Urteil des SozG Würzburg vom 29.06.2010

SozG Würzburg: ambulante behandlung, ärztliche behandlung, versorgung, krankenkasse, medizinischer grund, krankenversicherung, sachleistung, einwirkung, verfügung, chemotherapie

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 29.06.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 6 KR 46/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für mehrere Hyperthermiebehandlungen in der A. Klinik.
1. Bei der am 23. August 1961 geborenen Klägerin wurde im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 31. Januar
bis 16. Februar 2007 im B. Krankenhaus die Diagnose eines Glioblastoma multiforme, eines hoch malignen
hirneigenen Tumors, gestellt. Der Tumor konnte nur teilreseziert werden, weil er den Balken und die Gegenseite
infiltriert hatte. Die Klägerin wurde dann mit einer Erhaltungschemotherapie über sechs Zyklen Temozolomid
behandelt. Die adjuvante Chemotherapie wurde über die ursprünglich vorgesehenen sechs Zyklen hinaus bis zum Juni
2008 fortgesetzt.
2. Unter Verweis auf eine Bescheinigung der A. Klinik vom 8. November 2007, wonach die Hyperthermie eine wichtige
Rolle bei der Behandlung der Erkrankung spiele, wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte
Kostenübernahme. Mit Bescheid vom 19. November 2007 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine
Hyperthermiebehandlung ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe entschieden, dass die Wirksamkeit der
Hyperthermie nicht durch eindeutige wissenschaftliche Studien bewiesen sei. Kosten könnten daher nicht
übernommen werden. Dagegen legte die Klägerin mit am 26. November 2007 eingegangenem Schreiben Widerspruch
ein. Die Beklagte möge innerhalb von 14 Tagen eine positive Antwort mit Kostenübernahme der
Hyperthermiebehandlung in einem auf Glioblastom spezialisierten onkologischen Zentrum, z.B. A. Klinik,
aussprechen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2008 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die
Hyperthermiebehandlung sei von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Außerdem handele es sich bei
der A. Klinik um eine reine Privatklinik. Versicherte könnten nur unter den zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassenen oder ermächtigten Ärzten frei wählen. Die A. Klinik und die dort tätigen Ärzte würden nicht dazu
gehören.
3. Dagegen wurde am 21. Februar 2008 Klage erhoben und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Die Klägerin strebe nicht unbedingt und ausschließlich die Behandlung in der A. Klinik an. Die behandelnde Ärztin
habe zunächst versucht, die Klägerin in der C. unterzubringen, was aus Kapazitätsgründen gescheitert sei. Eine
Behandlung in der Uniklinik D. sei nicht möglich gewesen, weil dort die Hyperthermiebehandlung nur im
Abdominalbereich angewandt werde.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar
2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die durch den Aufenthalt in der A. Klinik entstandenen Kosten von
22.709,68 Euro zu erstatten.
4. Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie auf eine
Stellungnahme des MDK vom 23. Juni 2008,
die Klage abzuweisen.
5. Am 28. März 2008 wurde das Klageverfahren und das unter dem Aktenzeichen S 6 KR 44/08 ER geführte
Eilverfahren erörtert. Letzteres wurde mit Schriftsatz vom 21. Mai 2008 für erledigt erklärt. Die Klägerin unterzog sich
sodann vom 11. bis 26. März 2008, 12. bis 23. Mai 2008, 16. bis 23. Juni 2008, 20. bis 25. Juli 2008, 8. bis 13.
September 2008, 10. bis 15. November 2008, 2. bis 7. Februar 2009, 18. bis 23. Mai 2009, 22. Juni bis 1. Juli 2009,
21. bis 26. Juli 2009, vom 14. bis 19. September 2009 und vom 9. bis 14. November 2009 einer Behandlung in der A.
Klinik, anlässlich derer nach Angaben der Klägerin Kosten in Höhe von 22.709,86 Euro angefallen sind.
6. Das Gericht hat im Rahmen der Ermittlungen die Akte des Rentenversicherungsträgers sowie die Krankenakten
des B. Krankenhauses und der A. Klinik sowie einen Befundbericht vom behandelnden Arzt beigezogen. Am 10. März
2009 ist die Beweisanordnung ergangen und der Ärztliche Direktor des Bezirksklinikums R., Prof. Dr. U., wurde zum
Sachverständigen ernannt, der sein Gutachten, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, unter dem
15. September 2009 erstattet hat. Auf Antrag der Klägerin wurde am 20. Oktober 2009 Prof. Dr. S. zum
Sachverständigen ernannt, der sein Gutachten, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, unter dem
14. April 2010 erstattet hat. Hierzu – wie auch zum Gutachten von Prof. Dr. U. – äußerte sich der MDK in seiner
Stellungnahme vom 1. Juni 2010, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.
7. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die vorgelegte Beklagtenakte, die beigezogenen Akten sowie
die Gerichtsakte und die Niederschriften verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten
anlässlich der Behandlung vom 11. März 2008 bis 14. November 2009, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 19.
November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2008 rechtmäßig ist und die Klägerin
nicht in ihren Rechten verletzten kann.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere bedurfte es keiner Klageänderung, obwohl sich die Klägerin die begehrte
Leistung inzwischen beschafft hat. Denn der ursprüngliche Sachleistungsanspruch wandelt sich nach § 99 Abs. 3 Nr.
3 SGG in einen Anspruch auf Kostenerstattung um, ohne dass es einer Klageänderung bedarf. Sonstige Bedenken
gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Die Klage ist demnach insgesamt zulässig.
II.
Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der angefallenen Kosten anlässlich
der Behandlung vom 11. März 2008 bis 14. November 2009, weshalb der Bescheid der Beklagten vom 19. November
2007 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 5. Februar 2008 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren
Rechten verletzten kann.
1. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen, wofür vorliegend nichts
ersichtlich ist, oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V von der Krankenkasse in der entstandenen
Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist demnach nur gegeben,
wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R - zitiert nach juris,
m.w.N.).
a) Bestehen eines Primärleistungs(Naturalleistungs-)anspruchs des Versicherten und dessen rechtswidrige
Nichterfüllung
Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche
die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom
7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - zitiert nach juris, m.w.N.).
b) Selbstbeschaffung der entsprechenden Leistung durch den Versicherten
Die selbst beschaffte Leistung muss der zu Unrecht abgelehnten Naturalleistung entsprechen.
c) Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung,
§ 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse
geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst-
oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden kann. Nach Wortlaut und
Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige
Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es,
wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde. Eine
vorherige Entscheidung der Krankenkasse ist auch dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des
Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von vornherein feststeht. Mit dem
Einwand eines vermeintlichen "Formalismus" hat sich das Bundessozialgericht schon wiederholt befasst und
klargestellt, dass Gesetzeswortlaut und -zweck eine dahingehende Ausnahme nicht (mehr) zulassen und der Wortlaut
des § 13 Abs. 3 SGB V, der unmissverständlich einen Ursachenzusammenhang zwischen rechtswidriger Ablehnung
und Kostenlast verlangt, einer früheren anderslautenden Rechtsprechung die Grundlage entzogen hat (BSG vom
14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R). Die rechtswidrige Vorenthaltung der Naturalleistung durch die Beklagte muss
wesentliche Ursache der Selbstbeschaffung gewesen sein, insbesondere darf sich der Versicherte nicht - unabhängig
davon, wie eine Entscheidung der Krankenkasse ausfällt - von vornherein auf eine bestimmte Art der
Krankenbehandlung festgelegt haben (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R - zitiert nach juris, m.w.N).
d) Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung
Die selbst beschaffte Leistung ist nur notwendig, wenn das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 1 SGB V
beachtet worden ist.
e) rechtlich wirksame Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt voraus, dass ein rechtswirksamer
Vergütungsanspruch besteht. Nötig hierfür ist eine ordnungsgemäße Abrechnung. Geht es beispielsweise um die
Kosten einer ärztlichen Behandlung, so besteht ein Vergütungsanspruch des Arztes nur, wenn dem Patienten darüber
eine Abrechnung nach den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erteilt worden ist (BSG vom 15.04.1997
- 1 RK 4/96 - und vom 27.03.2007 - B 1 KR 25/06 R - zitiert nach juris).
2. Ein Anspruch auf Kostenerstattung scheitert vorliegend bereits daran, dass die Klägerin keinen
Sachleistungsanspruch auf die durchgeführte Hyperthermiebehandlung hatte.
2.1 Nach § 11 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 SGB V haben gesetzlich Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn
diese notwendig ist, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu
lindern. Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den
medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der
ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen
der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung
verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den
Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V frei wählen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen
in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Für den Bereich der stationären Krankenhausbehandlung
gilt, dass Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus haben, wenn die
Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Behand-lung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.
Zugelassene Krankenhäuser sind Krankenhäuser, (1.) die nach den landesrechtlichen Vorschriften als Hochschulklinik
anerkannt sind, (2.), die in den Krankenhausplan eines Landes aufgenommen sind (Plankrankenhäuser) oder (3.) die
einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen
abgeschlossen haben (§ 108 SGB V).
Die Krankenkassen haben nicht für jegliche Art von Behandlung aufzukommen. Ihre Leistungspflicht unterliegt
vielmehr den in §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V gesetzlich festgelegten Grenzen. Nach diesen Vorschriften müssen
die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht
beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB
V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Für den Bereich der vertragsärztlichen und
vertragszahnärztlichen Versorgung sieht § 135 Abs. 1 SGB V vor, dass neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame
Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V, einer Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in
Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden
- nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der
Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der
vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung) benennt in Anlage I die vom
Gemeinsamen Bundesausschuss nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V anerkannten ärztlichen
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung und - soweit zur sachgerechten
Anwendung der neuen Methode erforderlich - die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen
sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche
sowie die Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung und die erforderliche Aufzeichnung über die ärztliche
Behandlung. Ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die nach Überprüfung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V
aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen wurden, sind in Anlage II der Richtlinie aufgeführt; Methoden,
deren Bewertungsverfahren ausgesetzt ist, sind in Anlage III genannt. Vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht
anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind von der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, § 2 Satz 2 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung.
Für den Bereich der Krankenhausbehandlung sieht § 137c SGB V vor, dass neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden erst dann nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen, wenn der
Gemeinsame Bundesausschuss ein Negativvotum ausgesprochen hat. Entsprechende Regelungen enthält § 4 der
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus
(Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung). Davon unabhängig muss die Behandlungsmethode allerdings dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und die Krankenhausbehandlung muss im
Rechtssinne notwendig bzw. erforderlich sein (§ 2 Abs. 1 Satz 3; § 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2
SGB V). Die Notwendigkeit bzw. Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung muss allein aus medizinischen Gründen
bestehen. Dafür genügt es nicht schon allgemein, dass eine ambulante Behandlungsmethode zwar den Regeln der
ärztlichen Kunst entspricht, aber ohne Rechtsverstoß (noch) nicht in den Leistungskatalog vertragsärztlicher zu
Lasten der Krankenkassen erbringbarer Leistungen aufgenommen worden ist. In jedem Fall bedarf es neben der
generellen auch und gerade der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall (BSG, Urteil
vom 17.02.2010 - B 1 KR 10/09 R - und vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 - zitiert nach juris, m.w.N.).
2.2 Sofern es sich bei der durchgeführten Behandlung um eine ambulante Behandlung gehandelt haben sollte, wovon -
ausweislich der Klagebegründung und des Klinkbriefes vom 7. Dezember 2009 - die Klägerin und die gisunt Klinik
selber ausgehen, scheitert ein (Sachleistungs-)Anspruch daran, dass die behandelnden Ärzte nicht zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Des Weiteren scheitert ein Anspruch auf
ambulante Behandlung in der Form der Sachleistung daran, dass die Hyperthermiebehandlung in Nummer 42 der
Anlage 2 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung genannt ist und damit ausdrücklich von der Versorgung
ausgeschlossen ist.
2.3 Sofern es sich bei der durchgeführten Behandlung um eine stationäre Krankenhausbehandlung handeln sollte,
scheitert ein Anspruch daran, dass die A.Klinik kein zugelassenes Krankenhaus im Sinne von § 108 SGB V ist.
Davon unabhängig scheitert ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung in Form der Sachleistung daran, dass die
Hyperthermiebehandlung (ggf. noch) nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entspricht und im Fall der Klägerin auch die individuelle Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung nicht gegeben
war.
2.4 Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf die durchgeführte Hyperthermiebehandlung scheitert auch unter
besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben.
2.4.1 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - zitiert nach juris -
entschieden, dass es mit Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht
vereinbar ist, den Einzelnen unter den Vor-ussetzungen des § 5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge
die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer
lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische
Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die
Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen
Krankenversicherung zu verweisen. Anknüpfungspunkt ist im Rahmen der Prüfung von Artikel 2 Abs. 1 GG in
Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen
Notlage, welche es geboten erscheinen lässt, auch solche ärztlich verantworteten Behandlungen in die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen, bei denen der Nachweis einer dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Qualität und Wirksamkeit der Behandlung (vgl. §
2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) noch nicht erbracht ist. Allerdings folgt aus den Grundrechten regelmäßig kein
verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen.
Auch sind die gesetzlichen Krankenkassen nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mit-teln
zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom
30.06.2008 - 1 BvR 1665/07 - zitiert nach juris, m.w.N.). Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter
Berufung darauf, eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode sei im Rahmen der GKV ausgeschlossen, weil
der zu-tändige Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt oder sie sich zumindest in der Praxis und in der
medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, verstößt nach dieser Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
1. Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.
2. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung
nicht zur Verfügung.
3. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode
besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf.
2.4.2 Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass bezüglich der Erkrankung der Klägerin eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stand und bezüglich der angewandten
Hyperthermiebehandlung eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gerade nicht gegeben war. Zu dieser Überzeugung
gelangt das Gericht aufgrund der Auswertung des Gutachtens von Prof. Dr. U., das nachvollziehbar und frei von
Widersprüchen ist. Die Klägerin leidet an einem Glioblastom. Die Diagnose eines Glioblastoms stellt eine
lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung dar. Bezüglich dieser Krankheit hat die Klägerin die
allgemein anerkannte, medizinischem Standart entsprechende Behandlung von der Beklagten erhalten. Die Klägerin
wurde analog dem EORTC 26981-22981 behandelt. Die adjuvante Chemotherapie wurde über die in der EORTC-
Studie 26981-22981 vorgesehenen sechs Zyklen hinaus bis zum Juni 2008 fortesetzt. Mit der
Hyperthermiebehandlung hat die Klägerin eine zusätzliche Therapie im Rahmen einer erfolgreich durchgeführten
Chemotherapie begonnen. Hierfür gab es keinen medizinischer Grund. Bei der Klägerin lag ein stabiler Tumorbefund
vor, so dass es nicht erforderlich war, die effektive standardisierte Primärtherapie durch eine durch wissenschaftliche
Studien bisher nicht ausreichend belegte Zusatztherapie zu ergänzen. Bei der Hyperthermie handelt es sich um ein
experimentelles Therapieverfahren, weil bisher keine systematische klinische Studie zur Anwendung kapazitiver
regionaler Tiefenhyperthermie bei Patienten mit maligen Gliomen vorliegt. Daher kann über die Wirksamkeit dieser
Methode in der Behandlung des Gli-oblastoms keine Aussage getroffen werden. Klinische Daten beschränken sich
meist auf Einzelfallbeobachtungen oder als Abstract veröffentlichte, meist retrospektiv erhobene Studienergebnisse,
welche eine gewisse Wirksamkeit der kapazitiven regionalen Tiefenhyperthermie lediglich vermuten lassen. In diesem
Zusammenhang hat Prof. Dr. U. darauf hingewiesen, dass er selber eine Phase I - Studie zur Hyperthermie im Rezidiv
bei malignen Gliomen durchführt, deren Daten eine Aussage über die Effektivität der Therapie leider nicht zulassen.
Auch kann eine positive Einwirkung der zusätzlichen Hyperthermiebehandlung im Fall der Klägerin nicht eindeutig
postuliert werden, weil bereits un-ter der standardisierten Primärtherapie allein zumindest für den Zeitraum Februar
2007 bis März 2008 ein positiver Krankheitsverlauf erreicht wurde. Inwieweit die zusätzliche Hyperthermiebehandlung
als eine Art "Erhaltungstherapie" das progressionsfreie Intervall verlängert hat, ist Spekulation, weil Studiendaten zu
dieser Frage bisher nicht vorliegen und ein Benefit im Vergleich zur Standarttherapie nicht postuliert werden kann.
Demnach ist festzuhalten, dass bezüglich der Erkrankung der Klägerin zur Überzeugung des Gerichts eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standart entsprechende Behandlung durchgeführt wurde, so dass es kein Bedürfnis für
die (zusätzliche) Hyperthermiebehandlung gab. Selbst wenn es eine allgemein anerkannte medizinischem Standart
entsprechende Behandlung im Fall der Klägerin nicht gegeben hätte, hätte dennoch kein Anspruch auf Sachleistung
bestanden. Denn bezüglich der Hyperthermiebehandlung besteht (derzeit) keine auf Indizien gestützte, nicht ganz
fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
bei Glioblastom.
2.4.3 An diesem Ergebnis ändert auch das Gutachten von Prof. Dr. S nichts. Prof. Dr. S. führt in seinem Gutachten
aus, dass die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse eindeutig den Zugewinn der Chemotherapiewirkung mit
verschiedenen Formen der Hyperthermie belegen. Zu Recht weist der MDK in seiner Stellungnahme vom 1. Juni 2010
darauf hin, dass Prof. Dr. S seine Behauptung nicht belegt. Das Gutachten von Prof. Dr. S ist dadurch
gekennzeichnet, dass er darlegt, dass die zusätzlichen und möglicherweise auch vorzeitig eingeleiteten Therapien für
einen Onkologen nachvollziehbar seien und dass es einem Betroffenen mit grundsätzlich tödlicher Tumorerkrankung
nicht zu verdenken sei, dass er es ablehne, zu warten, bis der Tumor eindeutig wieder Symptome zeige. Als Arzt, der
selbst eine Phase I-Studie beim Brustkrebs mit Hyperthermie/Chemotherapie leite, sei es ein moralischer
Widerspruch, einer Patientin in schwieriger Tumorsituation diese ähnliche Therapie zu verwehren. Dies mag alles
zutreffen, ist aber vorliegend nicht von Bedeutung. Entscheidend ist allein, ob die Voraussetzungen eines
Sachleistungsanspruchs - auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Gegebenheiten - erfüllt sind oder
nicht. Diese Subsumtion obliegt allein dem Gericht. Aufgabe des Sachverständigen ist lediglich, die insofern
einschlägigen tatsächlichen Umstände dem Gericht nachvollziehbar zu vermitteln. Der Sachverständige hat dem
Gericht Tatsachen, also Umstände, die dem Beweis zugänglich sind, aufzuzeigen. Auf seine Wertung kommt es nicht
an. Diesen Anforderungen wird das Gutachten von Prof. Dr. Snicht gerecht. Prof. Dr. S nimmt mit seinem Gutachten
ganz überwiegend Wertungen vor. Seine Behauptungen werden durch Tatsachen nicht untermauert. Einem wertenden
Gutachten, das in den entscheidenden Punkten ohne tatsächliche Substanz ist, kann das Gericht nicht folgen. Ein
solches Gutachten kann insbesondere ein Gutachten, das - wie das Gutachten von Prof. Dr. U. - die entscheidenden
tatsächlichen Umstände nachvollziehbar und frei von Widersprüchen vermittelt, nicht entkräften.
2.5 Demnach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bezüglich der Erkrankung der Klägerin eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stand und bezüglich der angewandten
Hyperthermiebehandlung eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf ei-ne spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf gerade nicht gegeben war. Von daher hat die
Klägerin auch von Verfassungs wegen keinen Anspruch auf eine Hyperthermiebehandlung im Wege der Sachleistung
gegen die Beklagte gehabt.
3. Mangels Vorliegens eines Sachleistungsanspruchs muss die Klägerin die mit der durchgeführten
Hyperthermiebehandlung verbundenen Chancen und Hoffnungen auf eigene Kosten durchführen. Der Bescheid der
Beklagten vom 19. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2008 ist demnach
rechtmäßig und kann die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Die Klage war daher abzuweisen.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und ist getragen von der Erwägung, dass die Klage keinen
Erfolg hat.
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Rechtsmittelbelehrung: Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines
Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialge-richt, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur
Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die
Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Würzburg, Ludwigstraße 33, 97070 Würzburg, schriftlich oder mündlich
zur Niederschrift des Ur-kundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift soll das angefochtene
Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und
Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen
Beteilig-ten beigefügt werden.