Urteil des SozG Oldenburg vom 07.11.2005

SozG Oldenburg: einstellung der zahlungen, verwaltungsakt, hauptsache, härte, verordnung, notlage, blindheit, erlass, geldinstitut, verwertung

Sozialgericht Oldenburg
Beschluss vom 07.11.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 2 SO 215/05 ER
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die außergerichtlichen Kosten der
Antragstellerin sind nicht zu erstatten. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Gerichtskosten werden
nicht erhoben.
Gründe:
I.
Die im Juli 1923 geborene, verwitwete Antragstellerin ist blind. Von der Versorgungsverwaltung wurde ihr das
Merkzeichen "Bl" und ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt. Ihre im April 1954 und im Juli 1959 geborenen
Söhne leben nicht in ihrem Haushalt. Die Antragstellerin erhält ein Altersruhegeld und eine Witwenrente sowie laufend
- seit Jahren - ergänzende Leistungen der Grundsicherung. Früher erhielt sie Landesblindengeld.
Mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 gewährte ihr die Antragsgegnerin ab dem 1. Januar 2005 Blindenhilfe nach § 72
SGB XII in Höhe von monatlich 585,00 EURO. Der Bescheid war mit dem Hinweis versehen, jede Änderung der
Einkommens- und Vermögensverhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Mit Schreiben vom 7. März 2005 forderte die
Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, einen Antrag auf weitere Gewährung von Blindenhilfe auszufüllen und
verschiedene weitere Unterlagen hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorzulegen. Daraufhin
legte die Antragstellerin unter dem 22. März 2005 einen ausgefüllten Antrag auf Blindenhilfe vor, der in verschiedenen
Rubriken auf einem Formblatt Angaben, u. a. auch zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen, verlangt. Dazu
gab die Antragstellerin unter Benennung von drei Konten an, dass sie über ein Barvermögen bei einem Geldinstitut in
Höhe von insgesamt 6.050,20 EURO verfüge. Die Antragstellerin wurde daraufhin aufgefordert, die Unterlagen über die
betreffenden Giro- und Sparkonten (Kontoauszüge) vorzulegen und es ergab sich, dass die Antragstellerin noch unter
dem 8. März 2005 über ein Sparguthaben auf einem der Konten in Höhe von über 8.000,00 EURO verfügte. Befragt
dazu, aus welchen Gründen sie am 15. März 2005 2.500,00 EURO von dem Konto abgehoben habe, führte die
Antragstellerin aus, dass sie damit eine Darlehnsschuld bei ihrem Neffen beglichen habe, der ihr im Sommer 2003
eine Urlaubsreise finanziert habe. Auch habe sie unter dem 21. März 2005 einen Betrag von 3.500,00 EURO auf ein
Sparbuch transferiert, damit davon ihre Beerdigungskosten bezahlt werden könnten. Mit Schreiben vom 3. Juni 2005
forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin weitere Erläuterungen zu diesen Abhebungen und Auszahlungen.
Zugleich stellte die Antragsgegnerin die Gewährung von Blindenhilfe mit Ablauf des Mai 2005 ein. Mit Schreiben vom
11. Juli 2005 wandte sich die Antragstellerin gegen die Einstellung der Blindenhilfe und machte geltend, dass nicht
ohne weiteres eine Einstellung der Zahlungen erfolgen dürfe, weil ihr die Blindenhilfe mit bestandskräftigem Bescheid
vom 27. Dezember 2004 zuerkannt worden sei.
Mit ihrem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes macht die Antragstellerin geltend, dass ihr jedenfalls die
Blindenhilfe darlehnsweise gewährt werden müsse, solange der Bescheid vom 27. Dezember 2004 Bestandskraft
habe. Es sei ihr nicht zuzumuten, ein Hauptsacheverfahren abzuwarten, da die Blindenhilfe zum Ziel habe, die
erheblichen Mehrbedürfnisse auszugleichen, die im Laufe des täglichen Lebens auf Grund der Blindheit bei ihr
anfielen.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten und macht geltend, dass das bei der Antragstellerin vorhandene
Barvermögen die Vermögensfreigrenze deutlich übersteige und sein Einsatz auch keine Härte darstelle. Auch handele
es sich bei der Blindenhilfe nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(sogenannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher stets, dass
sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein
Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei
darf die einstweilige Anordnung des Gerichts wegen des summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich
nicht die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, weil sonst die Erfordernisse, die bei einem
Hauptsacheverfahren zu beachten sind, umgangen würden. Auch besteht die Gefahr, dass eventuell in einem
Eilverfahren vorläufig, aber zu Unrecht gewährte Leistungen später nach einem Hauptsacheverfahren, dass zu Lasten
der Antragstellerin ausginge, nur unter sehr großen Schwierigkeiten erfolgreich wieder zurückgefordert werden
könnten. Daher ist der vorläufige Rechtsschutz nur dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare,
anders nicht abzuwendende Nachteile entstünden, zur deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft dargetan. Die
Gewährung von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII gehört zum Bereich der Hilfe in besonderen Lebenslagen, wie sie in
den §§ 47 bis 74 des SGB XII geregelt ist. Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird blinden Menschen zum Ausgleich
der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen
nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Davon kann im vorliegenden Falle ausgegangen werden, dass die
Antragstellerin keine entsprechende Hilfe von anderer Seite erhält. Jedoch steht die Gewährung von Hilfeleistung
unter dem Vorbehalt des Nichtüberschreitens der Einkommensgrenzen nach §§ 85 ff. SGB XII bzw. der Wahrung der
Vermögensfreigrenze nach §§ 90, 91 in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 90 SGB XII.
Zutreffend hat im vorliegenden Fall - soweit sich dies im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
übersehen lässt - die Antragsgegnerin die Ansicht vertreten, dass das Vermögen der Antragstellerin die
Freibetragsgrenze nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b der Verordnung zur Durchführung
des § 90 SGB XII überschreitet. Denn die dort angeführte Freigrenze von 2.600,00 EURO wird von dem Barvermögen,
das bei Einstellung der Hilfeleistung vorhanden war, deutlich überschritten. Auch sind keine Gesichtspunkte dafür
ersichtlich oder vorgetragen, dass die Verwertung dieses Barvermögens eine Härte i. S. des § 90 Abs. 3 SGB XII
darstellen würde. Mithin ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, vor Gewährung weiterer Hilfe in besonderen
Lebenslagen der Antragstellerin anzusinnen, ihr Barvermögen zur Steuerung der Notlage einzusetzen, rechtlich nicht
zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht, der Antragstellerin kommt es auch nicht darauf an, ob der die Blindenhilfe gewährende
Bescheid vom 27. Dezember 2004 bestandskräftig geworden und geblieben ist. Zwar trifft es zu, dass die
Antragsgegnerin diesen Bescheid weder zurückgenommen, noch widerrufen hat (vgl. §§ 45, 47, 48 SGB X). Denn bei
dem die Blindenhilfe gewährenden Bescheid handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung,
sondern lediglich einen Bescheid, der nur aus Verwaltungsvereinfachungsgründen gleichsam täglich neu über die
Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen entscheidet. Die Hilfe in besonderen Lebenslagen ist kein
Dauerverwaltungsakt i. S. von § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II, sondern nur eine Notfallleistung, wie sich aus der
Abgrenzung zu der besonderen Verfahrensregelung in § 44 SGB XII bei den Leistungen der Grundsicherung zeigt.
Sozialhilfe ist im Grundsatz nur eine punktuelle Leistung für die jeweilige konkrete gegenwärtige Notlage (vgl. Grube
in: Grube/Wahrendorf, SGB XII München 2005, Einleitung Rdn. 49), so dass laufende Leistungen ohne Bescheid
einfach eingestellt werden können.
Hinzu kommt im vorliegenden Falle, dass von der Antragsgegnerin nicht geprüft wurde, ob der Antragstellerin
realisierbare Unterhaltsansprüche gegen ihre Kinder zur Seite stehen (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Denn es ist
unerheblich, ob die beiden Söhne der Antragstellerin, die offensichtlich in Oldenburg, bzw. in der näheren Umgebung
wohnen, die leiblichen Kinder der Antragstellerin sind.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG analog abzulehnen, weil es nicht der Billigkeit entspricht,
die außergerichtlichen Kosten der unterlegenen Antragstellerin der Antragsgegnerin aufzubürden. Mangels
hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsstreits in der Sache war die begehrte Prozesskostenhilfe zu versagen (vgl. §
73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO). Dabei stellt es keine Verlagerung von schwierigen Rechts- oder Sachfragen in dem
Bereich der Prozesskostenhilfeprüfung dar, wenn der die Blindenhilfe gewährende Verwaltungsakt nicht als
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung angesehen wird, da dies unter der Geltung des BSHG gleichfalls der Falls war. Für
die Antragstellerin ist das Verfahren gem. § 183 Satz 1 SGG gerichtskostenfrei. -