Urteil des SozG Trier vom 16.02.2011

SozG Trier: befreiung, private krankenversicherung, versicherungspflicht, student, psychologie, universität, rücknahme, willenserklärung, krankenkasse, begriff

Sozialrecht
SG
Trier
16.02.2011
S 5 KR 119/10
Befreiung von der Krankenversicherungspflicht der Studenten
Die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht der Studenten gilt solange, wie in der Person des
Befreiten der Tatbestand einer - an sich bestehenden - Versicherungspflicht als eingeschriebener Student
erfüllt ist.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Mit der am 10.09.2010 beim Sozialgericht Trier erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom
12.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2010 begehrt der Kläger die
Feststellung, dass er ab 01.10.2009 wieder in der Krankenversicherung der Studenten
versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist.
Der 1985 geborene Kläger war in der Vergangenheit über seinen Vater bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen krankenversichert. Mit Beginn des Studiums der Agrarwissenschaften
zum Wintersemester 2005/2006 an der Universität H , beantragte er bei der AOK Stuttgart die
Befreiung von der Krankenversicherung für Studenten. Diese teilte ihm mit Schreiben vom 17.10.2005 (Bl.
20 Krankenkassenakte) mit
"Sie sind ab 17.05.2005 für die Dauer Ihres Studiums von der Krankenversicherungspflicht der Studenten
befreit.
Wichtig für Sie ist: Diese Befreiung kann nicht widerrufen werden. Sie gilt auch dann, wenn
sie die Hochschule wechseln
sie das Studium unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen
Ihre private Krankenversicherung während des Studiums endet".
Mit Ablauf des Wintersemesters 2006/2007 brach der Kläger das Studium der Agrarwissenschaften ab.
Probleme, die privaten und beruflichen Ziele zu definieren, hätten einen längeren Klärungsprozess
erfordert. Danach war er in der Folgezeit freiwillig krankenversichert.
Zum Wintersemester 2009/2010 begann er ein Studium der Psychologie an der Universität Trier.
Die Beklagte lehnte es ab, den Kläger ab 01.10.2009 in der Krankenversicherung der Studenten zu
versichern. Die frühere Befreiung könne nicht widerrufen werden.
Der Kläger ist der Ansicht, es gehe um die Frage, ob und wann die Befreiung wieder aufzuheben sei oder
ihre Wirksamkeit durch Erledigung ende. Das Gericht habe zu prüfen, ob er auf der Grundlage des
Schreibens der AOK Stuttgart vom 17.10.2005 zumindest davon ausgehen durfte, dass die im Oktober
2005 ausgesprochene Befreiung mit Abbruch des Studiums der Agrarwissenschaften beendet war
(Exmatrikulationsbescheid vom 07.03.2007). Danach seien (nicht nur kurzfristig)
Pflichtversicherungsbeiträge zur AOK Niedersachsen entrichtet worden, so dass die für den „alten"
Sachverhalt erteilte Befreiung erloschen sei (Hampel in: jurisPK-SGB V, § 8 SGB V Rn. 105). Das Studium
sei mithin nicht unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt worden. Es sei abgebrochen
und es sei auch nicht wieder aufgenommen worden. Zum Wintersemester 2009/10 sei vielmehr ein neues,
anderes Studium begonnen worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2010
aufzuheben,
festzustellen, dass er ab 01.10.2009 in der Krankenversicherung der Studenten versicherungspflichtiges
Mitglied der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich hierzu auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Der Kläger habe sich bei
Aufnahme des Erststudiums von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V auf Antrag befreien
lassen. Der entsprechende Antrag vom 17.10.2005 stelle eine einseitige, empfangsbedürftige
Willenserklärung dar. Nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V wirke die Befreiung vom Beginn
der Versicherungspflicht an; sie könne nicht widerrufen werden. Dies habe zugunsten des Antragstellers
zur Folge, dass seitens der Krankenkasse ein Widerruf der Befreiung und dessen Aufhebung
ausgeschlossen seien. Nur im Falle einer rechtswidrigen Befreiung oder einer Nichtigkeitsentscheidung
wäre eine Rücknahme möglich. Die Eigenschaft des Befreiungsantrages als Willenserklärung bedinge
zugleich, dass der Antragsteiler hieran gebunden ist. Eine Rücknahme wäre nur dann denkbar, wenn
noch keine rechtskräftige Entscheidung der Krankenkasse über die Befreiung vorliegt. Aus der
Unwiderruflichkeit des Befreiungsantrages für das Erststudium folgt zugleich, dass bei Aufnahme eines
Zweitstudiums eine Rückkehr in die Krankenversicherung der Studenten nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V
ausgeschlossen sei. Ausnahmetatbestände für die Unwiderruflichkeit der Befreiung habe der
Gesetzgeber ausdrücklich nicht vorgesehen. Nach einer wirksamen Befreiung sei auch bei Aufnahme
eines Zweit-Studiums eine Rückkehr in die Krankenversicherung der Studenten nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB
V ausgeschlossen (Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 22.11.2004, Az. S 8 KR 608/04 ER).
Zur Ergänzung des Tatbestands im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die Beklagtenakten Bezug
genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 90, 87 SGG) erhoben, hat aber in der
Sache keinen Erfolg, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass er ab 01.10.2009 wieder versicherungspflichtiges Mitglied
der Beklagten in der Krankenversicherung der Studenten ist.
Zur weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird zunächst auf die hierzu in den angefochtenen
Bescheiden enthaltenen Ausführungen Bezug genommen, denen sich das Gericht nach erneuter
Überprüfung anschließt, weil es sie für zutreffend erachtet (§ 136 Abs 3 SGG). Es ergänzt diese
Darlegungen mit folgenden Hinweisen:
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V sind in der Krankenversicherung versicherungspflichtig grundsätzlich
Studenten
Abschluss des vierzehnten Fachsemesters, in der Regel längstens bis zur Vollendung des dreißigsten
Lebensjahres.
Gemäß § 8 Abs 1 Nr 5 SGB V wird
auf Antrag
versicherungspflichtig wird durch die Einschreibung als Student (§ 5 Abs. 1 Nr. 9).
Diese Befreiung kann nicht widerrufen werden
Dies bedeutet: die vorliegend mit Bescheid der AOK Stuttgart vom 17.10.2005 ausgesprochene Befreiung
gilt solange, wie in der Person des Klägers der Tatbestand einer - an sich bestehenden -
Versicherungspflicht als eingeschriebener Student erfüllt ist - oder kurz formuliert - für die Dauer seines
"Studiums". Dabei spielt es keine Rolle, welches Fach der Kläger studiert, ob er das "Studium" für kürzere
oder längere Zeitdauer unterbricht, die Fachrichtung, die Art der Hochschule (Universität, Hochschule
oder Fachhochschule) oder nur den Hochschulort wechselt oder sich z.B. nach einer Exmatrikulation
wieder erneut einschreibt.
Auch der im Bescheid vom 17.10.2005 genannte Begriff des "Studiums" ist nicht auf ein konkretes Studium
in einer bestimmten Fachrichtung (zB als Agrarwissenschaftler) bezogen, mit der Folge, dass der spätere
Beginn eines Studiums in einer neuen Fachrichtung (Psychologie) nicht mehr von der Befreiung umfasst
wäre.
Die im Bescheid ausgesprochene Befreiung erledigt sich deshalb auch nicht durch die (vorläufige)
Beendigung oder Abbruch eines Studiums in einer bestimmten Fachrichtung. Der Kläger, der später in
Trier Psychologie studierte, setzt vielmehr damit seine Studienzeit, sein "Studium" fort, wenngleich in einer
ganz anderen Fachrichtung. Auch die vom Kläger zitierte Auffassung von Hampel (jurisPK-SGB V, § 8
SGB V, Rz 105) bezieht sich nur auf das "Auftreten eines neuen, den bisherigen
Pflichtversicherungstatbestand ablösenden Pflichtversicherungstatbestandes", schließt aber keineswegs
die Fortwirkung der Befreiungsentscheidung für später wieder durchgeführte Studienzeiten aus und wäre
im Übrigen ansonsten auch nicht zutreffend.
Denn auch bei Aufnahme eines Zweit-Studiums ist eine Rückkehr in die Krankenversicherung der
Studenten nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat die erneute Eröffnung der
KVdS für ein "Zweit-Studium" generell nicht vorgesehen. Denn der Student soll nach dem erkennbaren
Gesetzeszweck seine Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht individuell nach seinem
persönlichen Bedarf bestimmen können (Sozialgericht Leipzig, Beschluss vom 22.11.2004 - Az: S 8 KR
608/04 ER). Deshalb ist auch nicht entscheidend, ob sich der Kläger in der Zwischenzeit "innerlich" schon
einmal vom Gedanken an eine Fortführung seiner Studienzeiten verabschiedet und eine Beschäftigung
aufgenommen hatte. Entscheidend bleibt vielmehr die
unwiderrufliche
Krankenversicherung der Studenten, weshalb die Klage keinen Erfolg haben konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung gegen dieses Urteil ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 SGG).