Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: hessen, behandlung, hausordnung, gleichheit, strafvollzug, ehre, strafanzeige, armenrecht, verfügung, sonderrecht

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 222
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Verf HE , Art 2 Verf HE ,
Art 3 Verf HE
Leitsatz
Einzelfall einer unbegründeten Grundrechtsklage betr. Strafvollzug.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten werden auf DM 50.-- festgesetzt und sind vom Antragsteller zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller verbüßt eine Gefängnisstrafe. Bei der Essensausgabe am
29.7.1956 erschien, er nur mit Hose und Nachthemd bekleidet. Der diensttuende
Wachtmeister machte die Essensausgabe an ihn davon abhängig, daß er zuvor
seinen Rock anziehe, und beköstigte die anderen Strafgefangenen vor dem
Antragsteller. Als er nach etwa 20 Minuten zu ihm zurückkehrte r um nunmehr
auch ihn zu beköstigen, verweigerte... den Essensempfang.
... erstattete daraufhin Strafanzeige gegen den Wachtmeister; sein Verhalten sei
Nötigung gewesen. Das Ermittlungsverfahren wurde durch Verfügung des
Generalstaatsanwalts in Frankfurt am Mein vom 15.1.1957 endgültig eingestellt.
Den Antrag des Antragstellers, ihm für das Klageerzwingungsverfahren das
Armenrecht zu gewähren (§ 172 StPO), hat das Oberlandesgericht in Frankfurt am
Main durch Beschluss vom 19.2.1957 wegen Aussichtslosigkeit abgelehnt. Der
Beschluß wurde am 8.3.1957 zugestellte.
Mit seinem an den Staatsgerichtshof gerichteten Antrag vom 30.3.1957 -
eingegangen am 4.4.1957 - behauptet..., durch diese Behandlung seiner
Strafanzeige in seinen Grundrechten verletzt zu sein und rügt insbesondere
Verletzungen der Artikel 1, 2, 3 und 21 der Hessischen Verfassung.
Der Antrag ist zulässig. Die Frist nach § 48 Abs. 3 StGHG ist gewahrt; der von dem
Antragsteller herbeigeführte. Beschluß des Oberlandesgerichts in Frankfurt am
Main vom 19.2.1957 ist im Sinne dieser Vorschrift als "Entscheidung des höchsten
in der Sache zuständigen Gerichts" anzusehen (so auch P.St. 188.)
Der Antrag ist aber offensichtlich unbegründet.
Ein Verstoß gegen Art. 1 HV, der den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz
ausspricht, liegt nicht vor. Die Gleichheit vor dem Gesetz schließt nicht aus, daß
die Strafgefangenen unter einem nur für sie gültigen Sonderrecht stehen. Damit
ist jedoch der Gleichheitsgrundsatz nicht etwa außer Kraft gesetzt; er bedeutet
vielmehr, daß vor diesem, den Rechtszustand der Strafgefangenen regelnden
Recht der eine Strafgefangene nicht schlechter gestellt werden darf als irgendein
anderer. Daß die Hausordnung für die Vollzugsanstalten des Landes Hessen dem
Antragsteller, gegenüber anders angewendet worden wäre, als gegenüber den
übrigen, wird von ihm selbst nicht behauptet, noch auch ergibt sich die Annahme
einer ungleichartigen Behandlung irgendwie aus dem Sachverhalt.
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Der Antrag glaubt weiterhin eine Verletzung des Art. 2 Abs. 2 HV geltend machen
zu können. Mit dem Ansinnen, er solle seinen Rock anziehen, widrigenfalls er kein
Essen bekomme, habe man ihn ohne Gesetz oder eine auf Gesetz beruhende
Bestimmung zu einer Handlung zwingen wollen. Da der Strafvollzug und sein
Regelung den Ländern obliegt, ist die von dem Land Hessen erlassene
Hausordnung für die Vollzugsanstalten auch im Sinne ihrer Verfassungsmäßigkeit
gültiges Recht. Der Vorschrift in Ziffer 8 Abs. 2 dieser Hausordnung, wonach der
Gefangene "in ordnungsmäßiger Kleidung" zur Essensausgabe, zu erscheinen hat?
ist daher auch für den Antragsteller verbindlich. Sofern der Ausdruck
"ordnungsmäßige Kleidung" einer Auslegung bedarf, hat jedenfalls nicht der
Antragsteller darüber zu befinden, wie er zu verstehen ist. Wenn der Wachtmeister
der Ansicht war, daß zur ordnungsmäßigen Kleidung beim Essensempfang der
Rock gehörte, so liegt dies im Rahmen des auch außerhalb der Strafanstalten
Üblichen. Seine Anordnung war daher, von der Zumutbarkeit ganz abgesehen,
rechtmäßig und verfassungsmäßig.
Die Anordnung war auch nicht geeignet, das Leben oder die Gesundheit oder die
Ehre oder die Würde des Antragstellers anzutasten (Art. 3 HV). Die Bezugnahme
auf diese Verfassungsvorschrift ist nicht anders zu erklären, als daß der
Antragsteller keinen. Begriff von der Ehre oder Würde eines Menschen hat. Auch
der von dem Wachtmeister angewendete oder versuchte Zwang, den Antragsteller
als letzten zu beköstigen, stellt keinen Eingriff in die von Art. 3 HV gewährleistete
Unantastbarkeit der Person dar, und dies schon deswegen nicht, weil in jedem Fall
einer der Letzte sein mußte. Die Verweisung auf den letzten Platz betraf die
technische Durchführung der Essensausgabe und bedeutete lediglich, daß der
Antragsteller seine Kameraden vorlassen mußte.
Die gleichen Erwägungen gelten auch gegenüber dem Versuch des Antragstellers,
sich als "unmenschlich" behandelt hinzustellen und so einen Verstoß gegen Art. 21
Abs. 3 HV darzutun. Auch hier ist es offenbar so, daß dem Antragsteller Wissen
und Gefühl dafür abgeht, was unter menschlicher und unmenschlicher Behandlung
zu verstehen ist. Im übrigen ist Art. 21 Abs. 3 HV durch Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG
gemäß Art. 31 GG ersetzt (vgl. Zinn-Stein HV Art. 21 Anm. 4).
Der Antrag war daher als offenbar unbegründet nach § 21 Abs. 1 StGHG
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.