Urteil des SozG Oldenburg vom 24.11.2009

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Sozialgericht Oldenburg
Urteil vom 24.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 21 SO 236/05
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29. März 2004 und des Bescheides vom 09. Juli 2004
jeweils in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 07. Juli 2005 verurteilt, der Klägerin eine einmalige Beihilfe
gemäß § 23 Abs. 4 BSHG für kostenaufwändigere Ernährung im Zeitraum vom 23. März 2004 bis zum 17. August
2004 in Höhe von insgesamt 120,00 EUR zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für Nahrungsergän-zungsmittel nach den
Vorschriften der Sozialhilfe (BSHG).
Die am E. geborene Klägerin leidet seit vielen Jahren an einer Stoffwechselerkrankung sowie einer schwerwiegenden
psychiatrischen Erkrankung (Psychose). Sie wurde wie-derholt stationär im Landeskrankenhaus F. behandelt.
Eigenen Angaben zufolge nimmt sie seit 1999 bis heute regelmäßig und ohne Unterbrechung Psychopharmaka ein.
Nach einer ärztlichen Bescheinigung des Landeskrankenhauses F. vom 12. September 2005 erfolgte seit 2003
zunächst eine Behandlung mit dem atypischen Neuroleptikum Clozapin (Leponex). Ergänzende oder alternative
Behandlungsversuche mit anderen Medikamen-ten seien fehlgeschlagen. Bei ihrem stationären Aufenthalt im
Landeskrankenhaus F. vom 24. Juni 2005 bis 11. August 2005 sei eine Umstellung auf das Medikament Zyprexa
vorgenommen worden. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. hatte bereits mit Bescheinigung vom 04.
Juni 2002 bestätigt, dass die Klägerin klassische Neurolepti-ka schlecht vertrage. Der Nervenarzt H. beschreibt in
seiner Stellungnahme vom 04. Mai 2004, dass die Klägerin seit vielen Jahren an einer Psychose leide und zeitlebens
auf neuroleptische Medikamente eingestellt sei. Das Medikament Leponex, mit dem die Psy-chose erfolgreich
behandelt werde, sei mit starken Nebenwirkungen verbunden. Diese Medikamentennebenwirkung lasse sich aber
durch freiverkäufliche Präparate, insbeson-dere Cranitin, Lezithin, Urana, Dinkium, Ginseng, Magnesium, Calcium und
Folsäure lin-dern. Es sei seiner Auffassung nach daher äußerst wünschenswert, wenn die Kosten für diese Präparate
vom Sozialhilfeträger übernommen würden. In einer weiteren Stellung-nahme vom 06. Oktober 2005 bestätigt der
Nervenarzt H., dass es mit Hilfe des Nähr-stoffpräparates ViSan zu einer guten Stabilisierung und einer Verringerung
der Medika-mentennebenwirkung gekommen sei. Es sei wünschenswert und sinnvoll, dass die Klä-gerin dieses
Präparat regelmäßig einnehme. In seiner jüngsten Stellungnahme vom 14. Juli 2009 führt der Nervenarzt H. aus, dass
die Klägerin auf die Einnahme von ViSan bzw. Vitomin angewiesen sei. Zwischenzeitliche Auslassversuche hätten zu
einer Ver-schlechterung des Gesundheitszustandes, hingegen ein Wiederansetzen, zu einer prompten Besserung
geführt. Die Einnahme sei deshalb notwendig und medizinisch ge-rechtfertigt.
Mit streitgegenständlichem Antrag vom 20. März 2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Beifügung
diverser Quittungen die Übernahme der Kosten für Nahrungs-ergänzungsmittel in Höhe von 377,65 EUR. Diesen
Antrag lehnte die Beklagte unter dem 29. März 2004 mit der Begründung ab, dass gemäß § 37 BSHG nur Kosten, die
auch von einer gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, zu übernehmen seien. Mit einem weiteren Antrag
vom 11. Juni 2004 beantragte die Klägerin - ebenfalls unter Beifügung diverser Quittungen - die Übernahme der
Kosten für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 775,79 EUR. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
09. Juli 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich dabei um freiverkäufliche Präparate handele, die nicht
zum Leistungsumfang einer gesetzlichen Krankenkasse zählten. Auch die übrigen gesetzlichen Regelungen der
Sozialhilfe ließen keinen Spielraum für die Übernahme der Kosten der freiverkäuflichen Präparate. Die gegen die
Bescheide der Beklagten vom 29. März 2004 und 09. Juli 2004 eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit
einheitli-chem Widerspruchsbescheid vom 07. Juli 2005 zurück. Zur Begründung nahm sie dabei Bezug auf ärztliche
Stellungnahmen ihres Gesundheitsamtes vom 04. Juni 2004 und 22. Juni 2005. Aus der ärztlichen Stellungnahme
vom 04. Juni 2004 ergebe sich, dass die streitgegenständlichen Präparate sämtliche Nahrungsergänzungsmittel oder
homöopa-thische Mittel seien, bei denen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eine medizinische Notwendigkeit
nicht bejaht werden könne. Eine medizinische Wirkung der im Streit be-findlichen Nahrungsergänzungsmittel sei nicht
erwiesen. Im Übrigen habe die Klägerin selbst angegeben, dass sie seit ca. 1 Jahr nicht mehr in hausärztlicher oder
ambulanter nervenärztlicher Behandlung gewesen sei.
Die Klägerin hat in der Folgezeit, so beispielsweise am 16. August 2004, 02. September 2004, 09. November 2004
und 04. März 2005 weitere Anträge bei der Beklagten auf Übernahme der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel
gestellt. Diese Anträge sind aller-dings nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Bescheide vom 29. März 2004
und 09. Juli 2004 - jeweils in der Gestalt des einheitlichen Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2005.
Die Klägerin hat gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 07. Juli 2005, der bei ihrem
Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2005 eingegangen ist, am 16. September 2005 Klage erhoben. Bereits am 02.
September 2005 hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 01. September 2005 beim Verwaltungsgericht Oldenburg
ebenfalls eine Klage ge-gen die streitgegenständlichen Bescheide vom 29. März 2004 und 09. Juli 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2005 erhoben. Diese Klage ist mit Be-schluss des Verwaltungsgerichts
Oldenburg vom 21. September 2005 (Aktenzeichen 3 A 3661/05) an das erkennende Gericht verwiesen worden.
Zunächst wurde das verwiesene
Verfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen S 2 SO 251/05 geführt und sodann mit dem vorliegenden Verfahren
verbunden (vgl. richterliche Verfügung vom 22. November 2005).
Im Hinblick auf die Klagefrist hat die Klägerin mit Schreiben vom 01. September 2005 einen Wiedereinsetzungsantrag
gestellt und zur Begründung u. a. ausführte, dass sie die Klagefrist nicht habe wahren können, weil sie in dieser Zeit
im Krankenhaus gewesen sei. Erst als sie sich wieder richtig habe konzentrieren können, habe sie die vorliegende
Kla-ge erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie seit 1999 bis heute
Psychopharmaka einnehme. Im Laufe der Jahre habe sie verschiedene Medikamente ausprobiert; lediglich das
Medikament Leponex sei zur Behandlung ihrer Psychose geeignet. Dieses Medikament führe aufgrund seiner
dämpfenden Wirkung aber zu starken Nebenwirkungen. Zur Abmilderung dieser erheblichen Nebenwirkungen habe sie
durchgängig auf ärztlichen Rat hin Nahrungsergänzungsmittel eingenommen. Zu-nächst habe sie verschiedene
Präparate wie Carnitin, Guarana, Lezithin, Gingium sowie Eisen und Vitamin B eingenommen. Seit einiger Zeit nehme
sie das Nahrungsergän-zungsmittel ViSan ein. Einmal monatlich kaufe sie eine Packung mit 90 Kapseln für 24,28
EUR, wobei sie dann täglich 3 Kapseln verbrauche. Aus den ärztlichen Stellungnahmen des Nervenarztes H. vom 04.
Mai 2004, 06. Oktober 2005 und 14. Juli 2009 ergab sich die Notwendigkeit der Einnahme dieses
Nahrungsergänzungsmittels.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. März 2004 und des Be-scheides vom 09. Juli 2004 jeweils in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2005 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 23. März 2004
bis zum 17. August 2004 die Kosten für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 120,00 EUR in Form eines
Zuschusses zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen ihres Gesundheitsamtes vom 22. Juni 2005 und 18. Juli 2006
sowie der neuesten Stellungnahme vom 15. September 2009
die Auffassung, dass der geltend gemachte Anspruch auf Übernahme der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel nicht
bestehe, weil diese Präparate medizinisch nicht not-wendig seien. Nach dem Stand der Wissenschaft sei nicht
bekannt, dass die von der Klägerin verwandten Nahrungsergänzungsmittel einen positiven Effekt bei schwerer
chronischer Stoffwechselkrankheit mit Erschöpfungszuständen oder bei vorliegenden chronischen Psychosen hätten.
In der "roten Liste" sei bezüglich der zwei in dem Attest erwähnten Medikamente hinsichtlich der Nebenwirkungen
kein Hinweis auf eine mögliche Senkung der Folsäure sowie der Vitamine B1, B2 und B6 zu finden. Wissenschaftlich
fundierte Studien, die eine Senkung der Folsäure und der Vitamine B1, B2 und B6 beleg-ten, seien nicht gefunden
worden. Im Übrigen habe die Klage bereits deshalb keinen Er-folg, weil die Klagefrist nicht gewahrt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird
ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die bei-gezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Die Bescheide der Beklagten vom 29. März 2004 und 09. Juli 2004, jeweils in der Gestalt des
angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2005, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte für den Zeitraum vom 23. März 2004 bis zum 17. August 2004 einen
Anspruch auf Gewährung der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von insgesamt 120,00 EUR.
Die Klage ist zulässig. Zwar ist vorliegend die Klagefrist von einem Monat gemäß § 87 SGG nicht gewahrt. Denn der
streitgegenständliche Widerspruchsbescheid der Beklag-ten vom 07. Juli 2005 ist dem Prozessbevollmächtigten der
Klägerin bereits am 13. Juli 2005 zugestellt worden. Die Klägerin hat jedoch erst am 02. September 2005 gegen die-
sen Widerspruchsbescheid beim Verwaltungsgericht Oldenburg (bzw. am 16. September 2005 beim erkennenden
Gericht) Klage erhoben. Da das Verfahren vom Verwaltungsge-richt Oldenburg mit Beschluss vom 21. September
2005 (Aktenzeichen 3 A 3661/05) an das hiesige Gericht verwiesen worden ist, das eine Verfahrensverbindung mit der
am 16. September 2005 erhobenen Klage vorgenommen hat, ist für die Fristberechnung der Eingang der (ersten)
Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg am 02. September 2005 maßgeblich. Der Klägerin ist jedoch auf ihren
Antrag hin gemäß § 67 SGG wegen des Versäumens der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind erfüllt. Insbesondere
ist vorliegend die Klagefrist ohne Verschulden der Klägerin versäumt wor-den. Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift
vom 01. September 2005, die zugleich einen Wiedereinsetzungsantrag enthält, insoweit ausgeführt, dass sie am 24.
Juni 2005 statio-när im Landeskrankenhaus F. aufgenommen worden sei. Diese Akuterkrankung habe einen längeren
Verlauf gehabt mit der Folge, dass sie sich erst zum 01. September 2005 hin um die Klageerhebung habe kümmern
können. Diesen Angaben werden bestätigt durch die ärztliche Bescheinigung des Landeskrankenhauses F. vom 11.
August 2005, wonach sich die Klägerin dort in der Zeit vom 24. Juni 2005 bis zum 11. August 2005 in stationärer
Behandlung befunden habe. Da die Klägerin unstreitig seit vielen Jahren an einer schwerwiegenden psychiatrischen
Erkrankung mit wiederholten Aufenthalten im Landeskrankenhaus leidet, war sie gehindert, vor dem 2. September
2005 die Klage zu erheben, so dass ihr das Versäumen der Klagefrist nicht im Sinne von § 67 SGG als Ver-schulden
angelastet werden kann.
Die Klage ist auch begründet. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Über-nahme der begehrten Kosten
für den Kauf der Nahrungsergänzungsmittel bezogen auf den Zeitraum vom 23. März 2004 bis zum 17. August 2004
in Höhe von insgesamt 120,00 EUR ergibt sich aus § 23 Abs. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 24 November 2009 ihren Klagean-trag insoweit zeitlich
konkretisiert. Auch nach Auffassung des Gerichts beginnt der streit-gegenständliche Zeitraum am 23. März 2004 und
endet am 17. August 2004. Am 23. März 2004 ist der Antrag der Klägerin vom 20. März 2004 bei der Beklagten
eingegan-gen. Dieser Antrag und der weitere Antrag der Klägerin vom 11. Juni 2004, die jeweils einzeln durch
Bescheide vom 29. März 2004 bzw. 09. Juli 2004 beschieden worden sind, sind Gegenstand des einheitlichen
streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2005 geworden. Die Klägerin hat in der Folgezeit, wie
u.a. am 16. August 2004, 02. September 2004, 09. November 2004 und 04. März 2005 nach Aktenlage weitere
Anträge bei der Beklagten auf Übernahme der Kosten für Nahrungsergänzungsmittel gestellt. Diese Anträge sind alle
bislang noch nicht beschieden; sie sind auch nicht von dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 07. Juli 2005
erfasst worden. Insofern ist es sachgerecht, dass die Klägerin ihren Klageantrag auf den Zeitraum bis zum 17. Au-
gust 2004 beschränkt hat. Das Gericht geht dabei allerdings davon aus, dass die Beklag-te die Anträge der Klägerin in
den Folgezeiträumen unter Berücksichtigung der Rechtsausführungen in diesem Urteil entsprechend bescheiden wird.
Der Anspruch auf Übernahme der hier geltend gemachten Kosten für Nahrungsergän-zungsmittel ergibt sich aus § 23
Abs. 4 BSHG (in der bis zum 31. Dezember 2004 gel-tenden Fassung). Nach § 23 Abs. 4 BSHG ist für Kranke,
Genesende, behinderte Men-schen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die ei-
ner kostenaufwändigeren Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen. Mit diesem
Mehrbedarf soll der zusätzliche, medizinisch begründete, tat-sächliche Kostenaufwand für eine Ernährung
ausgeglichen werden, die von der Regel-leistung nicht gedeckt ist (vgl. BSG, Urt. vom 27. Februar 2008, B 64/06 R
zit. nach juris). Für die Gewährung dieses Mehrbedarfszuschlages ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer
drohenden oder bestehenden Erkrankung und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung erforderlich.
Vorliegend begehrt die Klägerin die Über-nahme von Kosten für Nahrungsergänzungsmittel. Sie hat vorgetragen, dass
sie in der Vergangenheit mit freiverkäuflichen Präparaten, insbesondere Cranitin, Lezithin, Urana, Dinkium und
Ginseng, sowie Magnesium, Kalzium und Folsäure, die Erfahrung gemacht habe, dass sich die
Medikamentennebenwirkungen damit vermindern ließen. Aus den von ihr vorgelegten Quittungen, die sich in den
Verwaltungsvorgängen befinden, ergibt sich, dass die Klägerin in diesem Zeitraum die unterschiedlichsten
Nahrungsmittelergän-zungspräparate gekauft hat. Das im späteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens von ihr
erwähnte Präparat ViSan hat sie in diesem früheren Zeitraum wohl nicht (ausschließ-lich) eingenommen. Die Klägerin
begehrt somit für den vergangenen Zeitraum die Über-nahme der Kosten für diverse Nahrungsmittelergänzungsstoffe
die als "Krankenkost" im Sinne von § 23 Abs. 4 BSHG zu werten sind. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich
insofern nicht um Medikamente mit der Folge, dass insoweit Ansprüche der Kran-kenhilfe nach § 37 BSHG oder
Ansprüche gegen die gesetzliche Krankenversicherung in Betracht kämen. Denn aus den vorliegenden Attesten ergibt
sich, dass diese Präparate nicht etwa zur Behandlung der schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung der Kläge-rin
eingesetzt worden sind, sondern vielmehr von der Klägerin gekauft und eingenommen wurden, um die mit den
neuroleptischen Medikamenten, insbesondere Leponex, verbun-denen starken Nebenwirkungen zu lindern. Der
Nervenarzt H. führt bereits in seinem Be-richt vom 04. Mai 2004 aus, dass das Medikament Leponex, mit dem die
Psychose der Klägerin erfolgreich habe behandelt werden können, aufgrund seiner dämpfenden Wir-kung mit starken
Nebenwirkungen verbunden sei. Folge der medikamentösen Behand-lung sei eine Antriebsschwäche und erhebliche
Müdigkeit, die dazu führe, dass die Klä-gerin 10 bis 12 Stunden täglich im Bett liege. Diese
Medikamentennebenwirkung könne durch freiverkäufliche Präparate wie Cranitin und andere vermindert werden. Die
Ursache dieser Wirkung liege darin, dass mit diesen Präparaten, die zum Teil Nährstoffe enthiel-ten, der
Zellstoffwechsel verbessert werde, so dass auf der zellulären Ebene mehr Ener-gie zur Verfügung stehe, die sich
dann auch in eine verbesserte Leistungsfähigkeit nie-derschlagen könne. Zusammenfassend gesehen handelt es sich
somit bei den streitge-genständlichen Nahrungsergänzungsmitteln um Mittel i. S. einer kostenaufwändigeren
Ernährung, die aufgrund der bestehenden Krankheit der Klägerin notwendig waren und auch noch sind.
Der Auffassung der Beklagten, dass die Nahrungsergänzungsmittel für die Klägerin nicht notwendig sind, weil diese
ohne bewiesene Wirkung seien, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Zwar hat das Gesundheitsamt der
Beklagten bereits in seiner Stellung-nahme vom 22. Juni 2005 ausgeführt, dass die in der ärztlichen Bescheinigung
vom 04. Juni 2004 verordneten Präparate sämtlich Nahrungsergänzungsmittel oder homöopathi-sche Mittel ohne
wesentliche Nebenwirkung, jedoch auch ohne bewiesene Wirkungen, seien. Die allgemeine Aussage, dass belastbare
Studien, die auf einen positiven Effekt bei schwerer chronischer Stoffwechselkrankheit mit Erschöpfungszuständen
oder bei chronischen Psychosen hinwiesen, nicht bekannt seien, sind im Fall der Klägerin aber nicht von
entscheidungserheblicher Bedeutung. Ob und in welcher Form eine kostenauf-wändigere Ernährung notwendig ist, ist
jeweils eine Entscheidung des Einzelfalles. Dies hat das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 15. April
2008 (B 14/11b AS 3/07 R, zit. nach juris) ausdrücklich festgestellt. Maßgeblich für die Bestimmung des
Mehrbedarfes sind stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere
Ernährung, die von der Regelleistung nicht gedeckt sind. Insoweit ist es für die Lösung des vorliegenden
Rechtsstreites auch nicht maßgeblich, dass das Ge-sundheitsamt der Beklagten in seiner neuesten Stellungnahme
vom 15. September 2009 ausführt, dass in der "roten Liste" bezüglich der zwei in dem Attest erwähnten Medika-
mente (ViSan und Vitomin) hinsichtlich der Nebenwirkungen kein Hinweis auf eine mögli-che Senkung der Folsäure
sowie der Vitamine B1, B2 und B6 zu finden seien. Wissen-schaftlich fundierte Studien, die eine Senkung der
Folsäure und der Vitamine B1, B2 und B6 belegten, haben durch das Gesundheitsamt nicht gefunden werden können.
Ent-scheidend ist im vorliegenden Einzelfall vielmehr, dass nach Auffassung der Kammer ausreichende medizinische
Unterlagen vorliegen, die eindeutig und zweifelsfrei zur Über-zeugung des Gerichts den Entschluss zulassen, dass die
Klägerin auch in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die betreffenden Nahrungsergänzungsmittel zur Linde-rung
der durch die Medikamenteneinnahme verbundenen Nebenwirkungen benötigte. Der Nervenarzt H. hat bereits in seiner
Stellungnahme vom 04. Mai 2004 ausgeführt, dass er aufgrund der starken Nebenwirkungen der Medikamente die
Einnahme geeigne-ter Nährstoffpräparate äußerst wünschenswert halte. Dies hat er in seinem ärztlichen Attest vom
06. Oktober 2005 bekräftigt in dem er schildert, dass die Klägerin zeitlebens auf Medikamente angewiesen sei, wobei
die erheblichen Nebenwirkungen durch die Ein-nahme des Nährstoffpräparats ViSan habe verringt werden können. Er
halte es daher für wünschenswert und sinnvoll, dass die Klägerin dieses Präparat regelmäßig einnehme. Ganz
deutlich wird die Notwendigkeit der Einnahme dieser Nahrungsergänzungsmittel durch das jüngste ärztliche Attest des
Nervenarztes H. vom 14. Juli 2009. In diesem At-test schildert Herr H. detailliert, dass durch die Substitution dieser
Nährstoffe die Neben-wirkungen gemindert oder aufgehoben werden konnten. Die bei der Klägerin notwendi-gen
Dosierungen könnten durch Mehrverzehr von frischen Obst und Gemüse nicht aus-geglichen werden. Bestimmte
Nährstoffe, die insbesondere in ViSan und Vitomin enthal-ten seien, seien für die Klägerin 1. Wahl. Ausdrücklich
bekräftigt Herr H., dass die Kläge-rin auf die Einnahme von ViSan bzw. Vitomin angewiesen sei. Zwischenzeitliche
Aus-lassversuche hätten zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes, Wiederansetzen zu einer prompten
Besserung geführt. Die Einnahme sei deshalb notwendig und medizi-nisch gerechtfertigt. Bei dieser für die Kammer
überzeugenden, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Einschätzung des Nervenarztes H., die sich zudem auf
einen mehrjäh-rigen Zeitraum erstreckt, hat die Kammer im Wege der Amtsermittlung die Einholung ei-nes
Sachverständigengutachtens nicht für erforderlich erachtet. Die Beklagte hat mit ih-ren Ausführungen die
Einschätzungen des Nervenarztes H. auch nicht dezidiert in Frage gestellt. Die Beklagte weist in ihrer Argumentation
vielmehr auf allgemeine wissenschaft-liche Erkenntnisse hin, die aber gerade im vorliegenden Einzelfall aufgrund der
individuel-len und sachkundigen Aussagen von Herrn H. nicht zum Tragen kommen. Im Übrigen hat die Beklagte in
der mündlichen Verhandlung, in der diese Thematik eingehend diskutiert worden ist, auch keinen entsprechenden
Beweisantrag gestellt.
Der Höhe nach spricht die Kammer der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum den von ihr geltend
gemachten Betrag von insgesamt 120,00 EUR zu. Die Höhe des jeweili-gen Mehrbedarfes richtet sich nach dem
ernährungswissenschaftlich erforderlichen Er-nährungsbedarf (vgl. LPK-BSHG, Kommentar, 6. Auflage 2003, § 23
Randnummer 29). Da es sich bei der Klägerin nicht um eine Krankheit handelt, die in den Empfehlungen des
Deutschen Vereines von Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe als einzelne Fallgruppe genannt ist,
kommt eine pauschale Gewährung einer Krankenkos-tenzulage vorliegend bereits vom Ansatz her nicht in Betracht.
Auf den Charakter der "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe" des Deut-schen
Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahre 1997 braucht daher vorliegend nicht näher eingegangen
werden. Auch in den neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der
Sozialhilfe aus dem Jahre 2008 lässt sich für die bei der Klägerin vorliegende Erkrankung ein bestimmter, pauschaler
Mehrbedarfszuschlag nicht ableiten. Der Deutsche Verein führt in seinen Empfehlungen zur Gewährung von
Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe selbst aus, dass ein Mehrbedarf bei Erkrankungen, die nicht in den
Empfehlungen explizit genannt sind, immer anhand des Einzelfalles zu klären sei. Das Bundessozialgericht hat mit
Urteil vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 64/06 R) insoweit festgestellt, dass - wie oben bereits dargelegt -
maßgebend für die Bemessung der Krankenkostzulage stets der Betrag sei, mit dem der medizinisch begründete,
tatsächliche Kostenaufwand für eine Ernährung ausgeglichen werden könne, die von der Regelleistung nicht gedeckt
sei. Ausgehend von den durch die Klägerin bei Antragstellung vorgelegten diversen Quittungen über einzelne
Nahrungsergänzungsmittel und unter Berücksichtigung ihrer Erklärung, dass sie derzeit regelmäßig das
Ernährungspräparat ViSan einnehme, wofür sie monatlich 24,48 EUR auf-wende, ist der hier begehrte Betrag von
120,00 EUR für den Zeitraum vom 23. März 2004 bis zum 17. August 2004, also immerhin fast 5 Monate, nach
Überzeugung der Kammer zutreffend bemessen und keinesfalls überhöht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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