Urteil des SozG Wiesbaden vom 09.05.2008

SozG Wiesbaden: bezirk, versorgung, entstehungsgeschichte, hessen, krankenkasse, behandlung, verwaltungsakt, gerichtsverfassungsgesetz, ausschreibung, konzentration

Sozialgericht Wiesbaden
Beschluss vom 09.05.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 17 KR 93/08 ER
Das Sozialgericht Wiesbaden erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das Sozialgericht
Marburg, Gutenbergstr. 29, 35037 Marburg.
Gründe:
Gemäß § 57 Abs.1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist örtlich zuständig das Gericht, in dessen Bezirk die
Antragstellerin zur Zeit der Antragstellung ihren Sitz hat. Hiernach ist für den Rechtsstreit das Sozialgericht Marburg
zuständig, da F. im Bezirk dieses Gerichts liegt.
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit des Sozialgerichts Wiesbaden nach § 57a Abs. 3 SGG i. d. F. des
Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S
444) liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist in Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf
Landesebene betreffen, mangels landesrechtlicher Spezialregelung in Hessen das Sozialgericht zuständig, in dessen
Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat. Mit der Neuregelung des § 57a SGG sollte in Abkehr von der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 27. Mai 2004, Az.: B 7 SF 6/04 S) lediglich redaktionell
klargestellt werden, dass die Vorschrift nicht auf Vertragsarztangelegenheiten beschränkt ist (BR-Drucks. 820/07, S.
20; Tabbara NZS 2008, 1 (13) m. w. N. zur Entstehungsgeschichte). § 57a Abs. 3 SGG n. F. begründet nach
Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des Gesetzes aber keine neue Generalzuständigkeit dergestalt, dass die
Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Landesregierung bereits gegeben wäre, wenn die Angelegenheit
Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene nur berührt. Insbesondere sollte keine Auffangzuständigkeit für alle
sonstigen Leistungserbringerstreitigkeiten im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen werden (Jung
in: Jansen (Hrsg.), SGG, 2. Aufl., § 57a Rn. 7 zum Streit um die Vorgängerregelung; i. Erg. auch Hess. LSG, Beschl.
vom 24. Mai 2002, Az.: L 9 SF 14/02 zum Parallelproblem bei Streitigkeiten um die Krankenhausvergütung).
Angelegenheiten "betreffen" hiernach Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene, wenn eine solche
Entscheidung oder ein solcher Vertrag selbst Streitgegenstand ist, z. B. das Bestehen oder der Abschluss in Streit
stehen. Weiterhin sind Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene "betroffen", wenn nach dem Antragsteller-
oder Klägervortrag gerade die Auslegung einer solchen Entscheidung oder eines solchen Vertrages streitentscheidend
sein soll. Bei der weiteren Konkretisierung der Norm im Einzelfall muss der Sinn und Zweck der Regelung
auslegungsleitend sein, nämlich ob aus Gründen der Verfahrensökonomie, der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und
der Bündelung der Fachkompetenz am Sozialgericht eine Konzentration solcher Angelegenheiten am Gericht am Sitz
der Landesregierung angezeigt ist (vgl. BR-Drucks. 820/07, S. 20).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragstellerin - ein nach altem
Recht zugelassener Leistungserbringer - auch gegenwärtig noch berechtigt ist, Leistungen im Bereich der Versorgung
mit Hilfsmitteln (Dekubitusprophylaxe und –behandlung) für die Antragsgegnerin - eine Krankenkasse - zu erbringen,
obwohl diese bereits nach neuem Recht nach einer Ausschreibung Verträge mit Dritten über die Versorgung mit Anti-
Dekubitus-Systemen geschlossen hat. Die Antragstellerin beruft sich auf die gesetzliche Übergangsvorschrift des §
126 Abs. 2 SGB V.
Das streitige Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin ist nicht durch einen
(Versorgungs-)Vertrag auf Landesebene geprägt, nach dem die Antragstellerin Vertragspartnerin der Landesverbände
der Krankenkassen wäre. Vielmehr berechtigt nach altem Recht primär die Zulassung nach § 126 Abs. 1 SGB V a. F.
zur Versorgung. Die Zulassung ist ein Verwaltungsakt, die Antragstellerin ist nicht an einem Vertrag auf Landesebene
beteiligt. Es wird aber auch nicht um die Zulassungsentscheidung gestritten, die eine Entscheidung auf Landesebene
darstellt; nach dem vorliegenden Sachvortrag und dem aus den veröffentlichten Parallelentscheidungen
hervorgehenden Sachverhalt stellt die Antragsgegnerin die alte Zulassung und deren Inhalt nicht in Frage. Vielmehr ist
allein die Auslegung der gesetzlichen Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 SGB V streitig, die das alte
zulassungsorientierte System der Leistungserbringung vom neuen vertragsbezogenen System abgrenzt. Nach den o.
g. Grundsätzen begründet ein etwaiger mittelbarer Bezug zur Zulassungsentscheidung, nämlich dass Begünstigte des
§ 126 Abs. 2 SGB V nur Zulassungsinhaber sind, kein hinreichendes "Betroffensein", da es – wie bereits ausgeführt –
um die Auslegung eines Bundesgesetzes geht und nicht um den Inhalt der Zulassungsentscheidung, zumal die
Antragsgegnerin an dem die Zulassung begründenden Rechtsverhältnis gar nicht beteiligt war, da die Zulassung durch
die Verbände der Krankenkassen in Hessen erteilt wurde. Sachliche Gründe für eine Verfahrenskonzentration in
Wiesbaden sind auch sonst nicht erkennbar, da gegenwärtig – wie die von der Antragstellerin vorgelegte
Rechtsprechung zeigt – bundesweit eine Vielzahl von Parallelstreitigkeiten geführt werden, bei denen das dortige
untergesetzliche Regelwerk auf Landesebene ebenfalls keine Rolle spielt.
Nach §§ 57 Abs. 1, 98 SGG ist der Rechtsstreit von Amts wegen an das örtlich zuständige Sozialgericht zu
verweisen. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 98 SGG i. V. m. § 17 a Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz).