Urteil des StGH Hessen vom 14.03.2017

StGH Hessen: grundrecht, rechtskräftiges urteil, hessen, gebühr, gefängnisstrafe, zucker, verbrechen, ordnungsstrafe, berufsausübung, geldstrafe

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Gericht:
Staatsgerichtshof
des Landes
Hessen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
P.St. 12
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§§ 45 StGHG , § 46 StGHG , §
48 StGHG
Leitsatz
Nicht jede angebliche Verletzung eines Grundrechts kann zum Gegenstand eines
Antrags beim Staatsgerichtshof gemacht werden. Die Verletzung eines Grundrechts
kann vielmehr nur dann zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem Staatsgerichtshof
gemacht werden, wenn gerade dieses Grundrecht Gegenstand eines gerichtlichen
Verfahrens gewesen ist.
Tenor
Der Antrag wird als offenbar unbegründet zurückgewiesen.
Die Gebühr wird auf DM 200,– festgesetzt und ist von Antragsteller zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller ist durch Urteil des Landesgerichts in ... vom 16.VII.19 (...) wegen
Schwarzverkauf von etwa einen Doppelzentner Zucker zum Überpreis von über RM
9700,– (Verbrechen gegen die RWVO) zu einer Gefängnisstrafe von 4 Jahren und
RM 50.000,- Soldstrafe verurteilt worden. Ihm wurde die Ausübung des Berufs als
... auf die Dauer von 4 Jahren untersagt. Auf seine Revision wurde das Urteil von
Strafsenat des OLG in Frankfurt a.M. am 5. XII.1946 (...) – unter Verwerfung der
Revision im Übrigen – im Strafmaß aufgehoben. Durch Urteil der Strafkammer ...
vom 28.I.1946 wurde der Antragsteller darauf zu einer Gefängnisstrafe von 2
Jahren und einer Geldstrafe von RM 30.000,– verurteilt; die Berufsausübung wurde
ihm für die Dauer von 3 Jahren untersagt.
Der Antragsteller begehrt Aufhebung der Urteile des OLG Frankfurt a.M. vom
5.XII.1946 und des LG ... vom 26.I.1947. Er behauptet, die Urteile verstießen gegen
die Hessische Verfassung, weil sie den Artikeln 20 Abs. 2 Satz 1, 21 Abs. 2, 22
Abs. 2 und 3 zuwiderliefen.
Der Antragsteller sei zunächst zweimal wegen der gleichen Tat bestraft worden. Im
Unterwerfungsverfahren vor der Preisüberwachungsstelle ... vom 20.III.1946 (...)
habe er sich einer Ordnungsstrafe von RM 20.000,– unterworfen, weil er in der
"Umbruchszeit" außer Cognac und Öl auch ca. 100 kg Zucker ohne Marken zu
regulären Preisen abgegeben habe. Weder das LG in ... noch das OLG in Frankfurt
a.M habe einen Verbrauch der Strafklage angenommen, sondern das
Strafverfahren neben dem Ordnungsstrafverfahren für zulässig gehalten.
Dem Grundsatz des Art. 20. Abs. 2 HV, wonach jeder als unschuldig zu gelten
habe, bis er durch rechtskräftiges Urteil für schuldig befunden sei, laufe es zuwider,
dass dem Antragssteller von LG ... seine Vorstrafen zu Beginn der Verhandlung
vorgehalten worden seien.
Art. 22 Abs. 2 HV sei vom LG ... verletzt worden, weil es dem Antragsteller
"hartnäckiges Verleugnen der Wahrheit aus charakterlicher Veranlagung" vorwerfe,
da er in Ordnungsstrafverfahren einen zu niedrigen Preis angegeben habe.
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Schließlich sei die vom LG ... im zweiten Urteil ausgesprochene Strafe
außergewöhnlich hoch. Sie richte sich nicht nach der schwere der Tat und Verletze
deshalb Art. 21 Abs. 2 HV.
Dem Antrag war der Erfolg zu versagen.
Im 6. Abschnitt (§§ 45 ff) des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom
12.XII.1947 (GVBl. für das Land Hessen 1948 S. 3) ist die Verteidigung der
Grundrechte geregelt. Nach § 45 Abs. 2 kann der Antrag beim Staatsgerichtshof
(StGH) von jedermann gestellt werden, der geltend macht, dass ein ihm von der
Verfassung gewährten Grundrecht verletzt sei. Diese Berechtigung zur
Antragstellung beim StGH steht nicht für sich allein und schafft nicht eine
selbständige Antragsberechtigung, sondern ist nur in Verbindung mit den
Bestimmungen der §§ 46 – 49 StGHG zu verstehen. Durch diese Vorschriften wird
im Einzelnen festgelegt, wie der Antrag gestellt werden muss, gegen wen er zu
richten ist, und – § 48 – unter welchen besonderen Voraussetzungen die
Verletzung eines Grundrechts durch einen Antrag beim StGH gerügt worden kann.
Es ist keineswegs so, dass jede angebliche Verletzung eines Grundrechts,
gleichviel durch wen und in welchen Verfahren sie geschehen ist, zum Gegenstand
eines Antrags beim StGH gemacht werden kann. § 48 StGHG bestimmt vielmehr,
dass die Verletzung eines Grundrechts nur dann zum Gegenstand eines
Verfahrens vor dem StGH gemacht werden kann, wenn gerade diesen Grundrecht
Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens (sei es vor den ordentlichen Gerichten
order Verwaltungsgerichten) gewesen ist. § 48 Abs. 1 regelt den Fall, dass ein
solches gerichtliches Verfahren noch nicht anhängig gewesen ist, Abs. 2 regelt das
Verfahren eines anhängiges Verfahren, und schließlich gibt Abs. 3 die
Bestimmungen, wie in den "übrigen Fällen" zu verfahren ist, also wenn bereits das
gerichtliche Verfahren abgeschlossen ist. Nach § 48 Abs. 3 ist ein Verfahren vor
dem StGH nur statthaft, wenn der Antragsteller eine Entscheidung des höchsten
"in der Sache zuständigen Gerichts" herbeigeführt hat. Diese Wendung "in der
Sache zuständigen Gerichte" bedeutet das Gericht, das für die Entscheidung über
das Grundrecht , um dessen angebliche Verletzung der Streit geführt wird, als
höchstes Gericht zuständig ist. Dass nur das gemeint sein kann, folgt aus § 48
Abs. 4 StGHG. Danach muss der Antragsteller, wenn das höchste Gericht kein
solches des Landes Hessen ist, vor Abgabe der Sache an das höchste Gericht die
Aussetzung des Verfahrens und die Entscheidung durch das StGH beantragen,
wenn er sich auf ein ihm nach der Hessischen Verfassung zustehendes Grundrecht
berufen will.
Es können mithin Entscheidungen der Gerichte mit einem Antrag vor dem StGH
nur dann angefochten werden, wenn den Gegenstand des Streits ein Grundrecht
gebildet hat, und der Antragsteller Verletzung dieses Grundrechts behauptet. Er
kann aber dem StGH nicht anrufen, wenn er behauptet, die Gerichte hätten durch
die Art ihrer Entscheidung ein Grundrecht verletzt, obwohl dieses Grundrecht nicht
den Gegenstand des Streites gebildet hat.
Es besteht auch kein Bedürfnis, über den Wortlaut des § 48 StGHG hinaus für alle
angeblichen Verletzungen eines Grundrechts eine Antragsbefugnis zu eröffnen.
Urteile der Gerichte, die angeblich in einer die Verfassung verletzenden Art
zustande gekommen sind, können mit den ordentlichen Rechtsmitteln
angefochten werden.
Die Aufstockung einer neuen Rechtsmittelinstanz, welche allgemein die
Entscheidungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nachzuprüfen hätte, ist
weder durch § 45 Abs. 2 noch durch § 48 StGHG beabsichtigt worden.
Da außer Frage steht, dass in dem Verfahren, in welchen die vom Antragsteller
angefochtenen Entscheidungen des LG ... und OLG Frankfurt a.M. ergangen sind,
kein Grundrecht Streitgegenstand war, fehlt es an einem wesentlichen Erfordernis,
um bei dem Staatsgerichtshof eine Grundrechtsverletzung geltend machen zu
können, weshalb gemäß § 21 Abs. 1 StGHG der Antrag als offenbar unbegründet
zurückzuweisen war.
Die Festsetzung der Gebühr ergibt sich aus § 24 StGHG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.