Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: öffentliches recht, öffentliche gewalt, unabhängigkeit des richters, ehre, zeugenaussage, glaubwürdigkeit, amt, beleidigung, hessen, posten

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 45 Abs 1 StGHG
Leitsatz
1. Anträge, die im Wege der Grundrechtsklage für den hessischen Bürger schlechthin
die Anerkennung eines bestimmten, verfahrensmäßig festzustellenden Rechtsschutzes
erstreben, gehen über den Wirkungsbereich der Grundrechtsklage hinaus. Verlangt wird
eine gegenwärtige (aktuelle) Verletzung von Grundrechten, während ein bloß "virtuelles"
Betroffenwerden nicht ausreicht.
2. Es liegt im Wesen der Grundrechte, dass sie ihre Schranken in der bei gesetzmäßiger
Verwaltung für die Ausübung der Staatsgewalt den öffentlichen Organen eingeräumten
Selbständigkeit und Verantwortung finden.
Solche den Grundrechten inhärenten Schranken treten ebenso bei der in die
staatsbürgerliche Individualsphäre eingreifenden Entscheidungsbefugnis des Richters
wie in dem vorausgehenden, vom erkennenden Richter geleiteten Verfahren in
Erscheinung.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf 300.– DM festgesetzt und ist von der Antragstellerin zu
tragen.
Gründe
I.
Gegen den Ehemann der Grundrechtsklägerin, ... in ..., schwebte dort ein
Spruchkammerverfahren, das in erster Instanz nach 7 Verhandlungstagen mit
einem am 29.VII.1948 verkündeten Spruch seinen Abschluss fand, wonach ... in die
Gruppe II der Belasteten des Befreiungsgesetzes vom 5.III.1946 eingestuft wurde.
Diese Entscheidung wurde seitens der Berufungskammer ... mit Spruch vom
7.IV.1949 aufgehoben; das Verfahren wurde mit der Begründung, dass ... vom
Gesetz nicht betroffen sei, eingestellt.
In den Gründen des letztgenannten Spruchs wird die "charakterliche Beurteilung",
welche der Betroffene durch die Spruchkammer erfahren hat, als "willkürlich"
bezeichnet und von ihr gesagt, dass sie "der Begründung in tatsächlicher
Beziehung entbehre".
Vorsitzender der erstinstanzlichen Spruchkammer war ein ..., der im Laufe des
Jahres 1950 – den genauen Zeitpunkt ergeben die Akten nicht – aus dem
öffentlichen Dienst ausgeschieden ist.
In der schriftlichen Spruchbegründung sind von ... sämtliche im
Spruchkammerverfahren gegen ... erhobenen Anschuldigungen ausführlich
behandelt worden. Es erübrigt sich, auf diese Anschuldigungen, die sich in erster
Linie mit einer von ... während des letzten Krieges in ... als Leiter der dortigen
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Linie mit einer von ... während des letzten Krieges in ... als Leiter der dortigen
Preisüberwachungsstelle ausgeübten Tätigkeit befassen, näher einzugehen.
Wesentlich ist nur, dass nach dieser Spruchbegründung ... auch beschuldigt
worden ist, "eine Halbjüdin bei der Gestapo denunziert zu haben", womit die
Ehefrau ..., eine Hausgenossin der Eheleute ..., gemeint war.
Zu dieser Anschuldigung ist von ... kurze Zeit vor der auf den 13.V.1948
anberaumten Spruchkammerverhandlung, nämlich am 5.V.1948, die Ehefrau ...
als Zeugin vernommen worden. Ein Grund für diese die spätere Verhandlung
vorwegnehmende Beweiserhebung ist nicht erkennbar.
Auch das Vernehmungsprotokoll ist sehr ausführlich, lässt aber nicht ersehen,
welche Bewandtnis es mit jener dem ... vorgeworfenen Denunziation gehabt haben
soll.
Frau ..., die sich im Protokoll als "Halbjüdin" bezeichnet, will nach ihrer Aussage
eine "unfreundliche Haltung" der Ehefrau ... ihr gegenüber im September 1943
bemerkt haben. Vorhaltungen, welche die Ehefrau ... als Luftschutzwart des
gemeinsam bewohnten Hauses wegen nicht luftschutzgemäßen Verhaltens der
Ehefrau ... gemacht haben will, sollen überdies wenige Tage später für die Ehefrau
... eine Vorladung der Gestapo zur Folge gehabt haben. Als Frau ... auf die Ladung
hin erschienen sei, will sie von einem Gestapo-Beamten mit den Worten: "Sie sind
lagerreif!" empfangen worden sein. Die hierauf folgende Vernehmung sei mit
Aufnahme eines Protokolls des Inhalts abgeschlossen worden, dass sie "als
Mischling ersten Grades" sich habe verpflichten müssen, "in Zukunft sich arischen
Volksgenossen gegenüber zurückhaltend zu benehmen". Eine Bitte der Frau ...,
über ihren Zusammenstoß mit Frau ... noch andere Hausbewohner zu vernehmen,
soll von dem Gestapo-Beamten mit dem Bemerken, dass er hierzu keine Zeit
habe, zurückgewiesen worden sein.
Von dieser Darstellung der Frau ... leitet zu der gegen den Ehemann ... erhobenen
Beschuldigung eine im Verhandlungsprotokoll der Spruchkammer niedergelegte
Aussage des Ehemanns ... über, der aus Äußerungen des in Frage kommenden
Gestapo-Beamten den Schluss gezogen haben will, dass nicht die Ehefrau ...,
vielmehr deren Ehemann, also der Betroffene des Spruchkammerverfahrens,
Anzeiger gewesen sei.
Eine dahingehende Feststellung ist jedoch im Spruchkammerverfahren gegen ...
nicht getroffen, allerdings in der Spruchbegründung von ... hervorgehoben worden,
es sei "mit sehr großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Betroffene der
Denunziant gewesen ist".
Zu dieser Beschuldigung ist am 13.V.1948, dem ersten Tage der
Spruchkammerverhandlung, auch die Ehefrau des Betroffenen als Zeugin
vernommen worden. Das Sitzungsprotokoll enthält über ihre Vernehmung eine
Niederschrift, die jedenfalls erkennen lässt, dass es hierbei dem
Kammervorsitzenden ... darauf ankam, die Frage zu klären, ob die Ehefrau ...
jemals ihrem Unwillen darüber Ausdruck gegeben hat, dass Frau ... als
"Nichtarierin" die Tätigkeit eines Luftschutzwarts ausübte.
Belastend erschien hierbei wohl, dass eine in der Nachbarschaft der Eheleute ...
und ... wohnhafte Ehefrau ... gegenüber einer anderen Nachbarin Ehefrau ... sich
dahin geäußert haben soll, dass "Frau ... tatsächlich seinerzeit sich über die
Eigenschaft der Frau ... als Luftschutzwart geärgert und darüber gesprochen
habe".
Die in der Spruchkammerverhandlung im Anschluss an die Ehefrau ...
vernommene, ... Jahre alte Ehefrau ... hat erklärt, dass sie im Auftrage der
Frauenschaft, welche die Frau ... als Halbjüdin nicht für den Posten eines
Luftschutzwarts für geeignet befunden, diesen Posten der Frau ... angeboten habe,
die jedoch nicht zur Übernahme bereit gewesen sei. Den "genaueren Inhalt" des
hierüber mit Frau ... geführten Gesprächs wollte Frau ... nach ihrer damaligen
Bekundung "nicht mehr wissen".
Zu dem in der Spruchkammerverhandlung für wesentlich gehaltenen zwischen
Frau ... und Frau ... über Frau ... geführten Gespräch, sowie den Umständen,
welche zu diesem Gespräch geführt haben, ist seitens der Frau ... ausweislich des
Verhandlungsprotokolls vom 13.V.1948 folgendes bekundet worden:
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"Es kam zu Differenzen mit der Familie .... Frau ... war Luftschutzwartin unseres
Hauses. Ich habe damals keinen Anstoß genommen, dass eine Halbjüdin (Frau ...)
Luftschutzwartin unseres Hauses war. Mit anderen Leuten habe ich nicht darüber
gesprochen. Es stimmt nicht, dass ich Frau ... gegenüber meinen Unwillen darüber
kundgetan habe, dass eine Halbjüdin einen derartigen Posten inne hat. Frau ...
kam zu mir und sagte, dass die Partei es nicht gern sehe, dass eine Halbjüdin
Luftschutzwartin ist, ich sollte doch das Amt übernehmen. Ich habe dies aber unter
der Begründung abgelehnt, dass ich mich nicht dazu eignen würde."
Zu dieser Vernehmung ist über das Verhalten des Kammervorsitzenden ... in
einem an das Min. f. pol. Befr. gerichteten Schreiben der Frau ... vom 2.IX.1948
Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben worden.
In ihren wesentlichen Teilen hat die Beschwerdeschrift folgenden Wortlaut:
"In dem gegen meinen Mann durchgeführten Spruchkammerverfahren wurde ich
am ersten Verhandlungstage, den 13. Mai, als Zeugin vernommen. Es handelte
sich um die Frage, ob jemand an der Tatsache Anstoß genommen habe, dass Frau
... als Halbjüdin während der Kriegsjahre das Amt eines Luftschutzwarts im Hause
... wahrgenommen habe. Ich bekundete, dass eines Tages Frau ..., ebenfalls in der
... wohnhaft, zu mir gekommen sei mit dem Vorschlag, an Stelle der Frau ... das
Amt als Luftschutzwart zu übernehmen, da es nicht gern gesehen werde. dass
Frau ... als Halbjüdin diesen Posten inne habe. Ich lehnte diesen Vorschlag ab und
trat dafür ein, dass Frau ... weiterhin dieses Amt behalte. Bei dieser Aussage
unterbrach mich der Vorsitzende ... mit den Worten: "Das ist nicht wahr!"
Kurz darauf wurde Frau ... selbst vernommen. Sie bestätigte meine Aussage,
womit sie sich gewissermaßen selbst belastete. Auf die Frage des öffentlichen
Klägers, wer ihr den Auftrag zu diesem Vorgehen gegeben habe, antwortete Frau
...: "Die Frauenschaftsführerin Frau ...."
Um meinem Mann während der schwebenden Verhandlungen keine
Schwierigkeiten zu verursachen, habe ich bisher von einer Beschwerde über diese
beleidigende Bezweifelung meiner wahrheitsgemäßen Zeugenbekundung
abgesehen. Ich muss aber heute nach Abschluss des Verfahrens in der ersten
Instanz diese Beschwerde erheben und zwar auch deshalb, weil Herr ... in der
schriftlichen Spruchbegründung erneut gegen seine Pflicht zur Unparteilichkeit und
Sachlichkeit in der gleichen Angelegenheit verstoßen hat."
Hinsichtlich dieser Spruchbegründung wird insbesondere gerügt, dass ... als
Verfasser derselben "eine Zeugenaussage zweiter Hand", nämlich diejenige der ...
"zitiert", hingegen "die Originalaussage der Frau ... weggelassen" habe.
Im Anschluss hieran wird ein weiterer Beschwerdepunkt mit folgenden Worten
angebracht:
"Einem Vorsitzenden, der zweimal in der gleichen Sache so offenbar gegen seine
Pflicht zur Unparteilichkeit und Sachlichkeit verstoßen hat, kann ich das Recht nicht
zubilligen, meine eigene Glaubwürdigkeit abfällig zu beurteilen. Er tut dies auf Seite
12 der Spruchbegründung mit den Worten:
"Den Bekundungen der Ehefrau des Betroffenen ... konnte auch nur eine bedingte
Glaubwürdigkeit beigemessen werden."
Wenn ich auch naturgemäß als Ehefrau an dem Ausgang des Verfahrens gegen
meinen Mann interessiert bin, so bin ich doch meiner Pflicht zu einer
wahrheitsgemäßen Zeugenaussage im vollen Masse bewusst."
Mit Schreiben des Min. f. pol. Befr. vom 5.X.1948 wurde auf diese Beschwerde
erwidert, dass
"das Ministerium es vermeiden möchte, irgendwie in der Sache Stellung zu
nehmen, so lange das Verfahren vor der Spruch- bzw. Berufungskammer keinen
endgültigen Abschluss gefunden hat."
Mit einem weiteren Schreiben vom 11.X.1948 wendet sich Frau ... wiederum an
den Min. f. pol. Befr.. In diesem Schreiben erklärt sie folgendes:
"Erst nach Abschluss des Verfahrens in der ersten Instanz erfuhr ich, dass die Frau
des Spruchkammervorsitzenden ... mit der wichtigen Belastungszeugin Frau ...
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des Spruchkammervorsitzenden ... mit der wichtigen Belastungszeugin Frau ...
persönlich bekannt ist. Es ist nunmehr die ausgesprochene Voreingenommenheit
des Herrn ... zu Gunsten von Herrn und Frau ... leichter verständlich. Ich bitte,
diesen Umstand bei der in Aussicht gestellten späteren Beurteilung des
Sachverhalts mit zu berücksichtigen."
Hierauf schaltet sich mit weiteren an das Min. f. pol. Befr. gerichteten Eingaben der
Ehemann ... namens seiner Ehefrau ein.
So schreibt ... am 25.IV.1949:
"Im Vertrauen auf die Dienstaufsicht des Befreiungsministeriums hat meine Frau
auf die damals mögliche Privatklage gegen Herrn ... wegen Beleidigung verzichtet
und sich auf die Beschwerde vom 2.IX.1948 beschränkt. Ich möchte daher bitten,
das Befreiungsministerium möge Herrn ... zur Zurücknahme seiner beleidigenden
Äußerung: "Das ist nicht wahr!" veranlassen. Mit der Erfüllung dieser eigentlich
selbstverständlichen und längst fälligen Anstandsverpflichtung würde Herr ... nur
einen kleinen Teil desjenigen Schadens wiedergutmachen, den er durch sein
Verhalten in meinem Verfahren der Gesundheit und der Nervenkraft meiner Frau
zugefügt hat."
Am 20.VI.1949 ergeht hierauf an ... folgender Bescheid der Rechtsabteilung des
genannten Ministeriums:
"Die Abteilung Rechtsaufsicht sieht sich nicht in der Lage, im Sinne Ihres
Schreibens vom 25.IV.1949 an den Herrn Vorsitzenden ... heranzutreten. Eine
formale Beleidigung liegt nicht vor. Die Beanstandung der Verhandlungsführung
des Vorsitzenden in Bezug auf die mündliche Äußerung gegenüber einer Zeugin
würde, wie Sie mir zugeben werden, unzulässig sein.
Wenn Ihre Gattin in der Eingabe vom 2.IX.1948 ferner beanstandet hat, dass in der
schriftlichen Spruchbegründung von einer nur "bedingten Glaubwürdigkeit" die
Rede ist, so liegt darin keine Beleidigung, sondern eine Ansicht der
Spruchkammer, die nicht beanstandet werden kann. Der Ausdruck "bedingte
Glaubwürdigkeit" bezieht sich auf die Tatsache, dass die Zeugin Ihnen als Ehefrau
nahe steht und dass deshalb die Zeugenaussage vorsichtig zu bewerten sei. Eine
Beleidigung kann hierin nicht erblickt werden."
Es folgen nunmehr längere Ausführungen des ... in einem Schreiben vom
4.VII.1949, worin gegenüber dem in letzten Bescheide vertretenen Standpunkt mit
folgenden Worten zum ersten Mal eine dem ... zur Last fallende
Grundrechtsverletzung geltend gemacht wird:
"Ob im strafrechtlichen Sinn eine Formalbeleidigung gegeben ist oder nicht,
erscheint unerheblich, weil es sich hier um die dienstaufsichtsrechtliche
Überwachung des Verhaltens des Herrn ... handelt. Er hat m. E. gegen die
Bestimmung der Hessischen Verfassung verstoßen, welche lautet (Art 3): "Ehre
und Würde des Menschen sind unantastbar." Diese Vorschrift bindet als
Grundrechtssatz den Richter und die Verwaltung unmittelbar (Art 26 HV)."
Ferner heißt es in diesem Schreiben wörtlich:
"Sollten Sie danach wider Erwarten eine dienstaufsichtsrechtliche Einwirkung auf
Herrn Spruchkammervorsitzenden ... wiederum ablehnen, so bitte ich, mir einen
mit der Verwaltungsklage anfechtbaren Einspruchsbescheid zu erteilen."
Der hierauf mit Erlass vom 7.VII.1949 erteilte Bescheid lautet wie folgt:
"Ich sehe mich nicht in der Lage, meinen Bescheid vom 20.VI.1949 abzuändern.
Einen mit der Klage im Verwaltungsstreitverfahren anfechtbaren Bescheid gibt es
in Fällen vorliegender Art nach geltendem Recht nicht.
Ich betrachte die Angelegenheit als erledigt und bitte von weiteren Eingaben
abzusehen."
Nach dieser endgültigen Zurückweisung der Dienstaufsichtsbeschwerde hat
nunmehr mit Klageschrift vom 27.VII.1949 ... in Vollmacht seiner Ehefrau wegen
der beiden genannten Bescheide vom 20.VI. und 7.VII.1949 gegen das Land
Hessen, vertreten durch das Min. f. pol. Befr. Anfechtungsklage beim
Verwaltungsgerichtshof in Kassel erhoben, der gemäß § 136 VGG die Klage dem
Verwaltungsgericht ... zur zuständigen Entscheidung übersandt hat.
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Die Anträge der Anfechtungsklägerin lauten wie folgt:
1) die beiden Schreiben des Befreiungsministeriums vom 20.VI.1949 und vom
7.VII.1949 (A III – 21/48) aufzuheben, und
2) das Befreiungsministerium für verpflichtet zu erklären,
a) wegen des durch die Schreiben vom 2.IX.1948 und vom 11.X.1948
beanstandeten Verhaltens des Spruchkammervorsitzenden Herrn ... in ... als
Dienstaufsichtsbehörde (§ 27 Abs. 3 Befr. Ges.) Ermittlungen einzuleiten, und
b) wenn sich dabei die in den beiden Beschwerdeschreiben vorgetragenen
Tatsachen bestätigen, angemessene dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen
gegenüber dem Spruchkammervorsitzenden Herrn ... zu treffen.
3) die Kosten des Rechtsstreits dem Lande Hessen aufzuerlegen."
Mit Vorbescheid vom 12.VIII.1949 hat das genannte Verwaltungsgericht die Klage
gemäß § 55 Abs. 4 VGG "wegen offenbarer Unbegründetheit" zurückgewiesen und
der Anfechtungsklägerin die Kosten des Verwaltungsverfahrens auferlegt.
In der Begründung dieses Bescheides wird u. a. folgendes ausgeführt:
"Durch die Weigerung des Min. f. pol. Befr., gegen den Spruchkammervorsitzenden
... dienststrafrechtlich vorzugehen, werden keine subjektiv-öffentlichen Rechte der
Anfechtungsklägerin verletzt. Die Entscheidung, ob gegen einen Beamten wegen
Amtspflichtverletzung Dienstmaßnahmen zu ergreifen sind, ist ausschließlich
Sache des freien, pflichtmäßigen Ermessens der Dienstaufsichtsbehörde. Ein
Rechtsanspruch eines Dritten auf dienststrafrechtliche Verfolgung besteht nicht.
Auch das Verhalten des Spruchkammervorsitzenden ... kann nicht zum
Gegenstand einer Klage beim Verwaltungsgericht gemacht werden, da die
Verwaltungsgerichte nicht befugt sind, jeden durch das Verhalten eines Beamten
verursachten Eingriff in die private Rechtssphäre des Betroffenen zu überprüfen.
Lediglich Verwaltungsakte oder die Unterlassung von Verwaltungsakten, auf deren
Vornahme jemand einen Rechtsanspruch zu haben behauptet, können zum
Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung gemacht werden. Das
beanstandete Verhalten des Spruchkammervorsitzenden ... ist jedoch kein
Verwaltungsakt, sondern lediglich eine die Anfechtungsklägerin evtl. in ihrer Ehre
verletzende gelegentliche Äußerung, die selbständige Rechtswirkungen
verwaltungsrechtlichen Charakters nicht auslöst. Es steht der Klägerin frei, gegen
den Spruchkammervorsitzenden Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen oder
ggf. Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung bei den ordentlichen
Gerichten geltend zu machen.
Ohne der Entscheidung der ordentlichen Gerichte vorgreifen zu wollen, ist das
Verwaltungsgericht der Ansicht, dass der Spruchkammervorsitzende in Wahrung
berechtigter Interessen gehandelt hat, wenn er die Anfechtungsklägerin auf die
seiner Ansicht nach vermeintliche Unrichtigkeit ihrer Aussage hingewiesen hat.
Eine Rechtsverfolgung dürfte daher auch bei den ordentlichen Gerichten kaum
Aussicht auf Erfolg haben."
Gegenüber diesem Vorbescheid hat Frau ... durch ihren Ehemann mit Schreiben
vom 1.IX.1949 gemäß § 55 Abs. 2 VGG fristgerecht Antrag auf mündliche
Verhandlung gestellt.
Zur Begründung des Antrags wird am Schluss längerer Ausführungen folgendes
erklärt:
"Es war in der Klageschrift behauptet worden, dass das Verhalten des
Spruchkammervorsitzenden ... gegen Grundrechtsvorschriften der Hessischen
Verfassung verstoßen habe. M. E. ist es ein Missbrauch des pflichtgemäßen
Ermessens der Dienstaufsichtsbehörde, wenn sie es ablehnt, ein solch
schwerwiegendes Vorbringen auch nur durch Anhörung des Beschuldigten zu
klären und es von vornherein ablehnt, in einem solchen Fall von ihrer
dienstaufsichtsrechtlichen Befugnis Gebrauch zu machen."
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Die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in ... hat am 26.IX.1949
stattgefunden. Es wurden die Anträge der Anfechtungsklage gestellt, der Antrag
zu 1) aber noch auf die Aufhebung eines weiteren persönlich vom
geschäftsführenden Minister f. pol. Befr. gezeichneten, die früheren Bescheide
uneingeschränkt bestätigenden Erlasses vom 31.VIII.1949 ausgedehnt.
Durch ein im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündetes Urteil ist die
Klage der ... abgewiesen worden.
In der Urteilsbegründung heißt es u. a.:
"Das Verwaltungsgericht hat seine Zuständigkeit nicht bejahen können, da nach
dem eigenen Vorbringen der Anfechtungsklägerin nicht ersichtlich ist, dass in
irgendeiner Form nach Maßgabe des öffentlichen Rechts das Verhalten des
Spruchkammervorsitzenden in ihre öffentlich-rechtliche Rechtssphäre eingreift.
....
Die Eröffnung eines Dienststrafverfahrens hängt ausschließlich von der freien
Willensentschließung des Dienstherrn des Betroffenen ab. Nicht einmal bei
strafrechtlicher Verurteilung eines Beamten ist die Dienstbehörde verpflichtet, ein
Dienststrafverfahren einzuleiten. Sie hat nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu
prüfen, ob dies im dienstlichen Interesse erforderlich ist. ...
Obwohl das Verwaltungsgericht zur Frage der Ordnungsmäßigkeit des Verhaltens
des Spruchkammervorsitzenden nicht Stellung zu nehmen braucht, hält es sich im
Interesse der Vermeidung weiterer unnötiger Prozesse bei den ordentlichen und
Strafgerichten dennoch für verpflichtet, festzustellen, dass auch seiner Ansicht
nach es einem Richter nicht verwehrt werden darf, seiner Meinung über den Wert
einer Zeugenaussage in einer sachlich einwandfreien und nicht beleidigenden
Form Ausdruck zu geben."
Gegen dieses Urteil hat die Anfechtungsklägerin durch ihren Ehemann mit
Schreiben vom 23.XI.1949 fristgerecht Berufung eingelegt.
Zur Berufungsbegründung wird u. a. ausgeführt:
"Art 26 der Hessischen Verfassung bindet nicht nur den einzelnen Amtsträger,
sondern auch seine Dienstaufsichtsbehörde. Daraus ergibt sich, dass der einzelne
Staatsbürger ein subjektives öffentliches Recht darauf hat, dass die
Dienstaufsichtsbehörde sich ihm gegenüber grundrechtsgemäß verhält. Sie mag
zwar einen weiten Ermessensspielraum bei ihren Entschließungen haben. Aus Art
26 der Hessischen Verfassung ergibt sich jedoch ihre Rechtspflicht, ihr Ermessen
grundrechtsgemäß auszuüben, also eine ihr vorgetragene Grundrechtsverletzung
zu prüfen und angemessen zu ahnden. Kommt die Dienstaufsichtsbehörde dieser
ihrer rechtlichen Verpflichtung nicht nach, so ist das Verwaltungsgericht berufen,
den verletzten Grundrechtsansprüchen des einzelnen Bürgers Geltung zu
verschaffen."
Die Berufung ist durch Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.V.1951 auf
Kosten der Berufungsklägerin zurückgewiesen worden.
Die Urteilsgründe rechtfertigen diese Entscheidung wie folgt:
"Auch wenn die Auffassung der Klägerin zuträfe, die Behörde, die eine Verletzung
eines verfassungsmäßig geschützten Rechts durch einen ihrer Aufsicht
unterstehenden Staatsbediensteten dulde, übe die ihr anvertraute öffentliche
Gewalt selbst verfassungswidrig aus, wäre damit nicht dargetan, dass der Bürger
hierdurch in einem subjektiv- öffentlichen Recht verletzt wäre. Zwar haben die
Grundrechte gemäß Art 26 HV und Art 1 Abs. 3 GG jetzt die Bedeutung subjektiver
Rechte. Werden sie verletzt, so stellt die Rechtsordnung je nach der Art des
verletzten Rechts dem Bürger verschiedene Rechtswege zur Verfügung, die
geschehene Verletzung zu ahnden oder weitere Verletzungen zu verhindern. Auf
Rechtsschutz hat der Bürger einen öffentlich-rechtlichen Anspruch und zwar dann,
wenn die Verletzung durch die öffentliche Gewalt begangen ist (Art 2 Abs. 3 HV,
Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG) ... Die Ehre des einzelnen Bürgers ist zwar ein
subjektives, aber kein öffentliches Recht. Die Rechtsordnung schützt sie durch das
Strafrecht. Dementsprechend besteht bei ihrer Verletzung die Möglichkeit
strafrichterlicher Verfolgung. Im vorliegenden Fall stand der Klägerin, falls sie
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strafrichterlicher Verfolgung. Im vorliegenden Fall stand der Klägerin, falls sie
glaubte, in ihrer Ehre verletzt zu sein, der Rechtsweg des ordentlichen
Strafverfahrens gegen den Spruchkammervorsitzenden ... offen. Die Klägerin hat,
wie sie selbst vorträgt, versäumt, diesen Rechtsweg rechtzeitig zu beschreiten."
Dieses Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ist mit Grundrechtsklage vom
16.VII.1951 von der Frau ... mit den aus dem Tenor dieses Beschlusses
ersichtlichen Anträgen angefochten worden. Es wird in der Begründung geltend
gemacht, dass sich der Verwaltungsgerichtshof mit seinen Ausführungen über den
Charakter der persönlichen Ehre des Staatsbürgers als eines subjektiven, aber
nicht öffentlichen Rechts mit der herrschenden Lehre und Rechtsprechung in
Widerspruch setze, auch die Grundrechte der Hessischen Verfassung verletze.
Wörtlich heißt es in der Antragsbegründung:
"Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verkennt die Bedeutung des Grundrechts
aus Art 3 HV als eines subjektiven-öffentlichen Rechts des Bürgers auch insofern,
als es meint, dass den Erfordernissen dieses Grundrechtssatzes Genüge getan
sei, wenn gegen Verstöße öffentlich Bediensteter gegen Art 3 HV die ordentliche
Strafjustiz angerufen werden könne. Das strafrechtliche Verbot, die Ehre eines
anderen zu verletzen, richtet sich an alle Mitbürger, es erschöpft sich im
Negativen, es verlangt nur ein Unterlassen. Die Verpflichtung der öffentlich
Bediensteten und der Behörden aus dem Grundrecht des Bürgers (Art 3 HV) geht
viel weiter: Es geht auf ein Achten (für den einzelnen Amtsträger) und auf ein
Schützen (für die Dienstaufsichtsbehörde); in beiden Fällen geht die Pflicht auf ein
positives Verhalten, ggf. auf Wiedergutmachung, keineswegs auf bloßes
Unterlassen. ... Weder der strafrechtliche Ehrenschutz noch die zivilrechtliche
Klage auf Leistung von geldlichem Schadensersatz gegen den Staat (Art 136 HV)
bietet einen geeigneten Rechtsbehelf, wenn es dem Bürger lediglich darum geht,
eine amtliche Äußerung, die ihn in seiner Ehre und Würde beeinträchtigt, als
inhaltlich unzutreffend zurückgenommen bzw. richtiggestellt zu sehen. Hier steht
vielmehr der verwaltungsgerichtlich verfolgbare, subjektive, öffentliche
Grundrechtsanspruch aus Art 3 HV zur Verfügung, der, falls es nicht zu einer
Richtigstellung durch die Behörde des unmittelbar verantwortlichen Amtsträgers
kommt, durch das subjektive öffentliche Recht des Bürgers gegen die
Dienstaufsichtsbehörde ergänzt wird, eine zur Wahrung des Grundrechts des
Bürgers geeignete Entscheidung zu treffen."
Der Landesanwalt und der Minister der Justiz haben sich in Schriftsätzen vom
27.IX. bzw. 26.X.1951 zu den mit der Grundrechtsklage gestellten Anträgen
geäußert.
Der Landesanwalt hat in seinem Schriftsatz erklärt, dass er sich dem Verfahren
anschließe.
II.
A
Dem Klagevorbringen der Grundrechtsklägerin ist zu entnehmen, dass von ihr die
Verletzung eines formellen und eines materiellen Grundrechts geltend gemacht
werden soll.
Nur in diesem Sinne kann der aus §§ 45 Abs. 2, 49 Abs. 2 StGHG abgeleitete
Antrag zu 1) der Klageschrift verstanden werden.
Offen bleibt allerdings die Frage, was mit diesem Antrag praktisch für die
Grundrechtsklägerin erreicht, welchem Rechtsschutzinteresse derselben also
genügt werden soll, nachdem ... bereits während des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden ist,
dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, wozu der Anfechtungsgegner dieses
Verfahrens verpflichtet werden soll, mithin überhaupt nicht mehr in Frage
kommen.
Ersichtlich verlagert sich aber die von der Grundrechtsklägerin für das
verfassungsgerichtliche Verfahren erstrebte Zielsetzung über jedes
Individualinteresse hinaus in Richtung auf die Anträge zu 2) und 3), mit denen sich
die Antragsbegründung vornehmlich befasst.
Indes können derartige Anträge im Rahmen der hessischen Grundrechtsklage
nicht zugelassen werden. Gleiches gilt auch für den in §§ 90 ff. BVerfGG
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nicht zugelassen werden. Gleiches gilt auch für den in §§ 90 ff. BVerfGG
geregelten, als "Verfassungsbeschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf, der, wie sich
aus der Fassung des § 90 Abs. 1 daselbst ergibt, seinem Wesen nach völlig mit der
Grundrechtsklage des § 45 Abs. 2 StGHG übereinstimmt. Anträge aber, wie die
genannten, welche im Wege der Grundrechtsklage für den "hessischen Bürger"
schlechthin die Anerkennung eines bestimmten, verfahrensmäßig festzulegenden
Rechtsschutzes erstreben, gehen weit über den Wirkungsbereich dieser
Rechtsbehelfe hinaus. Verlangt werden muss vielmehr "eine gegenwärtige (
aktuelle ) Verletzung" von Grundrechten, "worüber nur von Fall zu Fall entschieden
werden kann," während ein bloßes "virtuelles Betroffenwerden des Staatsbürgers,"
das "fast stets zu bejahen wäre," nur das Verfahren "im Ergebnis zu einer
Popularklage ausweiten" würde (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.XII.1951 – BVerfG 1,
97 – in NJW 1952 S. 297 –). Hierbei wird nicht verkannt, dass im bayer.
Verfassungsrecht gegensätzlich zum hessischen und Bundesverfassungsrecht
nach Art 98 Satz 4 bayer. Verf. vbd. mit § 54 d. bayer. Ges. über den VerfGH vom
22.VII.1949 einer Popularklage jener Art Raum gelassen ist.
B.
Bei dem formellen Grundrecht, das gerade im Hinblick auf die von der
Grundrechtsklägerin erhobene, jedoch erfolglos gebliebene, verwaltungsrechtliche
Anfechtungsklage Berücksichtigung verdient, handelt es sich um die inhaltlich mit
Art 19 Abs. 4 Satz 1 GG übereinstimmende sogen. "Generalklausel" des Art 2 Abs.
3 HV.
Der Grundrechtscharakter dieser Klausel wird kaum zu leugnen sein (vgl. Wernicke
in Bonner Kommentar Erl. II 4 zu Art 19 GG). Indes ergeben sich für den konkreten
Fall schon Zweifel, ob der von der Klägerin beschrittene Weg der
Dienstaufsichtsbeschwerde überhaupt einen "Rechtsweg" im Sinne der
letztgenannten Grundrechtsbestimmungen darstellt. Sehr wohl könnte allein der
"Gerichtsweg", d. h. "der Weg zum Richter" als der hier vorgesehene Rechtsweg
gelten (vgl. Wernicke a. a. O. Erl. II 4 f zu Art 19 GG). Folgt man dieser Auffassung,
würde sich die Klägerin, wenn sie mit ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde und dem
mit der Ablehnung dieser Beschwerde befassten, verwaltungsgerichtlichen
Instanzenzug erfolglos geblieben ist, schon deshalb nicht darauf berufen können,
in dem ihr durch Art 2 Abs. 3 HV gewährten Grundrecht verletzt worden zu sein.
Denn der ordentliche Rechtsweg war ihr nicht versperrt.
C.
Als materielles Grundrecht, das nach der Antragsbegründung verletzt sein soll,
wird ausdrücklich dasjenige der "Ehre" und "Würde" genannt, wie es durch Art 3 HV
gewährleistet ist.
Hierzu sei im Einzelnen folgendes angeführt:
a) Die Antragsberechtigung unterliegt bereits prozessualen Bedenken.
Nach § 48 Abs. 3 StGHG findet ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof wegen
Verletzung eines Grundrechts nur statt, wenn der Antragsteller eine Entscheidung
des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts herbeigeführt hat und innerhalb
eines Monats seit Zustellung dieser Entscheidung den Staatsgerichtshof anruft.
Welche Gerichte im Sinne dieser Vorschrift als für den Ehrenschutz "zuständig"
gelten müssen, kann nicht zweifelhaft sein. In Frage kommen allein die
ordentlichen Gerichte, nämlich für den strafrechtlichen Schutz, wie er vornehmlich
in den §§ 185 ff StGB gewährt wird, die Strafgerichte, für den zivilrechtlichen
Schutz die Zivilgerichte.
Andererseits bleiben von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eben
diejenigen Streitsachen ausgeschlossen, worüber jene ordentlichen Gerichte zu
entscheiden haben (vgl. Hufnagl, Verwaltungsgerichtsbarkeit München und Berlin
1950, S. 113). Der Verwaltungsgerichtshof erfüllt mithin keinesfalls die
Verfahrensvoraussetzung des § 48 Abs. 3 StGHG, das höchste "in der Sache" d. h.
für den Ehrenschutz zuständige Gericht zu sein.
Wenn auch ein besonderer Anlass, der Klägerin unter dem Gesichtspunkt jener
erweiterten Anwendungsmöglichkeit des § 48 Abs. 1 Satz 3 StGHG, welche der
Staatsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 14.IV.1950 (P. St. 41), 10.XI.1950
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Staatsgerichtshof in seinen Entscheidungen vom 14.IV.1950 (P. St. 41), 10.XI.1950
(P. St. 73) und 15.II.1952 (P. St. 72) gelten lässt, eine Antragsberechtigung
zuzubilligen, nicht gegeben sein mag, soll trotzdem jener Verfahrensmangel nicht
allein die Zurückweisung der Anträge rechtfertigen.
b) Seitens des MindJ wird eine für die Begründetheit des Antrags zu 1) der
Grundrechtsklage entscheidende Bedeutung der Frage beigemessen, ob der
von ... gegen die Klägerin erhobene Vorwurf objektiv berechtigt war oder nicht.
Ähnlich verlangt auch der LA, wenn jener Antrag begründet sein soll, eine
"Feststellung" dass "die Zeugenaussage der Klägerin doch der Wahrheit
entspricht."
Richtig mag sein, dass das von der Klägerin erstrebte Ziel eine Ehrenrettung
ähnlich derjenigen ist, welche etwa mit einer aus § 186 StGB angestrengten
Privatklage erreicht werden kann.
Dieser an sich verständlichen Zielsetzung hier entgegenzukommen, wäre
gleichwohl verfehlt.
Es liegt im Wesen der von rechtspolitischer Sicht aus immer noch als
"Gegenrechte gegen die Staatsgewalt" anerkannten Grundrechte, dass sie ihre
Schranken in der bei gesetzmäßiger Verwaltung für die Ausübung der
Staatsgewalt den öffentlichen Organen eingeräumten Selbständigkeit und
Verantwortung finden (vgl. Nawiasky-Leusser, Die Verfassung des Freistaates
Bayern, München 1948, S. 176 und 181).
Solche den Grundrechten inhärenten Schranken treten ebenso bei der in die
staatsbürgerliche Individualssphäre eingreifenden Entscheidungsbefugnis des
Richters, wie häufig schon beim vorausgehenden, vom erkennenden Richter
geleiteten Verfahren in Erscheinung, das Eingriffe dieser Art nicht minder zulässt.
Ohne Unterschied sind aber diese richterlichen Funktionen vom Prinzip sachlicher
und persönlicher Unabhängigkeit des Richters beherrscht, wo hierfür, wie nach Art
126 Abs. 2 HV und Art 97 Abs. 1 GG eine verfassungsmäßige Garantie vorhanden
ist.
c) Wenn also im Rahmen richterlicher Tätigkeit Eingriffe der oben
gekennzeichneten Art stattgefunden haben, dürfen sie grundsätzlich keinen
Anlass geben, Maßnahmen im Dienstaufsichtswege zu treffen, insbesondere
etwa, von hier nicht in Frage kommenden Formalbeleidigungen abgesehen,
eine "Zurücknahme" richterlicher Meinungsäußerungen herbeizuführen.
d) Im vorliegenden Fall könnte allerdings hierzu noch die Frage aufgeworfen
werden, ob ... als Spruchkammervorsitzender tatsächlich ein aus richterlicher
Gewalt abgeleitetes Amt versehen hat. Diese Frage ist jedoch unbedenklich zu
bejahen.
Nach Art 27 Abs. 1 des Befreiungsgesetzes vom 5.III.1946 sind die Mitglieder der
Spruch- und Berufungskammern "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen."
Damit ist schon den Funktionen ihres Amtes dasjenige Kennzeichen richterlicher
Tätigkeit verliehen, das ihren dienstlichen Meinungsäußerungen gegenüber
zwangsläufig jeden staatsbürgerlichen Ehrenschutz einschränkt.
e) Eine andere Frage ist, ob ... etwa durch seine im Laufe der mündlichen
Verhandlung vorweggenommene Bewertung einer für die Spruchfindung als
bedeutsam erachteten Zeugenaussage wesentliche Verfahrensgrundsätze
verletzt, mithin durch unrechtmäßige Handhabung seines Amtes
Dienstaufsichtsmaßnahmen herausgefordert hat.
Grundsätze solchen Inhalts bestehen indes nicht, würden praktisch auch gar nicht
aufgestellt werden können, weil bei sachgemäßer Verhandlungsführung sehr wohl
Fälle denkbar sind, in denen Vorhaltungen gleicher oder ähnlicher Art geboten
erscheinen.
Dieserhalb eine Maßregelung auch nur zu erwägen, würde nichts anderes als
verfassungswidrige Loslösung vom Prinzip richterlicher Unabhängigkeit bedeuten.
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Ebenso abwegig wäre es, ... als Verfasser der Spruchbegründung deshalb zur
Verantwortung zu ziehen, weil er der Klägerin nur eine "bedingte Glaubwürdigkeit"
zugebilligt hat.
f) Dass hiernach der Klägerin, welche beteuert, bei der Wahrheit geblieben zu
sein, im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zugemutet werden muss, die
beanstandete, richterliche Äußerung hinzunehmen, ist nicht auf eine
Grundrechtsverletzung , vielmehr auf Schranken eines Grundrechts
zurückzuführen, die im Interesse richterlicher Unabhängigkeit weder
ausgeräumt werden können, noch dürfen.
Gleichzeitig erhellt, dass ein Versuch, im Rahmen der angestrengten
Grundrechtsklage den Wahrheitswert jener Zeugenaussage zu ergründen,
sinnwidrig wäre.
g) Unerheblich ist aber auch, ob im angefochtenen Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs von den hier erörterten oder anderen rechtlichen
Gesichtspunkten aus eine für die Grundrechtsklägerin ungünstige
Entscheidung getroffen worden ist.
Nachdem sich die Unzulässigkeit der Klageanträge zu 2) und 3) ergeben hat, kann
es auf die im angefochtenen Urteil grundsätzlich vertretene Rechtsmeinung für die
Entscheidung des Staatsgerichtshofs nicht ankommen.
III.
Demgemäß rechtfertigt sich die aus § 21 Abs. 1 StGHG abgeleitete Entscheidung,
wonach die Anträge der Grundrechtsklage als offenbar unbegründet
zurückzuweisen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.