Urteil des SozG Würzburg vom 10.09.2010

SozG Würzburg: einkommen aus erwerbstätigkeit, berechtigte person, geburt, finanzen, auszahlung, bemessungszeitraum, nachzahlung, form, teilzeitbeschäftigung, höchstbetrag

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 10.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 EG 20/09
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und ggf. in welcher Höhe der Beklagte vom Kläger an diesen gezahlte
Elterngeldleistungen zurückfordern durfte.
Der Kläger ist der Vater des 2007 geborenen Kindes K. Am 12.06.2008 hat der Kläger beim Zentrum Bayern Familie
und Soziales Region Unterfranken für den 13. und 14. Lebensmonats des Kindes Elterngeld beantragt und hierbei
angegeben, dass er in diesem Zeitraum seine Arbeitszeit auf 16½ Wochenstunden reduziere. Vorgelegt hat er
verschiedene Bezügemitteilungen des Landesamtes für Finanzen. Der Beklagte hat zusätzlich noch eine
Verdienstbescheinigung beim Arbeitgeber, d.h. ebenfalls über das Landesamt für Finanzen, eingeholt und kam zum
Ergebnis, dass das durchschnittliche Nettoerwerbseinkommen des Klägers im Bemessungszeitraum bei 1.693,06
Euro gelegen habe und sein durchschnittliches Nettoerwerbseinkommen während der Teilzeittätigkeit voraussichtlich
bei 910,06 Euro liegen werde. Hieraus errechnete der Beklagte, dass dem Kläger ein monatliches Elterngeld während
der Teilzeittätigkeit in Höhe von 524,61 Euro zustehe.
Mit Bescheid vom 25.06.2008 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 18.07.2008 bis 17.09.2008 Elterngeld in Höhe
von monatlich 524,61 Euro als vorläufige Bewilligung. Er führte aus, dass nach Ablauf des Bezugszeitraumes das
endgültig erzielte Einkommen ermittelt werde und die Höhe des Elterngeldes endgültig festgestellt werde. Der festge-
stellte Differenzbetrag werde nachgezahlt bzw. sei zurückzuzahlen.
Auf Anforderung des Beklagten legte der Kläger seine Gehaltsabrechnungen für die Monate Juli bis September vor.
Der Beklagte berechnete daraus ein durchschnittliches monatliches Nettoerwerbseinkommen während der
Teilzeittätigkeit in Höhe von 1.232,54 Euro. Mit endgültigem Bescheid vom 17.11.2008 stellte der Beklagte fest, dass
das dem Kläger monatlich zustehende Elterngeld während der Teilzeittätigkeit sich daher nur auf 308,55 Euro belaufe;
es sei eine Überzahlung eingetreten und der überzahlte Betrag von 432,12 Euro sei zurückzufordern.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 24.11.2008 am 11.12.2008 Widerspruch ein und gab an, dass er als
Angestellter im öffentlichen Dienst ein regelmäßiges monatliches Einkommen habe. Eine Schwankung erfolge
lediglich durch Mehrarbeit in Form von Überstunden, welche in ein Zeitkonto eingebracht würden; ausbezahlt würden
hierbei lediglich die Zuschläge. Außerdem würden auch zusätzlich Bereitschaftsdienste zur Auszahlung gelangen.
Während seiner Elternzeit habe er aber den Bereitschaftsdienst nicht übernehmen können, da ein solcher immer eine
ganze Woche andauere. Sein Einkommen sei daher bis auf die Zuschläge für 7 Überstunden in Höhe von ca. 50 Euro
absolut vorhersehbar gewesen.
Er habe nicht verstehen können, weshalb jetzt eine Überzahlung in Höhe von 432,12 Euro ermittelt worden sei. Durch
eine Rücksprache mit einem Mitarbeiter des Landesamtes für Finanzen sei nun die Vermutung aufgetaucht, dass dies
damit zusammenhängen könne, dass ihm seine zwischen Mai und Mitte Juli geleisteten Überstunden und
Bereitschaftsdienste – wie immer in dieser Weise üblich - mit zwei Monaten Verspätung ausgezahlt worden seien.
Umgekehrt wären in der Teilzeitarbeit geleistete Überstunden und -hypothetisch - Bereitschaftsdienste, welche aber
tatsächlich ja nicht geleistet werden konnten, zwischen September und November zur Auszahlung gekommen. Der
Kläger gehe davon aus, dass sich durch das Abrechnungssystem des Landesamtes für Finanzen für ihn keine
finanziellen Nachteile ergeben dürften.
Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2009, der am 10.03.2009 zur Post gegeben wurde, den
Widerspruch zurück. Das nach § 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) zu berücksichtigende Einkommen
bestimme sich nach den Maßgaben der Abs. 7 bis 9 dieser Vorschrift. Grundlage der Ermittlung seien die
entsprechenden monatlichen Lohnbescheinigungen des Arbeitgebers (§ 2 Abs. 7 S. 4 BEEG). Der Kläger habe in den
Monaten Juli bis September 2008 eine Nachzahlung seiner in den Monaten Mai bis Juli 2008 geleisteten Überstunden
und Bereitschaftsdienste erhalten. Es handele sich hierbei nicht um sonstige Bezüge im Sinne der o.g. Vorschrift, da
eine Nachzahlung für die Monate Mai 2008 bis Juli 2008 im noch nicht abgeschlossenen Lohnzahlungszeitraum des
Kalenderjahres 2008 gezahlt worden seien. Einkommen aus Erwerbs-tätigkeit, das in Lebensmonaten nach der Geburt
erzielt worden sei, sei auf das vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen anzurechnen. Hierbei sei das Zuflussprinzip
des Einkommensteuerrechts zu beachten. Der angefochtene Bescheid des Beklagten sei daher nicht zu
beanstanden.
Daraufhin erhob der Kläger mit Schreiben vom 06.04.2009 Klage zum Sozialgericht Würzburg. Er führte aus, dass es
nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein könne, dass bestimmte Berufszweige oder Personen besser oder schlechter
behandelt würden. Ihm seien dadurch, dass er während der Elternzeit nicht die Möglichkeit gehabt habe,
Bereitschaftsdienste zu leisten, Gehaltsausfälle entstanden. Er empfinde es als grobe Ungerechtigkeit, dass hier nun
Einkünfte, die ohne sein Zutun erst während der Elternzeit abgerechnet worden sind, in Anrechnung gebracht würden.
Der Kläger beantragt, die angefochtenen Bescheide des Beklagten aufzuheben und den Beklagten dazu zu
verurteilen, das Elterngeld für den 13. und 14. Lebensmonat des Kindes endgültig in Höhe von 524,61 Euro zu
bewilligen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte des Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben
(§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Der Klageantrag ist offensichtlich auf ein Festhalten an der
vorläufigen Elterngeldbewilligung in Höhe von monatlich 524,61 Euro gerichtet.
Die Klage ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht begründet.
Der Beklagte hat das Einkommen des Klägers im maßgeblichen Bemessungszeitraum zutreffend ermittelt. Zwar hat
er bei seiner Prognose des Einkommens im Zeitraum der zweimonatigen Teilzeitbeschäftigung des Klägers die
Besonderheiten seiner Lohnabrechnungen – nämlich dass Überstundenzuschläge und Bereitschaftsdienste
üblicherweise mit zweimonatiger Verzögerung abgerechnet werden – entweder nicht erkannt oder nicht beachtet.
Dies ändert aber nichts daran, dass der Wortlaut des Gesetzes für den Einkommensvergleich klare Vorgaben macht.
§ 2 Abs. 1 S. 1 BEEG bestimmt zunächst, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen während der Elternzeit kein
Einkommen erzielt wird: Elterngeld wird dann in Höhe von 67 % des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der
Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem
Höchstbetrag von 1.800 Euro für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus
Erwerbstätigkeit erzielt. Wenn - wie beim Kläger - eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird, regelt § 2 Abs. 3 BEEG,
dass die Zahlung von Elterngeld in Höhe des entsprechenden Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages zwischen
dem durchschnittlichen Einkommen in diesen Monaten und dem nach § 2 BEEG ermittelten Durchschnittseinkommen
vor der Geburt des Kindes vorzunehmen ist.
Einkommenseinbußen, die sich erst in späteren Monaten auswirken, können aus zweierlei Gründen keine
Berücksichtigung finden. Zum einen ist regelmäßig – so auch im Fall des Klägers – die Maximalanzahl der Monate für
die Zahlung von Elterngeld bereits ausgeschöpft (§ 4 Abs. 2 BEEG), zum anderen würde es sich nicht um Monate
handeln, in denen zumindest keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, so dass es an der entsprechenden
Anspruchsvoraussetzung fehlen würde (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BEEG).
Die Zahlungen für in den Vormonaten geleistete Überstunden und Bereitschaftsdienste sind dem Kläger tatsächlich im
Zeitraum seiner Teilzeittätigkeit zugeflossen. Entsprechend dem Zuflussprinzip, das steuerrechtlich für die
Berücksichtigung von Einkünften herangezogen wird, sind diese Zahlungen auch den jeweiligen Monaten zuzuordnen
und werden somit entsprechend dem Gesetzestext in das durchschnittliche Monatseinkommen dieser Monate
einbezogen. Es handelt sich dabei nicht um steuerrechtlich nicht zu berücksichtigende Einmalzahlungen (§ 2 Abs. 7
S. 2 BEEG), weil diese Vergütungen als Lohnbestandteile regelmäßig zur Auszahlung gelangen. Im übrigen müssten
sie ansonsten konsequenterweise auch bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens vor der Geburt weggelassen
werden, so dass der Unterschiedsbetrag – jedenfalls im Regelfall - davon nicht weiter berührt würde (Die Differenz
zwischen Monatseinkommen und reduziertem Monatseinkommen ist gleich hoch, egal ob zu beiden Posten noch der
Bereitschaftsdienstverdienst hinzugerechnet wird oder nicht).
Der Kläger stellt zutreffend dar, dass bei ihm aus der konkreten Ausgestaltung seiner Teilzeittätigkeit zum Zwecke
der Erziehung des Kindes faktisch ein höherer Einkommensverlust resultierte, als für den prozentualen Ausgleich vom
Beklagten berücksichtigt wurde. Diese Vorgehensweise scheint aus Sicht des Gerichtes jedoch dem Gesetzgeber als
Gestaltungsspielraum zuzubilligen zu sein und ist auch in dieser Vergröberung und damit Einschränkung der
Einzelfallgerechtigkeit mit dem Zwecke der Vereinfachung der Geset-zeshandhabung noch zu rechtfertigen.
Soweit in der Rechtsprechung anerkannt ist, ein sogenanntes modifiziertes Zuflussprinzip zur Anwendung zu bringen
(vgl. z.B. BSG Urt. v. 30.05.2006; B 1 KR 19/05 R; SG Aachen, Urt. v. 23.09.2008, S 13 EG 10/08 – jeweils zitiert
nach juris), so wird damit regelmäßig nur auf solche Fälle abgestellt, in denen aufgrund einer Zahlungsverzögerung der
Zufluss abweichend vom regulären Zahlungszeitpunkt erfolgte. Eine solche Situation lag beim Kläger nicht vor, da die
Zahlungen für Bereitschaftsdienste und Überstunden regelmäßig erst in den Folgemonaten zum Tragen kamen.
Für eine fiktive Berücksichtigung der sich erst später manifestierenden Einkommensverluste durch die fehlenden
Bereitschaftsdienste während der Bezugszeit des Elterngeldes fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, so dass der
Beklagte dies zu Recht nicht vorgenommen hat.
Allenfalls könnte man daran denken, dem Kläger im Rahmen des sogenannten sozialrechtlichen
Herstellungsanspruches (vgl. Kasseler Kommentar, Seewald, vor § 38 SGB I, Rn. 30 ff) einen Ausgleich zuzubilligen.
Der Kläger hätte, wenn die Beklagte bereits bei der Berechnung des vorläufigen Bescheides die üblicherweise
anfallenden Bereitschaftsdienste und Überstunden berücksichtigt hätte, nach seinen Einlassungen gestalterisch
dadurch reagieren können, dass er seinerseits die Abrechnung dieser Überstunden und Bereitschaftsdienste verzögert
veranlasst hätte, so dass ihm die Vergütung erst nach Abschluss der Teilzeittätigkeit zugeflossen wäre. Diese
Gestaltungsmöglichkeit wäre ihm aber nur dann offen gestanden, wenn man das Zuflussprinzip streng handhaben
wollte und nicht wenn man – wie üblicherweise die Rechtsprechung – vom modifizierten Zuflussprinzip ausginge.
Insofern ist aus Sicht des Gerichtes die unzutreffende Prognose des Beklagten im vorläufigen Bewilligungsbescheid
nicht kausal dafür geworden, dass der Kläger in den beiden maßgeblichen Monaten seiner Arbeitszeitreduzierung
wegen Kindererziehung keinen höheren Unterschiedsbetrag zwischen vorherigem und jetzt erzieltem Einkommen
geltend machen konnte und dementsprechend keinen höheren Leistungsanspruch hatte durchsetzen können.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind somit im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Klage war
abzuweisen.
Aus der Klageabweisung ergibt sich, dass dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind (§ 193 SGG).
Der zwischen den Beteiligten geführte Rechtsstreit betrifft zwar weder Sozialleistungen von mehr als einem Jahr
Dauer noch einen Betrag von mehr als 750 Euro, so dass die Berufung an sich beschränkt ist (§ 144 Abs. 1 SGG).
Die Berufung wird jedoch zugelassen, weil die zu Grunde liegende Problematik eine größere Anzahl von
Leistungsberechtigten betrifft und aus Sicht des Gerichtes grundsätzliche Bedeutung hat.