Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: hessen, grundrecht, zuchthaus, beleidigung, hund, quelle, privatklage, strafprozessordnung, geringfügigkeit, verfassungsbeschwerde

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 51
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
Art 125 GG
Leitsatz
1. Die Strafprozessordnung 1946 unterliegt als sogenanntes zoneneinheitliches Gesetz
des Süddeutschen Länderrates, welches ohne Vorlage an den Hessischen Landtag von
dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen erlassen und verkündet worden und durch
Art. 125 GG Bundesrecht geworden ist, unterliegt nicht der Prüfung durch den
Staatsgerichtshof.
2. Eine Gerichtsentscheidung kann nicht schon dann mit der Grundrechtsklage vor dem
Staatsgerichtshof angefochten werden, wenn durch die Art der Entscheidung ein
Grundrecht verletzt sein soll, sondern nur dann, wenn den Gegenstand des Streites ein
Grundrecht gebildet hat.
Tenor
Auf den Antrag... des... in... vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Hintze II. in
Wiesbaden, Weinbergstraße 15, den in der Privatklagesache... gegen...
ergangenen Beschlusses der I. Strafkammer des Landgerichts in... vom 7.10.1949
aufzuheben, hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen am 3.2.1950
beschlossen:
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung
ergeht gebührenfrei.
Gründe
I.
Gelegentlich eines Streites zwischen Bewohnern des... nannte eine der
Bewohnerinnen den Antragsteller, der ihren Hund geschlagen hatte, einen Mörder,
der ins Zuchthaus gehöre und noch einmal dahin kommen werde, wohin er schon
lange gehöre. Wegen dieser Beleidigung erhob der Antragsteller Privatklage. Das
Amtsgericht... stellte durch Beschluß... vom 2.9.1949 das Verfahren gemäß § 383a
StPO. wegen Geringfügigkeit ein. Der Antragsteller erhob sofortige Beschwerde
und trug zur Begründung vor, daß die Vorschrift des § 383 a StPO. mit Art. 3 HV.
unvereinbar sei. Er regte an, eine gutachtliche Äußerung des Staatsgerichtshofs
gemäß § 48 Abs. 2 StGHG. einzuholen. Die I. Strafkammer des Landgerichts in...
wies durch Beschluß... vom 7.10.1949 die sofortige Beschwerde zurück. Diese
verneinte die vom Antragsteller geltend gemachte Unvereinbarkeit des § 383a
StPO mit der HV und bestätigte die Auffassung des Amtsgerichts, daß das
Verschulden der Beleidigerin gering sei, und daß ihrem Verhalten schwerwiegende
Folgen nicht entsprungen seien.
Der Antragsteller hat den Staatsgerichtshof mit der Grundrechtsklage gegen das
Land Hessen angerufen und hat den oben wiedergegebenen Antrag gestellt. Zur
Begründung hat er ausgeführt, daß § 383a StPO. mit Art. 3 HV. nicht vereinbar sei,
da er praktisch den Rechtsweg zur strafrechtlichen Verfolgung von ausschließe. §
383 a StPO. sei also durch die Verfassung außer Kraft gesetzt worden.
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Der Landesanwalt hat sich dem Verfahren und dem Antrag angeschlossen.
II.
Der Antrag ist offenbar unbegründet (§ 21 Abs. 1 Satz 1 StGHG.)
1. Die Frage, ob eins Bestimmung der Strafprozeßordnung 1946 - hier der § 383 a
- mit der Hessischen Verfassung vereinbar ist oder nicht, unterliegt nicht der
Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof. Die Strafprozeßordnung 1946 ist ein
sog. zoneneinheitliches Gesetz des Süddeutschen Länderrates, welches ohne
Vorlage an den Hessischen Landtag von dem Ministerpräsidenten des Landes
Hessen erlassen und verkündet worden und jetzt durch Art. 125 GG. Bundesrecht
geworden ist. Ein solches Gesetz ist der Prüfung durch die Landesgerichte
entzogen (vergl. Beschluß des Staatsgerichtshofes P.St 21 vom 14.4.1949).
2. Der Antrag kann aber auch insoweit keinen Erfolg haben, als er geltend macht,
die Anwendung des § 383 a StPO. verletze im vorliegenden Falle, indem sie dem
Antragsteller den Ehrenschutz versage, das diesem von der Verfassung
gewährleistete Grundrecht der Ehre.
a) Dar Staatsgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, daß eine
Gerichtsentscheidung nicht schon dann mit der Grundrechtsklage vor dem
Staatsgerichtshof angefochten werden kann, wenn durch die Art der Entscheidung
ein Grundrecht verletzt sein soll, sondern nur dann, wenn den Gegenstand des
Streites ein Grundrecht gebildet hat (Beschlüsse. PSt. 12 und 20 vom 14.4.1949,
PSt. 57 vom 16.12.1949). An dieser Auslegung des § 48 StGHG. hält der
Staatsgerichtshof fest, da nur sie der allgemeinen staatsrechtlichen Auffassung
der grundsätzlichen Bestandsgewähr der Staatsakte, von denen die Urteile des
Richters eine der wichtigsten Gruppen bilden (Roemer, "Zur Rechtsprechung des
bayrischen Verfassungsgerichtshofes" in SJZ. 1949 Sp. 24 ff und 184 ff,
insbesondere Sp.190), so wie der Aufgabe und dem Zwecke
verfassungsrichterlicher Tätigkeit gerecht wird.
b) Im übrigen ist die Auslegung und Anwendung des § 383 a StPO. eine
verfahrensrechtliche, keine verfassungsrechtliche Frage. Ihre Beurteilung obliegt
ausschließlich dem jeweils zuständigen Gericht. Der Auffassung des
Landesanwalts, die Anwendung des 383 a StPO. beruhe nicht auf einer falschen
Auslegung sondern auf einem Mißbrauch dieser Vorschrift, wenn die sachlich
zuständigen Gerichte regelmäßig von der Einstellungsbefugnis Gebrauch machten
und daher praktisch in aller Regel den Ehrenschutz versagten, kann der
Staatsgerichtshof nicht folgen. Es könnte im vorliegenden Falle nicht darauf
ankommen, ob die Strafkammer des Landgerichts in... oder ob andere hessische
Strafgerichte in anderen, nicht näher bezeichneten Fällen Entscheidungen
getroffen haben, die sich als Mißbrauch der Einstellungsmöglichkeit darstellen. Im
vorliegenden Fall ist jedenfalls ein Mißbrauch nicht erkennbar. Es kann deshalb
dahin gestellt bleiben, ob eine Grundrechtsklage gegenüber einer Entscheidung
des Strafrichters dann gegeben sein könnte, wenn diese Entscheidung nach dem
Umständen des Falles einen so schweren Ermessensmißbrauch des Gerichts
darstellen sollte, daß sie nicht mehr als Staatsakt eines demokratischen
Rechtsstaates anerkannt werden könnte (so Roemer aaO. Sp. 188 f für die
Verfassungsbeschwerde nach der Bayerischen Verfassung). Ein solcher Fall liegt
hier nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.