Urteil des SozG Regensburg vom 18.09.2007

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Sozialgericht Regensburg
Urteil vom 18.09.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 16 R 4109/05
I. Der Bescheid der Beklagten vom 16.05.2003 wird aufgehoben. II. Die Beklagte trägt die Kosten.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Erhebung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1886,00 Euro durch die Beklagte wegen
(behaupteter) verspäteter Nachversicherung der D. durch den Kläger.
Frau D., geb. 26.02.1949, befand sich von 1969 bis 2002 als Fachlehrerin im Bayerischen Schuldienst. Mit Ablauf des
31. August 2002 schied sie auf eigenen Wunsch aus dieser nach § 5 des VI. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI)
versicherungsfreien Beschäftigung aus. Die Regierung von Niederbayern bat Frau D. bereits gut einen Monat vor
ihrem Ausscheiden aus dem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 29.07.2002, einen
Erhebungsbogen zur weiteren Beschäftigung ausgefüllt an sie zurückzusenden. In dem Schreiben heißt es: "Sehr
geehrte Frau D., nach Ihrem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis ist der Freistaat Bayern verpflichtet, Sie in der
Angestelltenversicherung für die Zeit Ihres Beamtenverhältnisses nachzuversichern. Vor Durchführung der
Nachversicherung ist jedoch zu prüfen, ob Aufschubsgründe vorliegen. So ist die Nachversicherung auch dann
aufzuschieben, wenn Sie zwar nicht unmittelbsr, aber spätestens zwei Jahre nach Ihrem Ausscheiden in eine andere
in der Rentenversicherung freie Beschäftigung übertreten (§ 184 Abs.2 SGB VI). Im Falle der Nachversicherung gehen
die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zu Lasten des Freistaates Bayern. Wir bitten Sie, den ausgefüllten
Erhebungsbogen innerhalb von vier Wochen zurückzusenden". Frau D. reagierte nicht auf dieses Schreiben. Daraufhin
schickte ihr die Regierung von Niederbayern mit Schreiben vom 14. November 2002 den Erhebungsbogen erneut unter
Hinweis auf eventuelle Aufschubsgründe sowie der Bitte, den ausgefüllten Bogen bis spätestens 10.12.2002
zurückzusenden. Am 16.12.2002 ging der von Frau D. ausgefüllte Erhebungsbogen bei der Regierung von
Niederbayern ein. Frau D. gab darin an, nun als Hausfrau, verbunden mit einer geringfügigen Beschäftigung, tätig zu
sein und kreuzte an, dass eine Wiedereinstellung in das Beamtenverhältnis binnen der nächsten zwei Jahre nicht in
Aussicht stehe. Die Regierung von Niederbayern erteilte daraufhin mit Schreiben vom 03.01.2003 einen
Nachversicherungsauftrag, welcher beim Kläger am 07.01.2003 einging. Nach Beiziehung der Personalakte der
Versicherten erteilte der Kläger am 15.01.2003 die Bescheinigung nach § 185 Abs.3 SGB VI. Am 17.01.2003 wurde
die Auszahlung der Nachversicherungsbeiträge veranlasst, welche am 22.01.2003 bei der Beklagten eingingen.
Aufgrund dieses Sachverhaltes erließ die Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 16.05.2003, mit welchem diese
vom Kläger Säumniszuschläge in Höhe von 1886,00 Euro wegen einer behaupteten Säumnis von zwei Monaten
verlangt. Sie ist der Auffassung, dass eine Entscheidung über die Nachversicherung bzw. das Vorliegen eines
Aufschubstatbestandes innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis getroffen
werden sollte. Der Kläger wendete demgegenüber zunächst ein, dass keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von
Säumniszuschlägen ersichtlich sei. § 24 des IV. Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV), sei nur bei Säumnis während
laufender Beitragszahlung einschlägig, nicht jedoch für Nachversicherungsbeiträge, da diese keine laufenden Beiträge
darstellen würden. Diese Argumentation gab der Kläger allerdings später aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen
Entscheidung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 12.02.2004 - Az. B 13 RJ 28/03 R - auf. Unter Berufung auf
dieses Urteil des Bundessozialgerichts macht der Kläger nun unverschuldete Säumnis in entsprechender Anwendung
des § 24 Abs.2 SGB IV geltend.
Die Beklagte wendete demgegenüber ein, dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach eine vorherige, bescheidmäßige
Beitragsforderung zur Voraussetzung habe. Auch sei die Unkenntnis des Klägers von der Zahlungspflicht nicht
unverschuldet. Der Versicherten sei in dem Schreiben vom 29.07.2002 eine Äußerungsfrist von vier Wochen gesetzt
worden. Nachdem sich Frau D. nicht meldete, sei sie erst mit Schreiben vom 14.11.2002 gemahnt worden, den
Erhebungsbogen zu beantworten.
Die Klägerseite macht desweiteren geltend, die Beklagte habe die Erhebung von Säumniszuschlägen verwirkt, da sie
nach der Rechtsänderung zum 01.01.1995, welche ihr die Möglichkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen
eröffnete, jahrelang dieselben nicht erhob. Erst im Zusammenhang mit einem Schreiben der Beklagten vom 28. März
2003, welches sie an alle Nachversicherungsstellen richtete, sei mitgeteilt worden, dass die Beklagte künftig in allen
Fällen der verspäteten Zahlung von Nachversicherungsbeiträgen Säumniszuschläge erheben wird. Die
Nachversicherungsstellen hätten aufgrund des bis dahin geübten Verhaltens der Beklagten nicht mit einer
rückwirkenden Erhebung von Säumniszuschlägen rechnen können, so dass eine schützenswerte Vertrauensposition
entstanden sei.
Desweiteren sei es in Nachversicherungsfällen in der Praxis vielfach nicht möglich, binnen drei Monaten abschließend
festzustellen, ob Nachversicherungsbeiträge fällig werden oder ein Aufschubstatbestand vorliegt. In vielen Fällen - wie
auch hier im Fall D. - treffe die Beschäftigungsbehörde (personalverwaltende Stelle) je nach Zuständigkeitsregelung
die Entscheidung, ob ein Aufschubstatbestand vorliege bzw. eine Nachversicherung zu veranlassen sei.
Für die Bejahung eines Aufschubsgrundes nach § 84 Abs.2 Satz 1 Nr.2 SGB VI komme es darauf an, ob im Zeitpunkt
des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung eine hinreichend sichere, auf objektiven Merkmalen
beruhende Erwartung bestehe, dass der Beschäftigte innerhalb der Frist von zwei Jahren eine erneute, entsprechende
Beschäftigung aufnimmt. Wenn, wie im streitgegenständlichen Fall, die Beschäftigte für eine nicht allzulange Zeit
nicht mitwirke und deshalb die Nachversicherung nicht unangemessen lang verzögert wird, müsse dies in gewissem
Maße hingenommen werden, denn: Mit welcher hinreichenden Wahrscheinlichkeit und mit welchen objektiven
Merkmalen und darauf beruhenden Erwartungen solle denn der Dienstherr die Nachversicherungsentscheidung treffen,
wenn vom Beschäftigten gar keine Antwort vorliegt und dies noch nicht unangemessen lang verzögert ist.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.05.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die vorgelegte Akte der Beklagten sowie die gerichtliche
Streitakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Ein dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltetes Vorverfahren war gem. § 78 Abs.1 Satz 2
Nr.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entbehrlich, da ein Land, nämlich der Freistaat Bayern, Klagepartei ist.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 16.05.2003 ist rechtswidrig und war aufzuheben. Der Kläger kann
sich in entsprechender Anwendung von § 24 Abs.2 SGB IV auf unverschuldete Unkenntnis von der Pflicht zur
Nachentrichtung der Beiträge für Christa D. berufen. Der entsprechenden Anwendung des
§ 24 Abs.2 Satz 1 SGB IV steht nach den Ausführungen des BSG im bereits genannten Urteil vom 12.02.2004 nicht
entgegen, dass abweichend vom Wortlaut der Vorschrift die Beitragsforderung für die Vergangenheit nicht "durch
Bescheid festgestellt" wird, sondern vom Beitragsschuldner selbst ermittelt und durch die Zahlung dokumentiert wird
(s. genanntes Urteil, Zitat nach JURIS Rd.Nr.33).
Der Beklagte bzw. die zuständigerweise handelnde Personalstelle (hier die Regierung von Niederbayern) hatte bereits
etliche Wochen vor Beendigung des versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisses die Versicherte angeschrieben
mit der Bitte, den Erhebungsbogen auszufüllen. Die leichte Verzögerung der Auszahlung der
Nachversicherungsbeiträge um 1 1/2 Monate über den für unkomplizierte Fälle allgemein anerkannten
Toleranzspielraum von drei Monaten ist durch die zögerliche Beantwortung des Erhebungsbogens seitens der Frau D.
verursacht worden. Zwar hätte die Anmahnung durch die Personalstelle, die Regierung von Niederbayern, wohl schon
einige Wochen früher erfolgen können, jedoch kann dieser Umstand noch keine verschuldete Unkenntnis des Klägers
vom Erfordernis der Nachversicherung begründen. Unzweifelhaft stand erst mit dem Eingang des ausgefüllten
Nachversicherungsbogens bei der Personalstelle der Regierung von Niederbayern am 16.12.2002 fest, dass
Aufschubsgründe im Fall der Frau D. nicht vorlagen. Die Klägerseite handelte nach Eingang dieses Schreibens sehr
zügig. Trotz Haupturlaubszeit erteilte die Regierung von Niederbayern bereits am 03.01.2003 den
Nachversicherungsauftrag, der nach unmittelbar anschließender Beiziehung der Personalakten schon am 17.01.2003
zur Veranlassung der Beitragsauszahlung führte.
Der vorliegende Fall ist insofern auch anders gelagert, als der kürzlich vom Sozialgericht München mit Urteil vom
28.06.2007 entschiedene (Az. S 17 R 5469/04, veröffentlicht bei JURIS, derzeit in Sprungrevision beim BSG anhängig
unter dem Az. B 12 R 7/07 R). Im dortigen Fall handelte es sich um eine "ungewöhnlich zügige Entlassung mitten im
Kalendermonat" (s. soeben genanntes Urteil des Sozialgerichts München, JURIS - Rd.Nr.27) aus einem langjährigen
Beamtenverhältnis als Justizvollzugsbeamter im mittleren Dienst. Aufschubsgründe kamen dort eindeutig nicht in
Frage (s. ebenda, JURIS - Rd.Nr.21).
Im hier streitgegenständlichen Fall des Ausscheidens einer Fachlehrerin zum Schuljahresende steht das Eingreifen
von Aufschubsgründen durchaus im Raum, so dass die Beantwortung des Erhebungsbogens geeignet und notwendig
war, um den Eintritt der Nachversicherungspflicht feststellen zu können. Auch das Bundessozialgericht hat in seinem
richtungsweisenden Urteil vom 12.02.2004 - Az. B 13 RJ 28/03 R (vorgehend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom
13.05.2003 - L 9 RJ 2117/02 sowie SG Stuttgart, Urteil vom 29.04.2002 - S 3 RJ 4835/00, sämtlich veröffentlicht bei
JURIS) festgestellt, dass eine entsprechende Anwendung von § 24 Abs.2 Satz 1 SGB IV zum Zuge kommt, wenn
zweifelhaft war, ob Versicherungspflicht besteht bzw. nicht besteht oder wenn die Unkenntnis durch unzutreffende
Informationen oder Angaben Dritter verursacht ist. Eine solche Situation kann laut BSG auch bei der
Nachversicherung gem. §§ 181 ff. SGB VI entstehen, weil zwar objektiv der Nachversicherungsfall und die Fälligkeit
der Beiträge bereits mit dem unversorgten Ausscheiden eintreten, der Versorgungsträger aber subjektiv unter
Umständen noch nicht feststellen kann, ob etwaige Aufschubsgründe gem.§ 184 Abs.2 SGB VI vorliegen. So liegt der
Fall hier.
Auf die Frage der Verwirkung bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung von Säumniszuschlägen in
Nachversicherungsfällen aufgrund der von der Beklagtenseite langjährig geübten Praxis sowie im Hinblick auf das
Schreiben an alle Nachversicherungsstellen vom 28.03.2003 kommt es im vorliegenden Rechtsstreit nicht an (Anm.:
Zu dieser Frage sei allerdings auf das Musterverfahren vor dem Sozialgericht Dresden verwiesen, welches mit -
soweit ersichtlich, bislang noch nicht veröffentlichtem - Urteil vom 31.01.2007 - S 14 RA 1177/03 in erster Instanz
beendet wurde und derzeit im Berufungsverfahren beim Sächsischen Landessozialgericht unter dem Az. L 7 R 259/07
anhängig ist).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.