eine Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Landesgesetzgebung
haben sich ausgesprochen: OVG Koblenz (AS 11, 7 (9 ff)), Bachof (DÖV 1953, 497
(499)), Schweiger (DÖV 1954, 481), Giese (Kommentar zum GG, 7. Aufl., Art. 80
Anm. II 1), Bernhard Wolff (AöR, Bd 78, 213 ff). Diese Auffassung teilt der
Staatsgerichtshof. Das Gewaltenteilungsprinzip, wie es dem Art. 118 HV als
allgemeiner Grundsatz entnommen werden kann, erfordert, daß sich aus dem
ermächtigenden Gesetz ableiten läßt, ob die Ermächtigungsnorm dem Zweck des
Gesetzes entspricht. Aus dem Gesetz selbst ist zu ermitteln, welches Programm
durch die Verordnung verwirklicht werden soll (BVerfGE 5, 71 (77); Hess. StGH,
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durch die Verordnung verwirklicht werden soll (BVerfGE 5, 71 (77); Hess. StGH,
Urteil vom 4. Dezember 1968 – P. St. 514/520 – aaO mit weiteren Nachweisen;
OVG Koblenz, aaO S. 10; Bernhard Wolff, aaO S. 197, 215).
Ob § 37 Abs. 3 SchVG 1961 eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die
"Ordnung" bildet, gehört zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit und wird vom
Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden sein.
Der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, das Zitiergebot des Art.
80 Abs. 1 Satz 3 GG gelte auch für die Landesgesetzgebung, kann nicht gefolgt
werden. Der Gedanke des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG hat in der Hessischen
Verfassung keinen Niederschlag gefunden. Er kann weder als Ausfluß des
Gewaltenteilungsgrundsatzes noch als Gebot des Rechtsstaatsgrundsatzes in den
Rang von Landesverfassungsrecht gehoben werden (Giese, aaO, Art. 80 Anm. II 1;
Wilke in von Mangoldt-Klein, aaO, Art. 80 Anm. XIII 1; Gross, NJW 1969, 2186
(2187); vgl. auch Böckenförde-Grawert, aaO, S. 34: "Die Zitierung ist kein
rechtsstaatliches essentiale", a. A. Bartlsperger, VerwArch. 1958, 249 (260 ff);
Maunz in Maunz-Dürig, aaO, Art. 80 Anm. 19).
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Gültigkeit der "Ordnung" bereits wegen
Verstoßes gegen den Grundsatz des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG verneint. Deshalb
brauchte er nicht mehr über die Frage der Ordnungsmäßigkeit ihrer Verkündung
im Amtsblatt des Kultusministers zu befinden.
Die Entscheidung dieser Frage ist dem Staatsgerichtshof verwehrt. Er hat in
ständiger Rechtsprechung entschieden, daß er eine Verkündungsregelung nur auf
ihre Verfassungsmäßigkeit, nicht jedoch auf ihre Gesetzmäßigkeit prüfen kann
(Urteile vom 3. Dezember 1969 – P. St. 569 –, aao., 4. Februar 1970 – P. St. 533 –,
aaO.). Mit dieser Unterscheidung befindet er sich in Übereinstimmung mit dem
Bundesverwaltungsgericht, das sich mit dieser Frage im Beschluß vom 22.
Dezember 1969 – VII B 115.68 – mit dem Hinweis auf BVerfGE 7, 89 (92) befaßt
hat. Ob eine Norm im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden müsse,
lasse sich nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip beantworten. Dieses enthalte
nämlich keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmte Gebote oder Verbote von
Verfassungsrang. Es enthalte keine Aussage darüber, vermittelst welcher Blätter
(Gesetz- und Verordnungsblatt, Amtsblatt, Tageszeitung, Aushang)
Veröffentlichungen erfolgen müßten.
Gegen die Verkündung der "Ordnung" im Amtsblatt bestehen keine
verfassungsmäßigen Bedenken. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt lediglich, daß
Rechtsnormen in einer Weise der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden müssen,
die es dem Bürger gestattet, sich von ihrem Inhalt Kenntnis zu verschaffen (so
auch BVerfGE 7, 330 (337); 16, 6 (17); BVerwGE 17, 192 (193); 25, 151 (159)). Mit
der Verkündung der "Ordnung" im Amtsblatt des Hessischen Kultusministers ist
dem Rechtsstaatsprinzip Genüge getan (vgl. außer den genannten
Entscheidungen des Hess. StGH auch Bay. VerfGH bei VGHE II, 21, 92 (103);
Gross, NJW 1969, 2186 (2187); ders. in NJW 1970, 937; ders. in DVBl. 1970, 221; im
Ergebnis ebenso Böckenförde-Grawert, aaO., S. 35 f; a. A. Rupp, NJW 1970, 412
(413)).
c) Die festgestellte Verfassungsmäßigkeit der "Ordnung" macht es erforderlich,
den Rechtsschein der diesem Erkenntnis entgegenstehenden Entscheidung des
Verwaltungsgerichtshofs zu beseitigen. Der Gesetzgeber des
Staatsgerichtshofsgesetzes hat an die Möglichkeit einer mit der
verfassungsrechtlichen konkurrierenden verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle
offenbar nicht gedacht und diesen Fall nicht geregelt. Die Anwendung des § 43
Abs. 3 StGHG, der die Anordnung der Wiederaufnahme von abgeschlossenen
Verfahren durch den Staatsgerichtshof vorsieht, scheidet aus, weil die dort
genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Auch eine entsprechende
Anwendung ist nicht möglich. Es bedarf deshalb zur Ausfüllung der Gesetzeslücke
der analogen Anwendung des § 49 Abs. 2 StGHG, der unmittelbar nur für die
Grundrechtsklage gilt. Da der Verwaltungsgerichtshof über die Vereinbarkeit der
"Ordnung" mit einfachem Landesrecht zu entscheiden hat, ist als
Nebenentscheidung der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
29. Mai 1968 für kraftlos zu erklären und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
3. Zu den Anträgen des Landesanwalts ist zu bemerken: Die Auslegung des
Antrags zu 1) unter Berücksichtigung seiner Begründung ergibt, daß die
Verfassungsmäßigkeit des § 11 HessAGVwGO nicht in Frage gestellt werden soll;
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Verfassungsmäßigkeit des § 11 HessAGVwGO nicht in Frage gestellt werden soll;
der Antrag ist vielmehr auf eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs gerichtet,
daß § 11 HessAGVwGO in Verbindung mit § 47 VwGO das Verwerfungsmonopol
des Staatsgerichtshofs nach Art. 132 HV nicht beschränkt habe. Zwar ist
zuzugeben, daß durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eine
Unsicherheit über die uneingeschränkte Fortgeltung des Art. 132 HV im Rahmen
der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle entstanden sein konnte. Diese hält
der Staatsgerichtshof durch die Begründung seiner Entscheidung (vgl. vorstehend
unter B I 2 c) jedoch nunmehr für ausgeräumt. Der Staatsgerichtshof sieht sich
aber gehindert, diese Klarstellung, wie beantragt, in der Urteilsformel mit
Gesetzeskraft auszusprechen. Gegenstand dieses Verfahrens, dem sich der
Landesanwalt angeschlossen hat, ist die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der
"Ordnung" des Kultusministers vom 29. Mai 1968. Der Antrag des Landesanwalts
auf eine Entscheidung gemäß § 41 Abs. 3 StGHG hat einen davon verschiedenen
Verfahrensgegenstand und ist deshalb im vorliegenden Verfahren nicht zulässig.
Der Antrag zu 2) des Landesanwalts entspricht dem Antrag der Landesregierung
und hat insoweit im Ergebnis, wenn auch aus anderen Gründen (vgl. B II 2 c),
Erfolg.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.