Urteil des SozG Speyer vom 04.06.2007

SozG Speyer: eintritt des versicherungsfalls, umgehung der beitragspflicht, lebensversicherung, kapitalleistung, rente, wiederkehrende leistung, vorzeitige auflösung, krankenversicherung, auszahlung

Sozialrecht
SG
Speyer
04.06.2007
S 11 KR 366/05
1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005
wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Beitragspflicht der Auszahlung der Deckungsrückstellung aus einer
betrieblichen Direktversicherung zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Der am 1994 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er war als
Zivilbeschäftigter bei den US-amerikanischen Stationierungsstreitkräften in Deutschland
versicherungspflichtig erwerbstätig (Dienststelle: Defense Finance and Accounting Service, Europe). Das
Arbeitsverhältnis wurde durch einen am 29.09.2003 geschlossenen Aufhebungsvertrag zum 30.09.2004
gegen eine Abfindung beendet. Ausweislich des Aufhebungsvertrags bestand zwischen den
Arbeitsvertragsparteien Einigkeit, dass das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt, anstelle einer
arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung zum gleichen Zeitpunkt beendet wurde (vgl. Ziff. 1.
Buchst. a. des Aufhebungsvertrages). Der Kläger ist seit dem 01.10.2004 arbeitslos.
Während der Dauer des vorgenannten Beschäftigungsverhältnisses bestand zugunsten des Klägers als
Versicherten eine durch den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer bei der A.. Lebensversicherungs-AG
(Versicherungsunternehmen) im Rahmen einer Gruppenversicherung abgeschlossene Kapital-
Lebensversicherung. Die Versicherungsbeiträge wurden vom Arbeitgeber gezahlt. Vereinbarter
Versicherungsfall waren die Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten oder der Tod des
Versicherten. Des Weiteren war vereinbart, dass die Kapital-Lebensversicherung beim Ausscheiden des
Versicherten aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls endet. Für diesen Fall stand
dem Versicherten auf Antrag ein Anspruch auf Auszahlung der Deckungsrückstellung (d.h. des
verzinslich angesammelten Teils der für die Versicherung entrichteten Beiträge, der nicht für das vom
Versicherungsunternehmen getragene Risiko und die Verwaltungskosten verbraucht wurde) zu, wenn er
im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 5 Jahre versichert war. Daneben hatte der Versicherte das
Recht, die Versicherung als beitragsfreie Kapital-Lebensversicherung ohne Unfall-Zusatzversicherung im
Rahmen der bestehenden Gruppenversicherung oder als beitragspflichtige Kapital-Lebensversicherung
mit Unfall-Zusatzversicherung im Rahmen eines Einzelversicherungstarifs fortzuführen.
Der Kläger entschied sich dafür, die Versicherung nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht
fortzusetzen und die Zahlung der Deckungsrückstellung in Anspruch zu nehmen. Das
Versicherungsunternehmen zeigte der Beklagten mit Schreiben vom 23.09.2004 an, dass der Kläger am
30.09.2004 (Fälligkeits- und Auszahlungstermin) einen einmaligen Versorgungsbezug aus der
vorgenannten Kapital-Lebensversicherung in Höhe von 35.295,00 € erhalte.
Durch Bescheid vom 19.10.2004 stellte die Beklagte fest, dass aus der zum 01.10.2004 erhaltenen
Kapitalzahlung von 35.295,00 € Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten seien. Die
Höhe der Beiträge wurde wie folgt berechnet: Aus der Kapitalzahlung von 35.295,00 €, geteilt durch 120
Monate (10 Jahre), wurde ein monatliches Einkommen von 294,13 € ermittelt, dass der
Beitragsberechnung zugrunde gelegt wurde; bei einem Beitragssatz von 13,7 % zur Krankenversicherung
und von 1,7 % zur Pflegeversicherung errechnete die Beklagte einen Monatsbeitrag von 40,30 € zur
Krankenversicherung und von 5,00 € zur Pflegeversicherung. Der 10-Jahres-Zeitraum, innerhalb dem die
Beiträge monatlich zu zahlen seien, reiche vom 01.10.2004 bis 30.09.2014.
Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 21.10.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung
trug er vor, durch die übergangslose Anwendung des allgemeinen Beitragssatzes auf die
Versorgungsbezüge werde in unzulässiger Weise in den Vertrauensschutz seiner Alterssicherung
eingegriffen. Die Anwendung der zum 01.01.2004 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelungen
verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Grundgesetz (GG). Außerdem stelle die vorzeitige
Auszahlung der Deckungsrückstellung der Direktversicherung bei Kündigung bzw. Verlust des
Arbeitsplatzes keinen Versorgungsbezug dar. Beschäftigte, die auf Grund von
Personalabbaumaßnahmen gekündigt würden und dadurch vorzeitig und ohne Bezug von Rente aus
dem Beschäftigungsverhältnis ausschieden, fielen ohne Rücksicht auf ihr Alter nicht unter die Regelung
des § 229 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V); die von der Gruppenversicherung ausgezahlte
Deckungsrückstellung werde in diesen Fällen nicht von der Beitragspflicht zur gesetzlichen
Krankenversicherung erfasst, der Begriff des "rentennahen Alters" komme hier nicht zum Tragen.
Der Widerspruch blieb erfolglos und wurde durch die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005
als unbegründet zurückgewiesen; das Bundessozialgericht (BSG) habe durch Urteil vom "25.08.2005 (B
12 KR 30/03 R)" entschieden: "Wird eine Abfindung einer verfallbaren Anwartschaft auf betriebliche
Altersversorgung einschließlich der Zahlung von Rückkaufwerten bei vorzeitiger Kündigung einer
Direktversicherung von einem Arbeitgeber geleistet, zu dem kein aktuelles Beschäftigungsverhältnis
besteht, gelten diese Leistungen nicht als Arbeitsentgelt, sondern in der Kranken- und Pflegeversicherung
als beitragspflichtige Versorgungsbezüge im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 SGB V sowie §
57 Abs. 1 SGB XI. Voraussetzung für die beitragsrechtliche Behandlung ist, dass die Zahlung im zeitlichen
Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben steht. Ein solcher Zusammenhang ist
anzunehmen, wenn der Versicherte das 59. Lebensjahr vollendet hat." Die Gründe für das Ausscheiden
habe das BSG darüber hinaus nicht weiter differenziert, so dass diese Entscheidung auch für das
Ausscheiden wegen Personalabbaus gelten müsse.
Dagegen richtet sich die am 21.11.2005 zum Sozialgericht Speyer erhoben Klage. Zur Klagebegründung
hat der Kläger vortragen lassen: In der hier für die Beitragspflicht maßgeblichen Regelung des § 232a
Abs. 4 i.V.m. § 226 Abs. 1 Nr. 3 SGB V sei ein Verweis auf § 229 SGB V nicht enthalten; als
Versorgungsbezüge kämen insoweit nur laufende Geldleistungen in Betracht (unter Bezugnahme auf
Krauskopf, SGB V § 226 Rn. 8). Dies entspreche auch der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom
25.08.2004 (B 12 KR 30/03 R), wonach die vor Eintritt des Versorgungsfalls gezahlte Kapitalleistung einer
Unterstützungskasse nicht beitragspflichtig sei. Außerdem weise das BSG in der vorgenannten
Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass eine Kapitalleistung nur dann im Sinne des § 229 SGB V an
die Stelle der Versorgungsbezüge trete, wenn eine bereits geschuldete Rente durch eine Kapitalleistung
ersetzt werde; eine Verrentung der Ansprüche sei hier aber niemals vorgesehen gewesen. Diese
Rechtsprechung behalte auch unter der neuen Gesetzgebung ihre Gültigkeit, da schon nach der alten
Gesetzesfassung Versorgungsbezüge beitragspflichtig gewesen seien, wenn eine nicht regelmäßig
wiederkehrende Leistung erfolgte. Im Übrigen sei ein Versorgungsfall vorliegend nicht eingetreten, die
Kapitalleistung sei schon vor dem Versorgungsfall erbracht worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest und verweist nunmehr zur Begründung ihrer im
Widerspruchsbescheid gemachten Ausführungen auf Punkt 14 des Besprechungsergebnisses der
Spitzenverbände der Krankenkassen vom 08./ 09.03.2005.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten
und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Das darin enthaltene Vorbringen der Beteiligten war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die vorzeitige Kapitalleistung (Deckungsrückstellung) aus der für den Kläger durch seinen früheren
Arbeitgeber abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherung unterliegt nicht der Beitragspflicht zur
gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung. Der Bescheid der Beklagten
vom 19.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2005 war deshalb aufzuheben.
Vorliegend finden die durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom
14.11.2003 zum 01.01.2004 in Kraft getretenen beitragsrechtlichen Regelungen Anwendung, weil sowohl
der Versicherungsfall (Vollendung des 65. Lebensjahres) als auch die davon abweichende Fälligkeit der
Leistung der Deckungsrückstellung (30.09.2004) nach dem 31.12.2003 liegen (vgl. etwa BSG Urteil vom
13.09.2006 - B 12 KR 17/06 R).
Der Kläger war bei Beginn des von der Beklagten festgestellten Veranlagungszeitraums (ab dem
01.10.2004) als Bezieher von Arbeitslosengeld gesetzlich krankenversichert und beitragspflichtig. Die
beitragspflichtigen Einnahmen bestimmen sich nach § 232a SGB V. Gemäß Abs. 4. dieser Vorschrift
gelten die Regelungen des § 226 SGB V über die beitragspflichtigen Einnahmen versicherungspflichtig
Beschäftigter entsprechend. Hierunter fallen nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 SGB V auch der Zahlbetrag der der
Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge). Versorgungsbezüge als beitragspflichtige
Einnahmen werden von § 229 SGB V näher und abschließend bestimmt, diese Regelung ist deshalb auch
im Rahmen der Bemessung der beitragspflichtigen Einnahmen der Bezieher von Arbeitslosengeld
uneingeschränkt anwendbar. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten
danach auch Renten der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der
Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Nr.
5 SGB V). Dazu gehören neben Renten betrieblicher Versorgungseinrichtungen (Pensionskassen und
ähnliche Versorgungseinrichtungen) auch Renten aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer
abgeschlossenen Direktversicherung i.S.d. § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen
Altersversorgung (BetrAVG). Bei einem Versicherungsfall bis zum 31.12.2003 unterlagen nur
Rentenleistungen oder nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen (Kapitalleistungen), die durch eine
ab Fälligkeit der Rente getroffene Vereinbarung an deren Stelle traten, der Beitragspflicht; bei einem
Versicherungsfall ab dem 01.01.2004 gilt dies jetzt auch dann, wenn sie bereits zuvor umgewandelt oder
von vornherein als nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen vereinbart worden sind und bisher nach
der Rechtsprechung des BSG nicht beitragspflichtig waren (§ 229 Abs. 1 Satz 3 Regelung 2 SGB V). Die
gesetzliche Neuregelung verstößt nach der Rechtsprechung des BSG nicht gegen Verfassungsrecht. Dies
gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die den Bezügen zugrunde liegenden Aufwendungen
von den Versicherten selbst getragen wurden und ob auf die hierfür eingesetzten finanziellen Beiträge
bereits Krankenversicherungsbeiträge erhoben worden waren (vgl. zum Ganzen, einschließlich der
Prüfung der Verfassungsmäßigkeit, etwa BSG Urteil vom 13.09.2006 - B 12 KR 17/06 R).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist deshalb die Argumentation des BSG in seinem Urteil vom
25.08.2004 (B 12 KR 30/03 R) für den hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht mehr tragfähig, denn das
BSG stellte in der Entscheidung unter Geltung des alten Rechts maßgeblich darauf ab, dass eine noch
nicht geschuldete (fällige) Rente durch eine Kapitalleistung ersetzt wurde. Nunmehr sind aber auch
anfänglich oder sonst vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbarte Kapitalleistungen beitragspflichtig.
Voraussetzung für die Anwendung des § 229 Abs. 1 ist jedoch, dass der Versorgungsfall bereits
eingetreten ist. Denn als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten nach dem
eindeutigen Wortlaut der Norm Renten der betrieblichen Altersversorgung nur, "soweit sie wegen einer
Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden".
Dazu zählen keine Bezüge, die aus anderen Gründen - hier die vorzeitige Auflösung der Versicherung
wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes - erzielt werden. Gemäß dem Wortlaut der Vorschrift ist für die
Bestimmung der der Rente vergleichbaren Einnahmen auch nicht auf die Zweckrichtung bei Abschluss
der Lebensversicherung oder den Zweck der Beitragsentrichtung abzustellen sondern auf den Zweck der
Leistungserzielung. Dies muss auch für die Kapitalabfindung gelten, die eine solche Rente ersetzt. Auch
die Kapitalleistung muss ein Versorgungsbezug sein, der wegen einer Einschränkung der
Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt wird. Es entsprach niemals dem
Willen des Gesetzgebers Kapitalleistungen einer weitergehenden Beitragspflicht als Rentenleistungen zu
unterwerfen. Daran hat auch die Erweiterung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V zum 01.01.2004 nichts
geändert. Hierdurch wurde nur bestimmt, dass nunmehr auch solche Kapitalleistungen, die eine Rente
ersetzen, als Versorgungsbezüge gelten, wenn die Ersetzungsvereinbarung vor Eintritt des
Versicherungsfalls getroffen wird oder eine Kapitalleistung anfänglich vereinbart worden ist. Die Regelung
des Versicherungsfalls bzw. die Definition des Versorgungsbezugs ist hingegen durch den Gesetzgeber
nicht vorverlagert bzw. erweitert worden. Ziel des Gesetzgebers war es lediglich, die Fälle, in denen eine
laufende Rentenzahlung zugesagt ist, und die Fälle in denen der Anspruch von vornherein auf eine
Kapitalleistung gerichtet ist, gleich zu behandeln (vgl. die amtliche Begründung zu Art. 1 Nr. 143 GMG,
Bundestags-Drucksache 15/1525 S. 139).
Der Kläger hat die Deckungsrückstellung nicht wegen einer Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit oder
zur Altersversorgung erzielt. Der Versicherungsfall der Lebensversicherung war mit dem Fälligkeits- und
Zahlungstermin am 30.09.2004 noch nicht eingetreten; der Kläger vollendet das 65. Lebensjahr erst am
21.11.2009. Stattdessen gelangte die Deckungsrückstellung an den Kläger zur Auszahlung, weil er aus
der Gruppenversicherung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei den US-
Stationierungsstreitkräften ausschied. Es handelt sich nicht um eine Kapitalleistung die an die Stelle der
Versorgungsbezüge tritt (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V), sondern um eine nicht beitragspflichtige
Kapitalleistung die an die Stelle eines künftigen Versorgungsanspruchs getreten ist.
Diese Rechtsauffassung wird grundsätzlich auch von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, dem
früheren Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger und der Bundesagentur für Arbeit geteilt
(vgl. Punkt 4 des Besprechungsergebnis vom 17./18.03.2005), die zur beitragsrechtlichen Behandlung
von Abfindungen künftiger Versorgungsansprüche zu dem Ergebnis gelangt sind, dass sowohl nach der
bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des § 229 SGB V als auch nach der seit dem 01.01.2004
geltenden Rechtslage unabdingbare Voraussetzung für die Anwendung dieser Norm der Eintritt des
Versorgungsfalls ist.
Deshalb gehen die Beklagte und die Spitzenverbände der Krankenkassen von einer Beitragspflicht für
vorzeitige Abfindungen auch nur in Umgehungsfällen aus, d.h. zur Vermeidung einer Umgehung der
Beitragspflicht. Eine solche Umgehung vermuten sie wegen des zeitlichen Zusammenhangs
unwiderlegbar bei einer vorzeitigen Abfindungsleistung im "rentennahen Alter", d.h. ab dem vollendeten
59. Lebensjahr des Versicherten (vgl. Punkt 14 des Besprechungsergebnisses der Spitzenverbände der
Krankenkassen vom 08./09.03.2005). Diese unwiderlegliche Vermutung findet indes weder im Gesetz
noch in der Rechtsprechung des BSG eine hinreichende Stütze. Entgegen der Begründung der Beklagten
im Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005 hat das BSG eine solche Vermutungsregelung niemals
aufgestellt. Ein beitragsrechtliches Urteil des BSG vom 25.08.2005 ist hier nicht bekannt. Ausweislich des
zitierten Aktenzeichens - B 12 KR 30/03 R - wollte die Beklagte offenbar auf das Urteil des BSG vom
25.08.2004 Bezug nehmen, darin werden aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass bzw. ab wann
eine Abfindungsleistung vor Eintritt des Versorgungsfalls der Beitragspflicht unterliegen soll.
Die erkennende Kammer verkennt nicht, dass die Beitragsregelung des § 229 Abs. 1 SGB V durch die
vorzeitige Inanspruchnahme einer Kapitalabfindung umgangen werden kann und dass dies, zumindest im
Falle der Missbräuchlichkeit nicht hingenommen zu werden braucht. Bei fehlender gesetzlicher Grundlage
kann eine Umgehung aber nicht schon aufgrund einer bloßen zeitlichen Nähe - längstens sechs Jahre
vor Eintritt des Versicherungsfalls - unwiderleglich vermutet werden. Allenfalls können die zuständige
Behörde oder das erkennende Gericht im Einzelfall eine solche Umgehung feststellen und die zur
Umgehung des Beitragstatbestandes erzielten Leistungen der Beitragspflicht unterwerfen.
Konkrete Anhaltspunkte für eine Umgehung der Regelung des § 229 Abs. 1 SGB V sieht die Kammer
vorliegend nicht. Im Gegenteil ist festzustellen, dass das Versicherungsende und die damit verbundene
Kapitalabfindung hier primär der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschuldet waren. Zwar
vereinbarte der Kläger mit seinem Arbeitgeber einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag die Beendigung
des Arbeitsverhältnisses, gleichwohl liegt eine betriebsbedingte Beschäftigungsaufgabe vor, denn ohne
den Aufhebungsvertrag wäre das Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige, betriebsbedingte Kündigung
zum gleichen Zeitpunkt beendet worden (vgl. Ziff. 1. Buchst. a. des Aufhebungsvertrages). Dem Kläger
kann auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er von dem ihm versicherungsrechtlich zustehenden
Recht auf Auszahlung der Deckungsrückstellung gebrauch machte, anstatt die Versicherung als
beitragsfreie Kapital-Lebensversicherung ohne Unfall-Zusatzversicherung im Rahmen der
Gruppenversicherung oder als beitragspflichtige Kapital-Lebensversicherung mit Unfall-
Zusatzversicherung im Rahmen eines Einzelversicherungstarifs fortzuführen. Hierin kann noch keine
(missbräuchliche) Umgehung der Beitragspflicht gesehen werden; der Kläger hat sich lediglich im
Rahmen der üblicherweise vertraglich zugesicherten und anfänglich und gruppenmäßig vereinbarten
Gestaltungsmöglichkeiten bewegt. Anders wäre der Sachverhalt allenfalls zu beurteilen, wenn eine solche
Kündigungs- und Abfindungsvereinbarung erst nachträglich und im Zusammenhang mit der Aufgabe des
Arbeitsverhältnisses und der drohenden Beitragspflicht vereinbart worden wäre, dies ist hier nicht der Fall
gewesen.
Aus denselben Gründen stellt die Zahlung der Deckungsrückstellung auch keine beitragspflichtige
Einnahme im Sinne der sozialen Pflegeversicherung dar. § 57 Abs. 1 SGB XI verweist zur
Beitragsbemessung für die Mitglieder der Pflegekasse, die in der gesetzlichen Krankenversicherung
pflichtversichert sind, auf die §§ 226, 228 bis 238 und § 244 SGB V. Auf die zuvor gemachten
Ausführungen kann verwiesen werden. Zudem war die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht befugt über die Beitragspflicht und die Höhe der Beiträge zur sozialen
Pflegeversicherung eine Entscheidung zu treffen. Die Pflegekassen, die bei den Krankenkassen errichtet
sind (§ 46 Abs. 1 S 1, 2 SGB XI), sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit
Selbstverwaltung. Sie sind damit selbständige Träger von Rechten und Pflichten (vgl. Begründung des
Entwurfs zu § 42 Abs. 2, BT-Drucks 12/5262 S 117; Kasseler Kommentar § 46 SGB XI Rn. 15). Organe der
Pflegekassen sind die Organe der Krankenkassen, bei der sie errichtet sind. Diese enge Verbindung von
Krankenkassen und Pflegekassen mag teilweise zu Unklarheiten in der Zuständigkeit geführt haben,
grundsätzlich hat indes über alle Fragen der Pflegeversicherung (Versicherungspflicht, Beiträge,
Leistungen) die Pflegekasse und nicht die Krankenkasse zu entscheiden (BSGE 81,
168
,
169
= SozR 3 -
3300 § 20 Nr. 2 S 2/3; BSGE 81,
177
,
178
= SozR 3 - 3300 § 55 Nr 2 S 8/9; BSG SozR 3 - 3300 § 20 Nr 5 =
NZ 5, 1999, 248). Die Krankenkasse darf über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der
Pflegeversicherung nur entscheiden, soweit sie (bei entgeltlich Beschäftigten) Einzugsstelle ist (§ 28h
Abs. 2 SGB IV). Soweit in Angelegenheiten der Pflegeversicherung nicht ausnahmsweise ein anderer
Versicherungsträger zuständig ist, sondern es bei der regelmäßigen Zuständigkeit der Pflegekasse bleibt,
sind der Bescheid und der Widerspruchsbescheid von der Pflegekasse zu erlassen. Allenfalls kommt in
Betracht, dass die Krankenkasse sie im Namen der Pflegekasse erlässt. Vorliegend hat die Krankenkasse
weder als zuständige Einzugstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28h SGB IV
entschieden noch hat sie den Bescheid vom 19.10.2004 und den Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005
(auch) im Namen der Pflegekasse erlassen.
Ferner sei darauf hingewiesen dass die Kapitalabfindung aus der betrieblichen Lebensversicherung auch
kein beitragspflichtiges einmaliges Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV darstellt. Es handelt sich nicht
um eine Abgeltung für bestehende Entgeltsansprüche, sondern für künftige Versorgungsansprüche. Auch
wird die Leistung nicht für Zeiten des Arbeitsverhältnisses, sondern als Folge der beendeten
Beschäftigung gerade für die Zeit nach und wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und entspricht dem Ausgang des
Rechtsstreits.