Urteil des SozG Speyer vom 25.07.2006

SozG Speyer: vergütung, veröffentlichung, transparenz, überwiegendes interesse, unmittelbare anwendbarkeit, öffentliches interesse, unternehmen, versorgung, eugh, reform

Sozialrecht
SG
Speyer
25.07.2006
S 13 KR 40/05
Pflicht zur Veröffentlichung der Bezüge von Krankenkassenvorständen
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin und die Beigeladenen zu 1) und 2) tragen die Verfahrenskosten zu jeweils ⅓.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die Klägerin zu verpflichten, die Höhe der
jährlichen Vergütung des Vorstands einschließlich Nebenleistungen in ihrer Mitgliederzeitschrift zu
veröffentlichen.
Die Klägerin ist eine bundesunmittelbare Betriebskrankenkasse, die gemäß § 90 Sozialgesetzbuch -
Viertes Buch - (SGB IV) der Aufsicht der Beklagten untersteht. Unter dem 6.7.2004 wies die Beklagte u. a.
die Klägerin daraufhin, dass nach § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV die Höhe der jährlichen Vergütungen der
einzelnen Vorstandsmitglieder einschließlich der Nebenleistungen sowie der wesentlichen
Versorgungsleistungen jährlich zum 1. März im Bundesanzeiger und in der Mitgliederzeitschrift der
betreffenden Krankenkasse zu veröffentlichen sind. Sie ersuchte um Übersendung eines Exemplars der
Mitgliederzeitschrift, in der die Klägerin ihrer Veröffentlichungspflicht nachgekommen sei. Im
Bundesanzeiger vom 27.2.2004 veröffentlichte die Klägerin die Vergütung des Vorstandes für das Jahr
2003. Eine Veröffentlichung in der Mitgliederzeitschrift erfolgte nicht. Auf die Erinnerung der Beklagten
vom 24.9.2004 sowie auf deren Beratung gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV vom 16.11.2004 reagierte die
Klägerin nicht.
Daraufhin erteilte die Beklagte den Bescheid vom 6.1.2005, mit dem sie die Klägerin verpflichtete, die
Höhe der jährlichen Vergütung des Vorstandes einschließlich Nebenleistungen sowie die wesentlichen
Versorgungsregelungen für die Jahre 2004 und 2005 zum 1. März 2005, sowie in den Folgejahren jeweils
zum 1. März, in ihrer Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen. Zur Begründung bezog sie sich auf § 35a Abs.
6 Satz 2 SGB VI, der die entsprechende Veröffentlichung vorschreibt und durch das Unterlassen seitens
der Klägerin verletzt im Sinne von § 89 SGB IV sei. Auch die Klägerin sei an § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV
gebunden und es stehe ihr nicht frei, über die Anwendung dieser Vorschrift zu befinden.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Verpflichtungsbescheides mit der
Begründung begehrt, die der Verpflichtung zugrunde liegende Norm des § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV sei
verfassungswidrig und daher nichtig, was im Rahmen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festzustellen sei. § 35a Abs. 6 SGB IV verstoße gegen
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Zwar könne
dieses Recht als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Gesetz eingeschränkt werden.
Das Recht der betroffenen Vorstände auf informationelle Selbstbestimmung dürfe jedoch nicht mehr als
zum Schutz öffentlicher Interessen unbedingt notwendig eingeschränkt werden. Im vorliegenden Fall
käme als öffentliches Interesse allenfalls ein Informationsbedürfnis der Versicherten und der Öffentlichkeit
in Betracht. Es sei jedoch nicht ersichtlich, weshalb die Öffentlichkeit und die Versicherten Kenntnis über
die konkrete Höhe der Vorstandsbezüge haben müssten. Damit sei bereits der Zweck der gesetzlichen
Regelung fraglich. Im Übrigen seien die Ausgaben für Vergütungen der Vorstände im Verhältnis zu den
Gesamtaufwendungen vernachlässigbar. Da für die Vergütungsvereinbarungen mit dem Vorstand der
Verwaltungsrat zuständig sei, finde über die von den Versicherten entsandten Verwaltungsratmitgliedern
eine entsprechende Kontrolle bereits ausreichend statt. Im Übrigen seien mildere Mittel, wie
beispielsweise die getrennte Ausweisung und Veröffentlichung der Personalkosten insgesamt
ausreichend, um die Versicherten und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Veröffentlichungspflicht des §
35a Abs. 6 SGB VI sei auch kein geeignetes Mittel zur Missbrauchsabwehr. Entsprechende
Missbrauchsgefahren würden durch die Aufsicht seitens der Beklagten bereits ausgeschlossen. Im
Übrigen habe die Beklagte nicht dargelegt, dass tatsächlich und in relevantem Ausmaß bisher
Missbrauchsfälle aufgetreten seien. Insofern sei wiederum der Zweck durch die gesetzliche Regelung
insgesamt in Frage zu stellen. Dies gelte selbst dann, wenn man als Gesetzeszweck die vom Gesetzgeber
formulierte Forderung nach Transparenz annehme. Transparenz selbst habe keinen Zweck, sie diene
lediglich anderen Interessen, im vorliegenden Fall letztlich der Kosteneinsparung. Ein derartiges Interesse
könne jedoch keinesfalls das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Vorstände überwiegen.
Auch sei die gesetzliche Verpflichtung nicht vergleichbar mit der Publizität der gesetzlichen Besoldung
und Versorgung von Richtern und Beamten, da diese sich einerseits nur bei Kenntnis der konkreten
Lebensumstände, wie Familienstand, Zahl der Kinder, etc., ergebe und andererseits die entsprechenden
Besoldungsempfänger von Anfang an um die zumindest teilweise Publizität ihrer Vergütung gewusst
hätten, was im Falle von Krankenkassenvorständen nicht gegeben sei.
Die Regelung von § 35a Abs. 6 SGB IV sei überdies wegen des Verstoßes gegen das Gleichheitsrecht
aus Art. 3 GG verfassungswidrig. Auch die Gehälter von Sparkassenvorständen, Vorständen von
Rundfunkanstalten, bundeseigenen Unternehmen und anderer Versicherungsträger müssten schließlich
ebenfalls nicht im Bundesanzeiger und in Mitgliederzeitschriften veröffentlicht werden.
Letztlich liege auch ein Verstoß gegen die Datenschutzrichtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 24.10.1995 (EGRL 46/95) vor.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 6.1.2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 6.1.2005 aufzuheben.
Die Beklagte führt aus, dass die Klägerin selbst nicht Trägerin von Grundrechten sei. Sie hat daher die
Beiladung der betroffenen Vorstände angeregt. Ferner weist sie darauf hin, dass entsprechend dem
gesetzgeberischen Zweck mit der Veröffentlichungspflicht in § 35a Abs. 6 SGB IV eine Transparenz
zugunsten der Versicherten und der Öffentlichkeit im Rahmen einer Zwangsversicherung geschaffen
werden sollte und diese auch notwendig sei. So werde eine Vergleichsmöglichkeit für die Betroffenen
geschaffen. Hinsichtlich dieses Ziels habe der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Überdies
seien Missbrauchsfälle nicht auszuschließen, da keine Pflicht bestehe, Vorstandsverträge durch die
Aufsichtsbehörden genehmigen zu lassen. Diesen stünden lediglich sehr begrenzte Aufsichtsmittel zur
Verfügung. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil
der Staatsverwaltung sei. Auch die Vorstände müssten sich dies entgegen halten lassen. Wesentliche
Unterschiede in der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Vorstandsgehälter gegenüber den öffentlich
zugänglichen Regelungen über die Besoldung von Richtern und Beamten seien nicht gegeben. Zudem
habe der Bundestag mittlerweile das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG) beschlossen.
Dadurch werde bei börsennotierten Unternehmen nunmehr eine Veröffentlichungspflicht hinsichtlich der
einzelnen Vorstandsgehälter bestimmt. Wenn aber sogar Vorstände von Kapitalgesellschaften ihre
Vergütungen offen zu legen haben, müsse dies erst recht für Vorstände von Körperschaften öffentlichen
Rechts gelten, die einen öffentlichen Auftrag wahrnehmen und öffentliche Gelder bzw. Pflichtbeiträge
verwalten.
Eine Ungleichbehandlung, die gegen Art. 3 GG verstoße, liege ferner nicht vor. Die EGRL 46/95 sei
entgegen der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf innerstaatliche Sachverhalte
nicht anwendbar. Überdies äußere der EuGH lediglich Zweifel hinsichtlich der Pflicht einer
entsprechenden gesetzlichen Regelung im österreichischen Recht, die konkreten Namen der jeweiligen
Vergütungsempfänger zu veröffentlichen.
Das Gericht hat die beiden Vorstände der Klägerin beigeladen.
Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Verwaltungsakte der Beklagten. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist Adressat des Verpflichtungsbescheides der Beklagten und damit formell beschwert.
Unabhängig von der Frage einer eigenen Grundrechtsfähigkeit kann sie sich darauf berufen, der ihr
gegenüber ergangene Verpflichtungsbescheid sei rechtswidrig, da eine Rechtsverletzung im Sinne von
§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IV deshalb nicht vorliege, weil die vermeintlich bestehende Rechtspflicht aus §
35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV aufgrund Verfassungswidrigkeit und daraus resultierender Nichtigkeit der Norm
nicht bestehe.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 6.1.2005 ist rechtmäßig.
Gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV kann die Aufsichtsbehörde, wenn durch das Handeln oder Unterlassen
eines ihrer Aufsicht unterstehenden Versicherungsträgers das Recht verletzt wird, diesen verpflichten, die
Rechtsverletzung zu beheben.
Dass die Klägerin ihrer Verpflichtung aus § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV nicht vollständig nachgekommen ist,
steht vorliegend außer Frage. Sie hat bisher lediglich die Vergütung eines Vorstandes im Bundesanzeiger
veröffentlicht und ist damit der gesetzlichen Pflicht nur teilweise nachgekommen, wobei im vorliegenden
Fall Gegenstand der Verpflichtung ausschließlich die Veröffentlichung in der Mitgliederzeitschrift ist. Auch
handelt es sich um eine Verpflichtung der Klägerin, die allein als Adressat der Vorschrift in Betracht
kommt. Eine derartige Verpflichtung kann sich nur gegen die Körperschaft als Ganzes, aber nicht gegen
einzelne Organe oder Organteile richten. Die Klägerin hat durch ihr Unterlassen das Recht gemäß § 35a
Abs. 6 Satz 2 SGB IV verletzt. Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung gemäß § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB
IV liegen vor.
Eine Rechtsverletzung der Klägerin scheidet nicht dadurch aus, dass eine Rechtspflicht zur
Veröffentlichung der Vorstandsbezüge wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz oder die Europäische
Datenschutzrichtlinie nicht bestand. Entgegen der Auffassung der Klägerin gelangt die Kammer nicht zu
der Überzeugung, dass § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV verfassungswidrig ist. Eine Vorlage gemäß Art. 100
Abs. 1 GG hat daher nicht zu erfolgen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst auch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung. Daraus folgt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu
entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.
Durch die Regelungen in § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV wird zweifelsohne in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung der Beigeladenen zu 1 und 2 eingegriffen. Ein Eingriff in den Schutzbereich kann
jedoch durch ein Gesetz als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG
gerechtfertigt sein, wenn dieses formell und materiell verfassungskonform ist. So verhält es sich im
vorliegenden Fall.
Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit bestehen keine Bedenken. Solche wurden auch seitens
der Klägerin nicht vorgetragen.
Für die Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit kommt es letztlich ausschlaggebend auf die
Verhältnismäßigkeit der Norm an. Diese muss einem legitimen Zweck dienen und zu dessen Erreichung
geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Vorschrift des § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV wurde durch
das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz-
GMG) eingeführt. Ziel des Gesetzgebers war es dabei, im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen und die Qualität der medizinischen Versorgung
deutlich zu steigern. Zur Erreichung dieser Ziele sah der Gesetzgeber mehrere strukturelle Maßnahmen
als erforderlich an. Insbesondere sollte die Transparenz erhöht sowie die Eigenverantwortung und
Beteiligungsrechte der Patienten gestärkt werden. Daher hat er zur Reform der GKV schwerpunktmäßig
mehrere Maßnahmen vorgesehen, wobei an erster Stelle stets die Maßnahmen zur Stärkung der
Patientensouveränität genannt werden (Gesetzesentwurf vom 8.9.2003, BT-Drs. 15/1525). Daneben
werden Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung, die Weiterentwicklung der
Versorgungsstrukturen, die Neugestaltung der Vergütung im ambulanten Bereich, die Neuordnung der
Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln, eine Reform der Organisationsstrukturen, die Neuordnung und
Versorgung mit Zahnersatz sowie die Neuordnung der Finanzierung genannt. Mit einem Bündel von
Maßnahmen sollte die GKV spürbar entlastet und eine gerechte und ausgewogene Lastenverteilung für
alle Beteiligten, von den Versicherten und Patienten über die Krankenkassen bis hin zu den
Leistungserbringern, erreicht werden.
Ausdrücklich hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass die Belange der Patienten im Zentrum der
Reform stehen und diese in der GKV künftig stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden
sollen. Entscheidende Voraussetzung hierfür sei die Herstellung von Transparenz über Angebote,
Leistungen, Kosten und Qualität. Auf dieser Grundlage könnten die Versicherten Entscheidungen über
Versicherungs- und Versorgungsangebote treffen. Sie würden dabei wesentlich zur Verbesserung von
Qualität und Wirtschaftlichkeit beitragen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des ihm zustehenden
Gestaltungsspielraumes einen Anspruch der Versicherten auf Information über die Höhe der Beiträge
sowie über die Verteilung der Beitragsmittel vorgesehen. Korrespondierend hierzu sollen Krankenkassen
und Kassen- bzw. Kassenzahnärztliche Vereinigungen künftig über die Verwendung der Mittel gegenüber
ihren Mitgliedern Rechenschaft ablegen, ihre Verwaltungskosten gesondert ausweisen und die
Vorstandsvergütungen regelmäßig veröffentlichen. Letztlich soll durch die Verbesserung der
Patienteninformation mittels Transparenz und Informationsmanagement auch rationales Verhalten der
Versicherten belohnt werden, was wiederum der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des
Versorgungssystems dient. Sämtliche Regelungen haben das Ziel, das bundesgesetzlich einheitlich
geregelte System der GKV fortzuentwickeln. Im Rahmen der konkreten Begründung zu § 35a Abs. 6 SGB
IV führt der Gesetzgeber an, dass durch diese Regelung eine erforderliche Transparenz beim Einsatz
öffentlicher Mittel, die auf gesetzlicher Grundlage erhoben werden, erreicht werden soll. Auf diese Art und
Weise werde dem Informationsbedürfnis der Beitragszahler und der Öffentlichkeit Rechnung getragen und
gleichzeitig die Möglichkeit eines Vergleiches geschaffen.
Damit dient die gesetzliche Regelung zur Überzeugung der Kammer nicht der Transparenz selbst und
auch nicht lediglich wirtschaftlichen Aspekten, sondern ganz entscheidend dem Ziel der Stärkung der
Patientensouveränität, dem der Gesetzgeber einen hohen Stellenwert eingeräumt hat und das
selbstverständlich neben den anderen Maßnahmen ebenfalls dazu beiträgt, das gesetzliche
Versorgungssystem wirtschaftlich bestandsfähig zu erhalten und die Qualität der Versorgung zu steigern.
Die Stärkung der Patientensouveränität und der Versichertenrechte im Rahmen einer gesetzlichen
Zwangsversicherung stellt einen legitimen Zweck dar.
Die Verpflichtung, die Vorstandsbezüge nebst Versorgungsleistungen im Bundesanzeiger und in den
Mitgliederzeitschriften zu veröffentlichen, ist auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Nur wer Kenntnis
über die zur Beurteilung einer Situation erforderlichen Tatsachen hat, kann eine selbst bestimmte,
verantwortungsvolle Entscheidung treffen. Für die Entscheidung des Einzelnen, insbesondere über sein
Wahlrecht unter den gesetzlichen Krankenkassen, ist die Höhe der Vorstandsvergütung neben dem
allgemeinen Beitragssatz oder in Verbindung mit diesem geradezu von entscheidender Bedeutung bzw.
kann dies zumindest sein.
In Zeiten weit gehender Leistungseinschränkungen ist es für einen souveränen Versicherten, der mit
seinen Beiträgen schließlich das gesamte System finanziert, von großer Bedeutung, in welchem
Verhältnis gerade Beitrag, Leistungen und die Vergütung derer, die zumindest teilweise Einfluss darauf
haben können, zueinander stehen. Hierfür ist es auch nicht maßgebend, dass die einzelnen
Vorstandsvergütungen im Rahmen der Gesamtaufwendungen als gering einzuschätzen sind. Mit dieser
Argumentation ließen sich Bezüge in beliebiger Höhe rechtfertigen. Für eine selbst bestimmte
Wahlentscheidung des Versicherten muss dieser jedoch in die Lage versetzt werden, die Leistung seiner
Kassenvorstände zu beurteilen, sie ggf. in Relation zu der Leistung anderer Kassenvorstände zu setzen
und unter Berücksichtigung der jeweiligen Beitragssätze und Leistungsansprüche eine Abwägung zu
treffen. Für eine derartige Abwägung ist die Veröffentlichung der Vorstandsbezüge auch erforderlich.
Letztlich ist die Veröffentlichungspflicht auch angemessen. Zu Recht räumt der Gesetzgeber den
Versicherten nunmehr die Rechtsposition ein, die ihnen als denjenigen, die das System (überwiegend) im
Rahmen einer Zwangsversicherung finanzieren, zusteht. Für die Souveränität der Patienten und
Versicherten ist es von entscheidender Bedeutung, über die konkrete Verwendung der Mittel informiert zu
sein, um ggf. über ihre Beteiligungs- und Wahlrechte eine diesbezügliche Kontrolle ausüben zu können.
Das Interesse der einzelnen Vorstände, an der Geheimhaltung ihrer Bezüge tritt hinter dem Interesse der
Versicherten zurück. Dies ist im vorliegenden Fall auch deshalb gerechtfertigt, da es sich nicht um Mittel
handelt, die auf dem freien Markt erwirtschaftet werden. Vielmehr werden die Bezüge aus Beiträgen, die
(überwiegend) im Rahmen einer Pflichtversicherung eingezogen werden, gezahlt. Die
Veröffentlichungspflicht trifft Vorstände von Körperschaften öffentlichen Rechts, die über die Verwendung
der eingezogenen Pflichtbeiträge eine besondere Rechtfertigungspflicht trifft. In das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung der Vorstände wird auch nicht stärker eingegriffen, als es bei Beamten
und Richtern der Fall ist. Durch die in den jeweiligen Besoldungsgesetzen geregelten Vergütungen, die
öffentlich zugänglich sind, ist es für interessierte Bürger ohne weiteres möglich, die Grundvergütung zu
ermitteln. Es ist ebenfalls öffentlich, ob und in welcher Höhe im Rahmen der konkreten Lebensumstände
Zuschläge geleistet werden. Die Besoldung von Richtern und Beamten erfolgt damit nach klaren und
allgemein zugänglichen Regeln. Wäre dies bei den Vorständen der Krankenkassen ähnlich, würde eine
konkrete Veröffentlichungspflicht wohl als unangemessen erscheinen. Ohne diese Veröffentlichungspflicht
bleibt jedoch die Vorstandsvergütung aus Mitteln der Versicherten komplett undurchsichtig. Die Vorstände
können sich letzten Endes nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie keinem gesetzlich geregelten
Vergütungssystem unterliegen und daher keinerlei Angaben über ihre Vergütung machen müssen. Da
gerade eine gesetzliche Regelung für die Vergütung der Kassenvorstände nicht existiert, reicht es nicht
aus, die Grundvergütung zu veröffentlichen. Die Vorstandsverträge sind frei verhandelbar. Es ließe sich
somit über Zuschläge und sonstige Vergütungen die bezweckte Transparenz gerade umgehen. Insofern
ist die konkrete Veröffentlichungspflicht das einzige Mittel, um dem Ziel einer ausreichenden
Patientensouveränität gerecht zu werden. Die Kassenvorstände als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung
haben auch kein überwiegendes Interesse dahingehend, dass Veränderungen im Hinblick auf die
Publizität ihrer Vergütungen nicht vorgenommen werden können. Auch hier überwiegen die Interessen
der Versicherten. Dass der Gesetzgeber es vorgesehen hat, die Vorstandsgehälter sowohl im
Bundesanzeiger, als auch in der Mitgliederzeitschrift zu veröffentlichen, erscheint ebenfalls nicht
unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, nicht nur Maßnahmen zu treffen, die der
Patientensouveränität dienlich sind, sondern solche, die sie unmittelbar fördern. Viele Versicherte,
insbesondere ältere Menschen, die mit den elektronischen Medien wie beispielsweise dem Internet, nicht
so sehr vertraut sind, müssten verhältnismäßig großen Aufwand betreiben, um die Information aus dem
Bundesanzeiger zu erlangen. Daher erscheint eine Veröffentlichungspflicht in der konkreten
Mitgliederzeitschrift, bezogen auf die jeweilige Kasse und ihre Vorstände, ohne weiteres angemessen. Es
ist hier nicht verständlich, weshalb die Klägerin der durchaus weitergehenden Publizität im
Bundesanzeiger eher zuzustimmen vermag, als der Veröffentlichung in der Mitgliederzeitschrift. Hier
scheint die gesetzliche Vorgabe ihren Zweck bereits vortrefflich zu erfüllen.
Auch ein Verstoß von § 35a Abs. 6 SGB IV gegen Art. 3 GG liegt nicht vor. Die die Vorstände der Klägerin
betreffende Veröffentlichungspflicht hinsichtlich ihrer Bezüge stellt keine Ungleichbehandlung gegenüber
Sparkassenvorständen, Vorständen von Rundfunkanstalten oder bundeseigenen Unternehmen bzw.
anderer Versicherungsträger dar. Hinsichtlich anderer Versicherungsträger ist darauf hinzuweisen, dass
diese ebenfalls entsprechend der jeweils einschlägigen Besoldungsgesetze vergütet werden. Ein weiterer
Unterschied besteht darin, dass in anderen Bereichen der Sozialversicherung regelmäßig kein Wahlrecht
der Versicherten hinsichtlich des Versicherungsträgers besteht. Bei den Vorständen von Sparkassen und
bundeseigenen Unternehmen unterscheiden sich die Sachverhalte bereits dadurch wesentlich, dass
diese nicht beitragsfinanziert sind. Der entscheidende Grund für die Veröffentlichungspflicht im
vorliegenden Fall ist die Rechenschaftspflicht gegenüber dem souveränen Versicherten. Dies ist bei den
genannten Unternehmen nicht der Fall. Die Finanzierung von Rundfunkanstalten erfolgt gegenüber dem
System der GKV nur teilweise und durch wesentlich geringere Gebühren und im Übrigen durch
Werbeeinnahmen (duale Finanzierung). Auch besteht dort keine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft. Die von
der Klägerseite dargelegten Sachverhalte sind damit allesamt nicht vergleichbar mit dem vorliegenden,
weshalb eine Verletzung von Art. 3 GG ausscheidet.
Letztlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die EGRL 46/95 berufen. Ungeachtet der
Tatsache, dass der EuGH die Richtlinie mit Urteil vom 20.5.2003 (C-465/00, C-138/00 und C-139/00) auch
auf innerstaatliche Sachverhalte für anwendbar befunden hat, fehlt es für die Anwendung der Richtlinie
heute daran, dass sie für eine unmittelbare Anwendbarkeit noch nicht umgesetzt sein dürfte. Die
Umsetzung ist jedoch zwischenzeitlich durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes
und anderer Gesetze vom 23.5.2001 (BGBl. I Seite 901) erfolgt. Im Übrigen weist der EuGH in seiner
Entscheidung darauf hin, dass letztlich die nationalen Gerichte zu prüfen haben, ob eine entsprechend
normierte Veröffentlichungspflicht von Gehältern, im Fall des EuGH unter zusätzlicher Namensnennung, in
einem angemessenen Verhältnis zu dem jeweiligen gesetzgeberischen Ziel steht. Damit ergibt sich
jedoch keine weiter reichende Prüfung als die vorliegende im Rahmen des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung. Insoweit kann hierauf verwiesen werden.
Damit ist die Vorschrift des § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB IV verfassungskonform. Die Weigerung der Klägerin,
sich entsprechend zu verhalten, ist rechtswidrig und der Verpflichtungsbescheid der Beklagten gemäß §
89 Abs. 1 SGB IV nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 u. 3
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Sprungrevision gemäß §§ 161 Abs. 2, 160 Abs. 2
Nr. 1 SGG zugelassen.