Urteil des SozG Stuttgart vom 18.12.2014

subjektives recht, spezialisierung, vergütung, gemeinschaftspraxis

SG Stuttgart Urteil vom 18.12.2014, S 4 KA 2452/10
Vertragsärztliche Vergütung - Tragen des Rentabilitätsrisikos bei
selbstgewählter Spezialisierung durch den Vertragsarzt - kein Vergleich der
Honorierung stationärer Operationen mit ambulanten Operationen - Anspruch
auf höheres Honorar aus Art 12 GG
Leitsätze
1. Ein Vertragsarzt trägt das Risiko der Rentabilität bei selbstgewählter Spezialisierung
innerhalb eines Fachgebiets.
2. Ein Vergleich der Honorierung stationärer Operationen mit ambulanter Operationen
scheidet von vorneherein aus, da die Vergütungssysteme grundsätzlich nicht
vergleichbar sind.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 70.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe der Vergütung von Leistungen des
ambulanten Operierens in den Quartalen II-IV/2005, I-IV/2006, II-IV 2007 und I-
IV/2008.
2 Die Klägerin betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum als BGB-Gesellschaft eine
Orthopädische Gemeinschaftspraxis, die in Pforzheim an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnahm. Prof. Rieser und die anderen Partner der
Gemeinschaftspraxis führten im streitbefangenen Zeitraum in großer Zahl
ambulante Operationen an Patienten durch, die im Anschluss daran stationär in die
Arcus-Sportklinik aufgenommen wurden. Die Arcus-Sportklinik ist eine Privatklinik
in der Rechtsform einer GmbH, bei der Prof. Rieser Mehrheitsgesellschafter ist.
3 Mit ihren Widersprüchen wandte sich die Klägerin gegen die Honorarbescheide für
die Quartale II-IV/2005, I-IV/2006, II-IV 2007 und I-IV/2008 und die dort enthaltene
Vergütung der Leistungen des ambulanten Operierens.
4 Die Widersprüche wurden von der Beklagten mit zwei Widerspruchsbescheiden
vom 24.3.2010 zurückgewiesen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus,
die Honorarbescheide seien auf der Grundlage von gesamtvertraglichen
Vereinbarungen sowie Abrechnungs- und Honorarverteilungsregelungen
festgesetzt worden, die mit höherrangigem Recht vereinbar seien. Zudem wies sie
darauf hin, dass betreffend AOK, VdAK/AEV, BKK und IKK feste Punktwerte für
das ambulante Operieren nach Abschnitt 31.1. bis 31.4 EBM vereinbart worden
seien. Diese Einzelleistungen würden außerhalb der budgetierten
Gesamtvergütung mit einem festen vertraglich vereinbarten Punktwert vergütet.
5 Gegen die Bescheide hat die Klägerin am 23.4.2010 Klage zum Sozialgericht
Stuttgart erhoben. Die Klage ist erstmals am 9.3.2012 begründet worden. Die
Klägerin hat ein Privatgutachten der AHP Consult GmbH zur Nichtangemessenheit
der Punktzahlen im orthopädischen Teil des Kapitels 31 des ab dem 2. Quartal
2005 gültigen EBM und zu den Punktwertvereinbarungen der
Gesamtvertragspartner in Baden-Württemberg von Herrn ... vorgelegt. .
6 Die Klägerin führt aus, sie habe sich auf ambulante Operationen spezialisiert. Trotz
der außergewöhnlich hohen Qualität, die sie für die Versorgung der gesetzlich
krankenversicherten Patienten zur Verfügung stelle, sei die Leistungserbringung
im Ergebnis defizitär. Das wirtschaftliche Überleben der Praxis sei nur dadurch
gesichert, dass die Praxis über einen überdurchschnittlichen Anteil an
Privatpatienten verfüge. Das grundsätzliche Defizit aus der Behandlung gesetzlich
versicherter Patienten sei für die Klägerin nicht mehr hinnehmbar und müsse
korrigiert werden. Sie habe bereits alle Optimierungs- und
Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft, um die Kostenstruktur zu
verbessern. Das strukturelle Defizit der Leistungserbringung bleibe jedoch
bestehen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie einen Anspruch auf höhere
Bewertung der abgerechneten Punktzahlvolumina für ambulante Operationen
habe. Sie habe Anspruch auf Teilhabe an der von den Krankenkassen
entrichteten Gesamtvergütung. Dieser Teilhabeanspruch konkretisiere sich dann
zu einem subjektiven Recht auf Erhöhung der Vergütung, wenn der Betrieb einer
wirtschaftlich tragfähigen Praxis aufgrund der Festlegung der
Gesamtvertragspartner nicht (mehr) möglich sei. So läge der Fall hier. Die Klägerin
meint, sie könne aufgrund der für die ambulanten Operationen notwendigen
Spezialisierung auch keine anderen, höher bewerteten Leistungsbereiche für eine
Mischkalkulation heranziehen. Da sie eine der stationären Operation
vergleichbarer Leistung ambulant erbringt, sollten sich die
Punktwertvereinbarungen an den Vergütungen im stationären Bereich orientieren.
7 Die Klägerin beantragt,
8
die Beklagte unter Aufhebung der streitgegenständlichen Honorarbescheide in
Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24.3.2010 zu verurteilen, der Klägerin
höhere Honorare zu gewähren.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Sie beruft sich auf die angefochtenen Bescheide.
12 Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakte,
sowie die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die fristgemäß erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
14 Gegenstand des Rechtsstreits sind die Honorarbescheide für die Quartale II-
IV/2005, I-IV/2006, II-IV 2007 und I-IV/2008 in der Gestalt der
Widerspruchsbescheide vom 24.3.2010.
15 Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen demnach die Klägerin nicht in ihren
Rechten.
16 Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Honorar für die von den Ärzten der
Gemeinschaftspraxis durchgeführten ambulanten Operationen bei gesetzlich
versicherten Patienten.
17 Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung
vertragsärztlichen Honorars ist § 85 Abs. 4 S. 1 bis 3 SGB V in der im jeweils
streitigen Quartal geltenden Fassung i.V.m. den Regelungen des
Honorarverteilungsvertrages (HVV) der Beklagten. Danach steht jedem
Vertragsarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den Krankenkassen
entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von
ihm erbrachten abrechnungsfähigen Leistungen nach Maßgabe der
Verteilungsregelungen im HVV zu.
18 Grundlage der Bewertung von ärztlichen Leistungen und damit Grundlage für die
Honorierung ist der für das jeweilige Quartal gültige einheitliche
Bewertungsmaßstab (EBM), den die Kassenärztliche Bundesvereinigung gem. §
87 Abs. 1 SGB V mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen (jetzt GKV-
Spitzenverband) durch Bewertungsausschüsse vereinbart.
19 Es ist zwischen den Beteiligten unumstritten, dass die Beklagte die für die
streitgegenständlichen Quartale geltenden Honorarvorschriften richtig umgesetzt
hat. Streitig vielmehr ist, ob die Bewertung ambulanter Operationsleistungen durch
den Bewertungsausschuss fehlerhaft ist und sich ein Individualanspruch auf
höheres Honorar aus § 72 SGB V i.V.m. Art. 12 GG ergibt.
20 Nach § 87 Abs. 2 SGB V bestimmt der EBM den Inhalt der abrechnungsfähigen
Leistungen und ihr wertmäßiges, in Punkten ausgedrücktes Verhältnis zueinander.
Dabei erschöpft sich die Funktion des EBM nicht darin, einzelne ärztliche
Leistungen unter Berücksichtigung medizinischer, betriebswirtschaftlicher und
sonstiger Gesichtspunkte zu bewerten. Vielmehr hat der EBM auch das ärztliche
Leistungsverhalten zu steuern. Dabei kommt dem Bewertungsausschuss
gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit zu, die von den Gerichten nur sehr
eingeschränkt überprüft werden kann. Überprüft werden kann nur, ob die Grenzen
der Rechtsetzungsbefugnis durch den Normgeber überschritten wurden. Dies
wäre nur dann der Fall, wenn sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass die
Entscheidung des Bewertungsausschusses von sachfremden Erwägungen
getragen ist. Grundsätzlich ist jedoch beim EBM von einem umfassenden und als
ausgewogen zu unterstellenden Tarifgefüge auszugehen. (vgl. BVerfG SozR 4-
2500 § 87 Nr. 6; BSG B 6 KA 33/01 R).
21 Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Bewertungsausschuss bzgl. der
Bewertung ambulanter Operationen seine Grenzen überschritten hat. Zwar bleibt
unklar, welche und in welchem Umfang Beurteilungsrundlagen bei der Bewertung
zugrunde lagen. Zudem haben die Kläger schlüssig vorgetragen, dass bei ihr eine
reine Spezialisierung auf ambulante Operationen mit einem erhöhten ambulanten
Beratungsbedarf vor diesen Operationen für sich alleine nicht wirtschaftlich
realisierbar ist. Jedoch darf bei der Bewertung von Leistungen einer
Facharztgruppe (hier orthopädische Leistungen) nicht nur auf einen Teilbereich
abgestellt werden, sondern auf das gesamte Spektrum der wesentlichen
Leistungen des gesamten Fachgebiets. Denn jeder zugelassene Facharzt hat alle
wesentlichen Leistungen des Fachgebiets anzubieten und zu erbringen. Er hat
keinen Anspruch auf Berücksichtigung selbst gewählter Behandlungsausrichtung,
individueller Praxisstrukturen und individueller Kostenstrukturen. Spezialisiert sich
ein Arzt innerhalb seines Gebietes auf wenige ausgewählte Leistungen mit der
Folge, dass ein wirtschaftlicher Ausgleich zwischen einer größeren Zahl
unterschiedlicher Leistungen nicht mehr möglich ist, so muss er das Risiko der
mangelnden Rentabilität der von ihm betriebenen Spezialpraxis tragen (BSG B 6
RKa 6/96).
22 So liegt der Fall bei der Klägerin. Sie hat sich mit der Gemeinschaftspraxis so weit
spezialisiert, dass sie auch das wirtschaftliche Risiko der Spezialisierung tragen
muss. Wenn die Kläger ausführen, dass von Patienten und der Politik die
Spezialisierung immer mehr gefordert werde, so ist dies solange irrelevant, solange
der Bewertungsausschuss dies nicht im EBM umsetzt.
23 Ein Anspruch auf höheres Honorar kann die Klägerin auch nicht aus § 72 Abs. 2
SGB V i.V.m. Art. 12 GG herleiten. Nach § 72 Abs. 2 SGB V müssen die ärztlichen
Leistungen angemessen vergütet werden. Grundsätzlich enthält § 72 Abs. 2 SGB
V kein subjektives Recht von Leistungserbringern auf ein konkretes Honorar.
Vielmehr erfolgt die Vergütung nach den Regeln der §§ 85 SGB V ff. Ein solches
subjektives Recht auf höheres Honorar lässt sich unter Berücksichtigung der
Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG erst dann begründen, wenn durch die zu
niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das vertragsärztliche Versorgungssystem
als Ganzes oder zumindest in Teilbereichen, etwa in einer Arztgruppe, und als
Folge davon auch die berufliche Existenz der an dem Versorgungssystem
teilnehmenden Vertragsärzte, gefährdet wird (BSG B 6 KA 30/03, BSG B 6 KA
44/03). Dabei ist auf die gesamte betroffene Arztgruppe abzustellen und es sind
auch sonstige Verdienstmöglichkeiten, z.B. durch die Behandlung privat
Versicherter oder aufgrund stationärer Operationen, zu berücksichtigen.
Anhaltspunkte dafür, dass ein Systemversagen im Bereich der Beklagten für die
Fachgruppe der Fachärzte für Orthopäde im streitgegenständlichen Zeitraum
eingetreten sein könnte, sind weder von der Klägerin dargelegt noch aus dem
übermittelten Privatgutachten entnehmbar noch in anderer Weise ersichtlich.
Letztlich spricht auch die Gesamtkonstellation bei der Klägerin mit der Kombination
aus ambulanter Beratung der Patienten in der Gemeinschaftspraxis und
überwiegender stationärer Operation durch dieselben Ärzte in der Klinik nicht dafür,
dass sich die ärztliche Tätigkeit der betroffenen Ärzte wirtschaftlich nicht mehr
rechnet.
24 Ein Vergleich der Honorierung stationärer Operationen mit ambulanter Operationen
scheidet von vorneherein aus, da die Vergütungssysteme grundsätzlich nicht
vergleichbar sind.
25 Nach alledem kann die Klage keinen Erfolg haben.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs.1 VwGO und
berücksichtigt, dass die Klage nicht erfolgreich war.
27 Der Streitwert ergibt sich gem. § 52 Abs. 2 GKG aus dem Regelstreitwert von 5.000
EUR je streitgegenständlichem Quartal, da der Sach- und Streitstand für die
Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.
Gegenständlich sind 14 Quartale.