Urteil des SozG Stuttgart vom 21.05.2014

aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, überwiegendes öffentliches interesse, erwerbsfähigkeit

SG Stuttgart Beschluß vom 21.5.2014, S 18 AS 2698/14 ER
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Ersetzung der
Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt - fehlende vorherige
Verhandlung - abweichender Inhalt des Ersetzungsbescheides
Leitsätze
Es kann nur eine Eingliederungsvereinbarung zulässig durch Verwaltungsakt ersetzt
werden, über die zuvor mit dem Leistungsberechtigten verhandelt worden ist. Der
Erlass eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes mit
einem von der verhandelten Eingliederungsvereinbarung abweichenden Inhalt ist
rechtswidrig.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 06.05.2014
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16.04.2014 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu
erstatten.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin richtet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen
einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt der
Antragsgegnerin.
2 Die am ... geborene Antragstellerin steht im laufenden Bezug von Leistungen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Antragsgegnerin. Die
Antragstellerin übt eine selbständige Erwerbstätigkeit als Fachdozentin Mode aus.
Im Rahmen des Weiterbewilligungsantrags vom 03.03.2014 für die Zeit ab
01.04.2014 prognostizierte sie hierfür für die Zeit von 01.04.2014 bis 30.09.2014
Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 2.024,00 EUR und Betriebsausgaben
in Höhe von insgesamt 1.800,00 EUR. Für eine weitere selbständige Tätigkeit im
Bereich der Immobilienbetreuung gab die Antragstellerin für denselben Zeitraum
Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben von jeweils 0,00 EUR an.
3 Mit Bescheid vom 01.04.2014 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin
vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2013 in Höhe von
870,99 EUR monatlich.
4 Bereits im Rahmen eines Beratungsgesprächs am 30.01.2014 bot die
Antragsgegnerin der Antragstellerin den Abschluss einer
Eingliederungsvereinbarung mit den Zielen der Abklärung der gesundheitlichen
Situation und des Umfangs der Erwerbsfähigkeit bis zum 30.06.2014 sowie der
Stabilisierung der Selbständigkeit an.
5 Den Abschluss der Eingliederungsvereinbarung lehnte die Antragstellerin unter
Berufung auf ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen, welche nicht
berücksichtigt worden seien, ab.
6 Ein weiteres, für den 03.03.2014 geplantes Beratungsgespräch fand aufgrund
einer Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin nicht statt.
7 Mit Datum vom 05.03.2014 erließ die Antragsgegnerin eine bis 04.09.2014 gültige
Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt mit den Inhalten der angebotenen
Eingliederungsvereinbarung vom 30.01.2014, wobei die Abklärung der
gesundheitlichen Situation und des Umfangs der Erwerbsfähigkeit nunmehr bis
zum 31.07.2014 erfolgen sollte.
8 Diesen Verwaltungsakt hob die Antragsgegnerin auf den Widerspruch der
Antragstellerin mit Bescheid vom 16.04.2014 wieder auf.
9 Zugleich erließ die Antragsgegnerin unter dem 16.04.2014 erneut eine
Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt mit Gültigkeit vom 23.04.2014 bis
14.10.2014 folgenden Inhalts:
10
Ziele
:
11 Beendigung der Selbständigkeit als Integrationsstrategie im Haupterwerb zum
31.07.2014 und Änderung der Integrationsstrategie ab 01.08.2014.
12 Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in der
Bekleidungsindustrie oder im Bekleidungshandel oder einer anderen zumutbaren
sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, im die Hilfebedürftigkeit zu beenden oder
zu reduzieren.
13
1. Ihr Träger für Grundsicherung, das Jobcenter …, unterstützt Sie mit
folgenden Leistungen zur Eingliederung
14 - Beratung zu Ihren Leistungen nach dem SGB II bei Ihrem persönlichen
Ansprechpartner.
15 - Tatsächlich entstandene Fahrtkosten, die aus Anlass der Meldung nach § 59
SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III (schriftliche Einladung des Jobcenters zu
Meldeterminen) sowie durch Einladungen des Medizinisch-Psychologischen
Dienstes entstehen, können auf Antrag und nach Vorlage des Nachweises
übernommen werden (§ 309 Abs. 4 SGB III).
16
Förderung aus dem Vermittlungsbudget
17 1.) Gewährung eines Bewerbungskostenzuschusses nach Erbringen der
erforderlichen Nachweise; Ihr Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten für
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse durch die Übernahme von
Kosten für Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II in Verbindung
mit §§ 44 SGB III.
18 Für die in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Anzahl der Bewerbungen
können Sie auf Antrag folgende Kostenerstattung erhalten:
19 Für qualifizierte, zielführende Bewerbungsunterlagen 5,- EUR je
Bewerbungsunterlage, für eine qualifizierte Online-Bewerbung können jeweils
0,20 EUR erstattet werden.
20 2.) Ihr Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten für
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse nach Maßgabe des § 16 Abs. 1
SGB II in Verbindung mit §§ 44 SGB III durch die Übernahme von Fahrtkosten zu
Vorstellungsgesprächen, insbesondere in den Regionen … auf Antrag und
Nachweis des Arbeitgebers (Vorstellungstermin und Fahrtkosten), sofern dies im
Voraus per Email oder schriftlich beantragt worden ist. Bitte setzen Sie sich
diesbezüglich mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner des Jobcenters in
Verbindung.
21 3.) Für die Förderung aus dem Vermittlungsbudget sind eine vorherige schriftliche
Antragstellung, ordnungsgemäße Bewerbungsunterlagen und die Vorlage der
geforderten Nachweise Voraussetzung. Dies gilt für die Punkte 1.) und 2.).
22
2. Bemühungen von Frau … zur Eingliederung in Arbeit
23 - Sie sind verpflichtet, alle Möglichkeiten zur Verringerung und zur Beendigung der
Hilfebedürftigkeit zu nutzen. Sie müssen Ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des
Lebensunterhalts für sich und die mit Ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen einsetzen.
24 - Ihre Bemühungen um Arbeit haben in allen Bereichen, auf alle zumutbaren
Tätigkeiten, sowohl sozialversicherungspflichtig als auch geringfügig, befristet
oder unbefristet, nicht nur auf erlernte oder bereits ausgeübte Tätigen, zu
erfolgen.
25
Regelmäßige Bewerbungen
26 - Sie verpflichten sich zu den folgenden Eigenbemühungen:
27 - Sie unternehmen während der Gültigkeit der Eingliederungsvereinbarung
monatlich mindestens 3 Bewerbungsbemühungen um
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse (in Teilzeit oder Vollzeit,
mehr als 15 Stunden pro Woche), insbesondere bezüglich der Berufsbilder als
Modedesignerin, Schneiderin oder Verkaufsberaterin oder sonstige zumutbare
sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten insbesondere in den Regionen … und
legen hierüber Ihrem persönlichen Ansprechpartner in Ihrem Jobcenter folgende
Nachweise vor:
28
- Vollständiges, aussagekräftiges und individuelles Anschreiben an den
Arbeitgeber,
- Eingangsbestätigungen oder/und Absagen des Arbeitgebers, bei Online-
Bewerbungen reichen Sie bitte den jeweiligen Sendebericht ein.
29 - Die Nachweise sind monatlich, jeweils zum 10. des Monats, erstmals am
10.06.2014, Ihrem persönlichen Ansprechpartner im Jobcenter vorzulegen.
30 - Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tage nach Erhalt des
Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie von Ihrem Jobcenter
erhalten haben. Als Nachweis über Ihre unternommenen Bemühungen füllen Sie
die dem Vermittlungsvorschlag beigefügte Antwortmöglichkeit aus und legen
diese Ihrem persönlichen Ansprechpartner vor.
31 - BEACHTEN SIE: Vermittlungsvorschläge und Stellenangebote des Jobcenters
zählen nicht zu denen von Ihnen zu erbringenden Eigenbemühungen!
32
Bewerbungsunterlagen
33 Bis zum 19.05.2014 ist eine Musterbewerbungsmappe (bestehend aus
Anschreiben, Lebenslauf, Lichtbild, Zeugnisse) bei Ihrem persönlichen
Ansprechpartner in Ihrem Jobcenter einzureichen.
34
Sonstiges
35 Außerdem teilen Sie alle leistungs- und arbeitsvermittlungsrelevanten Änderungen
Ihrem Jobcenter zeitnah mit.
36 Rechtsfolgenbelehrung:
…"
37 Mit Schreiben vom 06.05.2014 legte die Antragstellerin gegen die
Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt Widerspruch ein. Die
Voraussetzungen gemäß § 15 SGB II lägen nicht vor. Zum einen sei noch nicht
hinreichend geklärt, ob die Antragstellerin erwerbsfähig sei. Beim Sozialgericht …
sei ein Verfahren wegen Erwerbsminderungsrente anhängig. Selbst die beratende
Ärztin der Antragsgegnerin sei der Ansicht, dass zunächst der Abschluss des
sozialgerichtlichen Verfahrens abzuwarten sei. Zudem dürfe die Behörde die
Eingliederungsvereinbarung lediglich dann durch einen Verwaltungsakt ersetzen,
falls ein Gespräch zwischen dem Betroffenen und dem Jobcenter scheiterte und
die Eingliederungsvereinbarung schließlich vom Hilfebedürftigen abgelehnt werde.
Selbst, wenn man davon ausgehe, dass die Voraussetzungen gegeben seien,
stelle sich die Frage, warum die Eingliederungsvereinbarung vom 16.04.2014
entgegen den Zielen der Eingliederungsvereinbarung vom 05.03.2014 erlassen
worden sei. Aus Sicht der Antragstellerin sei eine Einigung dahingehend erzielt
worden, dass zunächst die gesundheitliche Situation und die Erwerbsfähigkeit
abgeklärt werden solle. Auch seien die Gründe für die Anordnung einer
Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt in der angegriffenen Entscheidung
nicht aufgeführt worden. Schließlich erschließe sich nicht, warum die
Antragstellerin nunmehr ihre selbständige Tätigkeit beenden solle. Sinn und Zweck
einer solchen Vereinbarung erschlössen sich insbesondere im Hinblick auf den
gesundheitlichen Zustand der Antragstellerin nicht.
38 Am 07.05.2014 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
zum Sozialgericht Stuttgart gestellt. Die Eingliederungsvereinbarung vom
16.04.2014 berücksichtige in keiner Weise die gesundheitliche Situation der
Antragstellerin. Ebenso werde die berufliche Situation der Antragstellerin verkannt.
Dazu verweist die Antragstellerin auf die Widerspruchsbegründung. Die
Durchsetzung der Ziele in der angegriffenen Eingliederungsvereinbarung beinhalte
die Gefahr einer Vereitelung der Rechte der Antragstellerin. Die Antragstellerin sei
auf selbständiger Basis als pädagogische Fachkraft an einer Schule im Bereich
Modedesign tätig. Soweit diese Selbständigkeit aufgegeben werde, sei nicht davon
auszugehen, dass die Antragstellerin von der Fachschule in der Zukunft wieder
beauftragt werde. Zudem sei noch nicht hinreichend geklärt, inwiefern die
Antragstellerin erwerbsfähig sei. Ob eine Tätigkeit in Festanstellung leidensgerecht
sei, müsse gleichfalls noch geklärt werden. Es gebe somit zurzeit keinen
vernünftigen Grund, die Antragstellerin zur Beendigung ihres erlernten und
ausgeübten Berufes zu verpflichten.
39 Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,
40 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 06.05.2014 gegen die
Eingliederungsvereinbarung vom 16.04.2014 anzuordnen.
41 Die Antragsgegnerin beantragt,
42 den Antrag abzulehnen.
43 Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung der
Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt. Ziel der
Eingliederungsvereinbarung sei die Beendigung der Selbständigkeit im
Haupterwerb und Änderung der Integrationsstrategie zum 01.08.2014 sowie die
Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit. Die Pflichten seien
bestimmt und zumutbar und entsprächen der verfolgten Eingliederungsstrategie.
Die Antragstellerin sei bei persönlichen Gesprächen nicht bereit gewesen, eine
Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen. Die Frage der Erwerbsfähigkeit sei
hier nicht relevant. Insbesondere werde darauf hingewiesen, dass von Seiten der
Antragstellerin unterschiedliche Angaben zu ihrer Erwerbsfähigkeit gemacht
würden. Einerseits wolle sie nicht erwerbsfähig sein, andererseits gebe sie an, in
ihrer selbständigen Tätigkeit erwerbsfähig zu sein. Zum Abwarten des Verfahrens
vor dem Sozialgericht bezüglich der Erwerbsfähigkeit sei die Antragstellerin nicht
verpflichtet. Beim Erlass der Eingliederungsvereinbarung seien die
Leistungsfähigkeiten und persönlichen Verhältnisse hinreichend berücksichtigt.
Die Verpflichtung zur Vorlage von 3 Eigenbemühungen sei überaus niedrig
angesetzt. Es sei der Antragstellerin nicht nahegelegt worden, die aktuelle Tätigkeit
als Selbständige aufzugeben, vielmehr sei das Ziel, dies im Haupterwerb zu
beenden, was nicht heiße, dass diese Tätigkeit nicht weiterhin nebenbei
ausgeführt werden könne. Vielmehr solle ein weiteres Tätigkeitsfeld erschlossen
werden. In der Vergangenheit sei die Antragstellerin seit 2010 nicht in der Lage,
nur aufgrund ihrer selbständigen Tätigkeit unabhängig von Leistungen nach dem
SGB II den Lebensunterhalt zu bestreiten. Zusätzlich seien die in der
Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten als zumutbar anzusehen, um
für die Zukunft eine optimale Eingliederung in Arbeit zu ermöglichen und die
Antragstellerin auf den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Ziele, die Leistungen
des Grundsicherungsträgers sowie die Verpflichtungen der Antragstellerin würden
konkret benannt. Dies genüge den diesbezüglichen Anforderungen an die
Bestimmtheit. Im Übrigen sei der Eingliederungsverwaltungsakt auch ausreichend
begründet. Der Bescheid sei erlassen worden, da Eingliederungsvereinbarungen
in persönlichen Gesprächen nicht zustande gekommen seien.
II.
44 Der Antrag ist zulässig und begründet.
45 Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Vorliegend hat der Widerspruch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt gemäß
§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende
Wirkung. Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche
Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage
sieht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG nicht vor. Die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer
Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen
Vollzug des Verwaltungsaktes und die privaten Interessen an der Aussetzung der
Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Je größer die Erfolgsaussichten der
Hauptsache sind, umso geringere Anforderungen sind an das
Aussetzungsinteresse zu stellen. Bei der Abwägung ist zu beachten, dass das
Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dem öffentlichen
Interesse einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor
dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Ist
der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen
subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein öffentliches Interesse
oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht besteht. Ist der Widerspruch
oder die Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet.
Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine
Interessenabwägung (vgl. zum Ganzen Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 12b - 12f.).
46 Nach diesen Grundsätzen ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen
den Bescheid vom 16.4.2014 anzuordnen. Der angefochtene
Eingliederungsverwaltungsakt wird sich nach summarischer Prüfung
voraussichtlich als rechtswidrig erweisen.
47 Nach summarischer Prüfung fehlt es bereits am Vorliegen der Voraussetzungen
für die Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt. Nach §
15 Abs. 1 Satz 6 SGB II sollen die Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 durch
Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande
kommt. Der Wortlaut der Regelung weist darauf, dass der Verwaltungsakt erst
erlassen werden darf, wenn nach einer hinreichenden Verhandlungsphase keine
Einigung über Abschluss oder Inhalte einer Eingliederungsvereinbarung zustande
gekommen ist. Eine konsensuale Lösung hat demnach gegenüber dem
hoheitlichen Handeln durch Verwaltungsakt Vorrang. Ein die
Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt kommt damit nur in
Betracht, wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen hat,
mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall
besondere Gründe vorliegen, die den Abschluss einer Vereinbarung als nicht
sachgerecht erscheinen lassen, was im ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen
darzulegen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 14.2.2013 – B 14 AS 195/11 R). Ein die
Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt ohne jede
vorausgehende Verhandlung ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig (Berlit in:
LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 15 Rn. 43). Die Beklagte hat zwar einen Versuch
unternommen, mit der Antragstellerin die Eingliederungsvereinbarung vom
30.01.2014 abzuschließen. Nachdem die Antragstellerin den Abschluss dieser
Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hat, hat die Antragsgegnerin diese
Eingliederungsvereinbarung am 05.03.2014 als Verwaltungsakt erlassen.
Zweifelhaft ist schon hier das Vorliegen einer hinreichenden Verhandlungsphase,
wenn ein Eingliederungsverwaltungsakt unmittelbar nach der Ablehnung der
unterbreiteten Eingliederungsvereinbarung durch den Leistungsberechtigten
erlassen wird, ohne den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung erneut unter
Diskussion der Ablehnungsgründe zu versuchen. Dies kann jedoch dahinstehen,
da der Verwaltungsakt vom 05.03.2014 wieder aufgehoben worden ist. Hinsichtlich
des am 16.04.2014 erlassenen Verwaltungsaktes fehlt es gänzlich an einer
vorangegangenen Verhandlungsphase. Die Unterbreitung des Angebots zum
Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung am 30.01.2014 kann dieser
Voraussetzung zum Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes keinesfalls
genügen. Der am 16.04.2014 erlassene Eingliederungsverwaltungsakt hat
gegenüber der am 30.01.2014 angebotenen Eingliederungsvereinbarung einen
völlig anderen Inhalt. War das Ziel der Eingliederungsvereinbarung am 30.01.2014
noch die Stabilisierung der selbständigen Tätigkeit, hat der
Eingliederungsverwaltungsakt vom 16.04.2014 nun die Aufnahme einer
abhängigen Beschäftigung unter einer zeitlichen Reduzierung der selbständigen
Tätigkeit zum Ziel. Dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine
Eingliederungsvereinbarung dieses Inhalts zum Abschluss angeboten und zur
Verhandlung gestellt hat, ist nicht ersichtlich. Wenn jedoch der Erlass eines
Eingliederungsverwaltungsaktes das Nichtzustandekommen einer Einigung
hinsichtlich Abschluss oder Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung voraussetzt,
kann der Eingliederungsverwaltungsakt richtigerweise nur einen Inhalt haben, über
welchen zuvor mit dem Hilfeempfänger verhandelt worden ist. Dies legt schon der
Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II nahe, wonach „die“ Regelungen nach § 15
Abs. 1 Satz 2 SGB II und nicht irgendwelche Regelungen nach § 15 Abs. 1 Satz 2
SGB II durch Verwaltungsakt erlassen werden sollen. Der Gesetzesbegründung
(BT-Drs. 15/1615 S. 54) lässt sich entnehmen, dass im Falle des
Nichtzustandekommens einer Eingliederungsvereinbarung die mit der
Eingliederungsvereinbarung vorgesehenen Festlegungen durch Verwaltungsakt
getroffen werden können sollen. Auch daraus wird ersichtlich, dass nur die
ursprünglich vorgesehene und verhandelte Eingliederungsvereinbarung durch
Verwaltungsakt ersetzt werden soll. Sofern die Antragsgegnerin der Auffassung
sein sollte, dass der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nicht
sachgerecht ist, und aus diesem Grund eine Verhandlung mit der Antragstellerin
unterlassen haben sollte, fehlt es dem die Eingliederungsvereinbarung
ersetzenden Verwaltungsakt jedenfalls an entsprechenden Darlegungen.
48 Offen ist, ob die von der Antragstellerin verlangten Eingliederungsbemühungen um
eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Umfang von
mindestens 15 Stunden pro Woche und mit dem Ziel der Aufgabe der
selbständigen Tätigkeit als Haupterwerbstätigkeit zulässig sind. Nach § 10 Abs. 2
Nr. 5 SGB II ist eine Arbeit zwar nicht allein deshalb unzumutbar, weil sie mit der
Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden ist. Dies steht allerdings unter dem
Vorbehalt, dass keine begründeten Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die
bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann. Aus welchen
Umständen die Antragsgegnerin darauf schließt, dass die selbständige Tätigkeit
der Antragstellerin nicht soweit ausgebaut werden kann, dass die Antragstellerin
ihren Lebensunterhalt allein aus dieser Tätigkeit bestreiten kann, ist für die
Kammer nicht erkennbar, zumal die Antragsgegnerin bei Erlass des
Eingliederungsverwaltungsaktes vom 05.03.2014 offenbar noch anderer Ansicht
war, wenn dort als Ziel die Stabilisierung der Selbständigkeit genannt wird, also
scheinbar begründete Anhaltspunkte für die Beendigung der Hilfebedürftigkeit
durch die selbständige Erwerbstätigkeit gesehen worden sind. Insoweit dürfte
jedenfalls noch Klärungsbedarf bestehen.
49 Schließlich hat die Antragsgegnerin bei Erlass des
Eingliederungsverwaltungsaktes vom 05.03.2014 die gesundheitliche Situation
und den Umfang der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin noch für
aufklärungsbedürftig erachtet. Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage
der Zumutbarkeit der nun in dem Verwaltungsakt vom 16.04.2014 abverlangten
Eingliederungsbemühungen, ist doch scheinbar zweifelhaft, ob der Antragstellerin
eine Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Stunden pro Woche abverlangt werden
kann.
50 Nachdem bereits die Voraussetzungen für den Erlass des eine
Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes nach summarischer
Prüfung nicht vorliegen, ist dieser offenbar rechtswidrig, weshalb ein öffentliches
Interesse am Vollzug desselben nicht besteht.
51 Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.