Urteil des SozG Stuttgart vom 09.08.2010

SozG Stuttgart (sgg, öffentliche ordnung, enkelin, kläger, öffentlich, gvg, erstattung, höhe, sicherung, verbindung)

SG Stuttgart Beschluß vom 9.8.2010, S 24 AS 4043/08
Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit - öffentlich-rechtliche Streitigkeit - Erstattungsanspruch eines
Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgrund aufenthaltsrechtlicher Verpflichtungserklärung
- Erstattung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
Leitsätze
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist aus Sachnähegründen dann zulässig, wenn im
Prozess das Erstattungsverlangen eines Trägers der Grundsicherung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG im
Streit steht und diesem Erstattungsverlangen einem Dritten bewilligte Leistungen nach dem SGB II zugrunde
liegen. Dies gilt auch dann, wenn der Erstattungsanspruch selbst seine Grundlage im Aufenthaltsrecht (hier: § 68
AufenthG) hat.
Tenor
Der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich in der Hauptsache gegen seine Heranziehung zur Erstattung von vom Beklagten an
seine Enkelin in der Zeit vom 22.11.2006 bis 31.07.2007 erbrachten Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) auf Grundlage einer aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung.
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Der Kläger wurde am … 1930 in Jordanien geboren, ist deutscher Staatsbürger und bezieht Altersrente. Er ist
der Großvater der am … 1991 geborenen A. (zukünftig nur noch Enkelin), die die jordanische
Staatsangehörigkeit besitzt. Unter dem 03.07.2002 gab der Kläger gegenüber der Stadt F. – Amt für öffentliche
Ordnung – eine sog. Verpflichtungserklärung ab. Darin verpflichtete er sich schriftlich, „ nach § 84 des
Ausländergesetzes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 82 und 83 des Ausländergesetzes die
Kosten für die Ausreise “ seiner Enkelin zu tragen. Die vom Kläger eigenhändig unterschriebene Erklärung
enthält unter anderem folgenden Passus: „ Die Verpflichtung umfasst die Erstattung sämtlicher öffentlicher
Mittel, die für den Lebensunterhalt einschließlich der Versorgung mit Wohnraum und der Versorgung im
Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden (z. B. Arztbesuch, Medikamente,
Krankenhausaufenthalt). Dies gilt auch, soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch beruhen,
im Gegensatz zu Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen. (…) Ich bestätige, zu der
Verpflichtung aufgrund meiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage zu sein. “ Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die Verpflichtungserklärung vom 03.07.2002 Bezug genommen (Blatt 41/42 der
Verwaltungsakte). Die Enkelin reiste sodann am … 2003 in das Bundesgebiet zwecks
Familienzusammenführung ein, erhielt von der Stadt F. – Ausländerbehörde – eine befristete
Aufenthaltserlaubnis und lebte zunächst im Haushalt des Klägers in F. Seit dem 14.09.2006 lebt die Enkelin
bei ihren Eltern und ihren fünf Geschwistern in H., die sich seit 1991 im Bundesgebiet aufhalten und von der
Landeshauptstadt H. – Fachbereich Soziales – seit Oktober 2006 Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen. Bis zum 21.11.2006 (Einstellungsbescheid vom 13.11.2006)
erhielt die Enkelin von der Landeshauptstadt H. – Fachbereich Soziales – laufend Leistungen nach dem
Zwölfen Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
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Mit Bescheid vom 12.12.2006 (Blatt 49 der Verwaltungsakte) bewilligte der Beklagte der Enkelin für die Zeit
vom 22.12.2006 bis 30.04.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von
98,40 Euro (22.11. bis 30.11.2006) bzw. in Höhe von 328 Euro monatlich (01.12.2006 bis 30.04.2007).
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Mit Bescheid vom selben Tage (Blatt 59 der Verwaltungsakte) forderte der Beklagte den Kläger auf, die an
seine Enkelin in der Zeit vom 22.11.2006 bis 31.12.2006 erbrachten Sozialleistungen von 591,05 Euro
(Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 426,40 Euro zuzüglich Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 164,65 Euro) in vollem Umfang und für die Zeit ab dem 01.01.2007
die noch laufend zu erbringenden Leistungen in Höhe von 454,65 Euro monatlich (328 Euro Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts sowie 126,65 Euro an Beiträgen für die gesetzliche Krankenversicherung bzw.
soziale Pflegeversicherung) zu erstatten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger sich in seiner
Verpflichtungserklärung vom 03.07.2002 verpflichtet habe, die Kosten für den Lebensunterhalt seiner Enkelin,
für die Versorgung mit Wohnraum, für den Krankheitsfall sowie für die Pflegebedürftigkeit zu tragen. Da er
dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei, habe der Beklagte mit öffentlichen Mitteln eintreten müssen,
woraus ein entsprechender Erstattungsanspruch nach § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Aufenthaltsgesetz
(AufenthG) erwachse. Von der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs könne in der Regel nicht abgesehen
werden, wenn die Heranziehung nicht zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führe. Gründe, die
vorliegend für die Annahme eines atypischen Sachverhaltes sprächen, seien nach Aktenlage nicht erkennbar
und auch nicht vorgetragen. Mit seinem dagegen unter dem 22.12.2006 erhobenen Widerspruch (Blatt 63, 74,
81 der Verwaltungsakte) machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass sich seine Verpflichtungserklärung
gegenüber der Stadt F. – Amt für öffentliche Ordnung – alleine auf den Zeitraum bezogen habe, in dem seine
Enkelin bei ihm in F. gewohnt habe. Mit dem Umzug der Enkelin zu ihren Eltern nach H. lebe sie außerhalb
seines Einflussbereichs, was zur Unwirksamkeit der Verpflichtungserklärung führe. Diese Rechtsauffassung
vertrete auch die Ausländerbehörde. Davon abgesehen wirke die Erklärung auch nur gegenüber der
Ausländerbehörde der Stadt F. und nicht gegenüber dem Beklagten. Im Übrigen sei er als Rentner mit einer
monatlichen Rente von insgesamt 1.341,31 Euro bei monatlichen Ausgaben (Wohnung, Strom, Telefon) von
insgesamt rund 724 Euro finanziell nicht in der Lage, für ihren Unterhalt aufzukommen, zumal er seinen
jüngsten Sohn H. (geboren am … 1983), der an der Universität H. studiere, ebenfalls mit 300 bis 400 Euro
monatlich finanziell unterstütze. Die Unterhaltsverpflichtung für die Enkelin treffe nunmehr die Eltern.
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Mit Bescheid vom 07.02.2007 (Blatt 70 der Verwaltungsakte) bewilligte die Beklagte der Enkelin für die Zeit
vom 22.12.2006 bis 30.04.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 100,35 Euro
(22.11. bis 30.11.2006) bzw. in Höhe von 334,51 Euro monatlich (01.12.2006 bis 30.04.2007). Weitere
Bewilligungsbescheide sind derzeit nicht in der Verwaltungsakte des Beklagten abgelegt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2008 wies die Widerspruchsstelle des Beklagten den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück. Auf Grund der unterzeichneten Verpflichtungserklärung müsse der Kläger die
an die Enkelin erbrachten Sozialleistungen gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 AufenthG erstatten. Der
Verwaltung sei insoweit kein Ermessen eingeräumt. Die aufgewandten Mittel beliefen sich auf 519,05 Euro für
die Zeit vom 22.11.2006 bis 31.12.2006, auf 462,01 Euro monatlich für die Zeit vom 01.01.2007 bis
28.02.2007, auf 461,98 Euro monatlich für die Zeit vom 01.03.2007 bis 30.06.2007 sowie auf 467,22 Euro für
Juli 2007. Die Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Widerspruchsbescheids enthält unter anderem folgenden
Passus: „ Gegen diese Entscheidung kann beim Sozialgericht Stuttgart, Theodor-Heuss-Str. 2, 70174
Stuttgart, (…) Klage erhoben werden. “
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Hiergegen hat der Kläger unter dem 09.06.2008 beim beschließenden Gericht Klage erhoben (ehemalige
Aktenzeichen S 12 AS 4043/08 und S 15 AS 4043/08), mit der er die Aufhebung des Bescheides vom
12.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2008 begehrt.
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Während des Klageverfahrens ist er dauerhaft in das unbekannte Ausland verzogen.
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Die Beteiligten sind zur beabsichtigten Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs
gehört worden. Sie halten übereinstimmend den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für
zulässig.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf
die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11 Der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
12 Gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 17 a Abs. 3 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz
(GVG) kann das Gericht, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, vorab aussprechen, dass der beschrittene
Rechtsweg zulässig ist. Es hat vorab zu entscheiden, wenn ein Beteiligter die Zulässigkeit des Rechtswegs
rügt (§ 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG). Ist dies nicht der Fall, liegt die Vorabentscheidung im pflichtgemäßen
Ermessen des Gerichts, dessen Ausübung nicht der Rechtskontrolle des Rechtsmittelgerichts unterliegt, statt
vieler nur BVerwG, Beschl. v. 22.11.1997 – 2 B 104/97, BayVBl. 1998, S. 603.
13 Sie kann unter anderem dann angezeigt sein, wenn in Rechtsprechung oder Rechtslehre verschiedene
Rechtswegansichten zu einem bestimmten Streitgegenstand vertreten werden bzw. wenn die Rechtswegfrage
ungeklärt ist, vgl. dazu nur Kissel/Mayer , GVG, 6. Aufl. 2010, § 17 a Rz. 24 a; Keller , in: Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rz. 53 m. w. N.
14 Die Entscheidung nach § 17 a Abs. 3 GVG hat durch (begründeten) Beschluss zu erfolgen und kann ohne
mündliche Verhandlung ergehen (§ 202 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 GVG).
15 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war, auch ohne entsprechende Rüge und obwohl die Beteiligten
übereinstimmend die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs für gegeben erachten, wie ausgesprochen
vorab zu entscheiden. In der Rechtsprechung der Sozialgerichte ist umstritten, ob in den Fällen, in denen eine
der in § 51 Abs. 1 SGG genannten Sozialverwaltungsbehörden auf Grundlage einer aufenthaltsrechtlichen
Verpflichtungserklärung Erstattung erbrachter Sozialleistungen begehren, der Rechtsweg zu den Gerichten der
(allgemeinen) Verwaltungsgerichtsbarkeit oder zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zulässig ist. Das
Sozialgericht Reutlingen hat in seinem Urteil vom 11.12.2006, S 3 SO 528/06, nicht veröffentlicht, ohne
vertiefte Auseinandersetzung den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erachtet. Das
Landessozialgericht Baden-Württemberg ist in seiner Berufungsentscheidung im Wege eines obiter dictums –
wegen § 17 a Abs. 5 GVG – davon ausgegangen, dass es sich bei dem Streit um Wirksamkeit und Umfang
einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG um eine ausländerrechtliche Streitigkeit handele, über die die
Verwaltungsgerichte zu entscheiden hätten, LSG Ba.-Wü., Urt. v. 23.10.2007 – L 9 SF 785/07, abrufbar unter
www.sozialgerichts-barkeit.de/sgb/esgb.
16 Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 12.11.2009, L 20 B 26/09
AY, juris, die Entscheidung der Vorinstanz, SG Münster, Beschl. v. 24.06.2009 – S 16 AY 3/09, nicht
veröffentlicht, bestätigt und ausgeschlossen , dass für einen Rechtstreit über einen auf § 68 Abs. 1 Satz 1
AufenthG gestützten Anspruch auf Erstattung der zur Sicherung des Lebensunterhalts eines Ausländers nach
dem AsylbLG aufgewendeten Mittel gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die
Verwaltungsgerichtsbarkeit und nicht die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist. Es hat die weitere
Rechtswegbeschwerde zum Bundessozialgericht, insbesondere im Hinblick auf dessen Entscheidung zur
Rechtswegfrage bei einem von einem Grundsicherungsträger ausgesprochenen Hausverbot, BSG, Urt. v.
01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6 mit Bespr. Münker , jurisPR-SozR 11/2010, Anm. 5:
Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit, wenn ein enger Sachzusammenhang zu den vom Verwaltungsträger
wahrzunehmenden Sachaufgaben besteht, wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (vgl. § 17 a Abs. 4
Satz 4 und 5 GVG), über die am Beschlusstage – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist
(Aktenzeichen des Bundessozialgerichts: B 8 AY 1/09 R).
17 Dies vorangeschickt, ist vorliegend der Rechtsweg zu den Sozialgerichten zulässig.
18 Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind als besondere Verwaltungsgerichte (vgl. § 1 SGG) zur
Entscheidung über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in den in § 51 SGG enumerativ aufgezählten
Angelegenheiten berufen, soweit keine bundesgesetzliche (aufdrängende) Spezialzuweisung zu einem
bestimmten Gerichtszweig (vgl. zum Beispiel § 54 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG], § 54 Abs. 1
Bundesausbildungsförderungsgesetz [BAföG], § 32 Wehrpflichtgesetz [WPflG], § 83 Abs. 1
Bundespersonalvertretungsgesetz [BPersVG]) existiert. Namentlich § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG in der Fassung
des Art. 1 Nr. 10 lit. a) des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7. SGGÄndG) vom
09.12.2004 – mit Wirkung zum 01.01.2005 in Kraft getreten (vgl. Art. 4 Abs. 1 7. SGGÄndG) – überantwortet
den Sozialgerichten dabei die sachliche Entscheidungsgewalt über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in
Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bei § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG handelt es sich mithin
um eine bundesgesetzliche abdrängende Sonderzuweisung, die öffentliche-rechtliche Streitigkeiten
nichtverfassungsrechtlicher Art den Sozialgerichten ausdrücklich zuweist und diese damit aus der
Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen
Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben ist, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz
einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind, ausklammert, statt vieler nur Keller , in: Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rz. 2; Jung , in: Jansen, SGG, 3. Aufl. 2009, § 51 Rz. 3, unstr.
19 Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit sowohl im Sinne des § 51 Abs. 1 SGG als auch im Sinne des – insoweit
gleichlautenden – § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nach der herrschenden sog. Sonderrechtslehre (auch
„modifizierte Subjektstheorie“) jedenfalls dann vor, wenn die dem streitigen Rechtsverhältnis zugrundeliegenden
Normen einen Träger hoheitlicher Gewalt ausschließlich und als solchen berechtigen und verpflichten, wobei es
bei der entsprechenden Prüfung maßgebend auf die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der
Klageanspruch hergeleitet wird, ankommt, vgl. nur GmS-OBG, Beschl. v. 10.07.1989 – GmS-OB 1/88, SozR
1500 § 51 Nr. 53; BSG, Urt. v. 13.06.1989 – 2 RU 32/88, SozR 2100 § 76 Nr. 2; Keller , in: Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rz. 3c; Kopp/Schenke , VwGO, 16. Aufl. 2009, § 40 Rz. 11.
20 Die weitergehende Frage, ob es sich bei dem zugrundeliegenden Streitverhältnis um eine Angelegenheit der
Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne der abdrängenden Sonderzuweisung des § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG
handelt, ist zuvörderst danach zu beurteilen, ob die Beteiligten des Rechtsstreits unmittelbar über Rechtsfolgen
aus der Anwendung von Normen des SGB II streiten, BSG, Urt. v. 01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500
§ 51 Nr. 6; Keller , in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 51 Rz. 29a; vgl. auch Groth , in: Hohm, GK-SGB
II, Anhang Sozialgerichtsverfahren, VII-2 Rz. 22 (Stand: Februar 2009).
21 In allen anderen Fällen kommt es nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts darauf an, ob
die angegriffene Maßnahme in engem sachlichem Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der Behörden nach
dem SGB II steht bzw. ob der Streitigkeit materiell Rechtsverhältnisse nach dem SGB II zugrunde liegen. Bei
der diesbezüglichen Auslegung ist eine sach- und interessengerechte Abgrenzung zwischen der
Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte und der Verwaltungsgerichte herzustellen. Dabei besteht
gesetzessystematisch keine Veranlassung zu einer per se engen Auslegung der
Sonderzuweisungstatbestände des § 51 Abs. 1 SGG. Denn § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist als Generalklausel
konzipiert und hat daher systembedingt hinter spezialgesetzlichen Regelungen prinzipiell zurückzutreten. Auch
der Wortlaut dieser Norm rechtfertigt keine andere Beurteilung, zumal § 51 Abs. 1 SGG selbst die
„ausdrückliche“ bundesgesetzliche Zuweisungsnorm im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO darstellt, BSG,
Urt. v. 01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6; Münker, jurisPR-SozR 11/2010, Anm. 5.
22 In der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist anerkannt, dass es genügt, wenn eine
Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sich der dahinterstehende Wille des Gesetzes jedoch aus
dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und
logisch zwingend ergibt, BSG, Urt. v. 01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6 m. w. N.
23 Unter Zugrundelegung dessen streiten vorliegend die gewichtigeren Gründe für eine Rechtswegzuständigkeit
der Sozialgerichte. Dass hier eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw.
§ 51 Abs. 1 SGG in Rede steht, bedarf dabei zunächst keiner vertieften Begründung. Ihr Vorliegen ergibt sich
bereits daraus, dass der Beklagte seine Erstattungsforderung mittels eines Bescheides, also eines
Verwaltungsakts im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), geltend gemacht hat und im
Übrigen daraus, dass sich der Erstattungsanspruch materiell auf § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Verbindung
mit der aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung stützt und diese gesetzliche Bestimmung den Beklagten
ausschließlich in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt (vgl. dazu § 44 b Abs. 3 SGB II) zur
Geltendmachung berechtigt (§ 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Dabei darf indes die Prüfung nicht stehenbleiben.
Der Umstand, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben ist, sagt noch nichts darüber aus, welche der
Verwaltungsgerichtsbarkeiten zur Entscheidung berufen ist. Existiert wie hier keine aufdrängende
Sonderzuweisung, ist das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit Bedingung sowohl für die
Rechtswegzuständigkeit der (allgemeinen) Verwaltungsgerichte (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als auch die der
Sozialgerichte (§ 51 Abs. 1 SGG). Diesen Umstand berücksichtigt etwa das Landessozialgericht Baden-
Württemberg in seinem Urteil vom 23.10.2007, L 9 SF 785/07, abrufbar unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb , nicht hinreichend. Zudem stammt die Entscheidung auch noch aus
einer Zeit vor der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Rechtswegbinnenabgrenzung und
kann daher nur noch bedingt herangezogen werden.
24 Entgegen dem Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.11.2009 – L 20 B 26/09
AY, juris, ist vorliegend die Sachnäherechtsprechung des Bundessozialgerichts, BSG, Urt. v. 01.04.2009 – B
14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6 (Hausverbot eines Grundsicherungsträgers); vorher auch bereits Beschl.
v. 29.09.1994 – 3 BS 2/93, SozR 3-1500 § 51 Nr. 15 (Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und
Leistungserbringern); Beschl. v. 22.04.2008 – B 1 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 4 (Rabattverträge); siehe
auch LSG Rh.-Pf., Beschl. v. 10.09.2009 – L 5 KA 38/09 B ER, NZS 2010, S. 237 f. (Hausverbot der
Kassenzahnärztlichen Vereinigung),
25 – der das beschließende Gericht folgt – anwendbar. Der Gesetzgeber hat gerade nicht, wie das
Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen meint, unmittelbar eine normative Grundlage – § 68
AufenthG – geschaffen, bei der eine Zuordnung der Rechtswegzuständigkeit bereits „eindeutig“ erfolgt ist,
zumal eine aufdrängende Spezialzuweisung gerade fehlt. Zwar ist richtig, dass die aufenthaltsrechtliche
Verpflichtungserklärung und der darauf bezogene Erstattungsanspruch ihre Grundlagen in § 68 AufenthG und
nicht unmittelbar im SGB II haben mögen. Allerdings ist der in § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG normierte
Erstattungsanspruch zugleich die Kehrseite, vgl. zur sog. Kehrseitentheorie allgemein BVerwG, Urt. v.
11.02.1983 – 7 C 70/80, Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 72; Urt. v. 25.04.1972 – III C 7.71, Buchholz
427.3 § 249 Nr. 20; Urt. v. 21.09.1966 – V C 155.65, Buchholz 409.2 § 51 AbgeltungsG Nr. 1; Ehlers ,
VerwArch 74 (1983), S. 112 (127 f.), des einem Dritten nach dem SGB II bewilligten Leistungsanspruchs. Dies
streitet für eine Zuständigkeit der insoweit sachnäheren Sozialgerichtsbarkeit, zumal sich auch das
Erstattungsverfahren des beklagten Grundsicherungsträgers materiell nach dem Sozialverwaltungsrecht des
SGB X und nicht nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) beurteilt. Wollte man in einer solchen
Situation für Streitigkeiten betreffend das (ursprüngliche) Bewilligungsverfahren des Dritten den
Sozialrechtsweg und für den späteren Erstattungsrechtsstreit betreffend den Verpflichteten den
Verwaltungsrechtsweg für zulässig erachten, würde dies ohne Not zu einer unnatürlichen
Rechtswegaufspaltung führen, was mit dem Gebot sachnahen und damit effektiven Rechtsschutzes (Art. 19
Abs. 4 Grundgesetz [GG]) nur schwer zu vereinbaren ist. Dies gilt umso mehr, als dass die
Erstattungsforderung hier zwar auf einer ausländerrechtlichen Rechtsgrundlage beruhen mag, ihr Bestand und
Umfang aber unmittelbar (sic.) von der Rechtmäßigkeit der (ursprünglichen) Leistungsbewilligung nach dem
SGB II abhängt, weil der Verpflichtete nur insoweit zur Erstattung herangezogen werden kann, wie der Dritte zu
Recht öffentliche Leistungen nach dem jeweiligen Leistungsgesetz bezogen hat, siehe dazu nur BVerwG, Urt.
v. 24.11.1998 – 1 C 33/97, Buchholz 402.240 § 84 AuslG 1990 Nr. 2.
26 Mit der Sachnäherechtsprechung des Bundessozialgerichts lässt es sich aber nicht in Einklang bringen, wenn
die (allgemeinen) Verwaltungsgerichte im Erstattungsrechtsstreit die Frage zu klären hätten, ob die
ursprüngliche Leistungsbewilligung nach dem SGB II im zu erstattenden Umfang rechtmäßig erfolgt ist. In einer
solchen Konstellation besteht die greifbare Gefahr divergierender SGB II-Entscheidungen durch das insoweit
sachfernere Verwaltungsgericht, vgl. dazu Münker , jurisPR-SozR 11/2010, Anm. 5, zumal in
Erstattungsprozessen der gegebenen Art oftmals im Kern gerade die (Teil-) Rechtmäßigkeit der ursprünglichen
Leistungsbewilligung in Streit steht, was auch das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im
Übrigen einräumt, Beschl. v. 12.11.2009 – L 20 B 26/09 AY, juris.
27 Dem kam man auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es durchaus Fälle gibt, in denen im Wesentlichen –
wie vorliegend –, alleine Umfang und Reichweite der aufenthaltsrechtlichen Verpflichtungserklärung zu klären
sind und damit ausländerrechtliche Fragestellungen im Vordergrund stehen. In vielen Fällen entscheiden die
Sozialgerichte kraft eigener Kompetenz in Angelegenheiten des § 51 Abs. 1 SGG über die Auslegung und
Anwendung „originär rechtswegfremder“ Materien (so zum Beispiel über Fragen der Freizügigkeit nach dem
Freizügigkeitsgesetz/EU [FreizügG/EU] im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, über
Fragen der Bundesausbildungsförderung nach dem BAföG im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 5 und Abs. 6
SGB II, über steuerrechtliche Fragen im Anwendungsbereich der ALG II-Verordnung). Daraus kann für die
Frage, ob ein Sonderzuweisungstatbestand eingreift, somit nichts hergeleitet werden.
28 Schließlich wäre es auch mit dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG nur schwerlich zu vereinbaren, wollte
man das Verlangen eines Grundsicherungsträgers gerade in seiner Eigenschaft als Leistungsträger nach dem
SGB II (vgl. § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) auf Erstattung erbrachter Grundsicherungsleistungen nicht als
„Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ auffassen, zumal der SGB II-Träger von Gesetzes
wegen (arg. ex § 49 Abs. 1 SGB II, §§ 6 Abs. 1, 31 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 Haushaltsgrundsätzegesetz [HGrG],
§§ 7 Abs. 1 Satz 1, 59 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 Bundeshaushaltsordnung [BHO]) zu einer zweckmäßigen und
wirtschaftlichen Leistungserbringung, worunter auch die Geltendmachung von Erstattungsforderungen fällt,
verpflichtet ist.
29 Alles in allem ist demnach aus Sachnähegründen der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
jedenfalls dann zulässig, wenn – wie vorliegend – im Prozess das Erstattungsverlangen eines Trägers der
Grundsicherung nach § 51 Abs. 1 Nr. 4 a SGG im Streit steht und diesem Erstattungsverlangen einem Dritten
bewilligte Leistungen nach dem SGB II zugrunde liegen.
30 Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass mit Rechtskraft dieses Beschlusses die Zulässigkeit des
beschrittenen Rechtswegs für andere Gerichte bindend ist. Auch das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen
eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, wird die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht mehr prüfen (§
202 SGG in Verbindung mit § 17 a Abs. 1 und Abs. 5 GVG).