Urteil des SozG Würzburg vom 24.06.2010

SozG Würzburg: schwierigkeit des verfahrens, widerspruchsverfahren, gebühr, post, durchschnitt, akte, unfallfolgen, pauschal, ausnahme, fehlerhaftigkeit

Sozialgericht Würzburg
Kostenbeschluss vom 24.06.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 2 SF 52/09 E
I. Auf die Erinnerung des Klägers vom 28.07.2009 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.07.2009
abgeändert.
II. Die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 1045,06 EUR (in Worten:
Eintausendfünfundvierzig Sechshundertstel) festgesetzt.
III. Der zu erstattende Betrag ist ab Antragstellung mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe der dem Kläger zustehenden Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) für
das Widerspruchsverfahren und für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (Geschäftsgebühr und
Verfahrensgebühr). Der Bevollmächtigte vertrat den Kläger im Verwaltungsverfahren, Widerspruchsverfahren und im
Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (S 11 U 31/07). Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Beklagte
zu Recht die Dauerrente wegen Besserung der anerkannten Unfallfolgen gemäß § 48 Abs. 1 SGB X neu festgestellt
hat. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 08.10.2008 den angefochtenen Bescheid vom 28.11.2006 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die außergerichtlichen Kosten
des Klägers zu tragen. Das Bayerische Landessozialgericht (Az: L 18 U 467/08) hat mit Urteil vom 09.02.2010 die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Am 13.11.2008 hat der Kläger Erstattung seiner Kosten wie folgt beantragt:
1. Widerspruchsverfahren:
Bezeichnung Wert Gebühr Geschäftsgebühr Nr. 2401 VV § 3 RVG 260,00 EUR Pauschale für Post- und
Telekom.dienste Nr. 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV (02.01.2007: 398 Abl. aus gegn. Akte)
398 Stück 77,20 EUR Zwischensumme netto 357,20 EUR Mehrwertsteuer 19 % Nr. 7008 VV 67,87 EUR zu zahlender
Betrag 425,07 EUR 2. Klageverfahren
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV 300,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV 200,00 EUR Pauschale für Post- und
Telekom.dienste Nr. 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV (28.02.2007: 2 Abl. ans Gericht,
22.04.2008: 78 Abl. an Mdt GA nur 1-fach übersandt) 80 Stück 29,50 EUR Zwischensumme netto 549,50 EUR
Mehrwertsteuer 19 % Nr. 7008 VV 104,41 EUR zu zahlender Betrag 653,91 EUR Gleichzeitig beantragte er die
festgesetzten Beträge ab Antragstellung mit 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz zu verzinsen. Die Beklagte
teilte am 19.05.2009 mit, es liege in der Natur der Sache, dass die Beurteilung von medizinischen Zusammenhängen
und insbesondere für medizinische Laien einen gewissen Schwierigkeitsgrad habe. Dies sei aber bei
unfallversicherungsrechtlichen Fragen mehr oder weniger der Normalfall, weshalb es dann ja auch letztendlich zu
Sozial-rechtsstreitigkeiten komme. Ein über das Mittelmaß deutlich hinausgehende Schwierigkeitsgrad der Materie im
Sinne des Gebührenrechts sei damit nicht anzunehmen. Eine Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren nach
Nr. 2401 VV RVG in Höhe von 240,- EUR sei angemessen und ausreichend. Für das Klageverfahren gelte ähnliches.
Die Verfahrensgebühr solle in Höhe der Mittelgebühr angesetzt werden. Demnach ergebe sich hierfür ein Betrag von
170,- EUR. Hinsichtlich der Dokumentenpauschale im Klageverfahren seien nur 2 Ablichtungen an das Gericht
berechnungsfähig. Danach ergebe sich folgende Abrechnung:
1. Widerspruchsverfahren:
Bezeichnung Wert Gebühr Geschäftsgebühr Nr. 2401 VV § 3 RVG 240,00 EUR Pauschale für Post- und
Telekom.dienste Nr. 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV (02.01.2007: 398 Abl. aus gegn. Akte)
398 Stück 77,20 EUR Zwischensumme netto 337,20 EUR Mehrwertsteuer 19 % Nr. 7008 VV 64,07 EUR zu zahlender
Betrag 401,27 EUR
2. Klageverfahren
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV 170,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV 200,00 EUR Pauschale für Post- und
Telekom.dienste Nr. 7002 VV 20,00 EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV (28.02.2007: 2 Abl. ans Gericht,
22.04.2008: 78 Abl. an Mdt GA nur 1-fach übersandt) 80 Stück 1,00 EUR Zwischensumme netto 391,00 EUR
Mehrwertsteuer 19 % Nr. 7008 VV 74,29 EUR zu zahlender Betrag 465,29 EUR
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.07.2009 schloss sich der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des
Sozialgerichts Würzburg in vollem Umfang der Argumentation und Berechnung der Beklagten an. Die
Gebührenbestimmung des Klägers sei unbillig. Bei der Einschätzung des Schwierigkeitsgrades sei nicht von der
subjektiven Einschätzung des Rechtsanwalts, sondern von einer objektiven Beurteilung auszugehen. Bei dem
Prozessbevollmächtigten handele es sich um einen lange Jahre als Fachanwalt für Sozialrecht tätigen Rechtsanwalt.
Nach Beurteilung aller Kriterien handele es sich vorliegend zweifelsfrei um einen Durchschnittsfall. Der Argumentation
der Beklagten im Schreiben vom 19.05.2009 sei sachlich uneingeschränkt zuzustimmen. Dagegen hat der Kläger
durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 28.07.2009 Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er im
Wesentlichen ausgeführt, die Sache sei zweifellos schwierig, bereits die Tatsache, dass eine Beiladung stattgefunden
habe, gehe erheblich über das Normale hinaus. Es sei das Problem der Haftung, wie auch der Umfänglichkeit und
Existenzwichtigkeit über die Mittelgebühr hinaus zu berücksichtigen. Bereits der Umfang der Ablichtungen signalisiere
den besonderen Umfang der Tätigkeit. Außerdem sei es um Rückforderungen gegangen, die die Beklagte ebenfalls
erhoben habe und die für das Verfahren von Bedeutung gewesen sei. Außerdem habe das Klageverfahren fast 2 Jahre
gedauert. Die Kammer hat zum Verfahren die Akten der 11. Kammer des Sozialgerichts Würzburg und die Akten der
Beklagten beigezogen. Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt dieser Akten und auf den Inhalt der
Kostenakte Bezug genommen.
II. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist auch im Wesentlichen begründet. Nach Auffassung der erkennenden Kammer
geht der Umfang und die Schwierigkeit im vorliegenden Verfahren erheblich über den Durchschnitt eines
Sozialgerichtsverfahrens hinaus. Dies hat die Beklagte im Ergebnis auch für das Widerspruchsverfahren bestätigt, als
sie statt der Regelgebühr von 120,- EUR bzw. der Mittelgebühr von 150,- EUR (Rahmengebühr Nr. 2401 VV RVG von
40,- bis 260,- EUR) eine nah an der Höchstgebühr liegende Gebühr von 240,- EUR angeboten hat. Weshalb sie nun für
das ebenso für den Kläger bedeutsame und umfangreiche Klageverfahren lediglich die Mittelgebühr von 170,- EUR
(Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG von 20,- bis 320,- EUR) angeboten hat, lässt sich nicht nachvollziehen. Das
Gericht geht angesichts der umfangreichen Schriftsätze und eines Gutachtens von 78 Seiten von einem über dem
Durchschnitt liegenden Umfang der Tätigkeit des Rechtsanwaltes aus. Auch die Schwierigkeit des Verfahrens
(Nachweis einer wesentlichen Besserung der Unfallfolgen) sowie die Bedeutung für den Kläger (Herabsetzung der
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v. H. auf 30 v. H.) ist überdurchschnittlich. Wie der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 22.07.2009 zu Recht ausgeführt hat, ist die
Gebührenbestimmung des Rechtsanwaltes verbindlich, wenn sie nicht unbillig ist (§ 14 RVG). Das bedeutet, dass in
den entsprechenden Kostenfestsetzungsverfahren somit der Urkundsbeamte und das Gericht auf die Prüfung
beschränkt ist, ob die geltend gemachte, vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr sich innerhalb des Gebührenrahmens
hält und ob sie im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unbillig ist. Im Festsetzungsverfahren muss
also ausdrücklich festgestellt werden, dass die bestimmte Gebühr unbillig hoch ist. Aus der negativen Fassung des §
14 Abs. 1 Satz 4 – "nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist" – ist zu schließen, dass die Unbilligkeit vom
Urkundsbeamten oder vom Gericht dargetan werden muss, dass die erforderlichen Tatsachen von Amts wegen
ermittelt werden müssen, da die Beantwortung der Rechtsfrage nicht zur Disposition der Parteien steht. Ergibt sich
nicht ihre Unbilligkeit, muss die begehrte Gebühr festgesetzt werden. Ergibt sich ihre Unbilligkeit, wird die Gebühr im
Kostenfestsetzungsverfahren bestimmt. Die von der Beklagten genannten Gründe, die pauschal darauf abstellen,
dass es sich um ein durchschnittliches Verfahren handelte, berücksichtigen nicht den erheblich über den Durchschnitt
liegenden Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und außerdem nicht, dass auch die Schwierigkeit und die Bedeutung des
Rechtsstreits (Höhe einer Dauerrente) über dem Durchschnitt liegt. Der Argumentation des Urkundsbeamten, dass der
Bevollmächtigte ein im Sozialrecht erfahrener Rechtsanwalt sei und deshalb der Rechtsstreit für ihn nicht besonders
schwierig sei, wird nicht gefolgt. Bei der Bemessung der Gebühren wird nicht auf den einzelnen Rechtsanwalt
abgestellt, sondern nach objektiven Kriterien ausgehend von der Mittelgebühr geprüft, ob die Mittelgebühr unter
Berücksichtigung der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG angemessen ist oder eine andere Gebühr festzusetzen
ist. Bei Beachtung dieser Kriterien kann eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Gebührenbestimmung des
Rechtsanwaltes nicht festgestellt werden. Lediglich die Anzahl der 80 Kopien im Klageverfahren sind nicht
nachvollziehbar, nachdem der Bevollmächtigte bereits im Widerspruchsverfahren 398 Kopien geltend gemacht hat.
Für das Widerspruchsverfahren sind deshalb die vom Bevollmächtigten festgesetzten Gebühren in Höhe von 425,07
EUR zu übernehmen und zu zahlen. Für das Klageverfahren sind die Gebühren mit Ausnahme der
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG angemessen. Wie der Urkundsbeamte und die Beklagte hält auch die
Kammer lediglich 2 Kopien für notwendig. Es sind deshalb von der geltend gemachten Dokumentenpauschale 28,50
EUR abzuziehen. Es ergibt sich deshalb für das Klageverfahren folgende Berechnung: Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV
300,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV 200,00 EUR Pauschale für Post- und Telekom.dienste Nr. 7002 VV 20,00
EUR Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV 1,00 EUR Zwischensumme netto 521,00 EUR Mehrwertsteuer 19 % Nr.
7008 VV 98,99 EUR zu zahlender Betrag 619,99 EUR
Daraus ergibt sich für das Widerspruchsverfahren und das Klageverfahren ein Gesamtbetrag von 1045,06 EUR.
Hinzukommen die gesetzlichen Zinsen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Ein Rechtsmittel ist nicht zulässig
(§ 197 Abs. 2, Halbsatz 2 SGG).