Urteil des SozG Wiesbaden vom 19.05.2006

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Sozialgericht Wiesbaden
Urteil vom 19.05.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 1 U 1528/04
Hessisches Landessozialgericht L 3 U 159/06
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung eines Ereignisses vom 22. November 2003 als Arbeitsunfall im
Streit. Der am 1. Februar 1950 geborene Kläger ist von Beruf Purser bei der Fluggesellschaft. Am 22. November 2003
hielt sich der Kläger berufsbedingt zwischen zwei Flügen in P. auf, als er gegen 1:30 Uhr Opfer eines Raubüberfalls
wurde. Dabei wurde der Kläger hochgehoben und auf den Boden fallengelassen. Nach dem Durchgangsarztbericht
vom 24. November 2003 erlitt der Kläger eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten
Schulter. Es wurde der Verdacht auf eine Rotatorenmanschettenruptur rechts diagnostiziert. Nach den
Unfallschilderungen des Klägers vom 24. Januar und 10. Februar 2004 endete seine Arbeitszeit am 21. November
2003 gegen 12:20 Uhr. Danach habe er sich ins Hotelzimmer begeben und sei gegen 19:30 Uhr zum Abendessen in
den Ort gegangen.
Durch Bescheid vom 18. Februar 2004 stellte die Beklagte fest, dass es sich bei dem Raubüberfall um keinen
Arbeitsunfall handele, da ein Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit nicht bestünde. Der Überfall habe sich ereignet,
als der Kläger seinen Dienst bereits beendet gehabt hätte. Auch das Motiv des Überfalls habe nicht im betrieblichen
Bereich gelegen.
Am 4. März 2004 erhob der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass in Fällen
von Dienstreisen in eine fremde Stadt der innere Zusammenhang eher zu bejahen sei. In der vorliegenden
Konstellation, in der sich das Ereignis auf dem Weg vom Abendessen ins Hotel ereignet hätte, sei von einem
Zusammenhang auszugehen. Zum tatsächlichen Ablauf gab der Kläger an, gemeinsam mit dem Kapitän und einer
Flugbegleiterin sich um 19:30 Uhr zu Fuß vom C-Hotel über die Straße "L. C." zu einem auf der Skizze, Blatt 40 der
Verwaltungsakte, als Punkt 2 bezeichneten Restaurant begeben zu haben, an dem man etwa kurz nach 20:00 Uhr
angekommen sei. Nachdem man dort gemütlich zu Abend gegessen habe, sei man gegen 23:30 Uhr wieder in
Richtung Hotel aufgebrochen und über die Straße "L. C." am Hotel vorbei in die Parallelstraße, Punkt 3 der Skizze,
gegangen zu sein, dort sei man gegen 0:10 Uhr angekommen. Nach einem gemütlichen Abschluss hätte sich der
Kläger gegen 1:25 Uhr von den beiden anderen getrennt und sei alleine die "C. C." in Richtung Hotel gegangen. Auf
der "C. C.", an Punkt 4, sei er überfallen worden. Dort befände sich ein Park. Der Eingang des Hotels befände sich in
der Straße "M. de S. D.". Durch Widerspruchsbescheid vom 18. August 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass sich der Kläger zum Zeitpunkt des Überfalls
eindeutig nicht mehr auf dem (versicherten) Rückweg vom Abendessen zum Hotel befunden habe. Mit dem
Vorbeigehen am Hotel bzw. dem Aufsuchen des weiteren Aufenthaltsortes hätte sich der Kläger gänzlich dem
eigenwirtschaftlichen, unversicherten Lebensbereich zugewandt. Der Rückweg von dort zum Hotel stünde daher in
keinem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit. Da die eigenwirtschaftliche Tätigkeit
die wesentliche Bedingung für den Überfall gesetzt habe, dienstliche Gründe hätten den Kläger nicht zum Ort des
Überfalls geführt, lasse sich Versicherungsschutz auch nicht dadurch begründen, dass der Kläger einer Gefahr
erlegen gewesen sei, die ihm an seinem Wohnort nicht begegnet wäre.
Am 15. September 2004 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Klagebegründung vertritt er die Auffassung, dass es nicht
darauf ankommen könne, ob er auf direktem Weg ins Hotel oder nach einem Aufenthalt in einem weiteren Lokal auf
dem Weg ins Hotel verunglückt sei.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
18. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.
November 2003 Leistungen aus der gesetzlichen Unfall- versicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 19. Mai 2006 informatorisch gehört. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls (Blatt 26 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und von der Beklagten
vorgelegten Verwaltungsakte (1 Band) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 22.
November 2003 als Arbeitsunfall und Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der
Folgen dieses Ereignisses. Nach § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von
Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte
Tätigkeit). Dies erfordert zunächst eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit und
dem Beschäftigungsverhältnis, den so genannten inneren Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende
Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dazu muss die Betätigung des Versicherten, bei der sich der Unfall
ereignet hat, mit dem Beschäftigungsverhältnis in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stehen. Ein derartiger
Zusammenhang wird zwar am Ort der auswärtigen Beschäftigung (auf Dienst- oder Geschäftsreisen) in der Regel eher
anzunehmen seien als am Wohn- oder Betriebsort. Auf Dienstreisen ist aber der Unfallversicherungsschutz nicht
schon deshalb ohne Weiteres gegeben, weil sich der Reisende in einer fremden Stadt aufhalten muss. Vielmehr ist
auch bei Dienstreisen zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich
wesentlich zusammenhängen, und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören. Der
Weg zur Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise gehört zu den Verrichtungen, die in ursächlichem
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, die den Versicherten in die fremde Stadt geführt hat. Der
Versicherungsschutz entfällt aber, wenn der Versicherte sich rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr
beeinflussten Belangen widmet (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. August 1981, Aktenzeichen: 2 RU 29/80;
Urteil vom 4. August 1992, Aktenzeichen: 2 RU 43/91 Soz. R. 3 – 2200 § 539 Nr. 17).
Unter Beachtung dieser Grundsätze befand sich der Kläger im Zeitpunkt des Raubüberfalls am 22. November 2003
gegen 1:30 Uhr nicht (mehr) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der
Kläger bereits rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen gewidmet. Entgegen der
von ihm vertretenen Auffassung war der Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit jedenfalls in dem Zeitpunkt
beendet, als er auf dem Rückweg vom Restaurant am Hotel vorbeigegangen und sich in Richtung der "B."-Kneipe
begeben hatte, die vom Restaurant kommend eine Straße hinter dem Hotel liegt. In dem Moment, in dem er anstatt
von der Straße "C. L." in die Straße "M. de S. D.", an der der Eingang des Hotels gelegen ist, weiter auf der Straße
"C. L." gelaufen und in die nächste Querstraße eingebogen ist, um die besagte Kneipe aufzusuchen, befand er sich
nicht mehr auf einem versicherten Weg. Zu diesem Zeitpunkt war der Weg von der Nahrungsaufnahme eindeutig
beendet bzw. abgebrochen und ein rein eigenwirtschaftlichen Zielen dienender neuer Weg eingeschlagen worden. Bei
dem vom Kläger als gemütlicher Ausklang bezeichneten gemeinsamen Konsum einiger Gläser Bier in der "B."-Kneipe
handelt es sich eindeutig nicht um eine noch der betrieblichen Tätigkeit am fremden Ort zuzuordnenden
Nahrungsaufnahme, sondern um eine hiervon losgelöste, dem persönlichen Vergnügen dienende Tätigkeit. Der
danach einmal abgebrochene versicherungsrechtlich geschützte Weg ist auch nicht bei Antritt der Rückkehr von der
"B."-Kneipe in Richtung Hotel wieder aufgenommen worden, da mit der Ankunft des Kläger in Höhe des Hotels gegen
etwa 0:00 Uhr der Weg von der Essensaufnahme (endgültig) abgebrochen war.
Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, dass der Kläger auf dem Weg von der "B."-Kneipe zum Hotel
einer Gefahr ausgesetzt war, der er zu Hause nicht ausgesetzt gewesen wäre. Auch im Falle einer direkten Rückkehr
vom Restaurant ins Hotel wäre der Kläger der gegen 1:30 Uhr verwirklichten Gefahr nicht ausgeliefert gewesen.
Nach alledem ist das Ereignis vom 22. November 2003 nicht als Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).