Urteil des SozG Stade vom 06.08.2010

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Sozialgericht Stade
Beschluss vom 06.08.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 17 AS 613/10 ER
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes vom 6. August 2010 wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die (vorläufige) Verpflichtung des
Antragsgegners zu Gewährung von Leistungen für eine Erstausstattung ihrer neuen Wohnung in Berlin, in die sie zum
1. September 2010 einziehen will.
Die Klägerin bezieht bis einschließlich August 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
vom Antragsgegner. Zum 1. September 2010 wird sie nach Berlin in den Zuständigkeitsbereich des Jobcenters
ziehen. Bezüglich des Umzugs als solchem besteht Einvernehmen zwischen den beteiligten Leis-tungsträgern. Der
Antragsgegner hat eine Kostenübernahmeerklärung für die Umzugskosten erteilt. Bereits am 23. Juli 2010 hat die
Antragsstellerin beim Leistungsträger in Berlin einen Antrag auf Gewährung auf Leistungen nach dem SGB II ab
Zuzug gestellt.
Bis Ende August bewohnt die Antragstellerin eine Wohnung in einem Haus ihrer Eltern. Die Wohnung ist mit Möbeln
im Eigentum der Eltern ausgestattet, die diese der Antrag-stellerin nach eigener Erklärung auch nicht nach Berlin
mitgeben wollen. Am 27. Juli 2010 stellte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Erstausstattung
gemäß § 23 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB II für die neue Wohnung in Berlin. Der Antrag umfasste Möbel, Lampen, aber auch
Garderobenhaken, Bettdecke und Kopfkissen, Badezimmer-kleinbedarf und diversen Hausrat sowie Gardinenstangen.
Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 27. Juli 2010 wiesen Mitarbeiter des Antragsgegners die Antragstellerin
darauf hin, dass die Wohnungserstausstattung in die Zuständigkeit des Berliner Leis-tungsträgers fiele. Mit
Ablehnungsbescheid vom 30. Juli 2010 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Wohnungserstausstattung
schließlich mit der Begründung ab, die Antrag-stellerin habe, solange sie noch im Zuständigkeitsbereich des
Antragsgegners wohne, keinen Bedarf nach einer Wohnungserstausstattung. Dieser falle erst in Berlin an. Aus der
Verwaltungsakte des Antragsgegners geht hervor, dass die Antragstellerin dar-aufhin per E-Mail zunächst die Abgabe
ihres Antrages nach Berlin beantragte. Der zu-ständige Mitarbeiter des Antragsgegners teilte daraufhin jedoch per Mail
mit, dass eine Weiterleitung nicht erfolge, da die Ablehnung mangels Hilfebedürftigkeit erfolgt sei. Er wies die
Antragstellerin nochmals auf die Zuständigkeit der Berliner Behörde hin. Soweit ersichtlich, hat die Antragstellerin
bislang keinen Widerspruch gegen den Ablehnungsbe-scheid vom 30. Juli 2010 eingelegt. Am 6. August 2010 hat sich
die Antragstellerin mit dem Eilantrag an das Gericht ge-wandt.
Sie trägt vor, sie brauche die beantragte Wohnungserstausstattung in Berlin dringend, um dort an einer ärztlichen
Behandlung teilnehmen zu können, wegen der sie umziehe.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen für die Erstausstattung der
Wohnung in Berlin zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Eilantrag abzulehnen.
Er weist darauf hin, dass ein Bedarf nach einer Erstausstattung für die derzeit bewohnte Wohnung nicht bestehe. Der
Bedarf entstehe erst mit Einzug in die Wohnung in Berlin, da erst dort keine Möbel vorhanden seien. Zuständig sei
dann der für den Zuzugsort zu-ständige Träger.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachver-halts wird auf die Gerichts- und
Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Abs 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absat-zes 1 nicht vorliegt, auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitge-genstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehen-den Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesent-
lich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszuges. Voraussetzung für den Erlass
der hier begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit
der Regelung (Anord-nungsgrund) das Bestehen eines Anspruchs auf die begehrte Regelung (Anordnungsan-spruch).
Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 3 SGG iVm § 920 Abs 2
ZPO).
1. Die notwendige Eilbedürftigkeit liegt vor, da der Umzug der Antragstellerin nach Berlin in wenigen Tagen bevorsteht.
2. Die Antragstellerin konnte jedoch einen Anordnungsanspruch gegenüber dem An-tragsgegner nicht glaubhaft
machen. Der Antragsgegner ist für die Gewährung einer Wohnungserstausstattung gemäß § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II am
neuen Wohnort der An-tragstellerin nicht zuständig (a). Die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistung auf
Grundlage des § 43 Abs 1 SGB I sind ebenfalls nicht erfüllt (b).
a.) Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Woh-nungserstausstattung gemäß
§ 23 Abs 3 Nr 1 SGB II gegenüber dem Antragsgegner.
Gemäß § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB II sind Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich
Hausgeräten von der Regelleistung nicht umfasst. Sie werden gemäß Satz 2 gesondert erbracht.
Soweit auf die derzeitige Situation der Antragstellerin abgestellt wird, besteht kein Bedarf nach einer neuen
Wohnungsausstattung, da die derzeit bewohnte Wohnung mit den er-forderlichen Möbeln ausgestattet ist. Der Bedarf
nach neuen Möbeln und Hausrat wird erst mit Zuzug nach Berlin entstehen, da der Antragstellerin erst im Moment des
Wegzu-ges aus dem Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners die bisher genutzten Möbel nicht mehr zur Verfügung
stehen werden. Es ist absehbar, dass der Bedarf nach einer Erstausstattung für die Wohnung erst mit dem
tatsächlichen Umzug entsteht. Zu diesem Zeitpunkt wird die Antragstellerin jedoch im Zuständigkeitsbereich des
Jobcenters Tempelhof-Schöneberg wohnen, das deshalb auch für die Leistungsgewährung gemäß § 23 Abs 3 Nr 1
SGB II zuständig. Denn grund-sätzlich der Leistungsträger zuständig, in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich die
auszustattende Wohnung liegt (vgl SG Berlin, Beschluss vom 1. Dezember 2005 - S 96 AS 10358/05 ER -; SG Berlin,
Beschluss vom 9. März 2006 - S 104 AS 1770/06 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 11. Dezember 2006 - L 11
B 544/06 AS ER - Rn 12).
Es ist dem Gericht nicht erklärlich, warum die Antragstellerin noch keinen entsprechenden Antrag auf Gewährung
einer Wohnungserstausstattung ab dem 1. September 2010 bei dem Berliner Leistungsträger gestellt hat. Sie wurde
von Mitarbeitern des Antrags-gegners bereits am 27. Juli 2010 darauf hingewiesen, dass der Berliner Leistungsträger
zuständig sein dürfte. Dieser Hinweis wurde in einer E-Mail vom 4. August 2010 wieder-holt. Nach Stellung des
Eilantrages wurde die Antragstellerin auch vom Gericht mit rich-terlichem Hinweis vom 16. August 2010 darauf
hingewiesen, dass der Leistungsträger des neuen Wohnortes für die Gewährung der begehrten Erstausstattung
zuständig sei. Zugleich wurde angeregt, dort umgehend einen Antrag auf Möbelausstattung zu stellen. Die
Antragstellerin hat dennoch, soweit ersichtlich, bisher keinen Antrag bei der Berliner Behörde gestellt. Ein
Ablehnungsbescheid wurde nicht vorgelegt. Die Antragstellerin ist offenbar der Meinung, der Antrag würde dort
ohnehin abgelehnt, und verweist auf ein Merkblatt von August 2007 der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres.
Aus diesem Merkblatt ergibt jedoch nach Leseart des Gerichts nicht eindeutig, dass sich der Berliner Leistungsträger
bei Zuzug von Außerhalb für nicht zuständig halten würde. Selbst wenn, würde dies auch nicht der materiellen
Rechtslage entsprechen.
Die von beiden Beteiligten beantragte Beiladung des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg gemäß § 75 SGG war hier
nicht vorzunehmen. Bezüglich der Leistung nach § 23 Abs 3 Nr 1 SGB II gilt uneingeschränkt das Antragserfordernis
gemäß § 37 SGB II. Eine Ver-pflichtung des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg im Rahmen dieses Eilverfahrens
wäre auch nach Beiladung mangels Antragstellung nicht möglich. Es kann auch nicht Zweck einer Beiladung sein,
einen nicht gestellten Leistungsantrag zu ersetzen. Mit Blick auf die Eilbedürftigkeit ist der Antragstellerin ohnehin
mehr damit gedient, wenn sie unmittelbar selbst einen Antrag in Berlin stellt, denn im Falle einer Beiladung müsste
zunächst der Beiladungsbeschluss zugestellt werden, die Beigeladene hätte sodann eini-ge Tage Zeit für eine
Stellungnahme und müsste auch die inhaltliche Prüfungen noch vornehmen. Dies kann durch einen direkten Antrag in
Berlin schneller erreicht werden.
b.) Die Voraussetzungen für eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegner aufgrund des § 43 SGB I waren auch
nicht erfüllt, da über den Anspruch auf die Sozialleistungen hier nicht zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist,
wer zur Leistung verpflichtet ist. Denn der zuständige Leistungsträger in Berlin konnte sich mangels Antragstellung
bisher noch gar nicht zu dieser Frage äußern. Möglicherweise hält sich Berlin entgegen der Auffassung der
Antragsstellerin ja auch für zuständig und hätte schon längst nach Antrag der Antragstellerin die begehrten Leistungen
erbracht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.