Urteil des SozG Osnabrück vom 21.10.2009

SozG Osnabrück: kündigung, abmahnung, verfügung, vergleich, arbeitsgericht, verspätung, anhörung, aufwand, beweismittel, gerichtsakte

Sozialgericht Osnabrück
Urteil vom 21.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 16 AL 213/08
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine zwölfwöchige Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Die Klägerin stand in der Zeit vom 20.07.2006 bis 30.06.2008 bei der E. aus F. als Omnibusfahrerin in einem
Arbeitsverhältnis. Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin am 25.04.2007 eine Abmahnung, da
sich Kunden über ihr Verhalten beschwert hätten. Es liege eine Beschwerde einer Kundin Frau G. vom 01.04.2007
und eine Beschwerde einer Frau H. I. vom 13.02.2007 vor. Mit Schreiben vom 25.04.2008 wurde das Arbeitsverhältnis
der Klägerin nach § 20 TV-N zum 30.06.2008 gekündigt. Nach der Abmahnung sei es zu unliebsamen
Auseinersetzungen zwischen der Klägerin und der aushilfsweise tätigen Kollegin Frau J. gekommen. Diese habe das
Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt, weil sie nicht mehr mit der Klägerin zusammentreffen wollte und sich den
ständigen Anfeindungen nicht mehr gewachsen gesehen habe. Zudem wurde die Kündigung auf weitere drei
Beschwerden von Fahrgästen und Verkehrsteilnehmern gestützt. Diesbezüglich wird auch die Schreiben des Herrn J.,
Herrn K. und Herrn L. (Bl. 274 ff der VA) verwiesen.
Am 30.05.2008 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach §§ 117 ff.
SGB III. Im Rahmen dieses Erstverfahrens nahm die ehemalige Arbeitgeberin der Klägerin ergänzend Stellung. Eine
verhaltensbedingte Kündigung sei unumgänglich gewesen. Die Klägerin habe gegen § 8 Abs. 1 BOKraft verstoßen.
Sie zeige sich zudem uneinsichtig. Es lägen zahlreiche Beschwerden von Fahrgästen über die Klägerin bzgl.
Umgangston und Fahrweise vor.
Gegen die Kündigung erhob die Klägerin Klage vor dem Arbeitsgericht M. (Az.: 1 Ca 217/08).
Mit Bescheid vom 27.06.2008 setzte die Beklagte eine Sperrzeit für die Zeit vom 01.07.2008 bis 22.09.2008 fest. Die
Klägerin habe ihre Beschäftigung bei der Firma N. verloren, weil sie wiederholt gegen § 8 Abs. 1 der BOKraft
verstoßen habe. Der ehemaligen Arbeitgeberin würden zahlreiche Beschwerden von Fahrgästen bzgl. des
Umgangstons der Klägerin und ihrer Fahrweise vorliegen. Nachdem sie eine Abmahnung erhalten habe, hätte sie
voraussehen müssen, dass hier aufgrund des Verhaltens gekündigt werde.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 08.07.2008 Widerspruch ein. Die Angabe des
Arbeitgebers, dass verhaltensbedingte Gründe für die Kündigung angegeben werden, könne nicht maßgebend sein für
die Festsetzung des Bezugs von Arbeitslosengeld. Dass die verhaltensbedingte Kündigung nicht haltbar sei, werde
sich zudem vor dem Arbeitsgericht M. zeigen. Zudem werde sie ab dem 01.08.2008 den Bahnhofskiosk in F.
betreiben.
Mit Schreiben vom 07.08.2008 fragte die Beklagte bei der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin an, ob über die
vorgelegten Beschwerden hinaus weitere Beschwerden in irgendeiner Weise protokolliert worden seien. Daraufhin
legte die ehemalige Arbeitgeberin die Duplik aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren vom 10.07.2008 vor.
Mit Bescheid vom 12.08.2008 wies die Beklagte den Widerspruch vom 08.07.2008 gegen den Bescheid vom
30.06.2008 zurück. Die Klägerin habe wiederholt gegen die ihr obliegenden Pflichten verstoßen. Nach der
Betriebsordnung Kraftverkehr müsse ein Busfahrer geeignet sein, eine sichere und ordnungsgemäße Beförderung der
Fahrgäste zu gewährleisten. Die Klägerin habe sowohl in ihrer Verhaltensweise als auch mit ihrer Fahrweise gegen
diese Bestimmung verstoßen. Es sei zu massiven Beschwerden von Fahrgästen und von anderen
Verkehrsteilnehmern gekommen.
Gegen den Bescheid vom 30.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2008 hat die Klägerin
am 19.08.2008 Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 28.11.2008 hat das Arbeitsgericht in M. das Zustandekommen eines Vergleichs festgestellt,
wonach das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung gekündigt wurde. Zudem ist in
diesem Vergleich eine Abfindung in Höhe von 500 Euro vereinbart worden.
Die Klägerin beruft sich im vorliegenden Klageverfahren auf die Einigung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. den Bescheid der Beklagten vom 30.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2008
aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.07.2008 Leistungen nach §§ 117 ff. in
gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig. Den arbeitsgerichtlichen Entscheidungen komme bzgl. der
arbeitsförderungsrechtlichen Streitigkeit nur eine Indizwirkung zu, welche nicht bindend sei.
Mit Schreiben vom 27.08.2009 hat das Gericht die Klägerin nach mehreren Aufforderungen (Verfügung vom
03.03.2009, Verfügung vom 12.09.2009, Verfügung vom 30.04.2009 und 23.06.2009 und 27.07.2009) mit Fristsetzung
zum 24.09.2009 aufgefordert zu den einzelnen Vorwürfen vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten. Auf die
Möglichkeit der Präklusion nach § 106a SGG wurde in diesem Schreiben hingewiesen (vgl. Bl. 27 der Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 16.10.2009 hat die Klägerin auf den Vortrag im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwiesen und
beantragt, die Akte beizuziehen.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagte, sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand
der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte den Rechtsstreit nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid
entscheiden, da die Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt
im notwendigen Umfang hinreichend geklärt ist und die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform angehört wurden.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die angegriffenen Bescheide erweisen sich nicht als rechtswidrig und beschweren die Klägerin damit nicht. Das
Gericht hat von dem Erfüllen der Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB
III (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe) auszugehen.
Nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III liegt ein sperrzeitrelevantes Verhalten vor, wenn der Arbeitslose das
Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt
hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Diese Voraussetzungen sind hier als erfüllt anzusehen.
Die Kammer hatte von arbeitsvertragswidrigen Verhalten auszugehen, da Beschwerden bezüglich der Klägerin
vorliegen, die eine Kündigung tragen würden und der Vortrag der Klägerin präkludiert ist.
Der Vorwurfe des arbeitsvertragswidrigen Verhaltens ergibt sich aus den Vorgänge bezüglich Frau H. I. am 12.02.2007
und 13.02.2007 (Beschwerde vom 13.02.2007, Bl. 271 der VA), den Vorgängen bezüglich Frau G. am 26.03.2007
(Beschwerde vom 01.04.2007, Bl. 270 der VA), den Vorgängen bezüglich Herrn K. am 28.03.2008 (Beschwerde vom
31.03.2008, Bl. 275 der VA), den Vorgänge bezüglich Herrn J. am 06.04.2008 (Beschwerde vom 09.04.2008, Bl. 274
der VA) und den Vorgängen bezüglich Herrn L. am 20.05.2008 (Beschwerde vom 20.05.2008, Bl. 277 der VA). Diese
haben zunächst zur Abmahnung und dann zur Kündigung geführt.
Diesen Vorwürfen ist die Klägerin nicht hinreichend entgegengetreten. Der Hinweis auf die arbeitsgerichtliche Akte ist
zum einen wohl bereits zu unbestimmt, zumindest ist dieser Vortrag präkludiert. Nach § 106a Abs. 3 SGG kann das
Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach § 106a Abs. 2 SGG gesetzten Frist
vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien
Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Beteiligte die Verspätung nicht
genügend entschuldigt und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Hier liegt eine Fristsetzung nach § 106a Abs. 2 SGG vor; ein Vortrag erfolgte innerhalb dieser Frist nicht (dazu unter
1). Eine Zulassung würde nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern (dazu
unter 2). Eine Belehrung liegt vor.
1. Hier liegt eine Fristsetzung nach § 106a Abs. 2 SGG vor innerhalb der nicht vorgetragen wurde.
Nach § 106a Abs. 2 Nr. 1 SGG kann der Vorsitzende einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten
Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen. Hier wurde die Klägerin zunächst mit Verfügung
vom 03.03.2009, 12.03.2009, 30.04.2009, und 27.07.2009 allgemein dazu aufgefordert zu den Vorwürfen Stellung zu
nehmen. Eine Stellungnahme erfolgte nicht, es wurde vielmehr lediglich auf den arbeitsgerichtlichen Vergleich
verwiesen. Daraufhin wurde die Klägerin mit Schreiben vom 27.08.2009 mit Fristsetzung zum 24.09.2009 aufgefordert
zu den einzelnen Vorwürfen vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzutreten. Darauf hat die Klägerin - außerhalb
der Frist - mit Schriftsatz vom 16.10.2009 auf den Vortrag im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwiesen und beantragt,
die Akte beizuziehen. Dieser Verweis ist wohl bereits unsubstantiiert. Er genügt wohl nicht den Anforderungen an den
Vortrag im Sinne des § 106a Abs. 2 Nr. 1 SGG. Selbst wenn dies der Fall wäre, so ist dieser Vortrag zumindest
verspätet.
2. Das Zulassen des Vortrags würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen.
Entscheidend ist für die Verspätung auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich der sog. absolute
Verzögerungsbegriff. Entscheidend ist also, ob der Rechtsstreit sich durch das Zulassen des Vortrag (und ggf. des
Beweises) verzögern würde. Ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen ebenso lange gedauert hätte, ist
unerheblich, es sei denn, dies wäre offenkundig. (vgl. Hintz in: Beck scher Online-Kommentar, SGG, § 106a, Rn. 5;
andere Ansicht wohl: Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, § 106, Rn. 16). Dass grundsätzlich der absolute
Verzögerungsbegriff zugrunde zu legen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, da diese in § 106a Abs. 3 Nr.
1 SGG für die Verzögerung an die Zulassung anknüpft. Die Korrektur für offensichtliche Fälle durch den relativen
Verzögerungsbegriff ergibt daraus, dass die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung der
Präklusionsvorschriften einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen sind, als dies üblicherweise
bei der Anwendung einfachen Rechts geschieht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.05.2003, Az.: 1 BvR 2190/00; so
auch: BT-Drucks. 16/7716, S. 20 zu § 106a SGG; ebenfalls: Tabbara in: NZS 2008, 8, 9). Diese Auslegung entspricht
auch der Rechtsprechung zu § 87b VwGO und § 296 ZPO (vgl. zu § 87b VwGO: BVerwG, Urteil vom 18.02.1998, Az.:
11 A 6/97; aus der Literatur: Kopp/Schenke, VwGO, § 87b, Rn. 11; zu § 296 ZPO: BGH, Urteil vom 02.12.1982, Az.:
VII ZR 71/82), wobei der Gesetzgeber für § 106a SGG vor allem an § 87b VwGO angeknüpft hat (vgl. dazu: BT-
Drucks. 16/7716, S. 20). Unter der Prämisse, dass für eine den Fall, dass offensichtlich keine Verzögerung durch den
verspäteten Vortrag eingetreten ist, eine Ausnahme von dem absoluten Verzögerungsbegriff zugelassen wird, genügt
die Auslegung auch den oben genannten besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 05.05.1987, Az.: 1 BvR 903/85).
Nach diesen Grundsätzlich liegt hier eine Verzögerung vor. Ein Zulassen des Vortrags der Klägerseite würde den
Rechtsstreit verzögern, da dann die Personen, die die Beschwerden geäußert haben, jeweils als Zeugen zu laden
wären. Dies führt hier deshalb zu einer Verzögerung, da nunmehr (bereits vor dem Vortrag) durch die Anhörung zum
Gerichtsbescheid die Entscheidungsform durch Gerichtsbescheid anvisiert wurde. Der Vortrag liegt hier außerhalb der
Frist zur Anhörung zum Gerichtsbescheid. Zudem ist hier eine Verzögerung durch die Verspätung des Vortrags nicht
offensichtlich ausgeschlossen. Wäre der Vortrag rechtzeitig eingegangen, so hätte zeitnah zur mündlichen
Verhandlung geladen werden können. Es wäre nicht zum Gerichtsbescheid angehört worden.
3. Die Präklusion ist hier auch nicht nach § 106a Abs. 3 Satz 3 SGG ausgeschlossen.
Nach § 106a Abs. 3 Satz 3 SGG kann die Regelung über die Präklusion nicht angewendet werden, wenn es dem
Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln. Das
Gericht darf die Präklusionsregelung grundsätzlich nicht zur Entlastung von der Amtsermittlungspflicht einsetzen (vgl.
Leitherer in: Meyer-Ladewig, SGG, § 106a, Rn. 15). Ein solcher Fall ist jedoch nicht gegeben. Es ist nämlich zu
bedenken, dass die gerichtlichen Ermittlungsmöglichkeiten gerade bei Vorgängen, die im persönlichen Erleben des
Klägers liegen, eingeschränkt sind. Ein nur geringer Aufwand kommt bei gerichtlichen Ermittlungen aber nur dann in
Betracht, wenn das Gericht über eigene effektive Ermittlungsmöglichkeiten, etwa behördliche Auskünfte, verfügt (vgl.
Brink in: Beck scher Online-Kommentar, VwGO, § 87b Rn. 24). Eine solche effektive Ermittlungsmöglichkeit liegt hier
nicht vor. Es ist - zumindest bei einem durch Rechtsanwalt vertretenen Kläger - nicht Aufgabe des Gerichts im Wege
der Amtsermittlung andere Verfahrensakten beizuziehen und diese auf für den Kläger positiven Vortrag
durchzuschauen, wenn im sozialgerichtlichen Verfahren keinerlei konkreter Vortrag erfolgt. Dies gilt umso mehr, als
dieser Vortrag im anderen Verfahren "veraltet" sein kann. Der Vortrag aus der Arbeitsgerichtsakte (Az. 1 Ca 217/08)
liegt gerade vor dem arbeitsgerichtlichen Vergleich und den diesbezüglichen Einigungen. Zwar entfaltet der
arbeitsgerichtliche Vergleich keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren, er kann jedoch dazu führen, dass
vorheriger Vortrag überholt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.