Urteil des SozG Nürnberg vom 06.02.2009

SozG Nürnberg: unterbrechung, grundversorgung, hauptsache, abschlagszahlung, mahnung, androhung, sperrung, notlage, nichterfüllung, betrug

Sozialgericht Nürnberg
Beschluss vom 06.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 20 AS 95/09 ER
Beschluss: I. Der Antrag wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin die Übernahme offener
Strom- und Gasschulden bei seinem Energielieferanten.
Der Antragsteller steht bei der Antragsgegnerin im Leistungsbezug. Die Antragsgegnerin bewilligte ihm zuletzt mit
Bescheid vom 08.09.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) für den Zeitraum 01.10.2008 bis 31.03.2009 in Höhe von monatlich 703,21 EUR (Regelleistung in Höhe von
351 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 352,21 EUR). Mit Einverständnis des Antragstellers
wird die laufende Abschlagszahlung für Strom und Erdgas von der Antragsgegnerin direkt an den Energielieferanten
des Antragstellers überwiesen. Die Abschlagszahlung betrug im Oktober 2008 noch 96 EUR.
Am 26.11.2008 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Überprüfung sämtlicher bislang ergangener
Leistungsbescheide im Hinblick auf die Übernahme weiterer Energiekosten. Zudem beantragte er die - zumindest
darlehensweise - Übernahme der Nachzahlungsforderung in Höhe von 182,49 EUR aus der Jahresrechnung seines
Energielieferanten für den Zeitraum 19.10.2007 bis 04.11.2008. Laut Jahresrechnung betrug der neue monatliche
Abschlag des Antragstellers ab 01.01.2009 137 EUR. Die Antragsgegnerin hat nach Aktenlage bislang nicht über die
Anträge entschieden.
Nach telefonischer Auskunft des Energielieferanten gegenüber der Antragsgegnerin vom 28.01.2009 beträgt der
Gesamtabschlag für den Antragsteller seit 01.02.2009 126 EUR monatlich. Dieser Betrag wird ab 01.03.2009 direkt
von der Antragsgegnerin an den Energielieferanten überwiesen (Änderungsbescheid vom 28.01.2009). Der
Energielieferant war bei seiner telefonischen Auskunft vom 28.01.2009 nicht in der Lage, die Höhe der derzeit noch
offenen Forderungen gegenüber dem Antragsteller für die Zeit bis zum 28.02.2009 zu benennen.
Am 21.01.2009 hat der Antragsteller bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er
bringt vor, ihm sei nicht erklärlich, warum die Antragsgegnerin lediglich einen Abschlag von 96 EUR an seinen
Energielieferanten überwiesen habe, obwohl nunmehr eine monatliche Abschlagszahlung von 137 EUR fällig sei. Nach
Verrechnung der Abschlagszahlungen für November und Dezember 2008 mit der Nachzahlungsforderung für 2008 und
des sich daraus ergebenden Restbetrags mit der laufenden Abschlagszahlung in Höhe von 137 EUR sei es zu einem
Zahlungsrückstand gekommen. Mit Schreiben vom 20.01.2009 habe ihm sein Energielieferant mitgeteilt, dass der
Rückstand 132,49 EUR (Strom 58 EUR, Erdgas 69,49 EUR, Mahnkosten 5 EUR) betrage. Zugleich sei ihm eine
Unterbrechung der Strom- und Gasversorgung nach dem 17.02.2009 angedroht worden. Da er kein weiteres
Einkommen als die Leistungen nach dem SGB II habe und auch nicht über ein Schonvermögen verfüge, könne er den
ausstehenden Betrag nicht selbst begleichen, ohne eine massive Unterdeckung seines Existenzminimums
hinnehmen zu müssen. Bei ihm bestehe zudem eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 70; auch sei ihm das
Merkzeichen "G" zuerkannt. Zudem leide er unter diversen chronischen Erkrankungen. Der Antragsteller hat seinem
Antrag verschiedene Schriftstücke und Kopien, u.a. einen Kontoauszug vom 21.1.2009 beigefügt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
seine Energieschulden in Höhe von 132,49 EUR zu übernehmen und an das Energieunternehmen auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzuweisen.
Sie trägt vor, der Antragsteller wisse, dass er grundsätzlich seine Stromkosten selbst aus der Regelleistung zu
begleichen habe, und dass sich daher bei einer Direktüberweisung des monatlichen Gesamtabschlages an seinen
Energielieferanten sein Auszahlungsbetrag um die Höhe des Stromabschlags verringere. Nachdem sich sein
Auszahlungsbetrag ab dem 01.12.2008 trotz des höheren Energieabschlags nicht verringert habe, hätte er wissen
müssen, dass er die Differenz zwischen dem bisherigen Abschlag in Höhe von 96 EUR und dem neuen Abschlag in
Höhe von 137 EUR selbst an seinen Energielieferanten zu leisten habe. Soweit sein Energielieferant mit einer
Versorgungssperrung drohe, könne der Antragsteller dem entgegenhalten, dass eine solche Maßnahme bei Eingang
laufender Zahlungen nicht gerechtfertigt sei, zumal diesem die Direktüberweisung durch die Antragsgegnerin bekannt
sei. Nach alledem sei für eine einstweilige Anordnung kein Raum.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin
Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Insbesondere kann er auch schon vor
Klageerhebung gestellt werden (§ 86b (3) Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Er ist jedoch unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint (§ 86b (2) S. 2 SGG). Durch die Regelungsanordnung wird eine bislang noch nicht
bestehende Rechtsposition vorläufig begründet oder eine bestehende Rechtsposition vorläufig erweitert. Der Erlass
einer solchen Anordnung setzt voraus, dass vom Antragsteller sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein
Anordnungsgrund ausreichend glaubhaft gemacht wird (Rohwer-Kahlmann, Sozialgerichtsbarkeit, § 86b Rn. 26). Es
müssen grundsätzlich überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen (Anordnungsanspruch). Zudem
müssen Gründe vorliegen, deretwegen dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner, der öffentlichen und der
Interessen Dritter nicht zugemutet werden kann, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten, da ihm andernfalls
wesentliche Nachteile entstünden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten
(Anordnungsgrund). Allerdings sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch funktionell miteinander verknüpft und
beeinflussen sich gegenseitig (Rohwer-Kahlmann, Sozialgerichtsbarkeit, § 86b Rn. 19, 21). An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn das Obsiegen in der Hauptsache sehr
wahrscheinlich ist. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dagegen als offen zu beurteilen, weil eine
vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, kommt dem Anordnungsgrund
entscheidende Bedeutung zu. In diesem Falle ist anhand einer Güter- und Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die
grundrechtlichen Belange des Antragstellers in die Abwägung einzustellen sind (siehe dazu
Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 12.5.2005 - 1 BvR 569/05).
Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 22 (5) S. 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden
übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage
gerechtfertigt ist.
Nach allgemeiner Auffassung stellt die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge einer drohenden Sperrung
der Energiezufuhr grundsätzlich eine dem Verlust der Unterkunft vergleichbare Notlage da (vgl. Berlitz in LPK-SGB II,
2. Auflage, § 22 Rdnr. 116 m.w.N.). Dies gilt insbesondere, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Sperrung während
der Wintermonate droht und der Hilfebedürftige zudem schwerbehindert ist und unter chronischen Erkrankungen leidet.
Allerdings ist eine Übernahme der Energieschulden zur Behebung der Notlage dann nicht gerechtfertigt, wenn die
durch den Energieversorger angedrohte Sperrung rechtswidrig ist.
Nach § 19 (2) Stromgrundversorgungsverordnung ist der Grundversorger berechtigt, bei anderen Zuwiderhandlungen,
insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, die Grundversorgung vier Wochen
nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 der
Niederspannungsanschlussverordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen (S. 1). Dies gilt
nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde
darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt (S. 2). Der Grundversorger
kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht außer Verhältnis
zur Schwere der Zuwiderhandlung steht (S. 3). Wegen Zahlungsverzuges darf der Grundversorger eine Unterbrechung
unter den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Voraussetzungen nur durchführen lassen, wenn der Kunde nach Abzug
etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 Euro in Verzug ist (S. 4). Bei der Berechnung
der Höhe des Betrages nach Satz 4 bleiben diejenigen nicht titulierten Forderungen außer Betracht, die der Kunde
form- und fristgerecht sowie schlüssig begründet beanstandet hat (S. 5). Ferner bleiben diejenigen Rückstände außer
Betracht, die wegen einer Vereinbarung zwischen Versorger und Kunde noch nicht fällig sind oder die aus einer
streitigen und noch nicht rechtskräftig entschiedenen Preiserhöhung des Grundversorgers resultieren (S. 6).
Nach § 19 (2) Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) ist der Grundversorger berechtigt, bei anderen
Zuwiderhandlungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, die
Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24
Abs. 3 der Niederdruckanschlussverordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen (S. 1). Dies
gilt nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der
Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt (S. 2). Der
Grundversorger kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht
außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht (S. 3).
Die dem Antragsteller von seinem Energieversorger angedrohte Unterbrechung der Stromversorgung wäre somit
rechtswidrig. Der Antragsteller ist bei seinem Energieversorger nicht mit Zahlungsverpflichtungen in Höhe von
mindestens 100 Euro in Verzug. Nach dem vom Antragsteller vorgelegten Schreiben seines Energielieferanten beträgt
der Zahlungsrückstand für Strom lediglich 58 EUR. Eine Unterbrechung der Stromlieferung kommt daher gem. § 19 (2)
S. 4 StromGVV nicht in Betracht. In entsprechender Anwendung der Regelung in § 19 (2) S. 4 StromGVV und im
Hinblick auf die Jahreszeit wäre auch eine Unterbrechung der Gasversorgung des Antragstellers bei einem
Zahlungsrückstand von lediglich 69,49 EUR als unverhältnismäßig im Sinne des § 19 (2) S. 2 GasGVV zu sehen und
damit rechtswidrig. Dies gilt unabhängig vom Gesundheitszustand des Antragstellers. Eine Unterbrechung ließe sich
auch nicht damit rechtfertigen, dass der Antragsteller bei seinem Energieversorger in verschiedenen
Versorgungssparten Zahlungsrückstände aufweist, die insgesamt einen Betrag von 127,49 EUR (zuzüglich 5 EUR
Mahnkosten) ausmachen. Eine Zusammenrechnung der Zahlungsrückstände für verschiedene Versorgungssparten ist
in den zitierten Vorschriften der StromGVV und der GasGVV nicht vorgesehen. Sie würde auch zu einer
Benachteiligung von Kunden führen, die ihren gesamten Energiebedarf - unter Umständen wegen nicht vorhandener
Alternativen - von nur einem Energieversorger beziehen. In diesen Fällen wäre es dem Energielieferanten bei
vergleichsweise geringen Zahlungsrückständen möglich, durch Androhung einer zeitgleichen Unterbrechung der
Versorgung in verschiedenen Grundversorgungsbereichen, die der Befriedigung unterschiedlicher menschlicher
Bedürfnisse dienen, auf den Kunden besonderen und im Ergebnis unverhältnismäßigen Druck auszuüben (siehe dazu
auch AG Lübeck, Urt. v. 06.11.2006 - 22 C 2737/06). Sollte der Energieversorger des Antragstellers daher eine im
Hinblick auf den aktuellen Zahlungsrückstand rechtswidrige Unterbrechung der Grundversorgung veranlassen, so wäre
es dem Antragsteller zuzumuten, zunächst auf Grundlage seines Versorgungsvertrages gegen den Versorger rechtlich
vorzugehen. Eine (darlehensweise) Übernahme der Energieschulden des Antragstellers durch die öffentliche Hand ist
daher nicht - auch nicht zu einem Teilbetrag - gerechtfertigt. Es bedarf deshalb auch keiner Ermessensausübung des
Leistungsträgers im Rahmen seiner Entscheidung nach § 22 (5) S. 1 SGB II.
Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass ein Anordnungsanspruch des Antragstellers nach § 22 (5) S. 1 SGB
II - im Sinne einer Ermessensreduzierung beim Leistungsträger auf Null - gegenwärtig auch dann nicht bestehen
würde, wenn die Zahlungsrückstände in den einzelnen Versorgungssparten jeweils über 100 EUR betragen würden.
Denn der Antragsteller hat weder vorgetragen, dass er seinem Energieversorger gegenüber dargelegt hat, weshalb
eine Unterbrechung der Strom- bzw. Gaszufuhr in seinem Fall (z.B. im Hinblick auf seine gesundheitlichen Zustand)
unverhältnismäßig sein könnte, noch, dass er versucht hat, - ggf. unter Einbeziehung der Antragsgegnerin - eine
Ratenzahlungsvereinbarung mit ihm zu treffen. Es ist auch nicht ausreichend dargelegt, weshalb es dem Antragsteller
nicht möglich sein sollte, aus den vorhandenen Barmitteln - so wurden am 30.12.2008 305,15 EUR vom Konto des
Antragstellers ausgezahlt - den Zahlungsrückstand zumindest so niedrig zu halten, dass eine Unterbrechung der
Grundversorgung nicht in Betracht kommt (siehe dazu oben).
Da der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Übernahme seiner Energieschulden hat,
bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob ein Anordnungsgrund vorliegen würde.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist gem. § 172 (3) Nr. 1 SGG unanfechtbar.