Urteil des SozG Würzburg vom 21.01.2011

SozG Würzburg: selbständige erwerbstätigkeit, einkünfte aus erwerbstätigkeit, veranlagung, geburt, ehepartner, aufrechnung, kirchensteuer, familie, geldzahlung, sozialleistung

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 21.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 EG 59/09
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte der Klägerin höheres Elterngeld zu zahlen hat.
Die Klägerin ist die Mutter des 2009 geborenen Kindes El. Sie hat am 08.07.2009 einen Antrag auf Elterngeld gestellt,
wobei sie angab, vor der Geburt des Kindes als selbständige Bautechnikerin und Immobilienmaklerin durchgehend
d.h. sowohl im letzten Kalenderjahr als auch unmittelbar in den 12 Monaten vor der Geburt erwerbstätig gewesen zu
sein. In der Zeit von Juni 2009 bis Mai 2010 werde sie mit einer geringen Arbeitszeit von 0 bis 10 Wochenstunden nur
äußerst reduziert tätig seien, weil bestehende Aufträge bereits abgearbeitet worden seien und keine neuen anstünden.
Vorgelegt wurde u.a. der Einkommensteuerbescheid 2008 aus der gemeinsamen Veranlagung der Klägerin und ihres
Ehemannes. Darin sind als zu versteuerndes Einkommen ausgewiesen: Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin in
Höhe von 21.183 Euro, Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit des Ehemanns der Klägerin in Höhe von 77.207
Euro, außerdem Einkünfte aus Kapitalvermögen und negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der
Gesamtbetrag der Einkünfte des Ehemannes der Klägerin wurde mit 79.013,31 Euro und ihre Einkünfte mit 14.400
Euro festgestellt. Im Einkommensteuer-bescheid wurde eine Einkommensteuer in Höhe von 18.922,00 Euro und ein
Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.040,71 Euro festgesetzt.
Der Beklagte kam zum Ergebnis, dass die Klägerin eine selbständige Erwerbstätigkeit sowohl im letzten steuerlichen
Veranlagungszeitraum als auch in den 12 Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchgehend ausgeübt habe.
Deshalb sei für die Eltern-geldberechnung § 2 Abs. 9 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) anzuwenden.
Das Einkommen werde somit aus dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid ermittelt. Die Elterngeldbewilligung
könne jedoch nur vorläufig sein, da erst nach Ablauf des Elterngeldbezugszeitraumes festgestellt werden könne, ob
die Einschätzung der Klägerin zutreffe, dass sie aus ihrem Gewerbebetrieb im Elterngeldbezugszeitraum keinen
Gewinn erziele.
Der Beklagte bewilligte mit vorläufigen Bescheid vom 14.07.2009 für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes
Elterngeld in Höhe von 910,83 Euro. Zur Berechnung erläuterte der Beklagte in einer Bescheidanlage, dass er vom
Einkommen aus Gewerbebetrieb in Höhe von 21.083 Euro Steuern (Einkommensteuer, Kirchensteuer,
Solidaritätszuschlag) in Höhe von 4.869,57 Euro abgezogen habe. Das Nettojahreserwerbseinkommen der Klägerin
sei somit bei 16.313,43 Euro gelegen, was einem durchschnittlichen monatlichen Nettoerwerbseinkommen von
1.359,45 Euro entspreche. Das Elterngeld betrage 67 % von diesem Einkommen, mithin 910,83 Euro.
Mit Schreiben vom 30.07.2009 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Sie machte geltend, dass
Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer tatsächlich gar nicht von ihr, sondern von ihrem Ehemann
gezahlt worden seien und deshalb auch nicht von ihrem steuerlichen Gewinn abgezogen werden dürften. Steuerlich
seien ihr Ehemann und sie gemeinsam veranlagt worden und es heiße im BEEG, dass das Einkommen des Partners
keine Auswirkungen auf die Höhe des Elterngeldes habe.
Der Beklagte stellte fest, dass sich die Aufteilung der Steuern nach dem Verhältnis der für die Bemessung des
Elterngeldes berücksichtigten Summe der positiven Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zur Summe aller Einkünfte richte,
und wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2009 den Widerspruch zurück.
Daraufhin erhob die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten am 19.09.2009 mit Telefaxschreiben Klage zum
Sozialgericht Würzburg. Zur Begründung wurde nochmals darauf verwiesen, dass die Klägerin selbst überhaupt keine
Steuern gezahlt habe, weil die gemeinsame Steuerlast bereits vollumfänglich durch die Zahlungen ihres Ehemannes
beglichen worden sei. Die Tatsache der gemeinsamen Veranlagung stelle ein grundgesetzlich geschütztes Recht von
Eheleuten dar. Es gehe nicht an, dass sich die Beklagte hierüber hinweg setze und die Tatsache der gemeinsamen
Veranlagung zu Lasten der Klägerin werte. Zudem werde die Klägerin wegen der Steuerprogression unangemessen
belastet. Deshalb müsse ggf. eine fiktive Berechnung erfolgen, in welcher Höhe bei einer getrennten Veranlagung der
Klägerin und einem Bruttoeinkommen von 21.183 Euro Steuern zu zahlen wären. Die genannten Bescheide seien
aufzuheben. Es habe eine Neuberechnung auf der Grundlage des Bruttoeinkommens von 21.183 Euro ohne
steuerliche Belastung, hilfsweise mit Steuerlast bei getrennter Veranlagung zu erfolgen.
Nachdem der Beklagte auf den Wortlaut von § 2 Abs. 9 S. 4 BEEG Bezug genommen hatte und hierin keine Regelung
erblickte, die auf eine andere Berechnungsvorschrift z.B. auf §§ 288 ff Abgabenordnung (AO) verweisen würde,
argumentierte die Klägerseite damit, dass der Wortlaut sich auf eine festgesetzte Einkommensteuer beziehe. Deshalb
müsse die Einkommensteuer tatsächlich vom Finanzamt festgesetzt und nicht nur fiktiv angesetzt worden sein. Der
Beklagte verwies im weiteren auf einen Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.06.2010 (Az. S 9 EG 3/10), das
seine Rechtsauffassung bestätige.
Nachdem die Klägerin im Folgenden ihren Einkommensteuerbescheid 2009 vorlegte, traf der Beklagte mit Bescheid
vom 16.11.2007 eine endgültige Entscheidung, wonach das monatliche Elterngeld der Klägerin den Betrag von 910,83
Euro umfasse. In der Höhe der Leistungen trete gegenüber dem bisherigen Bescheid keine Änderung ein.
Die Klägerin beantragt:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 14.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2009 sowie
der Bescheid vom 16.11.2010 werden abgeändert.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, bei der Bemessung des Elterngeldes für den 2009 geborenen Sohn E. von einem
steuerlichen Gewinn der Klägerin für das Jahr 2008 von 21.183 Euro auszugehen.
3. Hilfsweise: Der Beklagte wird verpflichtet, bei der Bemessung des Elterngeldes für den 2009 geborenen Sohn E.
vom steuerlichen Gewinn der Klägerin für das Jahr 2008 in Höhe von 21.083 Euro lediglich die im Falle der getrennten
Veranlagung hierauf entfallenden Steuern in Abzug zu bringen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akte des Zentrums
Bayern Familie und Soziales Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben
(§§ 51, 54, 57, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Der während der Laufzeit des Klageverfahrens ergangene
endgültige Bescheid vom 16.11.2010 ist über § 96 SGG Gegenstand des laufenden Rechtsstreits geworden. Zwar hat
dieser Bescheid den angefochtenen Ausgangsbescheid im Ergebnis bestätigt; tendenziell wäre durch ihn jedoch eine
Abänderung des Ausgangsbescheides bewirkt worden, wenn zwischenzeitlich ein abweichender Sachverhalt
aufgetreten wäre.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abänderung der angefochtenen Bescheide
und Zahlung eines höheren Elterngeldes.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin nach § 1 BEEG Anspruch auf Zahlung von Elterngeld in den
ersten 12 Lebensmonaten ihres Kindes E. hat. Auch dass die Berechnung der Höhe des Elterngeldes nach § 2 Abs. 9
BEEG vorzunehmen ist, weil von der Klägerin in den letzten Jahren bis zur Geburt des Kindes durchgängig eine
selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt worden war, wird von der Klägerin nicht angegriffen.
Sie hält jedoch eine andere Gesetzesanwendung für geboten. Da im Einkommensteuerbescheid von ihr keine Steuer
verlangt worden sei und sie auch keine Zahlungen habe erbringen müssen - das sei alles bereits durch Abzug vom
Lohn ihres Ehemannes erbracht worden – sei der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Gewinn unverkürzt der
Elterngeldberechnung zu Grunde zu legen. Dabei verkennt die Klägerin jedoch, dass eine Steuerschuld
selbstverständlich auch anders als durch Forderung einer Geldzahlung – nämlich durch Aufrechnung – eingezogen
werden kann und bei einer gemeinsamen Veranlagung dies sich auch auf eine Aufrechnung gegen den mitveranlagten
Ehepartner bezieht. Die Klägerin hat selbstverständlich eine Steuerschuld gehabt und diese getilgt.
Aus den rechtlichen Gegebenheiten könnte man eigentlich eher auf den Gedanken kommen, vom Einkommen der
Klägerin die gesamte Einkommensteuerschuld und den Solidaritätszuschlag in Abzug zu bringen, weil die Klägerin bei
der hier bestehenden gemeinsamen Veranlagung für die gesamte Steuerschuld zahlungsverpflichtet ist, was wohl
dazu führen würde, dass Elterngeld nur in Höhe des Mindestbetrages zu zahlen wäre.
Diese Ergebnis ist jedoch aus Sicht des Gerichtes ebenso unvertretbar, wie das von der Klägerin im Hauptantrag
angestrebte Ziel keinerlei Steuer vom (Gewinn-) Einkommen abzuziehen. Deshalb ist es aus dem Sinn und Zweck
des Gesetzes abzuleiten, dass bei einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung von Eheleuten nur der auf das
Einkommen des jeweiligen Antragstellers von Elterngeld entfallende steuerliche Anteil in Abzug zu bringen ist. Daran
ändert auch die Beteiligung eines nichtselbständig erwerbstätigen Ehegatten nichts, weil dort die gewählte
Steuerklasse entweder die Einkommensverhältnisse abbildet oder eine im Rahmen des Elterngeldes zu
respektierende Entscheidung der Betroffenen vorliegt (vgl. BSG, Urt. v. 25.06.2009, B 10 EG 3/08 R).
Eine anteilsmäßige Verteilung der gemeinsamen Steuerschuld nach den Einkommensanteilen der Beteiligten – wie sie
der Beklagte vorgenommen hat – ist somit die dem Gesetzessinn entsprechende Vorgehensweise und aus Sicht des
Gerichtes nicht zu beanstanden.
Die von der Klägerin im Hilfsantrag geforderte fiktive Einzelberechnung, in welcher Höhe bei einer Einzelveranlagung
für das von ihr erzielte Einkommen aus Gewerbebetrieb Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag angefallen wären,
ist zwar ebenfalls eine Möglichkeit die Steuerschuld aufzuteilen. Gegen diese Lösung spricht zunächst ein erheblicher
Verwaltungsaufwand, den der Gesetzgeber vermeiden wollte, wie man aus der Gestaltung des § 2 BEEG entnehmen
kann, der stets versucht auf bereits vorhandene Berechnungen (Lohnunterlagen, Einkommensteuerbescheid)
zurückzugreifen. Weiter würde dies in Fällen, in denen beide Ehepartner Elterngeld beantragen – was der Gesetzgeber
ja anstrebt – zu einem von der tatsächlichen Steuerlast abweichenden Ergebnis führen und den besser verdienenden
Elternteil von einer eigenen Erziehungszeit eher abhalten. Zentral aus Sicht des Gerichtes ist jedoch der Gedanke der
Einheitlichkeit der Rechtsanwendung: Wenn sich die Klägerin im Steuerrecht zu einer bestimmten Vorgehensweise
(gemeinsame Veranlagung) entscheidet, dann ist sie auch im darauf aufsetzenden Sozialrecht nicht als
Einzelveranlagte zu behandeln. Die steuerliche Besserstellung ihres Ehemannes zu ihren eigenen Lasten ist eine
eigene Entscheidung der Klägerin. Da sie zu einer Optimierung des Familieneinkommens führen kann, liegt darin auch
keine Art. 6 GG entgegenstehende Benachteiligung von Ehe und Familie. Die Klägerin muss sich aber an der von ihr
getroffenen, ihr eigenes Nettoeinkommen mindernden Entscheidung festhalten lassen. Dies ist ebenso zu sehen, wie
in einem fiktiven Fall, in dem eine Ehefrau zu Gunsten des Gewerbetriebes ihres Ehegatten, in dem sie beschäftigt
ist, auf einen höheren Lohn verzichtet.
Die gesetzliche Regelung ist auch im Gesamtgefüge der Gesetze stimmig, da das Elterngeld als steuerfinanzierte
Sozialleistung einen starken Bezug zum entsprechenden Steu-eraufkommen aufweist.
Dementsprechend ist die Klage in Haupt- und Hilfsantrag abzuweisen.
Nachdem die Klägerin mit ihrer Klage keinen Erfolg gehabt hatte, sind ihr auch außergerichtliche Kosten nicht zu
erstatten (§ 193 SGG).