Urteil des SozG Oldenburg vom 01.11.2005

SozG Oldenburg: wohnung, deklaratorische wirkung, unterkunftskosten, heizung, gas, angemessenheit, nebenkosten, altersrente, miete, erlass

Sozialgericht Oldenburg
Beschluss vom 01.11.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 47 AS 256/05 ER
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Beteiligten übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 29. April 2005
einstweilen und unter Vorbehalt der Rückforderung unter Berücksichtigung der ihr bereits gewährten Leistungen
Grundsicherung unter Berücksichtigung eines Unterkunftskostenbedarfs von monatlich 235,72 EUR zu gewähren. Im
Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die außergerichtlichen Kosten der
Antragstellerin sind vom Antragsgegner zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darum, welche Kosten der Unterkunft und der Heizung bei der Bedarfsberechnung der
Antragstellerin als angemessen Berücksichtigung finden können.
Die im Juni 1947 geborene Antragstellerin ist verheiratet; ihr im Februar 1939 geborener Ehemann erhält eine Betriebs-
und Altersrente in Höhe von insgesamt monatlich 1.048,53 EUR. Die Antragstellerin ist ebenso wie ihr Ehemann
taubstumm. Ihnen wurde von der Versorgungsverwaltung neben dem Merkzeichen H, RF und GL ein Grad der
Behinderung von 100 zuerkannt. Seit dem Sommer 1985 bewohnen die Antragstellerin und ihr Ehemann eine ca. 90
qm große Wohnung in einem 1905 errichteten Gebäude; für die Miete und Nebenkosten zahlen sie monatlich 381,89
EUR. Die Wohnung wird durch eine Gasetagenheizung beheizt; durch diese erfolgt auch die Warmwasserbereitung.
Der monatliche Abschlag für den Bezug von Gas beträgt 102,00 EUR.
Auf den Antrag der Antragstellerin vom 9. November 2004, ihr Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, bewilligte
der Antragsgegner mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 für den Zeitraum Januar bis März 2005 ihr monatliche
Leistungen in Höhe von 47,77 EUR. Bei der Berechnung dieses Betrages ging der Antragsgegner davon aus, dass der
Ehemann der Antragstellerin wegen des Bezugs von Altersrente selbst nicht hilfebedürftig sei, aber über einen
Einkommensüberhang von monatlich 533,15 EUR verfüge, den er zu ihren Gunsten einsetzten könne. Bei der
Berechnung sowohl des Einkommensüberhangs als auch des Bedarfs der Antragstellerin legte der Antragsgegner
zwar jeweils ½ der tatsächlichen Miete und Nebenkosten (2 x 190,94 EUR) zu Grunde, setzte jedoch bei den
Heizungskosten nicht den monatlichen Abschlagsbetrag von 102,00 EUR, sondern lediglich sogenannt angemessene
Heizungskosten in Höhe von insgesamt 62,42 EUR monatlich an. Dagegen legte die Antragstellerin mit Schreiben
vom 26. Januar 2005 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 1. April 2005 als
unbegründet zurückgewiesen wurde. Dazu führte der Antragsgegner aus, dass Heizungskosten nur in Höhe der
Beträge gewährt werden können, die nach einer Heizkostenrichtlinie von ihm ermittelt worden seien. Für zwei
Personen sei eine Wohnungsgröße von 60 qm und ein Heizungspreis von 0,90 EUR je Quadratmeter angemessen;
dieser Betrag werde jedoch im Wege eines Zuschlags auf maximal 62,42 EUR monatlich erhöht, so dass keine
höheren Heizungskosten anerkannt werden könnten. Dagegen hat die Antragstellerin am 29. April 2005 Klage
erhoben, über die bislang noch nicht entschieden worden ist (AZ: S 47 AS 257/05).
Mit Schreiben vom 16. März 2005 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass die Kosten der Unterkunft
unangemessen hoch seien, so dass ab dem Juli 2005 nur noch niedrigere Mietkosten anerkannt werden könnten. Mit
Bescheid vom 17. März 2005 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum April bis Juni 2005
monatliche Leistungen in Höhe von 77,77 EUR und für den Bewilligungszeitraum von Juli bis zum September 2005
Leistungen in Höhe von monatlich 40,89 EUR. Hinsichtlich des zuletzt genannten Bewilligungszeitraums setzte der
Antragsgegner nicht die Miete (einschließlich Nebenkosten) von 381,89 EUR, sondern lediglich angemessene
Unterkunftskosten in Höhe von 345,00 EUR monatlich auf der Bedarfsseite an. Auch dagegen legte die Antragstellerin
Widerspruch ein, über den bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist. Mit Änderungsbescheid
vom 21. Juni 2005 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin jedoch höhere Leistungen, weil er bis zum
September 2005 die vollen Unterkunftskosten (einschließlich Nebenkosten) bei der Bedarfsberechnung wegen der
neunmonatigen Kündigungsfrist berücksichtigen wollte.
Bereits am 29. April 2005 hat die Antragstellerin sich an das Sozialgericht Oldenburg mit der Bitte um Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Sie macht geltend: Zwar habe der Antragsgegner im Laufe des Verfahrens zur
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die vollen Unterkunftskosten von ihr und ihrem Ehemann bis zum 30.
September 2005 nunmehr anerkannt. Jedoch habe sie auch für den Zeitraum darüber hinaus Anspruch darauf, dass
die vollen Unterkunftskosten bei der Bedarfsberechnung für sie und ihren Ehemann Berücksichtigung finden würden.
Ebenso habe sie Anspruch darauf, dass daneben der monatliche Betrag von 102,00 EUR als Heizungskosten auf der
Bedarfsseite Berücksichtigung finden müsse. Eine Beschränkung auf lediglich sogenannt angemessene
Heizungskosten sei in ihrem Falle nicht zutreffend. Zum einen müsse berücksichtigt werden, dass es sich um einen
1905 errichteten Altbau mit sehr hohen Räumen (3,30 m Raumhöhe) und schlechter Isolierung des Gebäudes und der
Fenster handele. Zum anderen müsse bedacht werden, dass sie und ihr taubstummer Ehemann die Wohnung schon
seit langem bewohnten und diese behindertengerecht gestaltet hätten. Auch müsse bedacht werden, dass ihr
Ehemann nicht auf Leistungen des Antragsgegners angewiesen sei, da er Altersrente beziehe. Die in Streit stehenden
Differenzbeträge seien so gering, dass sie einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft
und Heizung habe. Eine Bereinigung der monatlichen Kosten für den Bezug von Gas wegen der gleichzeitigen
Warmwasserbereitung sei nicht zutreffend, denn in den regelsatzmäßigen Leistungen sei dafür kein Anteil enthalten;
vielmehr gehörten auch Kosten der Warmwasserbereitung zu den Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten und macht geltend: Bis einschließlich September 2005 habe er
die tatsächlichen Kosten der Unterkunft berücksichtigt. Darüber hinaus könnten aber nur angemessene Kosten der
Unterkunft auf der Bedarfsseite in Ansatz gebracht werden. Die Ermittlung der angemessenen Heizungskosten beruhe
auf sorgfältigen und umfangreichen Ermittlungen des Landkreises Friesland, so dass nur bei zwei Personen maximale
Heizungskosten in Höhe von monatlich 62,43 EUR in Ansatz zu bringen seien. Diese Durchschnittswerte seien
sachgerecht und zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die genannten Gerichtsakten und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen.
II. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben - hier
hinsichtlich der tatsächlichen Unterkunftskosten für den Zeitraum vom April bis zum September 2005 -, war das
Verfahren einzustellen, wobei der Einstellung lediglich deklaratorische Wirkung zu kommt. Im Übrigen hat aber das
Begehren der Antragstellerin zum überwiegenden Teil Erfolg, da sie insoweit einen Anordnungsanspruch und einen
Anordnungsgrund glaubhaft dargetan hat. Denn zu Unrecht meint der Antragsgegner, er dürfe bei der Berechnung der
Kosten der Unterkunft den Bedarf der Antragstellerin über den September 2005 hinaus auf einen lediglich
angemessenen Anteil reduzieren. Auch ist der Antragsgegner bei der Berechnung der Heizungskosten zu Unrecht von
Durchschnittswerten ausgegangen. Allerdings hat die Antragstellerin insoweit keinen Anordnungsanspruch glaubhaft
dargetan, als sie die vollen monatlichen Abschläge für den Bezug von Gas als Heizungskosten anerkannt wissen will.
Vielmehr ist dieser Betrag um einen Warmwasseranteil zu reduzieren. Dazu im einzelnen:
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendung erbracht,
soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft im Einzelfall den angemessen Umfang
übersteigen, sollen sie nur so lange berücksichtigt werden, wie es dem Betreffenden nicht möglich ist, die
Unterkunftskosten in vernünftiger Weise zu senken; dabei sind die tatsächlichen Unterkunftskosten in der Regel
jedoch längstens für 6 Monate zu übernehmen (§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II). Ausgehend von dieser gesetzlichen
Bestimmung übersieht der Antragsgegner im vorliegenden Einzelfall die Besonderheit, dass die Antragstellerin mit
ihrem Ehemann in einer Haushalts – und Wirtschaftsgemeinschaft zusammen lebt und dass dieser nicht auf
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder andere öffentliche Unterstützungsleistungen
sozialhilfeähnlicher Art angewiesen ist. Vielmehr erhält der Ehemann der Antragstellerin eine Betriebs- und
Altersrente, die zwar gering ist, die es ihm aber erlaubt, unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen der
Fürsorge zu leben. Wenn das früher berufstätige Ehepaar seit dem Sommer 1985 in einer Wohnung lebt, die
möglicherweise mit ca. 382,00 EUR monatlich die Angemessenheitsgrenze von 345,00 EUR monatlich überschreitet,
so mag das vielleicht – nur begrenzt auf die Frage der Angemessenheit – zutreffen, berücksichtigt aber nicht den
Umstand, dass es allein Sache des Ehepartners der Antragstellerin ist, eine etwas teuere Wohnung zu bewohnen.
Daher ist es der Antragstellerin im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht zuzumuten, bei ihrem Ehemann auf einen
Wohnungswechsel zu drängen, so dass bei dem Ehepaar nicht die angemessenen, sondern die tatsächlichen Kosten
der Unterkunft bei den Bedarfsberechnungen zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt im vorliegenden Einzelfall noch
der Gesichtspunkt, dass sowohl die Antragstellerin als auch ihr Ehemann taubstumm sind, und es Behinderten ohne
weiteres nicht angesonnen werden kann, eine bereits seit 20 Jahren bewohnte Wohnung ohne schwerwiegende
Gründe zu verlassen. Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit möglicherweise dann anders zu
beurteilen wäre, wenn auch der Ehemann der Antragstellerin auf Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII
angewiesen wäre.
Der Auffassung des Antragsgegners, dass vorliegend nicht die tatsächlichen, sondern lediglich sogenannt
angemessene Heizungskosten bei der Bedarfsberechnung in Ansatz zu bringen seien, vermag sich das Gericht nicht
anzuschließen. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die vom Antragsgegner erarbeitete Heizungskostenrichtlinie
im Allgemeinen sachlich zutreffend ist und einer rechtlichen Überprüfung stand hält. Denn eine abstrakte und
allgemeine Pauschalierung der Heizungskosten kann nur einen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Angemessenheit
der Heizungskosten bieten. Tatsächlich bestimmt sich das Maß der notwendigen Aufwendungen für die Beheizung
einer Wohnung im Wesentlichen nach der Art und Wärmedämmung der betreffenden Wohnung. Daher folgt das
Gericht im Ansatz der in der Literatur vertretenen Ansicht (Berlit in: LPK – SGB II, 1. Aufl. 2005, § 22 Rdn. 50), dass
zunächst für die Vorauszahlungsfestsetzungen der Versorgungsunternehmen eine Vermutung der Angemessenheit
spricht, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenen Heizungsverhalten
vorliegen. Zwar mag es Fälle geben, bei denen die Kosten der Unterkunft angemessen, die Heizungskosten jedoch
deswegen unangemessen sind, weil etwa der Hilfesuchende nicht ordnungsgemäß heizt oder weil durch einen
besonders schlechten baulichen Zustand oder besonderen geringen Wirkungsgrad der Heizung völlig unangemessen
hohe Heizungskosten entstehen. Im Regelfall orientiert sich die Frage der Angemessenheit der Heizungskosten
jedoch an den Kosten der Unterkunft, was zur Folge hat, dass evtl. schlecht isolierte Wohnungen oder solche, bei
denen die Heizung nur mit einem geringen Wirkungsgrad ausgestattet ist, zwar zu unangemessenen Heizungskosten,
aber gleichwohl zur Verpflichtung der Übernahme durch den Träger der Leistungen nach dem SGB II führen (vgl. SG
Oldenburg, Beschluss vom 20. Juli 2005 – S 47 AS 259/05 ER -, SG Lüneburg, Beschluss vom 21. Juli 2005 – S 25
AS 311/05 ER, SG Aurich, Beschluss vom 29. August 2005 – S 25 AS 103/05 ER -). Daher sind im vorliegenden
Einzelfall grundsätzlich die monatlichen Abschlagsbeträge für den Bezug von Gas als Ausgangspunkt für die Kosten
der Heizung zu nehmen.
Indessen sind diese Abschlagsbeträge im vorliegenden Falle um die Kosten der Warmwasserbereitung zu reduzieren.
Dies entspricht allgemeiner Ansicht und dem schließt sich auch das erkennende Gericht an (vgl. Berlit in: LPK – SGB
II, § 22 Rdn. 17, 49; Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdn. 34; SG Freiburg, Beschluss vom 18. Mai 2005 – S 9 AS
1581/05 ER -; SG Aurich, Beschluss vom 29. August 2005 – S 25 AS 103/05 ER -; vgl. auch: OVG Münster, Urteil
vom 9. November 2000 – 22 A 351/99 – ZFSH/SGB 2001, 545; OVG Lünbeburg, Urteil vom 28. Oktober 1994 – 4 M
1618/93 – Nds. MBl. 1995, 113). Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf die gegenteilige Ansicht
des SG Mannheim verweist, überzeugt dies nicht (vgl. Urteil vom 3. Mai 2005 – S 9 AS 507/05 – zitiert nach Juris).
Zu Unrecht wird dort nämlich die Ansicht vertreten, die Kosten der Heizung stünden in untrennbaren Zusammenhang
mit der Unterkunft und seien schon nach dem Wortlaut nicht durch die Regelsatzleistungen abgegolten. Vielmehr
macht der Wortlaut von § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Verwendung des Wortes "insbesondere" deutlich, dass der
Regelsatz eben umfassend alle regelmäßig wiederkehrenden Bedürfnisse des täglichen Lebens abdecken soll. Auch
steht die Bereitung von Warmwasser nicht in untrennbaren Zusammenhang mit dem Haben einer Unterkunft. Zwar ist
es im Allgemeinen üblich, innerhalb der vorhandenen Wohnung abzuwaschen und Körperpflege vorzunehmen. Jedoch
wäre die Befriedigung dieser Bedürfnisse grundsätzlich auch außerhalb der Wohnung möglich, so dass von dem vom
SG Mannheim behaupteten untrennbaren Zusammenhang zwischen Kosten der Warmwasserbereitung und dem
Haben einer Wohnung keine Rede sein kann. Im vorliegenden Fall war daher der monatliche Betrag von 102,00 EUR
beim Bezug von Gas im Wege der einstweiligen Anordnung um 12,44 EUR für die Bereitung von Warmwasser zu
bereinigen. Dabei lies sich das Gericht von der Annahme leiten, für den Bezug von Engergie zur Bereitung von
Warmwasser seien im Regelsatz eines Haushaltsangehörigen etwa 2 v. H. zu berücksichtigen. Eine nähere
Berechnung dieser Bereinigung um einen Warmwasseranteil muss der Betrachtung in einem Hauptsacheverfahren
vorbehalten bleiben.
Über die außergerichtlichen Kosten war in entsprechender Anwendung von § 193 SGG zu entscheiden. Dabei
entspricht es nach Ansicht des Gerichts der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin insgesamt für
erstattungsfähig zu erklären, da sie im Wesentlichen mit ihren Erwägungen zu Beginn des Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung im Ergebnis durchgedrungen ist. Für die Antragstellerin ist das Verfahren gem. § 183 SGG
gerichtskostenfrei.