Urteil des SozG Regensburg vom 04.07.2005

SozG Regensburg: rechtsschutz, erwerbsfähigkeit, arbeitsmarkt, gesundheitszustand, kauf, arbeitsloser, beschränkung, notlage, verfügung, altersrente

Sozialgericht Regensburg
Beschluss vom 04.07.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 13 AS 162/05 ER
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01. Juli bis zum 30. September 2005
vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag
abgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine etwaigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; Bescheid vom 19. Januar 2005).
Dabei wurde für den Monat Juni die mit Bescheid der LVA Ndb./Opf. vom 18. April 2005 bewilligte Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung als Einkommen berück- sichtigt (Änderungsbescheid vom 10. Mai 2005).
Mit Bescheid vom 09. Mai 2005 verfügte die LVA, dass dem Antragsteller mit Wirkung zum 01. Februar 2005 anstelle
der bisherigen Rente (wegen teilweiser Erwerbsminderung) nunmehr - befristet bis zum 31. Januar 2008 - eine Rente
wegen voller Erwerbsminderung bewilligt werde. Der Rentenanspruch sei zeitlich begrenzt, weil die volle
Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf den Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen am
Arbeitsmarkt beruhe.
Im Hinblick auf diesen Rentenbescheid lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23. Juni 2005 den vom Betreuer
des Antragstellers eingereichten Antrag auf Weitergewährung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit nach dem 01. Juli
2005 ab.
Mit dem am 24. Juni 2005 erhobenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird geltend gemacht, beim Antragsteller
bestehe nach den Feststellungen der LVA eine Leistungsfähigkeit von über 3 Stunden täglich, weshalb er weiterhin
Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Es wird beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, dem Antragsteller die Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II ab dem 01. Juli 2005 zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin begehrt demgegenüber, den Antrag abzuweisen.
Da der Antragsteller eine sog. Arbeitsmarktrente beziehe, liege keine Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs.1 SGB II
vor.
Zur Ergänzung der Sachverhaltsschilderung wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten
Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung führt insoweit zum Erfolg, als die Antragsgegnerin nach Maßgabe
von § 86b Abs.2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu verpflichten ist, dem Antragsteller vorerst bis zum 30.
September 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Insoweit sind
Anordnungsgrund, d. h. die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht,
also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben (vgl. § 23 Abs.1 Satz 2 SGB X).
Zu Unrecht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass die Gewährung von Arbeitslosengeld II ausscheidet, weil der
Antragsteller nunmehr eine sog. Arbeitsmarktrente bezieht. Dies lässt nämlich nicht den Schluss darauf zu, dass
nunmehr keine Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs.1 SGB II gegeben wäre. Denn die dem Antragsteller von der
LVA zugestandene volle Erwerbsminderung auf Zeit beruht ausweislich der Gründe des Rentenbescheids nicht
ausschließlich auf seinen Gesundheitszustand, sondern wird im Hinblick auf die Verhältnisse des Arbeitsmarktes
gewissermaßen nur fingiert. Mit Blick hierauf setzt die Gewährung von Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB
XII ausdrücklich voraus, dass der Betreffende "unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll
erwerbsgemindert" ist (§ 41 Abs.1 Nr.2 SGB XII). Auch wenn eine entsprechende Formulierung in § 8 Abs.1 SGB II
fehlt, gilt dies spiegelbildlich auch hier - mit der Folge, dass der Bezug einer sog. Arbeitsmarktrente kein tauglicher
Nachweis für das Fehlen der Erwerbsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung des Arbeitslosengeldes II ist.
Das mag im Ergebnis unbefriedigend sein, weil damit auch Personen erfasst werden, die - wie der Antragsteller - dem
Arbeitsmarkt effektiv nicht mehr zur Verfügung stehen. Dass dies vom Gesetzgeber in Kauf genommen wird, zeigt
indes auch die Priviligierung älterer Arbeitsloser in § 65 Abs.4 SGB II, die ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II auch
dann behalten, wenn sie nicht mehr arbeitsbereit sind. Hätte der Gesetzgeber demgegenüber die Bezieher einer sog.
Arbeitsmarktrente von den Leistungen ausnehmen wollen, hätte es ei- ner ausdrücklichen Regelung bedurft, wie sie in
§ 7 Abs.4 SGB II für die Bezieher von (vorgezogener) Altersrente getroffen ist.
Aus diesen Gründen kann die Ablehnung der Leistungsgewährung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Juni
2005 keinen Bestand haben. Der Bescheid wird auf einen (noch zu erhebenden!) Widerspruch bzw. eine nachfolgende
Klage hin aufzuheben sein. Dass es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, den rechtskräftigen Ausgang des
Hauptsacheverfahrens abzuwarten, bedarf keiner Erläuterung.
Die gleichwohl erfolgte Beschränkung der angeordneten Leistungspflicht der Antragsgegnerin auf die Zeit von 3
Monaten folgt aus dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes, der über die Behebung einer gegenwärtigen Notlage
nicht hinaus gehen darf. Deshalb war der zeitlich unbeschränkt erhobene Antrag im Übrigen abzuweisen. Sollte bis
dahin eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vorliegen, steht es dem Antragsteller jedoch
frei, für die Zeit ab dem 01. Oktober 2005 erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.