Urteil des SozG Speyer vom 14.02.2007

SozG Speyer: beherrschende stellung, gesellschafter, geschäftsführer, kaufmännischer angestellter, einfluss, gehalt, kapitalbeteiligung, sperrminorität, firma, unternehmen

Sozialrecht
SG
Speyer
14.02.2007
S 7 KR 401/05
Bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflichtigkeit einer Beschäftigung in einer Kapitalgesellschaft
ist für die Frage der persönlichen Abhängigkeit die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Gesellschaft
wesentlich. Hierfür ist der Umfang der Kapitalbeteiligung wesentliches Indiz.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit des Klägers in der Zeit vom
1.1.1997 bis zum 31.12.2003.
Der am geborene Kläger schulte in den Jahren 1990 bis 1992 zum Offsetdrucker um. Danach gründete
er eine Produktionsagentur für Drucksachen als Einzelkaufmann.
Am 8.7.1996 schloss er mit der Beigeladenen zu 4), vertreten durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer,
den Zeugen E., einen schriftlichen „Anstellungsvertrag“. Darin vereinbarten die Vertragsparteien unter
anderem, dass der Kläger als „Verkaufsleiter als außertariflicher kaufmännischer Angestellter“ tätig
werden sollte. Die ersten sechs Monate sollten als Probezeit gelten. Als monatliches Gehalt wurde ein
Betrag in Höhe von insgesamt 8.000,00 Deutschen Mark (DM) vereinbart. Dem Kläger stand nach dem
Vertrag ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen pro Jahr zu. Für Nebentätigkeiten wurde vereinbart, dass
diesen schriftlich durch den Geschäftsführer zuzustimmen sei.
Seit diesem Zeitpunkt wurden aufgrund des Arbeitsvertrags Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte
abgeführt.
Am 9.12.1996 erwarb der Kläger vom Zeugen E. 10 Prozent der Geschäftsanteile an der GmbH zu einem
Kaufpreis in Höhe von 19.500,00 DM.
Am 2.12.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung seiner Sozialversicherungspflicht.
Er sei seit 1.1.1997 mitarbeitender Gesellschafter der Beigeladenen zu 4). An bestimmten Arbeitszeiten
und –orte sei er nicht gebunden. Er übe seine Tätigkeit weisungsfrei aus. Zudem besitze er besondere
Branchenkenntnisse und habe eine hohe Bürgschaft für die Gesellschaft übernommen.
Mit Bescheid vom 1.7.2005 stellte die Beklagte die Sozialversicherungspflicht des Klägers fest. Er habe
keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft besessen, da er nicht über die
erforderliche Mehrheit am Stammkapital verfüge. Zudem habe er feste Bezüge von der Gesellschaft
bezogen und daher kein Unternehmerrisiko getragen.
Unter dem 27.7.2005 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein, den die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 10.11.2005 unter weiterer Ausführung der Gründe des Ausgangsbescheids
zurückwies.
Hiergegen hat der Kläger am 12.12.2005 Klage vor dem Sozialgericht Speyer erhoben.
Das Gericht hat die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Pflegekasse der B., die A. und die Firma E.
GmbH beigeladen.
Der Kläger meint, er erfülle die wesentlichen Voraussetzungen einer versicherungspflichtigen Tätigkeit
nicht.
Es sei unerheblich, dass er nicht formal Mehrheitsgesellschafter gewesen sei. Wäre er dies gewesen,
wäre dadurch zwar zwingend seine Sozialversicherungspflicht ausgeschlossen gewesen. Ein
Umkehrschluss sei aber nicht zulässig. Die formelle und vertragliche Ausgestaltung des
Beschäftigungsverhältnisses sei lediglich der Ausgangspunkt der Beurteilung der
Sozialversicherungspflicht. Weiche diese aber von den tatsächlichen Verhältnissen ab, gäben nur die
tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag. Entscheidend sei daher die „gelebte Praxis“.
Der Kläger behauptet, er sei nicht in eine von dritter Seite vorgegebene betriebliche Ordnung
eingegliedert gewesen. Er habe vielmehr eine eigene Ordnung vorgegeben. Weisungsgebunden sei er
nicht gewesen. Er habe seine Arbeit in Bezug auf den Ort, die Zeit und die Art und Weise der Ausführung
frei bestimmen können. Selbst wenn eine formale Weisungsmöglichkeit von dritter Seite bestanden hätte,
dann wäre von ihr jedenfalls in der Praxis kein Gebrauch gemacht worden. Dies alleine sei nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entscheidend.
Der Kläger meint, typisch für eine selbständige Tätigkeit sei die Übernahme eines Unternehmerrisikos. Ein
solches Risiko zeige sich hier vor allem darin, dass er Sicherheiten in Form einer selbstschuldnerischen
Bürgschaft in Höhe von 422.000,00 Euro übernommen habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.11.2005
aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger im Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 31.12.2003 im Rahmen
seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 4) nicht versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Renten-
und Arbeitslosenversicherung war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf die Gründe ihres Bescheids und Widerspruchsbescheids.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen F. und E.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger war in der Zeit vom
1.1.1997 bis zum 31.12.2003 sozialversicherungspflichtig bei der Beigeladenen zu 4) beschäftigt.
Eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist die
nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Sie ist abzugrenzen von einer
selbständigen Tätigkeit. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und
eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Eingliederung in den Betrieb wird
deutlich an der Unterordnung unter ein vor allem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung
umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers, das dieser auch an andere Personen weitergeben kann.
Es muss eine fremdbestimmte Leistung verbleiben, die Dienstleistung also zumindest in einer von anderer
Seite vorgegebenen Ordnung eines Betriebes aufgehen. Ist ein Weisungsrecht nicht vorhanden, kann der
Betreffende seine Tätigkeit also im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die Arbeitskraft, über
Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen, oder fügt er sich nur in die von ihm selbst vorgegebene Ordnung
des Betriebes ein, liegt keine abhängige, sondern eine selbstständige Tätigkeit vor, die zudem regelmäßig
durch ein Unternehmerrisiko gekennzeichnet ist. Ein Unternehmenerrisiko, das abzugrenzen ist von
einem bloßen Einkommensrisiko, kennzeichnet sich durch weitere Aufwendungen, die der Gefahr
unterliegen, frustrierte Investitionen zu werden, sofern sich eine unternehmerische Hoffnung nicht
realisiert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eigene Betriebsmittel beschafft oder eigene Angestellte
fest eingestellt werden (vgl. dazu Bay. LSG, Urteil vom 18.5.2004 - Aktenzeichen L 5 KR 167/01 - zitiert
nach Juris Rn. 19, 22). Einem Unternehmerrisiko steht stets eine Unternehmerchance gegenüber. Unter
einer Unternehmerchance ist die unmittelbare Teilhabe am Unternehmenserfolg vor allem durch
Beteiligung am Gewinn zu verstehen. Indizien für eine weisungsfreie und deshalb unternehmerische
Tätigkeit sind ferner das Fehlen eines schriftlichen Anstellungsvertrages sowie abweichende
Tätigkeitsregelungen im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern (Reiserer BB 1999, 2026, 2028).
Die Kriterien für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit sind
gegeneinander abzuwägen. Jedes Kriterium hat indizielle Wirkung. Entscheidend ist, welche Merkmale
überwiegen. Maßgeblich ist das Gesamtbild der Tätigkeit. Dabei kommt es für die Frage, ob eine
abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, vorrangig auf die tatsächliche
Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an, die vertraglich vereinbarte Rechtslage ist demgegenüber
nachrangig, wenn auch Ausgangspunkt der Beurteilung und unter dem Aspekt der Privatautonomie zu
berücksichtigen (BSG, Urteil vom 28.11.1990, Az.: 5 RJ 87/89; Urteil vom 8.8.1990, Az.: 11 Rar 77/89 und
Urteil vom 30.1.1990, Az.: 11 Rar 47/88; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.10.2005, Az.: L 5 KR
86/04; SG Speyer, Urteil vom 13.12.2006, Az: S 7 RI 462/06; die Definition stimmt - zumindest in
Grenzbereichen - nicht völlig überein mit dem Arbeitnehmerbegriff des BAG, vgl. Kasseler
Kommentar/Seewald, 43. EL., § 7 SGB IV Rn. 9 und Rn. 126 ff. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).
Zu modifizieren ist die Betrachtungsweise bei der Beurteilung von Beschäftigten bzw. nicht-abhängig
Tätigkeiten Personen innerhalb von Kapitalgesellschaften. Für den Geschäftsführer einer GmbH ist
anerkannt, dass er kein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts ist. Dies alleine bedeutet jedoch nicht
zwingend, dass er auch kein Beschäftigter im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist. Entscheidend
kommt es vielmehr auch hier darauf an, ob er unter persönlicher Abhängigkeit – von der Gesellschaft –
tätig wird. Ein wesentliches Kriterium für die Frage der persönlichen Abhängigkeit ist der Umfang der
Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft. Hat die
zu beurteilende Person eine Kapitalbeteiligung von 50 % oder mehr an der Gesellschaft, ist ein
sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis regelmäßig zu verneinen (BSG GmbHR 1995,
584). Unerheblich ist andererseits, ob die beherrschende Stellung in der Gesellschaft unmittelbar oder nur
mittelbar besteht. Eine mittelbare Beherrschung der Gesellschaft kann vorliegen, wenn die zu
beurteilende Person zwar an der Gesellschaft keine oder nur eine geringe Beteiligung hat, aber mittelbar
über eine von ihm beherrschte Gesellschaft an der GmbH mehrheitlich beteiligt ist (Brandmüller, Der
GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 1999, Rn. 800).
Liegt die Kapitalbeteiligung der zu beurteilenden Person unter 50 %, so führt dies aber nicht im
Umkehrschluss automatisch dazu, dass prinzipiell eine Weisungsgebundenheit anzunehmen ist. Letztlich
ist im Einzelfall zu prüfen, ob die zu beurteilende Person trotz ihrer nicht gegebenen oder geringen
Kapitalbeteiligung einen so maßgebenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft hat, dass sie
jeden Beschluss, insbesondere jede ihm nicht genehme Weisung der Gesellschafter verhindern kann.
Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die zu beurteilende Person einen Gesellschaftsanteil hält, der zu
einer im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Sperrminorität führt (BSG GmbHR 1998, 1127; GmbHR 1992,
172; BSG BB 1972, 404).
Auch bei Nichtvorliegen einer Sperrminorität kann in Ausnahmefällen von einem vergleichbar
maßgeblichen Einfluss der zu beurteilenden Personen ausgegangen werden. In Betracht kommt eine
beherrschende Stellung aufgrund von besonderen Branchenkenntnissen oder anderen Erfahrungen, wie
bspw. Kundenverbindungen. Von einem Einfluss, der einer Sperrminorität oder einer Mehrheit der
Gesellschaftsanteile gleich kommt, wird man aber in diesen Fällen nur dann ausgehen können, wenn die
mehrheitlichen Gesellschafter faktisch gar nicht in der Lage wären, dem Fachkundigen Weisungen zu
erteilen (BSG SozR 2400 Nr. 25 m, § 2 Nr. 25; BSG GmbHR 1975, 36).
Bei geringfügig an der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern kommt eine
beherrschende Stellung des Weiteren dann in Betracht, wenn sie vom Verbot einer Selbstkontrahierung
befreit sind oder wenn eine Einzelvertretungsbefugnis besteht. Beide „Freiheiten“ gehen über die üblichen
Befugnisse eines GmbH-Geschäftsführers hinaus und zeigen, dass die zu beurteilende Person ohne
weitere Kontrollinstanz schalten und walten können soll (Reiserer BB 1999, 2026, 2028).
Im vorliegenden Fall sprechen mehr Indizien für als gegen eine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung des Klägers.
Die Kammer geht bei Ihrer Beurteilung zunächst vom Gesellschaftsvertrag und vom schriftlichen
Arbeitsvertrag des Klägers aus. Beide sprechen deutlich für eine abhängige Beschäftigung des Klägers.
Die Gesellschaftsbeteiligung des Klägers mit 10% war gegenüber dem Anteil des Zeugen E. mit 80%
denkbar geringfügig. Der Wortlaut des Anstellungsvertrags zeigt keine Anhaltspunkte für eine
selbständige, weisungsfreie Tätigkeit des Klägers. Aufgrund des Anstellungsvertrags waren dem Kläger
ungenehmigte (Neben-) Tätigkeiten für andere Auftraggeber untersagt, Urlaubsansprüche waren
festgeschrieben und auch die Terminologie spricht klar für eine abhängige Beschäftigung („Mitarbeiter“,
„Verkaufsleiter“, „außertariflich“, „Angestellter“). Zudem war im Arbeitsvertrag ein festes Gehalt vereinbart.
Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen aus diesem festen Gehalt war ausdrücklich
festgehalten.
Die Kammer misst dem Anstellungsvertrag und seinem Wortlaut keinen gänzlich untergeordneten
Stellenwert bei. Nach den übereinstimmenden Auskünften des Klägers und der Zeugen verfügte die
Mehrzahl der Angestellten der GmbH nicht über schriftliche Arbeitsverträge. Dies galt auch für den – in
seinem Status mit dem Kläger vergleichbaren – Produktionsleiter B., der über Prokura und einen 10%igen
Gesellschaftsanteil verfügte. Dass sich die Beigeladene zu 4) und der Kläger entschlossen entgegen
dieser Firmentradition einen Arbeitsvertrag schriftlich zu fixieren, kann durchaus als Indiz dafür gewertet
werden, dass der Inhalt des Vertrags auch seinem Wortlaut entsprechend gewollt war. Dies gilt jedenfalls
für die Zeit vor und direkt nach Abschluss des Anstellungsvertrags. Hierfür spricht auch, dass der Zeuge E.
bestätigte, dass er direkt nach dem Beginn der Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene zu 4) zunächst
den Kläger kennen lernen wollte, „erstmal sehen wollte, ob es mit dem Kläger funktioniert.“ Die im
Arbeitsvertrag vereinbarte Probezeit und das sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Arbeitgeber-
Arbeitnehmer-Verhältnis war nach Einschätzung der Kammer vom Zeugen E. durchaus gewollt, um ihm
die nötige „Sicherheit“ zu geben, bevor er sich auf einen gleichberechtigten Partner innerhalb der
Gesellschaft oder sogar auf einen Nachfolger in der Firma einlässt.
Selbst wenn man aber den Wortlaut des Arbeitsvertrags und das indizielle Kriterium der Privatautonomie
Selbst wenn man aber den Wortlaut des Arbeitsvertrags und das indizielle Kriterium der Privatautonomie
außer acht lässt und der Argumentation des Klägers folgt, dass der Arbeitsvertrag durch die „gelebte
Praxis“ zur Unbeachtlichkeit degradiert wurde, geht die Kammer davon aus, dass auch die tatsächlichen
Umstände für eine abhängige Beschäftigung sprechen.
Die Kammer meint, dass zwischen dem Beginn der Tätigkeit des Klägers im Juli 1996 und der Übernahme
der Firma zum 1.1.2004 keine wesentliche Änderung der Verhältnisse stattgefunden hat. Der Kläger
wurde im Juli 1996 als abhängig beschäftigter Verkaufsleiter eingestellt, um die Kunden-Akquise der
Beigeladenen zu 4) zu beleben. Da mit Beginn seiner Tätigkeit diese „Abteilung“ neu geschaffen wurde,
ließ die Beigeladene zu 4) dem Kläger auch weitreichend freie Hand in der Gestaltung dieser neuen
Abteilung. Dies war auch nachvollziehbar, denn der Kläger brachte sowohl Erfahrung als auch
Kundenkontakte mit, die so bei der Beigeladenen zu 4) bis dato nicht in diesem Maße vorhanden waren.
Dass der Kläger bis mindestens Dezember 1996 dabei abhängig beschäftigt war, ist nicht im Streit. Selbst
der Kläger geht von einer abhängigen Beschäftigung bis Dezember 1996 aus, weshalb er ursprünglich
und auch im Klageantrag nur die Feststellung seiner Sozialversicherungsfreiheit ab dem 1.1.1997
beantragt hat. Die tatsächlichen Umstände dieses Beschäftigungsverhältnisses änderten sich nach
Meinung der Kammer erst mit dem 1.1.2004. Insbesondere brachte der Erwerb des 10%igen
Gesellschaftsanteils im Dezember 1996 keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse mit
sich. Diese Beteiligung an der Gesellschaft diente – wie der Zeuge E. es formuliert – „der Motivation“ und
der Verfestigung des Plans, zu einem Zeitpunkt in der Zukunft eine Übernahme der Gesellschaft durch
den Kläger zu ermöglichen. Die Beteiligung band den Kläger an die Gesellschaft und mit ihm, die von ihm
akquirierten Kunden. Des Weiteren war die Beteiligung an der Gesellschaft für den Kläger eine
Vermögensanlage, die es ihm erlaubte neben seinem festen Gehalt auch am Gesellschaftsgewinn zu
partizipieren. Sie ersetzte daher die für den Außendienst typische Provisionsvereinbarung. Eine solche
war zum damaligen Zeitpunkt neben einer Gewinnbeteiligung an der Gesellschaft auch nicht notwendig,
weil der Kläger der einzige Kundenbetreuer war und daher seine Verkaufserfolge direkte Auswirkungen
auf den Unternehmenserfolg hatten. Durch sein hohes festes Gehalt war diese Gewinnbeteiligung aber
vergleichsweise risikolos, weil ihm auch bei einem Misserfolg der Gesellschaft zumindest sein Fixgehalt
geblieben wäre. Dies änderte sich erst mit dem 1.1.2004, als der Kläger einen 50%igen
Gesellschaftsanteil erlangte. Dass auch die Gesellschafter erst diesen Zeitpunkt als Wendepunkt
erachteten, zeigt sich auch daran, dass beide Zeugen und auch der Kläger selbst vom 1.1.2004 mehrmals
als dem Zeitpunkt sprachen, in dem der Kläger die „GmbH übernahm“.
Mit dem Erwerb des 10%igen Gesellschaftsanteils erlangte der Kläger keinen maßgeblichen Einfluss auf
die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft. Ein solcher Einfluss, eine beherrschende Stellung, war
ihm aufgrund seiner tatsächlichen Position und seiner rechtlichen Stellung nicht möglich. Eine
Stimmenmehrheit besaß er ebenso wenig wie eine Sperrminorität.
Eine beherrschende Position ergab sich auch nicht aus den übrigen tatsächlichen Umständen. Die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geht neben einer mindestens 50%igen
Gesellschaftsbeteiligung an der GmbH oder dem Vorliegen einer Sperrminorität vom Vorliegen einer
selbständigen Tätigkeit wie oben dargelegt zu Recht nur ausnahmsweise aus. Derartige
Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
Der Kläger hat weder besondere Branchenkenntnisse noch sonstige Erfahrungen, die ihm einen
beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft hätten bringen können. Der Zeuge E. war mit seinem
Mitarbeiterstab und seinem Produktionsleiter B. auch ohne den Kläger in der Lage, den Betrieb
fortzuführen. Ihm fehlte – wie er es ausdrückte – „ein Verkaufsmann“. Die Verkäuferfähigkeit ist aber eher
durch ein bestimmtes Auftreten geprägt als durch besondere Branchenkenntnisse im Sinne von
einmaligem, nicht ersetzbarem Fachwissen. Sicher benötigt auch ein Verkäufer einschlägige
Fachkenntnisse. Diese sind aber nicht derart spezialisiert, dass der Gesellschaftserfolg damit steht und
fällt und die Gesellschaft ohne den Verkäufer nicht existieren kann. Auch die Kundenkontakte des Klägers
brachten ihm keine beherrschende Position. Zwar bestätigten beide Zeugen den Vortrag des Klägers,
dass durch die mitgebrachten Kunden der Umsatz und Gewinn der Beigeladenen zu 4) deutlich gesteigert
wurde. Diese Kunden waren aber nicht überlebensnotwendig für das Unternehmen, sondern gaben ihm
nur die Möglichkeit zu wachsen.
Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Ausnahmen
bisher nur für Gesellschafter zugelassen hat, die zugleich Geschäftsführer der GmbH waren (vgl. Matern
RVaktuell 2006, 261 ff.; Gach/Kock NJW 2006, 1089 ff.; Reiserer BB 1999, 2026, 2028). Der Kläger war
aber nicht Geschäftsführer. Er verfügte weder über Prokura noch über eine Handlungsvollmacht. Er
konnte – abgesehen von einer augenscheinlich vorliegenden Duldungsvollmacht – die GmbH nicht
wirksam im Außenverhältnis vertreten. Er war daher nicht in der Lage Verpflichtungen für die GmbH zu
begründen. Seine tatsächliche Position war daher in rechtlicher Hinsicht denkbar schwach ausgestaltet.
Er war vielmehr für nach Außen rechtswirksame Handlungen stets auf die Zustimmung und Mitwirkung
des Zeugen E. und/oder des Prokuristen B. angewiesen.
Die Kammer ist der Auffassung, dass der Kläger zwar eine herausgehobene Stellung bei der
Beigeladenen zu 4) innehatte, dass er eine hochrangige Führungsposition bekleidete, die sich am
ehesten als Abteilungsleiter für den Bereich des Verkaufs beschreiben lässt. Seine Weisungsfreiheit
erstreckte sich aber auch nur auf diesen Verantwortungsbereich. Die tatsächliche Weisungsfreiheit
hinsichtlich seiner Arbeitszeit, seines Arbeitsortes und der Art und Weise seiner Tätigkeit ist typisch für
einen Mitarbeiter im Außendienst, insbesondere in der Kundenakquise und Kundenbetreuung. Die
Lockerung der Weisungsbefugnis ist von der Rechtsprechung für Mitarbeiter in leitenden Funktionen auch
anerkannt, ohne dass dies sogleich auf eine selbständige Tätigkeit schließen ließe (LSG Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 27.4.2006, Az: L 1 KR 31/04). Diese Weisungsfreiheit in einem speziellen Bereich, in seiner
Abteilung, führt aber nicht dazu, dass der Kläger in der Lage war, die Gesellschaft als Ganzes maßgeblich
zu beeinflussen. Hierfür sprechen sowohl die Aussagen des Zeugen E., wie auch die des Zeugen F. So
bestätigte der Zeuge E., dass er sich „um Teile des Betriebs nicht mehr gekümmert“ habe. Hierzu gehörte
auch die Kundenakquise, da dies ein Tätigkeitsbereich war, in dem er sich nicht heimisch fühlte. Gestützt
wird diese faktische Einteilung der GmbH in Abteilungen auch von der Aussage des Zeugen F., der
feststellte, dass der Zeuge E. auch weiter sein direkter Vorgesetzter gewesen sei; mit dem Kläger habe er
nur selten Kontakt gehabt, weil dieser vor allem im Außendienst tätig gewesen sei.
Mit Ausnahme seiner Führungsposition unterschied sich das Beschäftigungsverhältnis des Klägers
faktisch nicht erheblich von denen anderer Angestellter des Unternehmens. Dass der Kläger seinen
Urlaub nicht förmlich beantragen musste, war kein besonderes Privileg. Dies galt ähnlich auch für alle
anderen Angestellten: So musste auch der Zeuge F. seinen Urlaub nur in eine Liste eintragen – also
abstimmen. Zudem erhielt auch der Kläger ein – wenn auch hohes – festes Gehalt. Ebenso wie der später
eingestellte, weitere Außendienstmitarbeiter S., war die Arbeitszeit des Klägers flexibel. Zudem hatte der
Kläger keine Vertretungsbefugnis für die Gesellschaft. Nach Außen trat seine Mitgesellschafterstellung
nicht hervor. Dies galt auch für den damaligen Firmennamen.
Innerhalb des Betriebs war zur Überzeugung der Kammer ebenfalls klar, dass der Kläger zwar eine
Führungsposition hatte, dass aber letztendlich Verantwortlicher und damit einzig beherrschender Inhaber
der Gesellschaft der Zeuge E. war. Dies drückte sich nicht nur im Firmennamen aus. Dies war auch der
Eindruck der Mitarbeiter. So bestätigte der Zeuge F. auch auf wiederholte Nachfrage, dass der Zeuge E.
der „Chef unter den Chefs“ in der Gesellschaft war. Auch der Zeuge E. selbst spricht davon, dass er die
„letztendliche Verantwortung“ nicht abgeben wollte. Er war nach seiner Aussage deshalb der einzige
Geschäftsführer der GmbH, um die „Macht nicht vollständig aus der Hand zu geben“. Er relativierte diese
zunächst getätigte Aussage in der Vernehmung zwar mit der Bemerkung, dass wenn der Kläger auch
hätte Geschäftsführer sein wollen, er es hätte werden können, „dann hätten es aber alle sein müssen“.
Selbst diese Relativierung macht also deutlich, dass letzten Endes der Zeuge E. die Bedingungen diktiert
hätte, unter denen einer der Mitgesellschafter Geschäftsführer hätte werden können. Schließlich zeigt
auch die deutlich zugunsten des Zeugen E. festgelegte Verteilung der Gesellschaftsanteile für eine klar
dominierende Stellung in der Gesellschaft. Dass über diese Verteilung „nicht nachgedacht“ wurde,
erscheint der Kammer im Nachhinein kaum nachvollziehbar. Diese Ordnung des Betriebs war vom
Zeugen E. geschaffen worden. Hinter ihr stand der Plan, das Unternehmen zu modernisieren, neue
Vertriebswege zu erschließen und sich langfristig aus dem Unternehmen zurückzuziehen, in dem in
Person von Herrn B. und dem Kläger Nachfolger "herangezogen" werden. Aus (objektivierter) Sicht des
Klägers war diese Ordnung aber fremd: Es war die betriebliche Ordnung, die der Zeuge E. vorgegeben
hatte. In diese Ordnung fügte sich der Kläger ein.
Die hohe Bürgschaft des Klägers schließlich ist zwar atypisch für einen angestellten Mitarbeiter. Sie ist
aber nachvollziehbar, wenn man die Zukunftsplanung der Gesellschafter betrachtet. So wie die frühe
Beteiligung an der Gesellschaft mit 10 Prozent ein Vertrauensbeweis und eine Motivation für den Kläger
war, so ist die Stellung einer Bürgschaft ein Vertrauensbeweis und ein Meilenstein auf dem Weg zum Ziel
der Firmenübernahme in der Zukunft. Sie ist als eine Art Anzahlung oder als der Erwerb einer faktischen
Anwartschaft (im untechnischen Sinne) auf die Übernahme der Gesellschaft zu sehen. Sie bringt dem
Kläger aber keine beherrschende Stellung im Hinblick auf die Beschlussfassung der Gesellschaft ein.
Zuletzt darf nicht völlig außer Acht gelassen werden, dass der Kläger – ebenso wie sein Arbeitgeber –
über viele Jahre ohne Zweifel davon ausgegangen sind, dass die Tätigkeit des Klägers
sozialversicherungspflichtig war. Es ist für die Kammer nur schwer nachvollziehbar, dass Geschäftsleute,
die selbst Personal beschäftigen, die die Beratung von Steuerberatern und Rechtsanwälten über viele
Jahre in Anspruch genommen haben und die sich untereinander zu einer Gesellschaft verbunden haben,
sich zu keinem Zeitpunkt Gedanken darüber gemacht haben, welchen sozialversicherungsrechtlichen
Status der Kläger hatte. Im Rahmen der durchgeführten Betriebsprüfungen hätte sich zwanglos die
Möglichkeit ergeben, diese Frage anzusprechen und klären zu lassen. Wenn der Kläger und der Zeuge E.
von einer tatsächlichen Gleichberechtigung ausgegangen wären, dann hätte ihnen nach Ansicht der
Kammer auch auffallen müssen, dass der Zeuge E. keine Sozialversicherungsbeiträge zahlt, der Kläger
aber schon. Dies hätte zumindest Anlass gegeben, den Status des Klägers zu hinterfragen. Dass dies
nicht geschehen ist, spricht dafür, dass die Gesellschafter nicht von einer vollständigen
Gleichberechtigung unter den Gesellschaftern ausgegangen sind. Es spricht dafür, dass auch die
Gesellschafter davon ausgegangen sind, dass der Zeuge E. selbständiger, weisungsbefugter Inhaber der
Firma war und der Kläger abhängig beschäftigte Führungskraft in seinem Unternehmen, die aufgrund des
kooperativen Führungsstils des Zeugen E. weitgehende Freiheiten genoss. Da aber schon wegen der
oben angeführten Bewertung der Indizien eine abhängige Beschäftigung nach Meinung der Kammer
feststeht, muss sie nicht entscheiden, ob aufgrund der langen Zeitspanne die Klage auch unter dem
Gesichtspunkt einer möglichen Verwirkung keinen Erfolg haben kann, weil sich die Beteiligten an ihrer
jahrelangen Rechtsauffassung und der auch insoweit "gelebten Praxis" festhalten lassen müssen.
Nach alledem sprechen mehr Kriterien für als gegen eine abhängige Beschäftigung des Klägers. Seine
Beschäftigung war mithin sozialversicherungspflichtig.
Die Klage konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und entspricht dem Ausgang des
Verfahrens.