Urteil des SozG Würzburg vom 21.09.2010

SozG Würzburg: versicherung, haftpflicht, belastung, jugendamt, lohnerhöhung, familie, fahrtkosten, ergänzung, hinzurechnung, kostenersatz

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 21.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 BK 4/10
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 27. 2009 und des
Widerspruchsbescheides vom 18.01.2010 in der Zeit vom Februar bis April 2009 Kinderzuschlag nach § 6 a
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in gesetzlicher Höhe zu zahlen und hierbei die Kinderbetreuungskosten als
notwendige Werbungskosten anzurechnen.
II. Die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu zahlen.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin im Zeitraum von Februar bis April 2009 einen Anspruch auf
Kinderzuschlag nach § 6 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hatte.
Der Klägerin war auf ihren zunächst im Oktober 2007 gestellten Antrag hin von der Beklagten Kinderzuschlag bewilligt
worden, zuletzt vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum mit Bescheid vom 03.07.2008 für die Zeit von April 2008
bis Dezember 2008 in Höhe von monatlich 245 Euro sowie nachträglich mit Bescheid vom 27.07.2009 für Januar 2009
in Höhe von monatlich 200 Euro. Mit weiterem Bescheid ebenfalls vom 27.07.2009 hob die Beklagte die Bewilligung
des Kinderzuschlages ab Februar 2009 wegen Änderung der Verhältnisse auf. Der Gesamtbedarf liege bei 1.148,08
Euro und sei durch das zu berücksichtigende Einkommen in Höhe von 1.175,08 Euro gedeckt.
Hiergegen legte die Klägerin am 30.07.2009 Widerspruch ein und trug vor, dass im Januar das Einkommen genauso
hoch wie in den Monaten Februar, März und April gewesen sei; auch die Ausgaben, z.B. Kinderbetreuungskosten
seien genauso gewesen. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2010 den Widerspruch zurück. Sie
führte hierbei aus, dass der Antrag auf Gewährung von Kinderzuschlag abzulehnen gewesen sei, weil Einkommen und
Vermögen der Bedarfsgemeinschaft ausgereicht hätten um den Bedarf zu decken.
Daraufhin erhob die Klägerin mit Schreiben vom 15.02.2010 am 17.02.2010 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Sie
gab an, dass weder die erste noch die zweite Berechnung der Beklagten für sie nachvollziehbar seien. Auch seien
einige Ausgaben nicht berück-sichtigt worden, wie z.B. die Kinderbetreuungskosten ab Februar einschließlich der
Ferienbetreuung für das Schulkind; ohne die Betreuung wäre ihr jedoch die Arbeit gar nicht möglich gewesen.
Außerdem habe es kein Wohngeld, kein Kindergartengeld und keine ergänzende Leistung von Seiten der ARGE
gegeben.
Die Beklagte äußerte sich mit Schreiben vom 23.03.2010 dahingehend, dass Kinderbetreuungskosten bei der
Berechnung des Kinderzuschlags nicht mit einfließen würden. In einem Erörterungstermin vom 07.05.2010 wurde
festgestellt, dass ausschließlich die Zeit von Februar 2009 bis April 2009 im vorliegenden Rechtsstreit
streitgegenständlich ist.
Die Bevollmächtigten der Klägerin verwiesen im Weiteren auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (L 14
KG 11/06 vom 05.04.2007). Auch sei der Literatur zu entnehmen, dass die mit der Erziehung des Einkommens
verbundenen Aufwendungen abzusetzen seien, was auch für die Kinderbetreuungskosten während der Arbeitszeit
gelte (vgl. zum Beispiel Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II). Die Klägerin legte noch die entsprechenden
Kindergartenunterlagen für die Nachmittags- und Ferienbetreuung des älteren Kindes (Schulkind) im Kindergarten
sowie für den Kindergartenbesuch des jüngeren Kindes vor.
Das Jugendamt bestätigte mit Telefax vom 21.09.2010, dass für das ältere Kind A, geboren 2002 im Zeitraum vom
01.12.2006 bis 31.07.2007 und im Zeitraum vom 01.09.2007 bis 31.07.2008 Kindergartenbeiträge in Höhe von
monatlich 94,50 Euro gewährt worden seien. Das ältere Kind sei im darauffolgenden Jahr eingeschult worden. Im
Übrigen teilte das Jugendamt mit, dass Zahlungen überhaupt erst ab dem vollendeten dritten Lebensjahr eines Kindes
möglich seien und ein Antrag der Klägerin für ihr zweites Kind, geboren 2005, nicht vorliege.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide dazu zu verurteilen, ihr für
die Zeit von Februar bis April 2009 Kinderzuschlag zu gewähren und hierbei die angegebenen Kinderbetreuungskosten
als Werbungskosten vom Einkommen abzuziehen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird die Zulassung der Berufung beantragt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben
(§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte zu Unrecht die Kinderbetreuungskosten unberücksichtigt gelassen hat.
Nach § 6 a BKGG hat Anspruch auf Kinderzuschlag, wer für seine Kinder Anspruch auf Kindergeld hat, über ein
Mindesteinkommen von 900 Euro verfügt - wobei Wohngeld und Kindergeld nicht mitgerechnet werden - und
höchstens über Einkommen oder Vermögen verfügt, dass sich aus § 6 a Abs. 4 Satz 1 BKGG zuzüglich dem
Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 ermittelt - wobei Wohngeld nicht mitgerechnet wird. Durch den Kinderzuschlag
muss ferner Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden werden. Die Berechnung des Kinderzuschlages
entsprechend § 6 a Abs. 4 BKGG folgt den Berechnungsvorschriften der §§ 11 und 12 SGB II und der dazu
ergangenen Arbeitslosengeld II-Verordnung (ALG II-V).
Bei der Klägerin sind nach Aufnahme einer Beschäftigung notwendige Kinderbetreuungskosten – die Klägerin hätte
ohne diese die Beschäftigung so nicht ausüben können - angefallen, die im Einzelnen den Kindergartenbeitrag für die
jüngere Tochter J. sowie die Nachmittags- und die Ferienbetreuung für das Schulkind A. betrafen. Die hierfür
aufzuwendenden Kosten beliefen sich entsprechend der vorgelegten Unterlagen auf einen Monatsbetrag von 171,82
Euro. Nach § 90 Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) soll im Falle von § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB
VIII, d.h. bei der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB
VIII, der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden bzw. vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe
übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Für die Feststellung der
zumutbaren Belastung wird auf das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) Bezug genommen (§ 90 Abs. 4 SGB
VIII). Zwar argumentiert die Kommentarliteratur (Schindler in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum
SGB VIII, 2009, § 90 Rn. 16) damit, dass es sich hierbei um einen Regelrechtsanspruch handele, der nur im einem
atypischen Fall nicht zum Tragen komme; die Bildung von atypischen Fallgruppen sei hierbei nicht möglich.
Gleichwohl handhabt das zuständige Landratsamt diese Vorschrift so, dass ein Kostenübernahmeantrag außerhalb
des Rechtsrahmens des § 24 Abs. 1 S. 1 SGB VIII (Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung vom
vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt) nicht bewilligt wird. Im Fall der Klägerin wäre damit zwar im
streitgegenständlichen Zeitraum möglicherweise eine Kostenübernahme für das jüngere Kind Jeanie in Betracht
gekommen, was aber für die Klägerseite aufgrund der vorangegangenen Ablehnungen zu Beginn des
Kindergartenjahres nicht oder nur schwer erkennbar gewesen war. Unabhängig davon ist das Gericht der Auffassung,
dass nicht nur die Betreuungskosten für das Schulkind, sondern auch für das Kindergartenkind als notwendige
Kinderbetreuungskosten beim Einkommen der Klägerin als Werbungskosten abzusetzen sind (§ 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB
II). Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht keine Vorschrift, wonach die Berücksichtigung dieser
Werbungskosten beim Kinderzuschlag ausgeschlossen wäre und auch keine Vorschrift, wonach vorrangig Leistungen
des SGB VIII – soweit überhaupt erlangbar - in Anspruch genommen werden müssten (vgl. Eicher/Spellbrink,
Kommentar zum SGB II, § 11 Rn. 113; die dort genannte Einschränkung bezieht sich nur auf tatsächlichen
Kostenersatz, will also eine Doppelberücksichtigung vermeiden).
Im streitgegenständlichen Zeitraum ist somit bei der Klägerin und ihrer Familie von folgenden Bedarf auszugehen: Der
Regelbedarf von 1.054,00 Euro und die Kosten der Unterkunft in Höhe von 422,28 Euro ergeben unter Gegenrechnung
der Kindergeldzahlung in Höhe von 328,00 Euro einen monatlichen Gesamtbedarf von 1.148,28 Euro.
Diesem Bedarf steht ein monatliches Einkommen von 1.025,08 Euro gegenüber, so dass Leistungen des
Kinderzuschlages zur Bedarfsdeckung erforderlich sind.
Das monatliche Einkommen im Zeitraum von Februar 2009 bis April 2009 ermittelt sich aus einem Bruttoarbeitslohn
des Ehemanns der Klägerin in Höhe von 1.650,00 Euro (eine Hinzunahme der folgenden Lohnerhöhung ist im Hinblick
auf einen Abschluss des maßgeblichen Bewilligungsabschnittes wegen Änderung der Verhältnisse nicht möglich).
Hiervon waren abzuziehen Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 338,67 Euro, Werbungskosten inklusive
Fahrtkosten in Höhe von 60,93 Euro, Kfz-Haftpflicht-Versicherung in Höhe von 32,63 Euro, die
Versicherungspauschale von 30,00 Euro und Altersvorsorgebeiträge in Höhe von 23,33 Euro sowie der
Erwerbstätigenfreibetrag von 310,00 Euro unter Anrechnung einer hierin bereits enthaltenen Grundpauschale von
100,00 Euro. Der Anrechnungsbetrag der Erwerbseinkünfte des Ehemanns der Klägerin belief sich somit auf 954,44
Euro.
Bei der Klägerin war von einem monatlichen Durchschnittseinkommen im Bewilligungsabschnitt von 371,93 Euro
auszugehen (eine Hinzurechnung von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 17,78 Euro im April 2009
ist nicht möglich, da diese Leistung erst im Mai 2009 zugeflossen ist). Hiervon sind Werbungskosten in Höhe von
187,15 Euro (171,82 Euro Kinderbetreuungskosten und 15,33 Euro Werbungskostenpauschale), Kfz-Haftpflicht-
Versicherung in Höhe von 24,75 Euro, die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro, Altersvorsorgebeiträge in
Höhe von 5,00 Euro und der Erwerbstätigkeitsfreibetrag in Höhe von 154,39 Euro unter Anrechnung der enthaltenen
Grundpauschale von 100,00 Euro in Abzug zu bringen. Es ergibt sich für die Klägerin ein Anrech-nungsbetrag der
Erwerbseinkünfte von monatlich 70,64 Euro. Aufaddiert führt dies zum Familieneinkommen von 1.025,08 Euro.
Im Übrigen wäre auch für den Fall, dass man – anders als das Gericht - die Einschränkungen im Sinne des
Einkommensteuerrechts (§ 9 c Einkommensteuergesetz – EStG a.F.) in die Berücksichtigungsvorschriften
hineinlesen wollte, ein Restbedarf gegeben (Ausgehend von Kinderbetreuungskosten von 114,55 Euro[= 2/3 von
171,82 Euro] würden sich die Werbungskosten auf 129,88 Euro belaufen; das anrechenbare Einkommen der Klägerin
würde dann bei 127,91 Euro liegen und ein Gesamteinkommen von 1.082,35 Euro bewirken).
Dementsprechend war die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu zu verurteilen, der Klägerin
Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG für ihre beiden Kinder für die Zeit von Februar 2009 bis April 2009 in gesetzlicher
Höhe, d.h. ausgehend von den Entscheidungen und Berechnungen des Gerichts, zu bewilligen. Dass die Beklagte im
Ausgangsbescheid vom 27.07.2009 zunächst irrig von einer Aufhebung der Bewilligung ausging, ist ohne weitere
Bedeutung, da im Widerspruchsbescheid jedenfalls die materiellrechtliche Anspruchssituation geprüft worden war.
Nachdem die Klägerin mit ihrer Klage in vollem Umfang Erfolg gehabt hatte, war die Beklagte auch zur Tragung der
außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu verurteilen (§ 193 SGG).
Aus Sicht des Gerichtes war auch über den Hilfsantrag der Beklagten zu entscheiden. Zwar würde der maximale
Kinderzuschlag für 3 Monate im Fall der Klägerin 840,00 Euro betragen und damit bereits den Berufungsstreitwert (§
144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) erreichen. Da nach überschlägiger Berechnung hier jedoch durch Anrechnung von
Erwerbseinkommen eine monatliche Leistung des Kinderzuschlags von weniger als 250 Euro zu erwarten ist (vgl. die
Bewilligung in den Vormonaten) wäre eine Berufung möglicherweise ausgeschlossen. Aus Sicht des Gerichtes ist die
zentrale Frage der Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als Werbungskosten jedoch von grundsätzlicher
Bedeutung und obergerichtlich noch nicht entschieden, so dass auf den entsprechenden Hilfsantrag der Beklagten die
Berufung zuzulassen war.