Urteil des SozG Reutlingen vom 14.11.2013

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SG Reutlingen Urteil vom 14.11.2013, S 4 SO 1520/12
Sozialhilfe - Hilfe in anderen Lebenslagen - Übernahme von Bestattungskosten -
Verweisung auf Ausgleichsansprüche gegen ein bestattungspflichtiges
Familienmitglied
Leitsätze
1. Ist ein Ausgleichsanspruch gegen einen Dritten nicht mit ziemlicher Sicherheit
auszuschließen und besteht insbesondere der Eindruck, dass sich ein wirtschaftlich
durchaus leistungsfähiges Familienmitglied vor der finanziellen Verantwortung
drücken möchte, bedarf die Übernahme von Bestattungskosten durch den
Sozialhilfeträger einer Einzelfallprüfung. Diese darf nicht schon mit einer lapidaren
(auch schriftlichen) Weigerung eines Familienmitglieds zur Kostenübernahme als im
Sinne des bedürftigen Antragstellers abgeschlossen betrachtet werden.
2. Auch bei einer echten Verweigerungshaltung ist es nicht Aufgabe des
Sozialhilfeträgers, bei innerfamiliären Zerwürfnissen und dergleichen, wie sie nicht
selten nach Todesfällen auftreten, regelmäßig als "Ausfallbürge" zur Verfügung zu
stehen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Bestattungskosten.
2 Die im Jahr ... geborene Mutter der Klägerin verstarb am ... Erben wurden die
Brüder der Klägerin ... (MM) und ... Die Schwester … (KK), die Klägerin und deren
Kinder schlugen das Erbe aus. Am 13.04.2011 kam es zwischen der Klägerin und
dem Beklagten sowie dem Beklagten und dem Bestattungsunternehmen wegen
der anfallenden Kosten zu telefonischen Kontakten. Schließlich erteilte die
Klägerin zusammen mit MM dem Bestattungsunternehmen den Auftrag zur
Bestattung. Von den entstandenen Kosten zahlte MM einen Teilbetrag in Höhe
von EUR 473,42. Die Klägerin sieht sich aktuell noch mit Restkosten des
Bestattungsunternehmens und Gebührenforderungen der Gemeinde in Höhe von
insgesamt EUR 2.009,61 konfrontiert. Die Klägerin bezieht Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende.
3 Noch im April 2011 beantragten u.a. die Klägerin und MM jeweils getrennt beim
Beklagten die Übernahme der Bestattungskosten. MM gab dabei an, nur eine
geringe Erwerbsminderungsrente zu beziehen. Mit seiner Ehefrau habe er
Gütertrennung vereinbart, ihr Vermögen dürfe nicht berücksichtigt werden -
entsprechend machte er hierzu keine Angaben. Zu Abhebungen vom Konto seiner
Mutter im Umfang von ca. EUR 60.000,00 nach dem Jahr 2000 gab er an, nur Bote
gewesen zu sein und über die weitere Verwendung nichts zu wissen.
4 Mit Bescheid vom 18.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
30.01.2012 lehnte der Beklagte gegenüber MM die Kostenübernahme ab. Nach
Auskunft des Betreuers sei zum Todeszeitpunkt ein Nachlass in Höhe von EUR
1.188,90 vorhanden gewesen. Bei insgesamt anerkennungsfähigen
Bestattungskosten in Höhe von EUR 2.078,03 sei zunächst der Nachlass
einzusetzen. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von MM hätten nicht
abschließend geprüft werden können, da keine Angaben zur Ehefrau gemacht
worden seien. Die sozialhilferechtlichen Regelungen schrieben unabhängig vom
Güterstand die Prüfung der Verhältnisse beider Ehegatten vor. Das Vorbringen zu
den Abhebungen vom Konto der Mutter wertete der Beklagte als
Schutzbehauptung. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.
5 Mit Bescheid vom 27.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
10.05.2012 lehnte der Beklagte auch gegenüber der Klägerin die Übernahme der
Bestattungskosten ab. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin sei nicht
Verpflichtete und habe ggf. einen Ausgleichsanspruch gegen die Erben. Es sei
nicht nachgewiesen, dass eine Bezahlung der Kosten von den Erben nicht erlangt
werden könne. Der Klägerin sei auch ein gerichtliches Vorgehen gegen MM
zumutbar, zumal dieser die Bestattung mit in Auftrag gegeben habe und ihm
gegenüber die Kostenübernahme bereits bestandskräftig abgelehnt worden sei.
6 Deswegen hat die Klägerin am 25.05.2012 beim Sozialgericht Reutlingen Klage
erhoben. Die Vermögensverhältnisse von MM kenne sie nicht. Die Durchführung
eines Klageverfahrens gegen ihren Bruder mit ungewissem Ausgang sei ihr nicht
zuzumuten. Auf die Inanspruchnahme Dritter dürfe nur verwiesen werden, wenn
diese einen sicheren Erfolg biete.
7 Die Klägerin beantragt,
8
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27.03.2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2012 zu verurteilen, Bestattungskosten
in Höhe von EUR 2.009,61 zu übernehmen.
9 Der Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Der Beklagte hält an der getroffenen Entscheidung fest und ergänzt, nach der
Argumentation der Klägerin bestünde die Möglichkeit, immer auf die wirtschaftlich
schwächste Person einer Familie abzustellen.
12 Mit Beschluss vom 27.08.2012 bewilligte der 7. Senat des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg der Klägerin unter Aufhebung der zuvor ablehnenden
Entscheidung des Sozialgerichts Prozesskostenhilfe. Zur Begründung führte der
Senat u.a. aus, die Klägerin sei bestattungsrechtlich Verpflichtete gewesen. Ob ihr
tatsächlich werthaltige Ansprüche gegen die Erben zustünden, sei nicht geklärt.
Bei Bedürftigkeit sei die Übernahme von Bestattungskosten grundsätzlich nicht
zumutbar. Etwas anderes könne nur bei werthaltigen Erstattungsansprüchen
Dritten gegenüber gelten.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten
sowie auf die Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung
wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe
14 Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht
Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
15 Die Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein Anspruch
auf Übernahme der Bestattungskosten, die ihr gegenüber vom
Bestattungsunternehmen und der Gemeinde noch geltend gemacht werden, zu.
Die angefochtene Entscheidung des Beklagten erweist sich als rechtmäßig. Die
Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.
16 Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
XII). Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen,
soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu
tragen.
17 Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin nach dem Bestattungsgesetz des
Landes Baden-Württemberg Bestattungspflichtige war (so auch der 7. Senat, s.o.).
Ferner kann aufgrund des Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende davon ausgegangen werden, dass die Klägerin nach ihren
eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mit der Tragung der
Bestattungskosten finanziell überfordert war und ist.
18 Die Klägerin ist jedoch vorliegend nicht allein Verpflichtete im Sinne des § 74 SGG
XII gewesen. Neben ihr waren auch ihre Brüder, u.a. insbesondere MM,
bestattungspflichtig und zwar vorrangig gegenüber der Klägerin aufgrund ihrer
Stellung als Erben gemäß § 1968 BGB. Nach den Angaben des Betreuers war hier
sogar ein Nachlass vorhanden, der zur Tragung eines erheblichen Teils der
Bestattungskosten ausgereicht hätte, der aber nach Ausschlagung des Erbes
zwangsläufig nie in die Verfügungsgewalt der Klägerin gelangte.
19 Wohl entgegen der Auffassung des 7. Senats (s.o.) hält es die Kammer hier für
zumutbar die Klägerin auf eine Ausgleichsanspruch gegenüber MM zu verweisen,
selbst wenn dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach wie vor nicht
geklärt sind. Die Kammer sieht keine Einschränkung der Verweisbarkeit auf die
Fälle, in denen die Inanspruchnahme eines Dritten einen sicheren Erfolg bietet.
20 In der Kommentarliteratur (jurisPK, § 74 SGB XII Rdnr. 52-54) wird ein Wandel der
Rechtsprechung in der Frage der Verweisbarkeit auf Ansprüche gegenüber Dritten
bei der Prüfung der Zumutbarkeit nach § 74 SGB XII dargestellt. Während in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise sogar bei unaufklärbaren
finanziellen Verhältnissen wegen des Nachranggrundsatzes von
Sozialhilfeleistungen von einer Verweisbarkeit ausgegangen worden sei, lehne
dies das Bundessozialgericht nunmehr mit Ausnahme „extremer Ausnahmefälle“ -
aus Sicht der Kommentarliteratur: zu Recht (a.a.O. Rdnr. 54) - ab. Die Kammer
folgt dem in dieser Tragweite nicht.
21 Im Leitsatz der hier maßgeblichen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom
29.09.2009 (B 8 SO 23/08 R in juris) wird ausgeführt, der Sozialhilfeträger dürfe
einen bedürftigen Bestattungspflichtigen, der die Übernahme von
Bestattungskosten beantragt habe, nicht Ausgleichsansprüche gegenüber Dritten
entgegen halten, wenn deren Durchsetzung ein gerichtliches Vorgehen mit
unsicherem Ausgang erfordere. Das Bundessozialgericht betonte, dass § 2 Abs. 1
SGB XII nicht auf bestehende Ansprüche, sondern auf den Erhalt von Leistungen
abstelle. Einen Ausschluss selbst beim „Nicht-Erhalt“ von Leistungen, sah das
Bundessozialgericht nur in besagten „extremen Ausnahmefällen“, in denen sich
der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließe und Ansprüche ohne
Weiteres zu realisieren seien. Diese Ausführungen waren aber für den vom
Bundessozialgericht entschiedenen Sachverhalt letztlich nicht
entscheidungserheblich. Der Sachverhalt, über den das Bundessozialgericht zu
entscheiden hatte, war davon gekennzeichnet, dass annähernd mit Sicherheit vom
Nichtbestehen eines Ausgleichsanspruchs ausgegangen werden konnte („derart
zweifelhaft“). Insoweit hält die Kammer die Entscheidung des Bundessozialgerichts
für zutreffend. Anders stellt sich dies jedoch dar, wenn ein Ausgleichsanspruch
nicht mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann und insbesondere
der Eindruck besteht, dass sich ein wirtschaftlich durchaus leistungsfähiges
Familienmitglied vor der finanziellen Verantwortung drücken möchte. In diesem
Fällen ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, die nicht schon mit einer lapidaren
(auch schriftlichen) Weigerung eines Familienmitglieds zur Kostenübernahme als
abgeschlossen betrachtet werden darf (nach dem Urteil des hessischen LSG vom
06.10.2011, L 9 SO 226/10 in sozialgerichtsbarkeit.de, soll nur bei „unzweifelhaft“
bestehenden Ausgleichsansprüchen verwiesen werden dürfen). Ansonsten
bestünde hier - wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat - eine zu große Gefahr
von Mitnahmeeffekten. Es wäre ein Leichtes, dass Geschwister bei nicht
(vollständig) durch den Nachlass gedeckten Beerdigungskosten das finanziell
„schwächste“ Familienmitglied mit einem Antrag auf Übernahme der
Bestattungskosten nach § 74 SGB XII „vorschicken“. Äußerungen, selbst
anwaltliche Schriftsätze, in denen eine Kostenübernahme gegenüber einem
Geschwisterteil abgelehnt werden, sind einfach zu fertigen. Die Frage, welche
Ernsthaftigkeit und Berechtigung dahinter steckt ist eine andere. Selbst wenn hier
eine echte Verweigerungshaltung zugrunde liegen sollten, sieht es die Kammer
nicht als Aufgabe des Beklagten an, bei innerfamiliären Zerwürfnissen und
dergleichen, wie sie nicht selten nach Todesfällen auftreten, regelmäßig als
„Ausfallbürge“ zur Verfügung zu stehen. Auch streitige Verfahren zwischen
Familienangehörigen können daher in Einzelfällen als zumutbar angesehen
werden.
22 Die Klägerin ist hier auf einen Ausgleichsanspruch gegenüber ihrem Bruder MM zu
verweisen. Hierfür sprechen mehrere Einzelfallgesichtspunkte. MM ist gegenüber
der Klägerin als Erbe vorrangig bestattungspflichtig gewesen. Er hat zusammen
mit der Klägern dem Bestattungsunternehmen den maßgeblichen Auftrag erteilt.
Das Bestattungsunternehmen kann sich daher auch direkt an MM wenden.
Schließlich zahlte MM auch schon einen Teilbetrag auf die Rechnung des
Unternehmens. Als Erbe ist er zudem in die Verfügungsgewalt des Nachlasses
gekommen, der für die Tragung eines erheblichen Anteils (mehr als die
vorgenommene Teilzahlung) der Bestattungskosten ausgereicht hätte. MM
gegenüber hatte der Beklagte die Übernahme der Bestattungskosten schon
bestandskräftig abgelehnt. Mit einer Übernahme zugunsten der Klägerin würde die
darin enthaltene Aussage, dass von einem leistungsfähigen Verpflichteten (MM)
auszugehen ist, völlig ignoriert. Aus den Akten, insbesondere aus dem
hartnäckigen Verschweigen von Angaben zu den Vermögensverhältnissen der
Ehefrau des MM ergeben sich ganz starke Hinweise darauf, dass es MM auch
zuzumuten ist, die Bestattungskosten zu tragen. Dafür, hier jedoch von eher
untergeordneter argumentativer Bedeutung, sprechen auch die nach wie vor
ungeklärten Vermögensentnahmen des MM von den Konten der Mutter vor deren
Tod. Insgesamt geht die Kammer daher von Hinweisen darauf, dass MM nicht
zahlen will obwohl er kann und muss, in einem Umfang aus, der es für die Klägerin
zumutbar erscheinen lässt, selbst gegen MM vorzugehen.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.