Urteil des SozG Osnabrück vom 01.12.2009

SozG Osnabrück: werkstatt, wahrung der frist, geschäftsführung ohne auftrag, behinderung, beurteilungsspielraum, leistungserbringer, verwaltung, zukunft, gesellschaft, niedersachsen

Sozialgericht Osnabrück
Urteil vom 01.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 16 AL 200/07
1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.05.2007 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2007 wird
aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten für den Aufenthalt in der Werkstatt für Behinderte
Menschen für die Zeit vom 15.08.2007 bis 01.12.2009 zu gewähren, al-lerdings nicht höhere Kosten, als die in der
Tagesförder-stätte entstanden wären. 3. Der Beigeladene zu 1) wird verpflichtet, dem Kläger zu-künftig Leistungen zur
Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft zu gewähren. 4. Im Übrigen wird die Klage zurückgewiesen. 5. Die Beklagte
trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen werden Kosten nicht er-stattet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im vorliegenden Klageverfahren zum einen die Übernahme der bisher in der Werkstatt für
Behinderte Menschen entstandenen Kosten und zum andern die Auf-nahme in das Eingangsverfahren der Werkstatt
für Behinderte Menschen. Hilfsweise be-antragt er zukünftig Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
zu gewäh-ren.
Der 1987 geborene Kläger leidet unter schwersten körperlichen und geistigen Mehrfach-behinderungen. Er hat einen
Grad der Behinderung von 100 mit dem Merkzeichen G, aG, H und RF. Bis Mitte 2007 besuchte der Kläger die I.
innerhalb der Heilpädagogischen Hilfe J ...
Am 23.04.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsle-ben bei der Beklagten. Dieser
Antrag war nicht näher spezifiziert, jedoch richtete sich das Begehren des Klägers zu diesem Zeitpunkt auf die
Teilnahme am Eingangsverfahren in der Werkstatt für Behinderte Menschen.
In einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 04.05.2007 diagnostizierte die Amtsärz-tin Dr. K. schwere
körperliche und geistige Mehrfachbehinderungen. Es liegt ganztätige Pflegebedürftigkeit bei Pflegestufe III vor. Es
könne nur in einem ganz engen Rahmen eine Förderung der Sinneswahrnehmungen erfolgen. Die Erbringung eines
Mindestma-ßes an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen in einer Tätigkeit sei auch unter Auf-sicht und
Anleitung nicht zu erwarten.
Mit Bescheid vom 10.05.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Leistungen zur Teilha-be am Arbeitsleben vom
23.04.2007 ab. Nach den Feststellungen des ärztlichen Diens-tes seien die Einschränkungen so wesentlich, dass
deshalb Hilfen zur beruflichen Ein-gliederung (Teilhabe am Arbeitsleben) nicht in Betracht kämen, weil ein
Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen nicht erbracht werden könne. Eine Weiterlei-tung des
Antrags erfolgte nicht.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 29.05.2007 Widerspruch ein. Die Werkstatt stünde allen
behinderten Menschen unabhängig von der Schwere der Be-hinderung offen. Erst spätestens nach der Teilnahme an
der Maßnahme müsste mindes-tens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung vorliegen. Dies sei
bereits dann der Fall wenn das Gesamtergebnis die Werkstatt bereichern würde. Menge und Größe seien nicht
quantifizierbar. Die Arbeitspädagogen könnten die Arbeit in derart kleine Schritte zerlegen, dass auch kleine
Handreichungen zum Ergebnis beitrügen.
Am 20.07.2007 wandte sich der Kläger mit dem Begehren um einstweiligen Rechtsschutz an das Gericht (Az.: S 6 AL
173/07 ER). Im Frühjahr des Jahres 2007 habe er in der Zeit zwischen März und Mai bereits in der Werkstatt für
Behinderte Menschen ein sogenann-tes Orientierungspraktikum durchlaufen. Dabei sei festgestellt worden, dass
Fähigkeiten und Fertigkeiten vorhanden seien. Dabei sei die Prognose getroffen worden, dass nach Abschluss des
Berufsbildungsbereichs ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen erbracht werden könne. Die
bisherige Aufnahmepraxis zeige, dass die während des Orientierungspraktikums getroffenen Prognosen jeweils
zutreffend gewesen seien. Auch sei hier keine derart umfangreiche Pflege notwendig, dass dies Leistungen in der
Werkstatt für Behinderte Menschen entgegen stünde, andernfalls hätte bereits der Besuch der Tagesbildungsstätte
zur Erfüllung der Schulpflicht abgelehnt werden müssen.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine weitere gutachterliche Äußerung vom 25.07.2007 ein.
In dieser gutachterlichen Äußerung stellte die Amtsärztin Frau Dr. L. fest, dass bei dem Kläger keine förderungsfähige
Reserve vorliege. Maßnah-men zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht zu begründen. Es wurde eine Integration in
die Tagesförderstätte empfohlen. Mit Beschluss vom 09.08.2007 wies die erkennende Kammer den Antrag auf
einstweili-gen Rechtsschutz zurück, da keine Eilbedürftigkeit vorliege. Zwar bringe ein standardi-sierter Beginn der
Maßnahmen nach Ende des Schuljahrs eine organisatorische Erleich-terung. Dies allein führe allerdings nicht zu einer
besonderen Eilbedürftigkeit. Die Tages-struktur könne zudem auch durch andere Maßnahmen erhalten werden.
Gleiches gelte bezüglich der Erhaltung bereits erworbener Fähigkeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch vom 29.05.2007 zurück. Dabei stützte
sie sich im Wesentlichen auf die gutachterliche Aussa-ge von Frau Dr. K. vom 04.05.2007 und die weitere
gutachterliche Aussage von Frau Dr. L. vom 25.07.2007.
Gegen den Bescheid vom 29.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.08.2007 hat der Kläger am
09.08.2007 Klage erhoben. Soweit er gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben habe, bestehe ein An-spruch gegen den Landkreis J. als überörtlichen Träger der Sozialhilfe auf eine
Förde-rung im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Am 21.11.2007 hat der Kläger bei dem Beigeladenen zu 1) einen Antrag auf Förderung im Rahmen der sogenannten
Tagesförderstätte gestellt, welchen dieser mit Schreiben vom 26.11.2007 an die Beklagte weitergeleitet hat. Mit
Schreiben vom 05.12.2007 hat die Beklagte diesen Antrag an den Beigeladenen zu 1) zurückgeleitet, da sie, die
Beklagte, nicht Reha-Träger für eine Maßnahme zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein könne. Darauf hin
hat der Beigeladene zu 1) den Antrag mit Schreiben vom 12.12.2007 erneut zurückgesandt.
Mit Beschluss vom 10.10.2008 hat der Kammervorsitzende den M. notwendig beigela-den. Zudem hat der
Kammervorsitzende mit Beschluss vom 21.10.2009 die N. beigela-den.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 10.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 01.08.2007
aufzuheben,
2. a) die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für den Aufenthalt in der Werkstatt für Behinderte Menschen für die
Zeit vom 15.08.2007 bis 01.12.2009 zu gewäh-ren.
b) hilfsweise: den Beigeladenen zu 1) zu verurteilen, ihm die Kosten für den Aufenthalt in der Werkstatt für Behinderte
Menschen für die Zeit vom 15.08.2007 bis 01.12.2009 zu gewähren
3. a) die Beklagte zu verpflichten, zukünftig Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren der
Werkstatt für Behinderte Menschen zu gewähren
b) hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, zukünftig Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu
gewähren.
c) hilfsweise den Beigeladenen zu 1) zu verpflichten, zukünftig Leistungen zur Teilhabe am Le-ben in der
Gemeinschaft zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) haben keine Anträge gestellt.
Der Beigeladene zu 1) ist der Ansicht, dass die Kosten von der Beklagten zu überneh-men seien, da sie den Antrag
nicht nach § 14 SGB IX weitergeleitet habe. Zudem könne erst im Eingangsverfahren geklärt werden, ob die Werkstatt
für Behinderte Menschen die geeignete Einrichtung sei.
Die Beklagte hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Hier spreche gegen eine Förderung im Eingangsverfahren bereits der
Umfang des Pflegeaufwands. Zudem komme eine Auf-nahme in das Eingangsverfahren nur dann in Betracht komme,
wenn im jeweiligen Ein-zelfall die positive Erwartung bestehe, dass durch die begehrte Maßnahme im Berufsbil-
dungsbereich die Fähigkeit, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleis-tung zu erbringen, erlangt
werden könne. Eine solche Erwartung bestehe hier nicht. Der Rehabilitand müsse in der Lage sein, seine
Arbeitseinheit allein auszuführen. Das bedeu-te, dass eine direkte Hilfe bei der Aufgabenerfüllung nicht erforderlich
sein dürfe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Internisten und Sozialmediziners Herrn Dr. O.
vom 14.04.2008. Bezüglich des Inhalts des Gutachtens wird auf Bl. 20 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
Zudem wird ergänzend auf die Verwaltungsakten der Beklagten und des Beigeladenen sowie die Gerichtsakte zum
vorliegenden Verfahren und zu dem Verfahren S 16 AL 173/07 ER verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Die angegriffenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und beschweren den Kläger damit. Der Kläger hat einen
Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Ge-meinschaft nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII, § 55 Abs. 2
Nr. 3 SGB IX, § 136 Abs. 3 SGB IX (dazu unter I). Ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Ein-
gangsverfahren der Werkstatt für Behinderte Menschen besteht nicht, so dass die Klage im Übrigen zurückzuweisen
war (dazu unter II).
I. Der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII, § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX, § 136
Abs. 3 SGB IX (dazu unter 1). Dieser Anspruch richtet sich für die Vergangenheit gegen die Beklagte, da diese nach
§ 14 SGB IX zuständig war. Für die Zukunft richtet sich der Anspruch gegen den Beigeladenen zu 1) (dazu unter 2).
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft (dazu unter a). Dabei
waren die (in der Vergangenheit) entstandenen Kosten als solche Kosten zu übernehmen (dazu unter b).
a) Der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft.
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch ein Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX
wesentlich in ihrer Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben ein-geschränkt oder von einer solchen wesentlichen
Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des
Einzelfalles, ins-besondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der
Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe,
eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Be-hinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und
die behinderten Men-schen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen
die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleich-tern, ihnen die Ausübung eines
angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemesse-nen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich
unabhängig von Pflege zu ma-chen. Der Kläger ist aufgrund seiner Behinderung wesentlich in seiner Fähigkeit einge-
schränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben. Sie hat daher Anspruch auf Eingliederungshil-fe.
Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen gem. § 54 Abs. 1 SGB XII die Leistun-gen zur Teilnahme am Leben
in der Gemeinschaft nach § 55 Abs. 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift werden als Leistungen zur Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft die Leis-tungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der
Gemein-schaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Zu den
Leistungen gehören gem. § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX insbesondere Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und
Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbaren Teilnahme am Leben in
der Gemeinschaft zu ermöglichen. Zu diesen Hilfen gehören wiederum die Einrichtungen und Gruppen gem. § 136
Abs. 3 SGB IX, die der Werkstatt für Behinderte Menschen angegliedert sind. Der Kläger hat gem. § 136 Abs. 3 SGB
IX einen Anspruch auf Leistungen zum Besuch der an die Werkstatt für Behinderte Menschen angegliederten
Tagesförderstätte, da er die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in der Werkstatt (hier bereits des Eingangs-
verfahrens) nicht erfüllt (dazu näher unter II).
b) Die entstandenen Kosten waren als Förderung zur Teilhabe am Leben in der Gemein-schaft zu gewähren. Dabei
kann dem Kläger nicht entgegen gehalten werden, dass sie sicht die Leistungen selbst verschafft hat. Außerdem
steht der Kostenübernahme nicht entgegen, dass sich der Kläger bis zur mündlichen Verhandlung in einem
"Praktikumsstatus" befunden hat.
aa) Der Kostenübernahme steht zunächst nicht entgegen, dass sich der Kläger die Leis-tungen selbst verschafft hat.
Zudem steht ein direkter Anspruch der Beigeladenen zu 2) gegen die Beklagte einer Leistungsgewährung nicht
entgegen.
Dabei kann die Kammer zunächst dahinstehend lassen, wie der Anspruch in den Fällen wie dem vorliegenden, in
denen die Leistungen bereits erbracht wurde, die Kosten aller-dings seitens des Hilfsempfängers noch nicht beglichen
wurden, dogmatisch einzuordnen ist. Fraglich ist nämlich, ob sich der Anspruch dann noch aus dem primären
Leistungsan-spruch ergibt, oder ob es sich bereits um einen sekundären Kostenerstattungsanspruch (hier dann in der
Form einer Freistellung) handelt. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt bei Leistungen wie den vorliegenden ein so
genannten Sachleistungsverschaffungs-anspruch vor (vgl. hierzu beispielsweise: BSG, Urteil vom 28.10.2008, Az.: B
8 SO 22/07 R). Diese Sachleistung wurde hier zwar schon verschafft allerdings dürfte nach dieser dogmatischen
Einordnung auch für Fälle wie den vorliegenden die Gewährung letztlich einen Schuldbeitritt des Leistungsträgers zu
der Verpflichtung des Hilfsbedürftigen ge-genüber der Einrichtung darstellen (vgl. hierzu für den Fall vorherigen
Kostenübernahme: BSG, Urteil vom 28.10.2008, Az.: B 8 SO 22/07 R).
Dem Kläger kann im vorliegenden Fall jedenfalls nicht entgegen gehalten werden, dass er sich die Leistung selbst
verschafft hat. Eine Selbstverschaffung steht dann der Leis-tungspflicht nicht entgegen, wenn selbst bei einer
Zahlung durch den Leistungsempfän-ger ein Anspruch (dann als originärer Fall einer Kostenerstattung) weiter
bestehen würde. Dies ist nach dem Rechtsgedanken des § 13 Abs. 3 SGB X und des § 15 Abs. 1 S. 4 SGB IX dann
der Fall, wenn der Leistungsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine
Leistung zu unrecht abgelehnt hat (vgl. dazu: SG Osnabrück, Urteil vom 01.10.2009, Az.: 5 SO 7/08). Dies ist hier der
Fall. Nach Ansicht der Kammer hat die Beklagte den Antrag des Klägers - in Bezug auf Leistungen zur Teil-habe am
Leben in der Gemeinschaft - rechtswidrig abgelehnt. Der Kläger war ein Zuwar-ten auch nicht möglich, in soweit war
die Leistung auch unaufschiebbar.
Einer solchen "Freistellung" steht, anders als im Krankenversicherungsrecht, nicht entge-gen, dass der
Leistungserbringer, hier also die Beigeladene zu 2), den Streit über die Leistungspflicht direkt mit dem
Sozialhilfeträger auszutragen hat (vgl. dazu im Kranken-versicherungsrecht: BSG, Urteil vom 09.11.2001, Az.: B 1 KR
6/01 R in Abweichung zu BSG, Urteil vom 09.06.1998, Az.: B 1 KR 18/96 R, in dem ein Freistellungsanspruch an-
genommen wurde). Im SGB XII ist eine Abrechnung zwischen dem Leistungserbringer und dem Leistungsträger nicht
geregelt. In dem Dreiecksverhältnis zwischen Sozialhilfe-träger, Leistungserbringer und Sozialhilfeempfänger erbringt
der Sozialhilfeträger nach dem gesetzlichen Gesamtkonzept keine Geldleistung, sondern eine Sachleistungsver-
schaffung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.10.2008, Az.: B 8 SO 22/07 R). Des Weiteren besteht ein (meist
privatrechtlicher) Vertrag zwischen dem Leistungserbringer und dem Leistungsempfänger. Zwischen dem
Leistungserbringer und dem Leistungsträger gibt es zwar vertragliche Regelungen (vgl. § 75 Abs. 3 SGB XII), jedoch
ergibt sich hieraus kein direkter Anspruch des Leistungserbringers gegen den Leistungsträger. Die im Kranken-
versicherungsrecht aus dem strengen Sachleistungsprinzip hergeleiteten Ansprüche er-geben sich im SGB XII nicht.
Auf einen möglicherweise bestehenden zivilrechtlichen An-spruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag muss sich der
Leistungsträger - und damit hier letztlich der Leistungsempfänger - nicht verweisen lassen. Diese Unterschiede zum
Krankenversicherungsrecht ergeben sich daraus, dass es im SGB XII (zumindest noch) kein Sachleistungsprinzip,
sondern ein Sachleistungsverschaffungsprinzip gibt.
bb) Die Pflicht zur Übernahme der Kosten ergibt sich hier auch für die Zeit des "Prakti-kums".
Diese entstanden Kosten waren als solche der Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu übernehmen,
da hierauf bei den durchgeführten Maßnahmen der Schwerpunkt lag. Zwar wurde bei dem Kläger grundsätzlich im
gewissen Umfang eine Integration in den Werkstattbereich versucht, allerdings lag der Schwerpunkt hier auf der
Betreuung. Nach Aussage der Vertreterin der Beigeladenen zu 2) erfolgte die Betreuung im Wesentlichen so, wie es in
der Tagesförderstätte der Fall gewesen wäre. Die zusätzli-che Förderung, die im Eingangsverfahren stattgefunden
hätte, habe hier nicht stattgefun-den.
2. Für diese Gewährung ist für die Vergangenheit die Beklagte nach § 14 SGB IX zu-ständig (dazu unter a). Für die
Zukunft ist der Beigeladene zu 1) zuständig (dazu unter b).
a) Für die Vergangenheit war die Beklagte für die Gewährung der Leistungen zuständig.
Nach § 14 Abs. 1 S. 1 stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach einem Antrag auf Leistungen
zur Teilhabe fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leis-tungsgesetz für die Leistungen zuständig ist. Stellt er bei
dieser Prüfung fest, dass er für die Leistungen nicht zuständig ist, so leitet er den Antrag nach Abs. 1 S. 2 SGB IX
unver-züglich an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiter.
Der erste Antrag vom 23.04.2007 wurde hier nicht weitergeleitet, so dass sich aus § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine
Zuständigkeit der Beklagten ergibt (dazu unter aa); der weite-re Antrag aus November 2007 führt zu keiner Änderung
der Zuständigkeiten (dazu unter bb).
aa) Aufgrund des Antrags vom 23.04.2007 war die Beklagte hier für die Leistungen um-fassend zuständig. Der
erstangegangene Rehabilitationsträger im Sinne des § 14 SGB IX ist derjenige Trä-ger, der von dem Versicherten
bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilen-den Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst
worden ist. Dies war hier die Beklagte mit dem genannten Antrag vom 23.04.2007. Gibt dieser den Antrag auf
Leistungen zur Teilhabe nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist nicht unverzüglich an den seiner Meinung nach
zuständigen Träger weiter, hat er Leistungen aufgrund aller Rechts-grundlagen zu erbringen, die in seiner in dieser
Bedarfssituation für Menschen mit Behin-derung vorgesehen sind (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.2008, Az.: B 13 R
33/07 R, Leitsatz 1). Dies gilt auch für die Ansprüche, für die der angegangene Leistungsträger grundsätz-lich nicht
Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann (vgl. BSG, Ur-teil vom 21.08.2008, Az.: B 13 R 33/07
R, juris, Rn. 36).
Da die Beklagte den Antrag hier nicht weitergeleitet hat wurde sie nach dem Ablauf von zwei Wochen zuständig.
Sodann hatte sie den Rehabilitationsbedarf zu ermitteln (vgl. § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Dies ist im angegriffenen
Bescheid vom 10.05.2007 un-terblieben. Allerdings wurde in der daraufhin im Widerspruchsverfahren eingeholten gu-
tachterlichen Äußerung der Frau Dr. L. vom 25.07.2007 sogar der Rehabilitationsbedarf in der Förderstätte der
Werkstatt für Behinderte Menschen gesehen. Diesen Rehabilitati-onsbedarf hätte die Beklagte bereits im
Erstverfahren sehen müssen und hierüber ent-weder positiv entscheiden, oder den Antrag weiterleiten müssen. Der
Begriff des Rehabilitationsbedarfes ist gesetzlich zwar nicht definiert, aber im Hin-blick auf § 8 Abs. 1 SGB IX weiter
zu sehen als die jeweiligen gesetzlichen Vorausset-zungen (ähnlich: Jabben in: Beck scher Onlinekommentar, § 14,
Rn. 8). Nach § 8 Abs. 1 SGB IX hat der Rehabilitationsträger, bei dem Sozialleistungen wegen oder unter Be-
rücksichtung der Behinderung beantragt werden, unabhängig von der Entscheidung über diese Leistungen zu prüfen,
ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind. Daraus ergibt sich, dass die Prüfung der Leistungen zur
Teilhabe trägerübergreifend zu erfolgen hat, da nach dieser Vorschrift die Prüfung der Erfolgsaussichten von
Leistungen zur Teilhabe in jedem Falle unabhängig von der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen der beantragten
Leistung zu erfolgen hat, also auch unabhängig von dem Zuständig-keitsbereich des Reha-Trägers, bei dem der
Antrag gestellt worden ist (vgl. Majerski-Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 8, Rn. 3). Im Zweifel
will der An-tragssteller die ihm günstige Art der Leistungsgewährung in Anspruch nehmen. Ein ein-mal gestellter
Antrag ist also umfassend, d. h. auf alle Lage des Falls in Betracht kom-menden Leistungen zu prüfen (vgl. BSG,
Urteil vom 21.08.2008, Az.: B 13 R 33/07 R). Wird dieser Antrag hier dahingehend beschränkt, dass, wie dem
Antragsvordruck zu ent-nehmen ist, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt wurden, so hatte die Agentur
den Kläger nach §§ 14, 15, SGB I dahingehend zu beraten, dass auch Leistun-gen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft in Betracht kommt, was hier zumindest in der gutachterlichen Äußerung von Frau Dr. L. vom
25.07.2007 auch als Bedarf erkannt wurde. Soweit der Antrag dahingehend ausgelegt wird, dass der Kläger
Leistungen zur Teilhabe haben wollte, so bedarf es dieser Konstruktion nicht. Dies kann die Kammer letztlich
dementsprechend dahinstehen lassen.
bb) Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus dem zweiten Antrag vom 21.11.2007.
Dieser wurde innerhalb der Frist an die Beklagte weitergeleitet, wodurch diese zuständig wurde. Dies gilt hier trotz der
erneuten Rücksendung und trotz der Tatsache, dass die Beklagte für die vorliegenden Leistungen nicht Reha-Träger
im Sinne des § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann. Dies ergibt sich aus § 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX unter Heranziehung der
Gesetzesbe-gründung zu dieser Vorschrift. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 20.04.2004 mit Wir-kung zum 01.05.2004 eingeführt (BGBl. I 2004,
Seite 606). In der Gesetzesbegründung heißt es, dass eine Weiterleitung grundsätzlich auch dann ausgeschlossen
sein soll, wenn der Träger, an dem der Antrag weiter geleitet wurde, nicht Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 SGB
IX sein kann (vgl. BT-Drucks.15/1783, Seite 13). Eine erneute Weiter-leitung ist danach (grundsätzlich) nicht möglich
(vgl. Majerski-Pahlen in: Neu-mann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 14, Rn. 11; Ulrich in: SGB 2008, 452, 456).
Nach § 14 Abs. 2 Satz 5 SGB IX hat dieser Rehabilitationsträger allerdings unverzüglich mit dem nach seiner
Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu klären, von wem, und in welcher Weise über den Antrag innerhalb der
Fristen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 und 4 entschieden wird. Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Zuständigkeit
kann danach nur der Fall sein, dass entsprechend dieser Regelung in § 14 Abs. 1 S. 5 SGB IX ein anderer Träger
sich für zuständig erklärt. Dies ist hier gerade nicht der Fall, so dass die Agentur weiterhin für die Leistungsgewährung
zuständig war. Im Außenverhältnis bleibt nämlich der Träger, an dem der Antrag weitergeleitet wurde, für die Wahrung
der Frist zuständig (vgl. Ulrich in: SGB 2008, 452, 456). Gleiches gilt für den ebenfalls weitergeleiteten "Antrag" aus
März 2009.
b) Für die zukünftige Leistungsgewährung ist der Beigeladene zu 1) zuständig.
Würde die Beklagte auch für die Zukunft verpflichtet, so würde lediglich das Kostenerstat-tungsverfahren ausgeweitet.
Der Sinn und Zweck des § 14 SGB IX, eine klare Regelung der Zuständigkeit zu schaffen, ist in diesem Zeitpunkt
nicht mehr entscheidend, da mit dem Ausspruch der Leistungspflicht in dem Urteil (zumindest zunächst) Klarheit über
die Zuständigkeit besteht. Das BSG hat es ausdrücklich offen gelassen, ob § 14 SGB IX auch dann Anwendung
findet, wenn der erstangegangene Träger im Innenverhältnis nach keiner Betrachtungsweise originär zuständig sein
kann und die Klage gegen den materiell offenkundig "richtigen" Träger gerichtet ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.11.2008,
Az.: B 3 KN 4/07 KR R, juris Rn. 24). Für die Vergangenheit hat die Kammer eine derartige Ausnahme im
vorliegenden Fall nicht anerkannt, auch wenn die Beklagte nicht Reha-Träger für die beantragte Maßnah-me sein kann
und eine Verurteilung des Beigeladenen auch für die Vergangenheit zu-mindest prozessual nach § 75 Abs. 5 SGG
grundsätzlich möglich gewesen wäre. Dies ergibt sich daraus, dass bei der Auslegung des § 14 SGB IX möglichst
wenige Ausnah-men zugelassen werden dürfen. Andernfalls würden der Sinn und Zweck der Vorschrift, möglichst
frühzeitig zumindest eine vorläufige Zuständigkeit zu schaffen, ins Leere lau-fen. Die Verwaltung hätte dann bereits
bei der Entscheidung über die Frage Weitergabe oder Entscheidung in der Sache derartige Ausnahmetatbeständige zu
beachten, was zwingend zu Unsicherheit in der Rechtsanwendung führt. § 14 SGB IX will aber gerade
Rechtssicherheit schaffen. Für die Zukunft erkennt die Kammer eine derartige Ausnahme allerdings an. Wie oben
bereits erörtert ergibt sich im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts keine Notwendig-keit mehr für eine zukünftige
vorläufige Gewährung.
II. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Leistungen im Eingangsverfahren der Werk-statt für Behinderte Menschen
als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 97 Abs. 1 SGB III, § 102 Abs. 2
SGB III, § 40 SGB IX.
Nach § 97 Abs. 1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben
erbracht werden, die wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten,
zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. Nach § 102 Abs. 2
SGB III werden Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für Behinderte
Menschen nach § 40 SGB IX erbracht. Nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX erhalten behinderte Menschen Leistungen
im Ein-gangsverfahren einer anerkannten Werkstatt für Behinderte Menschen zur Feststellung, ob die Werkstatt die
geeignete Einrichtung für die Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben ist sowie welche Bereiche der
Werkstatt und welche Leistung zur Teil-habe am Arbeitsleben für den behinderten Menschen in Betracht kommt und
um einen Eingliederungsplan zu erstellen. Dies setzt allerdings die sogenannte Werkstattfähigkeit voraus.
Eine solche Werkstattfähigkeit ist hier nicht gegeben (dazu unter 1). Deshalb ist hier be-zogen auf das
Eingangsverfahren zumindest eine Erledigung eingetreten (dazu unter 2).
1. Der Kläger ist nicht werkstattfähig. Das Maß an Betreuung steht hier der Erbringung eines Mindestmaßes an
wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleitung entgegen. Dabei ist auch der außerordentlich geringe Rahmen der
Möglichkeit der Mitarbeit des Klägers zu berücksichtigen.
Nach § 136 Abs. 2 steht die Werkstatt allen behinderten Menschen unabhängig von Art und Schwere der Behinderung
offen, sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilhabe an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich
wenigstens einen Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistungen erbringen werden. Dies ist nicht der
Fall bei behinderten Menschen, bei denen trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung einer erheblich
Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten ist oder das Aus-maß der erforderlichen Betreuung und Pflege die
Teilnahme an der Maßnahme im Be-rufsbildungsbereich oder sonstigen Umstände ein Mindestmaß an wirtschaftlich
verwert-barer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulassen.
a) Die Werkstattfähigkeit setzt zunächst voraus, dass der behinderte Mensch gemein-schaftsfähig und nicht
außerordentlich pflegebedürftig ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, Az: 1 R AR 22/93). Gemeinschaftsfähig ist ein
Behinderter, der den Zweck der Werkstatt für behinderte Menschen, Rehabilitation, Arbeit und Beschäftigung für
andere erfolgreich anzubieten durch sein Verhalten nicht nachteilig beeinträchtigt (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994,
Az.: 7 R AR 22/93, juris Rn. 38). Dies ist hier nach den gutachterlichen Äußerungen des Herrn P. O. der Fall. Der
Behinderte ist nicht außerordentlich pflegebedürftig, wenn er am Arbeitstraining oder später am Arbeitsplatz nicht so
weitgehend von Pflege abhängig ist, dass eine Teilnahme an Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich und eine
Beschäftigung im Arbeitsbereich aus-geschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, Az.: 7 R AR 22/93 unter
Bezugnah-me auf BR-Drucks. 554/79, Seite 22). Wann dies allerdings bezogen auf den konkreten Pflegeaufwand der
Fall ist, wird von der Rechtssprechung des BSG bislang, soweit er-sichtlich, nicht näher definiert. Es stellt lediglich
einen Faktor in der noch weiter auszufüh-renden Frage des Betreuungsschlüssels dar.
b) Zudem liegt eine Werkstatfähigkeit nicht vor, wenn sonstige Umstände ein Mindest-maß wirtschaftlich verwertbarer
Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulas-sen. Dies ist hier der Fall.
Zwar hat das BSG diesbezüglich ausgeführt, dass das Mindestmaß wirtschaftlich ver-wertbare Arbeitsleistung durch
jedes Minimum von Arbeitsleistung erfüllt wird (vgl. BSG, Urteil vom 22.02.1984, Az.: 7 RAr 72/82, juris, Rn. 17).
Danach sollte das Aufnahmekrite-rium großzügig gehandhabt werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.02.1984, Az.: 7 RAr
72/82, juris, Rn. 17 unter Verweis auf BT-Drucks. 7/3999, Anlage 2). Allerdings findet sich be-reits in dieser
Entscheidung auch der Ansatz, dass durch dieses Merkmal werkstattunfä-hige Behinderte von der Werkstatt
ferngehalten werden sollen, für die lediglich Pflege, Aufbewahrung und ausschließliche Beschäftigung um der
Beschäftigung willen in Be-tracht kommen (vgl. BSG, Urteil vom 22.02.1984, Az.: 7 RAr 72/82, juris, Rn. 17). Wohl
diesen Teilabschnitt der Werkstattfähigkeit hat das BSG im Jahre 1995 dahinge-hend konkretisiert, dass eine
Aufnahme auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Betreu-ung des Behinderten Menschen mit dem
Betreuungsschlüssel der Einrichtung nicht zu erreichen ist. Maßstab für diese Werkstattfähigkeit sind dabei die
Verhältnisse in der Werkstatt, in die der Schwerbehinderte aufgenommen wird (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1995, Az.:
11 RAr 57/94, Leitsatz 4). Im vorliegenden Fall ergibt sich - nach den Feststellungen in der mündlichen Verhand-lung -
für die von der Beigeladende zu 2) betriebenen Werkstatt ein grundsätzlicher Per-sonalschlüssel von 1 zu 12 (für 90%
aller Werkstattbeschäftigten), und für 10% beson-ders betreuungsbedürftige Behinderte ein Personalschlüssel von 1
zu 5. Im Berufsbil-dungsbereich findet sich ein Personalschlüssel von 1 zu 6.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. O. und den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung zu den
Arbeitsvorgängen, die der Kläger durchführen kann, ist bei ihm eine 1 zu 1 Betreuung durch einen Mitarbeiter der
Werkstatt für Behinderte Men-schen notwendig. Nach den Feststellungen des Gutachters konnte der Kläger lediglich
in folgendem Um-fang tätig sein: Er konnte beim Entfernen von Klarsichtfolienverpackungen von Ge-schenkdosen
mithelfen, indem er nach Anreichen des Gegenstandes in die linke Hand die Folie festhielt, während der Betreuer die
Geschenkdose aus der Folie herauszog. Dabei war der Kläger nicht in der Lage, selbstständige die Folie von der Dose
zu trennen. Nur das Festhalten der Folie erfolgte aktiv durch den Kläger. Alle weiteren Vorgänge wa-ren durch den
Betreuer durchzuführen. Zudem wurde der Kläger nach den Feststellungen des Gutachters für sog. Botengänge
eingesetzt. Dabei wurde dem Kläger zunächst eine kleine Transportkiste mit entpacktem Material in die linke Hand
gegeben. Während der Kläger diese Kiste festhielt wurde er dann von einem Betreuer von dem Werkstattraum in einen
Lagerraum geschoben, wo die Kiste von dem Betreuer entleert wurde. Auch hier ist lediglich das Festhalten als
(aktive) Tätigkeit des Klägers zu erkennen. Alle weitere Tätigkeit war durch den jeweiligen Be-treuer vorzunehmen.
Die Unterschützung bei dem Auspacken der Geschenkdosen war nach den Feststellun-gen des Sachverständigen mit
der linken Hand mehrere Minuten hintereinander möglich, mit der rechten lediglich ein- bis zweimal in Folge. Auf
Nachfrage erklärte der Mitarbeiter der Beigeladenen zu 2) in der mündlichen Verhandlung, dass die Arbeitsleistungen
hier ca. fünf bis zehn Minuten pro Durchgang möglich waren, bei drei bis vier möglichen Ar-beitsdurchgängen pro Tag.
Von einer Besserung kann nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht ausgegangen werden. Hinzu kommt
das Ausmaß der notwendigen Pflege. Nach den Feststellungen des Gut-achters ist hier für (dreimaliges) Anreichen
von Nahrung und Getränken, das Windeln-wechseln und den Transfer vom Rollstuhl auf die Ruheliege ein Zeitaufwand
von 90 bis 120 Minuten anzusetzen. Hinzu kommen nach den Feststellungen des Sachverständigen
Umlagerungsmaßnahmen. Eine Besserung sei hier nicht zu erwarten. Es ist damit eine intensivere Betreuung
notwendig, als es der Betreuungsschlüssel zu-lässt, weshalb der Kläger auf Dauer zumindest nicht unter den hierfür
grundsätzlich vor-gesehenen Voraussetzungen tätig sein kann.
2. Das Eingangsverfahren ist vorliegend nicht mehr durchzuführen; es ist eine Erledigung eingetreten. Dabei kann die
Kammer letztlich dahinstehen lassen, ob vor dem Eintritt in die Werkstatt im Jahr 2007 hier eine Prognose möglich
war (dazu unter a); zumindest liegt jetzt eine Erledigung vor, da es sich bei der Entscheidung über den Zugang zur
Werkstatt nicht um eine Entscheidung mit Beurteilungsspielraum handelt (dazu unter b).
a) Die Kammer kann hier letztlich dahinstehen lassen, ob eine Prognose im Jahr 2007 möglich war.
Aus § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX ergibt sich, dass grundsätzlich erst im Eingangsver-fahren geklärt wird, ob es sich
bei der Werkstatt für Behinderte Menschen um die geeig-nete Einrichtung handelt. Hiervon sind allerdings Ausnahmen
möglich. Ist von vornherein evident, dass eine Werkstattfähigkeit im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX nicht in Betracht
kommt, so ist es wohl grundsätzlich bereits möglich, dass das Eingangsverfahren nicht durchgeführt wird (vgl. dazu
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 05.12.2007, Az.: L 12 AL 128/07 ER, juris, Rn.17). § 136 Abs. 2 SGB
IX eröffnet gerade die Möglich-keit einer Prognose, auch wenn das Eingangsverfahren nicht durchgeführt wurde. Dem-
entsprechend hat das BSG ausgeführt, dass kein Anspruch auf Förderung nach dem SGB III bestehen könne, wenn
von Vornherein feststehe, dass der Behinderte auch nach Teilnahme am Eingangsverfahren und Arbeitstraining die
Voraussetzungen für eine Auf-nahme in den Arbeitsbereich nicht erfüllen wird (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, Az.:
7 RAr 22/93, juris, Rn. 36). Problematisch ist allerdings die Tatsachengrundlage, auf der eine solche Entscheidung
getroffen werden kann. Dementsprechend dürfte wohl das Durchlaufen des - möglicher-weise auf vier Wochen
verkürzten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 WVO) - Eingangsverfahrens allein schon deshalb der Normalfall sein, da es sehr
schwierig sein dürfte die weitereichende Entscheidung der Werkstattfähigkeit bei einer einzelnen Beobachtung zu
beurteilen.
b) Im vorliegenden Fall kann dies allerdings mittlerweile hinreichend beurteilt werden, so dass eine Erledigung des
Eingangsverfahrens eingetreten ist. Bei dieser Entscheidung hat die Verwaltung keinen Beurteilungsspielraum.
Die Frage, ob eine Prognose vor Eintritt in die Werkstatt möglich ist, hatte die Kammer hier deshalb nicht
abschließend zu entscheiden, da zumindest zum jetzigen Zeitpunkt hinreichend feststeht, dass die Werkstatt für
Behinderte Menschen nicht die geeignete Einrichtung für den Kläger ist. Mittlerweile stand der Kläger bereits längere
Zeit in einem "Praktikum" und zudem wurde gerichtlicherseits ein Gutachten eingeholt. Mittlerweile liegt also eine
hinreichend Grundlage für die Entscheidung vor.
Das Gericht konnte hier auch entscheiden, da es sich bei der Einschätzung nicht um eine Entscheidung mit
Beurteilungsspielraum handelt. Soweit der Verwaltung Beurteilungsspielräume eröffnet sind, unterliegen ihre
Beurteilun-gen nur einer geschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Im Kern sind sie der gerichtlichen Kontrolle
entzogen. Beurteilungsspielräume bedeuten danach, dass der Verwaltung im Verhältnis zum Gericht ein
Letztentscheidungsrecht zusteht (vgl. Aschke in: Beck scher Onlinekommentar, VwVfG, § 40, Rn. 101). Ein solcher
Beurteilungsspielraum liegt hier jedoch nicht vor. Ein Beurteilungsspielraum besteht nur dann, wenn der jeweiligen
Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen ist, der Verwaltung das abschließende Urteil über
das Vorliegen der durch einen unbestimmten Gesetzes-begriff gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen
zu übertragen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1993, Az.: 3 C 38/91, juris Rn. 23). Zuständig für die Entscheidung, ob
die Werkstatt die richtige Einrichtung ist, trifft nach dem Eingangsverfahren grundsätzlich der sogenannte
Fachausschuss nach § 2 WVO (vgl. § 3 Abs. 3 und 4 WVO). Die Entscheidung des Fachausschuss stellte keine Ent-
scheidung mit Beurteilungsspielraum dar. Bezüglich des Vorliegens eines Beurteilungsspielraums sind gewisse
Fallgruppen aner-kannt, worunter die Entscheidung des Fachausschusses jedoch nicht fällt. Zwar ist als eine der
Fallgruppen die Einschätzung gewisser weisungsfreier Gremien anerkannt, hier-unter fällt jedoch nicht der
Fachausschuss nach § 2 WVO. Eine solche Einschät-zungsprärogative wird von der Rechtssprechung dann
angenommen, wenn sich aus den gesetzlichen Vorschriften über die Zusammensetzung des Gremiums eine
vermutete Fachkenntnis und Elemente gesellschaftlicher Repräsentanz ergeben und eine Weisung-sunabhängigkeit
vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.1987, Az.: 1 C 16/86 unter Be-zugnahme auf: Urteil vom 16.12.1971, Az.: I C
31/68 jeweils zur Bundesprüfstelle für ju-gendgefährdende Schriften). Zwar wird eine besondere Fachkunde des
Fachausschusses hier nicht in Frage gestellt. Dies allein führt aber nicht zu einem Beurteilungsspielraum. Auch das
Gericht kann und muss sich die erforderliche Sachkunde verschaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1992, Az.: 7 C
20/92, juris Rn. 16 unter Bezugnahme auf: BVerfGE, Urteil vom 27.11.1990, Az.: 1 BvR 419/81). Noch vor der
Fachkunde des Gremiums ist zur Annahme eines Beurtei-lungsspielraums danach notwendig, dass die
Zusammensetzung des Gremiums dem Ziel verpflichtet ist, die Entscheidungen aufgrund einer pluralistischen
Meinungsbildung zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1992, Az.: 7 C 20/92, juris Rn. 16). Dies ist hier nicht der
Fall. Zwar ist hier gesetzlich geregelt, wie der Fachausschuss zusammenzuset-zen ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 WVO),
dies hat allerdings verwaltungspraktische Gründe und nicht Gründe der Repräsentanz eine pluralistischen
Meinungsbildung. Diese Beset-zung soll sicherstellen, dass die beteiligten Träger (Werkstatt für Behinderte Mensche,
Agentur für Arbeit und Träger der Sozialhilfe) hinreichend repräsentiert sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich
letztlich um eine Kombination aus medizinischen Einschätzungen und Einschätzungen der Rehabilitationsmöglichkeit
und -fähigkeit. Der-artige Einschätzungen sind mit den in der Rechtsprechung anerkannten Fällen nicht zu
vergleichen. Über die Frage von medizinischer Leistungsfähigkeit und Eignung ist im So-zialrecht häufig zu
entscheiden, ohne das es hier ein Beurteilungsspielraum, der vom Gericht nicht zu überprüfen wäre, gibt. Gleiches gilt
für die Möglichkeit der Rehabilitation, welche ebenfalls im gesamten Sozialrecht eine solche ist, die seitens des
Gerichts über-prüft werden kann. Hieran ändert die Tatsache, dass es sich hierbei um einen gesondert eingerichteten
Fachausschuss handelt nichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der B e r u f u n g a n g e f o c h t e n werden.
Die Berufung ist i n n e r h a l b e i n e s M o n a t s n a c h Z u s t e l l u n g des Ur-teils beim Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle, oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich z u r N i e d e r s c h r i f t des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist a u c h g e w a h r t, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht
Osnabrück, An der Petersburg 6, 49082 Osnabrück, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich-te e i n g e h e n. Sie soll das
angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für
die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Ist das Urteil im A u s l a n d zuzustellen, gilt a n s t e l l e der oben genannten Monats-fristen eine Frist von d r e i M
o n a t e n.
F. Richter am Sozialgericht