Urteil des SozG Regensburg vom 25.05.2009

SozG Regensburg: unterbringung, haus, pflegeheim, zustand, regierung, behandlung, angemessenheit, aufenthalt, familie, tagessatz

Sozialgericht Regensburg
Gerichtsbescheid vom 25.05.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 SO 58/08
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.01.2008 verpflichtet, die Kosten für die Unterbringung der Klägerin im Pflegeheim des Bezirkskrankenhauses
W. (Haus 8) zu tragen. II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die am 07.04.1947 geborene Klägerin ist seit vielen Jahren Bewohnerin des Heimes "Haus an der Waldnaab" in
Tirschenreuth, einer sozialtherapeutischen Wohnstätte für chronisch psychisch kranke und behinderte Menschen.
Unstreitig liegt bei der Klägerin Pflegebedarf gemäß der Pflegestufe I vor. Das derzeit noch bewohnte Heim ist kein
Pflegeheim, sodass es der Klägerin auf Dauer nicht möglich ist, in diesem Heim zu verbleiben.
Aus diesem Grund wurde bereits mit Schreiben vom 21.06.2007 vom Betreuer der Klägerin bei dem Beklagten
beantragt, die Kosten für den Aufenthalt der Klägerin im Pflegeheim (Haus 8) des Bezirkskrankenhauses W. zu
übernehmen. Begründet wurde dieser konkrete Wunsch der Unterbringung seitens des Betreuers der Klägerin mit
Unterstützung der Heimleitung des Hauses Waldnaab in Tirschenreuth damit, dass die seit vielen Jahren psychisch
kranke Klägerin seit 2004 erfolgreich von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie B. K., welche in W.
praktiziert, begleitet wird. Im Hinblick auf die Kontinuität gerade in der psychiatrisch-fachärztlichen Versorgung wäre,
so der klägerseitige Vortrag, die Unterbringung der sehr komplizierten und hoch sensiblen Klägerin in der W.
Pflegeeinrichtung nachdrücklich zu befürworten. Des Weiteren bestehen intensive Kontakte zwischen dem bisherigen
Heim der Klägerin und dem gewünschten Krankenhaus in W., da sich oft Bewohner aus dem Haus an der Waldnaab
zur stationären Behandlung in der Klinik aufhalten. Anlässlich dieser Gelegenheiten könnte die Klägerin von Personal
und Bewohnern des Hauses Waldnaab besucht werden und somit der Kontakt erhalten werden.
Der Antrag auf Übernahme der Kosten für den Aufenthalt der Klägerin in W. wurde von dem Beklagten mit Bescheid
vom 15.10.2007 abgelehnt. In seinem Ablehnungsbescheid beruft sich der Beklagte darauf, dass die Heimkosten in
einer vergleichbaren Pflegeeinrichtung in Oberfranken, z.B. im Pflegeheim des Guts M. in F. täglich nur 55,43 EUR
betrage, was tägliche Mehrkosten einer Unterbringung in W. von 37,71 EUR bedeute. Aus diesen Gründen sei eine
Unterbringung in W. "mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden" im Sinn des § 9 Abs.2 Satz 3 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Bei Erlass dieses Ablehnungsbescheides unterstellte der Beklagte, dass der
Betreuer der Klägerin bis dahin keinen Kontakt zu dem von dem Beklagten vorgeschlagenen Wohn- und Pflegeheim
Gut M. aufgenommen habe.
Die Klägerseite legte hiergegen Widerspruch ein und teilte mit, dass der Betreuer der Klägerin tatsächlich schon
Kontakt aufgenommen habe mit dem Wohn- und Pflegeheim M. Es sei lediglich keine Reaktion seitens des Guts M.
erfolgt.
Die Regierung von Oberfranken bestätigte den Bescheid der Beklagten vom 15.10.2007 mit Widerspruchsbescheid
vom 10.01.2008.
Mit der hiergegen am 11.02.2008 zunächst zum Sozialgericht Bayreuth erhobenen Klage, welche durch Beschluss
vom 01. August 2008 an das Sozialgericht Regensburg verwiesen und am 14.08.2008 hier anhängig wurde, beantragt
die Klägerseite:
Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberfranken vom 10.01.2008 die Kosten für die Unterbringung der
Klägerin im Pflegeheim des Bezirkskrankenhauses W. (Haus 8) zu tragen.
Die Klägerseite weist insbesondere auf die aufrechtzuerhaltenden Sozialkontakte der Klägerin hin und legt hierzu eine
Stellungnahme der Dipl. Sozialpädagogin FH K. vom 21.08.2007 vor. Frau K., welche stellvertretende Leiterin des
Trägers des Hauses Waldnaab vom 21.08.2007 ist, weist hier auf die enge Zusammenarbeit mit der Klinik W. hin. In
der Stellungnahme führt sie weiter aus, dass die Klägerin mit ihrem gesamten Krankheitsbild und ihren Auffälligkeiten
aufgrund der seit längerem erfolgenden nervenärztlichen Begleitung in W. bestens bekannt und auch medikamentös
gut eingestellt sei. Dies könne dann reibungslos fortgesetzt werden. Aufgrund ihrer hirnorganischen Erkrankung sei die
Klägerin auch bereits im Klinikum Weiden behandelt worden. Im Namen der Klägerin, um ihr ein einigermaßen
akzeptables soziales Umfeld zu schaffen, wird von der Dipl. Sozialpädagogin K. in diesem Schreiben vom 21.08.2007
um eine Verlegung der Klägerin in die Einrichtung in W. gebeten.
Des Weiteren wird in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass im Widerspruchsbescheid offensichtlich unzutreffende
Tatsachen hinsichtlich der Wohnorte der Verwandten der Klägerin zugrunde gelegt wurden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Unterbringung der Klägerin in der erwünschten Anstalt in W. mit
unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Er trägt vor, dass die Klägerin bzw. ihr Betreuer keinen ernsthaften
Versuch unternommen hätten, mit der von dem Beklagten vorgeschlagenen Einrichtung in Verbindung zu treten.
Zusammenfassend müsse aus Sicht des Beklagten der Wunsch der Klägerin, in einer Einrichtung ihrer Wahl
untergebracht zu werden, gegenüber den damit verbundenen erheblichen Mehrkosten zurückstehen.
Der Zustand der Klägerin hat sich im Verlauf der letzten zwei Jahre laufend verschlechtert. Bereits in einem Schreiben
vom 07.08.2008 an den Betreuer der Klägerin teilte die Heimleitung des Hauses Waldnaab mit, dass sich der
psychische Zustand der Klägerin weiter verschlechtert habe und auch die dementielle Symptomatik voranschreite.
Nach einem weiteren Schreiben an den Betreuer der Klägerin vom 25.02.2009 verschlechterte sich der körperliche und
psychische bzw. geistige Zustand der Klägerin im letzten Jahr nochmals erheblich, was eine deutliche Erhöhung ihres
Pflegebedarfs zur Folge habe. Ihre dementielle Entwicklung sei in den letzten Monaten sehr rasch vorangeschritten.
Auch sei die Klägerin in ihrer Mobilität mittlerweile sehr stark eingeschränkt.
Auf eine gerichtliche Anfrage hin teilte die Klägerbevollmächtigte mit, dass der derzeitige Tagessatz in W. 113,77
EUR betrage und damit die Differenz zu den durchschnittlichen täglichen Pflegesätzen in den alten Bundesländern der
Bundesrepublik Deutschland weniger als 1/3 betrage. Hierzu legt die Klägerbevollmächtigte eine Erhebung des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2005 vor, welche den Beteiligten
zugestellt wurde und auf die ergänzend verwiesen wird. Hinsichtlich der Desorientierung der Klägerin führt die
Klägerbevollmächtigte aus, dass diese Anteile temporär noch deutlich im Hintergrund stünden. Die Klägerin sei
durchaus in der Lage, soziale Kontakte zu pflegen. Aufgrund der engen Verbindungen zwischen dem Haus Waldnaab
in Tirschenreuth und der Klinik in W. könnten die sozialen Kontakte der Klägerin weiterhin erhalten bleiben. Letztlich
werde darauf hingewiesen, dass in W. derzeit für die Klägerin ein Platz frei sei, in den Häusern Z. und M. dagegen
nicht.
Die Beklagte vertritt unter Hinweis auf den letzten Entwicklungsbericht vom 13.02.2009 die Auffassung, dass die
Klägerin nach einer Verlegung die Mitarbeiter des Hauses an der Waldnaab über kurz oder lang nicht mehr erkennen
wird.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die vorgelegte Akte der Beklagten sowie die gerichtliche
Streitakte verwiesen.
Die Beteiligten erklärten sich beidseitig mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid
gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz einverstanden.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat gemäß § 53 Abs.1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 17 Abs.1 Satz 1 SGB XII einen Anspruch gegen den
Beklagten auf Übernahme der Kosten für die Heimunterbringung in W ...
Das grundsätzliche Erfordernis der stationären Unterbringung der Klägerin in einer Pflegeeinrichtung ist zwischen den
Parteien unstreitig.
Dem Wunsch der Klägerin zur Unterbringung in W. muss im vorliegenden Fall gemäß § 9 Abs.2 Satz 1 SGB XII
entsprochen werden. Die konkrete Angemessenheit ist im Einzelfall der Klägerin für die Unterbringung in W. zu
bejahen. Aufgrund der fortgeschrittenen Krankheitssituation, welche in den Schreiben der Heimleitung des Hauses
Waldnaab an den Betreuer belegt ist, ist auch zu berücksichtigen, dass ein Heimplatz in W. für die Klägerin
gegenwärtig bereitsteht, in M. und Z. dagegen nicht, wobei das Gericht hier den klägerseitigen Vortrag als zutreffend
unterstellt. Des Weiteren ist im Rahmen der Angemessenheit im Sinn des § 9 Abs.2 Satz 1 SGB XII sowie bei der
Frage, ob "unverhältnismäßige Mehrkosten" im Sinn des § 9 Abs.2 Satz 3 SGB XII entstehen, auch die
Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte der psychisch schwer kranken Klägerin zu den sie seit langem betreuenden
Mitarbeitern des Hauses an der Waldnaab entscheidungserheblich. Auch wenn die Klägerin diese unter Umständen
nicht mehr erkennen sollte, so kennen zumindest ihre langjährigen Pfleger noch die Klägerin. In finanzieller Hinsicht
müssen bei der Prüfung, ob unverhältnismäßige Mehrkosten vorliegen, die Durchschnittskosten Ausgangspunkt sein,
welche üblicherweise für die fragliche Hilfemaßnahme entstehen, nicht die Kosten eines etwaig relativ preiswerten
anderen Heimes. Dabei kann der Sozialhilfeträger sich nicht auf die Kosten in seinem Bereich beschränken, sondern
er muss von einem größeren Bereich, in der Regel wohl einem Bundesland ausgehen (vgl. auch Roscher in LPK-SGB
XII, RdNr. 36 zu § 9). Insoweit ist nach Auffassung des Gerichtes dem Standpunkt der Klägerseite aus dem
Schriftsatz vom 17.04.2009 zu folgen, wonach "unverhältnismäßige" Mehrkosten hier wohl nicht als gegeben
angesehen werden können. Im Übrigen dürfte die Vorschrift des § 9 Abs.2 Satz 3 SGB XII vorliegend gar nicht zum
Tragen kommen, da eine Anwendung der Regelung nur dann in Betracht kommt, wenn verschiedene, gleichermaßen
sachgerechte Handlungsalternativen vorliegen. Im Fall der Klägerin kann jedoch offensichtlich nur das Haus in W. die
speziellen, insbesondere auch durch ihre psychische Erkrankung bedingten Bedürfnisse hinsichtlich der sozialen
Kontakte wenigstens noch in einem Mindestmaß erfüllen. Des Weiteren ist im Fall der Klägerin bei der Bestimmung
des Bedarfes auch die seit 5 Jahren erfolgreiche Behandlung durch die Psychiaterin K., welche bei der Unterbringung
in W. fortgesetzt werden kann, als weiteres Kriterium zu berücksichtigen. Nach alldem konkretisiert der Wunsch der
Klägerin lediglich den sozialhilferechtlichen Bedarf im Sinn des § 53 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs.1 Satz 1 SGB XII,
sodass seitens der Beklagten ein Ermessensspielraum nicht mehr besteht (vgl. auch: Roscher in LPK-SGB XII,
RdNr. 39 zu § 9), sogenannte "Ermessensreduzierung auf Null".
Nach alldem war zu entscheiden wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.