Urteil des SozG Saarbrücken vom 06.05.2010

SozG Saarbrücken: versorgung, körperpflege, medizinische indikation, diabetes mellitus, innere medizin, ernährung, wechsel, bekleidung, aufstehen, implantation

SG Saarbrücken Urteil vom 6.5.2010, S 19 P 84/08
Soziale Pflegeversicherung - Rückstufung von Pflegestufe II in Pflegestufe I - Verringerung
des Pflegeaufwands durch pflegeerleichternde Maßnahme - keine wesentliche Änderung
der Verhältnisse - Unzumutbarkeit der Versorgung mit einem Blasenkatheter bei
Nichtbestehen von Inkontinenz
Leitsätze
Die Reduzierung des tatsächlichen Pflegebedarfs, die lediglich auf eine pflegeerleichternde
Maßnahme zurückzuführen ist (hier: Anlegen eines Blasenverweilkatheters ohne
medizinische Indikation), stellt keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X dar.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2008 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass sie ab 01. Januar 2008 nur noch Leistungen der
sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I erhält.
Die 1939 geborene Klägerin leidet an einer Immobilität infolge komplexer Frakturen des
rechten Beines mit Versteifung des Kniegelenkes, Spitzfußstellung, Hauttransplantationen
in diesem Bereich infolge von höhergradigen Verbrennungen und einem Zustand nach
Mammaoperation links infolge eines Krebsgeschehens, Lymphknotenausräumung, leichtes
Lymphödem (ausreichende Bewegungsfähigkeit des linken Armes, normale
Werkzeugfunktion der linken Hand) und einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus.
Bei der Klägerin sind die Merkzeichen „außergewöhnliche Gehbehinderung“ („aG“),
„Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht“ („RF“) und „Notwendigkeit ständiger
Begleitung“ („B“) festgestellt. Auf einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der sozialen
Pflegeversicherung vom September 2006 - die Klägerin wohnte damals noch in D. - wurde
sie von dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) W.-L. am 22. November
2006 durch die Pflegefachkraft I.H. untersucht. Dieser stellte bei der Klägerin einen Bedarf
in der Grundpflege von 133 Minuten pro Tag fest, der sich wie folgt zusammensetzte:
Körperpflege sowie Darm- und Blasenentleerung 91 Minuten (Ganzkörperwäsche 35
Minuten, Zahnpflege 1 Minute, Wasserlassen 18 Minuten, Stuhlgang 2 Minuten, Richten
der Bekleidung 14 Minuten, Wechsel/Entleerung des Urinbeutels/Toilettenstuhls 21
Minuten).
Für die Ernährung war kein, für die Mobilität ein Hilfebedarf von 42 Minuten
(Aufstehen/Zubettgehen 5 Minuten, Ankleiden 6 Minuten, Entkleiden 3 Minuten, Stehen 28
Minuten) vorgesehen.
Mit Bescheid vom 26. Februar 2007 wurden der Klägerin Leistungen der sozialen
Pflegeversicherung nach Pflegestufe II ab 08. Dezember 2006 gewährt.
Im Februar 2007 wurde bei der Klägerin ein transurethraler Blasenverweilkatheter gelegt.
Im Juli 2007 bezog die Klägerin die jetzt von ihr innegehabten Wohnräume in Th..
Im Rahmen einer Wiederholungsuntersuchung durch den MDK im Saarland am 09. Oktober
2007 stellte die Gutachterin H.Sch. aufgrund einer Untersuchung in der häuslichen
Umgebung einen Zeitbedarf für die Grundpflege von nur noch 100 Minuten pro Tag fest.
Für die Körperpflege sowie Darm- und Blasenentleerung hielt sie einen Zeitbedarf von 75
Minuten für angemessen (Ganzkörperwäsche 17 Minuten, Teilwäsche Unterkörper 15
Minuten, Duschen 11 Minuten, Zahnpflege 2 Minuten, Stuhlgang 12 Minuten, Richten der
Bekleidung 6 Minuten, Wechsel kleiner Vorlagen 6 Minuten, Wechsel/Entleeren des
Urinbeutels 6 Minuten).
Für die Ernährung war kein Zeitbedarf vorgesehen, für die Mobilität ein Bedarf von 25
Minuten (Aufstehen/Zubettgehen 4 Minuten, Ankleiden gesamt 10 Minuten, Entkleiden
gesamt 5 Minuten, Stehen/Transfer 6 Minuten) festgestellt.
Die Gutachterin führt aus, bei Wegfall der Zeiten für die Harnblasenentleerung habe sich
der Pflegeaufwand pflegestufenrelevant reduziert, ohne dass eine Besserung im
Allgemeinzustand eingetreten sei.
Die Beklagte hörte die Klägerin am 10. Dezember 2007 dazu an, dass beabsichtigt sei, die
Leistungen ab 01. Januar 2008 nur noch nach Pflegestufe I zu gewähren.
Bescheid vom 10. Dezember 2007
2007 über die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II gemäß § 48 des Zehnten
Buchs des Sozialgesetzbuchs - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB
X) zum 31. Dezember 2007 auf. Ab 01. Januar 2008 bewilligte sie nur noch Leistungen
nach Pflegestufe I.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Gutachterin sei zum Ergebnis gekommen,
dass nur noch die Voraussetzungen zur Anerkennung der Pflegestufe I vorlägen. Im
Vergleich zur Vorbegutachtung habe sich der Hilfebedarf bei der Harnblasenentleerung
pflegestufenrelevant verringert, da die Klägerin zwischenzeitlich mit einem
Blasenverweilkatheter versorgt sei. Dadurch habe sich sowohl im Bereich der Grundpflege
als auch im Bereich der Mobilität der Hilfebedarf auf täglich 100 Minuten gegenüber dem
vorherigen von 133 Minuten reduziert.
Widerspruch
welchem sie im Wesentlichen geltend machte, sie sei in ihrer Bewegung sehr
eingeschränkt und müsse seit über sechs Jahren Entwässerungstabletten nehmen.
Außerdem sei ihr rechtes Bein durch die erlittenen Verbrennungen versteift. Um
Stellungnahme gebeten, hat die Ärztin des MDK M. K. am 17. März 2008 ausgeführt, es
sei nicht zu einer Besserung des Allgemeinzustandes gekommen. Dadurch, dass
Transferhilfen zum Wasserlassen durch die Versorgung des Blasenkatheters nicht mehr
anfielen, reduziere sich der Hilfebedarf im Bereich der Transfers um 12 Minuten pro Tag.
Statt der Hygiene nach Wasserlassen mit einem Zeitaufwand von 18 Minuten, dem
Richten der Bekleidung mit einem Zeitaufwand von 12 Minuten und dem Leeren und
Säubern des Steckbeckens nach Wasserlassen mit einem Zeitaufwand von 18 Minuten
ließe sich nach Anlage des Harnblasendauerkatheters der Zeitaufwand auf 6 Minuten pro
Tag für das Leeren des Urinbeutels reduzieren. Alleine hierdurch verringere sich der
Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege im Vergleich zum Vorgutachten um 33 Minuten.
Dazu führte die Klägerin ergänzend aus, sie habe allein schon durch das Tragen des
Katheters ihre Kooperationsbereitschaft gezeigt. Dass sie dadurch aber noch geschädigt
werden solle, indem „man sie abstufe, finde sie unsozial“.
Bescheid vom 30. Juni 2008
Klage vom 30. Juli 2008
für das Saarland eingegangen, gerichtet.
Die Klägerin hat im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des die Klägerin
behandelnden Hausarztes R. L., Facharzt für Allgemeinmedizin, Th., vom 18. Dezember
2008 und 07. Januar 2010 sowie durch Einholung eines Gutachtens der Pflegefachkraft
Chr.T. vom 02. März 2009 und des Facharztes für innere Medizin und Sozialmedizin Dr.
Ha., Ottweiler, vom 10. August 2009, der sein Gutachten mit einer Stellungnahme vom
05. Februar 2010 ergänzt hat.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Befundberichte und
der eingeholten Gutachten Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Verfahrensganges wird auf den Inhalt der gegenseitig
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die
beigezogen war, Bezug genommen.
Die Beiakte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Das Klagebegehren, nämlich die Weitergewährung von Leistungen nach der Pflegestufe II
ab 01. Januar 2008, kann die Klägerin durch eine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) erreichen, da bei einer Aufhebung des Bescheides vom 10.
Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2008 der
Bewilligungsbescheid vom 26. Februar 2007 wiederauflebt. Eine zusätzliche Leistungsklage
ist nicht erforderlich.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist,
soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eingetreten ist, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Zu
vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt des Widerrufs tatsächlich
bestehenden Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung,
bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden
gewesen sind.
Dem Bescheid vom 26. Februar 2007 lag das Gutachten des MDK W.-L. vom 22.
November 2006 zugrunde, in dem noch ein täglicher Hilfebedarf bei der Körperpflege,
Ernährung und Mobilität von 133 Minuten festgestellt worden war. Aufgrund der
durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung der Gutachten T. und Dr. Ha. steht zur
Überzeugung der Kammer fest, dass sich zwar durch die Versorgung mit einem
Blasenverweilkatheter der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege und Mobilität vermindert
hat. Da die Versorgung mit dem Blasenverweilkatheter nicht medizinisch indiziert war, das
heißt nicht wegen einer Blasengrunderkrankung oder Inkontinenz erfolgte, ist die
tatsächliche Reduzierung des Zeitbedarfs lediglich auf eine „pflegeerleichternde
Maßnahme“ zurückzuführen. Der Wegfall dieses Hilfebedarfs ist nicht als wesentliche
Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X anzusehen, da er auf ein Pflegedefizit
zurückzuführen ist (Nomoskommentar Klie/Krahmer, Lehr- und Praxiskommentar zum
SGB XI, 3. Auflage, § 15 SGB XI, Rdnr. 10).
Es ist weiterhin von einem zu berücksichtigenden Hilfebedarf von mindestens 120 Minuten
in der Grundpflege auszugehen, der die Zuordnung zur Pflegestufe II rechtfertigt.
Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen,
geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich
für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe
bedürfen. Nach der Definition des § 14 Abs. 4 SGB XI sind gewöhnliche und regelmäßig
wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Absatzes 1:
1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die
Zahnpflege, das Kämmen, das Rasieren, die Darm- und
Blasenentleerung,
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die
Aufnahme der Nahrung,
3. im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-
Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das
Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
4. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen,
Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der
Wäsche, der Kleidung oder das Beheizen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind Personen, die bei der
Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus
einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und
zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung
benötigen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige) sind Personen, die bei der
Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu
verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe in
der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen ( § 15 Abs. 1 SGB XI).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft
ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und
hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt
1. in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei
müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen;
2. in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei
müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§
15 Abs. 3 SGB XI).
Danach beträgt der Hilfebedarf immer noch mindestens 120 Minuten. Die im Oktober
2007 festgestellte Verringerung des Hilfebedarfs in der Grundpflege ist ausschließlich auf
die mit der Implantation des Dauerkatheters verbundene Pflegeerleichterung
zurückzuführen; diese ist als Pflegedefizit bei der Feststellung des Hilfebedarfs außer Acht
zu lassen.
Hilfebedarf im Sinne des SGB XI wird nicht verringert, wenn an sich gebotene
Pflegemaßnahmen unterlassen werden oder der Zeitbedarf durch rechtswidrige
„pflegeerleichternde Maßnahmen“ reduziert wird (Nomoskommentar Klie/Krahmer, aaO.).
Bei der Klägerin, die weder an Inkontinenz noch an einer Blasengrunderkrankung litt, war
nicht davon auszugehen, dass die Fähigkeit zum Wasserlassen beeinträchtigt war. Durch
die verabreichten Medikamente hat sich nur die Frequenz der Urinausscheidungen erhöht.
Auf einen Blasenkatheter brauchte sie sich deshalb nicht verweisen zu lassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 31. August 2000, B
3 P 14/99 R) ist bei Pflegebedürftigen, die nicht unter Harninkontinenz leiden und sich
Harndrang auch selbst melden und auf Hilfestellung der Pflegeperson warten können, eine
Versorgung mit Blasenkatheter unzumutbar, da diese Maßnahme allein der Verringerung
des Pflegeaufwandes dient, ohne zu berücksichtigen, dass vorrangiges Ziel der Leistung
der Pflegeversicherung sein soll, den Pflegebedürftigen zu helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein
möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des
Menschen entspricht.
Das gilt auch hier.
Die Sachverständige T. hat übereinstimmend mit dem Sachverständigen Dr. Ha.
ausgeführt, es sei keine Indikation ersichtlich, die die Verwendung eines
Blasenverweilkatheters als medizinisch notwendig rechtfertigen würde. Dieser diene
hauptsächlich der Pflegeerleichterung. Bereits der jetzt behandelnde Arzt habe bei der
Klägerin gehäuft Harnwegsinfekte, erzeugt durch die Versorgung mit dem
Blasendauerkatheter, festgestellt, die zum Teil mit bis zu sechswöchigen
Antibiotikatherapien behandelt würden. Aufgrund dessen bestehe bei der Klägerin
inzwischen eine chronische Diarrhoe, wobei die häufigen Nebenwirkungen von Antibiotika
Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall seien. Außerdem führe
die Verwendung des Blasenverweilkatheters zur weiteren Einschränkung der Mobilität, so
werde zum Beispiel die Notwendigkeit des Toilettenbesuchs zum Wasserlassen überflüssig.
Der Bewegungsmangel wirke sich überdies negativ auf den bestehenden insulinpflichtigen
Diabetes aus. Diese Ausführungen haben die Kammer überzeugt. Sie decken sich mit dem
Ergebnis der weiteren Ermittlungen.
Befragt, aus welchem Grund bei der Klägerin ein Dauerblasenkatheter gelegt worden sei,
hat der behandelnde Arzt L. am 07. Januar 2010 ausgeführt, bei bestehender
Herzinsuffizienz und Ödemneigung habe die Klägerin ein Diuretikum einnehmen müssen,
was dazu führe, dass sie bei gewünschter Trinkmenge erhebliche Urinausscheidungen
(mindestens 10 Mal am Tag) habe. Da es ihr alleine nicht möglich sein, die Toilette
aufzusuchen und Hilfestellung durch die Caritas in diesem Rahmen mit Sicherheit nicht und
auch nicht rechtzeitig zu leisten sei, käme es mit Sicherheit täglich zum Einnässen und zu
erheblichen Entzündungen mit Ulcusbildung, so dass aus diesem Grund die Versorgung mit
einem Dauerkatheter unumgänglich sei.
Dem Befundbericht ist zu entnehmen, dass keine Blasengrunderkrankung und keine
Inkontinenz vorlagen, die die Implantation eines Blasenkatheters indizieren würden. Zu
diesem Ergebnis ist auch der dazu gehörte Sachverständige Dr. Ha. in der erbetenen
Stellungsnahme vom 05. Februar 2010 gelangt. In dem Befundbericht werde gerade
bestätigt, dass aufgrund der Notwendigkeit von wassertreibenden Medikamenten der
Blasenkatheter dazu diene, notwendige Transferleistungen zu ersparen. Insoweit diene er
ausschließlich der Pflegeerleichterung.
Weiteren Ermittlungsbedarf in diesem Punkt sieht die Kammer nicht. Die von dem MDK im
Saarland in der Stellungnahme vom 26. April 2010 aufgeworfenen Fragen sind für die
Beurteilung des zu berücksichtigenden Pflegebedarfs unerheblich. Ob die Klägerin ggfs. mit
dem Anlegen des Blasenkatheters einverstanden war und auch zuvor entsprechend
aufgeklärt wurde, ist für den Umstand, dass es sich beim Legen eines Blasenkatheters mit
dem Ziel der Einsparung von Transferleistungen um ein Pflegedefizit handelt, ohne Einfluss.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass
der Zeitaufwand für die Grundpflege nach beiden Sachverständigen mindestens 120
Minuten pro Tag beträgt. Es konnte offen bleiben, ob insoweit dem Gutachten der
Pflegefachkraft T. oder dem des Dr. Ha. der Vorzug zu geben war. Denn nach beiden
Gutachten ist bei Berücksichtigung des Hilfebedarfs für das Wasserlassen und der dafür
erforderlichen Transferleistungen ein Pflegebedarf von mindestens 120 Minuten pro Tag
erreicht.
Die Sachverständige T. ist davon ausgegangen, dass der Hilfebedarf in der Grundpflege 99
Minuten pro Tag betrage. Für die Körperpflege und Darm- und Blasenentleerung wurde ein
Hilfebedarf von 66 Minuten (Ganzkörperwäsche 26 Minuten, Teilwäsche Unterkörper 10
Minuten, Duschen 4 Minuten, Zahnpflege 4 Minuten, Kämmen 2 Minuten, Stuhlgang 6
Minuten, Richten der Bekleidung 2 Minuten, Wechsel kleiner Vorlagen 6 Minuten und
Wechsel/Entleerung des Urinbeutels 6 Minuten) festgestellt. Für die Ernährung wurde kein
Hilfebedarf für angemessen gehalten, für die Mobilität betrug der Zeitbedarf 33 Minuten
(Aufstehen/Zubettgehen 4 Minuten, Ankleiden 11 Minuten, Entkleiden 10 Minuten, Gehen 6
Minuten und Stehen 5 Minuten). Berücksichtigt man allein den Hilfebedarf in dem
Gutachten des MDK W.-L. von 18 Minuten für das Wasserlassen und den um 12 Minuten
höheren Bedarf für das Richten der Bekleidung ist der Pflegebedarf von mindestens 120
Minuten auf jeden Fall gegeben.
Der Sachverständige Dr. Ha. hat in seinem Gutachten im Bereich der Grundpflege einen
Hilfebedarf von 79 Minuten festgestellt. Dabei sei im Rahmen der Grundpflege bezüglich
des Ankleidens das Anlegen des Kompressionsverbandes am linken Bein, das einen
Zeitansatz von 8 Minuten erfordere, anzurechnen, also insgesamt 87 Minuten. Dr. Ha.
geht dabei im Bereich der Körperpflege sowie Darm- und Blasenentleerung von einem
Hilfebedarf von 54 Minuten aus (Waschen 31 Minuten, Duschen/Baden 7 Minuten, Darm-
und Blasenentleerung 16 Minuten). Im Bereich der Mobilität hat er einen Pflegebedarf von
25 Minuten für das An- und Auskleiden berücksichtigt, wobei für das Anlegen des
Kompressionsverbandes noch weitere 8 Minuten anzusetzen sind. Berücksichtigt man für
das Wasserlassen weitere 18 Minuten und für das Stehen weitere 16 Minuten ist auch hier
der Grundpflegebedarf von mindestens 120 Minuten erreicht. In dem Gutachten des MDK
W.-L. ist im Bereich der Mobilität für das Stehen ein Bedarf von 28 Minuten festgestellt.
Abzüglich des von Dr. Ha. im Bereich der Darm- und Blasenentleerung festgestellten
Bedarfs an Transferleistungen von 12 Minuten verbleibt ein weiterer Bedarf von 16
Minuten.
Unter Berücksichtigung dessen ist keine wesentliche Änderung in dem erforderlichen
Hilfebedarf eingetreten. Der angefochtene Bescheid war aufzuheben und der Klage
stattzugeben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf anliegende Rechtsmittelbelehrung wird Bezug genommen.