Urteil des SozG Nürnberg vom 29.09.2009

SozG Nürnberg: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, eugh, bindungswirkung, unbestimmter rechtsbegriff, europäisches recht, missbrauch, mitgliedstaat, verordnung, diagnose

Sozialgericht Nürnberg
Urteil vom 29.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 7 KR 134/08
I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 11.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2008 wird
die Beklagte verurteilt, dem Kläger nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für die Zeit vom 10.08.2006 bis
einschließlich 08.09.2006 Krankengeld zu leisten.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Krankengeld für die Zeit ab 10.08.2006 bis 08.09.2006 streitig.
Der am 26.05.1949 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er befand sich mit seiner
Ehefrau in Italien in Urlaub. Dort suchte er den Arzt Dott. C. auf, der ihm Arbeitsunfähigkeit ab 29.06.2006
bescheinigte. Der Erst- und den Folgebescheinigungen dieses Arztes nach dauerte die Arbeitsunfähigkeit ohne
Unterbrechung bis (einschließlich) 08.09.2006 an. Der Kläger hatte seine Arbeitsunfähigkeit telefonisch einer
Mitarbeiterin der Beklagten gemeldet. Darüber liegt ein Vermerk der Mitarbeiterin der Beklagten vom 12.07.2006 vor.
Für den Kläger wurden über seine Arbeitsunfähigkeit und seinen Antrag auf Zahlung von Krankengeld die von der
Verwaltungskommission (vgl. Art. 81 der VO (EWG) Nr. 1408/71) erstellten Vordrucke E 115, E 116 und E 118 von
der zuständigen Gesundheitsbehörde in Kalabrien erstellt (Zienda Sanitaria Regione Calabria). Wann und unter
welchen Umständen diese Vordrucke bei der Beklagten eingingen, ist auch nach Angaben der Beklagten nicht mehr
nachvollziehbar. Mit dem am 08.08.2006 ausgefüllten Vordruck E 115 war der Antrag auf Geldleistungen wegen der
Arbeitsunfähigkeit gestellt worden. Mit den Vordrucken E 116 für den ärztlichen Bericht bei Arbeitsunfähigkeit vom
08.08.2006, 25.08.2006 und 07.09.2006 waren die von Dott. C. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit von Dott. G. C. als
medizinischen Leiter der Gesundheitsbehörde in Rossano bzw. dessen Stellvertreter Dott. C. D’A. bestätigt worden.
Als Diagnose war eine Gastritis angegeben worden und die Beschwerden mit Bauchschmerzen mit Übelkeit und
Erbrechen beschrieben worden. Die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde auf einem Vordruck E 118
vom 07.09.2006 bescheinigt. Der Arbeitgeber des Klägers hat nach Vorlage der Vordrucke Entgeltfortzahlung vom
29.06.2006 bis 09.08.2006 geleistet.
Die Beklagte forderte vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) unter alleiniger Vorlage der
Vordrucke nach der VO (EWG) Nr. 1408/71 und der VO (EWG) Nr. 574/72 sowie den Bescheinigungen von Dott. C.
eine Stellungnahme an. Aus diesen Unterlagen erkannte der Arzt des MDK ausweislich seiner Stellungnahme vom
23.04.2007, dass der Kläger "in der Tat" zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit mit Bauchschmerzen und Übelkeit bei
seinem zuständigen Amtsarzt vorstellig geworden sei. Über den weiteren Verlauf sei den Unterlagen nichts zu
entnehmen, insbesondere nicht über die resultierenden therapeutischen Konsequenzen. Unter Zugrundelegung der
Diagnose Gastritis sei festzustellen, dass diese zu keinem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit bedingt habe, insbesondere
nicht über eine Dauer von 10 Wochen.
Darauf Bezug nehmend wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 11.05.2007 der Antrag auf Krankengeld für die
Zeit vom 29.06.2006 bis 09.09.2006 abgelehnt. Mit Schreiben vom 11.06.2007, das am 12.06.2007 bei der Beklagten
einging, wurde hiergegen Widerspruch erhoben. Nachdem der Widerspruchsführer zunächst mitgeteilt hatte, ärztliche
Unterlagen vorzulegen, nachdem er sich im August wieder in Italien aufhielt, wurde schließlich über seine
Bevollmächtigten mit Schreiben vom 16.11.2007 mitgeteilt, dass er keine weitergehenden Unterlagen vorlegen könne.
Aber es ergebe sich bereits aus den vorliegenden Unterlagen die Arbeitsunfähigkeit für den geltend gemachten
Zeitraum. So sei bei der festgestellten Diagnose Gastritis eine Arbeitsunfähigkeit im Regelfall sehr wohl gegeben. Der
Kläger habe sich regelmäßig in ärztlicher Behandlung befunden und die Diagnose habe über den gesamten Zeitraum
Gastritis gelautet. Daraufhin wurden seitens der Beklagten keine weiteren Ermittlungen durchgeführt, sondern der
Vorgang dem Widerspruchsausschuss zugeleitet.
Mit Bescheid vom 17.03.2008 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Vom Grundsatz des Ruhens
der Leistungen bei Auslandsaufenthalt gemäß § 16 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gebe es Ausnahmen, die
sich aus § 18 SGB V oder aus über- und zwischenstaatlichem Recht ergeben würden. Für die Geldleistungen sei
gemäß Art. 19 Abs. 1 b VO (EWG) Nr. 1408/71 anzuwenden. Der Anspruch auf Krankengeld richte sich grundsätzlich
nach deutschem Recht und somit nach der Anspruchsgrundlage des § 44 SGB V. Im Rahmen der Frage, ob
Arbeitsunfähigkeit vorlag, ging der Widerspruchsausschuss auch auf Art. 18 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 574/72 ein. Es wird
auf die in der Rechtsprechung zu Art. 18 Abs. 1 bis 4 VO (EWG) Nr. 574/72 anerkannte Bindungswirkung der
Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit im EU-Ausland für den zuständigen Träger, also die Beklagte, eingegangen. Es
wurde hervorgehoben, dass es dem zustän-digen Leistungsträger nicht verwehrt ist, Nachweise zu erbringen, anhand
deren das nationale Gericht ggf. feststellen könne, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich oder betrügerisch eine
gemäß Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 ausgestellte Arbeitsunfähigkeit gemeldet habe, ohne krank gewesen zu sein.
Auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 02.05.1996 (C-206/94) wird Bezug genommen,
also auf die als "Paletta II" bekannt gewordene Entscheidung. Daraus folgert die Beklagte letztlich eine volle
Überprüfbarkeit der Arbeitsunfähigkeit. Sie stützt sich dabei auf die Feststellungen des MDK vom 23.04.2007, dass
eine Diagnose Gastritis unter Berücksichtigung der vom italienischen Arzt mitgeteilten Befunde Bauchschmerzen und
Übelkeit zu keinem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit bedingt habe.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 17.04.2008.
In der Klagebegründung wird hervorgehoben, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid nicht ausführe, warum die
ordnungsgemäßen Bescheinigungen der italienischen Sozialversicherungsträger nicht anerkannt werden könnten. Auf
die Feststellungen des MDK könne die Ablehnung nicht gestützt werden. Das Gutachten sei wohl ergebnisorientiert
gewesen. Es sei den Feststellungen des italienischen Arztes zu folgen.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 11.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2008
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger dem Grunde nach Krankengeld ab 10.08.2006 bis
einschließlich 08.09.2006 zu gewähren sowie dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug.
Das Gericht hat im vorbereitenden Verfahren eine Anfrage an den zuständigen Amtsarzt in Italien gerichtet, der die
Angaben in den Formularen bestätigt hat. Der behandelnde Arzt Dott. C. hat trotz mehrfacher Aufforderung auf die
Befundberichtsanfrage nicht geantwortet.
Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die beigezogene Akte der Beklagten und auf
den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zum sachlich und örtlich
zuständigen Sozialgericht Nürnberg (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist auch begründet, da der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 10.08.2006
bis (einschließlich) 08.09.2006 hat.
Auch wenn beim Kläger die Arbeitsunfähigkeit in Italien eingetreten ist, hat er trotzdem einen Anspruch auf
Krankengeld. Im Grundsatz hat ein Auslandsaufenthalt des Versicherten seit Inkrafttreten des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V) das Ruhen des Anspruches auf Krankengeld zur Folge. Regelungen des zwischen- bzw.
überstaatlichen Rechts können zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes führen. Im vorliegenden Fall ergibt sich
diese Durchbrechung aus dem EU-Recht. Im Widerspruchsbescheid wurde auf Art. 19 Abs. 1 b der Verordnung vom
14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO (EWG) Nr. 1408/71), Bezug genommen.
Art. 19 ist jedoch nicht unmittelbar anwendbar. Diese Norm regelt nämlich den Fall, dass sich eine Person, die in
einem Mitgliedstaat bei einem Träger der sozialen Sicherung versichert ist (zuständiger Träger), in einem anderen
Mitgliedstaat dauerhaft aufhält. Letzteres war beim Kläger nicht der Fall, denn dieser hielt sich nur vorübergehend in
Italien auf, um dort seinen Erholungsurlaub zu verleben. Somit ist auf Art. 22 VO (EWG) Nr. 1408/71 zurückzugreifen,
der den Fall regelt, dass sich eine Person, die in einem Mitgliedstaat bei einem Träger der sozialen Sicherung
versichert ist (zuständiger Träger), in einem anderen Mitgliedstaat nur vorübergehend aufhält. Mit dem Krankengeld
aufgrund seiner in Italien eingetretenen Arbeitsunfähigkeit beansprucht der Kläger eine Geldleistung. Bei
Geldleistungen ist in der VO (EWG) Nr. 1408/71 ein sog. Leistungsexport vorgesehen. Nach Art. 22 Abs. 1 a Ziff. ii
VO (EWG) Nr. 1408/71 richtet sich der Anspruch auf die Geldleistung gegenüber der Beklagten als zuständigen
Leistungsträger nach dem für die Beklagte geltenden Recht, also insbesondere nach den Bestimmungen des SGB V.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie
arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder
Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz
1 SGB V ist arbeitsunfähig, wer die vor Beginn einer Krankheit ausgeübte Tätigkeit aufgrund dieser Krankheit
entweder überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin ausüben kann, seinen Zustand zu verschlimmern (vgl.
BSGE 69, 180, 182; BSGE 57, 227, 228). Arbeitsunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dabei ist die relative
Unbestimmtheit des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit im Wesentlichen empirischer und weniger normativer Art (vgl.
Schmidt in: Peters, Handbuch KV II SGB V § 44 Rz. 53). Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgte im
vorliegenden Fall wegen des urlaubsbedingten Aufenthaltes in Italien nicht mittels einer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von den Ver-tragsärzten nach den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien zu verwenden
ist. Bei der Beurteilung des Anspruches aus § 44 SGB V ist im vorliegenden Fall streitig, ob die vorliegenden
Nachweise der Arbeitsunfähigkeit aus Italien ausreichen.
Hierbei ist europäisches Recht zu beachten, das im Widerspruchsbescheid auch im Wesentlichen angeführt wurde.
Während die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 1408/71 die Grundvorschriften enthalten, finden sich in den
Regelungen der Verordnung vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige,
die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO (EWG) Nr. 574/72), die Durchführungsvorschriften. Daher sind
in der VO (EWG) Nr. 574/72 auch Regelungen zu den Feststellungen zur Arbeitsunfähigkeit getroffen. Diese
Feststellungen, die nach Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72 vom Träger des Wohnorts in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union mittels des dafür vorgesehenen Vordruckes getroffen worden sind, haben grundsätzlich bindende
Wirkung. Dies gilt auch für die Feststellungen bei vorübergehendem Aufenthalt des Arbeitnehmers. Bezieht sich der
Anspruch auf Geldleistungen nach Art. 22 Abs. 1 a Ziff. ii VO (EWG) Nr. 1408/71, ist Art. 18 VO (EWG) Nr. 574/72
nach Art. 24 VO (EWG) Nr. 574/72 entsprechend anzuwenden.
Die inländischen Krankenkassen können die Bindungswirkung im Wesentlichen nur dadurch vermeiden, dass sie den
Versicherten nach Art. 18 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 574/72 von einem Arzt ihrer Wahl untersuchen lassen. Dies hat der
EuGH in der Rechtssache Rindone auf Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichtes (vgl. USK 85153) mit Urteil vom
12.03.1987 entschieden (vgl. EuGH, RS. 22/86 = Slg. 1987, 1339 = SozR 6055 Art. 18 Nr. 1 = USK 8754). Der EuGH
hatte sich in dieser Entscheidung erstmals mit der Frage befasst, ob der zuständige Träger in tatsächlicher und in
rechtlicher Hinsicht an die Feststellungen des für den Träger des Wohnorts die Kontrolluntersuchung durchführenden
Arztes über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist, wenn er den Betroffenen nicht durch einen
Arzt seiner Wahl untersuchen lässt, wozu er nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung befugt ist. Diese Bindungswirkung
wurde vom EuGH angenommen und mit dem in Art. 18 der Verordnung vorgegebenen Verfahren und dem Ziel
begründet, den Arbeitnehmer vor Beweisschwierigkeiten zu bewahren. Mit der Entscheidung des EuGH "Paletta I"
(Urteil vom 03.06.1992 – Rs. C-45/90 = Slg. 1992, I-3423 = SozR 3-6055 Art. 18 Nr. 1 = USK 9284) und "Paletta II"
(Urteil vom 02.05.1996 – Rs. C-206/94 = Slg. 1996, I-2357 = USK 9615) hat der EuGH diese Rechtsprechung auf
Fälle der vom Arbeitgeber zu leistenden Entgeltfortzahlung übertragen. In der Entscheidung "Paletta I" wurde die
Bindungswirkung bestätigt. In der Entscheidung "Paletta II" erfolgte durch den EuGH eine Modifizierung. Allerdings
hat der EuGH hierzu hervorgehoben, dass nach seiner Rechtsprechung die missbräuchliche oder betrügerische
Geltendmachung von Gemeinschaftsrecht ohnehin nicht gestattet ist. In einem solchen Fall könnten die nationalen
Gerichte dem Kläger unter Verweis auf Missbrauch und Betrug die Berufung auf Gemeinschaftsrecht verwehren.
Somit wurde bei dem streitigen Anspruch auf (nach damaligem Recht) Lohnfortzahlung dem Arbeitgeber die
Möglichkeit eingeräumt, Nachweise zu erbringen, anhand deren das nationale Gericht (Arbeitsgerichtsbarkeit) ggf.
feststellen kann, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich oder betrügerisch eine gemäß Art. 18 der VO (EWG) Nr.
574/72 festgestellte Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat, ohne krank gewesen zu sein. Dies gilt auch für das Krankengeld
(vgl. Schmidt in: Peters, Handbuch KV II SGB V § 44 Rz. 139 a). Die missbräuchliche oder betrügerische
Geltendmachung von Krankengeld kann somit auch dazu führen, dass dem Versicherten die Berufung auf
Gemeinschaftsrecht verwehrt ist.
Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben diese Auslegung des Gemeinschaftsrechts ihren Entscheidungen zugrunde zu
legen. Im vorliegenden Fall ist eine Bindungswirkung im Hinblick auf den Beginn, das Ende und die Dauer der
Arbeitsunfähigkeit des Klägers in Italien vom 29.06.2006 bis (einschließlich) 08.09.2006 anzunehmen. Die zugrunde
liegenden Vordrucke E 116 und E 118 wurden von der Gesundheitsbehörde in Rossano ausgestellt. Ausstellende
Ärzte waren dabei der Leiter der Gesundheitsbehörde Dott. G. C. und dessen Stellvertreter Dott. C. D’A. Diese hatten
überprüft, ob die jeweils vom behandelnden Arzt Dott. M. C. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit gegeben war. Dies hat
Dott. C. dem Gericht auf Anfrage in seinem Bericht vom 13.11.2008 bestätigt. Aus dem Umstand, dass die
Bescheinigungen E 116 auf Nachfrage der Beklagten korrigiert worden waren, lässt sich die Bindungswirkung nicht
verneinen. Auch die Beklagte selbst hat die korrigierten Bescheinigungen nicht zurückgewiesen, sondern ihrer
Entscheidung zugrunde gelegt und bspw. auch dem MDK zugeleitet. Auch ist auf den Bericht von Dott. C. zu
verweisen, der den bescheinigten Inhalt nochmals dem Gericht gegenüber bestätigte.
Im angefochtenen Widerspruchsbescheid wird zutreffend die Rechtsprechung des EuGH in der Sache "Paletta II"
wiedergegeben. Anschließend wird ausgeführt, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Krankengeld habe, wenn
er tatsächlich gar nicht arbeitsunfähig gewesen sei. Der Kläger sei nach den Feststellungen des MDK vom 23.04.2007
nicht arbeitsunfähig gewesen. Zu diesen Ausführungen im Widerspruchsbescheid ist anzumerken, dass bei Nachweis
der Arbeitsunfähigkeit durch die vorliegenden Unterlagen der italienischen Gesundheitsbehörde weitere Ermittlungen
und auch Stellungnahmen des MDK überhaupt nicht angezeigt waren. Das ist die Folge der im
Widerspruchsausschuss im Wesentlichen zutreffend wiedergegebenen Bindungswirkung. Diese Bindungswirkung
kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass seitens der Beklagten als zuständigen Träger im Sinne des EU-
Rechts die Arbeitsunfähigkeit bezweifelt wird und in der Berufung auf die Bescheinigungen in den Vordrucken E 115,
E 116 und E 118 ein Missbrauch gesehen wird. Dieses Verständnis widerspricht den Entscheidungen des EuGH.
Zunächst tritt eine Bindungswirkung der vorliegenden ärztlichen Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit, die in Italien
getroffen wurden, ein. Überträgt man die Rechtsprechung zur Entgeltfortzahlung, insbesondere den Fall "Paletta II",
auf den Anspruch auf Krankengeld, ist es dann an der Beklagten darzulegen, dass ein Missbrauch oder Betrug
vorliegt. Das Bestreiten einer Arbeitsunfähigkeit und der Vortrag von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit genügt nicht.
Insoweit verweist der EuGH auf Art. 18 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 574/72. Es ist den Krankenkassen unbenommen, bei
Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit den Betroffenen vor Ort durch einen Arzt ihrer Wahl untersuchen zu lassen. Wie
bereits ausgeführt, war es ja gerade die Überlegung, den Arbeitnehmer vor Beweisschwierigkeiten zu bewahren, wie
der EuGH im Fall Rindone ausdrücklich hervorgehoben hat. Zur Stellungnahme des MDK vom 23.04.2007 ist weiter
anzumerken, dass die Vordrucke E 116 ohnehin nicht dazu dienen, eine abschließende Beurteilung über das
Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit durch eine eigenständige Überprüfung des zuständigen Trägers zu ermöglichen.
Erst im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde seitens der Beklagten angeführt, dass ein Missbrauch
angenommen werde, weil auch die Ehefrau zeitgleich während des Urlaubs in Italien arbeitsunfähig geworden sei. Die
Nachfrage im Termin zur mündlichen Verhandlung ergab, dass der Ehefrau des Klägers Krankengeld gezahlt worden
war. Eine Schlussfolgerung, dass dann aber die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers aufgrund einer
anderen Erkrankung nicht zutreffen kann, ist nicht möglich. Es wurden seitens der Beklagten keine Anhaltspunkte
dafür vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Ausstellung der Bescheinigungen in Italien für den Kläger auf
Missbrauch oder Betrug beruhte. Auch insoweit ist die Beklagte auf die Möglichkeit in Art. 18 Abs. 3 VO (EWG) Nr.
574/72 zu verweisen. Daher ist die Arbeitsunfähigkeit auch für die Zeit vom 10.08.2009 bis (einschließlich) 08.09.2009
nachgewiesen und der Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach gegeben.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.