Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: wiederaufnahme des verfahrens, nichtigkeitsbeschwerde, hessen, ermessen, nichtigkeitsklage, strafprozessordnung, quelle, dokumentation, gebühr, zivilverfahren

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 595
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 14 StGHG
Leitsatz
Nach § 14 Abs. 1 StGHG sind auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof die
Vorschriften der Strafprozessordnung sinngemäß anzuwenden, während im übrigen der
Staatsgerichtshof sein Verfahren nach freiem Ermessen bestimmt. Die Vorschriften der
§§ 359ff. StPO auf eine Grundrechtsklage "sinngemäß" anzuwenden, ist nicht möglich.
Tenor
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Die Gebühr wird auf 100,– DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer hatte gemäß Art. 131 Abs. 3 HV, §§ 45 ff StGHG den
Staatsgerichtshof angerufen und Verletzung von Grundrechten durch eine
Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main geltend gemacht. Sein
Antrag wurde durch Beschluß vom 7. August 1968 – P. St. 504 –, zugestellt am 20.
August 1968, gemäß § 21 Abs. 1 StGHG zurückgewiesen. An der Entscheidung
wirkte ... als nichtrichterliches Mitglied (Art. 130 HV, § 2 Abs. 2 StGHG) mit.
II.
Mit einer Eingabe vom 4. November 1969 hat der Beschwerdeführer gegen den
Beschluß vom 7. August 1968 "Nichtigkeitsbeschwerde" erhoben und vorgebracht:
... sei in mehreren Rechtssachen für ihn als Rechtsanwalt tätig gewesen. Das durch
die Bundesrechtsanwaltsordnung bestimmte Verbot, gegen die Interessen des
Mandanten zu handeln, sei zwar in erster Linie auf eine rechtsberatende Tätigkeit
anzuwenden. Das beruhe darauf, daß der Gesetzgeber nicht in Betracht gezogen
habe, daß ein Rechtsanwalt auch als Richter über Rechtssachen entscheiden
könne. Wenn es aber schon einem Rechtsanwalt nicht gestattet sei, gegen die
Interessen von Mandanten tätig zu werden, so müsse erst recht von jedem an
einer richterlichen Entscheidung beteiligten Richter gefordert werden, daß er den
Verfahrensbeteiligten unbeteiligt gegenüberstehe. Er hat beantragt, den Beschluß
vom 7. August 1968 aufzuheben.
... hat dienstlich erklärt: Nach seinen Prozeßregistern sei er seit 1960 für den
Beschwerdeführer nicht tätig gewesen. Nicht er, jedoch seine Sekretärin könne
sich daran erinnern, daß er vor 1960 einmal einen Herrn ... vertreten habe.
Möglicherweise sei dieser mit dem Beschwerdeführer identisch. Die
Grundrechtsklage habe aber mit dem damaligen Zivilprozeß bestimmt nichts zu
tun gehabt. Irgendwelche Akten über das Zivilverfahren seien auf seinem Büro
nicht mehr vorhanden.
Der Landesanwalt hält die "Nichtigkeitsbeschwerde" für zulässig, weil dem
Beschwerdeführer ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen müsse, wenn ein
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Beschwerdeführer ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen müsse, wenn ein
Mitglied des Staatsgerichtshofs an der Entscheidung mitgewirkt habe, das nach
den gesetzlichen Bestimmungen ausgeschlossen gewesen sei. Die Beschwerde
sei jedoch unbegründet, weil der Beschwerdeführer keine Tatsachen dafür
dargelegt habe, daß ... als Mitglied des Staatsgerichtshofs an der Beschlußfassung
vom 7. August 1968 gemäß § 15 StGHG ausgeschlossen gewesen sei.
III.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist unzulässig.
Nach § 14 Abs. 1 StGHG sind auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof die
Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß anzuwenden, während im übrigen
der Staatsgerichtshof sein Verfahren nach freiem Ermessen bestimmt. Im
Strafprozeß gibt es eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht, eine ihr vergleichbare
Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann, wenn das Hauptverfahren sich gegen
eine bestimmte, wegen einer Straftat verfolgte Person gerichtet hatte (§ 359 ff
StPO). Eine sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften könnte also allenfalls in
einem Verfahren nach Art. 115 HV (Ministeranklage), nach Art. 124 Abs. 4 HV
(Richteranklage) oder nach Art. 146, Abs. 2, 147 Abs. 2 HV (Schutz der
Verfassung) in Frage kommen. Die Vorschriften der §§ 359 ff StPO auf eine
Grundrechtsklage "sinngemäß" anzuwenden, ist nicht möglich.
In einem Beschluß vom 12. Januar 1952 – P. St. 76 – hatte der Staatsgerichtshof
allerdings keine Bedenken getragen, die Wiederaufnahme einer
Verfassungsstreitigkeit unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen des ihm
vom Gesetzgeber gewährten freien Ermessens für zulässig zu halten. Ob diese
Meinung aufrecht erhalten werden kann, mag dahinstehen, denn im Verfahren P.
St. 504 handelte es sich nicht um eine Verfassungsstreitigkeit nach § 44 StGHG,
sondern um eine der Verfassungsbeschwerde entsprechende Grundrechtsklage.
Hier könnte die Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig
abgeschlossenen Verfahrens unter dem Gesichtspunkt erwogen werden, daß nach
anderen, vergleichbaren Verfahrensvorschriften rechtskräftige Entscheidungen mit
der Nichtigkeitsklage angefochten werden können, wenn das erkennende Gericht
nicht vorschriftsmäßig besetzt war: Sowohl die Zivilprozeßordnung (§ 579 Abs. 1
Satz 2) als auch die Verwaltungsgerichtsordnung (§ 153) gewähren in diesem Falle
die Nichtigkeitsklage. Indessen braucht diese (vom Bayerischen
Verfassungsgerichtshof wiederholt verneinte – vgl. die Beschlüsse Vf. 125-VI-68;
Vf. 82-VI-69 vom 11. Februar 1970 und Vf. 111-VI-69 vom 20. April 1970) Frage
hier nicht entschieden zu werden. Denn eine Übernahme jener
Verfahrensvorschriften im Rahmen des freien Ermessens nach § 14 StGHG müßte
dazu führen, daß auch der für beide Verfahrensordnungen geltende § 586 ZPO
anzuwenden wäre, wonach die Klage vor Ablauf der Notfrist eines Monats erhoben
werden muß (ebenso BayVerfGH a. a. O.). Diese Frist hat der Beschwerdeführer
versäumt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.